Was geschieht wenn der Geruchssinn verloren gegangen ist?

Vor zwei Jahren passierte der Unfall, während eines Auslandssemesters. Annegret Schuster* war in Japan, weit weg von zu Hause. Die 24-jährige Studentin verlor das Bewusstsein. Sie erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma, lag im Krankenhaus. Ein großer Bluterguss drückte auf das Gehirn. Direkt hinter der Stirn, über dem Nasendach.

Danach war alles anders für Schuster. Obwohl eigentlich nicht viel passiert war. Denn schließlich wachte sie wieder auf, sie hatte keine Sprachprobleme, keine Bewegungsstörungen – alles schien in Ordnuing. Aber sie konnte den Duft von Blumen nicht mehr riechen, nicht den Frühling und den Herbst. Der typische Geruch ihrer Wohnung war weg und ebenso der von der Straße, in der sie wohnt. Am schlimmsten aber ist es für sie, dass sie nicht mehr weiß, wie ihr Freund riecht.

Verlust des Geruchssinns mindert die Lebensqualität

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Quelle: Die Welt

Außerdem ist mit dem Geruchssinn auch ihr Geschmacksempfinden verschwunden. „Keiner kann sich vorstellen, wie es ist, wenn alles öde und irgendwie gleich schmeckt“, sagt sie. Die Freude am Essen gehe verloren. Aber nicht nur die verschwindet: Menschen, die nicht mehr riechen können, beklagen generell einen erheblichen Verlust an Lebensqualität, ganz abgesehen von der fehlenden Schutzfunktion des Geruchssinns, wenn beispielsweise das Essen anbrennt oder ein Lebensmittel verdorben ist.

„Ich muss meine Freunde fragen, ob ich nach Schweiß rieche und ob das Essen richtig gewürzt ist“, sagt die Studentin, die sehr offen damit umgeht, dass sie nicht mehr riechen kann. Viele Betroffene verschweigen dieses Problem lieber.

Riechen hat auch etwas mit Gefühlen und Erinnerungen zu tun. So kann man sich durch Gerüche in die Kindheit zurückversetzen, etwa wenn der Duft nach frisch gebackenem Kuchen an die Küche der Großmutter erinnert. Lavendelduft kann das Urlaubsgefühl vom letzten Jahr wiedererwecken.

Anosmie: 5% der Deutschen können keine Gerüche wahrnehmen

„Wer den Geruchssinn einbüßt, verliert auch den Schlüssel zu diesen Gedächtnisinhalten“, sagt Thomas Hummel von der Abteilung „ Riechen und Schmecken“ der Hals-Nasen-Ohren-Klinik an der Technischen Universität Dresden. In die Spezialabteilung kommen jährlich etwa 800 Patienten. Mit ihrer Hilfe erforscht Hummel das komplexe System des Riechsinns und betreut als Arzt Menschen mit Geruchsverlust. Die enge Verknüpfung von Riechen und Fühlen erklärt er damit, dass die Strukturen im Gehirn, die für Gedächtnis und Emotionen bedeutsam sind, in der Nähe der Regionen liegen, die beim Riechen aktiviert werden.

Etwa fünf Prozent der Bevölkerung können nicht riechen, sie haben eine sogenannte Anosmie. Andere Menschen hingegen riechen einfach nur schlechter: Ab dem Alter von 50 Jahren lässt beispielsweise der Geruchssinn häufig nach, bei Männern stärker als bei Frauen. Überhaupt können Frauen besser riechen als Männer. Warum, ist nicht geklärt. Vielleicht liegt es daran, dass Frauen Gerüche sensibler wahrnehmen. Schwangere reagieren beispielsweise nachweislich besonders sensibel auf Düfte. Ob dies nun hormonell bedingt ist oder vom Seelenzustand während der Schwangerschaft abhängt, bleibt offen. Wissenschaftlich belegt ist auch, dass Menschen, die an Depressionen leiden, schlechter riechen können. Werden die psychischen Probleme erfolgreich behandelt, so bessert sich auch das Geruchsvermögen.

Geruchssinn ist wichtiger als gedacht

„Meist wird der Wert dieses Sinneswerkzeugs erst erkannt, wenn es verloren gegangen ist“, sagt Hummel. Lange Zeit sei dem Riechen auch in der Medizin nur wenig Beachtung geschenkt worden, sagt er, denn man habe es unter die „niederen Sinne“ eingeordnet. Inzwischen hat das Wissen um den Geruchssinn und dessen Störungen deutlich zugenommen.

„Diese Funktionen gehören zur Chemosensorik, also zu den Sinnen, mit denen chemische Stoffe wahrgenommen werden“, erklärt Hummel. „Moleküle, die von den Dingen um uns herum freigesetzt werden, aktivieren spezielle Nervenzellen im Mund oder der Nase. Diese übermitteln die Signale an das Gehirn, wo Riech- und Schmeckeindrücke wahrgenommen oder erkannt werden.“ Das Hirnzentrum ist der sogenannte Riechkolben, der Bulbus olfactorius.

Obwohl unterschiedliche Sinneskanäle beeinträchtigt sein können, klagen die Betroffenen in der Regel über Riech- und gleichzeitig Geschmackseinbußen. Denn die Wahrnehmung des „feinen Geschmacks“ erfolgt Hummel zufolge eigentlich über den Geruchssinn. Da sich das Geruchszentrum im Dach der Nasenhöhle befindet, ist es gleichzeitig zugänglich für Duftstoffe, die es während des Essens und Trinkens quasi sowohl hinter der Nase erreichen als auch von vorne über die Nasenlöcher.

Das Gute im Schlimmen: Viele Menschen, die einen Riechverlust haben, können wenigstens noch zwischen süß, sauer, salzig und bitter unterscheiden, denn das gustatorische System funktioniert meist auch ohne die Geruchsnerven.

Auslöser sind Viren oder Verletzungen

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Quelle: Die Welt

Am häufigsten werden Riechstörungen durch Virusinfekte wie eine Grippe oder durch Entzündungen der Nasennebenhöhlen ausgelöst. So finden sich bei etwa zwei Dritteln aller Patienten mit einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung auch Riechstörungen. Nasenpolypen sind eine weitere häufige Ursache. Schädelverletzungen – etwa nach einem Sturz – oder Tumoren im Kopf-Hals-Bereich führen ebenfalls zu Riechverlusten. Auch Nervenleiden wie Morbus Parkinson können das Geruchsempfinden stören. Erst jüngst hat eine Heidelberger Studie bestätigt, dass Geruchsstörungen sogar ein frühes Symptom für eine Demenz sein können. Auch bestimmte Medikamente wie beispielsweise krebszelltötende Substanzen (Chemotherapeutika) können den Geruchssinn einschränken.

Nicht immer kommt es zu einem kompletten Geruchs- und Geschmacksverlust. Die Funktion kann auch nur teilweise eingeschränkt sein (Hyposmie). Manchmal werden Gerüche auch falsch interpretiert, die dann meist als unangenehm empfunden werden (Parosmie). Oder es werden Gerüche vermeintlich wahrgenommen, die gar nicht da sind. So litt die Marburger Studentin kurz nach ihrem Unfall zunächst unter solchen „Phantomgerüchen“. Vor allem nachts nahm sie einen „fürchterlichen Gestank“ wahr, den es objektiv gar nicht gab.

Patienten mit Geruchsstörungen sollten sich beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder beim Neurologen vorstellen. Um genau zu erkennen, ob und an welcher Störung der Patient leidet, muss der Arzt ein ausführliches diagnostisches Gespräch führen. Er muss wissen, wann die Riechstörung eingetreten ist, wie sie verläuft und ob der Riechstörung irgendwelche Ereignisse vorausgingen. Dann stellt er mit Tests fest, ob der Patient auch objektiv falsch riecht.

Virale Infekte: In 60% der Fälle kehrt das Riechvermögen zurück

„Riechstifte“ werden hier beispielsweise eingesetzt: In diesen „Sniffin' Sticks“ sind unterschiedliche Duftstoffe enthalten, die der Patient erkennen soll. Bei der Schmeckprüfung werden verschiedene Konzentrationen von Schmeckstoffen, beispielsweise Saccharose oder Zitronensäure, in flüssiger oder fester Form auf die Zunge aufgetragen. Schließlich kann die Riech- und Schmeckfähigkeit durch die Ableitung von Hirnströmen mithilfe eines Elektro-Enzephalogramms (EEG) nach einer Reizung von Zunge und Nase überprüft werden.

Ist die Diagnose gestellt, helfen in vielen Fällen Kortisonpräparate. Warum sie das tun, ist allerdings noch nicht endgültig geklärt. Eine Hypothese ist, dass den Störungen häufig eine Entzündung zugrunde liegt, welche durch das Kortison abgemildert wird. Antibiotika, Vitamine und Spurenelemente werden ebenfalls verordnet. Auch chirurgische Eingriffe wie zum Beispiel an den Nasennebenhöhlen oder die Entfernung von Nasenpolypen versprechen Heilungserfolg.

Manche Riechstörungen verschwinden auch von selbst wieder, denn Riechzellen haben gegenüber anderen Nervenzellen als einzige die Fähigkeit, sich wieder zu regenerieren. So kommt das Riechvermögen nach einer Grippe oder einem viralen Infekt in 60 Prozent der Fälle wieder zurück. Das kann allerdings Monate bis Jahre dauern. Nach Kopfverletzungen kommt es in zehn bis 15 Prozent der Fälle wieder zu einer Regeneration der Riechzellen. Hier müssen die Betroffenen ebenfalls lange Geduld haben. So auch die Marburger Studentin, die sich freut, inzwischen bestimmte Gerüche wie zum Beispiel den starken Duft einer brasilianischen Seife oder den Geruch von Knoblauch auf ihre Weise wieder wahrnehmen zu können. Ihr großer Wunsch ist es, irgendwann einmal ihren Freund wieder riechen zu können.

Andere müssen sich damit abfinden, dass der Geruchssinn ein Leben lang ausbleibt. Nach den Erfahrungen des Dresdner Spezialisten ist es für die Patienten jedoch schon hilfreich, wenn sie mithilfe fachärztlicher Betreuung ihre Erkrankung genauer einordnen können und gemeinsam Strategien entwickeln, um damit leben zu lernen.

*Name von der Redaktion geändert

Was passiert ohne Geruchssinn?

Geruchsverlust bringt unter anderem die Ernährung durcheinander: wer nicht riecht, schmeckt auch nicht richtig, vom Kochen und Abschmecken ganz zu schweigen. Manche Menschen verlieren den Appetit. „Der Geruchssinn wird oft unterschätzt“, sagt Berlit.

Bei welcher Krankheit verliert man den Geruchssinn?

Dazu gehören unter anderem neuronale Erkrankungen wie Alzheimer Demenz, Morbus Parkinson und Multiple Sklerose. Sie führen dazu, dass in verschiedenen Bereichen des Gehirns Nervenzellen absterben. Geschieht dies in Arealen, die für das Riechen wichtig sind, kann das Riechvermögen zer- oder gestört werden.

Was kann man tun wenn der Geruchssinn nachlässt?

Was tun, wenn man unter einer Riechstörung leidet Bei starken Riechstörungen ist der Gang zum HNO-Arzt angebracht. Er kann mit einem Riech-Test bestimmen, wie stark die Einschränkungen sind und eventuelle Ursachen aufdecken. Je nach Ursache können die Einnahme von Medikamenten und Inhalationen eingesetzt werden.

Wie lange hält Geruchsverlust an?

So hatten der Metaanalyse zufolge 74% der Teilnehmenden ihren Geruchssinn nach 30 Tagen wiedererlangt, 86% nach 60 Tagen, 90% nach 90 Tagen und 96% nach 180 Tagen. Der Geschmack kam bei 79% der Erkrankten nach 30 Tagen, bei 87,7% nach 60 Tagen, bei 90,3% nach 90 Tagen und bei 98,0% nach 180 Tagen zurück.