Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

The Project Gutenberg EBook of Das Labyrinth, by Ina Seidel

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Title: Das Labyrinth
       Ein Lebenslauf aus dem 18. Jahrhundert

Author: Ina Seidel

Illustrator: Alphons W�lfle

Release Date: January 11, 2015 [EBook #47941]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS LABYRINTH ***




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Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

INA SEIDEL

EIN LEBENSLAUF AUS DEM
18. JAHRHUNDERT

Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

1922
VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS
JENA

Einband, Titel und Vignetten zeichnete Alphons W�lfle

Alle Rechte, insbesondere das der �bersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright 1922 by Eugen Diederichs Verlag in Jena

Meiner Mutter
und dem Andenken meines Vaters
gewidmet

Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

Hinterher dachte George freilich, es w�re besser gewesen, den Mund zu halten und die neu erworbene Kunstfertigkeit entweder schnell zu vergessen oder sie nur auszu�ben, wenn „Er“ ferne war, — etwa wie das Schaukeln auf dem Wiesengatter, das George liebte und das „Er“ des Quietschens wegen streng verboten hatte. Aber wie h�tte er, der kleine George, hier an �ble Folgen denken sollen? Unbefangen f�hrte er sein neues K�nnen der Mutter vor, und Frau Justine mu�te sich doch zu jemand aussprechen, der das Ereignis besser in seiner ganzen Erstaunlichkeit zu w�rdigen wu�te, als der Wunderknabe selbst; dieser war n�mlich in der Stunde der Offenbarung seiner selbsterworbenen F�higkeit genau so rund�ugig, gelassen und freundlich, wie vorher. Er hatte nun den Sinn der sonderbaren Bilder auf den breiten R�cken der dicken Schweinslederschwarten in Vaters Kabinett ergr�ndet, — Bilder, die eigentlich keine Bilder waren, indem sie einzig nur sich selber glichen. Er kannte sie, seit er begonnen hatte, auf dem Fu�boden herumzurutschen, er war ihren eigensinnigen Gestalten mit dem Fingerchen gefolgt und hatte Gemeinschaft mit ihnen gehabt, denn sie gefielen ihm und er war angenehm davon ber�hrt, ihnen stets von neuem zu begegnen, wie sie sich gesellig zusammen anfanden, immer die gleichen, aber nach geheimen Gesetzen der Anziehung jedesmal anders gemischt. Etliche waren wie Tiere mit festgestemmten Beinen und steilgereckten Schw�nzen; andere dickk�pfig und menschlich; viele waren nur wie eine freundliche, erstaunte oder einladende Geb�rde, eins war wie eine brennende Kerze und zwei von liebensw�rdiger Brezelgestalt. Gewissen Lieblingen hatte er bald eigene z�rtliche Namen verliehen, so gab es ein „Pilzchen“ und ein „T�nnchen“, ein „Kugelrund“ und einen „Butterkringel“ unter ihnen. In manchen F�llen bildeten sie Familien mit einem Vater oder einer Mutter an der Spitze und einer Schar angereihter kleiner Kinder im Gefolge, die dann alle einzeln benannt werden mu�ten. Einen liebte er gar nicht, einen b�sen Zickzack, der ihn anzuzischen und ihm ins Gesicht zu springen schien, der hie� „Zetermordio“, — wie konnte er anders hei�en? Dies war das Wort voll Angst. Allen aber wohnte eine seltsame Gewalt inne, der das weiche Gehirn des Knaben willig erlag, der Wucht nicht widerstrebend, mit der sie sich ihm einstampften. Dann kam er dahinter, da� auch die gro�en Leute Beziehungen zu diesen Gestalten hatten, die da in Schwarz oder Gold so regungslos verharrten und doch bedeutungsvoller schienen als die blanken N�gelk�pfe an Vaters Lehnstuhl, oder die Tressen an seinem eigenen Sonntagsr�ckchen, oder die Mundtasse der Mutter, — denn auch diese Dinge, wie alles in der Welt, hatten ihr eigenes Gesicht. Ja, der Vater wu�te ebenfalls Namen f�r Pilzchen und T�nnchen, er redete Pilzchen mit T an, und T�nnchen mit U, zu Kugelrund sagte er O, und B zu Butterkringel. So ging es fort und war des Aufmerkens wert, wie alles, was die gro�e Stimme dieses Vaters �ber den kleinen Kopf des Sohnes hindr�hnte, — wenn George sich auch seine eigenen Bezeichnungen vorbehielt, ohne viel Geschrei darum zu machen. Immerhin lehrte ihn der Vater nach seinem Verfahren ein neues erheiterndes Spiel, indem er ihm an einem Winterabend einen ganzen Aufmarsch der stummen Freunde auf ein Blatt Papier malte, einen nach dem anderen deutlich benennend und diese Namen, an und f�r sich nichts auf der Welt bedeutend als sich selbst, mit seiner Stimme verbindend und zusammenziehend, da� sie pl�tzlich nicht mehr da waren, untergegangen in einem Neuen, einem Wort, einem ganz bekannten Wort, — einem Menschennamen: George! Der n�chste Aufmarsch in dieser besonderen Weise aufgerufen ergab Forster und in der Folgezeit sa� der kleine George Forster manchmal gr�belnd �ber dem Blatt, das er in seine Schatzecke geschleppt hatte, wo er alles aufbewahrte, was ihm irgend belangvoll erschien, neben Kastanien und Schneckenh�usern auch mancherlei Abf�lle vom Schreibtisch seines gro�en Vaters, abgenutzte G�nsekiele, winzige St�ckchen Siegelwachs und leider auch einen Schl�ssel, von dem er wohl wissen konnte, da� sein Erzeuger mindestens ebensoviel Wert auf seinen Besitz legte, als er selber, denn er hatte der Suche nach diesem Gegenstand, die in ein verzweifeltes Familienspiel ausgeartet war, mit nachdenklich in den Mund versenkten Daumen beigewohnt. Durch fortw�hrend wiederholte Vertiefung in die aufgemalte Zauberformel, — durch unwillk�rliches Vergleichen mit anderen Buchstabenreihen, — auf dem Wege unerm�dlichen blinden Herumtastens des f�hrerlosen zarten Geistes, — unerkl�rlich im letzten Grunde, — war es auf einmal reif gewesen, das Wunder, und George, noch nicht f�nf Jahre alt und in seinem roten Kittelchen auf dem Schemel zu Frau Justinens F��en sitzend, las seiner Mutter aus einem zu Boden gefallenen Buch einen Satz vor, eine Zeile, die sich in seiner ungeschickten Betonung f�r immer in das Ged�chtnis der Frau einpr�gte:

„Doch mir sinket die Hand, die Geschichte der Wehmut zu enden …“

Als sie sich dann fast bebend zu ihm niederb�ckte und andere Seiten aufbl�tterte, gab er bereitwillig neue Proben seines K�nnens, ja, er las sogar ohne Stocken nur mit einem gewissen behutsamen Beschleichen dieser schrecklich fremden W�rter das Titelblatt ab:

„D—e—r M—e—ss—ias, ja, der Messias, — ein Heldengedicht!“

In diesem Augenblick war „Er“, der Vater, dazugekommen, die Mutter hatte gelacht und geweint, nun, und da war es eben herausgekommen, dies, aus dem er allerdings nicht lange ein Geheimnis h�tte machen k�nnen, was er auch gar nicht beabsichtigt hatte; denn wu�te er denn, was es f�r Folgen haben w�rde?

Die n�chste Folge war die, da� sich der kleine George mit diesem Augenblick, dem Frauengemach, — das hie� hier: der K�che, dem Stall und dem Garten, — hie�: der st�ndigen Gesellschaft der leisen, l�chelnden Mutter und der wuseligen kleinen Schwestern, — entr�ckt sah und sich einbezogen fand in den Kreis der m�nnlichen Kraft des Hauses, das hie�: nicht nur geduldet in dem Kabinett des Vaters, sondern dringend gen�tigt, die sch�nsten Stunden des Tages daselbst zuzubringen, gew�rdigt der steten Gegenwart seines Erzeugers, der Atmosph�re von Lavendelduft und Tabaksqualm, wie er bl�ulich aus den langen holl�ndischen Tonpfeifen quoll, deren Reinhold Forster, der Pfarrer von Nassenhuben, sich das Jahr �ber unterschiedliche Dutzende aus Danzig verschrieb; denn seine ungeduldigen H�nde schlugen mit dem gebrechlichen Rohr ebensooft den Takt zu seinen Gedanken, wie einen sanften Trommelwirbel auf den Schultern des S�hnleins, das dann immer geduckt in gelinder Spannung abwartete, ob es wohl wieder neue Rohrst�cke zum Seifenblasenmachen geben w�rde. Viel Zeit zum Seifenblasenmachen und �hnlichen Belustigungen in der blauen Sommerluft hatte er nun allerdings nicht mehr. Seine rundliche Gr�bchenhand ward mit einem G�nsekiel bewaffnet, und mit der Zeit sah er unter seinen Fingern schn�rkelhafte Gebilde entstehen, deren Gelingen ihn solange innig erfreute, als sie nur zum Selbstzweck da waren, zu ihrer eigenen Vervollkommnung immer wieder aus dem schwarzen Nichts der Tinte und dem wei�en des Papiers entstehen mu�ten und h�chstens dazu dienten, sich sch�n zu einem Spruch zusammenzureihen oder zu einem Geburtstagscarmen f�r die Mutter, die beim Empfang einer solchen Leistung immer ein wenig zu weinen pflegte, — aus Ratlosigkeit, aus Mitleid mit dem Knirps, Gott mochte wissen, warum, — was alsdann die „M�nner“ veranla�te, einen Blick schweigenden Einverst�ndnisses zu wechseln. Es hob den kleinen George mit einem Gef�hl unerh�rter Wichtigkeit, da� seit jenem Tage, da er lesen konnte, der �berw�ltigende Vater ihn als Kameraden behandelte, so etwa wie einen Gleichstrebenden, den man um seiner verschiedenen Unzul�nglichkeiten willen, als da sind k�rperliche Winzigkeit und geistige Unbeholfenheit, ein wenig verachtet, den man aber nichtsdestoweniger anerkennt und den man unterst�tzt, da man selbst es in jeder Beziehung �brig hat. Oh, welch ein Mann! Fegte sein Toupet nicht beinah die geschw�rzte Decke, wenn er in der niederen kleinen Studierstube auf und ab schritt, einen Satz, den er dem Knaben diktiert hatte, zu seinem eigenen Vergn�gen in siebzehn Sprachen wiederholend, mit der gewaltigen Stimme singend, rollend, zischend, je nachdem? Dann stand er am Pult, den m�chtigen R�cken widerwillig gekr�mmt, und schrieb mit quietschender Feder und weitausholenden Schn�rkelbewegungen, schrieb tausendmal schneller als George es konnte, der seine kurzen Beine um die h�lzernen des Sessels schlang, eines hohen, steifen Sessels, f�r ihn noch um einen aufgelegten dicken Folianten erh�ht, zumeist um Ge�ners „Naturgeschichte der V�gel“, in der unter allen gefiederten Wesen zwischen Adler und Zaunk�nig auch die brave Fledermaus, als des Fliegens m�chtig und darum hierhergeh�rig, angef�hrt war. Geriet der Vater hitziger ins Arbeiten, so sank der Unterricht in Vergessenheit, daf�r wurde nach dem oder jenem Buche geschrien, und eilfertig glitt der Knabe von seinem Sitz und schleppte emsig herbei, was er vermochte, stand mit vorgestrecktem B�uchlein da, die Wucht staubiger B�nde im Gleichgewicht haltend, und harrte geduldig, da� sie ihm abgenommen w�rden, lie� sich anschnauzen und eilte zur�ck wie ein stummer dienstbarer Kobold, klomm das schmale Leiterchen zu den obersten B�cherreihen empor, glitt aus, stolperte und fiel unter einem Hagel kleiner Elzevirb�nde, an deren Aufstellung er unvorsichtig ger�hrt, — ward wiederum angefaucht, verbi� sich das Weinen, r�umte, tief gedr�ckt, auf, — — — hatte alsbald in riesigen Mappen nach einer bestimmten getrockneten Pflanze zu suchen, einem Heilkraut mit einem verzwickten lateinischen Namen, der von bitterer Zutr�glichkeit nur so triefte, aber entsetzlich schwer zu behalten war, besonders da er nur einmal und eilig hervorgesto�en genannt wurde … Sa�, die kleine warme Stirne gefurcht und mit bebenden Lippen diesen Namen immer vor sich hin lispelnd, am Boden �ber den ungef�gen Bl�ttern der Herbarien und hatte das Gl�ck, das richtige St�ck zu entdecken; bot es zaghaft und dem�tig dar und erhielt ein zerstreutes Lob, das ihn ein wenig gl�cklich l�cheln lie�, aber gleich darauf stand er wieder ernsthaft und stramm, denn dies verstand sich ja von selbst. Nun beobachtete er, w�hrend er im Hintergrunde lautlos lateinische Vokabeln zu seinem Cornelius Nepos auswendig lernte, da� die Arbeitswut des Vaters nachlie�, — die Feder ruhte bisweilen und der Vater starrte nach dem vergitterten Fenster, vor dem das rankende Gei�blatt im Winde schwankte —, er murrte vor sich hin, schrieb weiter und st�hnte dabei. George erkannte mit Befriedigung: jetzt war der Vater hungrig geworden und gleich w�rde etwas geschehen, — richtig, da trat er ja schon an die Wand und langte mit der Miene eines Schlafwandelnden den Hirschf�nger herunter, der dort neben B�chse und Pulverhorn hing, — es w�rde etwas geschehen, wobei auch er, George, gut wegkommen w�rde. Zugleich f�hlte er eine leise durchdringende Besch�mung, als jetzt die T�r des Kabinetts knarrte, des Vaters schwere Schritte �ber den Flur hallten und er sich vorstellte, wie nun die Mutter in der K�che erschrak, „du liebes Gottchen!“ sagte und einen Blick in die Runde schweifen lie� �ber alles, was an E�barem dalag. Hatte er nicht zu oft erlebt, da� sie weinte, wenn der Vater so gekommen war, seine gro�en blauen, etwas vortretenden Augen zerstreut und hungrig zum Beispiel auf den Rauchfang richtend, w�hrend sein rotbraunes Gesicht unter der wei�best�ubten Per�cke schwer besorgt aussah? „Ja, meine Liebe,“ sagte er dann etwa, „die wird wohl dran glauben m�ssen!“ und reckte sich in seiner ganzen L�nge auf, um mit dem Hirschf�nger das letzte magere Schlackw�rstchen herunterzus�beln, das dort oben baumelte. Dann suchte er nach dem Brot, von dem er einen gewaltigen Kanten abschnitt, und mit dem ersten stattlichen Bissen zwischen den Z�hnen verlie� er die K�che, der Mutter kummervoll zunickend. „Geistige Arbeit,“ sagte er vielleicht noch mit erhobenem Zeigefinger, „geistige Arbeit zehrt, meine Liebe!“ und sah es durchaus nicht, da� die hilflosen Lippen seiner Frau zuckten und blanke Tr�nen in den Brotteig sprangen, den sie knetete. Er aber, George, er hatte es immer gesehen und sah es auch jetzt vor sich, in gesammeltem Ernst auf dem Holzschemel neben Vaters Ofen sitzend, die F�ustchen auf den Knien und die Augen nicht erhebend, ein unschuldiger Heuchler, scheinbar ganz in seine Aufgabe vertieft, als der Vater nun mit Elefantenschritten zur�ckkehrte. Er blickte durchaus nicht auf, obgleich er angespannt und erwartungsvoll lauschte, wie der Wurst jetzt knisternd die Haut abgezogen und sie samt dem Brot in mundgerechte Brocken zerlegt wurde, denn mit dem Hirschf�nger als Messer und der eichenen Tischplatte als Unterlage ging das nicht ger�uschlos vor sich. Dazwischen kaute und schnaufte der Vater. „George, — da, — i�!“ sagte er, „geistige Arbeit zehrt, — wir sind geistige Arbeiter. Du auch. Das wei� Gott.“ George hatte schnell und neugierig den Kopf gehoben und die eine kleine Hand vor den Mund gelegt, wie er immer tat, wenn er �berrascht oder entz�ckt war. Gleichzeitig bekam er einen furchtbaren Schreck — die ganze Wurst! — und was sollte es nun am Sonntag in die Erbsensuppe geben —, was nun? Wo noch lange nicht wieder geschlachtet werden konnte, denn die Zeit war doch noch nicht da und das Schwein noch behende wie ein Reh, — so sagte Malchus, der Knecht —, also was sollte die Mutter tun, nicht wahr? Trotz seines tiefen Mitleids mit ihr kam er aber herbei wie ein wedelndes H�ndchen, nahm seinen Anteil in Empfang und verzehrte ihn in seiner Ecke mit unruhiger Gl�ckseligkeit und unter schwerem Nachdenken. Da sah man’s wieder, wie recht Malchus, der Knecht, hatte, wenn er beim Stallausmisten oder beim Graben im Garten, — Arbeiten, denen George in achtungsvoller Unt�tigkeit beiwohnte, — Erfahrungstatsachen aussprach, wie: „Dein Vater ist der Herr. Denn warum? Ihm geh�rt’s! Und darum: er i�t so viel er mag!“ Freilich, so war es! Zu Martini a� der Vater die halbe Gans, und Frau, Kinder und Gesinde den Rest, er tat es nicht unter siebzehn Kl��en oder vierzehn Pfannkuchen, und rein zum F�rchten war es, wenn Kartoffeln auf den Tisch kamen, hei�, dampfend, mit geborstenen, erdbraunen Schalen, aus denen es wei�mehlig hervorquoll. Da a� er an die drei�ig, tat sich Salz, zerlassenen Speck oder frische Butter darauf, wischte sich den Mund und lachte nach einem tiefen Zug aus dem Bierkrug dr�hnend �ber seine bedr�ckte Tafelrunde, die hinter ihrem Hirsebrei sa�, denn Frau Justine hielt die unterirdische Knollenfrucht nun einmal f�r giftig, r�hrte sie nicht an und litt es nicht, da� die Kinder sie bekamen, — selbst nicht dem K�nig von Preu�en zuliebe, der ihren Anbau doch allenthalben poussierte. Ja, der Vater! Dem machte es nichts aus, fr�h morgens um sechs auf n�chternen Magen einen ganzen Stachelbeerbusch leer zu essen, der setzte dicke Milch auf ein halbes Schock Zwetschgen, wenn es ihn so gel�stete, und lachte wiederum �ber George, der von allen diesen Dingen mit jener Vorsicht nahm, die ihn �ble Erfahrungen fr�hzeitig gelehrt hatten. „Du hast einen kleinen kalten Magen, mein Sohn!“ sagte er mitleidig, und George ward betr�bt und tat sein Bestes, um des Vaters Anspr�chen auch in dieser Hinsicht zu gen�gen. So durchs Haus gehen wie ein hungriger Wolf und die Eier austrinken, die Mutter f�r die Glucke gesammelt hatte, oder am Freitag den Kuchen anschneiden, der f�r den Sonntag bestimmt war —, w�rde er das je tun k�nnen? Nein —, aber durfte er denn abweisen, was ihm der Vater gab? Er h�tte es nicht gedurft, auch wenn es schlecht geschmeckt h�tte, das war klar! So a� er, von leise nagender Reue geplagt und gleichzeitig von dumpfer Bewunderung f�r den Vater erf�llt, dem alles geh�rte, das Haus, der Garten und das Feld, die Kirche drau�en im Dorf, wo er des Sonntags von der fichtenen Kanzel herabwetterte und seinen Halbpolacken das Evangelium handgreiflich genug auslegte, — die Kuh, die Ziegen und das Schwein, und nicht zuletzt er selbst, samt der Mutter und den Schwestern, Friederike und Sophie, und endlich Mareiken, der Magd, und Malchus, dem Knecht. —

„Sieh nicht so hervor wie die Maus aus dem Loch!“ sagte der Vater schlie�lich unwirsch, wenn der beharrlich auf ihm ruhende Blick seines Spr��lings ihm l�stig wurde. Dann ging es weiter, — Vokabeln, — Zahlen, — der Inseln, der Gebirge, — der Gesteine, der Pflanzen und der Tiere Namen, — drau�en dufteten die Linden, die H�hner kakelten schl�frig, ab und zu h�rte man die Stimmen der kleinen Schwestern, die spielen durften, immer nur spielen, — und George lernte, lernte und l�chelte manchmal gehorsam, wenn der gro�e Vater Grund fand, einen Witz zu machen anl��lich eines Versehens des Sch�lers …

Auf Kreta aber, einer Insel, — an sich schon furchtbar dadurch, da� sie um und um so weit man sehen konnte, von Wasser umgeben war und gewi� gestaltet wie die Gr�te eines Schellfisches, vielleicht auch �hnlich riechend —, auf Kreta stand derweilen das Labyrinth mit den tausend verschlungenen, ineinandergeschobenen G�ngen, in denen die armen Ausgesetzten umherirrten. Hungernd, — denn das letzte St�ckchen Brot aus Athen in Attika war l�ngst verzehrt, — und ganz im Dunkeln und ohne ein warmes kleines Bett, in dem man sich die Decke �ber den Kopf ziehen konnte zum Schutz vor dieser Dunkelheit. Und im Dunkeln immerfort das tobende Geheul des Minotauros, der so unvorstellbar schrecklich gestaltet war, der auf sie wartete, irgendwo auf sie wartete im Kerne dieser Nacht …

Es gab so viele andere Geschichten von den Alten, die der Vater ihm erz�hlte und mit ihm las, und der kleine George wu�te sie auch in wohlgesetzten Worten zu wiederholen und bewahrte in seinem erstaunlichen Sch�delchen ein vortrefflich geordnetes Lager von G�ttern und Helden, St�dten und Tempeln, K�nigen und V�lkern, Schlachten und Siegen. Indessen ruhte das alles in ihm wie in einem gutgehaltenen Herbarium ohne Saft und Farbe, Blut und Kraft, und das lag nicht an dem Lehrer, der, wenngleich ohne gestaltende Phantasie, so doch mit pers�nlichem Feuer vortrug, Partei ergriff und keinen Anstand nahm, die gro�en Griechen gelegentlich f�r eine Gesellschaft charakterloser Sch�ngeister zu erkl�ren. Georges Vorstellungsverm�gen versagte, sobald seine Empfindung, sein Gem�t nicht ber�hrt wurden, und die erbebten wie Sinnpflanzen nur vor der Vorstellung des Z�rtlichen, Idyllischen, — oder aber, und dann nachdr�cklichst betroffen und mit der F�higkeit, den Eindruck immer von neuem erzitternd in sich wachzurufen: vor dem Grausamen, dem Gr��lichen! Da waren Skylla und Charybdis mit ihrer atembeklemmenden Angst, da war die Blendung Polyphems, der er, allem innern Schaudern zum Trotz, immer wieder und in allen Einzelheiten nachhing, ein krankhaftes Mitleid mit dem ungeschlachten Riesen empfindend und den zugespitzten, in der Glut geh�rteten Pfahl im eigenen Auge f�hlend, wie er aufzischend in Blut und Tr�nen w�hlte. Oder mu�te er sich das vorstellen, gerade um diesen schmerzlichen Schauder zu f�hlen? Tat es ihm irgendwie wunderlich wohl, obgleich er sein kleines Gesicht oft verzweifelt ins Kissen dr�ckte, wenn ihn vor dem Einschlafen die Ermordung der Freier heimsuchte? Entsetzlich, wie dem Antinous der Pfeil in die Kehle fuhr, — George h�rte hier immer das trompetende Angstgeschrei einer Schlachtgans, — wie der arglose Agamemnon im Bade starb! Mit bebenden H�nden tastete er das Irrsal der �dipussage nach, und es war, als k�nnte er es nicht lassen, sich in diese Bilder zu vertiefen und sie mit peinlicher Gewissenhaftigkeit bis ins kleinste auszumalen, er, der im Leben ein kleiner Feigling war, und den der Anblick von Blut hinf�llig machte. Warum aber war nichts furchtbarer als das Labyrinth jenes K�nigs Minos auf Kreta, von dessen letzten Schrecken nie etwas gesagt war, �ber das man nur Vermutungen und Ahnungen haben konnte? Wie, — wie sah er aus, der Minotauros? Ein Mann mit einem Stierkopf, — gut! — aber wie mochte das aussehen, wie gr��lich dies: ein Mann mit einem Stierkopf! Diese Vermutungen waren es, die Vorstellung einer ungeheueren Angst vor dem Unbekannten, die den Knaben �berkamen, wenn er, — immer in jener gef�rchteten und doch heimlich ersehnten Stunde vor dem Einschlafen, — in seiner Einbildung mit trippelnden Schritten den finsteren Schlund des Einganges betrat. (Und drinnen br�llte der Minotauros!) Es folgten ihm gew�hnlich eine Anzahl von Kindern aus dem Dorf, bestimmt, sein Schicksal zu teilen, die kleinen Schwestern waren darunter, die sich an sein J�ckchen anklammerten, und Janusch, des Schweinehirten Sohn, der katholisch war und sich vor nichts f�rchtete, nun aber klein und dem�tig sich aller polnischen Schimpfworte enthielt und George aufs Wort folgte, denn er war ja fremd hier. (Und drinnen br�llte der Minotauros!) Es gab nun die verschiedensten Abwandlungen dieses Traumspiels, und manche waren ausgesprochen gem�tlich, man verf�gte zum Beispiel �ber Mundvorrat, Brezeln, Pfefferkuchen und G�nseklein, man hatte Decken und Federkissen mit und vor allem hatte man sich der gewaltigen Stallaterne des Malchus bem�chtigt und bei ihrem anheimelnden Schein schlug man in einer Ecke des Labyrinths ein Lager auf, wo man a�, trank und sich vortrefflich behagte, denn drinnen br�llte der Minotauros, aber nichts war sicherer, als da� er nicht herauskommen w�rde, nein, die Gefahr war einzig die, da� man zu ihm hineinlief. Diesmal hatte man den Faden der Ariadne, (vorgestellt in der Gestalt von Mareiken, der Magd, in Holzpantoffeln und ihres grauwollenen Strickkn�uels), und drau�en wartete geduldig das Schiff zur Heimfahrt, man w�rde nicht vergessen, das wei�e Segel anstatt des schwarzen aufzuziehen, damit sich jener alte Vater nicht aufregte und �bereilt ins Meer st�rzte. George legte keinen Wert auf den Ruhm des Theseus, den Minotauros erlegt zu haben, er �berlie� das anstandslos dem Janusch, der mit einem Pr�gel und Erdkl��en bewaffnet war, wie meist. George hatte keinen Zug zum Heroischen. Aber es kam vor, da� er jene G�nge allein und ausgesto�en betreten mu�te, da� er ohne Nahrung und Licht war und au�erdem barfu� und im blo�en Hemde (auf spitzen, kleinen Steinen und bei eisigem Zugwind), da� er so hineinirrte in die saugende Finsternis, sich an kalten, feuchten Mauern weiter tastete, immer in der Angst, auf Kr�ten zu treten, (und immer h�rend, wie es br�llte, — br�llte!) — da� dann, pl�tzlich, im Dunklen und an nichts anderem erkennbar als an dem Duft von K�che und Kinderstube, einem sommerlichen Duft, mit dem sie �ber einem zusammenschlug wie ein reifes Kornfeld, die Mutter bei ihm war, — oh, Wonne und Aufschluchzen, die Mutter! — die ihn auf den Armen hinaustrug, und dann war drau�en nicht das Land der Schellfischgr�te, sondern der Garten mit seinem Lindenbaum und seinen friedlichen Kohlk�pfen. Mitunter war es auch die Starostschenka Hermanowska aus dem Gutshause, die ihn so rettete, sie hatte das gebl�mte Seidenkleid mit dem m�chtigen Reifrock an und glich auf ihren hohen St�ckelschuhen einer riesigen wandelnden Bl�te, sie hob ihn mit Schwung �ber diesen Wall hin�ber an ihren tiefausgeschnittenen, �berpuderten Busen, an den sie seinen Kopf dr�ckte, wie einstmals, als sie seine Mutter besucht hatte. Auch sie duftete, aber anders, durchdringender, k�stlicher und widerlicher als alle Dinge der Welt bisher geduftet hatten. Und dies war ein Erlebnis, in dessen Best�rzung George sich ewig von neuem fallen lassen mu�te, wie in ein bodenloses Blumenmeer, um ohne Befriedigung, nur seltsam beklommenen Herzens, daraus aufzutauchen.

Was bedeuteten jedoch solche Spielereien gegen die wahre Furchtbarkeit und den nackten Ernst dieser Vorstellung, wenn sie ihn n�chtlich �berfiel, w�hrend der Schlummer ihn l�hmte und er ihr nichts entgegenzusetzen hatte? Sie nahm wuchernd Besitz von den ausgestorbenen Windungen seines Hirns, durch die der Schlaf k�hl und feierlich wehte, sie breitete sich b�se und lautlos aus, bis sie das Zentrum des Bewu�tseins erreicht hatte und ihn — ja, wen? Nun jedenfalls doch sein eigentliches, innerstes Selbst, — aufst�rte und zu jagen begann. Dann geriet er in einen Wirbel der Angst, in eine rasende Hoffnungslosigkeit, — er wu�te nichts mehr vom K�nig Minos, von der Insel Kreta, von Theseus und dem Minotauros, es war nur noch die Idee des Labyrinths, die ihn beherrschte, eine Idee, gleichbedeutend mit kreiselnder, nutzloser Flucht, gehetzt in immer engeren Schlingen um einen heulenden Mittelpunkt, dem er sich n�herte, anstatt ihm zu entgehen, — es war Beben, Fiebern, Keuchen und — das Schreien, das grauenhafte Schreien, das er dann h�rte, indem er sich unter der furchtbaren Last dieses Traumes emporarbeitete, immer von neuem versch�ttet wie von einem Erdrutsch, — dies gr��liche Schreien, von dem es dann immer hie�, er selbst habe es ausgesto�en, er selbst …

�brigens stellte er sich den K�nig Minos wie seinen Vater vor und es half nichts, da� er selbst diese Vorstellung als einen Versto� gegen das vierte Gebot erkannte und unbehaglich dagegen ank�mpfte. Leider war es ihm auch schon fr�her so gegangen, als er noch klein war, — (so dachte der Siebenj�hrige) — als er noch nicht lesen konnte, — (und immer nur spielte), — als ihm die Mutter die Geschichte vom kleinen D�umling erz�hlt hatte. Damals hatte der Menschenfresser so ausgesehen wie der Vater, es war nichts dagegen zu machen, auch nicht mit der verzweifelten Gegenfrage, ob denn der Vater auss�he wie ein Menschenfresser? Nein, denn er war immer sauber und stattlich anzusehen, von dem schimmernden Toupet abw�rts bis zu den blitzenden Schnallenschuhen, und selbst wenn er im Hause mit dem langen Schlafrock angetan herumwandelte, der die Wirkung seiner ohnehin gro�en Gestalt ins Gespenstische steigerte, mit dem Troddelstrick um den Leib und der Zipfelm�tze auf dem Haupte, — ja, selbst wenn er von der Jagd heimkam, in den langen Stiefeln, die ihm fast bis zur H�fte gingen und �ber und �ber na� und mit Schlamm bespritzt, — wenn er dann eine blutige Beute auf den Fu�boden warf und mit Gedr�hn das ganze Haus zu seiner Bedienung in Bewegung setzte, — auf einen K�chenstuhl geworfen sa� er da, Mareiken hielt ihn von hinten an den Schultern fest, wobei sie die Backen aufblies und die Augen aufri�, Malchus kniete vor ihm und zerrte ihm die Stiefel ab, verfehlte auch nicht, mit jedem auf den R�cken zu kollern, (er war kurz und dick wie Sancho Pansa), George schleifte den Schlafrock, Rieken und Fieken die Pantoffeln herbei, die Mutter stand am Herde und r�hrte ein Eierbier, — nein, selbst dann wirkte er nicht wie der Menschenfresser, und wenn er auch zum Schlu� Rieken und Fieken packte und sie je in einen Stiefel steckte, so da� sie nur mit Schopf und Augen hervorsahen und kl�glich mauzten wie junge Katzen, — (ihn freute so was unb�ndig), — so fra� er doch keine Menschen, sondern a� nur, was die Mutter kochte, und das meiste pflanzte er sich selbst im Garten, friedfertig und ernsthaft in der Erde w�hlend, — pflanzte R�ben, Bohnen, Erbsen, Gurken nebst fettem, gl�nzendem Kohl und f�llte das ganze dreieckige St�ck Land hinter dem Pfarrhause bis ans �u�erste seiner M�glichkeit mit nahrhaftem Gem�se, auf da� er, Reinhold Forster, und dann nat�rlich auch sein Weib Justine, seine kleinen Kinder und sein Gesinde, — aber doch besonders und um Gotteswillen er selbst, dieser gro�e, starke Reinhold Forster, da� der viel, sehr viel und gut zu essen habe! Und wenn er das lange Messer wetzte, so tat er’s doch nur, um ein Huhn oder eine Gans zu zerlegen, aber nie, um einem kleinen Jungen die Beine abzuschneiden, (nebenbei gedacht: was war der D�umling unversch�mt zu dem Menschenfresser, wann h�tte George es je gewagt, dem Vater so zu begegnen?!) Aber nochmals: der Vater glich weder einem K�nig Minos noch einem Menschenfresser, (nur diese beiden, sie glichen nun eben einmal dem Vater, vertrackt!) der Vater fra� keine Menschen und duftete au�erdem nach Lavendel, seine Hemden und B�ffchen, seine Leint�cher im Bett, selbst die Polster seines Ohrenstuhles und des alten knarrigen Kanapees, alles mu�te jahraus, jahrein s�� und eindringlich Rede stehen: blau, blau, blau ist die Sommerszeit! Dies war das einzige Blumenbeet im Garten, das der Vater selbst anlegte, und es lag unter der Sonne da wie ein azurfarbenes Kissen, vom Winde gewellt. Tazetten und Goldlack, Tulpen, Narzissen und P�onien, Fliegende Herzen, Stockrosen und Braut in Haaren, all die bunten, �ppigen Blumen, die die Mutter so liebte und heimlich auss�ete, sie fanden nur in ausgesparten Winkeln und an den R�ndern der Rabatten Platz, wo sie dann freilich �ppig wucherten und den Kindern die Schultern, den Erwachsenen die Knie streiften. Eine Ecke des Gartens durfte niemand betreten, als der Vater allein und George, wenn er mitgenommen wurde. Hier roch es streng und seltsam, wenn die Sonne auf den kleinen, sorgf�ltig gehaltenen Beeten lag, die zum Teil mit verstellbaren Glasplatten bedeckt waren. Fremdartige Kr�uter mit krausem Blattwerk erstanden dort aus den kostbaren Samen, die der Vater wie Goldstaub h�tete, wenn sie auf seine Bestellung endlich aus London oder Antwerpen eingetroffen waren. Kam es dann zur Aussaat, so war er meist in der besten Laune, wie stets beim Arbeiten in diesem Gartenwinkel, den er je nach Stimmung einen „botanischen Garten von Qualit�t“ oder „ein Apothekerg�rtlein, ein miserables“ nannte. Dann grunzte und pfiff er, w�hrend er am Boden hockte und die Pfl�nzchen mit seinen starken Fingern merkw�rdig zart verpflanzte und umsetzte, er erbaute eine Miniaturgebirgslandschaft, er legte einen winzigen Sumpf an, kurz, er „schuf Bedingungen“ und gelangte zu allerlei aufregenden Ergebnissen seiner M�he, deren Wichtigkeit er George eindringlich mitteilte, ehe er in gr�ndlichen Aufs�tzen und Briefen der gelehrten Welt davon Kenntnis gab. George hielt ihm sein rosiges Apfelgesicht mit ernsthaften, runden Augen zugewandt und lauschte offensichtlich gespannt. Wu�te ein Mensch, da� er eigentlich dachte: wenn nur Fieken meinen kleinen Spatzen nicht findet und ihm was tut, — und etwa: heute gibt es Kaldaunen, ich wollt’, ich war verreist!? Dies und �hnliches lie� er sich angelegentlich durch den Kopf gehen, w�hrend sein Geh�r und Ged�chtnis dem Vater zugewandt waren wie willenlose Schreibtafeln, so da� er sp�ter imstande war, die schwierigsten Vortr�ge fast w�rtlich zu wiederholen, — und dann, bei dieser Wiederholung, beteiligte er sich auch an dem Inhalt dessen, was er sagte, und lernte wirklich dabei. Hinterher zeigte es sich freilich, da� Fieken den kleinen Spatzen, der sich so weich und z�rtlich anfa�te und dessen zitterndes, kleines Herz man f�hlen konnte, wenn man ihn in die hohle Hand nahm, da� Fieken diesen selben geliebten, kleinen Spatzen wohl gefunden und ihn unbedenklich der Hauskatze zum Spielen angeboten hatte. George weinte nicht, er nahm auch keinerlei Rache, aber eine ungeheure Bitterkeit erf�llte sein Herz gegen diese da, die immer spielen durfte, — nun ja, und so weiter! Er sah sie gro� und strafend an, empfand, da� sie sich gar nichts daraus machte, sondern unger�hrt fortfuhr, den toten Balg ihrer holzk�pfigen Puppe um und um zu drehen und anzuputzen, ihm Speise anzubieten, — kleine Steine, die sie dann hinter sich auf den Boden warf, — eine alberne Gaukelei! — (der kleine Spatz hatte schon angefangen, eingeweichtes Brot von einer Federpose zu sich zu nehmen, sicherlich, er h�tte ihn gro�gezogen!) — und ging dann hinaus, die H�nde auf dem R�cken, das Gesicht etwas verzogen und innerlich starr vor Schmerz. Eine l�hmende Fremdheit stand zwischen ihm und den Kindern, er geh�rte nicht zu ihnen, er wu�te es, obgleich Fieken nur ein Jahr j�nger war als er, und die �brigen, — es waren sechs hinter ihm, als er elf Jahre alt war, — bildeten mit ihr eine verb�ndete Macht. Wenn sie ganz klein waren, hatte er immer irgendwie die Hoffnung, sie k�nnten ihm geh�ren, dann stand er manchmal heimlich an der Wiege, streichelte sie behutsam mit seinen tintenbeklecksten Fingern und war uns�glich ger�hrt von ihrer verwunderten Hilflosigkeit. Aber sobald sie herumwackeln konnten, war es aus, dann hatten sie Anspr�che, denen er ratlos gegen�berstand, und Fieken zog wie selbstverst�ndlich mit ihnen ab. Ganz schlimm wurde es, als der Vater ihn dazu anstellte, unter seiner Aufsicht die Schwestern zu unterrichten und ihnen die K�nste beizubringen, die er selbst wie im Schlaf gelernt hatte. Gewi�, er machte seine Sache nicht �bel und die beklemmende Feierlichkeit der Studierstube und besonders der st�ndige Anblick des �ber das Pult gebeugten v�terlichen R�ckens hielt seine Sch�lerinnen in Respekt, so da� sie h�chstens in Augenblicken unertr�glicher Langweile die Feder oder das Schnupftuch fallen lie�en, um unter den Tisch kriechen zu k�nnen und ihn ins Bein zu kneifen, sicher, da� er nicht schreien w�rde. Aber nun sammelten sich Rachegel�ste in ihnen an f�r die Sonderstellung, die er sich anma�te, f�r jeden geschnauften Tadel, den der Vater ausstie�, f�r jede Kopfnu�, mit der dieser eine gesudelte Aufgabe verurteilte, und �berhaupt daf�r, da� sie nicht mehr so viel spielen konnten, immer nur spielen, leichtfertiges, auf Pl�sier erpichtes Gesindel, das sie nun einmal waren. So nannten sie ihn von vorn und hinten den Herrn Magister und ahmten den etwas steifen Gang mit den auf den R�cken gelegten H�nden nach, den er sich angew�hnt hatte. Wenn er mitspielen wollte und im Anfang alles gut ging, wenn er sich dann gl�cklich einmal verga�, schrie und tollte wie die anderen und unbeholfene Spr�nge machte, dann f�hlte er ganz pl�tzlich, wie die Bosheit �ber sie kam, ohne einen sonderlichen Grund, als den, da� er sich anders benahm wie sonst und sich offensichtlich einbildete, zu ihnen zu geh�ren. Alsbald fiel es ihm wie Reif aufs Herz, er ward unsicher, forschte in ihren verschlossenen kleinen Fratzen, in denen die Lippen verkniffen waren oder breit und h�hnisch verzogen, er f�hlte sich umlauert, ward bebend empfindlich und gereizt, und dann war auf einmal Streit da und er immer der Schuldige. Wie furchtbar war das! Wu�te es die Mutter denn, wie ungl�cklich er war? Sie rief ihn herein, wenn er an seinen Tr�nen w�rgend beiseite schlich, sie schalt ihn mit keinem Wort, wenn die anderen ihn verklagten, — sie strich ihm kummervoll �ber den Kopf und gab ihm etwas zu tun, lie� ihn Gem�se putzen und hatte unendliche Geduld mit seinen ungeschickten H�nden. Allm�hlich kamen sie dabei ins Plaudern und unterhielten sich ged�mpft und eifrig, gerieten von Bohnen und K�rbissen zu Apfelb�umen und Weihnachten, erheiterten sich an Erinnerungen aus seiner fr�hesten Kindheit, als er noch sehr klein und dumm und alles so wundersch�n gewesen war. „Denn damals,“ sagte Frau Justine und blickte m�de auf ihre arbeitenden Finger, „damals war auch der Vater noch zufriedener, Georgie, er hatte … horch, kommt er da nicht? — nein, es ist der Malchus! — er hatte noch nicht so viel Ideen von Ruhm und Ehre und der weiten Welt. Aber er hat recht, — er hat recht, — er verk�mmert hier, seine Gaben liegen brach, er ist noch jung …“ so wiederholte sie traurig eine Reihe oft geh�rter Beweisgr�nde ihres Gatten und George nickte ernsthaft dazu. Das sagte der Vater, sagte es in den letzten Jahren mehrmals des Tages in den verschiedensten Tonarten, und allm�hlich war die Atmosph�re im Hause geladen mit Unzufriedenheit und harrte bebend des z�ndenden Funkens. Anders, anders sollte alles werden, — aber wie? und: — mein Gott, konnte man hier nicht gl�cklich sein?

George entsann sich in sp�teren Jahren immer wieder eines Abends, der mit seinem klaren, starken Bronzegold durch die schwarzen zitternden Kronen der Pappeln vor dem Hause geschienen hatte. Das K�chenfenster stand offen und der Oktoberduft von Rauch und modernden Bl�ttern drang mit der herben Luft herein. Drau�en in der fr�hen D�mmerung hantierte Malchus und ging mit seinen schweren Schuhen �ber den Hof; eine Kette klirrte, — die Stallt�r knarrte und dann br�llte die Kuh. Irgendwo, vielleicht hinten im Garten beim Nu�baum oder auf der Dorfstra�e, wo der Ziehbrunnen quietschte, kreischten die Schwestern mit Mareiken. Hier drinnen war es d�mmrig, still und warm. Auf dem Herde flackerte ein Holzfeuer unter dem summenden Kessel, warf zuckende Lichter hinauf in die Finsternis des Rauchfanges und lie� die kupfernen Ger�te r�tlich auffunkeln, die an der Wand gereiht hingen. Es roch nach reifen �pfeln, — nach Dill, der in gro�en B�scheln unter der Decke trocknete, und in dem gro�en Holzschaff pl�tscherte es zuweilen, darin schwammen die Karpfen, die der Starost vorher „mit einem ehrerbietigen Kompliment“ an die Frau Predigerin geschickt hatte und die es morgen Mittag geben sollte. Der Vater war fern, es war heute nichts mehr zu lernen, zu denken, sein Geist war ganz entspannt und gleichsam selig nicht vorhanden. Nach dem Zank mit den Schwestern vorhin war sein Herz nun gel�st in Dankbarkeit und R�hrung. Er h�tte gern noch ein wenig geweint, eng an die Schulter der Mutter gedr�ckt, aber er lie� es bleiben und gab sich einem tr�umerischen Fluten der Gedanken hin. Und auf einmal war es, als ginge ihre Furcht davor, da� es jemals anders werden k�nnte, auf ihn �ber, auf einmal empfand er wie noch nie die Welt da drau�en jenseits der heimatlichen Feldmark wie ein tosendes Meer, all die St�dte, die hohen Schulen, die Namen gro�er und gelehrter Herren, die der Vater dauernd im Munde f�hrte, kreisten mit bedrohlicher Wirklichkeit um sein Haupt, und ein Gef�hl, ins Bodenlose zu st�rzen, �berkam ihn so stark, da� er sich an den Arm der Mutter klammerte und fl�sterte: „Wir bleiben doch, — Mutter, — wir bleiben doch hier …“

„Ach, Georgie,“ murmelte sie schwach und schob ihn sanft bei Seite, denn jetzt waren es wirklich Reinholds Schritte, die drau�en erklangen, — und, — liebes Gottchen, — seine Kartoffeln waren gewi� noch nicht gar! — „ach, — mein Georgie …“

Er war wie kein anderer in die Gem�tszust�nde seines Vaters eingeweiht, die dieser t�glich in langen Selbstgespr�chen vor ihm aufrollte. Ganz abgesehen davon, ob einer den Predigerberuf in sich f�hle oder nicht, — und es g�be M�nner, die bei aller Fr�mmigkeit und Rechtschaffenheit einzig dem t�glichen Brot zuliebe nach diesem Amt h�tten greifen m�ssen, also weder berufen noch auserw�hlt, George! — ganz abgesehen davon: war es etwa eines Predigers w�rdig, fast einzig von seiner H�nde Arbeit zu leben und sich von dem zu n�hren, was er dem Boden abrang, — diesem Sumpf- und Sandboden obendrein, der freiwillig nur Kiefern und Wacholder hervorbrachte, — wer die fressen wollte, m��te wohl einen Jesuitenmagen haben, — hoho! Nein, aber er habe es satt, wie ein Bauer zu leben und im Winter bis zum Dach einzuschneien und gegen die W�lfe in Fehde zu liegen! Er sei nun denn doch aus den Jahren heraus … (Verstummen, Aus-dem-Fenster-Starren, den Ellbogen auf das Stehpult gestemmt und mit dem Rauch der Pfeife ungeheure Verachtung aussto�end!) Ob er, Georgie, wohl glaube, da� es gerecht sei, einen Mann, der siebzehn Sprachen verst�nde und �ber die gesamte Bildung seines Zeitalters verf�gte, — dessen brieflichen Umgang die feinsten Geister suchten und nach dessen Gutachten so mancher Gro�e schon verlangt h�tte, — ob es gerecht sei, den in die finstere Polackei zu begraben und ihn dort vermodern zu lassen? Aber — (auf und nieder in der engen Stube wie ein Tiger im K�fig und Dr�uen in die Ferne mit der Faust) — sie hatten nicht mit Reinhold Forster gerechnet, sie kannten den Mann eben nicht und w�rden ihn erst erkennen, wenn sie das Nachsehen h�tten, denn au�er Landes w�rde er gehen, au�er Landes … (Neuerliches Verstummen, gegen den Kachelofen gelehnt und offensichtlich durch die W�rme von hinten etwas bes�nftigt.) Sodann, gem��igt, im Plauderton: Da hatte man nun seine Dienste dem K�nig von Preu�en angeboten, dem ersten deutschen F�rsten, einem Mann von zweifellos (Achselzucken!) den gr��ten Meriten nicht nur um die Eroberung von Schlesien und die Einf�hrung der Kartoffel. Und hatte man nicht den Bescheid erhalten, da� man als Prediger bei seinem Leisten zu bleiben und nicht in die Wissenschaften zu pfuschen habe?! (Ver�chtliches Schnauben durch die Nase.) Hier sollte man also bei den Jesuiten weiter Speichel lecken und Gott danken, wenn man nicht vom Volk gesteinigt, wenn einem die Kirche nicht demoliert und das Dach �ber dem Kopf angez�ndet wurde? H�tte Georgie Lust das zu erleben, — he? Wenn nun der Roskowski einmal hierher k�me mit seinen zweierlei Stiefeln, schwarz und rot, die Feuer und Tod bedeuteten, und der umherritt und die evangelischen Prediger brandschatzte? Wollte Georgie zusehen, wenn er dem Vater H�nde und F��e abhackte und die Zunge ausrisse, hoho, — na, also, nicht wahr?! (Tr�umerische Benutzung des lavendelduftenden Schnupftuches) Nein, nein — (gewichtiges Kopfsch�tteln) nein, zum M�rtyrer f�hlte er sich nicht geboren und ganz unbeschadet seiner religi�sen �berzeugung w�rde er eher in jesuitische Dienste treten, als hier noch weiter einen verlorenen Posten verteidigen, er w�rde so zu einem M�rtyrer seiner Wissenschaft werden, man bemerke dies wohl! (Im Vertrauen gesagt, George, denn die Weiber haben keinen Verstand davon:) Unterhandlungen seien da im Wege, Unterhandlungen von weittragender Bedeutung, — man konnte jetzt noch gar nichts sagen, aber … Jedenfalls auch f�r Georges Zukunft von h�chster Wichtigkeit, — na, kurz und gut: abwarten! (Gedankenvolles Saugen am Rohr, Vertiefung ins Rauchgew�lk: Ja, ja!) „Am liebsten ginge ich nach England.“ Das w�re das Land der Zukunft, da f�nde sich wahrer Weltb�rgersinn und lebte sich aus in gewaltigen erdumspannenden Pl�nen, ins Werk gesetzt von einer unersch�pflichen Tatkraft. England, England! (Triumphmarsch durch die Stube mit geschwungenem Pfeifenrohr und wehendem Schlafrock) „Georgie, England unser Vaterland, vergi� es nicht! Vor hundert Jahren noch sa�en wir Forsters in der fetten Yorkshire-Landschaft an den Fleischt�pfen �gyptens, auf eigenem Boden, ehe wir auswanderten und ausgerechnet nach diesem gottverlassenen Erdenzipfel!“ — „Sehr l�blich, unsere Beweggr�nde, sehr l�blich, allerdings …“ setzte er p�dagogisch hinzu, denn sein Urgro�vater hatte England aus Treue gegen den enthaupteten Karl I. verlassen, — „Indessen,“ — abschlie�endes Gebrumm, — „gab’s nicht auch andere L�nder, um dahin zu fl�chten? War Preu�en n�her als die Niederlande etwa?“ —

Projekte! Das war es! Projekte hinter den nachdenklichen Runzeln des Vaters, Projekte hinter seinem zerstreuten L�cheln, Projekte hinter jedem j�hzornigen Aufbrausen. Man stand auf, man schlief ein mit Projekten, man tr�umte Projekte, Projekte waren t�glich Brot auch f�r den Knaben. Freilich, es kamen Stimmungen �ber ihn wie an jenem Oktoberabend, als er sich an die Mutter geklammert hatte, — aber wenn sie ihn jetzt zum Helfen zu sich rief und halblaut und z�rtlich mit ihm plauderte, als f�rchtete sie immer, belauscht zu werden, — „Unser liebes Haus, nicht wahr, Georgie, unser sch�ner Garten …!“ dann f�hlte er sich unbehaglich und kam sich wie ein Verr�ter vor, wenn er nickte und wohl auch einmal seufzte, um nicht ganz stumm zu bleiben. Ein sch�ner Garten, ein liebes Haus, — ja gewi�, — aber wie mochte es denn sein, wenn nun einmal ein Projekt in Erf�llung ging und die enge Welt der Heimat aufsprang wie eine Eierschale, aus der er auskriechen w�rde wie der hoffnungsvollste Gickelhahn?! So machte er sein einf�ltigstes kleines Heuchelgesicht der Mutter zuliebe, deren Kummer er ganz deutlich sp�rte und der ihm das Herz wund rieb, — dachte aber trotzdem unaufh�rlich mit unruhiger Neugier an die letzten dunklen Reden des Vaters, der wieder einmal in Danzig war, — wohlgemerkt, mit einem neuen mausfarbenen Rock aus feinstem Tuch und mit einem halben Dutzend seiner krausesten Jabots versehen, von der Staatsper�cke ganz zu schweigen! Was tat er denn immer wieder in Danzig, wo sich zur Zeit auch Herr von Rehbinder aufhielt, der russische Gesandte in Polen, ein ergebenster Diener der gro�en Zarin, ein Werkzeug ihres Willens und ein charmanter Mann obendrein?! Was mochte es zu bedeuten haben, da� er neuerdings best�ndig vom „heiligen Ru�land“ fabulierte, von Europens Morgenland, von der Edelsteinmauer des Ural und der wandernden Breite der Wolga, an deren Ufern sich Deutsche niederlassen sollten wie in Paradieses Scho�, — couragierte M�nner, deren Familien, hm, hm — ein majest�tischer Blick zu Frau Justine hin�ber — es ihnen auf Knien danken w�rden, da� ihr Mut Frau und Kinder von den mageren Weiden der Heimat in dies zweite Kanaan versetzen w�rde, dem dringlichen Ruf Katharinas folgend, die in werbenden Manifesten den Heimatlosen von ganz Europa Freist�tten, billiges Brot und unerh�rte Vorteile in den noch unbewohnten Gefilden ihres riesigen Reiches bot? Warum mu�te er, George, auf einmal anfangen, Russisch zu lernen, seine Zunge �ben, das R zu schnurren wie ein spinnender Kater und das kurz vorher leidenschaftlich begonnene Holl�ndisch liegen lassen? Warum l�chelte der Vater oft so gedankenverloren vor sich hin, wenn er arbeitete, warum tat er so, als ginge ihn die Fr�hjahrsbestellung des Gartens nichts mehr an? So von Neugier und Ungeduld zerfressen, und um den wehklagenden Augen der Mutter zu entgehen, verging sich der Knabe gegen seine eigene Natur und wilderte ein paar Wochen mit Janusch und �hnlichen Kumpanen umher, stahl �pfel, z�ndete Heuschober an und qu�lte Hunde und Katzen, alles Dinge, deren Versuchungen bis dahin an ihm abgeglitten waren. Er benahm sich ungeschickt genug dabei, wurde von den anderen regelm��ig vorgeschickt, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen, und hinterher ausgelacht, und war eben bereit, gedem�tigt und angeekelt in das alte Leben der Stubenhockerei zur�ckzukehren, als die Pocken, die im Dorf umgingen, �ber ihn herfielen und seinen d�rftigen K�rper eine geraume Zeit zwischen Tod und Leben hin und her zerrten. Dann kamen h�bsche Tage, in denen er das f�rchterliche Labyrinth der Fiebern�chte wieder ganz verga�, Tage des Himbeersaftes und des Griesbreis und oh, der lieben Gellert’schen Fabeln, — Tage des Nichtmehrkrankseins und doch noch Geh�tscheltwerdens, Tage voll des Sonnenscheins m�tterlicher Liebe und eigener Verantwortungslosigkeit, — nichts lernen, nichts schreiben, immer nur deutsch sprechen, ach — und immer nur spielen, — Tage, so selige, und die letzten seiner Kindheit. Denn als er aufstand, narbenbedeckt, ein kleiner alter Mann, noch m�de und elend und an nichts weniger denkend als an Projekte, — da war es so weit, da barst die Eierschale und er mu�te hinaus, ob er wollte oder nicht. Im Auftrag der russischen Regierung, wie er sagte, wie er zweifellos auch annahm und, — jedenfalls durch Vermittlung des scharmanten Rehbinder, — auf Kosten der Krone, ging Reinhold Forster an die Wolga, um dort die Bedingungen der ersten deutschen Ansiedelungen zu studieren, und er hatte es sich ausbedungen, seinen �ltesten Sohn, — „einen hoffnungsvollen, strebsamen, jungen Gelehrten“ — mitzunehmen. Ja, er nahm ihn mit sich, als H�ndchen, als Famulus, vielleicht auch nur, weil ihm der Knabe zur unentbehrlichen Gewohnheit geworden war und in einem ersten pl�tzlichen Zur�ckschauern vor den einsamen Wegen der Fremde. —

In der ersten Nacht auf See, nachdem der Leuchtturm von Zoppot im Nebel hinter ihnen versunken war, und die Ostseewellen sich das rundbauchige Schiff gegenseitig zuwarfen, machte George, in seinem schmalen Wandbett unsanft hin und her geschleudert, wehleidige Zugest�ndnisse und rief au�er dem einen gro�en „Vater unser“ noch alle Nebeng�tter vergangener Jahre an, die er l�ngst endg�ltig abgetan zu haben meinte: Maria n�mlich und Joseph, dazu Jakob, Abraham und Isaak, sowie Moses und Elias und andere wei�b�rtige, wunderkr�ftige Gestalten des Religionsunterrichtes, denen er als kleiner Knabe in endlosen gefl�sterten Gebeten gemeint hatte huldigen zu m�ssen, mit krankhafter Gewissenhaftigkeit bedacht, nur ja keinen zu vergessen, der dann im Himmel traurig auf seinem besonderen Thr�nchen h�tte sitzen m�ssen, vielleicht m�rrisch, am Ende gar zornig des gewohnten Weihrauchs harrend. Er versicherte nicht nur sich ihres Beistandes, sondern vor allem sie seiner Ergebenheit, — „denn ich habe euch ja alle so lieb“ wisperte er nach ausf�hrlicher Namensnennung und f�gte zur gr��eren Sicherheit abschlie�end hinzu: „und alle Engel!“, denn schlie�lich, Engel war (seines Erachtens) ein jeder von ihnen und so war es ganz gewi�, da� keiner vernachl�ssigt worden war. Er hatte sich auf diese Weise fr�her oft in den Schlaf gebetet und nur Fieken, die immer durchaus wissen wollte, was er denn so f�r sich zu fl�stern habe, hatte ihm die Gewohnheit verleidet. In dieser Nacht aber kehrte er reuig zu ihr zur�ck, dem�tigte sich ausgiebig und gelobte Dienstbarkeit f�r alle Zeiten, wenn man ihn nur lebendig aus diesem f�rchterlichen Schiff entkommen und ihn jemals wieder einen vergn�gten kleinen Magen haben lassen wollte. In einer Atempause des Sturmes, als das �chzen, Knarren, Klatschen und Heulen f�r einen Augenblick aussetzte, vernahm er neben dem unbehaglichen St�hnen und W�rgen der beiden anderen Fahrtgenossen, — des Herrnhuter Bruders David Kr�zner und des Jenaer Studenten Gotthold Betzel, — ein wohlbekanntes gr�ndliches Knurschen und Schmatzen und stellte bei sich fest, — wobei sich sein Ged�rme schmerzlich zusammenzog und s��liche Flauheit sein Denken l�hmte, — da� der Vater da in der Finsternis �pfel a�, er meinte nun pl�tzlich auch den frischen heimatlichen Duft wie einen sch�nen Fremdling durch die verdorbene Luft der niedrigen Kaj�te schweben zu sp�ren und kr�mmte sich gleicherweise vor Heimweh wie vor Seekrankheit. Der Vater wurde nicht seekrank, mochte Gott wissen, wie er das anfing, der stand am Morgen mit den possierlichsten Bockspr�ngen auf und verlie� pfeifend den Raum, nicht ohne seinem Sohn und dessen Leidensgenossen mit gerunzelter Stirn und teilnahmsvoll rollenden Augen „eine kleine Collation“ angeboten zu haben, da doch ein gef�llter Magen den ganzen Menschen aufrecht zu halten imstande sei, wie er an sich selbst erfahren zu haben meinte. George sch�ttelte angstvoll abwehrend den Kopf, der Herrnhuter, der so im Bett mit der wei�en Zipfelm�tze �ber den Ohren ein knittriges Altm�tterchengesicht hatte, sah nur zum Himmel und bewegte beschw�rend die H�nde, Gotthold Betzel aber verlangte murrend nach einem Spiritus liquor, den Herr Forster alsbald in Gestalt eines N�sels Rum feierlich herbeitrug und den leidenden Bruder tr�nkte, wie eine Mutter den S�ugling. Er vers�umte nicht, die Flasche auch George und dem ehrw�rdigen Kr�zner mit aufmunterndem Blick hinzuhalten, zuckte bedauernd die Achseln und nahm selbst einen kr�ftigen Schluck, der ihn sichtlich bis zu den Schnallen seiner Schuhe wohlig durchsch�ttelte. Sodann verschwand er und schickte den Janusch, um f�r die Sauberkeit des Fu�bodens zu sorgen, und Janusch wankte herein, selbst gr�n und gelb aussehend, — jawohl, der Janusch war mitgenommen worden, denn was war ein Reisender ohne Kammerdiener? Er war ein Baum ohne Schatten! — und Janusch tat sein Bestes, aber dann rollte er sich am Fu�ende von Georges Bett zusammen und George nahm mit Ergriffenheit wahr, da� der ehemals so gef�hrliche Feind gebrochen war wie er selber. Hatte er schon seit dem Tage seines Dienstantrittes ein gewisserma�en abgekl�rtes Wesen zur Schau getragen, da� sich George gegen�ber einstweilen in v�lliger Nichtbeachtung, gegen den Vater jedoch in rasender Dienstfertigkeit auspr�gte, so ward es jetzt offenbar, da� er mit dem zerfetzten Wams auch die feindliche Gesinnung bis aufs letzte abgestreift und mit den heilen Str�mpfen, den ledernen Beinkleidern und dem sauberen moosgr�nen Kamisol, das Forster ihm zu Danzig in aller Eile hatte anmessen lassen, eine begeisterte Unterw�rfigkeit angezogen hatte, auch f�r George, den er „Panje“ nannte und ihm den �rmel k��te, jetzt, ehe er so zusammensank und den Kopf an die h�lzerne Wandverschalung lehnte. Er sagte nichts weiter, aber aus dem blassen schmutzigen Gesicht sahen seine Augen grell wie die eines wilden Waldtiers, das aus seiner warmen sichern H�hle gerissen war, und George ehrte diesen Zustand, als den eines Leidensgenossen, und lag ersch�pft still, keines Gedankens f�hig, als des einen, wie paradiesisch es sein m��te, jetzt zuhause in einem stillstehenden Bett zu liegen, — und meinetwegen die Pocken zu haben, nur zuhause und, — ja, — bei der Mutter!

Unterdessen erholte sich der Herrnhuter so weit, da� er, allerdings im Liegen und die H�nde vorsichtig �ber den Magen gefaltet, imstande war einen Psalm anzustimmen. Er w�hlte den zweiundvierzigsten und st�rkte sein Herz im Sprechgesang:

„Deine Fluten rauschen daher,“ klagte er, „da� hier eine Tiefe und da eine Tiefe brausen; alle deine Wasserwogen und Wellen gehen �ber mich …“

Als er fertig war, blickte er die Knaben freundlich an und richtete sich behutsam ein wenig auf. „Ist es nicht k�stlich, meine Kinder,“ fragte er, „sich so v�llig in der Hand des Herrn zu wissen und sich ihm ganz �berlassen zu m�ssen? Ach, da� wir uns doch nur im Ungl�cke so richtig sein eigen f�hlen, — aber das Fleisch ist schwach.“ Er h�tte gewi� noch mehr gesagt, aber Gotthold Betzel sch�chterte ihn mit �rgerlichem Grunzen hinl�nglich ein und es verging noch manche Stunde, ehe eine ergiebige Unterhaltung in Gang kommen konnte, wenn schon Reinhold Forster mehrmals des Tags erschien wie das leibhaftige gute Wetter, um jene kleinen Kollationen zu sich zu nehmen, deren er, wie gesagt, zu seiner Aufrechterhaltung bedurfte. —

„Ihr werdet Hunger haben, immer,“ hatte die Mutter kurz vor dem Abschied mit weinenden Augen l�chelnd gemeint, und: „Pah, Hunger!“ hatte der Vater geantwortet, der gerade ein Schinkenbein vorhatte und mit beiden Backen kaute, — „und wenn schon, meine Liebe! Die Wissenschaft ist Opfer wert.“ Nichtsdestoweniger widmete er sich jetzt hingebungsvoll dem umfangreichen Vorratskorb, den Frau Justine mit so viel Sorgfalt gepackt hatte, es schien die Zeit des Opferbringens noch nicht gekommen zu sein, und auf einem Schemel auf dem Fu�boden der Kaj�te hockend, besagten Korb zwischen den Knien, hielt er inmitten der Reisekumpane die vergn�glichsten Kolloquien ab. „Du staunst, mein Sohn,“ sprach er etwa dabei und George l�chelte zuvorkommend, wenn schon etwas matt, — „ja, du staunst und wie sollte ich es dir verdenken! Siehst du doch deinen griesgr�migen Herrn Vater, der sich ganz darauf vorbereitete, hinter dem Ofen zu vertrocknen als ein d�rres Reis, mit einem Male gleichwie versetzt an str�mende Wasserb�che. Das Amt in Ehren, mein Herr Bruder in Christo,“ wandte er sich an den milden Kr�zner, „in Ehren das Amt! Aber wenn einem Manne f�r sein Dorf in der Polackei die Welt angeboten wird, ja, wenn ihm die Gr��te aller Kaiserinnen eigenh�ndig — vergleichsweise, nun, meine Herren, vergleichsweise! — wenn sie ihm also das Tor auftut zu ihrem gewaltigen Reich: Ich bitte um die Ehre, Monsieur Forster! Ein Narr, nicht wahr, wer da nicht zugriffe, ein Narr! Und au�erdem, ich besitze gewisse Gaben, die �ber das Amt hinausgehen, Herr Bruder, den Rahmen des Amtes sprengen, — jawohl, — wenn ich so sagen darf … Herr Bruder!“ Er brummte noch verschiedene Male „Hm, hm!“ hinterher, wobei er mit zwei Fingern vorsichtig an seiner Nase zupfte und verliebt vor sich hinblickte. „Jetzt kommen gleich die Verdienste um die Erforschung der Wasserfauna und der Insekten, die Bekanntschaft mit Herrn von Rehbinder, dem Gesch�ftstr�ger Ihrer Kaiserlichen Majest�t, die Korrespondenz mit Herrn von Haller in Z�rich und die Fertigkeit, sich in siebzehn Sprachen auszudr�cken, — endlich aber sein Verm�gen, den gro�en Zeh in den Mund stecken und mit dem Kopf zwischen den Beinen hindurchgucken zu k�nnen, welch letzteres Kunstst�ck er gewi� ad oculum demonstrieren wird,“ — dachte George ergeben, der neben der Bewunderung f�r seinen Vater zum erstenmal in seinem Leben eine leise Befangenheit empfand, wenn dieser sich allenthalben so wohlig entfaltete, wie eine Blume im Sonnenlicht. Doch hub jetzt David Kr�zner an, w�hrend er bescheiden aus einem leinenen Reisesacke zehrte und sparsam nur mit den Vorderz�hnen zu knabbern schien, — er hatte eine lange geduldige Oberlippe und gro�e feuchte Kaninchenaugen, — „Es geht nichts �ber ein Wirken in der Stille, lieber Bruder, und der Herr wei� es ja, wie ich ihn h�tte preisen wollen, wenn er mir Armen ein solches Amt verliehen h�tte, wo ich meinen Mitbr�dern unangefochten h�tte dienen k�nnen. Indes, da es sein heilsamer Wille ist, mich hinauszusenden unter Morduanen, Baschkiren und Kalm�cken, — ei, so geht David Kr�zner, denn es ziemt ihm nicht, wider den Stachel l�cken.“

„Recht habt Ihr, Herr Bruder,“ sagte Forster mit einer gewissen �ligkeit in der Stimme, die George von der Kirche her an ihm kannte, — dann wu�te er, jetzt dachte der Vater an ganz andere Dinge, was aber die Leute durchaus nichts anging — „das Sch�flein bleibt in seines Hirten H�nden, — auch unter den Heiden! Indessen suum cuique, Herr Bruder, suum cuique, — meint Er nicht auch, Herr Studiosus?“ Und w�hrend David Kr�zner murmelnd bekannte, ein dem�tiger Bruder zu sein und kein Latein zu verstehen, hub Gotthold Betzel an: „Der Teufel hole Morduanen und Baschkiren so gut wie jedes Amt in Deutschland, wo einen die Ratzen bei lebendigem Leibe auffressen, da die lieben Tierlein selbsten nichts zu nagen haben. Ich aber gehe nach St. Petersburg, dort kann man Kaiser sein, ehe man sich’s versieht, was mir �brigens ein viel zu hei�er Boden w�re. Ich werde aber der Kaiserin mein Projekt zur Beleuchtung n�chtlicher Pal�ste und H�tten mittelst eines aus Hammeltalg destillierten �les vorlegen, wobei der Mensch sich zugleich erw�rmen kann, und alsdann werde ich mit gro�en gewonnenen Sch�tzen in die T�rkei verreisen, — allwo man weiter sehen wird.“

Ergo bibamus! Trink Er, Herr Bruder, ich hab mir auch einmal den R�cken im Kollegio krumm gesessen“, sagte Forster teilnahmsvoll und reichte ihm die Flasche, ohne weiter auf die Projekte des pp. Betzel einzugehen. Gegen Ende der Reise, die in neun Tagen glatt und sicher verlief, sa� er �brigens mehr in der Kaj�te des Kapit�ns, dem er gewaltigen Eindruck durch seine Kenntnis der fernsten K�sten und V�lker machte, und der ihn nichtsdestoweniger fabelhaft anlog, um ihn zu �bertrumpfen, was ihm aber nicht gelang, denn Forster hatte immer noch etwas daraufzusetzen: auf das Meerweib die fliegenden Fische, auf den Magnetberg die feuerspeienden Berge und auf das Nagelmeer die kochenden Springquellen Islands, wobei sie sich gegenseitig vortrefflich unterhielten und der Schipper Mandeweit, der allj�hrlich einmal um das Kattegatt herum nach London segelte, im �brigen aber nie in seinem Leben �ber die gro�e Punschbowle der Nordsee hinausgekommen war, den gelehrten Herrn f�r „’nen verdammten Slusuhr“ erkl�rte, was einen hohen Grad von Anerkennung bei ihm bedeutete. Er nahm Forsters Mitteilungen restlos in seinen L�genschatz auf und zwar als Glanzst�cke, und wurde so zu einem unfreiwilligen Verbreiter der Wahrheit. Auch Gotthold Betzel erholte sich alsbald so weit, um von der Gesellschaft zu sein. Verschiedne Spiele Karten bildeten einen Teil seines Reisegep�cks, und er weihte Herrn Forster und den Schiffer in die Geheimnisse des Rabougierens ein, nicht ohne gr�ndlichen Gebrauch von seiner �berlegenheit zu machen, die sich Mandeweit fluchend, Forster mit Gelassenheit gefallen lie�: er tat wohl mit, gewi�, er war kein Spielverderber, aber im Grunde war dies denn doch ein Amusement f�r seichte K�pfe und wenn man nicht unterwegs gewesen w�re … Zudem langweilten ihn die Karten von jeher gr��lich und er verlor schon allein aus Gleichg�ltigkeit fortw�hrend und versetzte dadurch Gotthold Betzel in unb�ndig gute Laune; dieser erinnerte sich seiner musikalischen Gabe und sang nunmehr viel mit rauher Stimme, sang Lieder, deren Inhalt den Bruder Kr�zner wehm�tig, George und Janusch aber au�erordentlich heiter stimmte. Diese beiden trollten auf Deck umher und erschienen so wenig als Herr und Diener wie nur je in den vergangenen Tagen zu Hause.

„Georgie, Panje, ist sich viel zu viel Wasser, ist sich f�rchterlich!“ hatte Janusch am ersten Tage schaudernd erkl�rt, und George, obgleich innerlichst geneigt, ihm zuzustimmen, hatte die H�nde auf den R�cken gelegt und mit vorgeschobener Unterlippe sein Magistergesicht aufgesetzt. Mein Gott, wenn das noch alles Wasser w�re, was es auf Erden g�be, — aber bewahre, — dies war ja nicht mehr als da� ein kr�ftiger Walfisch es auf einen Zug austrinken k�nnte! Und „T�ubchen sch�ne“ waren das da oben auch nicht, sondern Wasserv�gel, M�wen, vermutlich, — ja, so etwas konnte man wissen, ohne einen von den groben Matrosen zu fragen, die gleich mit der Gegenfrage bei der Hand waren, ob man wohl belieben w�rde, mal unterzutauchen, mal Salzwasser zu schlucken, mal sein Fell auswringen zu k�nnen? Die gelbbraunen Eulenaugen des Janusch wurden vor Staunen immer runder und das nahm George wie eine Aufforderung an seine Ehre, selbst unter keinen Umst�nden Verwunderung an den Tag zu legen. Am achten Tage sah man einen Zug wilder Schw�ne, der von S�den kommend den Meerbusen kreuzte und sich untereinander ermutigend geheimnisvolle T�ne zurief, — Namen vielleicht der unendlichen Seen Finnlands. Am Morgen darauf tauchte Kronstadt aus dem Nebel, wie das phantastische Bollwerk des Seek�nigs und am Abend desselben Tages schaukelten die Reisenden auf ihren festlandungewohnten Sohlen die Newski-Perspektive hinab. Nun versagte die Haltung des nicht zu R�hrenden dennoch und es war erfreulich, einen Vater zu haben, dessen Hand man ergreifen konnte, — merkw�rdigerweise schien diese gro�e Hand selbst einen gewissen Anhalt an der kleinen des Sohnes zu finden. Stumm gingen sie diese ungeheuerste aller Stra�en hinunter und sahen sich immer wieder nach dem Janusch um, der unter der Last des Reisesackes gebeugt hinter ihnen drein keuchte, unterst�tzt von einem freundlichen schlitz�ugigen Kerl, der sich mit dem �brigen Gep�ck beladen hatte und jedesmal aufmunternd grinste, wenn er angesehen wurde. �brigens gewann Herr Forster mit jedem Schritt an Sicherheit, und schon im Gasthaus Peter Bierbergs trat er auf wie der siebenfach gebr�hte Weltreisende, der sich beileibe nichts vormachen l��t und alles an Erfahrung �berragt. Was Peter Bierberg dem�tig zu stimmen schien, ihn aber nicht hinderte, die neuen G�ste unter Achselzucken und mancherlei Entschuldigungen in einem Raum mit einer vielk�pfigen polnischen Familie einzuquartieren, wo Vater und Sohn zusammen ein Bett beziehen mu�ten und mancherlei an Schamhaftigkeit auszustehen hatten, d. h. sie sch�mten sich fast zu Tode, aber die dicke polnische Mama schien nur an feuriger Lebendigkeit zu gewinnen. Indes verging dieser erste Aufenthalt in St. Petersburg traumhaft schnell, und George hatte kaum Zeit sich dar�ber klar zu werden, da� er nun zwar wieder auf festem Lande, aber doch unendlich weit von daheim und der Mutter entfernt war, — hatte seinen kleinen Kopf kaum den Eindr�cken dieser wilden gro�en Stadt angepa�t, ihren Pal�sten und stattlichen Steinh�usern, die gr�n oder caf� au lait get�ncht mit ihren bunten flachen D�chern und den anspruchsvollen S�ulenverzierungen ihrer Vorderseiten bereits anfingen, die alte h�lzerne Stadt Peters zu verdr�ngen, ihren Bazaren und Kuppelkirchen, den Kan�len und vor allem der wimmelnden Newa mit ihren unheimlich schwankenden Schiffbr�cken, die doch Droschken, Ro� und Reiter und die ganze bunte treibende Masse des Volkes vom ersten Admiralit�tsteil hin�ber nach Wassilii Ostrow trugen, — mit diesem Volke endlich selbst, so vielf�ltig an Erscheinungen, wie es sogar der Danziger Hafen, an dessen Jahrmarktstrubel er bisher alles Wunderbare bema�, nicht war und nie sein konnte, — er hatte also kaum begriffen, da� sein kleines Ich nun diese ungeheure, schreiende, heulende, bewegliche, geheimnisreiche Erweiterung erfahren hatte, — denn jeder Ort st�rzt sich unaufh�rlich nach Einheit gierig in die Gem�ter, die ihn auffangen und widerstrahlen, und jedes Ich hat seine Grenzen erst da, wo sein Bewu�tsein aufh�rt, das Bewu�tsein eines Kindes aber verschwimmt mit dem Umri� seines Wohnortes, — kaum hatte er solcherma�en Nassenhuben abgestreift, mit der vertrauten Enge von Haus und Garten und dem leeren Umkreis von Kiefernheide und Ebene, — kaum Danzig verwunden, das ihm hundert Gesichter gehabt zu haben schien und ihn schmerzhaft ergriffen hatte mit seiner angeh�uften Kultur, seinem katholischen Prunk und seiner Bev�lkerung von lauter Pastoren und Starosten, ja, lauter Herren, wie es daheim nur zwei gegeben hatte! — kaum lag die See hinter ihm mit ihren heftigen Anforderungen an K�rper und Gem�t, von denen das nil admirari dem Janusch gegen�ber vielleicht die schwerste gewesen war, — denn es ist unerh�rt hart, mit elf Jahren best�ndig die W�rde zu wahren, — so kam St. Petersburg wie ein kurzer Fiebertraum und schon ging es weiter. Ging weiter mit Vorspannpa� im eigenen Wagen, zweihundertf�nfzig Werst in vierundzwanzig Stunden, die wachsenden Tage und die immer heller bleibenden N�chte hindurch, kaum da� es einmal ein Nachtquartier in einem schmutzigen Gasthaus gab, wo der Wirt wohl in Ehrfurcht vor dem Herrn, der in Gesch�ften der Krone reiste und darum nur halbes Postgeld bezahlte, erstarb und Herrn Forsters Laune dadurch pr�chtig anfachte, wo man aber daf�r des Nachts von Ungeziefer halb gemordet wurde. Doch war der Vater unterwegs au�erordentlich frisch und lebendig und benutzte die Zeit zu den eingehendsten Wiederholungen auf allen Gebieten des Wissens, er botanisierte mit George neben dem Wagen her, wenn dieser mit trostloser Langsamkeit durch die Sandwege unendlicher W�lder schaukelte, und erging sich in verz�ckten Rhapsodien �ber die Ergiebigkeit und Unber�hrtheit dieses Landes, sobald man mit frischem Vorspann wieder feurig dahinrollte, flei�ige kleine Pferde vor sich, die ihre zottigen K�pfe begeistert warfen und sch�ttelten, wenn der Iswotschik sie weniger mit der langen Peitsche als mit dem z�rtlich singenden Ton seiner Stimme aufmunterte. George gew�hnte sich an den Anblick von Januschs R�cken mit dem hin und her tanzenden kurzen steifen Zopf vor sich auf dem Bock und wartete oft sehns�chtig darauf, da� der runde Kopf herumwanderte und ein von Hochachtung und Mitleid gleicherweise sprechender Blick aus Januschs Eulenaugen langsam �ber ihn hinwegging, — worauf er sich wieder etwas gest�rkt f�hlte, denn ein Leiden ohne Zeugen h�tte auch den heiligen M�rtyrern nicht halb so viel Spa� gemacht, dessen sei man nur gewi�! Zuhause hatte die Mutter doch manchmal bewundert, was alles er zu leisten hatte, hatte ihm an besonders harten Tagen einen Apfel zugesteckt oder gar einen Eierkuchen gebacken, — sehr heimlich freilich, und dann hatten sie ihn zusammen am Herde verspeist, weder Rieken noch Fieken durften das wissen, auch nicht Malchus, der Knecht oder Mareiken, die Magd. Hier aber mu�te man die Lippen zusammenpressen, tief durch die N�stern schnaufen, um einen Augenblick Zeit zu gewinnen, und dann seine Antwort hervorschnurren, ganz ausgeliefert diesen undurchdringlichen blauen Porzellanaugen und im Banne der starken Hand, die ungeduldig am Wagenschlag trommelte und so leicht von dort abglitt und Georges Kopf traf, der sich dann geduldig duckte, — nein, hierbei sollte Janusch keinen Anla� haben sich umzudrehen, und es ging, es lie� sich wahrhaftig aushalten, diese Kopfn�sse lautlos hinzunehmen! Zu gr��eren Exekutionen, wie der Vater sie sonst als Unterbrechung der Arbeitsstunden liebte, war ja in der Kibitka Gottseidank kein Platz; der Vater sah ganz davon ab, nachdem er sich in den ersten Tagen hart am Ellbogen gesto�en hatte, — ein Zeichen, da� auch er sich beherrschen konnte, wenn es sein mu�te. George wu�te schon von zuhause her, da� man am besten dabei fuhr, wenn man dem Gewaltigen diente, als sei dies ganz selbstverst�ndlich; nun aber bildete er die Kunst, dem Riesen alles an den Augen abzusehen und seinen W�nschen lautlos zuvorzukommen, vollends aus. Der Riese war zuweilen �u�erst schlechter Laune, — sch�n war das Reisen, ja, und wissenschaftlich war das Land ergiebig wie ein Pudelpelz an Fl�hen, aber es war doch auch geradezu widerw�rtig gro� und es nahm gar kein Ende mit lichten wehenden, wehenden Birkenw�ldern, mit den bunten h�lzernen D�rfern, mit der unendlichen mattgr�nen Ebene, hinter der der Horizont sich immer weiter hinausschob, wiewohl man an jedem Abend glaubte, man w�rde morgen im ewigen Osten landen und h�tte die Wolga l�ngst im Schlaf �berschritten. Zudem widerstand ihm einstweilen die landes�bliche Kost, er verachtete Schtschi und Kascha, vor Kwas aber ekelte er sich geradezu und behauptete l�rmend, es sei unsittlich, diesen gegorenen Unrat zu trinken, man k�nne nicht wissen, welche Ingredenzien dazu verwendet w�rden. Einzig die Malinowka fand einige Gnade vor ihm, er pflegte sie allenthalben ernsthaft zu fordern und legte starke Verstimmung an den Tag, wenn dieses aus Kirschsaft, Zucker und Wein gebraute Getr�nk nicht zu bekommen war. Endlich kam er dahinter, da� die Russen Meister in der Kunst der Pastetenzubereitung waren; nun war freilich alles gut, und sobald er so weit war, zu wissen, da� sich die verschiedensten Piroggen, seien sie mit Pilzen, Fischen, Fleisch oder Speck und Rosinen gef�llt, auch als Reisevorrat mitnehmen lie�en, gewann er einen bedeutenden �berschu� an Spannkraft. Er sorgte f�r den Vorratskorb und allenfalls f�r die Kiste, die die B�cher und seine wissenschaftlichen Notizen enthielt, welche George an den sp�rlichen Rasttagen nach seinem Diktat sorgf�ltig ins Reine schreiben mu�te. Die Sorge f�r das �brige Gep�ck �berlie� er dem Janusch und erkl�rte ihn f�r einen exemplarisch vortrefflichen Bedienten, ohne zu bemerken, da� sein kleiner Sohn den besten Teil der notwendigen Arbeit verrichtete, denn der Janusch war den mannigfachen Besitzt�mern gegen�ber, die die Zivilisation seiner Herrschaft erforderte, ziemlich ratlos und hatte nicht Zeit, �ber diese Ratlosigkeit hinauszuwachsen, wie man bald erfahren wird. So begn�gte er sich mit der Pflege des Schuhzeuges und dem Zuschnallen und Schleppen der Koffer, w�hrend George stillschweigend f�r Sauberkeit und gegl�ttete Lage der Kleider sorgte. Als Herr Forster ihn einmal bei diesem Gesch�ft zu bemerken geruhte, stellte er nachdenklich fest: „Wie sehr du deiner Mutter gleichst, mein Sohn!“ legte weiter keinerlei Ergriffenheit an den Tag, machte aber in Zukunft George f�r jeden Flecken auf den Kleidern verantwortlich. Endlich erreichten sie Nishni-Nowgorod. Hier klaffte ein Ri� in der farblosen Haut der Ebene und die Seele Ru�lands lag blo�, starrend bunt, asiatisch �ppig, wie das Innere der m�rchenhaften Kirchen: Edelsteinh�hlen, von Rubinlicht durchblutet, — wie die V�lker, die hier zusammenstr�mten mit dem Geruch un�bersehbarer Pferdeherden und des Leders, mit unerh�rter Farbenfreude in den Gew�ndern und dem leisen Geklirr von silbernen Kettchen und Klapperwerk an den hohen bunt aufgen�hten M�tzen ihrer Weiber. Zudem strotzte alles von Fettigkeit und Schmutz, aber den Reisenden, von Staub, Wind und blendender Sonne ged�rrt wie sie waren, tat die feuchtigkeitsges�ttigte Luft der Stromniederung wohl und unter den Segensw�nschen des Iswotschik, — ja, er w�rde warten, bei Gott, nicht r�hren w�rde er sich aus seiner Herberge! am Ufer w�rde er stehen und sich blind schauen, bis das hochverehrte V�terchen wieder flu�aufw�rts gefahren k�me! m�chte es nur gefahren kommen, m�chte es nur! — bestiegen sie eine Schaluppe und der Strom nahm sie auf. Wasser! hie� wiederum die Losung, aber anders war ihr Klang als zuvor auf der See, anders, zielbewu�ter und beseelter schien diese rastlos vorw�rts sich w�lzende Flutmasse in der ungeheuren Schwermut ihres Willens, der nichts wu�te von der tobenden Regellosigkeit des Meeres. Nicht da� George es sich klar gemacht h�tte, aber er verstand, — er verstand! Er kauerte hinter einer Rolle von Tauen am Bug des Schiffes und blickte grade aus, es war alles so sanft und ernst, wie die Wasser sich um die flachen Inseln teilten, wie die Schilfw�lder meilenweit wogten und raschelten, wie gro�e Stelzv�gel majest�tische Kreise dar�ber zogen. Er blickte nach Osten, wo die Wasserfl�che in die unendliche Ebene �berging und mit dem Horizont verschmolz; im Westen aber stand abends der Himmel tiefgolden hinter der schwarzen ruhigen Festigkeit der Berge. Dann begannen die Burlaki zu singen, w�hrend sie Anker warfen, und auch das verstand er, ohne vielleicht ein einziges Wort zu erfassen, er hockte nur da, ein sehr kleiner Junge trotz Scho�rocks und Haarbeutels, hatte den Kopf auf die Knie gelegt und weinte. Es war ihm aber gar nicht schmerzlich zumute, nur so, als m�sse nun endlich alles leichter werden, und das war doch so gut, — so gut. Irgend etwas streichelte ihn, nahm ihn und wiegte ihn ein, die �berm��ige Spannung, die ihn seit Beginn der Reise bis an die Grenze seiner F�higkeit gestrafft hatte, l�ste sich, der „Herr Magister“ zog sich v�llig ins Wesenlose zur�ck, ein Knabe blieb, kindlich, zutraulich oder unartig, kurz, er fiel an seine eigene Natur zur�ck und das nach sieben Jahren zum erstenmal, denn im Grunde hatte er sich von ihr entfernt, damals, als er so pl�tzlich lesen konnte, — ach ja, wie war es nur gekommen? — als es mit dem Spielen vorbei gewesen war. Dazu kam, da� es dem Vater �hnlich erging wie ihm selber, Herr Forster verbrachte ganze Tage in tr�umerischem Vorsichhinstarren und lie� sich die Sonne auf den breiten R�cken brennen, wobei er manchmal blinzelte und mauzend g�hnte wie ein tr�ger Kater. Zwischendurch erhob er sich allerdings, reckte sich, da� die Gelenke krachten, rieb sich gewaltig die H�nde und begann dann eine hastige Teilnahme f�r die vor�bergleitenden Ufer an den Tag zu legen, fragte den Steuermann, der unbewegten Gesichtes Auskunft gab, leidenschaftlich aus und stand geb�ckt, auf dem linken hochgestellten Knie ein Schreibt�felchen, in das er eifrig Notizen eintrug. Es war aber nicht die Rede davon, sie auszuarbeiten, wie George immer heimlich f�rchtete, wenn er den Vater bei dieser Besch�ftigung sah, sondern Herr Forster blieb sanft und faul und ward nur ein wenig munterer, wenn angelegt wurde und man an Land ging, was alle zwei bis drei Tage einmal geschah. Alsdann suchte man sich Reittiere zu verschaffen oder ging zu Fu� landeinw�rts in die wilden W�lder oder die �den Steppen hinein, sammelte Pflanzen und stellte Tieren nach, bei welcher Gelegenheit Janusch wie wild hinter der armen Tschokuschka, dem allerliebsten Zwerghasen her war, dessen wachtelschrei�hnlichen Lockruf er nachzuahmen verstand und dessen unterirdische Laufgr�ben und H�hlen er mit dachshundgleicher Sp�rnase aufzufinden wu�te. Er gab sich dieser Unterhaltung mit einer Art weinerlicher Leidenschaft hin und George f�hlte es wohl, Janusch hatte keine andere Freude mehr, Janusch war bitter entt�uscht und suchte hier eine Entsch�digung f�r seinen Tatendurst und seinen Ehrgeiz, denen ein Leben auf dem Kutscherbock und auf der Ruderbank zu eng war. Dies war klar, obgleich Janusch sich nie dar�ber �u�erte, aber sein m�rrisches Schweigen, diese finstere Majest�t seiner Verdrie�lichkeit lasteten schwer auf George, gerade weil er selbst so vergn�gt war und sich mit �ngstlicher Seele bem�hte, auch seine Umgebung heiter zu wissen, als l�ge in deren Unzufriedenheit eine Gef�hrdung dieses harmonischen Zustandes. Um die Wahrheit zu sagen, der Janusch ha�te das Wasser, und nun hatte er die Ostsee gerade �berstanden und war schon wieder in so einen h�lzernen Trog gebannt, der auf dem widerw�rtigen Element schwamm und schwankte, da� einem vom blo�en Zusehen �bel werden konnte. Ja, wohl hatte er daheim die Pferde in die Schwemme geritten, aber das war auch bei Gott etwas ganz anderes gewesen, da war er der Herr von Pferd und Wasser, diesem T�mpel, dessen Blutegel und schlammgr�ne gelbbauchige Salamanderchen er alle pers�nlich kannte. Nun, und dann, so halbnackt und na� wie irgend ein Wasserteufel ins Dorf zur�ckgaloppieren, schreiend, peitschenknallend und fratzenschneidend, da� alle Kinder und M�dels Rei�aus nahmen, — das war doch etwas anderes als so tagaus tagein, so wiegala wogala in diesem verdammten Kasten sitzen zu m�ssen. Der Janusch grollte. Der Janusch starrte den Treidelpferden nach, die so geduldig am Ufer gingen und die schwer beladenen Barken zogen, und beneidete die Bauern, die sie trieben. Tausendmal mehr noch aber beneidete er andere Leute, die man zum erstenmal Anfang August auf dem westlichen Ufer antraf, wo man eines Abends schon von weit her eine Wolke schweben sah, eine Wolke von Rauch und Staub, die als sie n�her hinzukamen, von der sinkenden Sonne ganz golden durchgl�ht war, und darin tummelte sich ein Gewimmel von Menschen und Tieren, entstanden, wie Pilze aufschie�end, dunkele, runde und zugespitzte Zelte und war ein Geschrei, Gebr�ll und Gewieher, von Peitschenknallen und Flintensch�ssen zerrissen, da� George und Janusch sogleich an Jahrmarkt dachten und George wahrnahm, wie der Janusch ganz gl�hende Augen bekam und ungebeten des Vaters gro�e Stulpenstiefel bereit stellte, dann aber von einem Fu� auf den andern tanzte und sich durchaus geberdete wie ein Hund, der die Anstalten eines Aufbruches wittert und noch nicht genau wei�, ob er mitgenommen werden wird. Herr Forster entt�uschte ihn denn auch nicht, und obgleich der Steuermann murrte, man w�rde sich dies ganze Gesindel auf den Hals laden, lie� er angesichts des Kalm�ckenlagers anlegen und ging mit den beiden Knaben hin�ber, unbewaffnet und seelenruhig wie auf seiner Dorfstra�e zuhause. Tief befriedigt kehrte er zur�ck, hatte aber nichts dagegen, da� sogleich der Anker gelichtet und alsdann noch die halbe Nacht stromabw�rts gefahren wurde. Selbst auf dieser Strecke folgte ihnen auf dem linken Ufer ein Haufe halbw�chsiger Knaben und Kinder zu Fu� und zu Pferde, von gro�en wei�en Windhunden geisterhaft begleitet und umschw�rmt, w�hrend die Schaluppe auf dem Wasser dahinglitt und Strom und Steppe in dem grenzenlosen, vom silberbl�ulichen Mondlicht erf�llten Rund der Himmelskugel lagen. Janusch war ganz aufgeregt, er hockte neben George und fl�sterte mit heiserer Stimme von allem, was sie gesehen hatten, wobei er immer wieder ins Polnische verfiel und zu den am Ufer Dahinreisenden hin�berstarrte, mit bebenden N�stern die Luft einziehend, als hoffte er den ihm so k�stlichen Geruch des Lagers noch einmal zu sp�ren, nach Pferden, nach Leder, nach Schafmist, nach Milch, s�uerlich und gegoren. Und dann war auch hier alles so himmlisch fettig gewesen, sogar in dem Tee, der ihnen feierlich in der Kibitka des Chans dargeboten worden war und der aus einer kunstvollen kupferbeschlagenen Lederkanne herauskam, war zerlassene Butter gewesen und au�erdem Milch und Salz; man trank ihn aus Bechern, die gleichfalls von hornhartem Rindsleder waren. Alle diese gelbbraunen gl�nzenden Gesichter mit den schwarzen str�hnigen Haaren, den blanken �uglein und den breiten M�ulern waren dem Janusch ansprechend und zutrauenerweckend erschienen, die langen d�nnen Schnurrb�rte der M�nner ehrfurchteinfl��end und die R�stung des Chans und seiner Umgebung mit Ringpanzer und rundem Helm, Bogen, Pfeilen und kurzem Feuergewehr gewaltig und k�niglich. Er hatte das wei�e Kamel aus Buchara angestaunt, das ihn hochm�tig �bersah, denn es war ja das wei�e Kamel und es durfte allein den kleinen zweir�derigen Wagen schleppen, der die Heiligt�mer enthielt, den fetten kleinen Buddha aus vergoldetem Holz, die R�ucherf�sser und die Schriftrollen, unter denen der Schamane jetzt zornig hantierte; denn ihm gefiel der Besuch eines friedlichen fremden Mannes nicht, er hielt ihn f�r einen andern Zauberer. Aber auch die gew�hnlichen Kamele waren sehenswert, wie sie geduldig niederknieten und sich mit vorgebogenem Halse die unerh�rten Lasten abnehmen lie�en, — ganze H�user trugen sie an den Seiten ihrer wunderlichen H�cker, �berhaupt, was waren das f�r Tiere? Die Pferde waren zottiger und wilder, die Rinder kleiner und hochbeiniger als zuhause, die Ziegen hatten keine H�rner und die Schafe so fette Schw�nze, — kurz, es war alles, alles anders und doch berauschend, schwindelerregend sch�n, es war kaum ein Unterschied zwischen Mensch und Vieh, alles umdr�ngte, beschn�ffelte und betastete einen, man kam sich gegenseitig nahe, man roch und schmeckte sich und das war es, was Janusch seit Monaten entbehrte, ja, das war es, und so war er jetzt wie betrunken. Er a� Schafk�se und D�rrfleisch und trank gegorene Stutenmilch, er kroch in jedes Zelt hinein, wo auf den Dreif��en frischer Tschipan in flachen eisernen Schalen gebraut wurde, und die blanken Kn�pfe an seinem gr�nen Kamisol verhalfen ihm zu einem billigen Vorrang vor dem mausegrauen George, der hinter ihm herging, sich unbehaglich f�hlte und den Vater herbeisehnte, der endlos mit dem Chan um Waffen und Ledergef��e handelte, ja, dem es sogar gelang, gegen ein Bernsteinkettchen, nach dem es einer schief�ugigen kleinen Dame gel�stete, einer Lieblingstochter des kahlk�pfigen Oberhauptes offenbar, eine Gebetsm�hle einzutauschen, sehr zum �rger des Schamanen, der dem Chan die Verfolgung aller b�sen Geister prophezeite und hinter den G�sten dreinr�ucherte, am liebsten entschieden das ganze Lager abgebrochen und an einem andern unentweihten Ort wieder aufgef�hrt h�tte. — Nein, George hatte eine verschwiegene, aber sehr starke Abneigung gegen alle diese bunten Zauberv�lker, von denen immer neue auftauchten, so da� nach ein paar Tagereisen die St�dte und D�rfer ihr Gesicht wechselten; er liebte es gar nicht, mit dem Vater in die H�tten zu gehen und Gemeinschaft zu haben mit Morduanen, Tschuwaschen und Baschkiren oder wie sie sonst hie�en, er hielt sie in der Tiefe seines Herzens allesamt f�r R�uber, von denen ihm Akim, ein alter Schiffer, mit dem er sich notd�rftig verst�ndigen konnte, mehr durch aufgerissene Augen, emporgehobene H�nde, dumpfe Kehlt�ne und eine Geb�rde, die das Halsabschneiden anschaulich wiedergab, erz�hlt hatte. Er kam sich merkw�rdigerweise am sichersten vor, wenn weit und breit kaum eine menschliche Ansiedlung zu erblicken war, wenn die Strombreite sich bis zum Horizont ausdehnte, rastlos vorw�rts ziehend, das erhabene Antlitz voll der Farbe des Himmels, — wenn ringsum nichts war, als das Rucken der Ruder oder das Knarren des Segelgest�nges, das leise hinstreichende Rauschen und Glucksen am Kiel, der Schrei eines Wasservogels und die schl�frige Unterhaltung der Matrosen. Vielleicht auch ihr Gesang am sp�ten Nachmittag oder an einem Morgen, wenn der Himmel mit seinen Wolkenmassen allzu niedrig �ber der Ebene hing, da� alles so erdr�ckend traurig ward und die Seele sich aufzul�sen suchte, — dann ward in diesem Gesang alles eins, Himmel und Erde, Strom und Mensch, und die sanft bewegte dunkele Linie der Berge war wie eine schwerm�tige Begleitung, wenn die T�ne verschwommen von dort zur�ckkehrten. Da waren die graugr�nen Weiden auf den langen niedrigen Sandinseln, sie spiegelten sich im stillen Wasser und lie�en ihre langen Zweige von der Str�mung mitschleifen; da waren Fischer, die im Wasser wateten, die ihre Netze stellten und ihre H�tten am Ufer hatten, kaum als Menschen empfunden, sondern als eine �u�erung der Landschaft, — da waren die M�ndungen einstr�mender kleiner Fl�sse, von Schilfw�ldern verborgen, schamhaft, wie ein Verschmelzen der Liebe. Da war der Geruch nach Teer und Werg und bittrem Holzrauch, von der feuchten Reinheit des Gew�ssers durchatmet, und zuweilen auch der nach Fischen und faulenden Pflanzen. Das alles war gut, z�rtlich und gelinde, George l�chelte viel ohne eigentlichen Grund, er sa� und besah seine H�nde, sehr kleine H�nde, wie er fand, sie erinnerten ihn irgendwie an Fieken, die Schwester, die doch noch ein Kind war. Und siehe, da fiel es ihm ein, mitten auf der Wolga fiel es ihm ein, da� er ja selbst nur ein Jahr �lter als Fieken sei! Er wunderte sich einen Augenblick, verga� es aber wieder. Dort handelte der Vater mit einem Bord an Bord mit ihnen fahrenden Fischer um W�lshaut zum Schlie�en seiner Weingeistflaschen, in denen er gefangenes Gew�rm aufhob. George mu�te dabei sein, stand daneben, lauschte dem Handel und einem Streit �ber den Goldfisch, die Beschanaja Ryba, — „Verzehre ihn nicht, V�terchen, er macht toll und Gott gnade deiner hohen Familie!“ Ein Fressen f�r die Heiden sei er, die Morduanen und Tschuwaschen, — V�terchen lachte und lie� ihn zum Abend bereiten, fand ihn aber langweilig im Geschmack und zog auf die Dauer Sterlett vor, — George l�chelte tr�umerisch und ging zum Bug zur�ck, wo auch Akim hockte und K�rbe aus Weiden flocht, — da sa� er und wartete, da� die Seele wiederkehrte, der scheue Vogel, der ihn jetzt dauernd umschw�rmte und Wohnung machen wollte, da Formeln und Vokabeln nicht mehr den Platz ausf�llten.

�brigens staunte er manchmal, wenn er sp�terhin den Vater von dieser Reise erz�hlen h�rte; Herr Forster wurde dann ganz dithyrambisch und gab Schilderungen von der Wucht der Gew�sser, von dem Einfluten der Oka und der Kama, — die Rivalinnen der Wolga nannte er diese beiden, — und der �brigen gewaltigen Nebenstr�me, von dem Gewander der Barken und Fl��e, dem Gesumm der wachsenden St�dte, dem �berflu� an Holz in den krachenden Urw�ldern und dem geheimnisvollen, unheimlichen und unersch�pflichen Leben der wilden Tiere und Menschen, von denen beide Ufer �berquollen. Gewissenhaft suchte er dann in seiner Erinnerung und bemerkte, da� er von alledem nichts wu�te. Er erinnerte sich an Akim und an die Fischer und da� er gerne St�rrogen gegessen hatte, obgleich er sich ein wenig davor ekelte. Er erinnerte sich an die Frau des reichen Tataren, den sie in Kasan besucht hatten, wie sie auf dem Divan gesessen hatte, von Goldstickerei, von Ketten und Ringen starrend und durch den Dampf ihrer muschelzarten chinesischen Tasse mit den geschw�rzten Z�hnen zu ihm hin�berl�chelnd. Der Vater hatte ihn aus irgendeinem Grunde hier zur�ckgelassen und war fortgegangen, er hockte klein und bescheiden auf einem Polster neben dem Ofen, in dem ein Feuer brannte, obgleich drau�en warmer Sp�tsommer war. Auch er bekam eine bl�uliche Eierschale voll Tee und ein H�ufchen klebriger S��igkeiten auf einem sch�nen Tischchen vor sich hingestellt, das mit Perlmutter ausgelegt war, aber er sch�mte sich zu essen unter dem L�cheln dieser Frau, die ihre edelsteinbeladenen feisten H�nde nur bewegte, um die Tasse zum Munde zu f�hren und sie dann leer der Dienerin zu reichen, die ebenfalls best�ndig l�chelte, aber doch mehr wie ein wirklicher Mensch. Er wollte vermeiden sie anzusehen, und lie� seine Augen verzweifelt umherwandern, — da war ein wunderlicher bunter Holzkoffer, mit blankem Zierat beschlagen, kupferne Waschbecken, ein Spiegel, ganz wie zu Hause, und auch Nelken und Geranium am Fenster. Dann aber wieder ein Lackschr�nkchen mit goldenen Blumen und V�geln und der Samowar summend und fauchend. Er f�hlte, wie ihm warm wurde, �berm��ig warm, seine H�nde wurden ganz feucht und er h�tte sich gern einmal das Gesicht abgewischt, wenn nur die Tatarin … Nun hatte er doch hin�bergesehen und war t�dlich erschrocken: das Gesicht seiner Wirtin l�ste sich auf, es rieselte ihr von der Stirn, zog Bahnen durch ihre kohlschwarzen Brauen und rosigen Wangen, ja selbst ihr lackroter Mund ward wie verschmiert, wie eine klaffende blutige Wunde. Mein Gott, was war nur geschehen? Sie schwitzte, die Gute, sie schwitzte; sie hatte diesen wohltuenden Ausbruch, der der Zweck ihres Teetrinkens war, aber in diesem Augenblick sa� sie v�llig hilflos da, bis die Dienerin mit dem Tuche zur Hand war, einem Tuche, das schon mehrere Wochen zu diesem Zweck gedient zu haben schien. Alsbald war der Samowar zur Seite geschoben, die Tatarin schnaufte zufrieden und geno� ihren Zustand, immer aufs neue von der l�chelnden Zofe abgetupft, bis die Ergiebigkeit ihrer Poren ersch�pft war. Sodann trat ein K�stchen aus Zinkblech in Erscheinung, das in seinen F�chern vielfarbig leuchtete. Die Tatarin hielt ihr Mondgesicht mit breit verzogenem Munde hin, und nun ward gemalt, gestrichelt und gewischt, immer von dem flinken, behutsamen M�dchen, w�hrend das entstehende Kunstwerk regungslos sa� und nur manchmal aus schmalen Augenschlitzen zu George hin�berblinzelte. Nun vollendet, verharrte es unbeweglich, die rotgef�rbten Fingerspitzen �ber dem stattlichen Leibe aneinander gelegt und ins Leere l�chelnd in dem Bewu�tsein �bergro�er Sch�nheit. George geriet so unter den Bann des Eindrucks, dort dr�ben befinde sich ein Edelsteinschrein, ein Schnitzwerk vielleicht, ein Bild, nur eben kein Mensch, da� er es wagte, die Beine zu bewegen und sich an der Nase zu kratzen, — da sah er, wie die Tatarin die Augen herumw�lzte, und gleich sa� er wieder versteinert. Nun sagte sie auch etwas zu ihm, sagte dreimal den n�mlichen Satz, wobei er sie verzweifelt anstarrte, denn er verstand sie doch nicht, bis sie endlich unzufrieden mit dem Kopf wackelte und verstummte. Dann sagte sie pl�tzlich mit ganz heller Stimme auf Russisch: „Tschaj? Tee?“ und nickte mit schief geneigtem Haupte. Da er diesmal begriff, bejahte er begeistert, um sie zu erfreuen und jedenfalls nicht zu erz�rnen, und sogleich richtete sie einen Strom hastiger Rede gegen die Dienerin, die hinausglitt und mit einem frischen brausenden Samowar wiederkehrte, der alsbald Wasser hervorsprudelte und Dampf spie, w�hrend ein fr�hlingszarter Duft sich im Augenblick des Aufbr�hens aus der Kanne erhob, den das G�tzenbild befriedigt schnuppernd einsog. Und indem das M�dchen mit leisem Klingeln seiner Armreife und Ohrringe hin und her eilte, um die Tassen zu f�llen, — sie trug ein lichtblaues J�ckchen mit Silberstickerei und unter dem engen roten Obergewand weite Pluderhosen, die �ber den Kn�cheln zusammengebunden waren, — indem die Tatarin der hei�en Tasse die Z�hne zeigte, indem George verzweifelt pustete und die Augen nicht von seinem Gegen�ber lie�, kam es mit der Gleichm��igkeit eines b�sen, stets sich wiederholenden Traumes zu demselben Auftritt wie vorhin, einmal, und noch einmal: Teetrinken, Schwitzen und Schminken und dann erst kam endlich der Vater mit dem Tataren zur�ck, — ja, der Vater hatte gut lachen! —

�berhaupt hatte er sich auf dieser Reise oft gef�rchtet, daran erinnerte er sich sp�ter besonders gut und da� er sich gew�hnt hatte, mit der kleinen Pfote �ber den Augen einzuschlafen, wenn er nicht den Kopf ganz im gebogenen Arm vergrub, das stammte von diesen N�chten im Schilf her, in denen immer ein Mann mit geladenem Gewehr wachen mu�te, denn die R�uber entstammten nicht nur Akims Phantasie, sondern die Berge waren voll von ihnen, und die Matrosen bekreuzten sich dankbar, wenn wieder ein Wolok, — eine jener angeschwemmten mit Weidengeb�sch bestandenen Landzungen vor den Einm�ndungen der Fl�sse, — umschifft war, ohne da� dort Geheul und Flintenknattern aus dem Hinterhalt aufgebrochen war. Auch an die deutschen Ansiedlungen, deren Besuch der eigentliche Zweck des ganzen Unternehmens war, erinnerte er sich nur in verschwimmenden Umrissen, und eigentlich nur an jene Frau, die ihm die F��e gewaschen und ihn zu Bett gebracht hatte wie einen m�den kleinen Jungen, gar nicht wie einen „hoffnungsvollen jungen Gelehrten“. Auch daran, da� er da, nach Monaten zum erstenmal wieder in einem richtigen wei�en Bett ruhend, trotz aller Ersch�pfung noch lange wachgelegen hatte, von einem j�hen nagenden Heimweh befallen. Alle diese Erinnerungen aber verbla�ten vor jenem letzten schrecklichen Erlebnis mit dem Janusch.

Sie hatten in der N�he des Kaspi einen Ausflug landeinw�rts gemacht, die Sonne prallte blendend von der grauwei�en Salzrinde der W�ste ab, die Luft war flimmernd hei� und schwer zu atmen wie von Salzl�sung ges�ttigt, der Janusch war m�rrisch und George tieftraurig. Beide stapften sie in finsterem Schweigen hinter dem Vater her, der im Sande grub und Versteinerungen suchte. Akim hatte sie begleitet und nahm die Beute in einen seiner Weidenk�rbe auf, die beiden Erwachsenen der Unternehmung waren somit besch�ftigt und in bester t�tiger Laune, besonders Herr Forster, der fortw�hrend vor sich hinpfiff und Akim durch neckische Fragen zum Kichern brachte. Ein langgestreckter H�gelr�cken erhob sich unter der Menge der Flugsandd�nen wie ein ruhender L�we in einer Herde geduckter Sch�fchen, er hatte felsige Flanken und ein von interessanten Tonschichtungen rotstreifiges Fell, also ging Herr Forster auf ihn los wie ein witternder J�ger und sah sich in keiner Weise nach George um, der hinter einem Flugsandh�gel zur�ckblieb, und zwar weil Janusch sich mit einem Laut verzweifelten Unmutes zu Boden geworfen hatte. „Hunger hat er sich, Durst hat er sich, will er sich nachhause, Janusch, armes Hund!“ schluchzte er schnaubend und krallte seine mageren Finger in die spr�de br�ckelnde Salzkruste. „Is sich furchtbares Land, Wasser, viel zu viel, kein Stall, kein Schwein, kein Garnichts!“ „Wir geben dir doch immer zu essen, Janusch“, sagte George ratlos und nestelte geb�ckt an dem Fr�hst�ckskorb, den der Heulende auf dem R�cken trug, — man mu�te ihn st�rken, — o Gott! — dies war gewi� ein Kollaps der Kr�fte, — Herr Forster bef�rchtete f�r sich selbst dauernd Kollapse der Kr�fte und er�rterte eingehend diese M�glichkeit, — eine Kollation, nicht wahr, �ber dem Spazieren ward man m�de, mu�te anbei�en: „Janusch!“

Aber der Janusch hatte sich hingesetzt und wehrte angeekelt ab, — „nicht so!“ Sein Gesicht war rot gescheuert von salzigem Sand, sein krauses schwarzes Haar best�ubt, wie das einst so stolze gr�ne Kamisol, er zog die Knie an, umschlang sie mit den H�nden und starrte aus seinen grellen Augen trostlos gradeaus in die leere W�ste. „Hat sich Hunger schweinernes von Mutter, hu hu!“ f�gte er dann hinzu, steckte den Kopf zwischen die Knie und gab sich weiter haltlos seinen Gef�hlen hin, die ihm in diesem Augenblick des Zusammenbruches die polnische Sumpfheide mit Mutters H�tte als Paradies erscheinen lie�en. Da waren sie alle zerlumpt und zottelig und um den rauchenden Herd war kein Fleckchen ohne irgendwelchen lieben pers�nlichen Dreck, der sich jahrelang hielt und w�rmte. Da roch es scharf und bei�end nach ranzigem Speck und Fusel, die so gut schmeckten, hintereinander genossen, versteht sich! Ach, f�r eine Weile mochte es gut sein, gekleidet zu gehn wie ein Starost, mit Georgie-Panje Gemeinschaft zu haben, sich allen Schimpfens und aller Stallgewohnheiten zu enthalten und dem gro�en Pan Forster dem�tig zu dienen wie einem lieben Gott in Stulpenstiefel. Aber seinesgleichen waren sie nicht, diese Menschen, die nach gar nichts rochen au�er etwa so zahm und s�� wie der Pan Forster nach Lavendel oder etwas anderem, was nicht zu essen war, — und �brigens roch er nicht einmal selbst so, sondern nur seine Hemden und R�cke. Ach, Hemd und Rock, das hatte mit dem Menschen verwachsen zu sein wie sein eigenes Fell und mu�te ganz durchtr�nkt von der Pers�nlichkeit werden! All diese Gedanken fanden sich nicht etwa in kristallisierter Klarheit in den Hirng�ngen des Janusch vor, aber sie quollen doch wie Lava rebellisch in seinem ganzen K�rper auf und nieder und dr�ngten zum Ausbruch, — denn der Janusch dachte, f�hlte und litt mit seinem B�uchlein und mit seiner Zunge ebensogut als mit dem Herzen und dem Kopf, es ging bei ihm alles einheitlich und verschmolzen vor sich und manchmal hatte er abends geweint, weil er nicht mehr so viel L�use hatte wie fr�her und das Kratzen vor dem Einschlafen doch so angenehm gewesen war. Nicht, da� er sich dessen bewu�t geworden w�re, aber eben: ihm fehlte etwas!

George war aufs tiefste peinlich ber�hrt und empfand es auf einmal deutlich, da� er den Janusch nicht liebte, ja mehr noch, da� der Janusch trotz des sauberen Kamisols nicht aufgeh�rt hatte, ihm widerlich zu sein, wie daheim, seit seinen ersten Lebensjahren. Aber gerade deshalb f�hlte er einen dumpfen Zwang, dem anderen dienen zu m�ssen, und mit schmerzlicher �berwindung beugte er sich nieder, um die zuckenden Schultern des Janusch zu ber�hren, — mein Gott, was sollte er nur sagen, und geschah dem Janusch nicht eigentlich ganz recht? Wer hatte immer mit Pferde�pfeln geschmissen und nicht nur geschmissen, sondern auch getroffen! und das war es doch eigentlich. Und gab es das wohl �berhaupt, Heimweh nach einem Stall, in dem H�hner, Katzen, Schweine und Menschen zusammen hausten? Gleichviel, der Janusch heulte, er sprudelte Fl�ssigkeit von sich in w�tendem Schluchzen, er lie� sich gehen, war menschlich, war arm … Was tat man mit ihm? Wenn nur der Vater …

In diesem Augenblick erzitterte von fernher die Erde, sie wu�ten beide zun�chst nicht, woher die gl�hende Lautlosigkeit der W�ste diesen dumpfen Trommelwirbel nahm, der Luft und Boden ersch�tterte. Janusch war aufgefahren und starrte George an, der seinerseits mit beiden H�nden in die H�he gezuckt war und mit offenem Munde dastand. Er hatte aber keine Zeit weder aufzuschreien noch davonzulaufen, er machte einen m�hseligen Versuch, die n�chste D�ne zu erklettern, blieb jedoch auf halber H�he liegen, �rmel und Schuhe voll Sand. Und da lag er denn und sah. Auf zottigen kleinen Pferden kam ein Reitertrupp herangebraust, von Waffen starrend, die Ringelpanzer in der Sonne gl�nzend, Haarsch�pfe hoch auf dem runden Sch�del scharf abgebunden, im Winde flatternd. Unm�glich, einen einzelnen ins Auge zu fassen, wie die hundertmal wiederholte Erscheinung eines h�llischen Grinsens rasten sie vor�ber auf die Pferdek�pfe geduckt und schnatternde Schreie aussto�end wie ein Zug wilder G�nse. Flimmernder Staub umw�lkte sie, Sand spritzte unter den Hufen. Der letzte ritt in einigem Abstand und um einen Bruchteil langsamer, er war der einzige, der die Knaben bemerkt zu haben schien, denn mit wahnsinniger Geschicklichkeit drehte er sich ohne anzuhalten auf dem Pferder�cken herum, — er ritt ohne Sattel und B�gel —, indem er die eine Hand r�ckw�rts aufstemmte und die lederumwickelten Beine durch die Luft schwang. Er war unbewaffnet, — war er der Hanswurst oder der Koch des kriegerischen Zuges? —, er vollf�hrte ein paar greuliche Faxen mit aufgerissenem Rachen und wildfuchtelnden Armen, um die Knaben zu erschrecken, zu unterhalten … George war wie bet�ubt, wie geblendet, er sah ohne zu sehen, aber der Janusch, um Himmels willen, was kam dem Janusch bei? Mit ausgebreiteten Armen machte er ein paar Schritte, lief er, ja wahrhaftig, da lief er dem Kerl nach und der, mit derselben teuflischen Geschwindigkeit sich wieder im Sitz herumschwingend, machte kehrt und kam zur�ckgeflogen, wie das schlagende Wetter. Ein Niederbeugen im Fluge, ein gellender Raubvogelschrei, und da sa� der Janusch vor dem Kalm�cken, die Arme um den Pferdehals geworfen und noch einen Blick zu George sendend, in dem Gott wei� was lag, Angst jedenfalls, aber auch Triumph ohne Grenzen, und George fragte sich sp�ter immer wieder, ob es wohl m�glich sei, da� der Janusch in jenem Augenblick, als sein Schicksalsfaden wie rasend abrollte, imstande gewesen war, ihm die Zunge herauszustrecken, — oder ob das eine Augent�uschung seinerseits war, hervorgerufen durch die Gew�hnung an gewisse Eindr�cke, ausgehend vom Mienenspiel des lieben Janusch?

Hierzu ist nur zu bemerken, da� es nicht gelang, dieses Bedienten ohnegleichen wieder habhaft zu werden, und da�, wie schon gesagt, dieses Erlebnis das letzte deutlich umrissene in Georges Erinnerung an die Wolgareise blieb. —

Der andere Knabe war in die Uniform irgendeiner milit�rischen Erziehungsanstalt gekleidet, einen knapp sitzenden blauen Frack mit sp�rlichen Silberkn�pfen; er hatte den schwarzen Dreispitz unter dem rechten Arm und die linke Hand am Knauf des Degens, der fast wagrecht von seiner H�fte abstand. Er trug zwischen den mit Eiwei�kleister haltbar gemachten und dick �berpuderten Haarrollen an den Schl�fen ein ungeheuer gelangweiltes Gesicht zur Schau, ver�nderte es aber aufs liebensw�rdigste, sobald der Blick einer Dame ihn traf, etwa gar das hurtig wandernde Auge seiner gn�digen Tante, der F�rstin Daschkow, der geistvollen jungen Staatsdame Katharinas, die ihn, den bedauernswerten Michail Grigorjewitsch, zu dieser nichts weniger als gl�nzenden Soiree bei Hofe mitgenommen hatte. Er hatte gehofft, Hofgesellschaft anzutreffen, — nun, etwa den „engeren Kreis“, — und Stoff zur Unterhaltung der Kameraden zu sammeln wie eine Honigbiene. Und nun war hier, in den S�len der Eremitage, fast die gesamte Akademie versammelt, lauter greise M�nnerchen mit geb�ckten Schultern und die H�nde auf dem R�cken, wie er entr�stet in Bausch und Bogen feststellen zu m�ssen glaubte, obgleich eigentlich nur der D. Pallas, der dort dr�ben mit dem riesigen Deutschen plauderte, diese Haltung innehielt, und — freilich, dies war l�cherlich, — neben ihm das Wunderkind, der Sohn des Deutschen, in einem Ableger von seines Vaters mausegrauen Rock gekleidet und mit Str�mpfen, die �ber den Kn�cheln Falten schlugen, das stand auch so da und guckte von unten schief zu dem gro�en Pallas hinauf, der es k�rperlich �brigens kaum �berragte. Die Kaiserin war nicht mehr anwesend. Sie hatte der Versammlung ihre Gegenwart nicht viel l�nger als eine Viertelstunde geg�nnt, und hatte den Eindruck hinterlassen, da� man sie gelangweilt habe, weshalb eine Art von Schuldbewu�tsein die Stimmung der Gesellschaft dr�ckte. —

George sah indessen nicht so sehr auf die farblosen Lippen des Kollegienrates, als da� er mit einem Ausdruck verlegener Sehnsucht zu dem anderen Knaben hin�berschielte, dessen Blick er sp�rte, den er aber um nichts in der Welt anzureden gewagt h�tte. Er hatte ihn entdeckt, sobald er den Saal betreten hatte, und war sofort von der Hoffnung befallen worden, der Vater m�chte sich mit ihm still und bescheiden an die Wand stellen, — eben neben jenen Knaben, — denn die Gesellschaft d�nkte ihn gl�nzend, gro�artig und furchteinfl��end, so sehr verwechselte er den Eindruck des durch hunderte von Kerzen erleuchteten sechseckigen Spiegelsaales mit dem der sich darin bewegenden Menschen. Einzig Simon Kotelnikow, der Oberbibliothekar, trug einen ponceauroten Scho�rock und eine reichgelockte Staatsper�cke und nahm sich zwischen seinen Kollegen aus gleich einem Paradiesvogel unter einem Kr�henvolk, wie er so umherwippte und �berall gastfrei den Deckel seiner goldenen Dose aufspringen lie�, der Katharinas Bildnis en miniature zeigte. B�se Zungen behaupteten, er sei einzig deshalb so freigebig, um das Gespr�ch auf diese Dose, ein Geschenk der Kaiserin, zu bringen. In Wirklichkeit war Kotelnikow dem Schnupftabak derma�en ergeben, da� er in der Stunde nicht weniger als sechs Prisen brauchte, — „um den Olymp zu entw�lken“ meinte er, auf seine gew�lbte, von feinen Falten liniierte Stirn weisend, — deswegen hielt er in Gesellschaft seine Dose f�r jedermann offen und bediente sich selbst wie aus Zerstreutheit zu gleicher Zeit. Er besa� au�er dem Ehrgeiz, Voltaire zu �hneln, keine Eitelkeit, und sein h��lich-slavisches braunes Gesicht mit der eingedr�ckten Nase und den funkelnden braunen �uglein gab ihm ein gewisses Anrecht darauf. Aber eine ganz hoffnungslose G�te, die unausrottbar in seinem Herzen wurzelte, zerst�rte immer von neuem seine Versuche, dem gro�en Vorbild an spielender Bosheit �hnlich zu werden, so sehr er auch dagegen anw�tete und sich selbst den B�sen vormimte.

„Der zw�lfj�hrige Jesus im Tempel“, sagte er eben mit dem verzweifelten Versuch zu einer Blasphemie, die ihm selbst so widerstrebte, da� sich sein ledernes Gesicht v�llig verzerrte und es ihm in der Hand zuckte, sich zu bekreuzen, welche Regung er, ma�los �ber sich selbst erschrocken, noch rechtzeitig unterdr�ckte, indem er dem jungen Forster die Hand auf die Schulter legte.

„Welcher Stolz mag das Herz eines Vaters im Besitz eines solchen Sohnes schwellen!“ fuhr er fort und hielt die ge�ffnete Dose ins Leere. „In der Tat, Monsieur Forster,“ sagte er mit fieberhafter Eindringlichkeit zu Georges Vater aufblickend wie eine alte verliebte Frau, „Ihr Sohn hat uns mit seinem Bericht �ber das Biberdorf in der Woloschka bei Fedorowka alle besch�mt, uns Veteranen der Wissenschaft, ist es nicht so — he, Pallas?“ fragte er, mit der Dose den Kollegen bedrohend, der gelangweilt eine halbe Schwenkung von ihm weg machte und sein Gespr�ch mit Forster �ber die V�lker l�ngs der Wolga fortsetzte. „Sie werden mich besuchen, V�terchen!“ brach es nun unbezwinglich aus Kotelnikow hervor und er umarmte George fast, „ich bin nur ein alter Mann, aber ich besitze doch einiges, was Ihr Herz erheitern m�chte. Wie, sollten Sie nicht meinen Sekret�r mit Musik zu sehen w�nschen oder meinen zahmen Papagoyen? Er stammt aus Surinam und ist ein Geschenk von Madame Merian, meiner gelehrten und ber�hmten Freundin. Sie studiert speziell die Insekten und malt und zeichnet sie samt den Bl�ttern und Pflanzen, die sie zum Aufenthalt bevorzugen, Sie werden diese kleinen Meisterwerke im Museum der Akademie vorfinden. — Ich, mein Freund,“ setzte er hinzu, fa�te George vertraulich unter den Arm und zog ihn mit sich fort, „ich finde unter uns gesagt mehr Geschmack an den sch�nen K�nsten als an der unverarbeiteten Natur. Aber lassen Sie das hier nicht laut werden, alles, was Sie hier an Kapazit�ten vereinigt sehen, huldigt den Naturwissenschaften und der Mathematik, wie ich ja selbst zur Mathematikklasse geh�re, — aber passons �i-devant! Sehen Sie, dort dr�ben, der Wohlbeleibte im blauen Frack ist mein Kollege �pinus, — er hat den Annenorden, Pallas und Euler sind Ritter des Wlodomirordens. � propos, h�ren Sie ein Epigramm von mir, es ist allerliebst, ich mu� es sagen (es ist deutsch, des gro�en Lessing w�rdig):

Zerbrach auch l�ngst die Marmors�ule,

Drauf Pallas stand mit ihrer Eule:

Hier ist sie wieder aufgebaut,

Wo Pallas seinem Euler traut.“

Er kicherte hastig, geriet ins H�steln und klopfte dem verlegenen George auf den Handr�cken. „Die beiden k�nnen sich n�mlich gegenseitig nicht ausstehen!“ r�chelte er ihm noch ins Ohr und verlie� ihn, pl�tzlich auf den Spieltisch zut�nzelnd, an dem die F�rstin Daschkow mit dem Astronomen Rumowski und dem Franzosen St. Pierre Platz genommen hatte. George sah sich auf einmal v�llig allein dem Glanz der Spiegel, der kristallbeh�ngten Kronleuchter und des eisblanken Parketts ausgesetzt, etwas wie Platzangst l�hmte ihn und er wagte keinen Schritt zu tun. Au�erdem kam er sich durch Kotelnikows Vertraulichkeiten ebenso wie durch dessen pl�tzliches Vonihmablassen vor dem anderen Knaben blo�gestellt vor und blickte ungl�cklich hin�ber, ob dieser ihn wohl beachtet habe. Er sah ihn noch immer in der gleichen Stellung vor dem �berlebensgro�en Bilde eines Generals mit der Allongeper�cke, der auf einem hochgeb�umten Pferde sa�, stehen, als sei er dort zur Ehrenwache bestellt, die Linke am Degenknauf, die Nase keck und gelangweilt zugleich in die Luft gestreckt. Aber obgleich er George nicht zu beachten schien, ging mit einem Mal ein Ruck durch seine Glieder, er kam mit etwas steifen abgemessenen Schritten auf ihn zu und blieb vor ihm stehen.

„Mein Herr,“ sagte er auf Franz�sisch, „Sie kommen aus Deutschland: haben Sie den K�nig von Preu�en gesehen?“

George f�hlte all sein Blut zum Herzen schie�en und seine Knie wankten.

„Nein, mein Herr!“ stammelte er und hatte hierauf noch eine Sekunde das Gl�ck, die bla�blauen Augen Michail Grigorjewitschs aus n�chster N�he mit dem Ausdruck mitleidiger Verachtung auf sich gerichtet zu sehen. Hierauf wandte sich dieser junge Mann schweigend ab und schritt zu seinem Standort zur�ck, w�hrend von der anderen Seite gl�cklicherweise der Vater nahte, um George nach einigen Abschiedszeremonien mit sich fortzunehmen.

In den Tagen nach dieser Soiree in der Eremitage war der Vater auffallend schlechter Laune, was sich, wie immer, darin �u�erte, da� er nicht mehr als das Notwendigste sprach und sehr majest�tisch und vorwurfsvoll aussah. Ohne weitere Erkl�rungen abzugeben, entlie� er den Lohnlakaien und fand den Mietskutscher ab, welche beiden er sich seit der R�ckkehr nach St. Petersburg als unentbehrlich f�r die Gewohnheiten eleganter Reisender gehalten hatte, ebenso wechselte er den teuren Friseur vom Newski-Prospekt mit einem Biedermann, der in Gostinnoi dwor, dem gro�en Bazar, eine Badestube f�r jedermann hielt. Schlie�lich, was das Einschneidendste war, er befahl George die Koffer zu packen, und im Umsehen vollzog sich eine �bersiedlung aus dem Demuth’schen Gasthof in der N�he des Winterpalastes zu der Witwe Olga Nikolajewna Demidow, die im Wiborgschen Stadtteil ein h�lzernes H�uschen besa� und den ganzen Tag �ber billige Tr�nen dar�ber vergo�, da� Fremde in den Federbetten des seligen Fedor Wassiliewitsch lagen, — aber was tat sie nicht dem Kollegienrat Stephan Rumowski zuliebe, ihrem Freunde, der sie �berredet hatte, diese Deutschen ins Haus zu nehmen?

Indessen war ein fabelhafter Winter hereingebrochen und lag �ber der Stadt, den wollig wei�en Bauch auf den Boden gepre�t wie ein ungeheures Polartier. Er war eisblau und rauchig, er hatte sich in die Erde gefressen, hielt st�rrisch stand, er wich und wankte nicht. Ganze W�lder gingen in Flammen auf, um ihn aus den H�usern zu vertreiben, und die russischen �fen waren die einzigen wahren Freunde in der kalten fremden Stadt. George w�rmte seine H�nde an den Kacheln, ehe er sich morgens an sein m�hseliges Tagewerk setzte, denn er �bertrug ein deutsches Werk �ber Pflanzenkunde ins Franz�sische und sa� geb�ckt �ber Papier und W�rterb�chern, nur zuweilen aufstehend, um den Samowar zu bedienen, den anderen Freund, der unersch�pflich belebenden Tee spendete. Der Vater hatte sich angew�hnt, ihn nach russischer Art kochend hei� zu trinken, Tee und Tabak, die waren es, die ihn aufrecht hielten, w�hrend er George gegen�ber �chzend an seinem Gesetzentwurf f�r die deutschen Wolgakolonien arbeitete. Dieses Werk hatte die Regierung von ihm gefordert, nachdem er zwei Monate lang in den Vorzimmern aller Gro�en herumgesessen hatte, um seines, wie er meinte, mehr als wohlverdienten Lohnes f�r die in einer Denkschrift niedergelegten Reisebeobachtungen teilhaftig zu werden.

„Als ob ich mich ihnen an den Hals geworfen h�tte!“ schnaubte er zwischendurch seinem Sohne zornig zu, und verga� v�llig, wie angelegentlich er seinerzeit in Danzig Herrn von Rehbinder hofiert hatte, verga� auch, da� nach den leider nicht vertragsm��ig festgelegten Abmachungen ein Teil seiner Belohnung in den Reisekosten bestanden hatte, — oder vielmehr, er verga� dies nicht, redete sich aber nachdr�cklichst ein, da� nat�rlich der gr��ere Teil des ihm Zukommenden noch ausstehe. Ha, wenn es ihm nur gelingen wollte, bis zu Ihrer Kaiserlichen Majest�t durchzudringen, aber da war ja ein Ring, eine Kette war um sie hergezogen und niemals erfuhr sie vielleicht, da� der unsch�tzbare Forster, den sie doch selbst herangezogen hatte, — nun, hatte sie etwa nicht? — „George, sage es selbst!“ — da� dieser Mann in ihrer N�he darbte, — „ja, n�chstens darben wir, George!“ — weil ihm „das ihm Zukommende“ vorenthalten wurde.

Tatsache war, da� Graf Grigori Orloff, von Gardener unaufh�rlich �berlaufen, eines Tages naser�mpfend, da er alle wissenschaftlichen Unternehmungen Katharinas gr�ndlich verachtete, zur F�rstin Daschkow gesagt hatte: „Dieser Deutsche redet so viel von seinen Verdiensten um die Krone, — worin bestehen sie eigentlich?“ Worauf die gelehrte Dame, ebenfalls naser�mpfend, denn sie ihrerseits verachtete wiederum gr�ndlich die Liebhaberei der Kaiserin f�r so sch�ne dumme Tiere, wie der Graf eins war, erwidert hatte: „Jedenfalls nicht in Bestrebungen, dieser Krone Erben zu sichern!“ Und mit dieser so spitzen und beinahe schnippischen Antwort war die Angelegenheit Forsters zwischen dem damaligen G�nstling Katharinas und der zuk�nftigen Pr�sidentin der russischen Akademie abgetan worden, so da� freilich keine Hoffnung mehr bestand, die Kaiserin k�nnte gerade �ber diesen ihren wertvollen deutschen Diener unterrichtet werden. Denn da die Aussendung Herrn Forsters ins Wolgagebiet ganz mit Umgehung der Akademie vor sich gegangen war, hatte auch diese vortreffliche Anstalt eine Neigung, seine Leistungen so einzusch�tzen wie eben die Liebhaberarbeiten eines Privatmannes, und das war’s, was Herrn Forster an jenem Abend klar geworden war.

Er war ungeheuer emp�rt und George trug dies in Demut, ohne ganz zu begreifen, er nahm die Stimmung des Vaters, die sich immer wieder prasselnd entlud, hin wie ein Schicksal und gedachte der Tage auf der Wolga wie eines himmlischen Zufalls. Ja, schon in diesen Jahren legte er den Grund zu der Anschauung, da� das Ungl�ck der nat�rliche Zustand des Menschen sei, Gl�ck aber beinahe gleichbedeutend mit Unrecht. Mit dieser Auffassung befand er sich im ausgesprochensten Gegensatz zu seinem Erzeuger, der von Anbeginn an mit dem Leben schmollte, wenn es ihm sein Behagen, seine Speckseiten, mit einem Wort: „das ihm Zukommende“ vorenthielt, — hatte er es aber, so bediente er sich seiner mit der kindlichsten Selbstverst�ndlichkeit, denn jetzt tat der liebe Gott ja nicht mehr, als er schuldig war.

War nun in m�hseliger Arbeit das k�rgliche Tageslicht ersch�pft, gegen drei Uhr nachmittags also, so begann der Vater auf seinem Sessel unruhig zu werden und langsamer zu schreiben, er blickte aus dem Fenster zum Himmel, der sich �ber dem stumpfblauen Wei� der D�cher golden und rosig zu f�rben begann, und pl�tzlich stand er auf und begann sehr eilfertig seine �u�ere Erscheinung zu versch�nern, wozu George schon am fr�hen Morgen das Notwendige bereit gelegt hatte, vor allem die apfelgr�ne Scho�weste aus Seidensamt mit den Kn�pfen aus Bergkristall, die der Vater neulich in dem gro�en englischen Bazar der Br�der Hawksford erstanden hatte, nachdem er wohl eine Stunde lang die zw�lf S�le dieses Wunderhauses durchkreist hatte und immer wieder vor der Weste gelandet war, bis er endlich entschlossen sagte: „George, dein Urgro�vater war Engl�nder!“ Und hiermit waren die letzten Bedenken, sich f�r acht Rubel zum Besitzer dieses k�stlichen Kleidungsst�ckes zu machen, �berwunden gewesen. —

So wei�gepudert und rosig von Angesicht leuchtete er �ber schneewei�em Jabot und gr�ner Weste, wie der leibhaftige Fr�hling von Yorkshire, und glich in nichts einem preu�ischen Prediger, was auch sein Ehrgeiz nicht war. �brigens hatte man sich selbstverst�ndlich auch mit Pelzwerk und den riesigen russischen �berschuhen versehen m�ssen, und so ausger�stet betrat man alsbald die Stra�e, der Vater neugierig, vergn�gungss�chtig und hungrig wie eine gro�e st�rmische Dogge, die vor lauter Lebens�berschu� tobt und bellt, George hinterdrein wie ein verfrorenes Pinscherchen, das nur ausgeht, weil es mu�. Obgleich er den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen hatte, als des Morgens zum Tee einen Kalatsch, eine dieser z�hen russischen Semmeln, war er sich seines Hungers doch nicht bewu�t, sondern nur einer allgemeinen grausamen Ersch�pfung, einer Sehnsucht nach dem warmen Bett und eines flauen Geschmackes im Munde. Die K�lte machte ihm den Atem stocken und legte sich mit Klammern um seine Brust; H�nde und F��e erstarrten, die Augen tr�nten ihm und halbblind stolperte er hinter dem Vater drein, der gewaltig ausschritt, vom wei�en Gew�lk seines Atems pr�chtig umwallt, im Siebenkragenpelz wie ein wandelnder Berg. Sa�en sie dann gl�cklich in der sauren W�rme einer Gark�che dem Ofen m�glichst nahe und die H�nde um das dampfende Teeglas gelegt, das sofort vor jeden Gast hingestellt wurde, so wurde es ja etwas besser, langsam, ganz langsam kam dann auch ein wenig Appetit �ber ihn, er leckte wie ein K�tzchen seine Schale mit Kascha aus und knusperte seine Pirogge, mit leiser Spannung auf ihren Inhalt bedacht und entt�uscht, wenn das Fisch war. Der Vater war sich wohl bewu�t, da� es eigentlich unter seinem Stande war, zu einem Trakteur zu gehen, aber sein Hunger war gr��er als sein Standesgef�hl, und ehe er in einen Gasthof ging, wo es f�r schweres Geld doch nicht satt zu essen gab, zog er mit dem Knaben lieber von einem fliegenden H�ndler zum andern, um an jeder Stra�enecke etwas zu sich zu nehmen und dabei der Unterhaltung mit dem Volk zu pflegen, was er liebte, George aber f�rchtete, denn er argw�hnte nicht ohne Grund, da� das Volk sich �ber das deutsche V�terchen belustigte und ihm mehr Geld abnahm, als sich mit der Rechtlichkeit vertrug. „Ein solches Leben, mein Sohn, l��t sich nur nach den strengsten Grunds�tzen der �konomie f�hren“, sagte Forster jedoch nach derartigen Mahlzeiten befriedigt zu seinem Sohn und schlug den Weg zur Newa ein, um dem letzten Tagesschein noch eine Wenigkeit Am�sement abzugewinnen. Hier spielte das dicke Wintertier Fangball mit seinen Russen und der ganze breite ebene Raum der erstarrten Flu�fl�che zwischen Wassili Ostrow und dem Wiborgschen Stadtteil war eine einzige gro�e Kinderstube voller Geschrei und Get�mmel. Da gab es Eisberge mit Rutschbahnen, die auf flachen kleinen Schlitten hinunterzusausen Herrn Forsters Wonne, aber Georges Schrecken war, da veranstalteten die Schafpelze, die Bauernkutscher, die lustigen schmierigen Iwanuschki, die den Winter �ber in „Piter“ ihr pr�chtiges Auskommen fanden, Wettrennen auf der spiegelebenen, schneest�ubenden Bahn, andere spielten Fu�ball, rangen und boxten und aus den Bretterbuden der Kabacken stieg unaufh�rlich der sch�ne bl�uliche Holzrauch, jedem Ersch�pften W�rme, Tee und ein Sch�lchen verhei�end. Dazwischen, auf den mit Tannenzweigen abgesteckten Verkehrswegen w�lzte sich das Leben der wimmelnden Stadt schellenklirrend und gesch�ftig her�ber und hin�ber, w�hrend hinter der Kuppel der Isaakskirche der Tag verlohte und hier unten die Pechpfannen und Fackeln aufgl�hten, sich im Nebel mit zitternden Kreisen wechselnden Lichtes umgebend. Es war allenthalben eine Herzlichkeit sondergleichen, man war z�rtlich f�r einander besorgt und rieb sich die Nasen mit Schnee, auch wenn es noch gar nicht n�tig war, die K�lte zauberte Kr�fte hervor, die K�lte machte betrunken und selig, weil man selbst so von innerer W�rme strotzte, die K�lte, kurz, war die eigentliche Mutter der Petersburger, sie s�ugte sie mit Tee und Schnaps und machte sie wieder zu Kindern. Hier war Reinhold Forster in seinem Element, sein gro�es Lachen dr�hnte hinter den Iwanuschki her, die ihre Pferdchen peitschten und anschrieen, und mit ihm lachte behaglich das Volk, da� ihm die B�rte wackelten. Es mu�te wohl alles so sein, dachte George, der von einem Fu� auf den andern trat, weinerlich vor K�lte und m�hselig schn�ffelnd. Aber, mein Gott, wie sehr zog er es vor, den Abend in der Studierstube eines Freundes zu verbringen, etwa bei dem gelehrten und g�tigen Pallas, wo der Vater disputierend doch auch gl�cklich war, und wo man ihn, der hinter dem Ofen auf einem Schemel hockte, verga�, so da� er im Halbschlummer sonderbare Traumreisen in die sommerlichen Wolgagefilde oder in den Lichtkreis von Mutters Kerze antrat, die jetzt doch auch brannte, fern, irgendwo, wo er vor hundert Jahren einmal im Paradiese gewesen war.

Im Fr�hjahr, hie� es immer, — und: wenn das Eis bricht, — und schlie�lich: wenn die Gesch�fte abgewickelt sind … dann, ja dann w�rde die Heimreise angetreten werden. Was freilich dann begonnen werden sollte, dar�ber gr�belte der Knabe manchmal vergeblich nach, denn es beunruhigten ihn unklare Ahnungen von der Gef�hrdung ihrer Existenz und ein instinktiver Zweifel an seinem so pr�chtigen Vater, den er jedesmal, wenn er sich bemerkbar machte, erschrocken wieder ins Unterbewu�tsein hinabstie�, von seiner S�ndigkeit �berzeugt. In einem der sp�rlichen Briefe, die von der Mutter kamen, hatte gestanden, da� sie schon im Herbst gen�tigt worden war, die Pfarre einem neuen Prediger zu r�umen, da von obrigkeitlicher Seite auf den im Auslande s�umenden Herrn Forster verzichtet wurde. Der Vater hatte sofort gerufen, da� er dies nicht anders erwartet habe, da� es aber trotzdem eine Infamie sei und da� er mit den Herren schon abrechnen werde, — schon abrechnen … Jedoch lie� sich einstweilen nichts daran �ndern, da� die Mutter mit den f�nf Kindern bei Verwandten in Danzig Wohnung nehmen mu�te und da� diese Tatsache zusammen mit der unsicheren Zukunft Herrn Forster gelegentlich beunruhigte, wie ein kranker Zahn, der doch einmal weh tun k�nnte. In solchen Tagen lie� er sein unterirdisch arbeitendes Pflichtgef�hl, — eine l�stige, — eine h�chst l�stige Krankheitserscheinung, — an George aus, es hagelte Wiederholungen auf allen Gebieten des Wissens und der Himmel ward zum Zeugen angerufen, da� es nicht seine, des ungl�cklichen Vaters, Schuld sei, wenn die Bildung des Knaben l�ckenhaft bleibe. War es nicht der Himmel, so war es Herr Dilthey, der deutsche reformierte Prediger, den man Forster als Beirat bei seiner Arbeit zugeteilt hatte, — auch so eine Kabale, zweifelte man an seinen F�higkeiten?! — und Herr Dilthey, ein p�nktlicher Herr im schwarzen Habit und kein Freund von Extravaganzen, der in diesem vagabondierenden Amtsbruder einen Hohn auf die W�rde des Standes sah, bemerkte gelangweilt:

„Wir haben hier Schulen, Verehrtester, bedienen Sie sich derselben!“ worauf Forster ihn mit einem schiefen Blick ansah und in m�rrisches Schweigen versank, denn er hatte nun einmal den Ehrgeiz, den Quell von Georges Bildung aus der Brunnenstube des eigenen Wissens zu speisen, — zudem kosteten Schulen Geld. Indes, um vor den Augen dieses Dilthey zu bestehen, entschlo� er sich in den n�chsten Tagen zu entscheidenden Schritten, und seiner Beredsamkeit an gewissen Stellen gelang es diesmal wirklich, im Gymnasium der Akademie wenigstens einen halben Freiplatz zu erlangen. So geschah es, da� George, zw�lfj�hrig, in den drei ersten Monaten des Jahres 1767, zum erstenmal in seinem Leben eine Schule besuchte. Dort verh�hnte man ihn um seiner Aussprache des Russischen willen, man versteckte seine B�cher und verdarb seine Federn, man malte mit Kreide abscheuliche Dinge auf den R�cken seines mausegrauen Rockes und nannte ihn „Kr�henfresser“, weil er unvorsichtigerweise einmal erz�hlt hatte, daheim habe der Vater manchmal Kr�hen geschossen und dieselben schmeckten gebraten nicht �bel. Trotz alledem war er in dieser Zeit oft sehr gl�cklich, denn er hatte eine heimliche zitternde Neigung zu einem viel �lteren Knaben, einem gro�en, faulen Schlingel, der sich von ihm den Horaz �bersetzen und ihm daf�r gelegentlich einen l�ssigen Schutz angedeihen lie�. Dieser Immanuel Oberhof, eines deutschen Kaufmanns Sohn, erinnerte ihn so stark an den Kadetten, den er bei der F�rstin Daschkow gesehen hatte, da� er der unausgesprochenen �berzeugung war, es tats�chlich mit diesem zu tun zu haben, und das Gespr�ch immer wieder auf den K�nig von Preu�en brachte, in der Hoffnung, sich hierdurch interessant zu erweisen. —

Die Butterwoche des Karnevals vor den Fasten war noch ein H�hepunkt in Reinhold Forsters Petersburger Aufenthalt. Er hatte seine Arbeit beendet, sie war in den H�nden des Grafen Orloff und somit seiner Ansicht nach auf dem besten Wege zur Kaiserin selber, der er in der n�chsten Zeit vorgestellt zu werden hoffte. Er dankte nunmehr Herrn Dilthey ab, der nachgerade anfing, ihm �berl�stig zu werden, das hei�t, er verabschiedete sich mit einer feierlichen Vormittagsvisite von diesem zugekn�pften Herrn, der dies mit gehaltener Verwunderung entgegennahm und behutsam anfragte, ob Monsieur Forster denn glaube, seine Angelegenheit w�rde sich nun mit Geschwindigkeit abwickeln? Warum sie das nicht solle? fragte Herr Forster streitbar zur�ck. Er hatte zu der apfelgr�nen Weste einen neuen pfirsichfarbenen Rock an, angeschafft f�r sein Erscheinen vor Ihrer Majest�t, jetzt aber einzig mit der Absicht angelegt, Herrn Dilthey zu �rgern. „Warum also nicht?“ wiederholte er angelegentlichst und richtete seine Augen mit der unschuldigen Selbstzufriedenheit eines ges�ttigten S�uglings auf sein verkniffenes Gegen�ber, wobei er die gesunden roten Backen unmerklich ein wenig aufblies. Herr Dilthey lie� einen mitleidigen Blick von ihm zu George gleiten und begn�gte sich damit „Mon Dieu!“ zu sagen. Der Ton aber, in dem dies geschah, war geeignet, den Gast zu verstimmen. Er brach denn auch bald auf und war, kaum war die Haust�r hinter ihnen zugefallen, im Begriff, sich seiner Meinung �ber diesen kn�chernen Gesellen George gegen�ber gr�ndlich zu ent�u�ern, als er fast zusammenstie� mit einem — nun mit einem Subjekt, — einem Subjekt in einem abgeschabten Schafpelz, das sich dem�tig beiseite dr�ckte, als Herr Forster auf deutsch fluchte, dann aber standhielt, als der Fluch �berging in die verwunderte Begr��ung: „Der Kuckuck, — Betzel! — Er ist das?!“

In der Tat war es der ehemalige Reisegef�hrte, der da vor ihnen stand wie der Schatten seines einstigen Selbst, und Forster wiegte mitf�hlend sein Haupt, indem er leise mit der Zunge schnalzte, als er diese Erscheinung musterte, die im Vergleich mit ihrer fr�heren Gedunsenheit jetzt wie ein Gummiball aussah, der ein Loch bekommen hat. Betzel lachte ein wenig krampfhaft und gab an, zu dem Ehrw�rdigen Dilthey zu wollen, in der Hoffnung, durch dessen Vermittlung eine Stelle zu finden, denn seine Projekte seien fehlgeschlagen, jawohl, es sei nichts mit jenem aus Hammelfett destillierten �le, und er s�he ja selbst ein … Er f�hrte nicht des n�heren aus, was er eins�he, aber er stand so ungemein bescheiden und kummervoll vor dem pr�chtigen Forster, da� George vor peinlicher Besch�mung nicht aufzusehen wagte. Indessen lachte der Vater �berlaut und drehte Gotthold Betzel um, ihn unter dem Arm ergreifend und mit sich fortziehend. Jetzt werde man erst einmal miteinander fr�hst�cken, dann sei es immer noch Zeit, Schritte zu tun, wenn denn Schritte n�tig waren. Der Tag verlief hierauf auf das fettste und lustigste, und nachdem Gotthold Betzel etliche Sch�lchen zu sich genommen hatte, war er ganz der Alte, und Forster belustigte sich damit, seine Bierbankprahlereien immer h�her zu schrauben und neue Projekte aus ihm hervorzulocken, kurz, er spielte ganz den gro�en Herrn, dem sein gutes Geld es gestattet, einen Hanswurst zu halten, und George sa� daneben, bald ihn, bald Betzel anstarrend wie ein b�ses teuflisches Schauspiel. Ihm war weinerlich zumute, er h�tte nicht sagen k�nnen warum, doch sp�rte er wohl mit unendlich viel zarteren Nerven als der Vater, da� der Strudel sie schon erfa�t hatte, da� der Wirbel sie mitri� und der Abgrund an ihnen saugte. — — —

Herr Forster begann nicht zu trinken, obgleich er es hundertmal die Woche verschwor, er schlug George auch nicht mehr als sonst, — das Erlebnis wachsender Hoffnungslosigkeit und steigender Verzweiflung war zu neu f�r ihn, als da� er sogleich die Stellung herausgefunden h�tte, die er dem gegen�ber einzunehmen hatte. Aber es fiel so allm�hlich alles von ihm ab, sein ganzes gehaltvolles Auftreten sank in sich selbst zusammen, es war, als drehte ihm eine unsichtbare Hand die R�ckenwirbel einzeln heraus. Ende Februar hatte er noch die Kraft, in seinen vier W�nden gewaltig zu toben, und dann, gleichsam mit Entr�stung vollgepumpt, st�rzte er zum Grafen Orloff, um in dessen Vorzimmer die sch�ne angesammelte Spannkraft in stundenlangem Warten langsam entweichen zu f�hlen. W�rde man ihn etwa wieder nicht vorlassen?

George hatte es sich angew�hnt, mit zur Schau getragenem fieberhaften Eifer zu arbeiten, wenn der Vater von diesen G�ngen heimkehrte, manchmal lag er auch schon im Bett und schien zu schlafen, denn nichts f�rchtete er so, wie des Vaters leeren Blick, in dem eine Ratlosigkeit sondergleichen stand. Ebenso schrecklich empfand er das ver�nderte Wesen des Gestrengen, das auf einmal gleichweit entfernt von aller l�rmenden Anma�ung wie von jener pausbackigen Lustigkeit war, die etwas Kindliches an sich hatte und seinen Anspr�chen den Schein von Selbstverst�ndlichkeit gab. George f�hlte, da� er einen sanften Vater, der um seine Stiefel bat und f�r kleine Dienste dankte, weniger ertragen konnte als den alten K�nig Minos. Da der Vater nun g�nzlich aufgeh�rt hatte, zu arbeiten, aber dennoch eine geheimnisvolle Gesch�ftigkeit mit Briefschreiben und Ausg�ngen, auf denen George nicht mitgenommen wurde, an den Tag legte, schlo� er mit Recht auf den bevorstehenden Aufbruch und lauschte den emp�rten Klagen des Vaters �ber den Grafen Orloff zwar mit dem�tig entr�stetem Gesicht und indem er bisweilen ein zorniges dumpfes: „O!“ hervorstie�, war aber tief innerlichst �berzeugt, da�, je �rger es dieser Graf treibe, ihre Abreise desto n�her bevorst�nde, — hatte ihm nicht der Vater schon ein letztes Wort, — „ein unwiderruflich letztes, George!“ sagen lassen, n�mlich er w�nsche noch vor Ablauf des April in seine Heimat zur�ckzukehren, und nicht nur das, er hatte das Spiel so weit getrieben, die Anzeige seiner bevorstehenden Ausreise in die Petersburger Bl�tter einr�cken zu lassen, wie es jeder Fremde gehalten war, dreimal zu tun, ehe er der Residenz den R�cken drehte, damit die Herren Gl�ubiger nicht um ihr Recht k�men. Ja, er spielte va banque und haute dabei auf den Tisch: tausendundeinen Rubel forderte er als sein Douceur, wohlgemerkt, einen mehr als tausend! hatte er dem Grafen ganz ohne eine diesbez�gliche Anfrage mitteilen lassen, denn tausend seien nun einmal zu wenig f�r seine Dienste! Haha! welche Ironie, nicht wahr, welch feingeschliffener Spott, — vielleicht gar zu fein f�r die Lederhaut des hohen Herrn? Wollen sehen!

Erstaunlich, da� der Vater derma�en mit einem Grafen umsprang, erstaunlich, aber zugleich ein wenig be�ngstigend, fand George; Gotthold Betzel aber, der gerade anwesend war und dem zu Ehren diese ganze Geschichte vielleicht zum besten gegeben ward, klatschte sich die Schenkel und lachte unm��ig. Er fand diese Art des Vorgehens au�erordentlich spa�haft. Der wackre Gotthold befand sich in besseren Umst�nden und war wieder ganz obenauf: er war als Hauslehrer, — als P�dagog, als Utschitschel, — in der Familie eines reichen Kaufmanns angekommen, wo er nicht allein eine Reihe von Spr��lingen in Zucht und Ordnung hielt, sondern auch eine Art von Haushofmeister darstellte, die Rechnungen zu f�hren hatte und vor allem Madame vorlesen mu�te, — ein vielseitiges Amt also, das nicht viel Zeit zu Projekten �briglie�, bei dem man aber kleine Vorteile herausschlagen konnte, — kleine Vorteile, �ber die Gotthold Betzel sich nicht n�her auslie�, aber bei deren Erw�hnung er liebensw�rdig zwinkerte. �ber dem klopfte es stark an der Haust�r, und der ans Fenster eilende George sah gerade noch die R�ckseite eines pr�chtig goldbetre�ten L�ufers davont�nzeln, w�hrend die alte K�chin Katinka mit allen Anzeichen ersch�tterter Demut ein Briefchen hereintrug, das Reinhold Forster ein wenig zu hastig f�r seine sonst zur Schau getragene Gelassenheit aufri�. „Die Sache macht sich!“ bemerkte er alsdann, richtete sich auf und r�ckte ein wenig mit den Schultern. Also kam man doch zum Ziel. Er war f�r den n�chsten Morgen auf sechs Uhr zum Grafen Orloff bestellt. —

Wie sich diese Audienz abgespielt oder vielmehr nicht abgespielt hatte, das erfuhr George bruchst�ckweise am Nachmittag des folgenden Tages, w�hrend er mit ungeschickter Hast die Koffer packte. — Ja, mein Gott, sie w�rden reisen, — Dank dir, lieber, guter Gott! — und heute noch, heute abend noch! Da� das alles traurig genug war, was der Vater da erlebt hatte, nun ja, gewi�, — aber reisen! Heimreisen! Wieder zur Mutter zu kommen! Seine kleinen H�nde wurden heute kaum mit den widerspenstigen Sachen, den dicken groben Stoffen von Vaters gewaltigen Kleidern, den poltrigen Stiefeln und B�chern, den zarten Jabots und Spitzenmanschetten fertig und er lie� den Inhalt einer Puderdose �ber Manuskripte und Reithosen niederschneien, die die gro�e lederne Vache schon zur H�lfte f�llten, w�hrend er mit offenem Munde einem Zornesausbruch des Vaters lauschte und dabei doch nichts dachte, als: „In acht Tagen vielleicht, — aber ganz sicher in vierzehn Tagen sind wir in Danzig!“

Die Sache war die gewesen, ganz einfach die, da�, als Reinhold Forster, — im pfirsichfarbenen Frack und in der apfelgr�nen Weste, wie es sich von selbst versteht, — bei grauendem Morgenlicht im Palais des Grafen angelangt war, — da� er daselbst erfahren hatte: nein, — der Herr Graf seien nicht zuhause, seien zur Jagd, — seien auf den Schnepfenstrich gefahren, — h�tten gewi� wieder vergessen, das V�terchen, wie schon so oft, da� sie den deutschen Herrn bestellt hatten … M�chten der deutsche Herr vielleicht morgen …

Aber da hatte Forster dem gem�tlichen Dwornik mit einem Fluch den R�cken gedreht und war durch den spritzenden Schneeschlamm davongerannt. Es war aus, er f�hlte es nun endlich mit unentrinnbarer Gewi�heit. Nachdem er zwei Stunden lang mit vorgeschobenem Kopf und geballten F�usten in der unbek�mmerten Stadt umhergeirrt war, gleich einem wildgewordenen Stier, sammelte er sich in einer Gark�che bei einem Glas Tee und einigen Piroggen so weit, da� sein Blut wieder sanfter kreiste und er sich, schwerm�tig kauend, zugeben konnte, da� hier, in der Tat, ein Projekt von gro�er Sch�nheit gescheitert w�re, — freilich ohne seine Schuld —, da� aber, wie schon oft im Leben bewiesen, Reinhold Forster nicht zu entwurzeln sei. Es war ein Mi�erfolg, gewi� —, indessen war es ein Mi�erfolg auf breiter Grundlage und dies war es, was ihn vorteilhaft von allen bisherigen verungl�ckten Unternehmungen unterschied. Ein Mi�erfolg auf breiter Grundlage, hierunter verstand dieser schalkhafte Logiker die Ber�hrung mit Hofkreisen und die Wolgareise an und f�r sich, was beides er nun einmal genossen hatte, — er hatte es sozusagen weg, und kein noch so mi�g�nstiger Teufel w�rde es ihm streitig machen k�nnen. Ein solcher Mi�erfolg war schon beinah ein Erfolg zu nennen, und diesen negativen Erfolg mu�te man nun eben auszunutzen suchen.

„Aufw�rter! Noch ein Sch�lchen!“

Neue Projekte von ebenfalls und zweifellos gleich gro�er Sch�nheit hatte es ja von jeher so zahlreich wie Kohlwei�lingsraupen in einem b�sen Jahr in Reinhold Forsters Haupt gegeben, sie hatten sich seinerzeit verpuppt und krochen jetzt zu Dutzenden aus, um ihn mit z�rtlichem Fl�gelbewegen tr�stlich zu umgaukeln. Es galt, den nun Passenden auszuw�hlen und dann aber sofort und ohne Z�gern und r�cksichtslos zu handeln und die Schlappe auszugleichen. Und bei unterschiedlichen Sch�lchen fa�te Reinhold Forster sein neues Ziel ins Auge, wurde warm und lebendig dabei, verga� v�llig die gro�e Entt�uschung. Geld brauchte er, — hm, hm, — er brauchte Empfehlungen, hm! Da waren Euler, Wolf, — auch Rumowski war gut. Und dann auf die Reede, ein Schiff ausfindig zu machen!

Und also traf Reinhold Forster Ma�nahmen.

Die „M�tterchen Elisabeth“, ein schwerf�lliger russischer Kutter, der Holz geladen hatte und au�er den Forsters keine Passagiere f�hrte, stampfte schon zwei Tage lang westw�rts, als George endlich aus der ersten Reisebet�ubung aufwachte. �brigens war er diesmal kaum seekrank geworden, es hatte sich nur nach der Aufregung des Reiseentschlusses und der Anstrengung des Packens eine Ersch�pfung bei ihm eingestellt, der er sich selig hingab, fast schon in dem Gef�hl, von der Mutter zu Bett gebracht worden zu sein. Nun, am dritten Tage, stand er vergn�gten Herzens an der Reeling neben Wanja, dem Koch, und sah zu, wie die M�wen auf die Abf�lle herabstie�en, die Wanja ihnen mit einem schrillen Schrei zuschleuderte, worauf er dann eine gr�nliche Reihe spitziger Fischz�hne entbl��te und seine tranblanken Augen hinter schr�gen Fettw�lsten fast verschwinden lie�, w�hrend er George triumphierend zugrinste und seine Finger, — waren nicht Schwimmh�ute dazwischen? — unbedenklich an seiner Bluse abwischte: Konnte er nicht gro�artig schmei�en, vortrefflich?! Und erst die M�wchen, verteufelt, nicht wahr! Ja, ja, der Wanja! — Es rauschte, es knatterte und brauste, Tropfenschauer spr�hten aus dem sch�umenden Gewoge da unten, das an die Schiffsw�nde klatschte, der Himmel war weit und blau, von langem, treibendem Gew�lk durchschifft. Wind, Fahrt und die unerkl�rlich prickelnde Erregung, die von der bewegten See ausgeht, �berkamen den Knaben rauschm��ig; seine Kappe mit beiden H�nden festhaltend, begann er von einem Fu� auf den andern zu springen und Schreie auszusto�en, mit einer Art von Tanz und Lobgeheul den G�ttern der Ostsee zu huldigen, nicht wenig gest�rkt durch Wanjas Beifall, der sich vor Vergn�gen auf die Schenkel schlug, anfeuernde Rufe ausstie� und nicht �bel gewillt schien, auch seinerseits in einen Tanz auszubrechen, denn er stemmte die Arme in die Seiten und begann mit eingeknickten Knien in verwunderlicher Weise vor- und zur�ckzuspringen. In diesem Augenblick hielt George inne, — war er von einer Ahnung �berkommen, da� es sich immer strafte, wenn er sich selber verga�? — sah um sich, bemerkte den Vater in einiger Entfernung, nahm Haltung an, bemerkte aber, immer noch, von innerem Jubel gesch�ttelt und �berm�tig genug: „Ha, — wenn er anh�lt, der Wind, sind wir �bermorgen in Danzig? He, Wanja, so ist es?“ Wanja hierauf, ein paar blutige Fleischst�cke auflesend, die aufs Deck gefallen waren, und sich wieder in Schleuderhaltung aufstellend, antwortete: „Wai, V�terchen, Danzig?“ Warf sodann ein St�ck Rinderherz in pr�chtigem Bogen einer grauen M�we entgegen, die herumschwenkend silberwei� aufgl�nzte, — wandte sich George ganz zu und sagte unbefangen: „Legen wir doch gar nicht in Danzig an, V�terchen, — halten wir nicht, eh’ in London am Themsekai, Towerstairs …“ und bemerkte es gar nicht, da� George einen Schritt von ihm zur�ckwich und mit beiden H�nden nach seinem Herzen griff, — ja, es ist wahr, er nahm diese romantische Pose ein, woraus zu ersehen ist, da� es keineswegs ein abgenutzter Theatertrick ist, sich nach dem Herzen zu greifen, wenn es vor Schreck stillzustehen droht, denn hier war es die unmittelbarste Bewegung von der Welt. Ganz matt, mit blutlosen Lippen, drehte er sich zu Herrn Forster um, der soeben herantrat, dem Anschein nach harmlosen Frohsinnes voll, und legte die zitternde Hand auf seinen �rmel. „Aber Vater!“ sagte er jammervoll, — wie w�rde er diesen Schlag tragen, der Vater? — „h�ren Sie doch nur, was dieser Mann da behauptet! Er sagt, da� wir in Danzig gar nicht anlegen, sondern erst — in London …“ Es war zun�chst nichts als Angst vor dem Eindruck, den diese Mitteilung auf den Gewaltigen aus�ben w�rde, die die arme kleine Stimme beben lie�, ja fast ein Schuldbewu�tsein, — der Vater machte ihn f�r so viele Dinge verantwortlich —, h�tte er nur aufgepa�t, h�tte er vielleicht vorgestern auf der Reede in Petersburg gefragt: „Geht es auch nach Danzig, dies Schiff, die ‚M�tterchen Elisabeth‘, mein Herr Kapit�n?“ In der Tat, dann h�tte es abgewendet werden k�nnen, dies Unheil! Nun, er wu�te ja, was es zu bedeuten hatte: Zeitverlust, — man denke: die vergebliche Reise nach England und von dort wieder zur�ck nach Danzig, und dann: unendliche Kosten, Geld, Geld, das nicht vorhanden war, das man aufnehmen mu�te, Schulden also, und — demn�chst w�rden sie darben m�ssen, wie Herr Forster immer beteuerte, am liebsten, wenn er so recht behaglich beim Essen sa�. O, nun dauerte es noch so viel l�nger, bis man die Mutter wiedersah und es gut bei ihr hatte, — aber dieser Gedanke trat ganz zur�ck hinter der unmittelbaren Furcht, welche Formen die Entt�uschung des Vaters annehmen w�rde. Herrgott, wenn er nur nicht ins Wasser spr�nge im ersten Schrecken, — man konnte nicht wissen —, wenn er dem Kapit�n nur nichts ant�te oder Wanja am Kragen n�hme! Sie konnten nichts daf�r, freilich, — aber wenn dem Vater etwas schief ging, hatte immer der N�chstbeste schuld, und so, — George trat tapfer wieder einen Schritt vor —, so war es vielleicht besser, der Schlag traf ihn, und er zog die Schultern etwas an, des Ausbruchs gew�rtig, dessen Notwendigkeit er sich w�hrend kaum mehr als einer Minute dramatisch vorgestellt hatte. Indessen geschah ihm wie einem, der, mit schrecklicher Angst vor dem Knall, ein Gewehr abzufeuern sich entschlie�t, das dann versagt, kurzum, auf des Vaters Gesicht malte sich durchaus keine entsetzte �berraschung, kein Schreck, keine Entgeisterung, Herrn Forsters Augen dr�ckten nichts aus als unruhvolle Verlegenheit, er wandte sich halb ab, er griff nach dem Taschentuch, er schneuzte sich ausgiebig und starrte dabei in die Ferne. R�usperte sich sodann, lie� ein betretenes: „Du wei�t es also noch nicht, mein Sohn!“ vernehmen und blickte jetzt einigerma�en hilflos auf den Knaben nieder, der mit h�ngenden Armen und so verzweifelt begreifend zu ihm aufsah, da� selbst diesem niemals um eine Begr�ndung seiner eigenen Taten verlegenen Herrn das Wort versagte und er zun�chst nur murmelte: „Allerdings, — ich h�tte dich einweihen sollen!“

Hatte ihn nun die Angst vor der unerfreulichen Begleitung eines entt�uschten und heimwehkranken Kindes davon abgehalten, George rechtzeitig von seinem Plane, nach England zu gehen, in Kenntnis zu setzen, so hatte er dem Augenblick, in dem George sich �ber die Ver�nderung des Reisezieles klar werden w�rde, doch best�ndig mit peinlichen Bef�rchtungen entgegengesehen und konnte nicht umhin, sich nun angenehm �berrascht zu sehen. Er gab angesichts der tanzenden Ostsee einige hastige, wortreiche Erkl�rungen ab, verglich die Aspekte, die die Heimat bot, mit denen, die einem Gelehrten von seinen F�higkeiten in England leuchteten, erw�hnte Empfehlungen an die Londoner Freimaurerloge, die er in der Tasche trug, er�ffnete Ausblicke, — nun eben, Ausblicke! und fand den Knaben an seiner Seite bla�, aber aufmerksam lauschend. Die Mutter, nat�rlich, die Mutter w�rden sie nachkommen lassen, sobald sie in London festen Fu� gefa�t haben w�rden, dies verstand sich doch von selber, setzte er am Schlu� in pl�tzlichem Besinnen hinzu und sah erleichtert ein mattes L�cheln �ber das kleine Gesicht gleiten, w�hrend ein leises: „Merci bien, tr�s cher papa!“ ihn auf einmal davon �berzeugte, da� er im Grunde doch au�erordentlich dankenswert gehandelt habe. George benahm sich raisonable, aber, beim Jupiter, wie sollte er auch nicht, dies war eigentlich nicht mehr als seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Soweit war der Fall f�r ihn erledigt und abgeschlossen, er war f�r den Rest des Tages besonders gutgelaunt und blieb es die ganze Reise �ber, obgleich er am Kattegatt zum erstenmal seekrank wurde, und zwar gleich so ausgiebig, da� er sich verschwor, den Eltern des Janusch bei erster Gelegenheit den r�ckst�ndigen Lohn ihres Sohnes zukommen zu lassen, — und hierin offenbarte sich, vom D�mon eines ersch�tterten Verdauungsgewindes ans Licht getrieben, die Erkenntnis, da� einer der Gr�nde, die ihn der Heimkehr aus dem Wege gehen lie�en, dieser war, da� er den Janusch nicht wieder mitbrachte. Er hatte sich zwar l�ngst eingeredet, der Janusch habe am Hofe eines Mongolenkhans eine Stellung eingenommen, die seinen Meriten besser entspr�che als der Dienst bei einem schlichten Pilger der Gelehrsamkeit, — aber, immerhin, — ganz lie� sich sein Gewissen nicht bet�uben und ein Verantwortungsgef�hl lebte zuweilen auf und mu�te durch Opfer und Versprechungen beruhigt werden wie ein unzufriedener G�tze, bis es nicht mehr st�rte.

Merci bien, tr�s cher papa!“ — ja, was h�tte er im Augenblick, als statt des erwarteten Zornesausbruchs so sanfte schnelle Erkl�rungen kamen, anders empfinden und denken k�nnen, vielleicht grade wegen der ungeheuren Entt�uschung, die mit einem Schlage sein ganzes Auffassungsverm�gen l�hmte und totes Grau auf die Welt herniederri�, die eben noch so farbig und verhei�ungsvoll geleuchtet hatte. Es ist die Erwartung der Liebe allein, die einem Herzen von der Demut, ja fast Unterw�rfigkeit des kleinen George Schwung und Feuer zu leihen vermag; und seine Liebe hatte sich seit Wochen mit immer zunehmender Sehnsucht auf die Mutter gerichtet und damit unbewu�t auf ein Leben der Geborgenheit in friedlicher, reinlicher H�uslichkeit. Er hatte die vielen Wunder so zum Sterben satt gehabt, ohne es einem Menschen, am allerwenigsten sich selber, eingestehen zu k�nnen. Satt hatte er die ausgestopften M�rchentiere im Museum der Akademie, den Elefanten und den wei�en Meerb�ren, die mongolische Kuh mit dem Pferdeschweif und das wilde Schaf mit den Riesenh�rnern, — ganz zu schweigen von den vielen Mi�geburten in Spiritus und der Hornkr�te, der Pipa, von der ewig die Rede war und die ihre Eier auf dem R�cken ausbr�tete. Er war gelangweilt von dem Gottorpschen Globus mit seinem Planetarium, und es war ihm ganz gleichg�ltig, da� dies das achte Weltwunder vorstellen sollte, — ebenso wie ihm die botanischen G�rten auf der Apothekerinsel, das h�lzerne H�uschen Peter des Gro�en und die Mammutsknochen gleichg�ltig waren, die Pallas mit ebensoviel Scharfsinn als Gelehrsamkeit als aus einer allgemeinen �berschwemmung herr�hrend erkl�rte. Was war ihm die surinamische Goldschnepfe, was gingen ihn die tangutischen Manuskripte an, die Peter der Gro�e schon 1720 nach Paris gesandt hatte, um zu erfahren, was eigentlich darin st�nde. (Ein Abb� Bignon hatte sie sogleich ins Lateinische �bertragen und den gro�en Zaren durch eine gewisse klassizistische Geistesf�rbung dieser Mongolenweisheit h�chlichst �berrascht, und wiederum war es dem ebenso gelehrten als scharfsinnigen Pallas vorbehalten geblieben, festzustellen — mit emp�rter Genugtuung festzustellen! — da� auch nicht ein Wort des Originals in dieser �bersetzung stand!) Mit einem Wort: was ging einen kleinen Knaben, der m�de, bla� und elend war, die ganze bunte aufdringliche Welt an, wenn er noch irgendwo bei einer Mutter ein wohlgesch�tteltes Bett, sein sorglich bereitetes Essen und die ganze Heimatluft einer vollen Kinderstube haben konnte, — konnte, — konnte, denn besessen hatte er diesen Segen ja in Wirklichkeit nie, und darum qu�lte ihn wohl diese best�ndige dunkle Sehnsucht danach, lie� ihn seine Pflichten verrichten, wie eine st�ckrige Maschine und mit m�dem, kleinem Muffgesicht an den Kuriosit�ten vor�berschleichen. Im Anfange hatte er sich eingebildet, die Kaiserin Katharina sehen zu m�ssen, hatte ihrem Amtssiegel, einem Bienenkorb mit der russischen Umschrift „N�tzlich“ auf einem Schreiben an den Vater Ehrfurcht erwiesen wie einem Fetisch und mit starker Neugier auf die Geschichten gehorcht, die man sich an allen Stra�enecken von dem Leben am Hofe erz�hlte. Auch dies hatte v�llig an Interesse verloren, je l�nger der Petersburger Aufenthalt dauerte, je tiefer das Wunder der Wolgareise hinter ihm versank und je mehr im Verh�ltnis dazu seine Gesundheit abnahm. Schlie�lich hatte er nur noch an die Mutter denken k�nnen, wie ein Verdurstender in der W�ste auch nur eines Gedankens f�hig ist, und dann, dann hatte er sich eben unvorsichtig, ohne den geringsten Zweifel, ohne eine innere Mahnung an vergangene Entt�uschung zu erhalten, �berm��ig begl�ckt, berauscht, t�lpelhaft selig hatte er sich der Gewi�heit des nahen Wiedersehens hingegeben. Ja, und nun …

Und nun weinte er weder noch ballte er t�ckische kleine F�uste oder stampfte den Boden, als der Vater den R�cken gewandt hatte. Er legte sich einfach f�r den Rest der Reise in seine Koje, dies war es, was er sich leistete, dort lag er stundenlang mit offenen Augen und dachte immer wieder dasselbe, das anfing: Also nicht nach Danzig … aber ebenso schlief er auch stundenlang mit bleichem Gesicht und ge�ffnetem Munde. Wenn der Vater zu ihm kam, empfing er ihn freundlich und a� gehorsam, was ihm gebracht wurde, aber der Verkehr mit ihm war nicht viel ergiebiger als mit einer sprechenden Gliederpuppe, und so blieb er viel allein, was ihm auch recht war, denn: h�tte es nicht doch pl�tzlich eintreten k�nnen, da� er dem Vater in sein zufriedenes, rotes Gesicht hinein h�tte weinen m�ssen, weinen, weinen … Es kam ja nie dazu, aber es war sehr wunderbar, denn er tr�umte doch so oft, da� er weinte, — nur im Wachen gelang es ihm nicht, da war alles so fern, wie hinter Glas.

Jedenfalls war ein anderer George Forster am Newski-Prospekt auf die „M�tterchen Elisabeth“ gegangen als der, der nach drei Wochen die Tower-Stairs in London emporstieg. Wohl erschlie�en sich auch solche Bl�ten noch, um Frucht zu bringen, die in der Knospe vom Frost getroffen wurden. Aber, guter Gott, wie sehen sie aus und wer will sie noch Bl�ten nennen? —

Es ist nicht zu bezweifeln, da� der Pelikan auf dem H�hnerhofe �bles Aufsehen erregen w�rde und der Gockel hingegen nicht in das Dschungel pa�te. Es ist wahr, da� jeder von ihnen in der ihm angemessenen Umgebung seinen Platz ausf�llt und gleichsam darin aufgeht, so da� man kaum noch wei�, ist der tropische Sumpf f�r den Pelikan oder der Pelikan f�r den tropischen Sumpf geschaffen. Herr Forster in polnisch Preu�en auf dem Lande, berufen, einer verlotterten Bev�lkerung das kristallkantige Ideal friederizianischer Selbstzucht vorzuleben und Kultur auszustrahlen, das war gewesen, als wollte man Wasser mit �l mischen, um eine gelindere Fl�ssigkeit zu erzielen: es nutzte gar nichts, das �l blieb oben, ein gro�es, einsames Fettauge, und bald schwamm es von dannen. Herr Forster in Petersburg, inmitten einer aus allen V�lkern gemischten Gesellschaft von Aristokraten, Gelehrten, Projektenmachern und Schwindlern, nahm sich, zwar selbst ein Projektenmacher ersten Ranges, aber gesch�ftlich und diplomatisch, ja, selbst gesellschaftlich unerfahren und nahezu roh, — er nahm sich aus wie ein leidenschaftlich spielendes Kind, dem sich die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verwischen und das, da es nun eben einmal ein Mann und kein Kind mehr ist, l�cherlich, ja, anst��ig wirkt. Herr Forster endlich, in England, hatte kaum den geheiligten Boden seiner Vorfahren betreten, kaum den ersten Mundvoll der ihm so gel�ufigen Sprache freigiebig an Lasttr�ger, Hafenbummler und den Hausknecht von Warwicks Boardinghouse verschwendet und daf�r echten slang eingetauscht, nicht recht verst�ndlich zwar, aber kostbar und herzansprechend, — Herr Forster endlich in England also, ging im Teig auf wie die Pflaume im Plumpudding, mit anderen Worten, war nicht der Plumpudding selber, auch nicht der Weingeist, aber immerhin ein Bestandteil, eins seiner h�ufigsten, eins von hundert Bestandteilen, unauff�llig, selbstverst�ndlich, kein Fremdk�rper, kein Kuckucksei, und war selber erstaunt und beseligt dar�ber.

Es war bereits etwas vom Rhythmus der Gewohnheit in der Art und Weise, in der Forster und Sohn fremde St�dte betraten, Schiffsplanken hinter sich sto�end, Reisetaschen sieghaft schwenkend, zudringliche Lasttr�ger �bersehend, Blicke auf Wesentliches richtend! Forster senior, dem der Kaviar und die Piroggen, bei denen er gedarbt, mit der Zeit zu einem B�uchlein verholfen hatten, trug seinen Nabel stattlich vor sich her, als w��te er den Unsichtbaren vergoldet, verborgene Berlockes klirrten bisweilen musikalisch unter seinem Mantel und gaben die Begleitung zu dem ebenfalls nur ihm selber h�rbaren Einzugschor seiner Gedanken, der etwa also lautete: Er kommt, er kommt, der gro�e Forster kommt! — was indessen nicht etwa mit diesen Worten sein Bewu�tsein f�llte, sondern nur den allgemeinen Inhalt seiner Stimmung ausmachte. Zugleich, es ist nicht zu leugnen, war er in guter und ehrlicher Weise freudetrunken vom Anblick von St. Pauls Kuppel und der drohenden Towermauern, wie schon die ferne Vision der wimmelnden Londonbridge ihn in Begeisterung versetzt hatte, und dann: dieser Hafen! O Gott, die Newa war breit und Petersburg war gewaltig, aber was wollte das gegen diesen majest�tischen Ausgangsort und Ruheport der gewaltigsten Handelsflotte der Welt, was gegen diese Werften, diese Docks, dieses planvolle Gew�hl der kleinen Boote und Yachten, dieses gelassene Ein- und Ausstreichen der hochgebugten Riesenschiffe mit der tausendbusig geschwellten Takelage und den unz�hligen starrenden Kanonenrohren sagen? — „Ostindien!“ hatte Forster ergriffen gefl�stert und Georges Hand gepre�t, diese kleine Hand, die solcher Gebr�uche ungewohnt, sich ihm schlaff und verwundert �berlie�, — „Ostindien, George! Van Diemensland! Amerika und China! Bambus, Zuckerrohr und Cocosnu�! Weihrauch, Gold und Myrrhen! Ingwer, Zimt und N�gelein! Papagoyen und Koffee! Das Beuteltier!“ Er w�re in seiner traumhaften Aufz�hlung fremdl�ndischer Wunder gewi� fortgefahren, wenn nicht in diesem Augenblick die „M�tterchen Elisabeth“ Anker geworfen h�tte und er nunmehr in der Lage war, den undankbaren russischen Boden endg�ltig verlassen zu k�nnen. Zwei Tage weidlichen Herumtreibens im Weichbild der City folgten und z�hlten gewi� zu den gl�cklichsten in Reinhold Forsters Leben, w�hrend auch George ein gewisses unwilliges Behagen empfand und sich in die dumpfe Wehmut der Entt�uschung nicht zur�ckfinden konnte.

Waren sie so tags�ber mit langen Schritten und mit best�ndig im neugierigen Drehn und Wenden der K�pfe hin- und herpendelnden Z�pfen durch die Stra�en gezogen, hatten nicht nur die modischen Spazierg�nge wie Newbordstreet, Pallmall und Hydepark, sondern auch St. Giles besucht und dort gar in einer unterirdischen Gark�che gespeist, wo die Bestecke mit Ketten am Tisch befestigt gewesen waren, — hatten sie besichtigt, was nur zu besichtigen war, — und George tat das auf einmal mit kritischer Teilnahme, als sei pl�tzlich eine Kapsel von seiner Seele gesprungen, er puffte auch Vor�bergehende, die ihm nicht aus dem Wege gingen, — kurz, er brach sich Bahn, k�rperlich und seelisch, — da es denn doch nichts half! — (dies war vor�bergehend eine Zeit, in der er sich selbst fast brutal behandelte, er tat es, ohne es zu wissen oder zu wollen, weil er sonst zugrunde gegangen w�re,) — hatte man sich solchergestalt m�de und hungrig gelaufen, so folgten erquickliche Abende im Gastzimmer des Logierhauses, gegen dessen Kamingitter der Vater sachgem�� die Fu�sohlen stemmte, w�hrend er aus seiner Tonpfeife rauchte, Porter trank und George ein wenig Ingwerbier geno�. Gleichviel, da� andere G�ste anwesend waren und den redseligen Herrn offenbar als willkommenes Schauspiel betrachteten, gleichviel, da� hinter ihm laut er�rtert wurde, ob nicht auch andere Leute ein Recht auf den Platz am Feuer h�tten? — wobei George unbehaglich hin- und herr�ckte, Herr Forster jedoch nur geistesabwesend �ber die Schulter zur�ckblickte und einen Mund voll Rauch nach den unzufriedenen Mitmenschen blies, womit sich jene alsbald beruhigten, — Herr Forster schien den Landesbrauch gef�hlsm��ig zu treffen. — „Es ist ein Wunderbares, ein Fabelhaftes, ein G�ttliches um den Zusammenhang der irdischen L�nder, mein Sohn, wie sie aus dem Nichts des Gedankens hervortauchen und sich aneinanderreihen,“ sagte er an einem solchen Abend und sah diesmal ohne Zweifel gl�ubig und ersch�ttert aus, soweit es im Bereich seines fleischigen Gesichtes lag, diesen Ausdruck anzunehmen. „An Ru�land habe ich immer noch eher glauben k�nnen, weil es sich von Westpreu�en aus auch zu Fu� h�tte ergehen lassen, — freilich in m�hseliger Arbeit, aber doch immerhin, — das ist wie aus einem St�ck Tuch und keine Naht dazwischen. Die Inseln hingegen! Mein Sohn! Im Vertrauen will ich dir sagen, ich habe England nicht f�r m�glich gehalten! Nun aber, da es unter meinen F��en standh�lt, bin ich geneigt, auch an Vandiemensland zu glauben, ohne da� meine Augen es gesehen haben.“ Er l�chelte fast kindlich. „Wunderbar! Wunderbar ist die Gestalt der Erde!“ sagte er and�chtig und nahm die Pfeife aus dem Mund, um die Ellbogen auf die breit auseinandergestellten Knie zu setzen und, die linke Faust unters Kinn geschoben, verz�ckt ins Feuer zu starren. „Manchmal halte ich sie im Traum in meinen H�nden und rolle sie behutsam von West nach Ost meinen Augen entgegen, als sei ich die Sonne, in deren Glanz sie sich w�lzt, oder ich sehe sie schweben, im goldenen Dunst, den g�ttlichen Ball, mit der sph�risch erklingenden Seele. — Dann gedenke ich ihrer H�lle, George,“ sagte er tr�umerisch, — „Gras und allerlei Kr�uter, und wie das Wasser �berall durch sie sickert und kreist und aus ihr atmet, und ich f�hle die Wucht der Gebirge und das Keimen der Kristalle und die sonderliche Kraft der Formen, wie sie blind sich auswirkt in tausend Gestalten. Du wirst hier Gott eingef�gt haben wollen, George,“ — und er wandte sich dem Knaben mit einem geistreichen L�cheln und einer verbindlichen Handbewegung zu, „gut und wohl, — indessen reden wir hier nicht als Pastoren und somit k�nnen wir uns zugestehen, da� es kein Gottesleugnen ist, wenn ich ihn in die Sch�pfung hinein projiziere, anstatt ihn mir au�erhalb selbiger zu denken, — du verstehst mich?“ Und, ohne eine Antwort abzuwarten, sein glattes Kinn streichend und mit der Pfeife in steilaufgereckter Hand gestikulierend, fuhr er fort: „Ich denke mir die Erde nackt und blo�, ihre gewaltigen Glieder so wie sie der Sintflut entstiegen, ohne die Grenzmarken des Menschen, ohne die Larven der Nationen �ber ihrer g�ttlichen Unschuld. Schrankenlos hingerollt die Ebene, sich aufb�umend im Gebirge, niedergleitend unter die wallende Fl�che des Ozeans, jungfr�ulich wieder aufsteigend unter einem andern Himmel und sich neu offenbarend. Ich denke mir …“ die surinamische Goldschnepfe strich durch den Raum, Kondorgefl�gel erbrauste, B�ffelherden nahten und stoben vor�ber wie schmetternde Wolken. Indessen auch die Ameislein und die Bienen und sonstigen Insekten, die surinamischen Schmetterlinge und die V�gleins Colibri, die Honigv�gleins, die sich durch die Luft schwingen wie fliegende Funken und mit langen nadelspitzen Schn�blein aus Bl�ten trinken, — Bl�ten � propos … Es blieb nichts ungesagt in dieser Stunde, und Herr Forster phantasierte sublim �ber den Inhalt der Erde, er tat es mit Wildheit, Schwung und Feuer und verga� nicht die Tiere und Gem�slein, die er gerne a�, und endlich das wunderbarste Getier, die Menschheit selbst, wie sie gleichzeitig an allen Orten der Erde hauste und sich so emsig bet�tigte, — er legte den Finger an die Nase und gedachte des indischen Brahmanen, der �ber seine Schriftrolle geb�ckt s��e in eben diesem Augenblick, da der wilde Sohn der nordamerikanischen Pr�rien sich im Kriegstanz um sein Lagerfeuer schleudere, oder der emsige Bewohner von O’Tahiti seine Rindenmatte walke, w�hrend der deutsche B�rger — „oder sagen wir: der gro�e Haller zu Z�rich“ — sich soeben die Zipfelkappe f�r die Nacht �ber die Ohren ziehe, „und wir, mein Sohn, an diesem Kaminfeuer sitzen, auf britischem Boden sitzen, vom Ozean umsp�lt wie auf dem Gipfel eines Berges Arrarat und das Selbstbewu�tsein der ganzen Erde gegenw�rtig in unsern Hirnen kulminiert, — wunderbar, h�chst wunderbar …“

Herr Forster blickte pl�tzlich um sich und nahm wahr, da� es leer in der Gaststube geworden war, da� hinter der Tonbank Mr. Freeling, — von Mrs. Freeling stets als „my little old man“ bezeichnet, — mit knackenden Kiefern g�hnte, — da� George die Augen mit einem Ausdruck glasiger Starrheit auf ihn gerichtet hielt, und er verstummte. Er machte ein paar krampfhafte Bewegungen mit Stirn- und Gesichtsmuskulatur, wobei er die Augen wie ein Geblendeter zukniff und aufklappte, sog ein paar Mal hastig an dem erkalteten Rohr und fuhr dann, von sich selbst ern�chtert, mit der Hand �ber die Augen. „Du hast keine Imagination, mein Sohn,“ bemerkte er verdrie�lich und klopfte die Pfeife am Kamingitter aus, worauf er sich erhob und federnd davonschritt, sich selbst nicht recht klar dar�ber, was ihn soeben �berkommen und aus ihm geredet hatte. George folgte ihm gedem�tigt, �berholte ihn und ri� die T�re vor ihm auf, — wohl, es mochte ihm an Imagination mangeln oder an etwas dergleichen, kurz, er konnte sich nicht so verwundern und dieser Verwunderung so pr�chtige Worte verleihen wie der Vater, es schien ihm alles so selbstverst�ndlich, — dies, da� man nach England kam, wenn man nach England reiste, und fraglos, da� man ein Land namens Surinam erreichen w�rde, falls man ein dorthin segelndes Schiff bestiege, — aber er empfand diesen Mangel in dieser Stunde irgendwie als beunruhigend und besch�mend. Als er in seinem riesigen, von Vorh�ngen umwallten Bette lag und zitternd darauf wartete, da� die feuchten Laken sich erw�rmen m�chten, als er die H�nde vor die Augen pre�te, um nicht in die fremde englische Finsternis starren zu m�ssen, — der Vater blies l�ngst in gesund atmendem Schlummer melodisch vor sich hin, — da dachte er sich aus, wie gut es sein m��te, eine Mutter zu sein und niemals reisen zu m�ssen, eine Mutter mit guten kleinen Kindern in einer warmen duftenden K�che, in der es lauter behagliche Arbeit gab, wie R�bchenschaben, Suppenkochen, Kuchenr�hren und Topfauslecken, und als er dar�ber endlich einschlief, war es nicht mehr die Mutter, die es so gut hatte, sondern das kleinste Kind in der h�lzernen Wiege im Eckchen beim Herd, das von nichts wu�te als von Schlummer, Milch und Liebe, und dies kleinste Kind war er. —

Dalrymple zu besuchen, Dalrymple, den unbek�mmerten Pfadfinder im indischen Meer, den Autor gr�ndlicher geographischer Werke, den un�bertroffenen Zeichner der ber�hmtesten Landkarten, — Dalrymple also aufzusuchen, sich ihm vorzustellen und seine russischen Empfehlungsbriefe bei ihm abzugeben, war nach den ersten Londoner Schlendertagen Herrn Forsters vornehmstes Ziel. „Forster und Sohn“, sagte er, hinter einem br�unlichen, turbangekr�nten Diener einen hellen l�nglichen Raum betretend, dem drei Schiebefenster Licht gaben und wo ein Herr in kaffeebraunem Frack von einem langen Arbeitstisch sich erhob und ihnen mit hochgezogenen Augenbrauen einigerma�en erwartungsvoll entgegenblickte, — „Forster und Sohn, von St. Petersburg eingetroffen, aus den Diensten Ihrer Kaiserlichen Majest�t nach der beispiellosen Wolga-Expedition r�hmlichst entlassen, — Forster und Sohn, mein Herr, die sich bei ihrem ersten Betreten britischen Bodens beeilen, Ihnen ihre Huldigung darzubringen, nachdem sie Ihre Verdienste jahrelang aus der Ferne staunend empfunden haben!“

Forster und Sohn, die sich, schr�g hinter einander aufgestellt, bei jeder Nennung ihrer Namen mit dem Hut in der Rechten und mit der Linken auf dem Herzen emphatisch verneigt hatten, �berreichten nunmehr, — das hei�t, Reinhold Forster �berreichte, zwei oder drei Briefe, deren Siegel Mr. Dalrymple hastig erbrach, die er mit kurzen Ausrufen, — Ausdr�cken seliger �berraschung und unerwarteten Gl�ckes ohne Zweifel, — �berflog, um sodann … Aber w�hrend er las, hatten die Forsters Zeit gehabt, sich umzusehen. „Verehrtester! Welch ein Arbeitsraum!“ rief Reinhold aus, als Dalrymple ihn nun auf einen der hochlehnigen Sessel vor dem Kamin n�tigte und George auf dem Rande eines Taburetts Platz genommen hatte. „Welch ein Raum, welch ein Geist, welch ein Ausblick! Nicht genug, da� die ganze Erde von den W�nden sieht,“ — und er wies auf die �u�erst sauber ausgef�hrten Landkarten, die mit der Hand koloriert in heiterem Blau und anderen kr�ftigen Farben ringsum hingen, — „Boten aus aller Welt blicken Ihnen in die Fenster hinein und versichern den wirkenden Geist dauernd einer sch�neren Ferne!“ Er sah entz�ckt nach den Fenstern, vor denen wimpelgeschm�ckte Mastspitzen und ein Gewimmel von Rahen im straffen Taugeflecht in der blaugoldenen Luft des Apriltages schwankten und tanzten. Mitunter schob ein ausfahrender gro�er Segler seine Schwanenbrust leuchtend hindurch, und unz�hlige M�wen belebten das Bild mit dem Rhythmus ihres Hin- und Wiederschwebens: Dalrymple’s Haus lag am Strand und drau�en flutete die Themse. Nun l�chelte er und schlug ein Bein �ber das andere. „Es l��t die Reiselust nicht einschlafen, dies Bild, es erh�lt den Geist auf der Wanderschaft, ich bedarf seiner als eines Surrogates f�r das Leben an Bord, mein Wertester,“ sagte er freundlich und lie� seinen blaugrauen Seemannsblick �ber Vater und Sohn hingehen, wie �ber ein Gew�lk am Horizont, — „aber kommen wir zur Sache!“ „Das Leben an Bord!“ fiel Forster begeistert ein, die Rechte gegen Dalrymple ausreckend, als wollte er ihn umhalsen, „wie gut ich Sie verstehe, Verehrter! Die Grenzen der Kontinente sprengen und sich dem schrankenlosen Ozean �berlassen, — welch ein berauschender Gedanke!“

Herr Dalrymple neigte h�flich zustimmend sein Haupt: „Sehr wohl,“ bemerkte er, „indessen, — kommen wir zur Sache!“

„Ein Mann und sein Pflugsterz, ein Mann und sein Schwert, — Ein Mann und sein Segel, — ein Mann und sein Pferd!“ schw�rmte Forster weiter, „verzeihen Sie die deutschen Verse, mein Herr, aber sie sind es, die die Essenz meines Geistes enthalten! Ich bin ein Gelehrter, Herr, aber kein B�cherwurm, was Sie meiner ganzen Konstitution unschwer anmerken werden, auch ohne Lavater gelesen zu haben. Ich bedarf der Motion, um mich frei entfalten zu k�nnen, — ist’s nicht an dem, George …“

„Ich bezweifle das nicht,“ gab Dalrymple zu und seine hellen Augen bekamen etwas Starres, „aber sagen Sie mir nun gef�lligst …“

„Ich bin vom feurigsten Enthusiasmus f�r England beseelt!“ rief Forster nun, „England ist ohne Vergleich an Unternehmungslust und Macht, England l��t sich die Erde schmecken und sie bekommt ihm wohl, das ist’s, was mich begeistert! Engl�nder zu hei�en, mein Herr, w�rde f�r mich einer Erhebung in den Adelsstand gleichkommen, und mit wehm�tigem Stolz gedenke ich meiner Vorv�ter, die treue Diener der Stuarts waren und mir doch kein Anrecht auf diese Heimat hinterlie�en, als meinen Namen und einige unverf�lschte Tropfen englischen Blutes. Machen Sie mich zum Engl�nder, Herr, indem Sie mich f�r England arbeiten lassen, und Sie werden sehen …“

Well!“ Mr. Dalrymple f�hlte Boden unter den F��en und war offenbar erleichtert. „Meine russischen Freunde sind des Lobes voll �ber Ihre wissenschaftlichen Leistungen, mein Herr, — gestatten Sie, da� ich die Kupfer zu meinem neuen Werk, die soeben eingetroffen sind, Ihrem Urteil unterbreite.“

Die beiden M�nner vertieften sich alsbald an der Hand dieser Abbildungen in ein Gespr�ch, bei dem George ein wenig das unheimliche Gef�hl hatte, da� seinem Vater auf den Zahn gef�hlt werde, was dieser indessen nicht zu bemerken schien und seine Kenntnisse mit bereitwilliger Fr�hlichkeit entfaltete. Nach einer Weile schlug Mr. Dalrymple mit zufriedenem Gesicht die Mappe zu, und nach einem kurzen Blick auf das blaue Emailzifferblatt seiner kugelf�rmigen goldenen Uhr sagte er, da� er nun in eine Sitzung m�sse, ob Mr. Forster etwa bereit sei, ihn zu begleiten? Er w�rde einen Kreis von M�nnern antreffen, die nichts anderes als willens seien, das Gute und Vortreffliche zu unterst�tzen, wo immer sie es antr�fen, — kurz, es handelte sich um einen Besuch in der Loge „Zur goldenen Gans“, eine der kostbarsten Tochterlogen der Gro�loge von England, von der Forster zweifellos schon geh�rt hatte, — hatte er etwa nicht? — und zu deren Aufsehern Dalrymple zu geh�ren sich schmeicheln durfte. Ob Forster davon geh�rt hatte?! Aber hier stand er ja mit einem Schritt am Ziel seiner W�nsche, am Ziel der W�nsche aller Pl�neschmiede und Projektenmacher seiner Zeit, und mochte man immer in Deutschland noch vielfach die „Freym�urer“ f�r Deisten und Libertiner, f�r Independenten schlimmster Art halten, dar�ber war er denn doch hinaus, vor allem, da er hier nicht als preu�ischer Prediger stand, — und �berhaupt, gleichviel! Wenn er nur Hilfe und Unterst�tzung fand, — und waren die hier nicht jedem Strebenden gewi�? Ob man den Knaben mitnehmen konnte? Aber nein, dies ging nicht an, und so wurde George angewiesen, zu warten, ja Mr. Dalrymple legte ihm, unter der T�r noch einmal umkehrend, ein Buch in die H�nde, das George gleich an dem rauhhaarigen Mann auf dem Titelblatt, der, strumpf- und schuhlos, aber mit zwei Flinten und einem riesigen umgeschnallten S�bel bewehrt, auf einem unverkennbaren Eiland fu�end dastand, als eine englische Ausgabe des ihm wohlbekannten „Robinson“ erkannte. Da er von jeher keine gro�e Vorliebe f�r die ungem�tlichen Schicksale dieses Helden gehabt hatte, legte er das Buch auf den Tisch, sobald Schritte und Stimmen der M�nner verhallt waren, und nun blickte er sich im Zimmer um, und eine ganze Weile tat er nichts anders als dies, da� er um sich blickte und, — von Entz�cken �berw�ltigt, — l�chelte.

Wie war das alles so �ber die Ma�en sch�n und wunderbar!

Er hockte auf seinem Taburettchen an dem einen Ende des langen Tisches, der in seiner Mitte, dort wo der hochlehnige Sessel mit der Stirnseite zum Fenster gewandt davorstand, als Schreibtisch diente und auf wohlumgrenztem Raum mit Schriftwerk aller Art, einem au�erordentlich sch�nen Schreibzeug aus Bergkristall und G�nsekielen in reicher Auswahl bedeckt war, am entgegengesetzten Ende aber den Zweck eines Zeichentisches erf�llte, auf dem Rei�bretter, Zirkel und Winkelma� nebst den verschiedensten Farbenn�pfchen und Fl�schchen chinesischer Tusche mit Pinseln, Papieren und Pergamenten sich breit machten, — w�hrend auf der ihm zugewandten Seite ein kunstvoller Himmelsglobus stand, von den fremdartigsten Instrumenten umgeben, wie er sie wohl in der Kaj�te und in den H�nden der Schiffer gesehen, aber nie in solcher N�he vor sich gehabt hatte. Dies war ein Kompa� und jenes da ein Sextant, er wu�te es, aber ihr Gebrauch war ihm doch mehr oder weniger r�tselhaft. Und welche Auswahl jener wundersamen Rohre, in deren Rund die Ferne sich einfangen lie�, lag hier auf Purpursamt gebettet und funkelte sanft! Dicht vor ihm stand ein solches Rohr aufgestellt, aber senkrecht gerichtet und ein Glaspl�ttchen unter sich, auf dem ein perlmuttern gefleckter Schmetterlingsfl�gel lag, — ein Mikroskop —, er kannte auch dies, und das zweibeinige Ungeheuer am Fenster, das breitstelzig dastand und seine M�ndung auf die Wolken richtete wie ein Gesch�tz, mochte ein Himmelsfernrohr sein, mit dem Dalrymple in den seltenen klaren N�chten nach Mond und Sternen sah. An dem letzten Fenster ruhte eine gewaltige Erdkugel von verschossenem Gr�n in einem tischhohen Gestell, vor dem Kamin hing ein kunstvolles Schiffsmodell mit einer Menge winziger drohender Kanonenrohre von der Decke herab, und dort, wo die W�nde nicht von Karten bedeckt waren, standen Regale mit B�chern gef�llt und von den merkw�rdigsten Gegenst�nden gekr�nt, einer blendend wei�en, wunderbar ver�stelten Koralle etwa oder einem ausgestopften metallisch ergl�nzenden Vogel von sonderbar j�dischem Aussehen, einer Blaurake, wie er sp�ter vernahm. Auch gab es einen Glasschrank, der Erzstufen und Kristalldrusen, aufgespannte lasurfarbene Schmetterlinge, rosige ostindische Muscheln und dergleichen zu bergen schien, jedoch erhob sich George durchaus nicht, um diese Merkw�rdigkeiten n�her in Augenschein zu nehmen, sondern es gen�gte ihm vollkommen, hier zu sitzen, ganz an das unerkl�rliche Behagen hingegeben, das dieser Raum auf ihn ausstr�mte. Wohl, er kannte alle Gegenst�nde im einzelnen, kannte sie bis zum �berdru� aus dem Petersburger Museum und hatte dieses und jenes Instrument in den Studierzimmern der gelehrten Freunde seines Vaters wahrgenommen, Arbeitsr�umen, die gemeinhin verr�ucherte H�hlen waren, in denen mehr oder weniger in ihrer �u�eren Erscheinung vernachl�ssigte M�nnlein lichtabgewandt hausten, wie syrische Anachoreten. Das Kabinett des Vaters daheim mit den fichtenen B�chergestellen und dem wackligen Stehpult fiel ihm ein, er sah den Schatten des Gaisblatts auf den blankgescheuerten Dielen tanzen, sah ein kleines Geschwister dort kriechen und danach haschen und sich sodann irgendwie unw�rdig benehmen, auch das Petersburger Quartier sah er vor sich, in dem ungemachte Betten, Kleider, B�cher, Stiefel, Manuskripte und Tabakspfeifen ein hoffnungsloses Durcheinander gebildet hatten, — dies alles zog zum Vergleich herausfordernd an ihm vor�ber, und nur mit dem Erfolg, da� er sich auch weiterhin nicht r�hrte, um sich blickte und l�chelte. So mu�te es sein, ach ja, ganz so, und nicht anders, und hier mu�te man am Tisch sitzen gleich dem ruhmreichen Dalrymple, sauber und korrekt vom Scheitel bis zur Sohle, ohne die geringste Vernachl�ssigung im Anzug, einem Offizier mehr gleichend als einem B�cherschreiber, von elastischer Straffheit in jeder zielbewu�ten Bewegung, eine Klarheit von Stirne, Augen und dem L�cheln des Mundes ausstrahlend, die den wundervoll geordneten und durchgebildeten Aufbau der inneren Welt verriet, wo alles durchsichtig und gesetzm��ig lebte und arbeitete. Hier entstand kein Gedanke, der sich nicht dem Ziel untergeordnet h�tte, auf das Dalrymples Arbeit just gerichtet war, und nichts war sicherer, als da� das Rad der T�tigkeit in diesem gleichm��ig wachen Haupt nie stille stand, mochte es auch zuweilen sanfter gehen, etwa nur von den Eindr�cken eines Morgenrittes im taufeuchten Hydepark, eines Abendganges am Flu�ufer, den heimkehrenden Herden entgegen, oder auch allein von den lichtvollen Traumbildern einer Nacht bewegt. In seines Geistes F�lle versenkt, doch mit dieser Arbeit, dem Element seines Lebens, unmittelbar der Wohlfahrt seiner Mitb�rger dienend, ihren Handel und Wandel, wie er sich vor seinen Fenstern tausendf�ltig und ameisenhaft entfaltete und abspielte, f�rdernd, unsichtbar eingreifend, Richtlinien gebend und Ziele verleihend, Englands Sohn mit Leib und Seele auch darin, da� er seefahrtskundig sein Schiff mit eigener Hand durch die Meere zu steuern verstand, — doch auch dies nur zweckerf�llt und niemals aus dumpfer Schw�rmerei oder Abenteuerlust unternehmend —, siehe, da war das Ideal des kleinen George Forster, wie es, ihm selber unbekannt und annoch in sieben Schleier geh�llt in seiner Seele schlummerte, pl�tzlich Fleisch und Blut geworden, trat vor ihn hin und lockte sein Spiegelbild hervor, da� es dem Knaben vor Augen trat, freilich unklar wie aus beschlagenem Glas. Es deuchte ihn eine fast unausdenkbare Seligkeit und doch das einzig begehrenswerte Ziel, in einem Gemach gleich diesem hausen zu d�rfen, Besitzer zu sein solcher geordneter schimmernder B�cherreihen, mit solchen blanken ernsthaften Ger�ten, in denen der erhabene Geist der Mathematik sich in klaren einf�ltigen Formen offenbarte, rasch und sicher hantieren, mit raschelnder Feder perlenschnurgleiche Buchstabenreihen �ber reines k�rniges Papier ziehen und so ganz und gar bis in die kleinste Einzelheit von Ordnung und Zweckm��igkeit umgeben sein zu k�nnen. Diesem Kinde hatte Arbeit das Spiel zu fr�h ersetzen m�ssen; was Wunder, wenn seiner Art zu arbeiten lebensl�nglich etwas von der Methode des Spielens anhaftete, da� sie einer gewissen Verkl�rung durch die Phantasie bedurfte, um fruchtbar zu sein, eines Anreizes in der Gestalt ihrer �u�eren Hilfsmittel, da� ihre Spannkraft im h�chsten Grade von Abwechselung abh�ngig war, — ja, da� sie sich selbst zuweilen mit ihrem Schatten, mit einer Absicht, einem Plan, einem Projekt verwechselte? Gleichviel! Als George etwa eine Stunde allein in diesem Heiligtum der Wissenschaft gesessen hatte, war er von dem schweigsamen Geiste der T�tigkeit, der hier herrschte, so durchdrungen, da� er von sich selbst ger�hrt war und ein so reinliches Gewissen in sich f�hlte, als habe er angestrengt gearbeitet, zugleich aber empfand er eine inbr�nstige sehns�chtige K�mmernis, die sich uneingestanden aus hoffnungsloser Verzweifelung, aus einem armen kleinen Neid zusammensetzte.

Ein Kompa� lag vor ihm auf dem Tisch, die Magnetnadel unter einer schwach gew�lbten Scheibe von Bergkristall eingelassen in eine handtellergro�e sechseckige Bronzeplatte mit eingeritzten Ziffern, auf die ein niederzuklappender Weiser mit seinem Schatten deuten mu�te, — eine winzige Sonnenuhr also, ein �u�erst sauberes, zierliches, handliches Ger�t, das man in seinem Futteral von rotem Maroquin �berall bei sich tragen konnte, — er widerstand der Versuchung nicht, es in die Hand zu nehmen, und betrachtete es and�chtig. Bion � Paris stand im Halbkreis um den Kompa� herum zu lesen, — ach ja, solche Gegenst�nde galt es zu besitzen und sich ihrer unter freiem Himmel zu bedienen, — er seufzte ein wenig und legte das Instrumentchen z�rtlich auf den Tisch zur�ck. In diesem Augenblick tat sich die T�re auf, und ehe er es sich versah, stand ein Kind in der Mitte des Zimmers, ein kleines M�dchen in zierlich gerafftem lichtblauen Kleid, stockte bei seinem Anblick und sagte in den ausdrucksvollsten T�nen: „What are you doing here? In my fathers room and in our house? How did you come in?“ Dabei blitzte sie ihn mit emp�rten gr�nbraunen Augen an und hob eine gro�e wei�e Angorakatze, die mit ihr gekommen war und ihre Knie umschmeichelte, mit beiden H�nden auf, es war nicht zu erraten, ob als Waffe und um sie gegen ihn zu schleudern, oder um sich an dieses befreundete Wesen anzuklammern, denn sie selbst machte eine ganz kleine Wendung zur T�r, bereit, sich bei der geringsten verd�chtigen Bewegung des Eindringlings zur�ckzuziehen. George indessen, dem sein Englisch auf einmal wegschwamm, war aufgesprungen, lie� die Arme hilflos h�ngen und stammelte erschrocken eine deutsche Erkl�rung f�r seinen unbegreiflichen Aufenthalt in diesem Heiligtum, die er gleich darauf, etwas gefa�ter, auf Englisch wiederholte, als er den ratlosen Ausdruck der jungen Dame wahrnahm. W�hrend dieser Erkl�rung, in der „my father and Mr. Dalrymple“ den festen Kern eines Kn�uels verwirbelter Perioden bildeten und die Wendung „You know“ zur Ausf�llung von Verlegenheitspausen oftmals wiederkehrte, begann das Kind zu l�cheln, die rosige Wange in das Fell des Tieres schmiegend, und sodann, auf ihn zutretend und mit spitzen Fingerchen auf ihn deutend, sagte sie in hohen zwitschernden T�nen: „Du bist kein Engl�nder, du, — das bist du nicht!? Aber du kommst nicht aus Indien wie Arya.“ Hierauf, mit demselben Fingerchen sein Gesicht ber�hrend, die kleine Nase ein ganz klein wenig angeekelt kraus ziehend, nachdenklich: „Was ist das? Was hast du da? Haben alle Leute in deinem Lande so kleine L�cher in ihrer Haut?“ Worauf George, mit der eigenen Hand �ber seine pockennarbige Wange streichend, besch�mt eingestand, da� dieser beleidigende Anblick von einer Krankheit herr�hre, wobei er sich trostlos verhedderte, da ihm die n�tigen Ausdr�cke fehlten und schlie�lich: „Bad cough, you know!“ sagte, weil dies im Grunde die einzige Krankheitsbezeichnung war, die er auf Englisch wu�te, da Mrs. Freeling an einem bad cough litt und ihre G�ste einzig davon zu unterhalten pflegte. Er war �u�erst peinlich ber�hrt und von einer nach Tr�nen verlangenden Erregung durchzittert, dar�ber, da� dies fremde M�dchen ihn so ohne weiteres auf seine k�rperlichen Mi�st�nde anredete, zumal da es ihn nach seiner Erkl�rung durchaus nicht mitleidig, sondern weiter mit k�hler Neugier betrachtete, wie ein ausl�ndisches Tier. Jedoch ging nun pl�tzlich wieder jenes L�cheln �ber ihr Gesicht, das tanzende Sternchen in die Augen zu zaubern schien, und aus dem goldbraunen Geringel der Locken gleicherweise wie aus den vereinzelten lustigen Sommersprossen in der zarten Haut, den bla�roten Lippen und den wei�en Z�hnchen leuchtete; sie sagte nachsichtig: „You look like a little old man!“ drehte sich einmal auf dem Absatz um, mit einer Handbewegung, die das ganze Zimmer vorstellend umfa�te: „Mr. Dalrymple is my father,“ und, wieder Aug’ in Auge mit ihm, schlo� sie: „And that’s Pussy,“ wobei sie ihm die Katze mit beiden Armen hinreichte und die Krallen des Tieres mit einem ausdrucksvollen „Don’t, Pussy!“ aus dem Musseline ihres Kleidchens l�ste. „Halte sie einen Augenblick! Ich werde dir etwas Komisches zeigen.“ Eilig lief sie zu dem gro�en Globus in der Ecke des Zimmers, umspannte die Kugel mit beiden rundlichen Armen und versuchte sie aus dem Gestell zu heben. „Nein, ich kann es nicht allein,“ rief sie zornig, „schnell, komm her und hilf mir. Aber so halte doch die Katze!“ Und da George nun ratlos dastand, denn er hatte die Katze losgelassen, um die H�nde frei zu bekommen, und Pussy zog sich eilig in die N�he des Kamins zur�ck, trommelte sie mit beiden F�ustchen auf den Globus, rief lachend und aufgebracht: „How funny a boy you are!“ und brachte es dann unter St�hnen und Prusten mit seiner Hilfe zustande, da� die gro�e hohle Kugel, auf der die Weltteile und Ozeane von Abbildungen der seltsamsten Fabelwesen, wie von Einh�rnern, Meerweibern und Seeschlangen bev�lkert waren, in die Mitte des Zimmers gerollt wurde. Nun hie� es: „Try to catch Pussy!“ denn Pussy hatte sich, entschieden ahnungsvoll, auf die hohe Lehne eines der Kaminsessel zur�ckgezogen und beobachtete die Vorbereitungen mit Mi�trauen, — entwich bei der Ann�herung der Kinder von dort und schritt mit vorget�uschter W�rde und affektierter Zierlichkeit �ber alle Ger�te, Papiere und B�cher des Arbeitstisches hinweg, raste sodann in einem Ausbruch von Verzweiflung in dem ganzen Raum herum, wobei ihre Besitzerin vor Lachen umfiel, George aber seinen ganzen Ehrgeiz entfaltete und sie griff, indem er ihr den Weg versperrte. „I have her, Miss!“ schrie er triumphierend, erntete ein vor Lachen atemloses: „Oh, how awfully funny! Don’t call me Miss! I am Evelyn!“ und nun ward das sich scheinbar in sein Schicksal ergebende Tier, — ein Kater �brigens, — mit allen Vieren auf die Kugel gestellt. Sofort begann es unbehaglich einen Fu� vor den anderen zu setzen, um hinunterzugelangen, hierdurch geriet die Kugel in Bewegung, Pussys Unbehaglichkeit steigerte sich zum kl�glichen Miauen, er reckte den Schwanz steil auf und, unentwegt weiter trippelnd rollte er auf der Kugel durch den ganzen Raum, von Evelyn jauchzend umtanzt und von George unter Staunen begleitet. Als nun wiederum jemand eintrat, und zwar diesmal eine hagere �ltliche Dame, die von seinem Anblick ebenso �berrascht schien wie Evelyn vorhin, hatte er doch bereits genug Unbefangenheit gewonnen, um auf des Kindes vergn�gte Einf�hrung seiner Person: „Only listen, Miss Jones!“ und zu ihm gewandt: „Now tell her that of Mr. Dalrymple and my father!“ eine leidlich wohlgesetzte Erkl�rung seiner Anwesenheit fertigbringen zu k�nnen, die zwar Evelyn entt�uschte („You told it otherwise and much more funny last time!“), jene w�rdige Dame aber hinreichend befriedigte. Er wurde nun mit ins Wohnzimmer genommen, er bekam Tee mit ger�stetem Brot, Butter und Marmelade, er mu�te der Mi� von Deutschland und St. Petersburg berichten, wozu sie abwechselnd „Awfully!“ oder „How strange!“ sagte und gelegentlich seine S�tze verbesserte. Evelyn jedoch setzte ihm drei Puppen auf den Scho� und erkl�rte ihn zu deren Gro�vater, — denn der Vater sei nun einmal Pussy, von jeher, und k�nnte doch nicht abgesetzt werden! —

Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, da� das Leben eines jeden Menschen in seinem Verlauf Strecken aufweist, die, obschon durch Jahre getrennt, einander doch seltsam �hneln, weniger ihrem Inhalt als ihrem �u�eren Rhythmus nach. Als der Vater mit ihm in Warrington nahe bei Manchester angelangt war, wo er am Predigerseminar die Stelle eines Lehrers f�r Naturgeschichte und Sprachen angenommen hatte, — als sie dort ein kleines Haus inmitten eines G�rtchens voller Stockrosen und Stachelbeeren bezogen hatten, — als schlie�lich die Mutter mit den Geschwistern angelangt war, und sie sich nun alle mitsammen, da der Winter ins Land zog, eng aneinanderschlossen, der K�lte und der Fremde Trotz boten und sich gegenseitig zur Heimat wurden —, da schien es George anfangs, als steige verj�ngt und verkl�rt die erste Zeit seines Lebens wieder herauf. Dem Himmel sei Dank, man war nicht nach Amerika gesegelt, um dort ein gewisses gottverlassenes Gebiet n�her zu untersuchen, wozu Lord Baltimore die n�tigen Mittel herzugeben bereit war, denn dieser W�rdentr�ger schien besonders neugierig auf die Verh�ltnisse in jenem Landesteil. Man hatte auch auf die Pfarre verzichtet, die Lord Shelburne in Persacole, einem �u�erst idyllischen Ort, zu vergeben hatte, jawohl, man tat sich nicht wenig auf seine Grunds�tze zugute, lie� sich nicht ein auf ein nicht ganz fest gesichertes Unternehmen, — („war nicht die Schachfigur irgend so eines Gro�en, verstehst du, mein Sohn!“) und machte sich nicht noch einmal im Leben zum Schuhputzer eines Patrons, indem man den B�ttel im Predigerrock darstellte („jawohl, denn darauf kam es doch schlie�lich heraus!“). War es auch etwas Entz�ckendes um das Entgegenkommen all dieser Br�der im Geiste der Loge, man hatte doch seine pers�nliche Freiheit zu wahren, (dies war der neueste Standpunkt), und letzten Grundes wollte man sich nicht festlegen, weil Mr. Dalrymple da einige Andeutungen gemacht hatte, — einige ganz unverbindliche Andeutungen … Kurz und gut, Reinhold Forster schied von London, nachdem er Mitglied einer Loge geworden war und auf die „Vereinigung aller Guten zum Guten“ schwur. Jedoch, so ausgiebig er die Grunds�tze der Verbindung in seiner Unterhaltung anbrachte, die Gleichheit aller Menschen vor dem h�chsten Gesetz war ihm keineswegs in Fleisch und Blut �bergegangen und er, f�r sein Teil, bewahrte seit den Petersburger Erfahrungen ein dumpfes Mi�trauen gegen die, die er „die Gro�en“ nannte, war auf seiner Hut und w�rde sich nicht noch einmal �bert�lpeln lassen. Leider drang ihm dies Bewu�tsein seiner �berlegenheit derma�en aus allen Poren, da� er allerlei Ansto� damit erregte, wor�ber er sich wiederum nicht wenig wunderte, da er sich f�r au�erordentlich diplomatisch hielt. Auf George hatte die Schilderung der freimaurerischen Gebr�uche und Feierlichkeiten einen tiefen und beseligenden Eindruck gemacht, und es erh�hte den Zauberschein, der Mr. Dalrymple in seiner Vorstellung umgab, noch bedeutend, da� dieser in seiner Loge ein Ehrenamt bekleidete und somit von priesterlicher W�rde umflossen war. Im stillen hatte er es sich fest vorgenommen, seinerzeit die kleine Evelyn zu heiraten und als dem�tiger Famulus um Dalrymple herum zu leben, betraut mit der Instandhaltung der Instrumente und dem Kolorieren von Landkarten, auch mit Schreibarbeiten, die er besonders k�nstlich und sch�n auszuf�hren gedachte, wenn er dabei nur in jenem unverge�lichen Raum leben durfte, — aus dem er �brigens Pussy verbannt wissen wollte. Dies Ziel vor Augen begann er seinen Weg mit einer ersten Ahnung von Bewu�theit zu gehen. Es war ein Jammer, da� der Vater Mr. Dalrymple so wenig glich, da� er so gar keinen Wert auf Akkuratesse und P�nktlichkeit legte und trotz seiner Vorliebe f�r ein elegantes Auftreten, oder vielmehr einer Neigung f�r das Bunte und Pr�chtige, sein �u�eres vernachl�ssigte, wenn man nicht auf ihn achtete. Er, George, begann jetzt, seinen eigenen Sinn f�r peinliche Ordnung wie ein Steckenpferd zu pflegen und erzielte unter seinen Gebrauchsgegenst�nden, seinen B�chern, Papieren und Schreibger�ten eine ihn selbst entz�ckende Nettigkeit, die sich auch auf seine Kleider und Schuhe erstreckte und so weit ging, da� er aufgebracht wurde, wenn die Mutter sich dieser Dinge wieder annehmen wollte oder gar Fieken, die w�hrend der Trennung etwas, wie ihm schien, aufdringlich Hausm�tterliches angenommen hatte. Die Mutter, immer noch in der ersten bitteren Ergriffenheit von seinem Anblick, da sie ihn so gewachsen, abgemagert und mit einem Schatten von stillem, grauen Ernst auf dem schmal gewordenen Gesicht wieder gefunden hatte, lie� ihn gew�hren und meinte in diesem ihrem ersten Kinde ihr eigenes Herz zu erkennen, wie es sich in den vierzehn Jahren ihrer Ehe aus kindlichem Lebensvertrauen in die stumme Ergebenheit des Dienenm�ssens geschickt hatte. In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft geschah es einmal, da� sie in der D�mmerung des Oktoberabends mit ihm allein war, oder doch wenigstens ohne den Vater und die gr��eren Geschwister. Sie sa� am Fenster, mit dem J�ngsten auf dem Scho�, und blickte t�dlich ersch�pft in den erl�schenden Herbsttag, ohne einen anderen Gedanken als den der Dankbarkeit, da� sie nun festen Boden unter sich f�hlte und nicht mehr den schwankenden des Schiffes oder der Postkutsche. Da� sie das nun hinter sich hatte, Sturm und Wellen, Kattegatt und Skagerrak, sie allein mit den f�nf Kindern! Mein Gott, sie schauderte immer wieder unter einem R�ckkehren der k�rperlichen Angst dieser letzten Wochen und l�chelte matt und erl�st zu George auf, der schon eine Weile an ihre Schulter gelehnt neben ihr stand, ohne sich zu r�hren. Jetzt glitt er nieder und kniete vor ihr, Augen und H�nde scheinbar mit dem Kleinen besch�ftigt, dessen Fingerchen er festhielt. Dann aber begann er �ber das Kleid der Mutter hinzutasten, z�gernd und ungeschickt, als begr��te er die bunten Streubl�mchen in dem braunen Perkal alle einzeln, und nun fa�te er nach dem Medaillon aus d�nnem Golde, das ihr an einem Sammetband um den Hals hing, und das, er wu�te es, ein L�ckchen von ihm selbst aus seinen ersten Lebensjahren barg. „Ach, — auch das …“ murmelte er und schlug pl�tzlich die Augen voll zu ihr auf, die im n�chsten Augenblick von Tr�nen �berflossen, w�hrend er das Gesicht an ihre Knie dr�ckte, ihren Scho� mit beiden Armen umspannte und so krampfhaft schluchzte, da� sein ganzer K�rper bebte. Sie, erschrocken, und doch nicht unvorbereitet auf diesen Ausbruch, legte die Linke auf seinen Kopf, — die Rechte umfa�te und hielt den kleinen Christian —, und so, ihn ab und zu sanft streichelnd, sagte sie nichts weiter als: „Georgie, — mein Georgie …“ in einem Ton hoffnungsloser Erm�dung, in dem aber mehr Z�rtlichkeit und Verst�ndnis lagen, als mit vielen Worten sich h�tte ausdr�cken lassen. Endlich, als das Weinen verebbte und seine Arme sich ein wenig l�sten, wandte sie den Blick vom Fenster zu ihm und sich �ber ihn neigend, selbst aufschluchzend in einer Wallung von Gram und Zorn, fragte sie mit rauher Stimme: „Hat er dich geschlagen, oft geschlagen, mein Kind?“ — und fuhr dann fort, ihn stumm zu liebkosen, indem sie den Oberk�rper hin und her wiegte und mit einem Ausdruck uns�glicher Bitterkeit �ber ihn weg ins Leere blickte. —

W�hrend harter, trockener Arbeit, die ihn an sein Tischchen in der Fensternische des gro�en Wohnzimmers spannte wie einen Ackergaul vor den Karren, — hier sa� er geb�ckt und �bersetzte, er, der zw�lfj�hrig sechs Sprachen beherrschte, — da war es doch gut, war tr�stlich, drau�en die Mutter hantieren zu h�ren und den gleichm��igen Verlauf h�uslichen Lebens um sich zu sp�ren! Wie h�tte er wohl sonst dies ausgehalten, dies Nachbauen gro�er systematischer Werke mit einem anders gef�rbten Material, aber so, da� Stein um Stein sich deckte, da� ein Geb�ude entstand, dem Vorbilde aufs Haar gleichend, in jedem T�rmchen und Eckchen, in jedem Ger�te der Einrichtung, — oh, dies best�ndige Hin- und Herblicken von Buch zu Buch, dies Vergleichen, dies Abw�gen der Worte, — und was dann endlich vor ihm lag, war nichts Neues, war ewig wieder dasselbe, was schon einmal dastand. Indessen wu�te er jetzt, da� es ein Hilfsmittel gab, solche Arbeit ertr�glich zu machen, es war eine rastlose geduldige Hingabe an die Genauigkeit und Buchstabentreue, an der er sich erbauen konnte, wie an der rechtwinkligen Aufstellung seiner B�cher und Ger�te oder an dem tadellosen Anblick einer fertigen Manuskriptseite. Hier war er seiner selbst sicher, keinen Anfechtungen und Zuf�llen ausgesetzt wie beim Unterrichten der Geschwister oder der englischen Knaben in jener Schule, die er dreimal w�chentlich mit gr��ter �berwindung betrat und mit dem Gef�hl bitterster Dem�tigung wieder verlie�, halb ohnm�chtig von der Anstrengung, die ihn das Aufrechthalten seiner W�rde, das �bersehen und �berh�ren des Spottes seiner Sch�ler und die reinliche Erf�llung seiner Pflicht kostete. Gleichzeitig war er von Hunger geschw�cht, der ihn in diesen Jahren zu �berfallen pflegte, wie ein rei�ender Wolf, denn sein K�rper streckte sich nun und befand sich in fortw�hrendem Aufruhr gegen die Lebensweise, der er unterworfen wurde. Dann f�hrte ihn sein Heimweg an jener B�ckerbude vor�ber, — ach nein, — er f�hrte gar nicht daran vor�ber, aber man konnte doch durch jene Stra�e gehen, wo sie sich befand, magisch anziehend mit dem stillen Glanz ihres Schaufensters, hinter dem die leckersten Apfel- und Fleischpastetchen lagen, w�hrend ein k�stlicher warmer Duft nach frischem buttrigen Geb�ck das ganze Geb�ude umwitterte. Er w�rde vorbeigehen, dies war ihm meist zwei Schritte von der verh�ngnisvollen T�re entfernt noch ganz klar, gewi�, er w�rde nicht erliegen, — nicht einmal die Augen wollte er der Versuchung zuwenden, — ach, warum war er �berhaupt durch diese Stra�e gegangen? Und welche Gewalt war es, die ihn dann hinri�, eine scharfe Biegung auf die T�re zu zu machen und sie aufzusto�en? Manchmal gelang es ihm, vor�berzukommen, aber nach zehn Schritten kehrte er dann um und lief beinah zur�ck, mit w�sserndem Munde und die Faust in der Tasche um ein armes kleines Geldst�ck geballt, manchmal auch ging er rasch, aufrecht, mit trotzig vorgeschobener Unterlippe auf den Laden zu, und das meist, wenn er gar kein Geld hatte und darauf rechnete, da� die B�ckersfrau ihm auf den Namen und Stand seines Vaters hin Kredit geben w�rde. Hierauf konnte er es kaum erwarten, den stillen Heckenweg zu erreichen, wo er die T�te �ffnen und hastig und gierig �ber die Kuchen herfallen konnte, die er verschlang, ohne recht zu kauen, atemlos, w�hrend ihm Tr�nen aus den Augen liefen und er nur den letzten mit z�gernder Andacht verzehrte. Da nun der Hunger gestillt war, �berkam ihn die schrecklichste Reue, wie er derma�en habe schwelgen k�nnen, ohne der Mutter und den Geschwistern, — nicht allen, aber Friederiken etwa, der zweiten Schwester, die er liebte, — etwas abzugeben; er sch�mte sich fast zu Tode und mu�te sich doch von Zeit zu Zeit noch den Mund lecken, indem er langsam nach Hause ging. Diese S�ndenf�lle wiederholten sich zu seiner Verzweiflung immer wieder und sein Schuldkonto wuchs. Eines Tages ereignete es sich, da� die dicke B�ckersfrau, nachdem sie eine Weile mit m�rrischem Gesicht und angelecktem Daumen in ihrem Rechnungsbuch gebl�ttert und mit der Stricknadel Zahlen zusammengez�hlt hatte, sich unter ihrer Haube kraute und erkl�rte: „You must pay me first, Master!“ und wenn nicht anders, m�sse sie sich an den Herrn Vater halten. Worauf sie das Buch zuklappte und hinter George drein die Nadeln klirren lie�. Er schlich mit h�ngenden Armen aus dem Dufte der Pastetchen, von so viel H�rte wie von einem Schlag ins Gesicht getroffen, — einer H�rte, die er im Grunde als berechtigt anerkennen mu�te; es hatte so kommen m�ssen, er hatte es ja genau gewu�t und hatte doch wie ein Blinder darauf los gesteuert. Der Schwei� brach ihm aus, w�hrend er mit �u�erer Fassung dahinging; er rang nach Atem und f�hlte sich von k�rperlicher Angst durchrieselt, — hier ging er, ein Verworfener, ein Verschwender, — „verbrachte sein Gut mit Prassen!“ fiel ihm ein, — und nun, in dem stillen Heckenweg, dem Zeugen so vieler S�nden, angelangt, rang er buchst�blich die H�nde. Die Folgen seines Tuns waren ihm schrecklich klar, Zornesausbr�che und Schl�ge seitens des Vaters, stille Tr�nen der Mutter, — dies alles aber war nicht so qu�lend wie die innere �berzeugung, es nicht besser verdient, die Erkenntnis, sich miserabel benommen zu haben, so, wie er es nie und nimmer von sich erwartet hatte, und da� andere nun Zeugen dieses Zusammenbruchs werden sollten! Er hatte nicht mehr gebetet, seit jenem Tag auf der „M�tterchen Elisabeth“, seit jenem betretenen „Du wei�t es also noch nicht, mein Sohn“ des Vaters, — nicht etwa aus Prometheustrotz, sondern die Gewohnheit war von selber eingeschlafen, er hatte sich ihrer begeben aus einer Ersch�pfung der Hoffnungskraft heraus, die einer schweren Erkrankung, einer seelischen L�hmung gleichkam, — jetzt in diesem Augenblick war zum erstenmal ein gespanntes Gef�hl stark genug, das angestaute Eis zu durchbrechen, die innere Vergletscherung aufzutauen: er betete, er schrie und flehte stumm, aber hei� und st�rmisch mit aufgehobenen H�nden um Errettung, weniger vor der Strafe als vor der Dem�tigung, gelobte, zu einem jungen, bl�henden Kirschbaum als einem Vertreter Gottes aufblickend, Selbstzucht, Reinheit, Enthaltsamkeit, geriet ins Schluchzen, umklammerte mit den H�nden die eigene schmale, tobende Brust und lehnte an einem Zaun, um sich auszuweinen, jetzt schon erh�rt sich w�hnend, einfach durch die Linderung, die er nach diesem Ausbruch im Herzen versp�rte. Langsam nach Hause wandelnd, geriet er in eine sanfte, traumhafte Stimmung, empfand Vogelruf und Baumesbl�te, lichtblauen, wolkendurchschimmerten Himmel und f�chelnden Wind mit erstauntem Gl�ck wie unerwartete Z�rtlichkeit, fand, sich noch einmal ungern an den Grund seines Kummers erinnernd, da� er l�ngst beschlossen habe, der Mutter alles zu beichten, und gab sich dann ganz einer neuen schw�rmenden Seligkeit hin, die sein aufgepfl�gtes Herz hervorgehen lie� wie kindliche Saat. Er war schon in die Stra�e eingebogen, an deren Ende sein Ziel war, aber immer noch heiter und sorglos schreitend, von unbekanntem Leichtsinn getragen, versuchte er eine Pf�tze zu �berh�pfen, die er sonst wohl umwandelt h�tte, und nat�rlich trat er hinein und blickte ein wenig best�rzt und ern�chtert nieder auf das schwerf�llige linke Bein, dessen stramm sitzender grauer Strumpf mit Schmutzspritzern bedeckt war, w�hrend der stumpfe Schnallenschuh einen betr�blichen Gegensatz zu seinem blanken gepflegten Bruder darbot. Nachdenkend, ob es wohl gegeben sei, das Schnupftuch hier anzuwenden, durchzuckte es ihn pl�tzlich von den Augen zum Herzen, da� ihm das Blut einen Augenblick stockte, und aus dem Schlamm einer Wagenspur hob er mit bebenden Fingern auf, was golden dort blinkte, hielt es, l�chelte verwirrt, zog nun wirklich das Schnupftuch, rieb und putzte, ging dabei weiter wie ein Schlafwandelnder, stand wieder still und starrte auf das kleine blanke Ding in seiner Hand, das nicht verschwand, sondern dalag und gl�nzte, sich erw�rmte und sich ihm zum Eigentum gab: „O mein Gott,“ dachte er mit versagenden Worten, „wahr und wahrhaftig!“ Es war eine Guinee. —

Da war er nun erh�rt, auf eine recht greifbare Art erh�rt, derma�en erh�rt, da� ihm der Segen den Sch�del fast einschlug, und er sich zun�chst gar nicht zu sammeln vermochte. Er dachte seltsamerweise zun�chst an einen silbernen Fingerhut, den die Schwester Friederike sich w�nschte, und da� er ihn nun kaufen und ihr mitbringen k�nne, dachte an ein kleines ausgezeichnetes Federmesser f�r sich selbst, dessen er entschieden bedurfte, und dazwischen nat�rlich immer wieder an die Bezahlung jener Schulden, aber gar nicht so, als habe der Himmel ihm dies Goldst�ck nur eigens zur Errettung aus dieser Not und in Beantwortung seines Hilfegeschreis in den Scho� geworfen. Er empfand dunkel ein Mi�verh�ltnis zwischen dem Rausch gel�sten Gef�hls von vorhin und dieser glatten Erledigung aller Schwierigkeiten, ja, er war beinahe geneigt, diesen Fund f�r einen gl�cklichen Zufall und nichts anderes zu halten, denn er hatte seine Erh�rung dahin, sie hatte einzig in der wundervollen Erleichterung seines Herzens nach dem Gebet gelegen. Wenn er nun betroffen innerlich Dank stammelte, so geschah es keineswegs mit dem Jubel des von Gott mit Gnade �bersch�tteten, sondern pflichtschuldigst. Ein leiser Widerschein der ersten Seligkeit kehrte zur�ck, als er Friederiken sein Geschenk �berreichte und das Aufleuchten ihrer Augen sah; �brigens geschah dies heimlich vor den anderen und selbst vor der Mutter. Er vertraute der Schwester sein ganzes Erlebnis an, sah auf ihrem begl�ckten kleinen Gesicht alle Schattierungen des Mitleids und des Staunens wechseln, wurde von ihr gestreichelt und sogar ganz sch�chtern gek��t und empfand m�nnliche R�hrung, teils �ber sich selbst, teils �ber den Eindruck, den er hervorrief. Mit diesem Tage war in seiner Brust etwas gelockert, er gab sich von nun an gern solchen R�hrungen hin und suchte sie sogar auf, er betete, rein um des Betens willen, und war oft recht untr�stlich ungl�cklich, ohne zu wissen warum. Viel Zeit zu solchen Ergriffenheiten hatte er nicht, so vertrieb er sich des Abends im Bett die Zeit mit ihnen, wie einst mit den grausigen Spielereien, die das Labyrinth betrafen, an die er jetzt gewisserma�en ankn�pfte, indem er sich Gott in den Mittelpunkt der Irrg�nge gebannt vorstellte und seine Stimme dort h�rte, nicht schaurig rollend, wie die des Minotauros, sondern stark, schwingend und summend, in einer Harmonie, deren S��e ihm den Brustkasten vibrieren lie�. Sich zu ihm hinzubeten, das war’s, was es jetzt galt, und er betete zielvoll, inbr�nstig, bis zum k�rperlichen Taumel, bis zur Bet�ubung. Friederike ward mit in diese Ekstasen hineingerissen, nur, da� es ihr oft schwer fiel, zu warten, bis das gesunde laute Atmen von Sophie und dem Bruder Karl verriet, da� diese beiden, einer Teilnahme an dem Geheimnis nicht Gew�rdigten, eingeschlafen waren: sie ward m�de, die kleine Friederike, und gab keine Antwort mehr, wenn er endlich fl�stern konnte: „Wachst du, Riekchen?“ —

Beim Vater fand er keinerlei Nahrung f�r solche �bungen, Herr Forster hatte sich nun vollends geh�utet und wies nirgends mehr ein Kennzeichen des preu�ischen Predigers auf, wenn er sich schon stets nach dem Grundsatz richtete, da� ein Weltmann allezeit die Gef�hle seiner Umgebung schonen m�sse. Indessen ging ihm denn doch die Freiheit des Denkens �ber alles (und nebenbei war der Zwang der regelm��igen Lehrstunden im College wahrhaftig recht l�stig!), und so hatte er sich bald mit dem Rektor Sullenham und dem Reverend Holliday, seinen unmittelbaren Vorgesetzten, gr�ndlich �berworfen, — Fragen des naturwissenschaftlichen Unterrichts gaben den Anla�, welche die Herren in den wolligen Per�cken auf biblischer Grundlage, Herr Forster indes im Sinne der Aufkl�rung behandelt haben wollte. Er zog sich aus dem College zur�ck, blieb jedoch trotzig in Warrington und begann eine freie Lehrt�tigkeit, deren Aufbl�hen ihn haupts�chlich im Hinblick auf die Bekniffenheit des ehrw�rdigen Holliday zu freuen schien, dessen Privatstunden nicht eben �berlaufen waren. Daneben entfaltete er einen in der Tat unerm�dlichen Eifer im �bersetzen von Reisebeschreibungen, und nacheinander schleppte er George mit sich nach Indien, an den Mississippi und nach Cumana in S�damerika, wobei der Knabe, hineingerissen in das rastlos arbeitende R�derwerk dieser brutalen geistigen Maschinerie, die keine Erschlaffung kannte und auch bei andern nicht anerkannte, Handlangerdienste zu leisten hatte und diesem unerschrockenen Reisenden auf den Spuren von Kalm, Osbeck, Bossi und L�ffling atemlos im Urwald der Vokabeln Bahn hieb. Es war wahr, der Vater war wieder von der st�rmischen Tatkraft vergangener Jahre beseelt, und die Zeit der Gebrochenheit schien George ein peinlicher Traum zu sein, so v�llig stand er von neuem unter dem Eindruck der Berechtigung der ungleichm��igen, aber immer heftigen Lebens�u�erungen seines Erzeugers, und war eins in dem Eifer stummer Botm��igkeit mit der Mutter und den Geschwistern. Hingen sie nicht von ihm ab, s�ugte er sie nicht an seinem Busen wie der Riese im M�rchen? Sa�en sie nicht auf der Stra�e ohne ihn? „Nun — nicht wahr?“ — majest�tisches Augenrollen um den Tisch herum. Hinzuf�gung: „Auf der Stra�e hier im wildfremden Lande!“ Also! Und somit gerechtfertigte Besitzergreifung der beiden letzten Hammelrippchen auf der Sch�ssel — „Du warst doch satt?“ — zur Mutter gewandt. Aber wie sollte sie anders! �brigens gab es zwei Pers�nlichkeiten im Hause, die bei solchen Gelegenheiten m�rrisch wurden und ihre Verstimmung unverhohlen zur Schau trugen, die Schwester Sophie n�mlich und den Bruder Karl, — ja, es war erstaunlich und unerh�rt, aber diese beiden widerstanden ihm mit Worten und Werken, und sonderbarerweise ernteten sie nicht nur weniger Kopfn�sse als die andern Kinder, sondern wurden gewisserma�en als ernst zu nehmende Gegner angesehen, �ber die er sich zuweilen heimlich bei Frau Justine beklagte. Fieken, ja, das war ein ganz gef�hrliches Kind, egoistisch und obstinat nannte er sie, und der kleine Karl war gefr��ig und futterneidisch, war so etwas wohl erh�rt!? Hier habe die Edukation einzugreifen, sagte er vorwurfsvoll, und zog sich zur�ck, nachdem seine Frau dem�tig und erschrocken alles versprochen hatte. Nun hatte sie wieder ein paar Tage damit zu tun, da� sie die Kinder innerlich vor ihm verteidigte, mit der Frage: Woher hatten sie’s denn, dies Wesen, — etwa von ihr? Und welches andere von den Kindern war ihm so �hnlich wie Fieken, — sah er das nicht selbst, und konnte er sich in dem kleinen Karl nicht spiegeln? Doch hielt sie solche Gedanken f�r schwere Anfechtungen und fast schon f�r �bertretungen des sechsten Gebotes. Zu ihm aufsehend verga� sie Heimweh, Unzufriedenheit und Erm�dung; er war der Herr und sie sehr schwach und unw�rdig. Bitterkeit war S�nde, — mein Gott, da� sie auch immer wieder da hinein verfiel! Und sie beugte sich �ber ihre Arbeit, sie schaffte von fr�h bis tief in die Nacht, die Kleinsten w�rmten ihr Herz, Fieken unterst�tzte sie auf rauhe aber tatkr�ftige Weise, mit George aber und Riekchen l�chelte sie manchmal mitten unter Tags, als tauschten sie ein heimliches Zeichen. —

Sie fanden alle, da� es so h�tte weiter gehen k�nnen, — wer das nicht fand, war Herr Forster. „Aber, meine Teure,“ sagte er, „hattest du wirklich angenommen? Du bist �berrascht? Nun, in der Tat …“ Er blickte wieder in den Brief, den ihm die Post gebracht hatte, l�chelte abwesend und streichelte sein Kinn. Endlich nun, nach zwei Jahren, hielt Dalrymple Wort, er machte ihm den Vorschlag, ihn nach Ostindien zu begleiten, — „Ostindien, George!“ — auf eine Insel, ein Inselchen im hei�en blauen Meer, Balangbangan hie� es, wo die Ostindische Companie, dies unvergleichliche Institut, unter seiner, Dalrymples Leitung eine Niederlassung gr�nden wollte. Ohne erst Zeit mit dem Einziehen von Erkundigungen zu verlieren, brach Herr Forster seine Zelte ab, das hei�t, er selbst eilte seiner Familie voran nach London und �berlie� es seiner Frau, den Umzug zu leiten, eine unendlich m�hselige Unternehmung. George war von neuem von dem seltsamen Fieber ergriffen, das ihn damals in des Vaters erster Projektenzeit beherrscht hatte, zerrissen zwischen der Teilnahme f�r die Mutter und einer prickelnden Neugier auf das Kommende, der Spannung, Dalrymple wiederzusehen, und dem erl�senden Gef�hl, da� eine Ver�nderung der Arbeits- und Lebensweise bevorstehe, wie er sie, halb unbewu�t, ersehnt hatte. Als es sich nun herausstellte, da� dieses hastige Abbrechen gesicherter Beziehungen und der Familienaufbruch nach London ergebnislos gewesen waren wie ein Schlag ins Wasser, als es klar zu Tage trat, da� Herr Forster wieder einmal Anfragen f�r Versprechungen genommen hatte, da� er gewissen Anspr�chen nicht zu gen�gen schien, — hier war Intrigue am Werk gewesen, man hatte ihn verleumdet, ihm einen windigen Charlatan vorgezogen! — als die Familie gerade in der Stunde mit der hochbepackten Mail-coach durch das New Gate einfuhr, als Mr. Dalrymple in See stach und Herr Forster sozusagen ohnm�chtig auf dem Themsekai tobte, — da machte sich die Wucht wiederholter Erfahrung doch im Gem�te des Knaben geltend. Dunkel empfand er Gl�cksj�gertum und den Mangel an W�rde, den es voraussetzte; eine dumpfe Besch�mung belastete ihn im Hinblick auf Dalrymple, von dem er sich ganz pers�nlich verachtet und verworfen vorkam. Der Vater mietete nun eine kleine Mansardenwohnung in Warwick Lane und eine Zeit verzweifelter Bem�hung um das t�gliche Leben begann, um so bitterer empfunden, als da hinten in der lichten Fr�hsommerlandschaft Warrington mit seinem H�uschen und dem geliebten kleinen Stachelbeergarten lag, wie ein Paradies, dessen Pforten man mit frevelhaftem Leichtsinn hinter sich zugeschlagen hatte. Da� die Mutter und die �lteren Schwestern f�r Geld Stickereien anfertigten, war qu�lend genug mitanzusehen, nun aber geriet der Vater auf den Gedanken, da� er, George, f�r seine Jahre mehr leisten k�nne, als er es am Schreibtisch zu tun verm�chte, da�, — er sagte es sonderbar unumwunden, — seine Kraft besser ausgem�nzt werden m�sse, er kam auf den furchtbaren Gedanken und f�hrte ihn ohne Z�gern aus, George bei einem Kaufmann in die Lehre zu geben, einem Mann, namens Hitch, der mit Tuchen handelte und sein �u�erst respektables Gesch�ft in der innersten City nicht weit vom Temple hatte. Da� dies hie�, einem Zahnlosen N�sse zu knacken zu geben, oder von einem Fisch zu verlangen, auf dem Trockenen zu leben, kam Herrn Forster nicht in den Sinn, als er eines Morgens den blassen Jungen mit der ihm eigenen Wichtigkeit seinem Chef vorstellte. Er hatte sich nicht darin verrechnet, da� George sein Bestes tun w�rde, — oh, gewi�, er tat seine Pflicht, und, das gr�ne Tuch �ber dem Arm, lief er stundenlang kreuz und quer durch die tosende Stadt, eine arme kleine Ameise unter Millionen anderen, immer in der Gefahr, zerdr�ckt oder zertreten zu werden, sich in dem ungeheuren Gewirr der sich teuflisch gleichenden G��chen verirrend, sich ab�ngstigend und der blutlosen Strenge seines graugekleideten Herrn gew�rtig, wenn er zu sp�t kam, — einen best�ndigen Jammer dabei in der Brust, eine Sehnsucht nach einem stillen Eckchen, nach seinem Tischchen in Warrington mit den B�chern und dem allerliebst geordneten Schreibger�t, — Erinnerungen nachh�ngend, soweit sein ersch�pftes Gehirn sie hervorbringen wollte, von der Wolga tr�umend und eingedenk des Janusch, — sp�ter �ber Rechnungsabschl�ssen, die er ausf�hren sollte, v�llig versagend und mit puritanischer Ironie von Mr. Hitch Esqu. vernichtet, — so brachte George die Tage dieses ungl�cklichen halben Jahres hin, w�hrend der Bruder Karl daheim an seiner Stelle W�rterb�cher w�lzte und den Vater unterst�tzte, wobei es allerdings weniger still und feierlich zuging, als fr�her, denn Karl quittierte recht h�rbar mit Brummen und Schreien �ber Tadel und Z�chtigung, und zudem war in der B�cherei und unter den Manuskripten bald eine Unordnung eingerissen, die George ins Herz schnitt, wenn er abends m�de und stumpf nach Hause kam. Um Weihnachten herum, nachdem er sich in dem f�rchterlichen gelben Nebel drau�en, den man fast kauen konnte und der seinen Lungen widerstand, als sollten sie Wasser einatmen, nachdem er sich also einen Husten geholt hatte, in Wahrheit einen bad cough, den Mr. Hitch schon allein des unmusikalischen Ger�usches wegen mi�billigte, nahm ihn der Vater mit einem sto�weisen Entschlu� aus dem Gesch�ft heraus, aus Gesundheitsr�cksichten angeblich, im Grunde jedoch, weil er die Plage mit Karl satt hatte, der nun seinerseits in ein Kontor wanderte, wo er sich trotz seiner Jugend als bedeutend brauchbarer erwies als am Schreibtisch und als viel anstelliger als George. Dieser, an sein Tischchen zur�ckgekehrt, erschien dem K�nig Minos zun�chst als g�nzlich verwahrlost, als v�llig verbl�det, so viel schien er verlernt zu haben; er wurde angeschrien und das Pfeifenrohr fuchtelte ihm um den Kopf, ohne da� es mehr bewirkte, als da� er sich duckte und auch dies f�r Gewinn hielt. Endlich ward unter Gemurr die Erlaubnis erteilt, da� Frau Justine ihn f�r einige Tage pflegte, sie bettete ihn in ein Bett allein, — sonst teilte er das Lager mit Karl, — und erreichte es, da� er nach einer Woche Essens und Schlafens wieder l�chelte und sprach, denn dies beides schien ihm verlorengegangen zu sein, und eine Gewohnheit tief und st�hnend aufzuseufzen, blieb ihm aus dieser Zeit k�rperlicher Frone zur�ck. Endlich wieder imstande, der alten Besch�ftigung nachzugehen, erf�llte er seine Aufgabe zwar artig, sanft, liebensw�rdig und au�erordentlich akkurat und korrekt bis ins kleinste, aber doch etwa so, wie ein blindes G�pelpferd im Kreise geht. Zuweilen dachte er an seine erste Kindheit und verglich: es war alles wie einst, nur da� sie enger und �rmlicher wohnten, da� drau�en die gewaltige Stadt toste und da� er die Mutter nun fast �berragte, wenn er neben ihr stand. Als der bad cough und die Heiserkeit im Fr�hjahr endlich �berstanden waren, hatte er eine tiefe Stimme bekommen, er war nun in der Tat kein Kind mehr und h�tte nicht mehr spielen m�gen, selbst wenn er die Zeit dazu gehabt h�tte; auch an jene Gebetsekstasen dachte er unbehaglich zur�ck, wie an etwas Unw�rdiges. Er studierte, er las, — er schrieb nach Diktat, er machte Ausz�ge, er �bersetzte, sein Blick bekam etwas Gedecktes, als sehe er best�ndig gegen eine Wand, — die Zeit ging hin, er war siebzehn Jahre alt, und: „Georgie,“ sagte die Mutter eines Abends, als er sie am Arme durch Pall Mall f�hrte und sie l�chelnd von den Eigenschaften der Schlupfwespe unterhielt, ohne dem vor�bergaukelnden bunten und eleganten Leben, ohne sch�nen Pferden oder strahlenden Frauen einen Blick zu schenken, — „mein Georgie, — wann wirst du jung werden?“

„Man lobt dich in der Stille, du m�chtiger Herr Zebaoth“, brummte Herr Forster mit pfiffigem Gesicht vor sich hin, indem er die Treppe emporstieg, sich haltlos einer Erinnerung an seinen Predigerberuf �berlassend und durchaus nichts weiter ausdr�cken wollend, als dies, da� es gut sei, Projekte f�r sich zu behalten, bis sie reif w�ren, unterirdisch zu w�hlen, wie der Maulwurf. Er �bersah dabei, da� der Maulwurf, ohne es zu beabsichtigen, seine heimliche T�tigkeit doch nicht verbergen kann und da� eine Schwangerschaft, ob sie schon wesentlich im Dunklen sich vollzieht, sich dem Auge aufdr�ngt. Somit war es f�r George und seine Mutter l�ngst nur noch die Frage, was sich wohl vorbereite, wes Geschlechtes und Aussehens das Kind sein w�rde, dessen Geburt um so zweifelloser bevorstand, als Herr Forster immer schwangerer wurde, was sich in einer peinlichen Zerstreutheit und Unruhe, erh�hter Reizbarkeit und t�glichen Ausg�ngen zeigte, von denen er �u�erst nachdenklich zur�ckzukehren pflegte.

„Na, da staunt ihr?“ sagte er herablassend, sah aber zugleich etwas verstimmt von einem zum anderen: denn die Familie zeigte sich viel weniger aus den Wolken gefallen als er es zur Belohnung f�r seine lange Enthaltsamkeit erwartet hatte. Frau Justine nickte ergeben, als habe sie derartiges bef�rchtet, — aber, mein Gott, nun gleich die S�dsee, — wo lag sie doch nur? Und ihr Blick schweifte hilflos zu dem Globus hin�ber, der auf dem B�cherbord stand. Herr Forster hielt seine Augen mit einem sonderbar strahlenden Ausdruck auf George gerichtet, der ihn freundlich und aufmerksam anblickte und sich nun auch erhob, um den Tisch herumkam, dem Vater die Hand k��te und herzlich sagte: „Welche Freude, teurer Papa!“ aber mehr so, als freue er sich des Gl�ckes eines anderen und nicht seines eigenen, — dieses unglaublichen, dieses einzigartigen Gl�ckes, da� er, in seinem siebzehnten Jahr und ohne weiteres Verdienst als jenes, das der Besitz eines au�ergew�hnlichen Vaters verlieh, mit eben diesem Vater den gro�en Kapit�n Cook auf seiner zweiten Weltreise begleiten sollte. Dies, kein Projekt mehr, sondern handgreifliche Gewi�heit, ein Ding, das sich von heut auf morgen aus der Puppe blo�er Pl�ne und Vertr�ge in glanzvolle Wirklichkeit entfalten sollte, war’s, was Herrn Forster berauschte und auf Fl�geln trug, so da� er um zehn Jahre verj�ngt einherschritt und sich den Gesch�ften der Vorbereitung aufs liebensw�rdigste widmete, indem er anordnete, widerrief, B�cher, Instrumente, Arzneimittel und die �berraschendsten Gegenst�nde, die er zur Reise f�r n�tig hielt, aufh�ufte, so da� es kaum noch menschenm�glich war, ein System der Ordnung hineinzubringen, — George aber machte es m�glich, — und indem er vor allen Dingen in Begleitung von Karl in die Bazare ging und von dem Geld, das ihm bereits zur Verf�gung gestellt war, in unbedenklicher Gro�artigkeit Eink�ufe machte an W�sche, warmen Kleidern, — dabei hatte man noch das russische Pelzwerk, fast neu und von Frau Justine sorgf�ltig vor Motten gesch�tzt; sie seufzte ein �ber das andere Mal —, an Glash�fen und Herbarien und an Tabak, besonders an Tabak! Da� man sich in der Umgebung des S�dpols aufhalten w�rde, wo es, — erstaunlich, aber nicht zu bezweifeln, — ebenso kalt war wie am Nordpol, wenn nicht gar k�lter, — da� man in der S�dsee, — diese aber war hei�, fast kochend! — von Insel zu Insel schlendern w�rde, der Menschenfresser gew�rtig und �hnlicher Zuf�lle, — dies bildete den Gespr�chsstoff der n�chsten Mahlzeiten, wozu Frau Justine ratlos und bange aussah, w�hrend George ihr aufmunternd zul�chelte. Zudem ward immer wieder betont, da� es sich um jahrelange Abwesenheit handeln w�rde, — jahrelang! — und mit den Schicksalen aller m�glichen Seefahrer der letzten Jahrzehnte ward die Wahrscheinlichkeit, da� man �berhaupt nicht wiederkehren w�rde, ausf�hrlich in Betracht gezogen, ja Herr Forster schwelgte f�rmlich in der Ausmalung aller M�glichkeiten eines martervollen Todes, etwa durch Verdursten in einem kleinen Boot inmitten einer unabsehbaren Wasserfl�che, — besonders qualvoll das, meine Liebe, man f�hlt sich an Tantalus erinnert! Selbst ziemlich unber�hrt durch all diese Erw�gungen, die er mit gro�en Augen und gerunzelter Stirn von sich gab, da sie ihm nicht mehr als eine gesunde Emotion der Phantasie bedeuteten, gelang es ihm doch, ohne es zu beabsichtigen, in George und seiner Mutter eine Stimmung von Abschied f�rs Leben zu erzeugen, der sie sich am letzten Abend mit vielen Tr�nen �berlie�en. Die Vorstellung, in diesem fremden Lande mit Karl als einziger m�nnlicher St�tze zur�ckbleiben zu sollen, l�ste �hnliche Gef�hle in Frau Justine aus wie die eines an morschem Seil �ber einem Abgrund Schwebenden, obgleich, — papperlapapp! — f�r sie und die Kinder gesorgt war, vollauf gesorgt durch einen Teil der Reiseentsch�digung, die die Regierung ihr in Gestalt einer Pension auszuzahlen angewiesen war, — also nochmals papperlapapp! Da� er nun einen Wechsel auf die Zukunft in der Tasche hatte, denn, — gesetzt den Fall, man kehrte gl�cklich heim! — er w�rde durch die Beschreibung der Reise, die ihm �bertragen, die seine ganz besondere Aufgabe war, Ruhmes, Reichtums und der Anwartschaft auf die gr��ten europ�ischen Lehrst�hle gewi� sein, — das nat�rlich wurde wieder einmal nicht ins Auge gefa�t. Freilich, — denn was das Motiv von Justinens traurigen Gedankeng�ngen bildete, was immer wiederkehrte, wenn sie stumm und ergeben zu ihm aufsah, der so pr�chtig, gesund und von Leben strotzend war und den sie doch liebte, — wenn ihr Blick auf George ruhte, der so bleich und kr�nklich schien, — dies Motiv, — o, wer wollte es ihr verdenken und wer verstand es nicht, da� es hie�: … und gesetzt den Fall, sie kehrten nicht zur�ck …?

Das Schiff war ein Erdteil f�r sich. War ein Weltk�rper, im Raume schwebend und blindlings Gesetzen folgend, die seinen Lauf von dem der Gestirne abh�ngig machten. War, — gleichzeitig, — zusammengesetzt aus allen Stoffen der Erde bis zu ihrem feinsten, dem Menschenhirn, — ein selbst�ndiges Wesen, denkend und zielbewu�t und von harter Entschlossenheit, seinem Namen gem��: The Resolution. War, — ein Schiff! — weiblich, mit ausladendem Scho� und z�rtlichem Schwung der Linien, von m�nnlichem Geiste gelenkt und ihm dienstbar, — Heimat diesem Geiste, wie die Insel dem Zugvogel im grenzenlosen All des Ozeans, wo Himmel und Wasser ineinander �bergehen und oben nicht mehr von unten zu scheiden ist. War Zuflucht, Obdach, Mutterscho� und n�hrender Boden den M�nnern, die auf ihm zusammengedr�ngt ins Unbekannte fortgerissen wurden, ausgeliefert an Wind und Wogen, freiwillig ausgeliefert, hingegeben allen Gefahren und sie nutzend und meisternd, bis ans �u�erste ihrer Spannkraft geladen mit der Lust des Siegers, dauernd auf der Hut und des Todes gew�rtig. Diese M�nner — hundertundzw�lf an der Zahl, — und das Schiff waren in einem Verh�ltnis wie Mann und Weib von Anfang her. Es war ihnen Mutter und Geliebte, sie beteten es an und traten es mit F��en, seine Sch�nheit war ihnen k�stlich, sie schmeichelten ihm und sorgten f�r seinen Schmuck; aber sie machten kein Heiligtum aus ihm, nichts weniger als das, kein segelndes Kloster. Denn daf�r ha�ten sie es ja, da� es ihnen diese Enthaltsamkeit auferlegte und sie an sich band wie mit Ketten, und daf�r r�chten sie sich in ihrer Art, da� bald kein Fleck auf ihm war, den der giftige Brodem ihrer unterdr�ckten Triebe nicht verpestete. Indes, das Schiff blieb, was es war, wundervoll sich wiegend und die Wellen im Spiele nehmend, l�chelnd im Glanze der geschwellten, leuchtenden Takelage, sich unterwerfend scheinbar und dennoch herrschend, voll Unberechenbarkeit und dauernder Aufsicht bed�rftig, — aber auch gut, warm, sch�tzend wie nichts auf der Welt. Es war so vorz�glich ausger�stet wie nie zuvor ein Schiff gewesen war, es f�hrte Proviant f�r Jahre, es hatte unendliche F�sser voll Sauerkohl, voll Maische und Orangenmarmelade, um seine Kinder vor Skorbut zu bewahren, es hatte Steinkohlen, um der Polark�lte, Sonnensegel, um dem st�hlernen Glanz des Tropenhimmels zu widerstehen, es hatte Ballen von w�rmenden Kleidern, — und es hatte, — wer durfte es bezweifeln, — die gro�artigste Mannschaft, die untadeligsten Offiziere, den scharfsinnigsten Astronomen, den bewundernswertesten Maler, den vorz�glichsten Wundarzt, — es hatte, — und dies war am wenigsten zu bezweifeln, — den besten Kapit�n seiner Zeit und schlie�lich: es hatte Reinhold Forster, hatte Forster und Sohn an Bord! War es ein Wunder, da� dieses Schiff den Ozean unter sich trat wie der heilige George jenen Lindwurm?

Es war nat�rlich kein Zweifel, da� jeder dieser hundertundzw�lf M�nner, aufw�rts vom kleinsten Schiffsjungen bis zum Haupte des Ganzen, Kapit�n Cook, — oder war es Herr Forster? — das Schiff als sein Schiff betrachtete, als die Planke, die ausgerechnet ihn vom Tode trennte, als den Vorrat, der ihn vor dem Verhungern bewahrte, und nicht zuletzt galt jedem einzelnen die ganze �brige Besatzung als zwar einzig um seinetwillen vorhanden, aber auch als der unberechenbarste, am gef�hrlichsten zu behandelnde Teil seiner Reiseausr�stung, dessen man sich mit �u�erster Vorsicht zu bedienen hatte. Wohl, man war aufeinander angewiesen, der Kapit�n war nichts ohne die Mannschaft und die Mannschaft eine Enthauptete ohne ihn, der einzelne Mann brauchte die Kameraden wie die Finger einer Hand einander brauchen, und w�ren die Herren Gelehrten nicht an Bord gewesen, welchen Zweck h�tte alsdann der ganze Aufwand von harter Arbeit und den Bergen von Guineen gehabt, die Billy, der Koch, sich und den �brigen Burschen als das Ergebnis m�hsamer Berechnungen auszumalen liebte? Jedoch war nicht zugleich einer des andern bitterster Feind, — oh, nicht ausgesprochen, aber lag nicht solche Feindschaft in ihnen allen schon in der Knospe, bereit, geil auszuschlagen, sobald die Verh�ltnisse ihr g�nstig sein w�rden? Konnte man einander lieben, wenn man nicht Wochen, nicht Monate, nein, Jahre denselben engen Raum miteinander bewohnen sollte, ohne eine M�glichkeit, sich aus dem Wege zu gehen? So etwas in Betracht ziehen h�tte gehei�en den Teufel an die Wand zu malen, und Kapit�n Cook h�tte die M�glichkeit solcher Menschlichkeiten auf einem seiner Schiffe nie zugegeben, schon weil er selbst innerlich so durchsichtig und reinlich arbeitete und so sachlich war wie nur einer von Mr. Wales’, des Astronomen, vortrefflichen Chronometern; weil er au�erdem vollst�ndig davon �berzeugt war, — und mit einigem Recht �berzeugt, — die wichtigste und unantastbarste Person der Unternehmung zu sein und seine Macht mit einer Selbstverst�ndlichkeit handhabte, die die Atmosph�re gesund erhielt und wohltuend wirkte, — es sei denn auf Individuen, die die Ausdehnung dieser Machtbefugnis anzweifelten. Das fiel nun keinem ernstlich ein, au�er Herrn Forster, dem leider eine Verwechslung Kapit�n Cooks mit jenen wackeren M�nnern und Seeb�ren unterlief, mit denen er bisher seine Erfahrungen gemacht hatte, dem Schipper Mandeweit erg�tzlichen Andenkens und dem eskimopelzigen V�terchen mit den blanken Tranaugen, das sie sicher an Kattegatt und Skagerrak vorbei geleitet hatte. Herr Forster hatte, — bedauerlicherweise! — von jeher Kapit�n Cooks Erfolge, auf die ganz England stolz war, nicht ernst genommen und war mit der bewu�ten Absicht an Bord gegangen, „dem Burschen“ f�r diesmal seine Anma�ung zu legen und es nicht zuzulassen, da� er ehrw�rdige Gelehrte wieder um ihren verdienten Ruhm br�chte. Er war also mit dem ihm n�tig erscheinenden Nachdruck aufgetreten, und noch ehe man das Kap erreichte, hatte er es fertiggebracht, da� die Beobachtung des Verh�ltnisses zwischen ihm und dem Kapit�n den anderen Herren ein Anla� heiterer Spannung bildete, w�hrend George qualvoll darunter litt.

Bis zum Kap war die Reise einigerma�en abwechslungsreich gewesen, — man hatte Madeira und die Kapverdischen Inseln angelaufen und erfreute sich �berhaupt mit noch frischer Empf�nglichkeit aller Eindr�cke und des k�stlichen M��iggangs dieser beiden ersten tr�umerischen Monate, als man unter g�nstigem Wind an Afrika entlang segelte und nichts zu tun hatte, als die Seele der Verwunderung �ber die Grenzenlosigkeit der Erde zu �berlassen, �hnlich wie damals, als man in der Kibitka durch das heilige Ru�land schaukelte, das auch kein Ende nehmen wollte. Im Tagebuch wurde allerlei Erg�tzliches vermerkt, Delphine und fliegende Fische, Wale, die auf der scharfen Linie des abendlichen Horizontes ihre Font�nen gegen den goldenen Himmel springen lie�en, die gro�en Glocken der Quallen, durchsichtig wallend und in den zartesten Farben wechselnd, wie sie das Schiff tags�ber umgaben, und nachts die Wandlung des Meeres in eine geheimnisvoll bewegte bl�uliche Glut, von langen wei�en Blitzen durchwandert und funkenspr�hend, welches Ph�nomen Herr Forster aufgeregt pr�fte und �ber seine Ursache mit Mr. Wales in einen Streit geriet. Als jedoch das Kap hinter ihnen lag und mit ihm f�r Jahre die letzte Ber�hrung mit Europ�ertum, als von all den gef�hlvollen Abschiedsfeiern und aufregenden Exkursionen ins Innere des Landes nichts geblieben war als eine greifbare Erinnerung in Gestalt des Doktor Sparrmann, eines dicken kleinen Schweden, der mit einer Hornbrille, einem Schmetterlingsnetz und einer Botanisiertrommel im letzten Augenblick an Bord gekommen war, — „um einen kleinen Luftwechsel zu haben“, wie er sagte, — als es s�dw�rts ging und immer noch s�dw�rts, und dennoch mit jedem Abend der Wind eisiger blies und die Wellen verlassener br�llten, — da begann das Gef�hl des Abenteuers, des Losgel�stseins von aller Verantwortlichkeit, — da begann die Gefahr. Nicht die Gefahr allein, die hinter den Eisbergen lauerte, die ihnen nun Tag und Nacht begegneten, gespenstisch aus dem Dunst hervorwachsend und mit b�sen kaltem Drohen vor�bergleitend, nicht die Gefahr jener w�lfischen Krankheit, gegen deren �berfall Kapit�n Cook nicht genug Vorkehrungen treffen zu k�nnen meinte, zum Verdru� Herrn Forsters, denn diese Ma�nahmen bestanden zum Teil in einem immer wiederholten L�ften der Schiffsr�ume und im t�glichen S�ubern des Fu�bodens mit Str�men von Wasser, somit gab es fortw�hrend Zug und Glatteis, — nein, nicht solche Gefahren allein. Es gab nun auf einmal kein England mehr, keine Heimat, keinen K�nig, kein Gesetz. Hier regierten Winter und Meer, Gewalten, denen nicht zu gehorchen war, sondern denen man sich mit zusammengebissenen Z�hnen entgegenwarf, sie waren unertr�glich, �u�erst widermenschlich. Hier herrschte also der Kampf, der Krieg, die best�ndige Schlacht: fortw�hrende Todesgewi�heit und darum das Bed�rfnis, sich lebendig zu f�hlen um jeden Preis. Daneben sank jedes Gef�hl, das bisher in Fleisch und Blut �bergegangen schien, in nichts zusammen, erwies sich als gedankenhaft bla�, ja als ein schlechter Scherz, wenn man es dem Hunger entgegenstellte. Oder war dies die gro�e Pr�fung, in der jeder zu beweisen hatte, inwieweit er gefeit war, war dies eine Zumutung des Schicksals, war dies etwa eine Gelegenheit, sich zum Geist zu bekennen? — — —

„Petersburg!“ dachte George, wenn ihm des Morgens die K�lte ins Antlitz fletschte, und er l�chelte innerlich ver�chtlich. Er kannte sie jetzt, diese Anl�ufe des Satans, und er war ihnen gewachsen. Ob sie ihm unangenehm war, die K�lte, ob sie ihn in Nase und Ohren bi�, seinen Hauch gefrieren machte, noch ehe er die Brust verlassen hatte, ob sie ihm Finger und Zehen fast zerbrach? Allerdings war sie ihm unangenehm, allerdings, allerdings! Aber wer merkte es ihm an? War denn den Matrosen etwas anzumerken, fror ihnen nicht die Haut ihrer H�nde an den eisigen Trossen und Tauen fest und lachten sie nicht trotzdem bei ihrer Arbeit? War den Offizieren etwas anzumerken, dem kleinen Leutnant Bligh etwa, der seinen Dienst bei Tag und Nacht versah und nichts danach fragte, ob Eisnadeln in der Luft waren oder ob das Schiff durch die Finsternis sauste wie in einen g�hnenden heulenden Schlund gezogen? Und endlich, — der Kapit�n! Sich vor dem Kapit�n schwach zu zeigen, schien ein Ding der Unm�glichkeit. Cook widerstand dem Winter mit seinen eigenen Waffen, der ganze Mann schien eisig und kristallen, seine Art und Weise hatte etwas an sich, das durch Mark und Bein drang wie der Frost und darum sehr einpr�gsam, ganz unwiderstehlich war. Er war gleichm��ig, er war unersch�tterlich, er hatte den Tag in der Gewalt, und es geschah nichts, was er nicht bis ins Kleinste vorausbestimmt hatte. Die Luftstr�mungen strichen durch ihn hindurch und seine Nerven bewegten sich noch ehe sie davon erreicht waren: er ahnte Temperaturst�rze voraus, er lie� Pelzwerk austeilen und bestellte schon am Morgen den steifen Grog, den es am Abend zu geben hatte, so da� die Mannschaft mehr den Eindruck einer Extraration als einer Vorbeugungsma�regel hatte. Well, Jimmy was a smart fellow, jedoch blieb er unter allen Umst�nden ganz ausgesprochen und unantastbar der Herr, eisblaue Augen unter den blonden Brauen in dem r�tlichen festen Gesicht und den Mund zu einer sch�nen schmalen Linie geschlossen. Er gab sehr knappe Befehle zum Besten der Besatzung und des Schiffes aus, indessen war das ganze Schiff so sauber und behaglich, war die K�che so abwechslungsreich und vorz�glich, als leite eine Mutter diese Angelegenheiten. Er selbst jedoch schlief in einer H�ngematte wie der letzte Mann, und seine Kabine ward kaum je durchw�rmt, er br�llte nicht nach Federbetten und Kohlenbecken wie gewisse andere Leute, o nein, aber er hatte auch keine gro�e Achtung vor jenen andern Leuten, das war klar. Schon darum war es ausgeschlossen, zu jenen andern Leuten zu geh�ren, und da� er in einem so nahen verwandtschaftlichen und abh�ngigen Verh�ltnis zu ihnen stand, das war George oft au�erordentlich schmerzlich und besch�mend. Indessen konnte er es sich erleichtert eingestehen, da� niemand ihn f�r das paschahafte Auftreten seines Erzeugers verantwortlich machte, und wenn sie ihn „Lady George“ nannten, so entbehrte das v�llig eines h�hnischen Beiklanges, und er wu�te im Stillen ganz gut, wu�te es mit einem heimlichen verschmitzten L�cheln, da� er sich gern so nennen h�rte, um der Schonung und leisen Z�rtlichkeit willen, die in dieser Bezeichnung lagen. Die ersten Reisemonate hatten ihm merkw�rdig wohlgetan, die paradiesische Zeit der Wolgareise schien morgenr�tlich verj�ngt zur�ckgekehrt zu sein, und nach den staubigen Jahren der Sklaverei und des Krummsitzens dehnte und breitete sein K�rper sich nun unter dem weiten Himmel und dem best�ndigen Durchstr�men der reinen feuchten Luft wie eine verk�mmerte Pflanze, die endlich in bek�mmliches Erdreich gesetzt ist. Die gute Ern�hrung und das Aufh�ren jeglichen Zwanges zur T�tigkeit taten das ihre dazu und das Wunder begab sich: George ward jung. Ja, der �quator lag schon hinter ihnen, es war etwa auf der H�he von St. Helena, als ihnen auf einmal die Augen dar�ber aufgingen, da� sie einen Knaben an Bord hatten, einen schlanken, h�bschen Jungen voller Diensteifer und einer gewissen feurigen Bescheidenheit, besonders dem Kapit�n gegen�ber, — mit einem Ausdruck schalkhaften Gl�cks in den guten, grauen Augen, wie ihn Gesundheit und heiter spielende Laune verleihen, und diese Entdeckung war um so �berraschender f�r sie, als die meisten von ihnen sich nur an ein grises und mageres M�nnchen erinnerten, das in Plymouth mit Sr. Majest�t Herrn Forster an Bord gekommen war, einen stubenfarbigen J�ngling von gedr�cktem Aussehen und greisenhaftem Benehmen, mit dem der junge Forster jetzt nur die Blatternarben gemeinsam hatte, die ihm freilich geblieben waren. M�glich, da� der Kapit�n die Ver�nderung beobachtet hatte, denn er hatte George von Anfang an bei Tisch neben sich gehabt und in einer sehr wortkargen aber zwingenden Manier f�r die Auff�tterung des jungen Menschen Sorge getragen. Nun, da die anderen hinter den Erfolg dieser Bem�hungen gekommen waren, als George vergn�gt, plauderhaft und ausgelassen wurde, kurz, eine vom Himmel gefallene Unterhaltung f�r die ganze Messe, da schmunzelte dieser Kapit�n und bekannte sein Wohlwollen ganz unumwunden. „Where is my lady?“ pflegte er zu fragen, wenn er die Kaj�te betrat, wo man sich zum Essen versammelte, und dann bot er George den Arm und f�hrte ihn an seinen Platz, welches scherzhafte Auftreten ihm ein wenig fremdartig zu Gesicht stand, — ungewohnt, — aber immerhin, es stand ihm zu Gesicht.

Alles in allem, die Sache war die: George war auf einmal jung, weil hier niemand ihm etwas anderes zutraute als was seine Jahre, — sechzehn, siebzehn Jahre, in der Tat! — voraussetzten: holde Eselei, Traumverlorenheit, ein Kaulquappenschw�nzchen, das heiter stimmen mochte, wenn es unversehens zum Vorschein kam, Verantwortungslosigkeit also, Jugend, Jugend, die alle diese hart arbeitenden oder gealterten M�nner wie einen Luxusgegenstand empfanden, den sie selbst sich nicht leisten konnten, auf den sie aber um alles in der Welt nicht verzichten wollten, und den sie darum hier, wo er so einsam unter ihnen gl�nzte, mit einer gewissen R�hrseligkeit betrachteten und ihn seiner Kostbarkeit gem�� behandelten. George war ein wenig in Verlegenheit gesetzt, f�hlte sich dieser allgemeinen Nachsicht nicht recht gewachsen: wu�ten sie denn alle nicht, da� er, dem sie begegneten, als habe er bisher nur in Roseng�rten gespielt, ein armes, gedr�cktes Arbeitstier war, ein Sklave, ohne Anrecht auf Heiterkeit? Er lie� gelegentlich etwas von seinen Kenntnissen durchblicken, — nun, konnte man das alles wissen, ohne von Kindheit an im Joche der Gelehrsamkeit gegangen zu sein? Und wu�ten sie, was das zu bedeuten hatte? O, er wollte nicht t�uschen und entt�uschen, den ganzen dunklen, ungeheuren Ernst, der sich in den letzten Jahren von seinem Herzen aus �ber sein ganzes Wesen ausgebreitet hatte, bot er auf, um sie von seiner wahren Natur zu �berzeugen, aber er erreichte nichts, als da� sie ihn scherzend bewunderten und sein Wissen und K�nnen nur als eine Folie zu betrachten schienen, von der seine �brige anmutige Unbeholfenheit sich um so reizvoller abhob, — kurz, er konnte es sich nicht vorenthalten, da� irgendeine Wirkung von ihm ausging, f�r die bisher niemand empf�nglich gewesen war, deren Ursache ihm selbst unbekannt und die vielleicht bisher �berhaupt gebunden gewesen war. So gab er denn nach und lie� sich gehen, und siehe da, es war leicht, es war angenehm, sich gehen zu lassen; es atmete sich freier, d�nkte ihn, und so vielem Wohlwollen gegen�ber kam die Tyrannis des Vaters nicht mehr zu ihrem alten Recht. Herr Forster war verstimmt und wu�te selbst nicht warum; es war nichts auszusetzen an dem Knaben, er war, wenn m�glich, aufmerksamer auf seine W�nsche als je. Indessen, indessen, — nun, wer wollte sich das ganz klar machen, — da war vielleicht auf einmal etwas wie freier Wille in dieser dienstbereiten Hingabe zu sp�ren, und damit eine Art von �berlegenheit, kaum wahrzunehmen allerdings, und nur f�r die gereizten Nervenstr�nge Herrn Forsters bemerkbar. Herr Forster, auf dem ungeheueren Ozean in einer Gesellschaft von M�nnern, die offensichtlich sich nicht im entferntesten des Gl�ckes bewu�t waren, ihn in ihrer Mitte zu haben, Herr Forster wurde etwas m�rrisch und gelegentlich sogar sentimental, ohne damit den gew�nschten Eindruck auf George zu erzielen. Er begab sich in Gefahr, jawohl, — an einem windstillen, aber deshalb nicht weniger kalten Tage, als der Nebel, der das Schiff seit Wochen einschlo�, in der Mittagsstunde zum erstenmal zur�ckgetreten war und die falsch und eisgrau glitzernde See in einem Umkreis von einer Meile etwa freigab, erzwang er es sich mit finsterer Erhabenheit, da� ein Boot f�r ihn herabgelassen wurde, um Jagd auf einige Pinguine zu machen, die auf einer unfern dahingleitenden Eisscholle ihr Wesen trieben. Cook zuckte die Achseln und George war tief bek�mmert, Herr Forster aber, ohne einen Menschen anzusehen, den Blick schwerm�tig ins Leere gerichtet, deutete mit sparsam sich �ffnenden Lippen an, Pflicht sei Pflicht, und: die Wissenschaft sei Opfer wert! stieg mit verkniffenem Gesicht die Strickleiter herab und wurde von zwei verdrie�lich dreinschauenden Matrosen mit kr�ftigen Ruderschl�gen auf die unbefangen erwartungsvollen Pinguine zugerudert, worauf eine unh�rbare Stimme „Vorhang f�llt!“ zu diktieren schien und der Nebel sich eilig und lautlos wieder zusammenschlo�, die Pinguine und das Boot mit dem tollk�hnen Herrn Forster ausl�schend. Man h�rte es gleich darauf sehr schreien, konnte aber, obgleich man noch regungslos mit den Gesichtern in der Richtung des verschwundenen Bootes dastand, nicht feststellen, von welcher Seite der angstvolle Laut kam, ebensowenig wie das Flintengeb�ller, das sodann anhob. Kapit�n Cook murmelte etwas, aus dem man mit Leichtigkeit: „Damned old fool!“ h�tte verstehen k�nnen, nach einem Blick in Georges erbla�tes Gesicht jedoch beeilte er sich, Ma�nahmen zu treffen, die die Fahrt des Schiffes auf die geringste Geschwindigkeit herabsetzten, und lie� auch seinerseits alle zwei Minuten Sch�sse abfeuern, w�hrend er durch das Sprachrohr die ungeheuerlichsten Beleidigungen in den Nebel hinausschrie, — nat�rlich an die beiden Matrosen gerichtet. Nach einer halben Stunde, die den machtlos Wartenden qualvoll lang geworden war, — George lehnte mit dem R�cken am Hauptmast, keines Gedankens f�hig als des einen: „Lieber Gott, errette ihn!“ zugleich aber von einem bohrenden Zwang zur Selbstpr�fung gepeinigt, — wie, ja, wie w�re ihm eigentlich, wenn er nicht wiederk�me, der Vater?! —, nach dieser halben Stunde, endlich, endlich, schrammte das Boot an der Schiffswand entlang und Herr Forster entstieg dem Nebel wie ein preislicher Vollmond. O, hatte man sich exaltiert? Er seinerseits hatte keinen Augenblick an der Einsicht des Himmels gezweifelt und — nun, man sah es ja, hier war er, frisch und gesund. Es hatte niemand die Stirn, des Geschreis im Nebel zu gedenken, und man feierte den wiedergewonnen Herrn Forster mit einem Extragrog, auf den er ja wohl freilich Anspruch hatte, seiner gef�hrdeten Gesundheit wegen. Kapit�n Cook war viel zu froh, ohne Menschenverlust davongekommen zu sein, als da� er seinem Unmut weiter Luft gemacht h�tte. Er begegnete Herrn Forster mit einem gewissen starren, grimmigen L�cheln, das dieser f�r eitel Wohlwollen nahm, und unter dem Einflu� des Spiritus liquor erschlo� er sein Herz, legte dem Kapit�n die Hand auf den �rmel und war au�erordentlich liebensw�rdig zutraulich, so da� es schwer war, ihm zu widerstehen, und f�r diesen Abend wenigstens der Anschein eines herzlichen Einvernehmens hervorgerufen wurde. Die f�rchterlich-gro�artige Eint�nigkeit der Polarreise war indessen nicht geeignet, einen Zustand inneren Einklanges aufrechtzuerhalten, — zu gewaltig waren die Anforderungen, die diese erbarmungslos starrende K�lte an den K�rper stellte, allzu fremdartig und �bermenschlich die best�ndige Zumutung dieser Natur an den Geist. Es schien nicht zutr�glich f�r das menschliche Gem�t, tagaus, tagein nur Eis zu sehen, Eisberge, Eisinseln, Eisfelder bis zum dunstigen Horizont, wo der Himmel wei� war vom Widerschein der kristallenen Massen, — Massen in den Formen unwirklicher Traumgel�nde, Inseln voller T�rme, zackiger S�ulen und blauschimmernder Grotten, an denen die sch�umenden Wellen sich brachen, belebt von dem sonderbaren, verzauberten Volke der Albatrosse und Mallemucken, und von blasenden Walfischen umschifft. Es schien nicht zutr�glich, in dieser ungeheueren Welt zu hausen, ohne f�r sie geboren zu sein, sich mit einem empfindlichen, aber begrenzten Naturgef�hl den Eindr�cken dieser fabelhaften Sonnenunterg�nge ausgesetzt zu sehen, die Saphir und Beryll ringsum mit einemmal golden und purpurn durchgl�hten und ein stummes Fest eisiger Glut begingen. Mit der Zeit schien sich nur einer als der Sache gewachsen zu erweisen, und das war der Kapit�n, der einzig Wache unter einem Volke widerwillig Schlaftrunkener, der sich ihrer bediente, wie sich der Geist des K�rpers bedient, und diese ganze m�rrische, scheel�ugige Menge mit seinem Willen im Genick hielt und bis in die �u�ersten Glieder mit sch�tternden Kraftstr�men durchbebte. Sie hatten es alle satt und fragten sich, welcher Teufel sie geritten hatte, auf diesem verdammten Schiff bis ans Ende der Erde mitzugehen? Es gab keine wissenschaftliche Ausbeute, es gab keine malerischen Punkte, es gab tagaus, tagein die gleichen langweiligen Messungen und Aufzeichnungen mit erstarrten Fingern, und es gab f�r die Mannschaft verflucht harte Arbeit, ohne da� je eine K�ste aus dem ewigen Milchnebel des Horizontes auftauchen wollte. Alle Hirne waren gel�hmt von der K�lte und die Gedanken kreisten einzig um die einfachsten Bed�rfnisse: Essen, — Schlaf, — W�rme! Auch George erlag, unwillig und verzweifelt, aber er erlag seinem K�rper, er nahm wahr, da� der Papa eine bemerkenswerte Gabe, sich vor der Unbill der Witterung zu sch�tzen, an den Tag legte, und er ahmte ihm nach, er ging eingewickelt bis zur Nasenspitze umher, er machte Gebrauch von den Wolljacken, Pelzwesten und Decken, die der Alte sich listig aus den Mannschaftsr�umen zu verschaffen wu�te, und baute sich, ebenfalls nach v�terlichem Vorbild, in seiner Koje eine gepolsterte H�hle aus Federkissen und Decken, in die er sich verkroch, wenn keine Mahlzeit mit den daran anschlie�enden Spazierg�ngen auf Deck sein Erscheinen an der �ffentlichkeit erforderte. Sinnreiche Vorrichtungen zwangen B�cher und Schreibger�te, auch bei bewegtem Seegang neben diesen H�hlen auszuhalten, und ebenso war eine Flasche bei der Hand, — zur inneren Erw�rmung, der auch das hei�e Pfeifenrohr diente, das best�ndig aus dem Bettengebirge des Vaters herausqualmte und das zugleich mit den Grunz- und R�usperlauten der von Rum und Tabak mitgenommenen Kehle, mit ges�ttigtem Gest�hn zur Verdauungszeit oder �rgerlichem Gemurr bei schlecht arbeitendem Stoffwechsel und anderen T�nen tierischer Natur, — entspringend dem Corpus materiale, dem elementarischen Leibe des Paracelsus! — Zeugnis ablegte von dem auch unter unbehaglichen Umst�nden ungebrochenen Fortbestehen seines kostbaren Aufbaus. Kein Zweifel, da� der Vater es verstand, sich auch unter diesen Verh�ltnissen sehr wohl zu f�hlen, ja, da� die zigeunerhafte Ungebundenheit des Reisezustandes einem Zug seines Wesens entsprach, jenem Zug eben, f�r den George so empfindlich geworden war, seit er den Unterschied im Klang einer straff gespannten Saite, wie sie Mr. Dalrymple und Kapit�n Cook f�r ihn darstellten, mit dem einer schlaffen vergleichen konnte und die inbr�nstige Begierde kannte, selbst seine Pfeile von schwirrender Sehne mit reinem, starkem Ton zu versenden. Jedoch, — wie hart, wie bitter schwer war dies, wie unm�glich schien es durchzuf�hren ohne die Gunst eines gem��igten Himmels �ber sich, ohne eine Schreibtischecke mit gut geordnetem Arbeitsger�t und dem unmerklichen wohlt�tigen Einflu�, den ein regelm��ig geleiteter Haushalt, weiterhin eine rastlos arbeitende Stadt und ein gelassen t�tiges Staatswesen mit seinen gro�en, ruhigen Pulsschl�gen auf den geistig Strebenden aus�ben? Wie tief mu�te einem das alles ins Gebl�t gedrungen sein, ehe es als Halt zu entbehren war, ehe der Rhythmus des metallenen Pendelschlages der Pflicht im Leben des einzelnen selbstt�tig und alleinherrschend geworden war, wie etwa in Kapit�n Cook! Dieser Mann war stark genug, um hier, abertausend Meilen von Europa entfernt, inmitten einer ungeheueren Welt �bermenschlicher, meerw�lzender Gesetze, zwischen denen die hirnentstammte Moral hohnvoll zermalmt und vernichtet zu werden schien, neben denen es, — nun ja, — l�cherlich, unn�tz erschien, sich aufstraffen, als mehr bestehen zu wollen, denn als Wassertropfen im W�stenstaube, — dieser Mann, Kapit�n Cook, der Erforscher von Neufundland und der Besieger der Franzosen am Amazonenstrom, er war es imstande, hier England darzustellen und aufzutrumpfen, nicht mit der Faust auf dem Tisch, nein, gelassen, stahlnervig, mit einem ver�chtlichen Zug zwischen Nasenfl�geln und Mundwinkeln, der K�lte mit etwas begegnend, das mehr als K�lte war, mit schneidender Sachlichkeit, mit einem K�rper, der es l�ngst gewohnt war, in seinen nat�rlichen �u�erungen nicht bemerkt zu werden, der sich ganz und gar auf seine Pflicht zu beschr�nken hatte, dem Geist ein geschmeidiges Werkzeug zu sein, einem Geist �brigens, der sich seiner selbst kaum bewu�t und mit diesem seinem soldatisch straffen und spannkr�ftigen K�rper zu einer kostbaren Einheit verschmolzen war, eins wertlos ohne das andere, wie Ro� und Reiter. Wer unmittelbar unter seiner Befehlsgewalt stand, war nur ein Glied von ihm, konnte sich seinem Willen nicht entziehen, arbeitete, vielleicht mit meuterndem Unterbewu�tsein, aber arbeitete, rastlos, p�nktlich, mit verbissener Genauigkeit, ob auch die Haut der Handfl�chen am Tauwerk h�ngen blieb oder das Gesicht nur noch eine starre, gef�hllose Maske schien. Wer nicht von ihm abhing, wie Patton, der Wundarzt, Wales, der Astronom, oder Sparrmann, der Schwede, nun, der f�hlte wenigstens etwas wie einen unwiderstehlichen Zwang zur Selbstzucht von ihm ausgehen und wahrte den Anschein m�nnlichen Gleichmuts, blieb gesellig, heiter, in irgendeiner Weise t�tig, sei es auch nur beim schweigsamen Pikettspiel oder in endlosen Diskussionen �ber die Artung des Sonnenballs etwa, ein Thema, das Sparrmann durch die abenteuerlichsten Hypothesen schmackhaft f�r die Streitsucht des Pedanten Wales zu erhalten wu�te. Selbst Hodges, der Maler, der den ganzen Tag zitterte wie ein geschorenes Lamm, er hielt sich aufrecht und zeichnete mit klammen Fingern Skizzen, wobei er Antarktis zu einem zweiten Arkadien umschuf, in dem freundlich h�pfende Pinguine eine Sch�ferrolle spielten. Einzig Herr Forster, — George erlebte es t�glich neu mit einem nagenden Gef�hl der Besch�mung, — einzig der Vater entzog sich diesem Einflu�, ja, er schien ihn nicht einmal zu empfinden, so da� von einem bewu�ten Entziehen nicht die Rede sein konnte. Unbefangen sprach er die Erwartung aus, man werde ihm die Mahlzeiten in seiner Kaj�te anrichten, falls „die Witterung einmal das Aufstehn unm�glich mache“, und da Cook hierf�r nur ein eisiges „No, Sir!“ gehabt hatte und durchaus keine Aufmerksamkeit f�r Forsters schmollende Unterlippe oder die �ber den Tisch erfolgende vernehmliche Befragung Mr. Pattons nach den Anzeichen des Skorbuts, — denn er, Forster, war drauf und dran, den Skorbut zu bekommen bei dieser Lebensweise, hatte ihn schon im Blut vermutlich, war doch selbst Mediziner genug, um zu sehen … Bedurfte also der Schonung, der besonderen Ern�hrung, he, nicht wahr? „Sehen Sie nur, Doktor!“ und vorgebeugt entbl��te er, bedenklich abw�rts gerollten Auges, sein tadelloses bl�ulich-rotes Zahnfleisch, mit dem Zeigefinger vorsichtig einen stattlichen Eckzahn ber�hrend, der augenscheinlich ein wenig wackelte, — worauf Kapit�n Cook unbeweglichen Gesichtes die Tafel aufhob, — da also in keiner Weise R�cksicht auf seine W�nsche genommen wurde, so erschien Forster von da an, solange das Schiff zwischen Eisschollen abenteuerte, zwar regelm��ig, aber wie die Verk�rperung verletzter W�rde bei Tisch, von h�flicher Milde zwar, aber — ein Dulder, ein Dulder! George kam und verschwand in seinem Gefolge wie ein trauriger Schatten, einer H�rigkeit jetzt wieder ganz und gar schmerzlich bewu�t, die es ihm verbot, blank, straff, dem Kapit�n ebenb�rtig zu sein, und dabei nicht minder von der noch tiefer besch�menden, nur halb eingestandenen Erkenntnis durchdrungen, da� sein K�rper, — ach, es war doch immer noch ein armseliger, widerstandsunf�higer K�rper, die Frische der ersten Reisemonate war erstaunlich schnell aufgebraucht worden, — da� sein K�rper dankbar war, sich nicht stramm halten zu m�ssen, und da� er es nicht unbehaglich empfand, die Tage wie ein H�hlentier, hind�mmernd, lesend oder schlafend zu verbringen, solange der Himmel so erbarmungslos war. Zudem nagte an ihm wirklich der Skorbut, wie an einem Teil der Mannschaft, — seine Beine waren angeschwollen, er war best�ndig von einer niederziehenden Schl�frigkeit befangen und sah aus tr�ben, dunkel umrandeten Augen um sich. „Lady George?“ Nein, es wurde nicht mehr gesagt, — es wurde nicht mehr mit ihm gescherzt, er war jetzt einer unter ihnen wie sie alle, kaum, da� der Kapit�n je einen besonderen Gru� f�r ihn hatte. Nichts war nat�rlicher bei der allgemeinen geistigen Ersch�pfung. Ihm jedoch schien es, als sei er wohlverdienter Nichtbeachtung anheimgefallen, — jawohl, sie hatten nun eingesehen, da� er nicht der heitere Sonnenknabe war, f�r den sie ihn gehalten, da� er, — nun eben, langweilig und staubig und ein wenig nichtsw�rdig sei. Nichtsw�rdig, gewi�, — aber auch traurig, sehr traurig! —

Als sie sich alle mehr oder weniger mit diesem trostlosen Zustand abgefunden hatten, als sie gerade im Begriff waren, sich einem Dasein schneeblinder Gedankenlosigkeit anzupassen, als ihnen, wie Patton behauptete, eine undurchl�ssige Fettschicht gewachsen war und sie Tran abzusondern begannen, — als sie gleichg�ltig gegen die K�lte wurden und den Schmutz nicht mehr empfanden, — gut, — als sie anfingen sich wohl zu f�hlen, nichts mehr dagegen hatten, mochten sie denn am Skorbut verrecken, warum auch nicht, — und in der Tat, unten im Mannschaftslogis lagen bereits zwei arme Kerle und verfaulten bei lebendigem Leibe, — da pl�tzlich, — in diesem Augenblick dumpfer Ergebung erlebten sie es, da� Gott gn�dig war, — ja, Gott war gn�dig, oder war es eigentlich Kapit�n Cook? Er rief sie zusammen, und nach einer stundenlangen angespannten Beratung, in der jedes F�r und Wider der M�glichkeit, Land zu entdecken, peinlich er�rtert wurde, — Er�rterungen, bei denen Cook sich allerdings von einer ganz �berheblichen Versessenheit auf die Richtigkeit seiner Privatmutma�ungen erwies, — beschlo� man mit freudiger Einhelligkeit, f�r dieses Mal von der Sache abzulassen und den Kurs nord�stlich zu nehmen! Und das Meer �ffnete sich, die Eisinseln blieben dahinten und die Pinguine verschwanden b�se kroaxend im Nebel … wozu aber von den einzelnen Graden der Entz�ckung reden? Gen�ge es doch: man war entz�ckt, man lebte auf, man schmolz dahin. Am 17. M�rz h�rte George einen jungen, irischen Matrosen bei der Arbeit singen, — er verstand kein Wort, aber er f�hlte etwas seine Kehle beengen und lie� zwei Tr�nen �ber Bord fallen, von denen er meinte, sie m��ten hei� genug gewesen sein, um die letzten schmutzigen Schollen zum Vergehen zu bringen. Ward auch die Hoffnung auf eine Landung in Vandiemensland durch widrige Winde zunichte gemacht, — an einem Morgen brach der Horizont doch auseinander und „Land! Land!“ hie� es, — ja, „Land! Land!“ wie in alten Seefahrergeschichten, und es fiel nicht auf, da� Herr Forster Mr. Hodges in die Arme schlo�, denn sie waren alle sehr gl�cklich.

Die M�nner, die da am 26. M�rz 1773 vor Neuseeland Anker warfen, sie kamen aus Europa, — dem gelehrten Europa des 18. Jahrhunderts, — verstehen wir es ganz, — aus einem gem��igten Klima, nicht nur im geographischen Sinn. Sie waren �ber das erste dumpfe, jubelnde Erstaunen des entdeckenden Menschen hinaus, hatten gelernt, Eindr�cke zu beherrschen, einzuordnen, waren kaltbl�tig, gelassen, Diener einer jungfr�ulichen Wissenschaft, die imstande schien, mit lichtem Speer alle Nebel bl�der Ignoranz und schn�den Aberglaubens zu zerteilen, einer G�ttin �berdies, in deren Umgang man vor R�ckf�llen ins Barbarentum gefeit war. Trockene, durchsichtige Helle, K�hle und Klarheit des vollendeten Fr�hlings, ein frostiger, nordischer Maitag von kristallener Bl�ue und unsagbarer, schneeiger Keuschheit des Bl�hens, — dies war die Atmosph�re ihrer Geister, der ein gewisses, ungewolltes Nil admirari entsprach. Nein, sie waren nicht gew�rtig erstaunlicher Dinge, was immer sich ihren Augen auch bieten sollte. Sie w�rden diese neue Welt und ihr ganzes strotzendes, verwirrendes Leben mit ungetr�bten Blicken aufnehmen und einordnen, in Systeme einf�gen oder f�r Unvorhergesehenes neue Systeme schaffen. Ger�stet, alles mit dem Verstande, diesem blanken, geschmeidigen Instrument, zu bew�ltigen, gab es im Grunde nichts Unvorhergesehenes f�r sie. Dennoch wurden sie �berw�ltigt, — dennoch, — ja, wer h�tte es vermutet?

Cook jedenfalls war nicht ahnungslos von dem, was der Besucher harrte, die zum erstenmal in die S�dsee einfuhren, als die Felsenufer von Neuseeland hinter ihnen versanken und sie Anfang Juli durch einen furchtbar festlichen Tanz turmhoher, wandernder Wasserhosen den Kurs weiter nord�stlich nahmen. George, mit einer feinen Witterung f�r die Stimmungen des Gewaltigen begabt, merkte ihm etwas an, — es war kaum der Rede wert, ein verschmitzter Zug um den Mund herum, das Zukneifen eines Auges, nur so ein Zucken im unteren Lid, aber gen�gend, um auf diesem gesammelten Gesicht wie ein L�cheln zu wirken, — dies alles beim Zusammensein w�hrend des Essens oder bei �hnlichen Gelegenheiten, wenn der eine oder der andere �u�erungen eines r�tselhaften Behagens tat, das ihn urpl�tzlich �berkommen hatte, — o, durchaus nicht einzig als Folge des erholsamen Aufenthaltes auf dem Eiland der Winde und Wasserf�lle, in dessen feuchten Urw�ldern voller Schlinggew�chse und Farnkr�uter man sich nach Herzenslust die Beine vertreten hatte, umrauscht von dem stehenden Gesang der Sturzb�che und unz�hliger Drosseln, — nicht allein neu belebt durch die ver�nderte Nahrung aus wildem, gr�nem Gem�se und frischen Fischen und Wasserv�geln, von denen die Buchten gewimmelt hatten, — durch die Abwechslung k�stlich erregender Jagdausfl�ge und ergiebiger Forscherfahrten. Nein, es war noch ein anderes, etwas, das erwachte, unter dem best�ndigen z�rtlichen F�cheln des S�dostpassats, vielleicht auch nur eine gewisse Einschl�ferung unter demselben warmen, holden Blasen, das mit s��em Harfensang im Takelwerk sauste. Hodges redete viel vom Mittelmeer, vom Golf von Neapel, und verlor sich in Tr�umereien �ber das ewige Rom, denen niemand recht zuh�rte, denn jeder war in seiner Art geschw�tzig geworden und der Mannschaft hatte sich eine gesch�ftige Aufregung bem�chtigt, die sie ganz ohne Branntwein in bester Stimmung erhielt, — waren doch einige unter ihnen, die schon Cooks erste Expedition mitgemacht hatten und die wu�ten, was sich von O’Tahiti erwarten lie�, — nun, und die nicht dar�ber geschwiegen hatten. Der irische Leichtmatrose, — er hie� Larry, — sang und pfiff den ganzen Tag und immer diese „Rakes of Mallow“; George, bei dem sonst keine Melodie haften bleiben wollte, ertappte sich, wie er eines Tages etwas �hnliches vor sich hinbrummte und Larry, der in seiner N�he Loggleinen aufrollte, grinste ihn wohlwollend an, indem er seine blanken breiten Z�hne zeigte. Die Sache war die, da� zwischen George und Larry ein unbeschworenes B�ndnis bestand, eine Art Anl�chelverh�ltnis auf Gegenseitigkeit, ein stummes Einverst�ndnis, begr�ndet von Larrys Seite auf grenzenloser Bewunderung von Georges gelehrten Besch�ftigungen des Schreibens und Lesens und seitens Georges auf der Erfahrung von Larrys eisernen Muskeln, die er auf einem Ausflug auf Neuseeland kennengelernt hatte, als er sich den Fu� verstaucht und der brave Bursche au�er allerhand Ger�t, Proviant und der gesamten Jagdbeute ihn selbst stundenlang nahezu geschleppt hatte. Seitdem f�hlte er hier ein k�rperliches Vertrauen, eine uneingestandene hei�e Dankbarkeit, — ja, Larry hatte f�r ihn gesorgt, hatte Geduld mit ihm gehabt, als die anderen alle vorausgingen und niemand sich um ihn k�mmerte („Nimm dich ein wenig zusammen!“ hatte der Vater gesagt), als es in dem fremden Wald so entsetzlich na�, dampfig und unheimlich gewesen war. Nun und weiter, — Larry am Lagerfeuer, das er mit erstaunlicher Geschicklichkeit an den feuchtesten Tagen anzufachen verstand, unerm�dlich in die Glut blasend und mit ger�teten, rauchgebeizten Augen vergn�gt blinzelnd, — Larry, eine vorz�gliche L�ffelgans schmunzelnd am selbstgeschnitzten Spie� drehend, — Larry, des Nachts unter dem notd�rftig sch�tzenden Zeltdach geruhig schlummernd wie in der Mutter Scho�, w�hrend George, unm��ig erregt durch diese lebendige, bewegte Finsternis, k�hl durchschauert vom Nachtwind, namenlos bedr�ckt durch das unaufh�rliche Rauschen der Gew�sser, keinen Schlaf fand, ehe er sich nicht nah an den anderen gedr�ngt und den Kopf an Larrys Schulter gebettet hatte, oder auf Larrys Bein, gleichviel, dieser merkte ja nichts und atmete so stark und tr�stlich, war so beruhigend durchw�rmt wie ein gro�er, zottiger Hund …

So war Larry. Er hatte keine Auffassung f�r empfindsame Sonnenunterg�nge, vermutlich. Aber als an jenem Abend Hodges an der Schulter von Mr. Forster schluchzte und stammelnd mit der Rechten nach Westen wies, w�hrend Mr. Forster gewaltig dastand, breitbeinig und die Arme verschr�nkt, die Glut des Himmels in unbeweglichen blanken Aug�pfeln spiegelnd, — als George verwirrt l�chelnd unwillk�rlich die Hand auf seine Brust legte, in der das Herz zu steigen begann wie im Rhythmus gro�er Ges�nge, — mein Gott, wie ward ihm nur diesem aufgerissenen Himmel gegen�ber, aus dem Purpur und Safran quoll und in den das Meer feierlich einstr�mte, das Schiff erklingend mit sich ziehend, — und da l�ste sich von der Topmastspitze ein schimmernder Vogel und strich ihnen mit hartem Sehnsuchtsschrei vorauf, die glatte, spiegelnde D�nung fast streifend, langschw�nzig, edelsteingl�hend, — well, da pfiff auch Larry anerkennend durch die Z�hne. —

Am n�chsten Morgen lag O’Tahiti vor ihnen, ein waldiger Inselberg, gekr�nt von schaumigem Rosengew�lk, einen sanften Strand voll winkender Palmen ins Meer sendend. Das Abenteuer der Inseln nahm seinen Anfang. —

Immerhin, man lieferte sich ihm nicht aus, — immerhin, man bewahrte Haltung. Man blieb dessen eingedenk, blieb es ganz unwillk�rlich, da� man einen Leibrock trug, eine Scho�weste und tuchene Hosen, lange Str�mpfe und Schnallenschuhe, und zu allerunterst ein Hemde, kurzum, da� man bekleidet war, da� man das Haar in strammer Tracht geb�ndigt hielt, da� man es gewohnt war, auf St�hlen zu sitzen, sich beim Essen der Teller und der Bestecke zu bedienen, — da� man eine christliche Moral und eine menschliche Gesittung hatte, die einen instand setzten, diese Wilden zu bemitleiden und zu bel�cheln, — da� — kurzum, kurzum, — man sein Europ�ertum besa�, diesen Schatz und Schutz, und es nicht n�tig hatte, hier mehr zu sehen als etwa menschen�hnliche Tiere von bemerkenswerter Geschicklichkeit. Aber da war eine Versuchung in ihnen allen, in der Knospe mitgebracht aus eben diesem wundervollen Europa und unterwegs erbl�ht und gereift, eine Versuchung, dies alles �bellaunig zu verachten, zu verachten, wei� Gott, dies, da� man auf St�hlen sa� und mit Gabeln a�, ein Jabot trug und es vermied, laut aufzusto�en. Sie hatten irgendwelche B�cher gelesen, — Cook nicht, der nat�rlich nicht, aber doch Hodges, der Maler, Wales, der ein Sch�ngeist war, soweit die Betrachtung des Universums ihm Zeit dazu lie�, Forster, selbstverst�ndlich, und sogar George, — B�cher eines Franzosen, jenes Jean Jacques Rousseau, aus denen ein Niederschlag von Schwermut in ihren Adern lag, der nicht wohl fortzuschwemmen war, einer Schwermut, die ihnen den Blick gekl�rt hatte f�r die Windigkeit dieser ganzen sogenannten Zivilisation, und aus der sie ein Recht sch�pften, sympathisch �ber die einfachen Zust�nde dieser V�lker zu philosophieren, — ja, sie zu beneiden. Dies zugestanden: trotzdem bewahrte man selbstverst�ndlich Haltung und hatte vielleicht eine Hemmung mehr, sich jener sanften Gehirne und verlockenden K�rper allzu unbedenklich zu bedienen, hatte eine gewisse wehm�tige Achtung vor ihnen, empfand einen Abstand, als von Br�dern, die am S�ndenfall nicht teilgehabt hatten …

Wie sie da an Bord gekommen waren, t�ppisch-zutraulich, gleich arglosen jungen Tieren, nackt bis auf das Lendentuch, mit dem bezaubernden Spiel der geschmeidigen Muskeln unter der mahagonibraunen mattgl�nzenden Haut, Augen und N�stern in st�ndiger witternder Bewegung! „Tayo!“ sagten sie lieblich und grinsten ganz unwiderstehlich, „Willkommen!“ und sie bewegten einen Pisangscho� als gr�nen Friedenswimpel. Es war nahezu emp�rend, da� der Kapit�n angesichts von so viel harmlosem Vertrauen kalten Blutes den Befehl ausgab, Gewehre mit scharfer Ladung bereit zu halten! Indessen erlebte es sich, da�, w�hrend Herr Forster zum Beispiel eben mit einem treuherzigen Burschen um ein paar Kokosn�sse handelte und ihm eine Schnur bunter Glasperlen verlockend vor der Nase tanzen lie�, da� ein anderer, ein ebenso treuherziger Bursche, gleichzeitig daran ging, ihm von hinten die blanken Kn�pfe �ber den Rocksch��en behutsam abzus�gen, vermittelst eines ganz kleinen, ganz scharfen Messerchens aus Feuerstein! O gewi�, er hatte dem k�niglichen Fremden nicht weh tun wollen, der k�nigliche Fremde hatte es ja gar nicht merken sollen, gleich ihnen selbst unbewu�t gereiften k�stlichen kleinen Fr�chten hatten sie geerntet werden sollen, diese vortrefflichen blanken Korallchen von dem R�cken des Fremden … Jedoch nun gab es ein zorniges Gebr�ll und Herumfahren und etwas wie die Geb�rde einer Ohrfeige ins Leere hinein, wobei die Glasperlen herumgeschleudert wurden und sonderbar schnell verschwanden, und der Ertrag dieses Erlebnisses bestand f�r Herrn Forster in dem Entschlu�, nicht mehr ohne sein Meerrohr in der Hand mit diesem Volk zu verkehren, das, nun freilich, ganze Bootslasten voll k�stlicher Fr�chte an Bord gebracht hatte, darunter eine safttriefende Apfelart von ananas�hnlichem Geschmack, — das aber der Ansicht schien, alles bewegliche Gut st�nde zu allgemeinster Besitzergreifung frei, und da� das meiste auch wert sei, mitgenommen zu werden. Als der Kapit�n nach Sonnenuntergang einige blinde Sch�sse abfeuern lie� und damit das Verdeck in k�rzester Frist von den anh�nglichen G�sten ges�ubert hatte, da hatten auch die gef�hlvollsten Herzen nichts mehr gegen diese Ma�regel einzuwenden. George sah ihnen nach, wie sie in den schnellen flachen Booten zwischen den Riffen hindurchkreuzten, l�rmend und gl�ckselig ihrem Eiland zufahrend, das geheimnisvoll dunkelnd unter dem t�rkisblauen, gr�n und golden get�nten Himmel lag. D�fte wehten von dort her�ber, und eine wunderliche Sehnsucht, an Land zu gehen, durchstr�mte ihn magnetisch, so da� er die Arme auseinanderwarf und sich reckte und sch�ttelte, nur um diesen bezaubernden k�rperlichen Drang zugleich zu genie�en und sich seiner zu entledigen. Indessen war ein gewaltiges Treiben an Bord, um die Spuren des Besuches zu vertilgen, ganze Haufen von goldenen �pfeln und Bananen wurden zusammengefegt, und den blo�beinigen Kerlen lief der Saft vom Munde, w�hrend doch allgemeine zornige Erregung dar�ber herrschte, da� die Bande kein Fleisch, kein Schweinefleisch mitgebracht hatte. Denn nach frischem Fleisch waren sie l�stern wie die Raubtiere geworden, ihre Z�hne juckten danach, und was hatte ihnen Billy, der Koch, so viel von den Tahitianer Schweinchen erz�hlen m�ssen, die so zarten rosigen Speck h�tten und deren Schinken auf der Zunge zerschm�lzen wie junge Grasbutter und schmeckten, — nun, etwa nach Haselnu�. Es er�brigt sich, der Vergleiche zu gedenken, die Billy von hier aus zu der weiblichen Jugend von Tahiti gezogen hatte, — kurz und gut, Jan Maat war alles andre als beseligt von dem blo�en Anblick der Insel, als zufrieden mit frischem Obst, von dem man Koliken bekam, — was denn sonst? Er stierte gef�hrlich landeinw�rts, er murrte, — die ganze Nacht �ber war das Volkslogis unruhig wie ein Bienenstock vor dem Schw�rmen und Cook, der die zweite Wache selbst �bernommen hatte, kniff die Lippen schm�ler zusammen als je. Jedoch geschah es, da� George, als er mitten in der Nacht von seiner seltsam seligen Unruhe geweckt, wach lag, ihn fl�ten h�rte, — es h�tte vielleicht niemand au�er ihm vermutet, da� dies Captain Cooks Odem sei, der da unter den dunstig verschleierten Sternen der S�dsee so s�� und glasklar sang, wie daheim eine Grasm�cke im Gestr�uch, — aber er kannte es, er hatte es zuweilen, — abgerissen, — geh�rt, als eine Lebens�u�erung des Gestrengen, die niemand zu beachten pflegte, — und jetzt lag er, hingegeben an die gro�en stillen Bewegungen des Schiffes, das sanft am Anker zerrte, lag und sp�rte etwas Fremdes, Begl�ckendes in der Luft, meinte ein Rauschen zu vernehmen, nicht von Wogen, sondern von vollen Baumwipfeln im Morgenwind, durchrieselt von diesem in sich selbst gekehrten Get�n, — lag und l�chelte ins Dunkel und schlief wieder ein. Am n�chsten Morgen erlangte man auch Schweinchen, soviel das Herz nur begehren konnte, erlangte sie von K�nig Aheatua, der die Fremden, im Kreise seiner fetten Vasallen sitzend, mit furchtsamen Blicken empfing. Er trug einen blendend wei�en Schurz, sonst war er nackt und r�hrend in irgendetwas, durch eine sanfte Sch�nheit, vielleicht dadurch, da� seine Haut heller war, als die seiner Untertanen, da� sein langes Haar nicht gekr�uselt, sondern schlicht und lichtbraun war, an den Spitzen bernsteinfarben, — ja, er r�hrte ungemein, und wahrscheinlich, weil er sich so offensichtlich f�rchtete, nicht nur vor den Europ�ern mit ihren schwarzen Lederf��en und dicken Tuchr�cken, mit ihren r�tlichen Gesichtern und harten hellen Augen, — nein, er f�rchtete sich entschieden auch vor den nackten fetten braunen M�nnern seiner Umgebung, die doch so dem�tig waren, und die Schultern in seiner Gegenwart entbl��ten … K�nig Aheatua war sehr jung, fast ein Knabe noch. Es gelang Cook, ihn zu veranlassen, von seinem Throne zu steigen und die Fremden an einen Ort zu begleiten, von wo aus er die „Resolution“ liegen sehen konnte. Dies versetzte ihn augenblicks in eine ausgesprochen spr�hende Laune, die sich durch eine unnachahmliche Albernheit kundgab. Sie wurde durch das Geschenk einer kleinen Axt ins Groteske gesteigert und Seine Majest�t gaben sich nun mit dem Ausdruck eines zufriedenen Kaninchens der Besch�ftigung hin, Gestr�pp in kleine St�cke zu zerhacken, wobei ihm seine Umgebung ernsthaft, neugierig und ersichtlich nicht ganz neidlos zur Seite stand. Dann begann ein schottischer Matrose auf Cooks Befehl den Dudelsack zu spielen; K�nig Aheatua horchte entz�ckt auf, sicherte die Axt, indem er sich darauf setzte, sehr zum Mi�vergn�gen seines ersten Ministers Tuahau, der vergeblich versuchte, den begehrten Gegenstand unter der k�niglichen Basis hervorzuzupfen (— er wurde angefaucht und bekam einen Tatzenhieb �ber die Finger —), und lauschte hingerissen, die Augen schlie�end und den Oberk�rper hin- und herwiegend. Der Dr. Sparrmann f�hlte sich bewogen, einen nachdenklichen Vergleich zwischen diesem Monarchen und dem unter so d�steren Umst�nden verstorbenen Gemahl der gro�en Katharina, dem Gro�f�rsten Peter, zu ziehen, — hatte jener nicht �hnliche Liebhabereien gehabt und einem Knaben mehr geglichen als einem Mann? Dies gab den Anla� zu einem �u�erst angeregten Disput dar�ber, was einem Barbarenf�rsten noch erlaubt sei und einem europ�ischen Herrscher nicht mehr, — und somit war die ganze Gesellschaft von dem Ergebnis dieses Audienzmorgens sehr befriedigt, Cook von seinem diplomatischen Erfolg, denn er hatte nun f�r sich und die Besatzung die Erlaubnis freier Bewegung auf der ganzen Insel, — die Herren Gelehrten von ihren h�chst geistreich zugespitzten Beobachtungen und die Matrosen, — nun, ohne Zweifel von der Aussicht auf Schweinebraten. Zudem war man hinter das Geheimnis gekommen, weshalb ihnen gestern die Schweine verweigert worden waren und wer jener r�tselhafte Peppe sei, von dem die Eingeborenen gefabelt hatten: ja, Peppe hatte es dem K�nige verboten, Schweine zu verschenken, und Peppe war sehr m�chtig, hatte ein ebenso gro�es, ein ebenso wildes Schiff wie Captain Cook, — nur, er hatte es eben einmal fortgeschickt, dies Schiff, und … Nun, es stellte sich heute heraus: Peppe war ein zottiges, tierisches Gesch�pf, das dem�tig herbeikroch, als es die Fremden so wohl empfangen sah, Peppe war im Kerne seines Schmutzes ein ehemaliger spanischer Matrose, von irgendeiner Expedition auf der Insel zur�ckgelassen, vielleicht von der Mannschaft des Gros Ventre, der vor Jahresfrist in diesen Gew�ssern sein Wesen gehabt hatte. Er selbst schien nicht imstande, Auskunft �ber sich zu erteilen, war aber au�erordentlich bereit, den Fremdenf�hrer f�r die Matrosen zu machen, und etliche vertrauten sich ihm an, seine Erfahrung witternd. Georges Blick folgte ihnen nachdenklich: da ging auch Larry hin, nachdem er eine Weile gezaudert hatte, — hin ging er mit zur Schau getragener Gleichg�ltigkeit im Schlenderschritt, die H�nde in den Gurt geschoben, auf den Lippen die ewigen „Rakes of Mallow“, und sandte noch einen schiefen Blick zur�ck zu George, indem er das rechte Auge zukniff. Hierauf warf er pl�tzlich den Kopf auf, legte die Ellbogen an und setzte sich in einen wilden Trab, um die Kameraden einzuholen, seine starken nackten Beine flogen auf und nieder, und jetzt machte er einen Luftsprung und schlug den langen Ben auf die Schulter. Da ging er also hin, — und George brauchte sich keinen Gr�beleien dar�ber hinzugeben, wohin, er war ganz unterrichtet, denn diese Dinge waren oft genug ber�hrt worden: sie gingen zu M�dchen, T�nzerinnen etwa, um sich zu belustigen. Dies, — so hatte George aus den Gespr�chen der Herren entnommen, — war nicht mehr als ihr gutes Recht und also gar nicht verwunderlich. Die Frage war nur, ob es auch ihn, George, belustigen k�nnte, Larry zu begleiten, und in der Unl�sbarkeit dieser Frage lag eine leise Beunruhigung, etwas wie ein Grund zur Traurigkeit. Schlie�lich, — er geh�rte nicht zu Larry, sondern zum Vater und den �brigen Herren, — und diese, — dachten sie auch wohl im entferntesten daran, zu gehen, um sich zu belustigen? Besprachen sie nicht wissenschaftliche Fragen, waren so angeregt wie nur je, �bertrumpften sich mit Schlagworten, waren witzig, l�rmend, ausgelassen, strotzend von Geist? Und George ging langsam hinterher, den Blick von Wundern �berf�llt, geblendet von Blatt- und Blumenformen, wie sie leidenschaftlich �ppig ausgepr�gt, aufgetan und von Frucht und Samen �berquellend waren, von den Farben der Bl�ten, des Himmels, des Meeres und der W�lder, dem innersten Blute der Erde unter d�nner bebender Decke scheinend. Er ging dahin, diese ganze Welt stand um ihn in der nackten ruhigen Majest�t ihrer unabl�ssigen Fruchtbarkeit und zog ihr hei�es Licht zusammen in der Gestalt eines jungen Weibes, das im Schatten eines ungeheueren Brotfruchtbaumes vor ihrer H�tte sa� und an einer Matte flocht, die schlanken Beine gekreuzt, die feuchten Tieraugen zwischen den feuerroten Blumen an ihren Schl�fen l�chelnd zu den Fremden aufgeschlagen, — er ging hindurch, mit bebenden Knieen, beklommen gl�cklich, aber verwirrt und in sich selbst vergeblich nach einem Ma�stab suchend, nach einer M�glichkeit, sich diesem allen anzupassen … Anders Herr Forster. Er war l�rmend gl�cklich. Alle paar Schritte blieb er stehen, breitete die Arme aus und sang die Landschaft an in haltlosen Deklamationen, die sein Busen nicht l�nger bemeistern konnte. Dies hier, dies war die Luft, in der es sich atmen lie�! Hier Mensch zu sein, wie unbeschreiblich selig! Und er machte ergriffen halt vor einer Gruppe, die ebenfalls vor einer stattlichen H�tte am Boden sa�, und als Mittelpunkt einen gro�en Mann hatte, der wie eine sanfte H�gellandschaft gediegener Fleischmassen voller Fetth�cker, W�lste und Gr�bchen auf einer Matte lagerte, das schwerwuchtende Haupt sinnreich gest�tzt und schl�frig in das Bl�tterdach der Pisangs blinzelnd, w�hrend eine gr��tenteils weibliche Dienerschaft emsig damit besch�ftigt war, ihm mit Palmwedeln die tanzenden Insekten abzuwehren und ihm K�hlung zuzuf�cheln, ihm die Fu�sohlen zu kratzen und ihm Nahrung in sein breites Maul zu schieben, an der er lange und tr�ge kaute, bisweilen auch in dieser Besch�ftigung minutenlang innehaltend. Die Fremden beachtete er mit keinem Blick, jedoch wurden ihm auf einen Wink seines Zeigefingers alsbald einige frische Blumen in sein filziges Haar geschoben und er bettete seine schwammigen H�nde, an denen ungemein lange gebogene N�gel gl�nzten, wie ein Adelsschild recht sichtbar auf seinen Magen. Lange N�gel, bemerkte Cook im Weitergehen, g�lten hier als ein Ausweis der Vornehmheit und des Reichtums, die Hand, die sich mit langen N�geln schm�ckt, besitzt H�nde, die f�r sie arbeiten … Ein neuer Anla�, die bedeutendsten Vergleiche zwischen heimischen und hiesigen Verh�ltnissen zu ziehen, ein Gespr�ch, an dem Herr Forster sich lebhaftest beteiligte, das Meerrohr auf dem R�cken haltend und Europens Vergeistigung preisend. Indessen, pl�tzlich brach es aus ihm hervor, er legte die Hand auf seine Mitte, sah begeistert um sich und rief nicht ohne Treuherzigkeit aus: „Meine Freunde, — etwas, — etwas hat es doch f�r sich!“ Setzte aber gleich darauf abschw�chend mit leichter Besch�mung hinzu: „Gewinnt der Geist nicht, wenn einem die Nahrung so gleichsam ins Maul w�chst?“ Eine Frage, die nur der sanftm�tige Hodges mit schwimmenden Augen r�ckhaltlos bejahte. —

„Sieh, mein Sohn, dies ist’s, was mir lebensl�nglich gefehlt hat!“ bekannte Herr Forster George einen Abend sp�ter, als sie in der Matavi-Bucht Gro�-Tahiti gegen�ber vor Anker lagen, von einem un�berwindlichen Drang nach Mitteilung �bermocht. Die Nacht war unfa�bar sch�n, bl�ulich vom Mondlicht, in dem der starke Silberschein der Sterne matt ward. Eine Perlenschnur kleiner roter Feuer glimmte im Halbkreis am Strande um die Bucht herum und von dort her kam Freudenget�n, fremdartig, schrill und eint�nig, und wiederum heimatlich vertraut, vom Dudelsack begleitet. Sogar ein deutsches Lied kam her�ber, — George lauschte best�rzt und Mareiken, die Magd, stand pl�tzlich vor seiner Seele, am Herde sitzend und das Spinnrad tretend, dazu — langgezogen, klagend — „Anke von Tharau ist’s, dir mir gef�llt …“

Freilich, dies war der Matrose Friesleben, ein Deutscher. Also nichts Wunderbares, — nur, da� er f�r gew�hnlich nicht sang …

„Was mir lebensl�nglich gefehlt hat,“ fuhr der Vater fort, und es war ein Schwanken in seiner Stimme, da� George aufhorchte und versuchte, in dem ungewissen Licht den Ausdruck seines Gesichtes zu erkennen, — er nahm aber nicht mehr wahr, als eine empfindsame Seitenneigung des umfangreichen Hauptes, denn Herrn Forsters Antlitz war beschattet, — „dies, teurer George, war der nat�rliche �berflu� der Erde. Denn siehst du, ich bin eine armselige Kreatur, la� es mich nur aussprechen, denn ich bin mir dessen wohl bewu�t, — eine armselige, eine Kreatur, die viel f�r ihres Leibes Notdurft braucht.“ Herr Forster schnaufte ein wenig und griff nach einer Banane, — eine Riesentraube lag neben ihnen auf Deck wie ein mattgolden leuchtendes Schuppentier.

„Es ist mir,“ fuhr er bek�mmert fort, w�hrend er der Frucht behend ihren weichen duftenden Pelz abstreifte, „es ist mir immer unm�glich gewesen, geistig zu arbeiten, wenn ich nicht sehr satt war. Da� ich mich aber immer so plagen mu�te, um satt zu werden, siehst du, George, — das hat mir so viel Zeit genommen und hat mich aufgerieben, George, — aufgerieben, aufgerieben, — wenn man es mir auch nicht anmerkt. Und nun hier, mein Sohn, — ach ja!“ Er legte eine schwere hei�e Hand auf Georges Schulter und nickte nachdr�cklich. „Hier sollten deine Mutter und deine Geschwister bei uns sein, wir sollten eine ger�umige H�tte bewohnen, uns von Fr�chten, Fischfang und Jagd ern�hren und ihr solltet sehen, was ihr f�r einen Vater h�ttet, wenn selbiger sich nicht mehr um das t�gliche Brot die H�nde schwielig zu schaffen brauchte! Jawohl, — schwielig!“ f�gte er befriedigt hinzu, hierauf in Schweigen versinkend und auch George seinen Betrachtungen �berlassend, Betrachtungen, die darin m�ndeten, da� er sich nach Europa, nach einer volkreichen, wimmelnden, arbeitenden, winterkalten Stadt sehnte, — nach B�chern, Gem�lden, ja, selbst nach Kuriosit�tensammlungen und Kaufl�den, fast sogar nach dem finstern Kontor des Mr. Hitch mit seinem muffig-s��lichen Geruch der Tuchballen, — dies alles trotz oder gerade wegen der Aussicht auf einen sorglosen Cherub von Vater, der ihm auf einmal weniger unter dem Bilde eines Menschenfressers und K�nigs Minos erschien, — welche Vorstellung sich ohnehin l�ngst abgen�tzt hatte, — als unter dem jenes �berf�tterten Insulaners im Bananenschatten. Obgleich er auch heute wie einst eine derartige Gedankenvorspiegelung als schief erkannte, sie bek�mpfte und verwarf, — denn, wer konnte und wollte es leugnen: arbeitete der Vater nicht als ein trefflicher, scharfblickender Gelehrter, liebte er ihn im Grunde nicht mit bewundernder Hingabe und war es nicht ein seltsam schmerzliches Gl�ck, ihm zu dienen?

Und am Ende, — aber dies fragte sich der kleine George nicht buchst�blich und in Worten, obschon er sich jetzt zuweilen philosophischen Meditationen hingab, — dies f�hlte er nur dunkel, wie man ein Gesetz seines Lebens ahnt: wie war es anders m�glich zu leben, als im Dienen? — — —

Die Europasehnsucht, dies w�hrend einer verzauberten S�dseenacht befremdende Heimweh nach einem mi�vergn�gten Himmel, war am andern Morgen verschwunden, und die n�chsten Wochen, ja Monate lie�en es nicht wieder aufkommen. Denn da man nicht zum Genu�, sondern zur Arbeit hierher geschickt war, dieses Zweckes nunmehr mit Ernst eingedenk, — Stirnrunzeln und Zeigefingerheben in goldener Morgenfr�he, — so ging man jetzt geradeaus auf sein Ziel los. Forster und Sohn arbeiteten. Die Schiffsgesellschaft erlaubte sich zun�chst anz�gliche Gesichter und Bemerkungen, h�hnisch verzogene Lippen, zum Himmel gerollte Augen, mi�vergn�gt wackelnde H�upter, bezeichnend gezuckte Achseln, — war nicht bisher alles mit Mu�e vor sich gegangen? — jedoch umsonst. Forster und Sohn arbeiteten. Die Ausfl�ge an Land nahmen den Charakter von bis ins kleinste vorbereiteten Unternehmungen an, von wahren Feldz�gen gegen die selige Unbewu�theit der Inseln, mit so viel Werkzeug und Genauigkeit wurde ihren Geheimnissen zu Leibe gegangen, mit Untersuchungen, Messungen, Z�hlungen, ihre Berge wurden erklettert, auf ihren schroffen steilen Graten zwischen den fast senkrecht abfallenden vulkanischen Kl�ften krochen Forster und Sohn umher, ebenso wi�begierig wie in ihren feuchten, von Wachstum strotzenden Schluchten, keine Erdfalte blieb undurchsp�ht, kein Kr�utlein, das sich fernerhin heiter der Einordnung in das System des gro�en Linn� entzogen, keine Fliege, die in Zukunft unbenannt im Sonnenschein getanzt, kein Vogel, der sich weiter leichtsinnig eines steckbrieflosen Daseins gefreut h�tte, — sie alle waren nun gebucht, fanden sich eingehend und genau beschrieben, in Listen niedergelegt, bestimmt, aus ihrem selbstgen�gsamen Unerkanntsein in das schattenlose Licht europ�ischer Magistergehirne hin�berzugehen und dort fortan �ber ihrem harmlosen Dasein im Inselmeer noch ein zweites, ein zweifellos h�heres im Reich des Geistes, das Dasein einer verwickelten Vorstellung, dargestellt durch einen, wenn irgend m�glich doppelten, lateinischen Namen, zu f�hren. Indessen bl�hte, duftete, tanzte, blitzte und summte, tirilierte und br�tete das Leben unter tahitianischer Sonne fort, unbek�mmert wie seit seinem Sch�pfungstag, unmerklich und l�chelnd entwand sich hier wie �berall die Natur den H�nden ihrer neugierigen Liebhaber, ihr letztes Geheimnis wahrend und nach wie vor, allem zerlegenden Verstande zum Trotz, blieb sie eins, blieb gelassen wunderbar, spielend und spottend.

Herr Forster hatte Augenblicke, in denen er das f�hlte. „Die Namen, George,“ sagte er einmal schwerf�llig, den Blick in eine frisch gepfl�ckte Blume versenkt, „die Namen betr�gen uns um die Dinge. Ist es nicht eine ungeheure Anma�ung, Namen zu verleihen, anstatt jedes Gesch�pf dem�tig um seinen Namen zu befragen?“ Und da George ihn nicht ganz verstehend ansah, sagte er ungeduldig: „Nun ja, nun ja … Ich zum Beispiel wollte manchmal, ich h�tte keinen Namen. Ich bin nun einmal der Herr Forster, und mu� der Herr Forster sein, wie ihn die Leute sich denken. Hat man mich je gefragt, wer ich eigentlich bin? Im Grunde hei�e ich vielleicht ganz anders, — nur, da� ich selbst es auch vergessen habe …“

Das letzte wurde ganz undeutlich gemurmelt und in der Folge sah der Vater m�rrisch aus, da er es selbst nicht liebte, sich mit solchen Erw�gungen zu beunruhigen, deren er sich doch zuweilen sonderbarerweise nicht erwehren konnte. George aber war etwas ungl�cklich, da er nicht begriff, und, leidenschaftlicher Liebhaber des Begreifens, der zu sein er bestimmt war, an diesem Brocken ungel�uterter Erkenntnis stundenlang m�hsam herumarbeiten mu�te, bis er schlie�lich hoffnungslos davon ablie�. Wo blieb das k�nigliche Vorrecht des Menschen vor aller andern Kreatur, wenn es nicht dieses war, sie zu benennen? —

Er hatte durch die Arbeit sein Gleichgewicht v�llig wiedergewonnen, er f�hlte sich gesund und heiter und die verwirrenden Eindr�cke der ersten Tage gl�tteten und verteilten sich. Die Neigung, alles wissenschaftlich zu betrachten, gewann die Oberhand und sein Tagebuch f�llte sich mit exakten Schilderungen von Erlebnissen, sei es nun von Wanderungen, malerischen Punkten, — auf deren Romantik der wackere Hodges nimmerm�de hinwies, — oder Volksfesten, gleich dem, als Tedua-Taurai, die Schwester K�nig O-Tu’s von Gro�-Tahiti, aus Anla� des Besuches der hohen Fremden zur Nasenfl�te tanzte. Diese Tedua-Taurai war ein �beraus ansehnliches St�ck Weiblichkeit von hoher Gestalt und muskul�ser Schlankheit, w�hrend die meisten Frauenzimmer klein und fett waren. Ebenso hob sich ihr einsamer Tanz vorteilhaft von den Massenvorf�hrungen ab, die man bisher genossen hatte, er war feierlich wie eine gottesdienstliche Handlung, wenn es auch durchaus deutlich blieb, da� es der Gott der Fruchtbarkeit war, dem er huldigte. Jedoch wirkte Tedua-Taurai in ihrem Gewand aus gebleichten Aoto-Bast, das knapp unter der Brust ansetzte, mit den wei�en Lilienbl�ten des Huddu-Baumes in den Ohrl�ppchen und dem starren Brennen ihres unbewegten Blicks, — die Arme hielt sie w�hrend des Tanzes regungslos hinter ihrem Haupte verschr�nkt und die t�towierten Linien um Br�ste und Schultern bewegten sich schl�ngelnd im unmerklichen Spiel der Muskeln, — sonderbar aufregend auf die M�nner aus Europa. Auch George war au�erordentlich beklommen. Er war nach dem Tanz einmal nahe an Tedua-Taurai vorbeigestreift und hatte etwas wie einen wilden Raubtierdunst geatmet. Er notierte sich, da� die Prinzessin wahrhaft k�nigliche W�rde besitze, f�hlte aber selbst, da� dies nicht der Ausdruck seines Eindrucks sei. In der Nacht darauf tr�umte er von der Starostschenka Hermanowska, an die er seit seiner Kinderzeit nicht wieder gedacht hatte, so da� er sich beim Erwachen besinnen mu�te, wem eigentlich diese Traumgestalt im gebl�mten Seidenkleid mit dem blo�en Busen geglichen habe. Es blieb ihm aber in der Tat nicht viel Zeit zum Aufstellen von Betrachtungen und zur Hingabe an jene sanft dr�ngende Schwermut, die ihn immer wieder befallen wollte. Da war das Ordnen der Sammlungen, der Herbarien und Spirituspr�parate, da war die Arbeit mit dem buckligen Ausstopfer Jacopo, einem Italiener, mit dem Hodges gelegentlich schw�rmte und der jetzt ganz prall und glau vor Behagen wurde, nachdem er im Eismeer fast gestorben war, und w�hrend George so an Bord besch�ftigt war, nicht unzufrieden und harmlos wie ein junger Sperling, nahm Herr Forster genug Anla�, sich an Land rudern zu lassen und dort stundenlang zu verweilen, — ebenso wie die anderen Herren �brigens, Cook ausgenommen, der viel in seiner Kaj�te arbeitete. So geschah es vor Tahiti, so geschah es vor Ea-Uhwe, Tonga und Tabu und vor den Gesellschaftsinseln war es nicht anders gegangen. George sch�pfte keinen Argwohn, der Vater trieb Handel, der Vater vertiefte sich in das Volksleben, der Vater war recht in seinem Elemente; kam er nicht immer wie ein Sendling der G�tter heim, mit Ausbeute beladen, beseligt von Einblicken, die er getan, meist sehr ges�ttigt und fast ein wenig betrunken vor Wohlwollen und Menschenliebe? Es war nicht recht zu verstehen, warum der Kapit�n dem Vater gegen�ber immer noch sein steifes Wesen beibehielt, diesem Vater, der nicht nur gro� und sch�n und stark und pr�chtig war, sondern jetzt auch so arbeitsw�tig wie ein Bauer in der Erntezeit, so fruchtbar wie der schaffende Sommer selber und au�erdem tagaus tagein in der entz�ckendsten guten Laune, die Gesellschaft mit Sp��en, Schnurren und der ganzen ungewollten Entfaltung seines ihm selbst wohlgef�lligen Wesens unterhaltend. George war ein wenig bek�mmert �ber diesen st�ndigen Gegensatz, wie konnte man dem Vater widerstehen, wenn er so war wie jetzt? Er selbst hing bei Tisch mit strahlenden Augen an ihm und lie� den Blick beseligt zu Cook hin�berwandern: Bitte, so ist mein Vater, ja, dies ist er eigentlich! Indessen blieb Cook schweigsam, scharfkantig und abweisend, und es war unzweifelhaft, da� der gutgelaunte und arbeitsame Herr Forster ihn ebenso, wenn nicht mehr reizte, als der faule und weinerliche. Bei Tisch behielt er zwar George an seiner Seite, hatte ein halbes L�cheln, einen trockenen Scherz f�r ihn; er besuchte ihn wohl auch einmal bei seiner Arbeit, wenn sie allein an Bord waren, blieb neben ihm stehen, rauchte schweigsam seine kurze Tonpfeife und sah ihm auf die Finger, — ja, er rief ihn gelegentlich in seine Kaj�te und lie� sich von ihm bei seinen Berechnungen helfen. Je l�nger die Reise aber dauerte, desto betonter ward seine Zur�ckhaltung, nicht nur Herrn Forster, sondern der gesamten Gelehrtenschaft gegen�ber, er schob seine Offiziere und Patton, den Wundarzt, zwischen sie und sich. Schlie�lich hatte er es nicht n�tig, sich mit jedem Satz belehren zu lassen, auch wenn er sich nicht auf hohen Schulen die Augen blind studiert hatte, und man w�rde es ja sehen, wessen Beobachtungsergebnisse die wertvollsten sein w�rden …

Jeder Tag war ein L�cheln von Morgen bis Sonnenuntergang. War er nicht Arbeit, — eine Arbeit, so aus der F�lle von Kraft und Anschauungsvorrat heraus wie nie zuvor und darum unendlich begl�ckend, kaum erm�dend, — so war er Schlendern in Palmenhainen, Pl�tschern in lasurblauer Bucht, Schwelgen im Duft unerh�rter Blumen, �ppig in Form und Farbe und unabl�ssig sich erneuernd, w�hrend unter ihnen safttriefende Fr�chte aus dem dunklen Laub quollen, — Anbetung waren diese Tage in jedem Atemzug und wiederum Angebetetwerden, ein Leben im Weihrauch der Bewunderung sch�ner menschlicher Wesen, die so viel unschuldiger, reiner und kindlicher schienen als man selbst sich in seinen Kleidern aus englischem Tuch vorkam, — ob sie schon stahlen wie die Raben, eingestandenerma�en, und ihre eigenen seltsamen Gebr�uche hatten, allerdings! Aber dann lie� sich doch immer dar�ber philosophieren, ob da S�nde war, wo es kein Gesetz gab, und Herr Forster rief gar den Apostel Paulus in die S�dsee, um f�r die S�ndlosigkeit der Heiden einzutreten, — was kann ein toter Apostel dagegen machen? — verzieh man doch auch den Tieren ihre Streiche, und hier auf Huahaine, s�ugten die Weiber, wei� Gott, H�ndchen und Ferkelchen, wenn es ihrer eigenen Brut nicht gelang, sie vom Andrang des s��en �berflusses zu befreien. So freute man sich seines Ansehens als guter, m�chtiger G�tter und Besitzer fabelhafter Reicht�mer in Gestalt unz�hliger Glasperlen, N�gel, kleiner �xte und Messer, um derentwillen einem dem�tig gehuldigt und geopfert wurde. England dahinten jenseits des Erdbauches erschien einem zuweilen selbst verlockend und fabelhaft, wenn die braunen Freunde herzbeweglich bettelten, mit in das Wunderland genommen zu werden. Nun, ab und zu lie� man sich scheinbar erweichen und solange man zwischen den Inseln kreuzte, nahm man den einen oder den andern mit, etwa den Knaben Porea aus Eimeo, der darob ganz �berheblich wurde und bei der Landung auf Huahaine bereits w�nschte von den Eingeborenen f�r einen Engl�nder gehalten zu werden, was indessen zu seiner Entt�uschung nicht eintrat. Z�her als alle anderen erwies sich O-Heddi, genannt Mahaine, der sich ihnen auf Bora-Bora anschlo�, und es durch sein schlechthin bestrickendes Wesen und au�erordentlich gutes Benehmen wahrhaftig erreichte, da� er an Bord bleiben durfte, selbst als die „Resolution“ am 7. Oktober den Kurs s�d�stlich auf Neuseeland zu nahm. Der Sommer brach an. Ja, erstaunlich, diese lachenden Tage voller Bl�te und Frucht waren Winter gewesen, jetzt erst kam der Sommer der s�dlichen Halbkugel, jetzt lockerte sich wieder das Eis um den Pol und es galt, die g�nstige Zeit zu neuen Forschungen dort unten auszunutzen. Abschied zu nehmen galt es, Abschied von dieser gro�en Seligkeit, vielleicht auf Nimmerwiedersehen, denn wer konnte wissen, was dem wackern Schiff drohte, das wiederum so k�hn und ver�chtlich dem Grauen entgegenst�rmte? George h�tte sich wohl ganz einer wehm�tigen Verdrie�lichkeit �berlassen, wie sein Papa es hemmungslos tat, wenn nicht dies lebendige St�ck Inselgl�ck dagewesen w�re, das ihm von Cook ganz besonders ans Herz gelegt worden war, — Mahaine also. Mahaine war au�erordentlich sch�n, lichtbraun, m��ig und sinnreich t�towiert, so da� die eingebrannten Linien nur das Ebenma� seiner Glieder hervorhoben, er trug einen Ausdruck kindlicher W�rde, er war ohne Sch�chternheit zur�ckhaltend, er war ernsthaft, sanft und h�flich. Er wurde nicht m�de, das Schiff von oben bis unten zu durchforschen, auf seinen nackten Sohlen tauchte er �berall auf und man verga� es, bei seinem lautlosen Erscheinen zu erschrecken, man gew�hnte sich an ihn, wie an ein zahmes Tier und selbst Wales, der Astronom, ereiferte sich nicht mehr, wenn Mahaine hinter seinem R�cken stehend verharrte und ihm gro��ugig auf die schreibende Hand sah. Mr. Wales hatte n�mlich ganz im Anfang einmal ein Erlebnis mit Mahaine gehabt, das ihn sehr peinlich ber�hrt hatte, er war in seiner H�ngematte von lindem Schlummer erwacht und hatte Mahaine �ber sich gebeugt gefunden, wie dieser ihn mit wildem Forscherblick betrachtete und den ausgestreckten Zeigefinger zur�ckzog, mit dem er ihn soeben offenbar im Gesicht hatte antippen wollen. Es war Mahaine dann bedeutet worden, da� der Schlaf der wei�en M�nner ungeheuer heilig sei. — Er stand stundenlang neben dem Steuerruder und blickte abwechselnd auf die H�nde des Mannes, wie sie mit nie fehlender Sicherheit ins Rad griffen, blickte auf in das unbeweglich in die Ferne gerichtete Antlitz und dann geradeaus auf die rastlos wandernde, sch�umende Fl�che. Er hielt Andacht vor dem Kompa�h�uschen, dessen zuckende Nadel er f�r einen m�chtigen Gott der wei�en M�nner ansah, — und hatte er nicht Recht? — er erstarrte in Ehrfurcht, wenn Cook in der Mittagsstunde mit dem Sextanten auf Deck erschien und die Sonnenh�he aufnahm, — eine feierliche Handlung, mit Zauberei verbunden, von der der Ausfall der Mahlzeiten abh�ngen mochte! Mahaine liebte es nicht, alles zu essen, was die wei�en M�nner a�en. Er verzehrte seinen Anteil einsam, am Boden hockend, und allen den R�cken drehend, er war sauber wie eine Katze und hinterlie� keinerlei Spuren oder �berreste, nichts, womit ein b�ser Mensch ihn h�tte verzaubern k�nnen. Ja, Mahaine war einsam, schutzlos in einer fremden Welt, allen m�glichen unbekannten Teufeleien preisgegeben, aber er begegnete den Gefahren mit gelassener Standhaftigkeit, — wichtig, wichtig �ber alle Ma�en war es, da� er, O-Heddi, genannt Mahaine, Einblick gewann in die unerh�rten Wunder der wei�en M�nner, da� er endlich einmal die fremden Inseln sah, die er zuweilen am Horizont hatte d�mmern sehen, wenn eine k�hne Fahrt sein Kanoe aus den heimatlichen Fischgr�nden gef�hrt hatte. Und lohnte es sich nicht? Hatte er nicht schon das Eiland der roten Papageienfedern entdeckt, die auf seiner Insel und auch auf Tahiti, Huahaine und den benachbarten so unerh�rt selten und kostbar waren!? Auf Tonga-Tabu war es ihm gelungen unerme�liche Reicht�mer in Gestalt von Kopfputz und Sch�rzen aus diesen wundervollen hei�begehrten Federn einzuhandeln, indem er hingab, was er an Tauschwert besa�, alle Perlen, Korallchen und N�gel und schlie�lich sogar ein kleines Messer, bisher sein gr��ter Schatz, f�r das er sich eben erst sein sch�nstes Gewand vom Leibe gezogen hatte. Alles gab er hin, schweigsam, gl�hend und zitternd, dies k�nnte wieder r�ckg�ngig gemacht werden, k�nnte sich aufl�sen, verschwinden, die Federn samt den Korallchen, — und was dann, Mahaine, nackt und blo�? O, er spielte ein hohes Spiel, ein banges Spiel, aber dann, als das Schiff vor Tonga-Tabu den Anker gelichtet hatte, da grinste er auch tagelang ganz unm��ig vor sich hin und wurde vor lauter Seligkeit nicht wieder seekrank wie bisher. Er hockte in einem Winkel auf Deck und befreite seine Edelsteine aus ihrer Fassung, das hei�t er l�ste jene Sch�rzen- und Kopfzierate in ihre Bestandteile auf und ordnete die Federn nach ihrer Gr��e in anmutige Str�u�chen, die er mit Kokosfaser zusammenband, — was verstanden diese im �berflu� w�hlenden Tonga-Tabuaner von wahrer Sch�nheit? — und wenn jemand zu ihm trat, hob er den Kopf und zeigte in �berstr�mender Wonne alle zweiunddrei�ig Z�hne. Durch seinen leidenschaftlichen Eifer aufmerksam gemacht, hatte �brigens auch der Kapit�n gro�e Vorr�te dieser roten Federn einhandeln lassen und erlebte gleich auf Neuseeland den Erfolg seiner klugen Handlung, der Tauschverkehr war au�erordentlich belebt, Muschelh�rner, h�lzerne Trompeten, Rohrfl�ten, Schmuck aus Jadestein, Boghi-Boghi-M�ntel, — alles ward auf den Markt geworfen, nur um dieser Federchen habhaft zu werden, dieser vertrackten, entz�ckenden. Daneben galten Matten und Gew�nder, Waffen und Ger�te aus der S�dsee auf diesem rauhen und rohen Eiland als begehrteste Tauschst�cke, hatten weit h�heren Wert als Europens Blendwerk aus farbigem Glas und Messing, und wenn die Engl�nder hier bestaunt und gef�rchtet wurden wie fremde Gesch�pfe, eine unerkl�rliche Zwischenstufe zwischen G�ttern und Tieren, so begegneten die Neuseel�nder Mahaine wie einem reisenden F�rsten mit gehaltener Ehrfurcht. Kurz, es war aus allem ersichtlich, da� in der S�dsee ihr Land der h�heren Kultur lag, wie ihre armen Schilf- und Schorfk�pfe sie zu fassen und zu ersehnen vermochten.

So war man denn wieder auf Neuseeland, diesem letzten Ruhehafen vor den uferlosen Schrecken des Polarmeers, und es mu� gesagt werden, sie z�gerten, das wilde, nasse Wald- und Felseneiland zu verlassen, sie umschw�rmten es von allen Seiten, sahen an den nackten Felsen die H�tten der Eingeborenen wie Adlernester kleben und landeten immer wieder, zur Jagd, zum Fischfang in den Buchten, zum Handel, — um das Schiff auszubessern, um die Bodenbeschaffenheit zu erkunden, — wei� Gott, es gab der Vorw�nde genug. In einer Art von blindw�tiger Verzweiflung glaubten die Matrosen sich im voraus f�r die kommenden Entbehrungen schadlos halten zu m�ssen und ihre Zusammenk�nfte mit den eingeborenen Weibern entbehrten durchaus jeder Verborgenheit, — Cook schien nichts zu sehen und zu h�ren. George war aufs tiefste angeekelt, weniger von dem, was sich vor seinen Augen abspielte, als davon, da� diese Weiber so zottig, schmutzbedeckt und �belriechend waren. Ebensowenig liebte er die derben Scherze seines Vaters und der �brigen Herren, die jetzt in Bl�te standen, er gew�hnte sich daran, seine Ausfl�ge in Begleitung von Larry und Mahaine zu unternehmen, und gefiel sich in dem Gef�hl genu�reichen Trotzes gegen die ganze Gesellschaft. Sie benahmen sich ein wenig wie die jungen Jagdhunde, trieben allerlei zwecklose K�rper�bungen, verschwendeten �bersch�ssige Kraft in gewagten Unternehmungen und kletterten zum Beispiel an den Steilufern umher, um die in ihren unterirdischen Nestern kakelnden und quakenden Sturmv�gel zu entdecken. Auch gaben sie Mahaine ein Gewehr in die Hand und hie�en ihn, auf einen Strandl�ufer anlegen. Mahaine packte die Waffe wild, mit Inbrunst, fletschte die Z�hne, zielte, dr�ckte ab, — der Vogel hob die Fl�gel, tat einen possierlichen Satz und fiel, ganz in sich zusammenklappend. Mahaine jedoch, im Augenblick, da der Schu� dr�hnte, warf das Gewehr von sich, hielt die H�nde an die Ohren und rannte von dannen, den Mund kreisrund ge�ffnet, aber ohne einen Laut auszusto�en. Von dem Vogel wandte er sich ab, als sie ihn ihm sp�ter brachten. Wer konnte wissen, ob er nicht den G�ttern dieser Insel heilig gewesen war? Mahaine f�rchtete diese G�tter, und seine neuseel�ndischen Br�der, die unter einem so unfreundlichen Himmel ihr karges Dasein fristeten, dauerten ihn. Als man ihm entdeckte, da� diese Br�der einander gelegentlich auffr��en, verfiel er in eine ernsthafte Schwermut, die erst von ihm wich, als Neuseeland im Nebel hinter der „Resolution“ versank.

�brigens hatte dies Abenteurerleben zu dreien insofern bald ein Ende genommen, als Larry anfing, sich von ihnen abzusondern und eigene Wege zu gehen, kurz, als Larry, dieser Schweren�ter, Toghiri gefunden hatte und nicht mehr Meister seiner Sinne war. Larry n�mlich, obgleich er sich seinen Kameraden bei ihren Belustigungen immer angeschlossen hatte, war merkw�rdigerweise bisher derselbe Endymion geblieben, als der er auf die Reise gegangen war, freilich nicht aus eben den gleichen Gr�nden, die George so bewahrt hatten, nicht aus Unerfahrenheit und Ekel, sondern infolge einer au�erordentlichen Sch�chternheit dem andern Geschlecht gegen�ber, die er hinter einem l�rmenden Auftreten immer so lange zu verbergen wu�te, bis es Zeit war, sich vor den letzten Folgerungen einer gemeinsamen Unternehmung ger�uschlos zur�ckzuziehen. Nun aber hatte er Toghiri gesehen, hatte sie ganz allein f�r sich entdeckt, als sie am Strande M�weneier suchte, war ihr gefolgt und in ihre H�tte eingedrungen, wo Toghiris Vater ihm alsbald alles abgelockt hatte, was er an Angelhaken, Kn�pfen und �hnlichen Wertgegenst�nden bei sich trug, worauf er ihm zum Zeichen der Freundschaft die Stirn mit einem �belriechenden �l salbte. Solchergestalt in einen Familienkreis aufgenommen, f�hlte Larry den Feuerstrom seines Gef�hls in geordnete Bahnen gelenkt, und es dauerte nicht lange, so war ihm Toghiri als Eheweib �berlassen, er bezog mit ihr eine H�tte neben der ihrer w�rdigen Eltern und verbrachte alle freie Zeit im Scho� seiner neuen Familie. Allen H�nseleien der Kameraden setzte er unger�hrten Gleichmut entgegen. „She is my wife, hold your tongue!“ sagte er und versorgte sich ausgiebig mit verdorbenem Schiffszwieback, von dem ihm Billy ein ganzes Fa� zur Verf�gung gestellt hatte, und den seine Schwiegereltern gerne a�en. F�r Toghiri indessen, — nun, es fand sich schon dieser oder jener Bissen, um so ein V�gelchen zu f�ttern! — Aber sie an Bord zu bringen, wie Mr. Forster ihn einmal dringlich aufforderte, — nein, das ging doch nicht! „Sir, sie ist ein wenig verlaust!“ bekannte er, �brigens ohne zu err�ten, nur mit einem versch�mten Grinsen, da� keinen Zweifel daran aufkommen lie�, da� wenigstens er nicht Ansto� nahm …

Alles Hinz�gern, Aufschieben, Verweilen aber mu�te einmal ein Ende nehmen. B�sesten Wetterzeichen zum Trotz lie� Cook am 24. November die Anker lichten. Der Schiffszimmermann brachte mit der Feuerzange einen scheu�lich haarigen Skorpion auf Deck, den er im Volkslogis gefunden hatte, und warf ihn dem Kapit�n vor die F��e, Jacopo folgte ihm und rang die langen d�nnen Finger, — konnte es gewagt werden, unter einem so schlimmen Omen auszufahren!? Cook schleuderte das Tier mit einem Fu�tritt durch ein Speigatt. Am Abend waren sie rings von graphitschwarzer rollender See umgeben, und mit der Finsternis brach der Sturm los, die Matrosen fluchten und br�llten und nur Cook bewahrte angesichts des drohenden Untergangs eine kalte steinerne Ruhe. George dachte nicht gern an diese Sturmnacht zur�ck, ein verschwommenes Erinnerungsbild, — verschwommen, weil er von Anfang an angstvoll bedacht gewesen war, es nicht festzuhalten, — wollte ihm dann immer den Vater zeigen, wie er den schw�chlichen Mr. Hodges beiseite stie�, um selbst in die N�he des Rettungsbootes zu gelangen (mit dem Ausruf: „Ach was, jeder ist sich selbst der N�chste!“). Am anderen Morgen jedoch war nichts als ein melancholisches Sausen zur�ckgeblieben und auf langen glatten Wogen schaukelte ein schlafender Albatros ihnen entgegen und an ihnen vor�ber. Dies war Ersch�pfung, — Ergebung. Schweigsam wurde an der Wiederherstellung des Schiffes gearbeitet, — schweigsam und verdrossen hingenommen, was da kommen mu�te, der erste Schnee, die ersten wandernden Eisschollen. Der einzige, der noch eines Menschen Antlitz trug, einen Ausdruck freundlichen Staunens, war Mahaine, der Wilde, der nach wie vor lautlos umherging, obgleich er seine Beine jetzt mit Lappen umwickelte und sich in einen neuseel�ndischen Boghi-Boghi-Mantel h�llte. Er f�hrte ein sonderbares Tagebuch aus St�bchen, die er in seiner Ecke auf Deck zu immer neuen Figuren auf dem Boden anordnete. „Whemuatua-tua“, das wei�e Land! so stand das erste Treibeis darin verzeichnet; Schnee aber hie� „der wei�e Regen“, und in einem Schneegest�ber konnte man Mahaine sitzen sehen, mit den braunen H�nden nach den Flocken haschen, ihr Zergehen auf seiner Haut oder ihre sternige Gestalt auf dem rauhen Gewebe seines Mantels ratlos beobachten. George holte ihn hinunter in die gro�e Kaj�te, die von Pfeifenqualm und Dunst erf�llt war. Mit �bergeschlagenen Beinen auf einem Stuhl in einem Winkel der Kaj�te sitzend, der Gesellschaft den R�cken drehend, Mahaine vor sich, der am Boden hockte und mit klugen zutraulichen Augen zu ihm aufsah, erhielt er seine t�gliche Unterweisung im Tahitianischen, sog er mitten im Eis der Poln�he, w�hrend drau�en die bleiche Aurea australis gespenstisch �ber den starren Himmel spielte, den leuchtenden blauen Sommergeist dieser kindlichen Sprache in seine Seele. Dies d�nkte ihn besser, als mit am Tisch zu sitzen, in dem Konvivium, das hier von fr�h bis sp�t tagte. Er war sehr ungl�cklich, war es mit allen Kr�ften des jungen, eben erst zum vollen Bewu�tsein seiner selbst gelangten Menschen. Alles, was er an k�rperlichem Unbehagen, an Gram �ber den Vater, an Unbefriedigung �ber seinen eigenen Zustand im Vergleich zu dem stetig untadelhaften Cook empfand, verkleidete er mit der einen Maske des Heimwehs und ergab sich ausgiebig einem schw�rmerischen und tr�nenreichen Gottesdienst vor den Erinnerungsbildern der Mutter und der Schwester Riekchen, dem er in der Einsamkeit seiner Koje oftmals haltlos nachhing, von einem unwiderstehlichen Ansturm der Gef�hle �berw�ltigt. O Gott, o Gott, es k�mmerte sich niemand um ihn, und in seinem Innern, da war eine H�lle, aus der alle Versuchungen stiegen, alle die ersten stummen unbenannten Forderungen seiner Jahre an seinen K�rper, gekleidet in die Bilder der letzten Monate. Bis in seine Tr�ume verfolgten ihn diese schmierigen Neuseel�nderinnen, die er doch ha�te. �brigens f�hlte er sich ernstlich krank. Die Nahrung, dieses ewige �belriechende faserige Salzfleisch, widerstand ihm bis zum Erbrechen, das Zahnfleisch schwoll ihm an, er litt qualvoll an einem �berflu� von Speichel und konnte sich kaum auf den dick angelaufenen F��en herumschleppen. Er sah zum Erbarmen aus, aber nicht, da� sich jemand besonders seiner erbarmt h�tte! Er erwartete es auch gar nicht. Ging es ihnen nicht allen so oder �hnlich? Starrten sie sich nicht alle aus gedunsenen Gesichtern und tr�b unterlaufenen Augen an wie eine Gesellschaft Ertrunkener, die, halb verfault, ihr b�ses, spukhaftes Spiel in diesem f�rchterlichen Teil des Weltalls trieb, — nein, nicht mehr auf Erden, denn dies war die gute Erde nun und nimmermehr! Fortgerissen von verfluchten Str�mungen und Winden, ausgeliefert an dies unselige Schiff, zwischen dessen W�nden die Gedanken hin und her jagten und sich die K�pfe stie�en wie gefangene V�gel, angewiesen einer auf den zum �berdru�, ja, bis zum Widerwillen wohlbekannten anderen, der gewi�, o, es war wahrhaftig wahr, noch schmutziger, noch kr�nker aussah als man selber, waren sie alle von einer gellenden verzweifelten Lustigkeit. Rum, Tabak und Karten, dies war’s, was einzig aufrechterhalten konnte, denn es lag kein Trost mehr in dem Gedanken, da� in ihnen der Geist der Menschheit seine Ausbreitung erk�mpfte, die Wissenschaft, sie war keine G�ttin in Monaten, wo die �berzeugung, da� England auf ewig f�r sie versunken sei, an ihrem Herzen fra�. Und dabei fortw�hrend den nagenden Vorwurf der Anwesenheit dieses Mannes zu sp�ren, der sich in der Kaj�te nicht anders mehr zeigte als eine vor�bergehende Erscheinung, b�sen und kalten Blickes und lippenlos zusammengekniffenen Mundes, ver�chtlich durch die N�stern schnaubend, wenn er �ber den mit Gl�sern, versch�ttetem Grog und Tabaksasche bedeckten Tisch hinsah, — der sich seine Mahlzeiten jetzt in seiner eigenen Kaj�te anrichten lie�, — aus Gesundheitsr�cksichten, wie er einmal verlauten lie�, denn auch er litt und sein Antlitz war gelb bis ins Wei� der Augen hinein von der Galle, die ihm das Blut verdarb, — aber nicht dies war der Grund, George f�hlte es wohl. Cook, von seinem Leutnant Bligh bedient und umgeben, einer schattenhaft gehorsamen Kreatur, die das Uhrwerk ihrer Verrichtungen dem straffen beherrschten Rhythmus in der Brust ihres Meisters aufs Haar angeregelt hatte, lie� George jeden Nachmittag rufen, wies ihm fast wortlos eine Arbeit an oder lie� ihn seine eigenen Papiere holen und an seinem Tisch schreiben, der mehr Bequemlichkeit bot als die Einrichtung in der Kaj�te der Forsters. Dann sa� der J�ngling �ber seine Aufzeichnungen geb�ckt, von dumpfer Dankbarkeit erf�llt, da� er hier atmen durfte, in diesem Raum, wo alles Bezug auf den gro�en Zweck der Fahrt hatte und wo ihm ein geistiges Licht zu strahlen schien, ausgehend von dem gesammelten Antlitz ihm gegen�ber, das sich doch oft d�ster und verzweifelt genug �ber die Karten und Berechnungen neigte. „Ein Narr!“ schalt der Vater, wenn sie abends in den Kojen lagen, — ein vernagelter Narr, der hier nach Land suchte in dieser starrenden Eisw�ste! Von Wasser war der Pol umflossen, umkreist von Str�mungen, die ihren Weg von hier aus geheimnisvoll um den Erdball nahmen und sich wieder vereinigten wie die Blutwege des Menschenk�rpers. Ein sonderbares, jawohl, ein h�chst sonderbares Tier, die Erde, ein Tier mit zwei Herzen, die an seinen �u�ersten Enden lagen, den beiden Polen im Norden und S�den! Denn da� hier das Leben gesammelt zitterte, lehrten das nicht schon die Lichter, die den Horizont bebend umflammten? Nun, sie waren seltsam und nicht ganz wissenschaftlich begr�ndet, die Theorien des Herrn Forster, vielleicht waren sie auch in ihrem Entstehen ein wenig von dem langen Tisch in der Kaj�te beeinflu�t, an dem sich so pr�chtig �ber sie debattieren lie�, �hnlich wie �ber den Stein der Weisen, dessen M�glichkeit der kleine Dr. Sparrmann in aller Bescheidenheit standhaft verfocht. Jedoch h�tte es umgangen werden m�ssen, da� Mr. Forster sich eines Nachmittags, — es war am 25. Dezember, am Weihnachtstage, und die „Resolution“ lag fast fest, wehrte sich nur ganz leise auf und nieder bebend gegen einen Ansturm unabsehbaren Treibeises, von dessen St��en der Schiffsk�rper dr�hnte und sch�tterte, — man h�tte es verhindern sollen, da� der �ltere Forster an diesem Nachmittag urpl�tzlich seinen Stuhl zur�ckschob, mitten in einer angeregten Diskussion mit Wales, da� er mit erhobenen Fingern schnalzte und wie unter dem Zwange blitz�hnlicher Eingebung ausrief: „Das mu� ich doch gleich einmal …“ worauf er sich erhob und, die linke Hand auf dem R�cken, die Rechte mit ausgestrecktem Zeigefinger an die Nase gelegt, sehr eilig zur Kapit�nskaj�te hin�berging, wo Cook ihm stirnrunzelnd und George einigerma�en erschrocken entgegensah, w�hrend Mahaine, neben der Kohlenpfanne hockend, gleichm�tig fortfuhr, mit seinen Zehen zu spielen. Der ganze Auftritt bildete sp�terhin eine der furchtbarsten Seiten in Georges Erinnerung. Der Vater hatte sich breitbeinig mit selbstgef�lligem Schmunzeln niedergelassen und angehoben: „Mein lieber Kapit�n, ich mu� Ihnen doch einmal meine Ansicht �ber den Aspekt unserer Fortschritte in puncto der Entdeckung eines Erdteils in diesen Breiten darlegen.“ Er hatte alsdann mit nichts zur�ckgehalten, was seine Zweifel an dem Vorhandensein eines solchen Erdteils �berhaupt ausmachten, hatte die Theorie von den Str�mungen anmutig hindurchgeflochten und der Aurea australis gedacht als einer Ausstrahlung pulsierender, magnetischer Kr�fte, bei welch unbeweisbarer Vorstellung er besonders liebevoll verweilte, hatte des �fteren „mein lieber Kapit�n“ gesagt, und zwar in einem Ton aufmunternder Nachsicht, hatte auch schlie�lich zusammenfassend seinen Rat f�r den weiteren Verlauf der Unternehmung gegeben, der auf eine schleunige R�ckkehr in die lieblichen Gew�sser der S�dsee hinauslief, — und bei alledem hatte er durchaus nicht bemerkt, was George mit wachsendem Bangen sah, da� n�mlich Cooks Augen eine gef�hrlich kaltblaue F�rbung angenommen hatten und aus dem gelben Gesichte schienen wie nur irgendein St�ck Polareis, da� es um sein hartes Kinn zuckte und da� seine Hand eine Kartenrolle knackend zusammenpre�te. Was dann kam, hatte unter vergifteter H�flichkeit begonnen, — ged�mpfte Satzanf�nge wie: „Mein Herr, ich bin zwar von dem Wert Ihrer Kenntnisse hinreichend �berzeugt …“ hafteten George sp�ter ebenso im Ged�chtnis wie das Anschwellen der Stimme hinter dem „aber, — aber, aber!“ „Mu� Sie aber ganz ausdr�cklich bitten …“ „Nun was denn etwa?“ — „Bitten, Ihre Befugnisse nicht zu �berschreiten, — gef�lligst in Ihren Grenzen zu bleiben …“ Dabei war Cook nicht sitzengeblieben, sondern er stand am Tisch und krampfte die H�nde um die Kante, da� die Kn�chel wei� anliefen. — „Wertester, ich kannte den ruhigen Mann nicht wieder!“ bekannte Herr Forster sp�terhin unbefangen dem schaudernd lauschenden Mr. Hodges. Cook, in der Tat, er stand da etwas vorn�bergebeugt wie auf dem Sprunge und bleckte die Z�hne, eine Grimasse, die Mahaine, der ihn starr und staunend ansah, nachahmte und sie durch eine krallende Geb�rde der vorgestreckten H�nde verst�rkte. In solchen F�llen, dachte Herr Forster blitzschnell, gilt es, die �u�erste Ruhe zu bewahren, — laut �u�erte er aber ungl�cklicherweise: „George, wei�t du, was Mr. Cook meint?“ wozu er etwas unbehaglich lachte und auf seinem Stuhl herumr�ckte, — sich dann allerdings zur�cklehnte und die Arme hoheitsvoll kreuzte, indessen hatte er sich nun einmal die Bl��e gegeben und einer innerlichen Erfahrung zuwidergehandelt, die da besagt, da� man gef�hrlichen Tieren auch nicht einen Schatten innerer Unsicherheit zeigen d�rfe, man gebe ihnen damit zugleich ein Gef�hl ihrer �berlegenheit. Diese �berlegenheit von seiten des Kapit�ns st�rzte denn auch unmittelbar in die Bresche des Gegners und nahm Formen an, — bediente sich Redewendungen … nun, Mr. Forster blies sich auf, dunkelrot, wie er allm�hlich wurde, lie� seine runden Augen vorquellen und — suchte vergeblich nach Worten, schnaubte, stie� ein „Unerh�rt!“ um das andere hervor, und: „George, verlasse das Zimmer!“ — worauf George, der in t�dlicher Verlegenheit in sein Heft gestarrt hatte, sich bleich erhob, denn: — „Lassen Sie Ihren Sohn aus dem Spiel, er ist ein braver, ungl�cklicher J�ngling, dessen Flei� und dessen Gr�ndlichkeit von Ihnen schamlos ausgebeutet werden …“ hatte Cook vorher geschrien, — „Mein Herr, Sie beleidigen in mir die W�rde der Wissenschaft!“ „Mein Herr, Sie selbst sind ein Hohn auf die W�rde der Wissenschaft!“

„Mein Herr, Sie, — ja, bei Gott, Sie sind ja ein ganz anma�ender Poltron!“

„Mein Herr, Sie sind ein geschw�tziger Charlatan!“ — dies etwa waren die S�tze, die ihm noch in die Ohren gellten, w�hrend er aus der Kaj�te glitt. Er warf sich in seine Koje, verzweifelt, blutleeren Herzens, wagte nicht zu denken, sich des f�rchterlichen Erlebnisses klar bewu�t zu werden, schluchzte wild gegen die Wand und lag, wie von einem Schlag aufs Haupt bet�ubt, regungslos still, als der Vater eintrat. Jedoch suchte Herr Forster sein Lager merkw�rdig lautlos auf und nahm keinen Anla�, sich durch eine Aussprache weiter �ber seine Niederlage zu erleichtern. Nachdem er seinen massigen K�rper krachend hingeworfen und mit umst�ndlichem W�lzen einigerma�en ertr�glich geordnet hatte, h�rte George ihn wohl noch ein paarmal: „Unerh�rt!“ murmeln, alsdann aber zu seinem grenzenlosen Erstaunen bald tief und gesund atmen, gem��igt und anmutig wie nur je schnarchen, — kein Zweifel, der gro�e Mann schlief, schlief sanft in dem ihm von seinen Sternen verliehenen unersch�tterlichen Selbstgerechtigkeitsgef�hl! Die geisterhaft helle Polarnacht stand drau�en vor den runden vereisten Fenstern und f�llte den Raum mit einem tr�ben unwirklichen Licht, George sah seinen Atem dampfen und zog Kleider und Decken schaudernd enger um sich zusammen. Ununterbrochen krachte und dr�hnte der Schiffsrumpf im Kampf mit den Schollen, sie scheuerten ihre harten rauhen Leiber schurrend an seinen Flanken, sie zwangen seinen Bug, �ber sie hinwegzusteigen oder ihre Massen in Verzweiflung knirschend zu durchschneiden, sie dr�ngten ihn mit einem f�rchterlich klirrenden Get�se der �bermacht gegen den Wind r�ckw�rts … Es schien George ausgemacht, da� dies seine letzten Stunden seien, da� das Schiff nicht standhalten k�nnte, es �chzte, es schrie, es mu�te in jedem n�chsten Augenblick dem Druck erliegen, sich in seinen Fugen verschieben, als ein Haufen tr�mmerhaften Holzgebeins mit ihnen allen zugrunde gehen! Er r�hrte sich nicht, er lag auf dem R�cken, die H�nde auf der Brust verkrampft, die Augen starr und blicklos ge�ffnet, mit hei�en zersprungenen Lippen sinnlos fl�sternd, Bruchst�cke von Gebeten, Abschiedsworte an die Mutter, an Riekchen, — dennoch ohne Furcht, nur mit steinerner Todesgewi�heit, mit einem bittern, rasenden Schmerz �ber die Ver�chtlichkeit des Lebens im Herzen, — dieses Lebens, das jetzt eben noch in den Schiffsg�ngen und -r�umen polternd torkelte, viehisch br�llte. Denn es war Weihnachten, die Matrosen hatten Rum, soviel sie wollten, ja, es war Weihnachten, dachte George mit stumpfem Hohn, die heulten ihre unfl�tigen Lieder und der Vater hatte sich mit dem Kapit�n auf Leben und Tod geschlagen, war es nicht so? Mit Degen, mit Messern? Nein, der Kapit�n hatte den Vater mit der neunschw�nzigen Katze gez�chtigt wie einen verfluchten Meuterer und hatte vor ihm ausgespien, aber der Vater hatte sich nichts daraus gemacht, nur er, George allein, trug die Schande. Oh, ein Gl�ck, — ein Gl�ck, da� sie untergingen! Der Kapit�n hatte Recht gehabt, er war der liebe Gott, kristallen rechtschaffen, wie ein lieber Gott zu sein hatte, sie waren Gew�rm, Gesindel, Zigeuner, ein Dreck zum Wegfegen. Er zog den Strich, sein Leben, zwanzig Jahre, ergab eine Summe von M�hsal und Plackerei und Dem�tigung. „Ja, ja, und du bist schuld!“ fl�sterte er, in aller Verwirrung zum erstenmal sein Schicksal ganz begreifend, vielleicht noch unter dem Eindruck der Worte Cooks, „den Sie schamlos ausbeuten …“ — er wandte sich ab von diesen Worten, wie seine Sohnespflicht es ihm zu gebieten schien, und doch, sie fl�sterten von allen Seiten in seine Ohren. In einer bohrenden Fiebervorstellung f�hlte er sich auf dem schnarchenden Atem des Vaters in der Koje unter ihm tanzen, wie eine Seifenblase, abh�ngig von dem brutalen Blasebalg dieser ledernen Lunge. Dazu orgelte der Matrose Friesleben drau�en „Vom Himmel hoch, da komm ich her …“, ward von trunkenem Gel�chter und dem Geheul englischer Stimmen �berschrien, die Mutter schien in der Kaj�te auf- und niederzuschweben, eine brennende Wachskerze in der einen, ein bluttropfendes Herz in der andern Hand … Bet�ubender Urweltsl�rm brach wie eine Sturzsee �ber ihm zusammen. — — —

Auch eine solche Nacht, — auch Fiebertage gingen vor�ber. —

Cook berannte den Pol wie ein Stier. — Aber Land wurde nicht gefunden. —

Dies auszuhalten, diesen verbissenen Kampf des Willens gegen eine gleichg�ltig und machtvoll widerstehende Natur, und nicht nur gegen die Natur, mehr noch, stumm und z�h, gegen die hohnvoll sich �berlegen d�nkende, unausgesprochene �berzeugung des Gelehrtentisches, gegen den dumpfen, erbitterten Widerstand der Mannschaft, die nicht gewillt war, oh, keineswegs gewillt, sich hier unten im Dienst einer Idee an den Skorbut oder den Tod im Eise zu verkaufen, — diesen Kampf mit anzusehen, w�re f�r einen, der dem Kapit�n so bedingungslos ergeben war, wie George, und der sich doch nicht bef�higt f�hlte, ihn zu unterst�tzen, unertr�glich gewesen. Der Himmel half ihm mit einer L�hmung seiner Empfindung, mit der H�lle ergebener Schwermut wie einst, als die „M�tterchen Elisabeth“ ihn und den Vater von Petersburg nach London trug, — als es nicht nachhause zur Mutter gegangen war, wie er unzweifelhaft angenommen hatte, sondern nach London, — nun ja, das waren Erinnerungen. Er beherrschte �berhaupt ein ungeheueres Aufgebot von Erinnerungen, so stellte er in dieser Zeit fest, er hatte Mu�e genug sie heraufzubeschw�ren, und fand eine Art von bitterem Behagen darin, sie auf ihre Einheitlichkeit hin zu pr�fen, immer unter dem Leitwort: „… den Sie schamlos ausbeuten …“ — ausbeuten, jawohl! Er kam zu dem Ergebnis, da� des Kapit�ns Beobachtung richtig sei, er stellte es sich als mathematische Aufgabe, den Satz zu beweisen, und, mit sonderbar abget�tetem Gef�hl, �bersah er seine Lage scharf und klar und — fand sich damit ab.

Dies, George Forster, waren entscheidende, nur allzu entscheidende Wochen in deinem Leben. Dir war Erkenntnis aufgegangen, Erkenntnis, George, die erste Bedingung, um handeln zu k�nnen! Indessen, — du begn�gtest dich. Du handeltest nicht. Wozu auch? Mit welchen Waffen vorgehen gegen diesen Chronos? Nun, nun, wu�test du nichts von leidendem Widerstand, nichts von stillem Eigensinn, von unterirdisch w�hlenden Pl�nen zur Entthronung des Tyrannen? Nichts? Wandtest dich nur ab von ihm, gefa�t und bla�, die Unterlippe ein wenig eingezogen, ja, wandtest dich auch seelisch von ihm ab, da� er von nun an nie wieder dein volles, aufrichtiges Sohnesantlitz zu sehen bekam? So tatest du und — gingest weiter im Joch, — George, George, du bist in der Tat sanftm�tig und freundlich, bist liebensw�rdig, — oh, jawohl, in der Tat, nur allzu liebensw�rdig, kleiner George! — — —

Ende Januar setzte Cook eine Sitzung an, zu der Offiziere und Gelehrte am fr�hen Morgen zu erscheinen hatten, noch ungefr�hst�ckt, was Herr Forster ungeheuer �bel nahm, so da� er am Abend zuvor, nachdem Bligh den Befehl mitgeteilt hatte, polternd verk�ndete: Fiele ihm gar nicht ein …! D�chte auch gar nicht daran …!! Er lag auch noch in der Koje, als George bereits schattenhaft lautlos aufgestanden und entschwunden war, dann erschien er aber doch in der Kaj�te, genau eine halbe Minute, nachdem Cook seinen Platz an der Spitze der Tafel eingenommen hatte, sagte: „Na, guten Morgen!“ stellte gekr�nkt fest, da� auf seinem Stuhl Wales s��e, und verankerte sich sodann umst�ndlich auf dem einzig freigebliebenen Sitz, Cook gerade gegen�ber, von wo aus er sich aufmunternden Blickes umsah und fragend �u�erte: „Nun, und …“ Cook, der ihn v�llig �bersah und �berh�rte, — freilich sah er niemand an, — gab in ged�mpftem Ton einen kurzen Bericht �ber die bisherigen Ergebnisse der zweiten Polarfahrt, lie� diesen Bericht von Bligh, — nicht etwa, wie das vorige Mal von einem der gelehrten Herren, nun, war das nicht kennzeichnend?! — um einige Zahlenangaben erg�nzen, r�usperte sich sodann trocken und sagte, ohne seinem versteinerten gelben Gesicht irgendeinen Ausdruck zu geben: „Da unser Bem�hen, in diesen Breiten Land zu entdecken, bis dato keinen Erfolg gezeitigt hat, geben wir dies Bem�hen nunmehr auf, uns unsrer Verantwortung gegen Leben und Gesundheit von Untertanen Seiner Majest�t voll bewu�t.“ Und, nachdem er noch eine knappe wissenschaftliche Begr�ndung seiner Handlungsweise gegeben hatte, — nichts von Erdblutstr�mungen, nichts von magnetischen Strahlungen kam darin vor, — f�gte er beil�ufig hinzu, da� die „Resolution“ den Kurs seit einer Stunde nord�stlich genommen habe. Hierauf hie� es: „Ich habe die Ehre, meine Herren!“ und wahrhaftig und ohne auch nur von ferne abzuwarten, ob nicht einer seiner ihm von der Regierung beigegebenen Berater etwas zu �u�ern habe, verlie� er steif, doch eilfertig hinkend den Raum, — er litt seit Wochen b�se an einem rheumatischen Anfall, — gefolgt von seinen Offizieren, von denen Blandey, der zweite Leutnant, alsbald zur�ckkehrte, und, in der Tafelrunde fr�hst�ckend, in achtungsvoller Haltung taub gegen den erregten Meinungsaustausch seiner Umgebung blieb.

George, — er blieb nicht taub, — George, er litt tief, ahnungsvoll erfa�t habend, was diese Stunde Cook gekostet haben mochte. Ein „Hat er’s endlich eingesehen, der Dickkopf?“ seines behaglich kauenden Papas haftete wie die Nachempfindung eines Schlages an ihm in fast k�rperhafter Erinnerung. —

So trieben sie nordw�rts, — nordw�rts ohne den beschleunigten Rhythmus freudiger Erwartung im Blut zu sp�ren wie damals, als sie das erstemal an den R�tseln des Poles abgeglitten waren, nordw�rts, nur mit dumpfer Befriedigung, mit der m�rrischen Hoffnung auf w�rmere Luft, auf eine Nahrung, die nicht stank und von W�rmern wimmelte. Cook lag seit Wochen in seiner Kabine, nicht imstande, ein Glied zu r�hren, niemand au�er dem Doktor und Bligh bekamen ihn zu sehen und mit innerem Grauen nahm George wahr, wie in diesen Wochen die Ausstrahlung des Geistes, die von der Kapit�ns-Kaj�te ausging, schw�cher und schw�cher ward, gleichsam als w�rde diese Kraft von dem, der sie aussandte, wieder eingesogen, weil er selbst ihrer bedurfte. Anfang M�rz, ja, da starrte das Schiff von Schmutz, Abf�lle und gefrorener Unrat lagen �berall in den G�ngen, man glitt dar�ber aus und die Luft war verpestet. Kein Mensch beklagte sich dar�ber, — waren sie denn nicht selber …

Now, Lady George“, sagte Patton eines Morgens, als er mit gewohnter Todesverachtung zum ersten Fr�hst�ck seinen Haufen Sauerkohl hinunterschlang, ohne ihn viel zu besehen. Dies war nun einmal seine Pflicht, als �rztliche Leuchte an Bord mit gutem Beispiel voranzugehen, und sah man nicht den Erfolg? Er stopfte die langen F�den des heilsamen Gem�ses mit Gabel und Messer nach in den Mund und blickte dabei mit gerunzelter Stirn �ber seine Hornbrille zu George hin�ber, — wer war der Gesundeste an Bord geblieben? „Also, Master George, da ist ein Bursche im Logis, er wird’s nicht lange mehr machen, — er w�nscht Sie zu sehen. Habe den Herrn Vater vorgeschlagen, als geistlichen Beistand …“ er warf Forster einen schiefen Blick zu, — „indes, der Junge ist nun einmal darauf versessen, gerade Sie … Poor fellow! Der Rotkopf ist’s, mit dem breiten Maul, war immer fidel, — jawohl, der Irl�nder!“

Larry! George tastete sich an den W�nden zum Mannschaftsraum hin�ber, die Knie versagten ihm und eine w�rgende �belkeit stieg ihm im Halse hoch, als die bei�ende Raubtierh�hlenluft aus der Tiefe ihm entgegenquoll. Da schaukelte ein qualmendes �ll�mpchen irgendwo in der Finsternis, er folgte dem Schein, der �ber ein paar H�ngematten hin und her zuckte, in denen regungslose Gestalten lagen. Nun, wo war Larry? George starrte schauernd in die gedunsenen Gesichter, deren Augen ihm blicklos zugewandt waren, von einer tr�ben Haut beschlagen wie tote Fischaugen, — o Gott, er kannte keine von diesen — diesen Leichen! Aber da ging eine schwache Bewegung �ber das eine Gesicht, die geborstenen schw�rzlichen Lippen, von zahnlosen blauroten geschwollenen Kiefern gesprengt, schienen sich noch ein wenig weiter zur�ckziehen zu wollen, es war die verzerrte Spiegelung eines L�chelns, kein Zweifel, dieser da, mit der Absicht des L�chelns, das war Larry und — er hatte Larrys Haare! „Larry, — ich — ich hatte dich nicht vergessen!“ stammelte George ersch�ttert und neigte sich �ber den Kranken. Dabei fiel ihm qu�lend ein, — was — was war nur einmal so �hnlich gewesen, so als h�tte er dies schon einmal getr�umt? Und auf einmal sah er sich in einer h�geligen Sandw�ste, schmeckte hei�e salzige Luft, beugte sich — nun ja, �ber den Janusch, der da heulte, der sich gehen lie� wie ein Tier, — ach, das war es, dies Gef�hl, sich nun — auf alle F�lle — um des anderen willen selbst �berwinden, sich niederbeugen, ihn anr�hren zu m�ssen, obgleich dieser da — sehr �bel roch. „Mensch, Bruder, — Larry!“ dachte George in Verzweiflung und legte seine Hand auf den schrecklichen Fleischklumpen, der aus dem Hemds�rmel hervorquoll. „Larry, was kann ich f�r dich tun?“ fragte er leise und bek�mmert. Larrys Linke lag auf seiner Brust und schlug die grobe Decke m�hsam zur�ck, ohne da� er in der erbarmungslosen K�lte erschauert w�re, — er f�hlte wohl nicht viel Unterschied mehr zwischen dem Grad seiner Blutw�rme und dem dieser f�rchterlichen Grabesluft, — und dann zerrte er an einer Schnur, die ihm um den Hals hing, — wo die Schl�sselbeine spitz hervortraten. Er �ffnete die Hand ein wenig und zwei Amulette wurden sichtbar, — und nun wieder dieses L�cheln, dieses entsetzliche, und zugleich ein heiserer, rauher Ton, — nein, das war nicht die Stimme der Rakes of Mallow, jene vergn�gte Metallstimme von den Inseln her. „Toghiri!“ r�chelte es da m�hsam und noch einmal zupfte die Hand an der Schnur.

George glaubte zu verstehen. Mit bebenden Fingern ber�hrte er die kalte, schwei�ige Haut, kn�pfte die Schnur los. „Toghiri bringen?“ fragte er kopfnickend und hielt nun beide Heiligt�mer dem Sterbenden vor die Augen, — ein Schutzstein aus gr�nem Jade war’s und eine M�nze mit der Mutter Gottes auf der einen und St. Patrick auf der anderen Seite. In Larrys Augen trat ein Ausdruck beseligter Dankbarkeit und dann schlo� er sie, — nicht um zu sterben, nein, nur zufrieden, verstanden zu sein, — ja, das war nun erledigt, er brauchte sich nicht weiter abzum�hen an dem Bewu�tsein, da� noch etwas geschehen m�sse, etwas, das ihm immer wieder entglitt, — was, — was war es nur? Nun durfte er vergessen. Noch einmal hob er die Augendeckel schwer, die Lippen zuckten, — George verstand, dies war der Abschied. „Fare well, Larry!“ sagte er stockend und suchte seinen Weg hinaus, in der Dunkelheit stolpernd und ganz stumpf vor Kummer.

�brigens lebte Larry noch tagelang und sie waren l�ngst hinaus aus dem Bereich der Treibschollen und Pinguine, ja, graue Meerschwalben, die um die Masten strichen, schienen Land zu verk�nden, als sie eines Morgens eine steife Puppe, in Segeltuch geh�llt und mit einer Kanonenkugel beschwert, vom Achterdeck aus versenkten. Bligh sprach ein eint�niges Vaterunser hinter der Leiche drein und George stand dabei und sah Mahaine hinter einer Taurolle mit gro�en entsetzten Augen hervorlauschen. Und nachher lehnte er an der Reeling, starrte stundenlang in das Gewander der Wogen und pfiff die Rakes of Mallow, — falsch, er wu�te es, — aber dennoch, — immer wieder. —

Die Osterinseln waren das erste St�ck Land, das ihnen der freie Ozean stumm darbot, wie er sie vor Jahrzehnten dem Jakob Roggewein hingehalten hatte. Mahaine bemerkte in seinen r�tselhaften Aufzeichnungen: das Volk ist gut, aber die Insel sehr elend, w�hrend George sich unter anderen Bemerkungen aufschrieb, da� die gro�en H�te aus Flechtwerk, die in zwei breiten Krempen auf die Schultern fielen, den Frauen ein „leichtfertiges, buhlerisches Aussehen“ g�ben. Dies schrieb er gleichsam mit zusammengebissenen Z�hnen nieder, irgendwelche verzweifelten Absichten im Herzen, da�, wenn sie nur erst wieder auf Tahiti w�ren … Jawohl, er war entschlossen, — wenn anders sich sein Zustand von bedingungsloser Verzweiflung und vorbehaltloser Gleichg�ltigkeit gegen alles, was eine lange Kindheit �ber ungest�rt in ihm gebl�ht hatte, — wenn man dies als Entschlossenheit bezeichnen kann. Er trug einen w�tenden Ekel in sich herum, gegen das verschmutzte Schiff, in dessen Planken man gezwungen war auszuharren, gegen dies ewige, ewige Wasser, gegen das Essen, das er a�, das Bett, in dem er schlief. Er ha�te alle Fahrtgenossen und wu�te, da� sie sich untereinander ha�ten, da� sie sich nicht mehr sehen konnten, sich verachteten, im Geiste anspien, — er h�rte das alles aus ihren fortw�hrenden widerw�rtigen Z�nkereien, ja, diesen „wissenschaftlichen Disputen!“ — er ha�te den eigenen ungepflegten, verkommenden K�rper mit all den abscheulichen Merkmalen des Skorbuts, er ha�te, — oh, nicht zuletzt und am wenigsten, — den Vater, der infolge mangelnder Bewegung fett geworden war und so unantastbar gesund blieb (was er auf das Pfeifenrauchen schob, er pries tagaus, tagein seine Weisheit, sich so wohl mit Tabak versehen zu haben. Wie ha�te aber George auch diesen s��lichen Qualm, in dem er Tag und Nacht ger�uchert wurde!). In dieser Stimmung also fa�te George Entschl�sse, — ja, Entschl�sse, die im Grunde nichts anderes waren als ein der Versuchung weinerlich Nachgeben und darauf ein tage- und n�chtelanges Umhertaumeln zwischen fieberhaften Vorstellungen. Jedoch gen�gte es, da� Cook wieder auftauchte, ausgemergelt wie ein Gespenst seiner selbst, aber in der alten Straffheit und einen kalten Willensglanz in den eingesunkenen Augen, einen Blick, unter dem die Sauberkeit des Schiffes und die �u�ere Regelm��igkeit des Dienstes sich hoben, ohne da� es irgendwelcher Anschreierei bedurft h�tte, — oh, man wu�te wohl, was man Jimmy schuldig war, und erf�llte es ohne weiteres, eigene Wege an Land vorbehalten, — es gen�gte f�r George, diesen Blick auf sich ruhen zu f�hlen, um an schlechtem Gewissen fast zu sterben, innerlich doch aufschluchzend vor Befriedigung in dem Gef�hl, da� dieser Mann ihm r�ckhaltlos vertraute, ihn f�r seinesgleichen hielt, wahrhaftig, da� er, George, au�er den Offizieren der einzige war, mit dem er unbefangen sprach, und der einzige an Bord �berhaupt, mit dem er scherzte. Cook war seine Rettung, jawohl. Und seine Aufmerksamkeit f�r den Kapit�n bekam etwas Unruhiges, Fieberndes, er warf sein Inneres auf ihn wie auf einen Felsen, um es aus dem anst�rmenden Meer der Versuchungen zu retten, — ach, der Versuchungen zum Ha�, zum Aufruhr der Seele und des K�rpers, die ihn so ma�los ungl�cklich machten, weil ihre Anforderungen, er f�hlte es wohl, eben �ber seine Kraft gingen. Als sie in der b�sen See, in der Gegend der flachen Inseln, kreuzten, wo Roggewein die afrikanische Galley eingeb��t hatte, bemerkte Bligh bei Tisch, da� diese Gew�sser voller Untiefen „das Labyrinth“ genannt w�rden, und schreckhaft sprang bei diesem Wort eine Erinnerung in George auf, der er noch nachhing, w�hrend die anderen �ber die Berechtigung dieser Bezeichnung stritten. „Auf Kreta aber, einer Insel mitten im �g�ischen Meer, hauste der Minotauros, eingeschlossen in die Schneckeng�nge des Labyrinthes,“ und, — o nein, — er hatte sie nicht vergessen, die Wanderungen vor dem Einschlafen, s�� und schaurig, denn drinnen heulte der Minotauros, er selbst aber war sehr klein. Jetzt aber, — er horchte auf, Hodges bestritt, da� etwas ein Labyrinth genannt werden k�nne, dem eben dieser Minotauros fehle, und Dr. Sparrmann spie�te fein wie einen seltenen Schmetterling die Bemerkung auf die Nadel, da� man ja nie wissen k�nne, ob denn nicht doch ein Minotauros vorhanden sei, da ja ein solcher Minotauros bis zuletzt eine unbekannte Gr��e zu bleiben pflege. „Allerdings, allerdings,“ �bertrumpfte ihn Wales, sein Kinn hastig reibend, „es ist wie mit dem Tode, teuerster Doktor, der in jedem Leben hockt …“ „Ihr werdet euch wundern,“ sagte hier Mr. Forster und sagte au�erdem „h�, h�!“ was sein ihm eigenes, nicht jedem durchaus angenehmes, etwas fettes Lachen war, „ihr werdet euch wundern,“ wiederholte er, indem er breitbeinig aufstand, „wenn ihr euer Labyrinth durchwandert habt! Was sitzt darin? Was ist der Minotauros? Eine �berraschung, ein Osterei, — h�, h� — du selbst, mein teurer Freund, du selbsten sitzest drin, bereit dich zu zerrei�en, hast dich vor dir selbst gef�rchtet dein Leben lang …“ und nachdem Mr. Forster diese merkw�rdige Erkenntnis mit einem sonderbar vergn�gt ins Leere gerichteten Blick und ruckweise vorsto�endem dicken Zeigefinger stehend von sich gegeben hatte, verlie� er die Kaj�te, nicht ohne nochmals „h�, h�“ gemacht zu haben, — sehr zum �rger von Mr. Wales, der Nase und Mund vornehm-ver�chtlich h�ngen lie�.

George aber war betroffen, — war ersch�ttert. — —

Er wollte an Bord bleiben, als sie endlich wieder vor Tahiti lagen, er sch�tzte Arbeit vor, die w�hrend der Fahrt zu lange geruht habe, er sch�tzte Schmerzen in seinem immer noch geschwollenen Fu� vor, er h�tte sich am liebsten wie ein Tier verkrochen, — indes sah Cook ihn mit durchdringenden Augen an, die auch hier unter dem flammend blauen Himmel nichts von ihrem Polarglanz verloren, und sagte: „Sie gehen mit mir, George!“ in einem Ton, der an Selbstverst�ndlichkeit nichts zu w�nschen �brig lie�. Und so ging er mit an Land und duldete, was ihn elend machte, den Anblick dieses hei�en nackten Lebens, an dem er nicht teilhaben zu d�rfen glaubte, denn hier war Cook, der durch das alles mit ver�chtlich gesch�rzten Lippen hindurchging und der ihn schweigend verworfen haben w�rde, wenn er sich h�tte gehen lassen, — und dies w�re unertr�glich gewesen, denn er bewunderte, er liebte Cook. Liebte er ihn? Oder — ha�te er zuweilen auch diesen, ha�te ihn um seiner unersch�tterlichen hochm�tigen Tugend willen, wegen jenes Auftrittes in der Kaj�te, als Cook den Vater z�chtigte und anspie, und damit ihn selbst? Denn tief, tief f�hlte sich George doch mit dem Vater verbunden und wu�te es, ohne es sich einzugestehen, da� er geringer war als dieser, in irgendeinem Betracht geringer, und deshalb mit Recht abh�ngig von ihm, und sei er zehnmal moralisch vorz�glicher. Ja, — ha�te er manchmal auch Cook? Oh, er wu�te es nicht, wu�te nichts mehr, als da� er grenzenlos ungl�cklich war. Er hatte keine Spielgef�hrten mehr, um mit ihnen den k�rperlichen �berschu� auszutoben, Larry war tot und Mahaine, — Mahaine hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt als hinzugehen und zu heiraten, nat�rlich, denn dieser Herr, weitgereist und im Besitze so vieler roter Federn, war den stammverwandten Tahitianern unbeschreiblich merkw�rdig und begehrenswert. Gleich in einer der ersten N�chte ward er zur K�nigin Porea „zur Aufwartung“ befohlen, und als er sich von dieser Strapaze erholt hatte, warf er sein Auge auf eine unsch�ne kleine Insulanerin, die indessen die Tochter eines Eri war und ihm eine erhebliche Mitgift an Land und Ansehen einbrachte, — allein den Tau-Tau, den Leibeigenen, der ihm von nun an folgen und ihn bedienen mu�te! Mahaine also ward mit einem Schlage ans�ssig und b�rgerlich, verzichtete auf alle weiteren Reisegel�ste und dachte nicht mehr daran, mit nach England zu gehen. Er legte es George nahe, — „Teori“ nannte er ihn und „Teori“ sagte lockend das braune kindliche M�dchen, das er mitbrachte, und lachte den Fremden mit breiten wei�en Z�hnen an, — seine Schw�gerin Tehamai zu heiraten und sich ebenfalls auf Tahiti niederzulassen, — ja, im Eifer nahm er Georges Hand und f�hrte sie �ber Tehamais feste warme Glieder, sprachlos verwundert, als der Freund sich losri� und ihn samt seiner vorz�glichen Ware ohne ein Wort stehen lie�. Schlie�lich, schlie�lich ging ja alles vor�ber, vor�ber gingen auch die Tage auf den Soziet�tsinseln, wo das Schiffsvolk sich noch einmal in allen Freuden der S�dsee w�lzte, vor�ber gingen wie Fiebertr�ume die Erlebnisse der T�nze und Vorstellungen, die den Taumel immer noch steigerten, vor�ber die Wochen, in denen jenes M�dchen aus Eimeo an Bord war, dem sie Offizierskleider angezogen hatten und das auf Huahaine von den Eingeborenen in einer w�sten Pantomime verspottet wurde, — alles ging vor�ber und lie� sich ertragen, wenn anders man es nur sachlich betrachtete und sich Anmerkungen dar�ber machte. Gesegnet die Schreibtafel, die einen begleitete wie einen Talisman, gesegnet jedes Blatt Papier, das sich zwischen ihn und die aufdringliche Wirklichkeit der Dinge schieben lie�! So �berwand er die S�dsee, nahm Abschied von den lachenden Inseln, ohne die Spur eines Brennens im Herzen, fuhr vor�ber an den Pfingstinseln, an den Hebriden und an Neu-Caledonien, so wie er einst in St. Petersburg durch die Museen gestolpert war, grenzenlos erm�det und abgewandten Herzens, nur maschinenm��ig Eindr�cke aufnehmend und verarbeitend, — so betrat er noch einmal Neuseeland, f�hlte eine schwache Wehmut, Larrys eingedenk, und versuchte es, Toghiri aufzufinden, um sich seiner Botschaft zu entledigen, — gab es indessen auf, da Toghiri von ihrer alten Wohnst�tte verschwunden war und sich auch sonst nicht blicken lie�, — armer Larry in der eisigen See, so schnell vergessen! — und schlenderte tagelang einsam am Strande umher, nach Osten sp�hend und im Winde etwas wie ein gem��igtes Klima ahnend. Ach, Europa! nun gab es nichts anderes mehr als dieses Ziel der Gedanken! Als ein Knabe war er hinausgefahren, hundertfach abh�ngig, erwartungsvoll auf die Menschen blickend, und, wie oft auch schon get�uscht, doch ungebrochen im Vertrauen. Jetzt lag ein Zug entsagungsvoller Erkenntnis in seinen Augen und um seinen Mund, der seine zwanzig Jahre L�gen strafte, und hinter seinem unver�ndert liebensw�rdigen Auftreten, hinter der jungen Lady George, wohnte einer, den sie alle nicht kannten, ein Einsamer, von zartem, schmerzlichen Stolz, von einer entschlossenen Selbstgen�gsamkeit — einstweilen! Denn irgendwie hatten jene Eismeerwochen der Einsicht und Erkenntnis doch Fr�chte gezeitigt, irgendwoher keimte eine trotzige Gleichg�ltigkeit in ihm, irgendwann war es ihm aufgegangen, da� er ja nicht f�r alle Zukunft, nicht sein Leben lang mit dem Vater zu rechnen habe … Er und das Schiff! das Schiff, das seinem Willen zur Heimkehr diente! — und alles andere war gleichg�ltig, war Beiwerk, war Nebensache, Geschw�tz im Tauwerk und belangloses Gefl�gel. Er stand am Bug und starrte voraus auf die unabsehbare graue, unheimlich von innen sich w�lbende und atmende, tobende und drohende graue Halbkreisfl�che, — ach, Tag f�r Tag, Woche um Woche derselbe leere g�hnende Osten! — er packte, er ordnete wieder und wieder, als m�sse er bereit sein, morgen von Bord zu gehen, — Kap Horn lag noch vor ihnen, — er war zur Stelle, wenn der Vater, wenn Cook ihn w�nschten, — alles in einer ungegenw�rtigen Art und Weise und innerlich mit nichts besch�ftigt, als sich sprungbereit f�r die n�chsten M�glichkeiten in London zu halten und, — wie sollte er anders, — Projekte zu entwerfen, Projekte, in denen der Vater ganz und gar keine Rolle mehr spielte. Er �berwand, — k�rperlich �berwand er die Erde, trat Feuerland hinter sich, entsetzliche Weihnachtstage auf Feuerland in Schnee und Regen, unter tier�hnlichen Gesch�pfen, die „Pesser�h!“ sagten und weiter nichts, in allen Tonarten „Pesser�h“, und hier verlor man Zeit, so viel Zeit! Er jauchzte innerlich, als nach Staten-Island und Georgia nun bis zum Kap keine verfluchte Insel mehr zu erwarten war, — er schluchzte auf, — �brigens nicht als der einzige an Bord, — als das erste europ�ische Schiff, ein holl�ndischer Segler, ihnen in einer kalten Mondnacht in Rufweite gegen�berlag und ihnen wie aus Geistermund die Botschaft wurde, da� ganz Europa Frieden habe!

Das war im Februar 1775. Acht Tage sp�ter ankerten sie in der Tafelbai, inmitten einer Flotte holl�ndischer Ostindienfahrer und franz�sischer, deutscher und d�nischer Handelsschiffe, portugiesischer Kriegsschiffe und spanischer Fregatten, ganz Europas Flaggen gr��ten sie und sie gingen an Land wie die Tr�umenden, europ�ische Herren, den Dreispitz unterm Arm, das Meerrohr in der Hand, anderen europ�ischen Herren ebenfalls mit dem Dreispitz unterm Arm begegnend, europ�ischen Herren, die gar nicht verwundert schienen, da� sie einherspazierten und sogar Damen mit sich f�hrten, Damen in Kleidern aus Paris, zweifellos, — mein Gott, das gab es noch, Europa stand noch, war es denn so m�glich?! �berdies gab es Speisen in unsagbar k�stlicher, ganz vergessener Zubereitung, an denen man sich notwendig �beressen mu�te, — Herr Forster tat es, — es gab Zeitungen, gab — nach beinah drei Jahren, — wieder Briefe von zu Hause! Ach, nicht nur hatte ganz Europa Frieden, auch die Mutter, auch die Geschwister, sie lebten, sie tauchten wieder auf aus dem Nebel der Unerreichbarkeit … George l�chelte, seit jener Nacht im Polareis, als die Mutter ihr blutendes Herz an ihm vor�bergetragen hatte, hatte er sie tot geglaubt. Nun sah er so deutlich ihr blasses Leidensgesicht, die durchsichtige, ein wenig vorspringende Stirn �ber den m�den breiten Lidern vor sich, — sah ihren Blick, unendlicher Liebe und M�digkeit voll. George pre�te die Hand aufs Herz: nun kam er wieder, ein Mann, nun hatte ihr Leiden ein Ende. Er schwur es sich, unbewu�t des bitteren Reuegiftes, das solche Schw�re in sich tragen.

Sie kosteten hier schon einen Vorschmack des Ruhmes, der ihrer in der Heimat wartete, kosteten ihn auf den Festmahlen, die fremde Kapit�ne und Offiziere ihnen gaben, waren aber nur halb bei der Sache, ungeduldig auf die Weiterreise bedacht. Der kleine Dr. Sparrmann dr�ckte sie umschichtig an sein abschiedstrauriges Herz und stand mit dem Schmetterlingsnetz winkend am Hafen, als das Boot sie �berholte. Und nun kam noch einmal das Schiff, Wochen um Wochen: das Schiff! Das Schiff, ein Erdteil f�r sich, im Raume, in der Wasserw�ste jagend, stampfend, schlingernd, — drohend, jetzt noch, ja jetzt noch, und mit Willen nicht fr�her, mit ihnen allen in die Tiefe zu fahren, ihnen seine Macht weisend in b�sen �quinoktialst�rmen, — das unb�ndige, das m�tterliche, das verha�te und geliebte Schiff, das am 29. Juli mitternachts den Leuchtturm von Eddystone tanzend gr��te und Tags darauf im Hafen von Spithead schaukelte, vornehm und r�tselhaft, sie alle entlassend, die selig auseinanderstrebten, ganz ohne geheuchelte Schmerzlichkeit, denn jetzt konnten sie einander entbehren, o ja, jetzt konnten sie wohl. — — —

Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

Zwischenspiel

Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

Ein Weg von vier Jahren und kein Weg durch die Rosenfelder der Jugend, wie endlich anzunehmen wohl Berechtigung vorhanden gewesen w�re, — ein Weg, wenn nicht mehr unterm Joche des v�terlichen Willens, so doch unter dem Zwange des eigenen unentrinnbaren Gewissens vor den Karren des Familienungl�cks geschirrt, — genug, ein Kalvarienweg mit unz�hligen Leidensstationen, das war der Weg vom Themsekai nach Cassel gewesen. George Forster, in einiger Hast durch den d�nnen Neuschnee auf dem holprigen Pflaster der engen Gassen dem Hause des Ministers General von Schlieffen am K�nigsplatz zustrebend, noch ganz erf�llt von all der aufgew�hlten Bitterkeit der letzten vierzehn Tage, von dem Wiedersehen mit den Seinen in Halle, wo der Vater nun endlich als Professor der Naturgeschichte installiert war, wie er selbst schon seit einem Jahre hier am Carolinum zu Cassel, — George, so ganz gegen seine Gewohnheit dahinst�rmend, die eine Hand an dem niedrigen englischen Hut, die andere zwischen die Kn�pfe des Redingotes geschoben, er dachte voll Schicksalstrotzes, jetzt, jetzt erst nach diesem ersten Jahre der Niederlassung in Deutschland sei er endg�ltig angelangt in Cassel, als in einem Ruheport und Friedenshafen. Jetzt erst, so dachte er voll erzwungenen Freiheitsgef�hls, das weiche Gesicht gegen den peitschenden Schnee erhebend und angestrengt nach dem Turm der Martinskirche sp�hend, von dem herab es eben f�nf Uhr �ber die D�cher sang, jetzt erst hatte es sich vollendet, was damals in der eiskrachenden Christnacht am Pol in seinem Herzen aufgesprungen war, um gegen den Stachel zu l�cken. Oh, in der Tat, jetzt war er los und ledig und es galt, dies S�mmerring zu erz�hlen, es galt sich auszusprechen, das �bervolle Herz in den Busen des Freundes hinein zu entlasten, zu manifestieren die Einsetzung des eigenen freien Willens als Daseinsfaktor. Indessen, es w�rde kaum Zeit sein, S�mmerring noch vor der Sitzung allein zu sprechen, dachte George; er hatte sich wieder einmal versp�tet, hatte sich in Jakobis „Woldemar“ verlesen, sich dann �ber der Toilette vers�umt. Mit langen Schritten nahm er die letzte Gasse. Jene Leidensstationen, jawohl, sie lagen nun abgegrenzt in einem Bezirk der Erinnerung, das nicht in die Gegenwart hineinreichte; dies schrieb er streng sich vor. Dahinten lagen die dem�tigenden Verhandlungen mit dem Londoner Admiralit�tskollegium �ber die Ver�ffentlichung der Reisebeschreibung Forsters, des �lteren. Oh, diese Verhandlungen, �ber denen die ausgelaugte Maske Lord Sandwich’es hing wie der kalte Mond einer Scheingerechtigkeit, in deren verwirrendem Licht alle Begriffe zu schwanken begannen! Hier wurde blank ausgefochten, was auf dem Schiff dumpf in Ha� gebr�tet hatte, — und, nun ja, — wer fragte jetzt nach Lady George? Die Klingen kreuzten sich �ber das weiche Herz hinweg, und die st�hlerne siegte �ber die gl�serne! Forster, der �ltere, oder der Ruhm von England, Kapit�n Cook? War das eine Frage? George w�nschte sich nicht zu erinnern. Vor�ber, dachte er mit fieberndem Hirn, vor�ber, vor�ber. Vor�ber das Hungerleben in London, das Schachern mit Naturalien und Kuriosit�ten, an denen das Herz doch irgendwie hing, — George entsann sich im Fluge der geschnitzten Frauenhand von der Osterinsel, — hatte er sie nicht geliebt? Sie hatte drei Guineen eingebracht, gewi�! Vor�ber der Ansturm von Gl�ubigern mit Bulldoggengesichtern, von Gerichtsverhandlungen vor ungeheuern Per�cken, vor�ber das Gespenst des Schuldturms zu Kingsbench, dessen Quadern das Herz der Mutter zermalmten, oh, unertr�gliche Qual! Hier sa� Reinhold Forster zwei Jahre lang und, Gott verzeihe mir, dachte George, aber ich will das alles noch einmal erleiden, wenn ihm nicht wohl war im Gef�hl des �bergro�en Unrechtes, das ihm geschah. Ja, wahrhaftig, Gott verzeihe mir, dachte George verzweifelnd, wie immer, wenn die S�ure unterdr�ckter Aufs�ssigkeit durch seine Gedanken fra�. Und er brauchte nicht mehr betteln zu gehen, — vor�ber die Bittstellerg�nge an die Logen in Paris, in Holland, — an die deutschen F�rstenh�fe, wo er antichambriert hatte, den Hut in der Hand, seine Reisebeschreibung gegens Herz gedr�ckt, ein ber�hmter Weltumschiffer, blutjung und bettelarm!

Vor�ber, triumphierte er in gewolltem, inneren Jubel und flog �ber den breiten, geschweiften Absatz der sch�n sich windenden h�lzernen Treppe des Schlieffenschen Palais hinauf, drei, vier der niederen Stufen auf einmal nehmend. Aus der Reihe von �berkleidern, die im Vorzimmer hingen, entnahm er mit einigem Schrecken den Grad seiner Versp�tung, erfuhr von dem diensttuenden Lakaien, da� Ihre Gnaden, die Frau Marquise von Mombert noch nicht anwesend seien, atmete ein wenig auf und tupfte vor dem Spiegel das schneefeuchte Gesicht mit dem Tuche ab. Er sah wohl aus, stellte er in Eile befriedigt fest, die Wangen ger�tet, die Augen klar, nichts von seiner gew�hnlichen Stubenbl�sse.

„Der Professor M�ller gekommen?“ h�rte er sich fragen, wie ihn d�nkte, ganz ohne seinen Willen, und ehe er die Antwort h�rte, trat er schon an dem Respektvollen vor�ber in die warme Kerzenhelle des Salons und schritt in eiliger Verlegenheit auf den General zu, der dort vor dem Marmorkamin in ged�mpfter, phlegmatischer Unterhaltung mit einem gro�en Herrn in Hofuniform stand, einem Herrn, der sein gepudertes Haupt und den Oberk�rper zur�ckwarf, als er Georges Namen h�rte, und ihm beide H�nde entgegenstreckte. Der Freiherr von Knigge? Nun ja, dies war ein Herr mit blauen Emailleaugen. George, die Hand am Degengriff, machte die Runde durch den Halbkreis der G�ste, fl�sterte ein-, zweimal seinen Namen vor unbekannten Erscheinungen, erfuhr, da� es sich um die Herren Richers und Greve handele, beide von den Hannoveranern in Hanau, Leutnant Greve und Hauptmann Richers, zu dienen, — sch�ttelte H�nde, sah liebensw�rdig entz�ckt in andre liebensw�rdig entz�ckte Augen und erholte sich endlich, neben S�mmerring verharrend, mit einem kleinen H�steln von dieser �bung gesellschaftlicher Bef�higung, die ihn stets ein wenig Kraft kostete. Jetzt erst stellte er mit einem scheinbar ziellos umherwandernden Blick fest: ja, M�ller war anwesend. Er hatte ihn begr��t, ohne ihn zu erkennen. Jene kleine Unruhe am Herzen, die eben nachlie� und ausschwang, war die vielleicht entstanden, als er M�llers Hand ber�hrt hatte? Er l�chelte ein wenig best�rzt und wandte sich S�mmerring zu, — was ging denn jener k�hle, glatte Mensch mit den r�tselhaft unzufriedenen Augen ihn an? Ach, sein S�mmerring, der bebte vor Wonne, ihn wiederzusehen nach der halbmonatlichen Trennung, klares Wasser stand in seinen Augen, die sich voll Bewegung auf George richteten. Nein, sch�n war S�mmerring nicht, aber er wurde sch�n in seinem Gef�hl, und war nicht dies die Seele, die ihm den kalten, fremden Ort zur Heimat gemacht hatte?

„Unendliches habe ich zu erz�hlen, Freund!“ fl�sterte George, die Hand auf des anderen Arm, wandte sich aber im selben Augenblick der Fl�gelt�r zu, wie alle Anwesenden. Die acht M�nner verneigten sich, als br�che eine sonderbare Gewalt ihre Nacken. Und die Frau, die in dem apfelgr�nen Seidenkleide dort vor dem wei�goldenen Hintergrund der T�re stand, starrend in der Hoftracht einer schon halbverschollenen Mode von Paris, mit den unbeweglich �ber dem Scho� zusammengelegten H�nden die goldene Dose, das Geschenk des Landgrafen haltend, dem sie, wie es hie�, eine r�hrende Zusammenkunft mit dem Geist seiner verkl�rten Ahnfrau, der heiligen Elisabeth, verschafft hatte, — diese Frau r�hrte kaum die halbgesenkten Lider, als sie nun dem schwerf�llig auf sie zueilenden General die Fingerspitzen reichte und mit schmerzlicher Hast halblaut sagte: „Beginnen wir, schnell! Sie haben alles vorbereitet?“

George versp�rte ein Rieseln zwischen den Schulterbl�ttern — wie gut kannte er das, diese Schauer des Labyrinthes! — als er jetzt das �berpuderte Antlitz mit den zarten, emporgezogenen Brauen, den leicht verzerrten Lippen und bebenden Nasenfl�geln der sonderbar ber�hmten Marquise von Mombert an sich vor�bergleiten sah. Der General geleitete die Dame mit befangenem T�nzelschritt, als ginge es zum Menuett, durch den Saal zur T�re des Kabinetts. Ein buckliges Gesch�pf in goldgesticktem Scho�rock mit einer �bergro�en Lockenper�cke trippelte hinter den beiden drein und brachte durch devoteste B�cklinge und schadenfrohe Blicke jetzt erst seine Anwesenheit zum allgemeinen Bewu�tsein. Aha, dachte George, dies war der Reisemarschall der Marquise, war der Monsieur Touchet, der die empfindsamen Dramen schrieb und �berdies die Gabe besa�, durch Handauflegen zu heilen, wie er von sich zu verbreiten verstanden hatte. Sollte etwas Wahres daran sein? Was w�rde man heute erleben? Und nun wurde es ihm pl�tzlich wieder ganz bewu�t: heute galt es mehr als einen geselligen Zeitvertreib, heute galt es eine Probe anstellen auf Tod und Leben, einen Beweis erlangen, — endlich vielleicht. Die Spannung, die den Tag �ber in seinen Gliedern gelegen hatte wie unterdr�ckte Krankheit, scho� auf einmal zusammen und straffte Geist und K�rper zu unerh�rter Aufmerksamkeit. Auf der Schwelle ewiger Geheimnisse stehen, welcher Augenblick! fuhr es ihm durch den Sinn. Freilich, ein Skeptiker, ein M�ller … dachte er sogleich ge�rgert weiter, wahrnehmend, wie dieser, einer Bitte des Generals folgend, mit undurchdringlichem L�cheln die Kerzen in den Armleuchtern l�schte.

„Die Marquise w�nscht es so“, h�rte er den General im Ton ged�mpfter Erregung halblaut sagen. „Indessen ist sie f�r heute nicht disponiert, uns, wie wir w�nschten, einen Blick in die Geisterwelt tun zu lassen. Sie wird uns jedoch“, �bert�nte er die fl�sternde Entt�uschung der G�ste, „Zukunft und Vergangenheit auslegen, durch Betrachtung der Linien unserer H�nde und durch Anwendung ihres �bernat�rlichen Ahnungsverm�gens. Ich, meine Herren,“ f�gte er hinzu und bewegte abwehrend die Hand, indem er sich mit halb verhaltenem �chzen in einen breiten, tiefen Armsessel niederlie�, „ich lege keinen Wert darauf, die Grenzen meiner etwaigen Zukunft zu erfahren oder gar die Stunde meines Todes. Dies Am�sement scheint mir v�llig eine Affaire junger Leute.“ Und mit dem seltsam mi�trauischen, r�hrenden Forschen alter Menschen nach den Mienen seiner G�ste sp�hend, — aus der offenstehenden T�r des Kabinetts fiel eine breite Stra�e Lichtes in den Saal und verbreitete eine schwache Helle, — fragte er: „Nun, wer ist encouragiert genug, den Anfang zu machen?“ Und gleich darauf in gerafftem Ton: „Meine Herren, lassen wir die Dame doch nicht warten!“

„Stellen wir es doch auf die Probe, dies ausgezeichnete Ahnungsverm�gen!“ lie� sich aus einer beschatteten Ecke M�llers Stimme vernehmen und George ballte heimlich die Hand. „Wei� die Dame, wer hier anwesend ist? Nicht? Kennt sie einen von uns schon von Angesicht? Nein? Unm�glich, da sie erst seit drei Tagen hier ist? Nun, — so wollen wir an ihr vorbeidefilieren und sie soll zun�chst einmal den — nun, vielleicht den am weitesten Gereisten — und den zugleich Ber�hmtesten unter uns feststellen!“ Hatte ein heimliches Lachen in dieser ruhigen Stimme gelegen? George war weit entfernt davon, in das Urteil „Eine s�perbe Idee!“ einzustimmen, das Schlieffen ausstie�; dieser Mensch legte es darauf an, ihn zu dem�tigen, — nun gleichviel. Welche Kom�die! Da ging man im G�nsemarsch hin�ber, M�ller an der Spitze. „Wohl dem, der nicht wandelt im Rate der Gottlosen, noch sitzet da, wo die Sp�tter sitzen …“ ging es George bitter durch den Sinn. Aber, was lag daran? Spielte dieser Mensch etwa auf Eitelkeiten an, die er bei ihm, George, vermutete? Konnte er so mi�kannt werden? Oder kannte er sich selbst so schlecht? Wie, ward er etwa unruhig bei dem Gedanken, die Marquise k�nnte, — k�nnte vielleicht den Schotten Richers bezeichnen, der in Amerika gegen die Franzosen gek�mpft hatte, — er entsann sich pl�tzlich, von diesem Fremden geh�rt zu haben. Aber w�rde er nicht trotzdem Forster bleiben, Forster, der J�ngere, mit einem Wort, der junge Forster? Ah, welche Gedanken auf einem Weg von einer halben Minute! Keine Gedanken, w�rdig der Ewigkeit, die sich hier offenbaren sollte! Galt es nicht, die Verbindung mit dem Herrn zu suchen in dieser Stunde? Jetzt schritt Knigge, jetzt wandelte Prizier an der Seherin vor�ber, sie r�hrte sich nicht, ihre H�nde lagen regungslos auf dem Buchsbaumtischchen, hinter dem sie sa�; sie schien mit zur�ckgelehntem Haupte und halbgeschlossenen Augen den Duft der R�ucherkerzchen einzuatmen, die Touchet dort �ber der z�ngelnden Flamme des Leuchters verbrannte. Jetzt Greve, — jetzt — Richers, — zuckte etwas in den Z�gen der Frau? Vor�ber! Und George, ein paar Schritte hinter dem Hauptmann, f�hlte sich t�richterweise erleichtert, zauderte, ging, von S�mmerring leise geschoben, vorw�rts und … Es war die Stimme Touchets, die da pl�tzlich sagte: „Restez ici, Monsieur, Madame a fait son choix!

Madame hatte gew�hlt, in der Tat. Es war geschehen durch eine kaum merkliche Bewegung des Hauptes, der linken Hand. George f�hlte sich auf einmal allein, h�rte ein Gemurmel hinter sich ersterben, atmete den s��lichen Kirchengeruch der Luft und sah verwirrt in diese blicklosen Augen, Augen, die wie beschlagene Spiegel wirkten: die Iris war nach oben gedreht, die Pupille nur halb sichtbar und das �berwiegen des tr�b ge�derten Augapfels gab dem farblosen Antlitz mit den scharfumrissenen, hellroten Lippen einen blinden, einen �berm��ig leidenden Ausdruck.

„Man wei� im Geisterreich von seinen Verdiensten“, sagte jemand im Nebenraum, Gel�chter und Gemurmel quoll noch einmal auf, ein Stuhl ward behutsam ger�ckt. Dann stand im Raum die atmende Stille der Erwartung.

„Was w�nscht Monsieur zu wissen?“ h�rte George jetzt die Stimme Touchets mit einer scharfen S��lichkeit in Ton und Ausdruck. „Die Vergangenheit oder die Zukunft? Ah, — die Zukunft, — nicht wahr!?“

„Die Vergangenheit!“

George stie� es heftig hervor. Es galt eine Probe. Es war nicht ruchlose Neugier, da� er hier stand! Dies im Auge behalten, sich den Zweck nicht tr�ben lassen!

Die Vergangenheit! Erfahren, ob es m�glich war, da� Gott den Menschen w�rdigte … Und mit einer ungeduldig heischenden Bewegung stie� er der Somnambule seine ge�ffnete Linke hin und f�hlte sie von schlaffen, k�hlen Fingern umfa�t, — Fingern, von denen doch eine be�ngstigend saugende Kraft ausging. George dehnte den Brustkasten in einem seltsamen Gef�hl der Schw�che. Wie, — st�rzte all sein Blut in seine H�nde?

Und w�hrend er in diesem fremdartigen Taumel die Augen schlo�, f�hlend, da� der stumpfe Blick der Frau an ihm emportastete, — war nicht damals am Kap die gro�e Fledermaus so an seiner Brust hinaufgeklettert, die sich in seinem Jabot verkrallt hatte … da h�rte er etwas wie einen t�nenden Seufzer, — zwei, drei Worte …

Nun, dies war wirklich zum Lachen!

Und er raffte sich zusammen und sah mit halbem L�cheln auf die Sitzende nieder.

„Nun, Madame, beliebt es? Die Vergangenheit, wenn ich bitten darf!“

Eine Schleuse schien ge�ffnet. Die Worte kamen unaufhaltsam.

„Da ist eine Reise, wenige Tage zur�ck, — oh, keine gro�e Reise f�r Monsieur, — hundert Meilen �ber Land zu fahren, was will das hei�en f�r Monsieur, der die ganze Erde kennt? Eine Reise zu Verwandten, Monsieur? Die Verwandten sind lange in einem Land fern der Heimat gewesen. Ich sehe — Armut. Das ist vorbei. Monsieur hat gearbeitet f�r seine alten Eltern. Sind es die Eltern, Monsieur? Gut! Aber die Eltern sind nie zufrieden mit Monsieurs Erfolgen. Ist es Madame M�re? Nein. Aber der alte Mann … Ich sehe einen Berg. Ich sehe eine bittere Galle. Ich f�hle — Neid. — Ah, assez! Monsieur w�nscht das nicht zu h�ren. Es hat wenig Freude gegeben beim Wiedersehn. Streit, — Kummer. Assez! Monsieur ist jetzt sehr allein. Da ist eine Frau, — braune Augen. Prenez garde, monsieur! Monsieur hat Freunde, ah, sehr gute Freunde, — da sind hohe Herren. Die letzten Jahre? Viel Arbeit, viel Reisen, — immer f�r den alten Mann. Aber — ist es nicht so? — Monsieur ha�t den alten Mann …“

George, der seine Hand an sich rei�en wollte, f�hlte eine L�hmung, f�hlte Schwindel, f�hlte sich wie unl�slich an diese saugenden Finger geschlossen.

„Oh, wie der alte Mann w�chst, je weiter es zur�ckgeht! Er macht den Himmel dunkel. Viel Wasser, — viel. Oh, welche L�nder …“

Hier legte Touchet seine Hand um das Gelenk der Frau und willenlos �ffnete sich ihr Griff um Georges Linke.

„Gen�gt Ihnen dies, — Monsieur?“ fl�sterte der Franzose von unten herauf mit einem Entbl��en seiner Z�hne, einem Hochziehen der Oberlippe, das seinem zugespitzten Gesicht einen Ausdruck von Bosheit verlieh.

George nickte stumm. Er wandte sich, schwankte in den Saal zur�ck und suchte seinen Stuhl. Und nun er endlich sa� und seine Stirn mit dem Taschentuch betupfte, seine linke Hand heimlich abrieb, um die Erinnerung an jene schlangenhafte Ber�hrung los zu werden, kam er allm�hlich wieder zu sich, empfand die beruhigende W�rme, die von seinem Nachbar S�mmerring ausging, der fast Schulter an Schulter mit ihm sa�, seufzte auf und wu�te wieder: hier, dies war der Salon im Hause des Ministers, dort auf dem Kamin blinkte in einem Lichtstrahl die glasierte chinesische Vase, leise und geschw�tzig pendelte von der Kommode her der Gang der Boule-Uhr durch die Stille. Dies neben ihm, atmend und Leben verratend, war S�mmerring, ach, der Freund, und an seiner Rechten, M�ller, o, trotz allem, auch eine heimatliche Seele. Indessen, mein Gott, gab es hier nicht einen kleinen Anhalt daf�r, da� er — er selbst war, — oh, wollte niemand ihn anreden und diesem Kreiseln seines Gehirns Einhalt tun? Da stand von Knigge nun vor dem Tisch im Kabinett, das starke, rosige Gesicht unter dem gepuderten Toupet vom Kerzenlicht angestrahlt und mit selbstgef�lligem L�cheln dem lauschend, was Madame ihm zu sagen hatte. In der fahlen Maske ihres Gesichts bewegte sich der krankhaft rote Mund unaufhaltsam und quoll �ber von jenem rauhen, tiefen Gefl�ster mit der r�chelnden Betonung gewisser Worte, diesem Gefl�ster, das hier nicht zu verstehen war. Da war, durch einige St�hle von ihm getrennt, der General, man h�rte deutlich sein kurzes, m�hsames Atmen und das Klingeln seiner Berloques, mit denen er wie gew�hnlich spielte. Da war Prizier, er wippte mit dem Stuhl und trug Langeweile zur Schau; freilich, dies hatte mit Alchemie wenig zu tun. Und da waren, ein wenig nach Stall und Leder riechend, die beiden Herren Greve und Richers, jawohl, von den Hannoveranern in Hanau, er hatte von ihnen geh�rt, sie waren zu Pferde her�bergekommen, um die Seherin zu h�ren, — Angeh�rige �brigens der Loge „Friedrich von der Freundschaft“, also nicht strikter Observanz, noch nicht, — diese waren ganz Andacht, sa�en vorgebeugt da, hielten die Ellenbogen auf den Oberschenkeln, die H�nde gefaltet zwischen den Knien, beobachteten starr den Eindruck, den die Worte der Seherin auf den Z�gen von Knigges hervorriefen, warfen sich zur�ck, sch�ttelten ratlos die K�pfe, griffen sich gr�belnd ans Kinn … Gute, junge Leute das, der Hauptmann und der Leutnant, dachte George, einer unbehaglichen R�hrung voll, der eigenen sechsundzwanzig Jahre nicht eingedenk, — und doch, — was erinnerte ihn pl�tzlich daran? Jene ersten Worte der Seherin, jener gehauchte Ausruf bei seinem Anblick, — nein, — l�cherlich! Dennoch, was hatte sie gemeint! — Gegenw�rtiges? Zuk�nftiges? Stand ihm etwas bevor, das jenen Seufzer rechtfertigte? War es also noch nicht genug gewesen, — das alles, was hinter ihm lag? Aber er wollte sie nicht um die Zukunft befragen, nein, er hatte genug von der Erfahrung, da� zwischen ihm und jener Fremden dort am Tisch kein Schleier waltete, da� kein noch so d�nnes H�utchen seine Erinnerung von ihrer Seele schied, — da� hier, — ja, da� hier also in der Tat ein seltsames Ineinanderwogen der unsichtbaren Wesenheiten verschiedener Personen statthatte. Ein Ineinanderwogen, ein Verschmelzen nicht nur der Seelen, — auch die Zeitbegriffe waren aufgehoben, — Vergangenheit, Zukunft, das stand aufgerissen da in einer weiten, raumhaften Gegenwart, in der alles nebeneinander ragte, was bestimmt war, ein Leben flie�end zu f�llen. Welch ungeheurer Frieden, dachte George best�rzt, m��te dort wohnen hinter der niederen Stirn von Madame! Ja, dieses Wesen in dem mitgenommenen Kleid aus verschlissener, gr�ner Seide, in der Robe einer halbverschollenen Mode von Paris, es war im Besitz der All-Einheit, es mu�te strahlen von gesammeltem Lichte, — es war — — seltsam, seltsam! — nichts als ein greifbarer Ausdruck g�ttlicher Allwissenheit. Ach, aber es wohnte da kein Frieden; da war Qual. Qual sprach aus den gereckten Z�gen dieser Frau, aus ihrem blinden Tasten nach den H�nden der Fremden, aus ihrem Zusammenzucken, wenn die Stimme Touchets in ihr Hirn drang. Das war keine Herrscherin im Unsichtbaren, — nur ein armes Werkzeug, ein geknechteter Schalltrichter f�r �bermenschliche Stimmen. Aber ich, dachte George weiter, gepeinigt, das Erlebnis bis ins Letzte auszusch�pfen, wenn es mir gel�nge, das Trennende auszul�schen, durchzusto�en das H�utchen, zu zerrei�en den Schleier, — wenn ich mich nur hingebe, mich str�men lasse, — es gelingt, — es gelingt! Und wieder empfand er das Kreiseln des Gehirns, das Aufgehobensein des Selbstbewu�tseins, jene Ahnung des Schwebens, wie er sie erfahren hatte in den Gebetsrasereien der vergangenen Monate. Gleich, — gleich, — dachte er krampfhaft, — oh, schon hatte er aufgeh�rt, George Forster zu sein, was war dieser Name, wen hatte er einmal bezeichnet? Einen gefeierten, jungen Gelehrten? Einen Professor der Naturwissenschaften am Carolinum zu Cassel? Einen Sch�tzling von F�rsten? Einen Freund guter Freunde? Ein Schwall von Erinnerungen st�rzte zwischen ihn und sein Bem�hen, auszul�schen. Irgendeine Stimme, empfunden wie ein bohrender Punkt gl�henden Lichts, der die Dunkelheit nicht aufkommen lie�, wiederholte eigensinnig: „Cassel! Carolinum! Collegium! Gold, Gold und wiederum Gold! Landgraf und Konsorten! George, George, Forster, Freund! Bruder Amadeus!“ und widerwillig gab er nach, lie� ihn wachsen, den Punkt, anschwellen das Licht, erkannte sich, jawohl, George Forster, Professor der Naturwissenschaften am Carolinum zu Cassel, der Gelehrtenschule des Landgrafen von Hessen, George Forster, Mitglied des geheimen Rosenkreuzerzirkels, mit dem Bundesnamen Amadeus, der hier sa�, als h�tte er Zeit �brig f�r — m��ige Charlatanerien, — nicht wahr, so w�rde der Vater das nennen, — als m��te er nicht �ber seiner Arbeit br�ten, um Geld zu verdienen, Geld! Viel Geld, denn was tat man ohne Geld, ohne B�cher, Instrumente, gute Kleider, wie sie seine Lebensstellung nun einmal n�tig machte, also Geld f�r sich und dann, — aber, o mein Gott, immer noch und endlos, f�r den Alten, der jetzt dort in Halle sa�, und sich mit Lust der Erkenntnis hingab, da� die Postverbindung zwischen ihm und dem Sohne nun au�erordentlich viel besser war, als zwischen London und Hessen-Cassel!

George r�ckte sich ein wenig zurecht und kam durchaus zu sich. Er schauderte zusammen, es war k�hl im Saal, das Feuer im Kamin war niedergesunken. Eben kehrte S�mmerring von der Seherin zur�ck, das L�cheln verlegener Ratlosigkeit um den Mund, das er f�r unerkl�rliche F�lle vorr�tig hatte. „R�tselhaft!“ raunte er George zu, indem er sich niederlie�, „sie hat mir mein ganzes Leben gesagt. Dinge, die niemand wissen konnte. Ich bat um die Vergangenheit, — wie du!“ Dieses „wie du“ stand als Motto �ber Samuel S�mmerrings Tagen, seit er George kannte. Indessen ging eine Bewegung durch den Kreis und es ward festgestellt, da� niemand mehr da war, der Madame befragen wollte.

„Nun, meine Herren, in der Tat? Sie sind befriedigt?“

Der General sp�hte nach den Mienen seiner G�ste und verweilte pr�fend auf den ihm zun�chst Sitzenden, Richers und Greve, die immer noch in den Anblick der Pythia versunken waren. Zuweilen murmelte Greve etwas wie: „Un�bertrefflich!“ worauf Richers, der ein Schotte war, regelm��ig aus tiefster Seele „Rather!“ antwortete. Dann, mit leisem �chzen seine schwerf�lligen Massen in Bewegung setzend und sich auf der Lichtstra�e nach dem Kabinett zu schiebend, nachdem er durch eine Glocke den Diener hereingerufen hatte, gab er das Zeichen, sich zu erheben. George stand ern�chtert im Schein der wieder aufflammenden Kerzen. Er meinte, dort im Kabinett einen Papierumschlag auf den Tisch flattern gesehen zu haben, die Marquise, hochm�tig und ersch�pft ins Leere blickend, beachtete ihn nicht, aber Touchet griff gierig danach. Hier ward ein Handel abgeschlossen, jene Frau dort lebte vom Verkauf ihrer Ewigkeitsn�he; freilich, weder sie noch ihr Begleiter wirkten wie fleischgewordene Gottesgr��e und es war ohne Zweifel eine ganz allt�gliche Person, die dort ein wenig m�rrisch den Komplimenten des Generals lauschte. W�rde sie der Gesellschaft noch einmal die Gunst ihrer Offenbarungen erweisen, ihnen das Geisterreich auftun? — oh, sie konnte ja sehen, da� die Herren ersch�ttert waren wie Moses auf dem Sinai, hier befanden sich weder Zweifler noch Sp�tter! Die letzten Worte, die Schlieffen halb in den Salon hinein gewandt sprach, l�sten unterdr�cktes dankbares Gemurmel, durch das die Marquise mit abwesendem Ausdruck hindurchschritt, w�hrend Touchet eilig und widerlich freundlich Verbeugungen erwiderte, die ihm nicht gegolten hatten. Nun, geh�rte jene Frau etwa diesem krummen Zwerg? War sie in seine Gewalt geraten und trieb er Raubbau mit ihren F�higkeiten? George erlag dieser Vorstellung einen Augenblick, indem er nach der T�r starrte, hinter der die Fremde verschwunden war. Dann begegnete er M�llers Blicken, in jenem unbegreiflichen L�cheln auf sich gerichtet, das dieser Mann immer f�r ihn hatte. Er raffte sich zusammen. „Ein wunderliches Schicksal,“ sprach der andere ihn an, „dies ist eine Frau von Welt, ihr sogenannter Reisemarschall aber wirkt wie ein Jude. Wie dem auch sei, — eine interessante Demonstration!“

„Eine Empfindung ist zehntausend Demonstrationen wert!“ gab George kalt zur�ck. Wo war S�mmerring? Man brach auf. Und ein Blick in den Saal zur�ck zeigte ihm Schlieffen, den Arm auf das Kaminsims gest�tzt, tief nachdenklich vor sich niedersehend. Ein alter, schwerer und m�der Mann. Die Seelen werden ihrer Masken m�de, wenn das Leben sich neigt, ging es George schwerm�tig durch den Sinn.

Schweigsam schritt er hinter den anderen die Treppe hinunter, hob aufatmend den Blick, als er ins Freie trat. „Orion!“ dachte er wie ein Gebet. Und nun, — es schlug erst sieben vom Turm, es war noch Zeit zu einem Spaziergang, ehe man sich zum Kammerherrn von Canitz begab, wohin die Gesellschaft auf den Abend gebeten war, gewisser Besprechungen halber. Er ergriff S�mmerring beim Arm.

„Ich versichere Ihnen, meine Herren, da� sie dies alles nicht wissen konnte, sie hatte nicht den geringsten Anhalt“, h�rte er hinter sich die Stimme von Knigges, der zwischen Richers und Greve einherschritt. „Es ist ein Ph�nomen, ein unerh�rtes Naturspiel …“

„Was sagst du, George?“ murmelte S�mmerring. „Ich komme nicht dar�ber hinweg, da� die Huren Allwissenheit haben sollen und die Augen reiner Jungfrauen gebunden sind …“

„Oh, mein Wertester!“ sagte M�ller und wandte sein r�tselvolles Gesicht �ber die Schulter zur�ck, George mit seinem traurigen L�cheln streifend, „sind Sie noch in dem Traum von der Vestalinnen Reinheit befangen?“

Prizier lachte zischend. „Sch�ker!“ meckerte er, „ein Sch�ker, das, der Professor!“

„Ich wei� es nicht“, sagte George, aus seinen Gedanken auftauchend und sich S�mmerring zuwendend. „Vielleicht haben wir erleben sollen, da� das Gef�� gar nicht d�rftig und dem�tig genug sein kann, um das heilige Leucht�l aufzunehmen. Diese Frau ist am Leben zerbrochen. Das Gef�� ist nichts, der Inhalt alles. Selig, die am Geist Armen, ists nicht so? Sind wir nicht einfach genug, Freunde?

„Wir treiben viele K�nste

Und kommen weiter ab vom Ziel …““

Er sprach es tr�umerisch und wie f�r sich allein. M�ller hatte sich Prizier zugewandt. Ihre Schritte klangen dumpf auf der schneebedeckten Stra�e. Der Flu� dampfte zu ihrer Rechten, lichte Fenster s�umten das jenseitige Ufer wie Reihen riesiger Gl�hw�rmer, im Nebel hob sich gespenstisch geballt der Turm der Martinskirche.

„Ja, ich habe meinen Beweis!“ raunte George und pre�te den Arm des Freundes an sich, „was mir noch fehlte zum vollen Glauben, es ist gewonnen. Oh, freilich wohl: selig der Glauben, ohne gesehen zu haben. Aber, — selig auch, der gew�rdigt wird, zu sehen!“

Sie hatten ihre Schritte verlangsamt und blieben hinter den andern zur�ck.

„Es geht mir �hnlich, wie dir“, murmelte S�mmerring ersch�ttert.

„Es ist unm�glich, da� sie meine letzten Jahre kannte,“ fuhr George leidenschaftlich fort, „die Plackerei und M�hsal f�r den Vater seit der Heimkehr aus der S�dsee, — all die Reisen f�r ihn, — und nun sein malcontentes Benehmen, seit er gl�cklich in Halle installiert ist. Nun, aber du wei�t, ich frage nicht nach Dank!“

Dies letzte geh�rte nicht zur Sache. Er stie� es hitzig heraus und sch�ttelte S�mmerrings Arm.

„Ich wei�, Teuerster, ich wei� …“

„Oh, nichts wei�t du! Sprachen wir uns denn seit meiner R�ckkehr aus Halle? Den Abgrund hat dies Wiedersehn zwischen mir und ihm aufgerissen! Aber wer ahnte das schon? Welche Seele h�tte ich auch nur ganz von ferne einen Blick in meine tun lassen? Nun, diese Frau sagte es mir: Ihr ha�t den alten Mann … S�mmerring, S�mmerring, wie wurde mir da!“

Er stie� einen Ton aus, lachend, keuchend. „Guter Gott!“ S�mmerring suchte vergeblich Worte. George beruhigte sich.

„Du siehst mich exaltiert“, sagte er, die Augen zum Firmament erhebend. „Oh, Freund, ich bin so �ber die Ma�en gl�cklich, wieder hier zu sein! Ich war in der W�ste. Ich fand nicht die mindeste Rezeptivit�t f�r die Begriffe, die unsere Gl�ckseligkeit ausmachen. Vielleicht noch f�r die physikalische Seite der Sache. Gold machen k�nnen, — o ja! Nicht �bel! Aber — aber — Nun, du verstehst mich. Ich hatte dort keinen Augenblick der Sammlung, die Zeit, die ich unserm Herrn zu weihen pflegte, mu�te ich mich in einf�ltiger Gesellschaft ennuyieren und �ber ihre Sp��e und Zoten lachen. Tags�ber sortierte ich die Herbarien, wie als Junge. Der Geist verhalf mir zu Demut, Geduld und Liebe. Meine Schwestern …“

„Halt!“ fl�sterte S�mmerring in diesem Augenblick und umkrampfte seine Hand. „Halt! Schweige!“

Sie waren stehengeblieben. Georges Herzschlag setzte einmal aus. Eine vermummte Gestalt, �berm��ig gro�, wie es schien, aber geduckt und den Kopf zwischen hochgezogenen Schultern bergend, tat schleichende Schritte an ihnen vor�ber, die vom steigenden Monde fahl beleuchtete H�userwand entlang, ihren grotesk verk�rzten Schatten mit sich f�hrend wie einen widerwillig geb�ndigten �blen Geist. Sie �berholte die Freunde, um lautlos in die Schw�rze eines Seiteng��chens zu tauchen.

„Manegogus!“ fl�sterte George mit versagender Stimme. Sie schritten weiter, die Arme voneinander gel�st, die K�pfe gesenkt, wie ertappte S�nder. Einmal blickte S�mmerring scheu zur�ck. „Wie lange mag er hinter uns gegangen sein?“ murmelte er, „man h�rt kaum einen Schritt in dem frischen Schnee.“

„Du vergi�t, da� es schwer zu verstehen ist, was vor einem Hergehende sprechen!“ redete George hastig. „Au�erdem sprachen wir nicht laut. Wir sprachen auch nicht von Ordensdingen. Oder, ich bitte dich! sprachen wir von Angelegenheiten des Zirkels?“

„Nein, nein!“ stie� S�mmerring beteuernd hervor und wandte wieder den Kopf zur�ck.

„Du siehst es, du siehst es!“ George fa�te mit der Hand an den Kopf. „�berall. Auf Schritt und Tritt! Wu�te er von dieser S�ance? Nat�rlich, er wu�te es! Mein Gott, aber dies ist mehr als nat�rlich.“

Er blickte hin�ber nach dem Museum Fridericianum, dessen Fassade dr�ben neben der schwer gegliederten Masse des Schlosses in ihren edlen Verh�ltnissen unwirklich dastand wie ein vom Monde geborener Traum. Irgendein Sehnen nach jenen Kammern und S�len voller Realit�ten, nach reinlich geordneten Sammlungen, nach fest umrissenen Arbeitsstunden r�hrte ihn in der Tiefe des Unbewu�ten an, — ein junger Baum, der Zucht des G�rtners gewohnt, was wei� er viel, wenn der Stab ihm pl�tzlich fehlt und er in jedem Winde schwankt? George Forster seufzte auf.

Sie stampften den Schnee von ihren Stiefeln und betraten das Haus des Kammerherrn, dessen �chzende Torfl�gel ein Bursche vor ihnen aufgerissen hielt. —

„Ah, auf ein paar Worte, meine Herren, — mein teurer Freund …“ der Kammerherr war eilig und ein wenig erhitzt in das Vorzimmer herausgekommen, wo George und S�mmerring ablegten. Der Diener schien beauftragt gewesen zu sein, ihr Eintreffen zu melden, jetzt zog er sich zur�ck.

„Ich bin untr�stlich!“ fuhr Canitz aufgeregt und gleichwohl zerstreut fort, indem er seine Erscheinung im Spiegel musterte und unzufrieden an seinem Jabot nestelte, „ich mu� auch Sie bitten, heute abend alle Angelegenheiten des Bundes, speziell unsres Zirkels, falls denn die Rede daraufkommen sollte, nur in ganz allgemeiner Weise zu ber�hren. Wir m�ssen davon absehen, die Herren Richers und Greve gerade heute zu gewinnen. Mit einem Wort, — wir sind nicht unter uns!“

Er rannte mit kurzen Schrittchen zu einer Fl�gelt�r, �ffnete halb und rief in das zarte Klappern und Klirren von Porzellan und Silber hinein: „Mon dieu, Emil. Er hat doch das Couvert f�r den Herrn Grafen so aufgelegt, da� S. Gnaden zu meiner Rechten und zur Linken des Herrn Professors Forster zu sitzen kommen? Ah, sehr gut so!“ Schlo� die T�r wieder und erkl�rte mit unbeteiligtem Schmunzeln:

„Jawohl, lieben Freunde, — ein junger Graf Puschkin aus St. Petersburg, an mich rekommandiert durch die F�rstin Gallizin, ja, durch die Charitin Amalia! …“ Er l�chelte ger�hrt und f�gte hinzu: „Ein junger Herr! Mit seinem Gouverneur auf Reisen. Er brennt darauf, von der S�dsee zu h�ren, Allergelehrtester!“

Indem er nun, als verg��e er sie vollkommen, die Freunde wieder verlie� und hinter der T�re verschwand, aus der er gekommen war, tauschten George und S�mmerring einen Blick, wobei einer von ihnen „Damned!“ murmelte. „George,“ sagte S�mmerring in diesem Augenblick einer pl�tzlichen Erinnerung nachgebend, — „die Marquise — was sagte sie als erstes Wort zu dir? Du fuhrst zusammen, ich sah es.“

George lachte kurz auf. „Nonsense!“ rief er aus, tat mit seinen Handschuhen einen Schlag durch die Luft und ging dem andern voran in das Empfangszimmer. —

„Er hat Weihrauch auf den Lippen und S�ure im Gem�t“, dachte er kurz darauf etwas ergrimmt, als er �ber die Schulter des jungen Russen blickend und mitten in einem wohlgebauten Satz �ber den Hofstaat des K�nigs O-Tu den Augen M�llers begegnete, der dort hinter dem R�cken des Gastes lautlose Schritte auf und nieder machte, Wandleuchter, Bilder und Spiegel gelangweilt musternd, die Hand in den Westenausschnitt geschoben und mitunter einen der Anwesenden mit seinen schweifenden Augen gleichg�ltig freundlich anblickend. George empfand Kritik in jedem Auftreten dieses Mannes, jener nahm nichts ernst und hing an die heiligsten Sentenzen sein skeptisches Fragezeichen. War es die Besch�ftigung mit der Historie, die die Unbefangenheit zersetzte? Woher nahm er das Recht, alles anzuzweifeln? Hielt er es f�r ein Recht des Philosophen? Indessen war er etwa allein Philosoph? Hier stand er, George Forster, der die halbe Erde gesehen hatte, — gesehen, meine Herren, der nicht nur ein blasses B�cherwissen hatte wie Sie alle! — hier stand er im blauen englischen Frack und unterrichtete einen halbasiatischen W�rdentr�ger �ber die Eigenschaften der S�dseeinsulaner, entledigte sich dieser Aufgabe in dem weltm�nnischen Plauderton, den ihm die Gewohnheit des Umgangs mit hohen Herren verliehen hatte. War dies ein Anla�, ein Auge zuzukneifen und die Mundwinkel h�ngen zu lassen, oh, nur f�r eine Sekunde, und dann sah man wieder aus wie ein harmloser Zuschauer des Lebens; aber George hatte es wohl bemerkt. Er f�hlte entr�stet, da� ihm der Faden der Rede entgleiten wollte, einfach �ber dem Gedanken, da� er diesen pflaumenfarbenen Rock noch nie an M�ller bemerkt habe und da� dies im Grunde eine sehr h�bsche Farbe sei, nahm erschrocken wahr, da� die lichten Brauen des Knaben vor ihm sich leise hoben, seine blassen Augen sich etwas weiteten, da� Herr von Hippel, der Gouverneur, wunderlich l�chelte, — wu�te, da� er sich wiederholt habe, stockte verwirrt, blickte vor sich nieder und vernahm in diesem Augenblick dankbar die Aufforderung zu Tisch zu gehen.

„Priziers Vortrag f�llt also ins Wasser?“ fragte ihn M�ller, zu seiner Rechten sitzend, halblaut in das erste Aufrauschen der Unterhaltung hinein, nachdem man sich um die runde Tafel herum niedergelassen hatte und der Graf Puschkin f�r Minuten v�llig von Canitz in Anspruch genommen wurde, der selig irgendwelche Erinnerungen an allerh�chste Verwandte H�chstdesselben auspackte.

Mon dieu, was f�r ein verlorener Abend!“

„Ich halte es nicht f�r Raub an meiner Arbeit, Stunden im Umgang mit Menschen zuzubringen“, gab George steif zur�ck, sich nicht bewu�t, da� seine Augen es verrieten, wie er selbst sich getroffen f�hlte. Er sah auch nicht, da� der andere l�chelte, denn er vermied es, ihn anzublicken. „Mag sein, da� ich meine Arbeit nicht so hoch einsch�tze“, f�gte er kampfbereit hinzu.

„Wann werden Sie einmal einen Abend bei mir zubringen, Forster?“ fragte M�ller herzlich, den Ton der Antwort v�llig �berh�rend. „Ich denke doch, wir w�rden manches auszutauschen haben. Ich w�rde sagen, bringen Sie S�mmerring mit, indessen es plaudert sich nun einmal zu zweien ungleich leichter als zu dreien.“

„Haben Sie Neuigkeiten von Jakobi?“ fragte er nach einer Weile, als George nichts erwiderte und ihn nur mit einem unsichern Blick gestreift hatte.

„Ich danke Ihnen, ja,“ sagte der Gefragte nun hastig. „Er ist mit den Seinen wohlauf. Ach, Pempelfort, — ein Paradies der Freundschaft!“

Er bediente sich mit Fisch, griff nach seinem Glase und l�chelte M�ller nun freim�tig an. „Der Freundschaft Angedenken!“ sagte er und hob den gr�nlichen R�mer mit einer schw�rmerischen Geb�rde, zugleich S�mmerrings Blick suchend, auf den er alsbald traf, denn S�mmerring, dort dr�ben zwischen Richers und Greve, schien mit diesem Blick l�ngst in Bereitschaft gelegen zu haben. M�ller, der bed�chtig getrunken hatte und sich nun seinem Fisch in ausgesucht zierlicher und besonnener Weise widmete, sagte langsam: „Ich sch�tze den Menschen Jakobi ungemein. In bezug auf seine Schriften aber bin ich ein wenig Goethes Meinung.“

George fuhr auf.

„Goethe“, sagte er schnell, „ist ein gro�es Genie und ein kaltes Herz, ohne Hingabe und ohne Treue, unf�hig, eine Seele wie Fritz Jakobi zu umfassen. Goethes Geist gleicht der Pracht antarktischer Breiten, mein Herr, und der „Woldemar“ entsprang einem w�rmeren Himmelsstrich.“

Er sah M�ller hochm�tig an, seine Lippen bebten. M�ller war ein wenig erschrocken. Er machte „Oh!“ und wandte sich Herrn von Hippel zu, gerade als der Graf, von dem der Kammerherr endlich ersch�pft ablie�, um mit dem Ausdruck eines rosigen apoplektischen Mopses vor sich hinzustarren, seine Hand behutsam auf Georges �rmelaufschlag legte.

„Bitte, Herr Professor,“ sagte er leise und zutraulich, wie ein schmeichelndes Kind, „unterrichten Sie mich ein wenig �ber das Wesen der Ma�onnerie und …“ er lie� einen geschwinden Blick zu seinem Gouverneur wandern und senkte die Stimme noch mehr, — „und — verwandte Dinge. Sie sind Maurer, — welcher Mann von Welt w�re es nicht?“

„Sie befehlen, Graf“ — George gedachte der Warnung des Kammerherrn und war einen Augenblick verwirrt. Dann fa�te er sich. In der Tat, — Maurer, — wer war es heutzutage nicht?

„Allerdings geh�re ich einer Loge an,“ antwortete er zur�ckhaltend soweit es die Artigkeit zulie�, „diese Dinge aber sind so allgemein, da� ich Sie nicht damit ennuyieren darf. Denn ohne Zweifel geh�ren Sie selber der Verbindung aller Guten zum Guten an?“

Der junge Mann, knabenhaft noch, bla� �ber seinem dunkelgr�nen goldbordierten Leibrock und unter dem Puder der Haartracht, senkte die gew�lbten Lider und schob die volle Unterlippe unzufrieden vor. Irgendeine Erinnerung sang in George auf, — ach, — wo doch nur? Richtig, — jener vornehme Knabe in der Petersburger Eremitage, — ihm sah der Graf �hnlich. Mein Gott, — dies lag bald zwanzig Jahre zur�ck. Er machte eine fast z�rtliche Bewegung gegen seinen jungen Nachbarn: „Belieben Sie nur zu fragen, Graf,“ sagte er, „meine Erfahrung steht v�llig zu Ihren Diensten!“

Der Graf, ohne aufzusehen, die H�nde ungeduldig bewegend, sprach nun schnell und leise: „Ich bin Mitglied der Loge zu den drei Weltkugeln in Berlin. Ich bin aber nur ein einziges Mal mit Hippel dort gewesen, eben, als man mich aufnahm. Immerhin, ich bin im Bilde, was die Maurerei angeht. Jedoch, mein Herr Professor,“ — jetzt blickte er George fest an und sprach lauter, als er wahrscheinlich beabsichtigte, — „was ist es mit der strikten Observanz? Was ist es mit der Rosenkreuzerei? Wozu dient die Alchemie? — Dies alles w�nsche ich zu erfahren,“ endete er in scharfem Fl�sterton und behielt dabei Hippel im Auge, der jetzt von Knigge verfallen war und seinem Z�gling keinerlei Aufsicht schenken konnte. M�ller, von seinen beiden Nachbaren im Stich gelassen, sa� mit seinem gew�hnlichen L�cheln unbeteiligt da, George versuchte, mit seiner Person die Worte des Grafen aufzufangen, war aber �berzeugt, da� M�ller zuh�rte und alles verstand. „Sie setzen mich in Verlegenheit,“ brachte er hervor, „ich w��te nicht, von welchem Belang diese Dinge f�r Sie sein k�nnten.“ Er �berlegte, durchaus im unklaren dar�ber, welche Art von Aufkl�rung hier erlaubt und zul�ssig sein m�chte.

„Da unser Freund in Verlegenheit zu sein scheint,“ h�rte er da zu seinem Schrecken M�llers Stimme reden, machte eine Geb�rde, als wollte er Schweigen gebieten, lie� mit einem hilflos emp�rten Blick zu Canitz hin�ber aber die erhobene Hand wieder sinken, — „so gestatten Sie mir, Graf, Sie ein wenig zu unterrichten.“

M�ller l�chelte fast schalkhaft, er sa� zur�ckgelehnt, nur den Kopf ein wenig vorgebeugt und seitlich gewandt, seine sch�nen H�nde, die mit den Fl�chen nach oben auf dem Tischtuch lagen, bewegten sich zuweilen leicht.

„Die Alchemie, Graf, nach der Sie fragten, wenn mein Ohr mich nicht t�uschte, ist eine Wissenschaft, deren Beherrschung jeder von uns sich angelegen sein lassen m��te, denn sie geht darauf aus, uns armen Sterblichen alles zu verschaffen, wonach unsere innersten W�nsche stehen, Gold n�mlich im �berflu� und langes Leben durch die Erfindung des Aurum potabile, das einstweilen nachweislich nur Moses, Elias und Esra besessen haben. Ist’s nicht so, meine Herren?“

Er sah sich unbefangen-behaglich im Kreise um und schien sich dessen gar nicht bewu�t zu werden, da� ein verdrie�liches Schweigen seinen Worten folgte, w�hrend nun die Diener Teller wechselten und den neuen Gang herumboten. Erst als sich die T�ren hinter den Aufwartenden geschlossen hatten, denn es geh�rte zu den Gesetzen des engeren Zirkels im Hause des Kammerherrn, da� die Speisenden w�hrend der Tafel sich selbst bedienten, brach Canitz in die Worte aus:

„Ich bin auf das peinlichste �berrascht, Sie, mein Wertester, dem ich mit Fug eine gerechte M��igung in allen Fragen der Wissenschaft meinte zutrauen zu d�rfen, von einer so wichtigen Materie leichthin und nahezu mit Frivolit�t handeln zu h�ren!“

„Mit Sp�tterei!“ fiel der ehrliche S�mmerring �ber den Tisch hin�ber ein.

„Tja, tja …“ keuchte der Kammerherr unter ruckweisem Vorsto�en des Kopfes und blickte M�ller mit vorwurfsvoller Erwartung an.

„Oh!“ machte M�ller liebensw�rdig erstaunt, richtete sich gerade auf und wandte sich dem alten Herrn mit vollendeter Verbindlichkeit zu. „Verehrtester, ich bitte aufrichtig um Vergebung. Indessen, da weder Moses, noch Elias, noch auch jener Esra, dessen Verdienste mir eben nicht gegenw�rtig sind, noch nachweislich unter uns weilen, glaubte ich mich berechtigt, ihren Besitz der Tinktur anzuzweifeln und mithin �berhaupt das Vorhandensein jenes Lebenselixiers.“

„Niemand“, f�gte er unschuldig l�chelnd hinzu, „m�chte das Geschenk einer solchen Wunderessenz lebhafter begr��en als ich. Denn, — meine Freunde, — ich liebe das Leben!“ Er hob sein Glas und trank dem Freiherrn von Knigge zu, der ihm mit einem kaum merklichen L�cheln Bescheid tat, einem L�cheln, das er nun mit der breiten wei�en Hand gleichsam von seinen Z�gen wegwischte, als er das Glas absetzte und mit seiner etwas fetten Stimme bed�chtig sprach:

„Moses, Elias und Esra m�gen zuversichtlich in der richtigen geistigen Verfassung gewesen sein, die den wahren Adepten ausmacht, indessen waren sie allem Anschein nach nicht darauf bedacht, den fl�chtigen Geist zu materialisieren, und auch nicht im Besitz der Chimie, als eines Mittels, Lapis philosophorum zu kristallisieren und somit seine Bedingungen auf den K�rper anwendbar zu machen. Denn, meine Herren,“ und er w�lzte bedeutungsvolle Blicke von dem Hauptmann Richers zu dem Leutnant Greve, zwischen denen er seinen Platz hatte und die mit dem sprungbereiten Ausdruck begieriger Lehrlinge dasa�en, „’s ist der Geist, — der fl�chtige Geist, der in der wahren Chimie eingefangen wird. Der Geist ist’s, der lebendig macht …“ er a� nachdenklich und hingebungsvoll einen Bissen, — „ja, ja, und das Fleisch ist schwach.“

Rather!“ bemerkte Richers zustimmend. Der kleine Graf richtete seine schr�g geschnittenen, etwas schwimmenden Augen wieder auf George, zu dem er das meiste Vertrauen zu haben schien. „Die Herren,“ sagte er in seinem harten rollenden Franz�sisch, „scheinen der Ansicht zu sein, da� die Alchemie eine schwierige Wissenschaft sei, bitte, Monsieur le Professeur. Ist es Ihnen bereits gelungen, Gold herzustellen?“

George hantierte hastig mit seinem Besteck. „Graf,“ sagte er mit unverh�ltnism��iger Inbrunst, „die Goldmacherei ist eine Nebenfrage f�r den wahrhaft Strebenden.“

„Oh! und ich denke es mir so h�bsch. Haben Sie von dem Grafen Cagliostro geh�rt? Er soll in St. Petersburg gewesen sein …“

„Der sogenannte Graf Cagliostro ist ein Nekromant und huldigt der schwarzen Magie, — ohne Zweifel …“ rief S�mmerring mit etwas atemloser Stimme �ber den Tisch hin�ber, sah err�tend um sich und blieb mit einem hilfesuchenden Blick an George h�ngen. „Ich meine n�mlich …“

George aber, in Erregung, dem Grafen zugewandt, aber M�ller ins Auge fassend, sprach hastig wie von einer sonderbaren Eingebung �berflie�end: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes, — so wird euch solches alles zufallen. Den Seinen gibt es der Herr schlafend. Alles ist euer, — ihr aber seid Christi!“

Auf diese Worte, die eine ungeduldige junge Prophetenstimme in den Kreis geschleudert zu haben schien und die f�r eine Minute k�rperlos strahlend von der Gewalt ihres Geistes im Raum hingen, war es still geworden, bis Herr von Hippel von seinem Teller aufsah und mit einem gutm�tigen L�cheln sagte: „Der Herr Professor ist bibelfester als man das heutzutage bei den Herren von der reinen Wissenschaft anzutreffen pflegt.“ Und, �ber den Tisch gelegt, begann er, S�mmerring, der ihm, seiner westpreu�ischen Mundart wegen, als ein halber Landsmann erscheinen mochte, eine breite Geschichte von einem kurl�ndischen Pastoren und einem littauischen Bauern zu erz�hlen, die auf einen derben Scherz hinauslief.

„Rosenkreuzerei,“ sagte er sodann zu von Knigge, indes die Bedienten wieder um den Tisch gingen, — „wart’, wart’, Freund, — was hab’ ich doch davon geh�rt? Nichts Gutes, wie mir scheint!“

„Sie sind ohne Zweifel unterrichtet“, gab Knigge gleichm�tig liebensw�rdig zur�ck.

„Bitte, mein Herr“, sagte der kleine Graf, durch das Klappern der Teller gedeckt, jetzt leise zu M�ller, ihn aufmerksam mit gl�nzenden Augen ansehend: „Ich habe geh�rt, da� es in den Kreisen der Rosenkreuzer Zauberei und Teufelsanbetung gebe …“

„Ach, mein Graf, —“ M�ller schlug einen Ton herzlicher Ergebenheit an, — „was h�rt man nicht alles in dieser b�sen Welt! Zauberei und Teufelsanbetung! Ich wollte, ich h�tte einen Rosenkreuzer bei der Hand, um Ihnen ganz seine Ungef�hrlichkeit darzutun! Schauen Sie sich unsern Forster an, werfen Sie einen Blick auf unsern liebensw�rdigen Wirt! So und nicht anders w�rde ein Rosenkreuzer auch aussehen, — oder etwa wie der wackere Doktor S�mmerring dort dr�ben, wenn schon im Opus mago-cabbalisticum zu lesen steht, da� der „doctor-Titul gleichfalls ein Mahl-Zeichen des Tieres oder des Weibes Jesabel sei“.“

„Ich verstehe nicht ganz“, warf der Graf mit verkl�rtem L�cheln ein.

„Ist auch nicht n�tig, ist ganz und gar nicht n�tig, Verehrter, denn das Mago-cabbalisticum kann kein Sterblicher verstehen, so wenig wie die Aurea catena Homeri. Dies interessiert Sie aber gar nicht, Graf, Sie w�nschen �ber die Rosenkreuzer in praxis zu h�ren, und da sage ich Ihnen, wenn sich schon die heutigen Rosenkreuzer f�r die Br�der der alten Pythagor�er und Gnostiker zu halten belieben, so tun sie das ohne Recht, denn es fehlt ihnen der Mut, Mysterien zu feiern, und wenn die Templer Schafskleider umnahmen, wenn sie in die Welt gingen, so sind die Rosenkreuzer von heute h�chstens Schafe in Wolfskleidern, — sie bei�en nicht, Graf! Und da Ihnen dies alles wahrscheinlich orphische Worte sind, so will ich mich zum Schlu� ganz kurz und klar fassen: es ist zu viel Wasser in diesen Wein gesch�ttet, die Rosenkreuzerei von heute ist ein �ffentliches Geheimnis und eine Angelegenheit braver B�rger.“

„Ich wei� nicht, warum Sie einen Gegensatz zwischen der Rosenkreuzerei und den Qualit�ten des B�rgertums zu w�nschen scheinen, mein Werter“, sagte Prizier verschnupft, als f�hlte er sich pers�nlich getroffen.

Herr von Hippel trommelte mit den Fingern auf dem Tischtuch und bemerkte von oben herab: „Sie haben da recht beruhigende Observationen gemacht, mein Herr. Mir sind b�se Dinge zu Ohren gekommen, die in den Rosenkreuzerlogen ihr Wesen haben sollen.“ Er hob die Hand vor den Mund und raunte dem Freiherrn von Knigge �ber den Tisch hin�ber ein Wort zu, das mit Achselzucken aufgenommen ward. M�ller wandte sich kalt ab.

„Magie im h�hern Sinne, Chimie und ein verborgener Staat, der die Begebenheiten der Welt sehr dirigieret, sind mit der Hauptzweck dieser segensreichen Verbindung, Graf. Lassen Sie sich nicht irre machen!“ Der Kammerherr sprach b�se und kurzatmig und sah mit ger�teten Augen scheel nach M�ller hin, um dann unruhige Blicke �ber seine G�ste wandern zu lassen.

„Ich wei� nicht, warum wir uns alle so exaltieren,“ sagte jetzt M�ller, irgendwie gel�st durch die Wellen ausgesprochenen und verschwiegenen Widerspruchs, die ihn trafen. Er gab seine l�ssige Haltung auf und fa�te S�mmerring l�chelnd ins Auge, der ihn finster betrachtete, soweit seine Gesichtsbildung diesen Ausdruck zulie�. „Wir sind auf dem Wege, �ber einer harmlosen Frage unseres wi�begierigen Gastes einen Wortkrieg zu entfesseln, als seien wir verschiedener Meinung �ber das Wesen einer Gesellschaft, w�hrend wir es tats�chlich doch nur �ber ihre Erscheinungsformen sind.“

„Belieben Sie sich ein wenig deutlicher auszudr�cken, Herr Professor,“ sagte Herr von Hippel einigerma�en m�rrisch. „Die Institution der Ma�onnerie ist eine ehrw�rdige, sanktioniert durch den Beitritt allerh�chster Herren und Souver�ne. Was dar�ber ist, das — soll vom �bel sein …“

„Die Institution der Ma�onnerie,“ sagte M�ller und blickte angestrengt auf die Kerzen des Armleuchters vor sich, kleine goldene Funken standen in seinen braunen Augen, „die Institution der katholischen Kirche, die Institution des Luthertums, — und — wie mich deucht, — auch die der Rosenkreuzerei sind Ordensbildungen, sind Kristallisationen innerhalb des wogenden Ozeans von Geist, der sich nach Christi Tod aus seinen Schranken befreit in die Welt ergossen hat. Der erste Orden, meine Freunde, —“ er sah sich mit einem seltsamen, nahezu sch�chternen L�cheln im Kreise um und sprach sehr sanft, — „der erste Orden war der Orden der Br�der vom reinen Willen. Er war — und er ist. Er hat keine Gebr�uche und Statuten, es gibt keine Grade in ihm, weder blaue noch rote. Dies ist die unsichtbare Bruderschaft. Wir werden in sie hineingeboren, oder wir finden sie nie. Wer ihr angeh�rt, erkennt den Bruder am Klang der Stimme oder am L�cheln des Herzens, — ich wei� nicht, — aber verbunden �ber alle Grenzen und Weiten sind die Br�der vom reinen Willen …“

„Schw�rmerei eines Freigeistes!“ murrte Prizier.

„Sie untersch�tzen geflissentlich den Wert der festen Konventikel, mein poetischer Freund!“ warf von Knigge mit einem r�tselhaft hohnvollen Ausdruck �ber den Tisch, „moralische �bungen sind f�r die Seele erfunden wie der preu�ische Drill f�r den K�rper. Gesetzt den Fall, — nun, aber ich will ganz allgemein bleiben. Sagen Sie uns: ist jener — reine Wille ein Pr�servativ gegen die Versuchungen des Fleisches?“

„Wollen Sie mit jenen wie Nicolai und Lessing keine Christen mehr haben, sondern nur Menschen, — Menschen ohne Vorurteile, weder in Moral, Religion noch Politik? Meinen Sie nicht, da� Sie sich damit auf der Suche nach der Wahrheit die Mittel abschneiden, sie zu finden?“ S�mmerring fragte es leidenschaftlich, seine Neigung zum Stottern vergessend und �berwindend. Und indem nicht M�ller, sondern der Kammerherr die Frage auffing und nachdr�cklich �ber den Wert der Demut, der Notwendigkeit der Verachtung alles dessen, was die schn�de Welt hochachtet, zu dozieren begann, wandte sich M�ller an George, der ihn stumm anblickte, und sagte mit unterdr�ckter Stimme:

„Die unsichtbare Bruderschaft,

Zu der ich auch geh�re,

Hebt Nacht f�r Nacht zu neuer Kraft

Mein Herz durch ihre Ch�re …

Ist dieser Vers Ihnen irgendwo auf Ihren Fahrten begegnet, mein weit gereister Freund. Wei� Gott, woher er stammt …“

„Beachten Sie dies, Graf, — und —“ zu Richers und Greve gewendet, — „auch Sie, meine Herren, wenn anders Sie ein Interesse an diesen Fragen haben, — bei der Rosenkreuzerei kommt es meines Wissens — nun, meines Wissens! ich habe —“ Canitz lie� seine Augen wandern, „nehmen Sie an, ich h�tte einmal jemand gekannt, der mich ein wenig eingeweiht h�tte, — also, es kommt darauf an, Gott nahe zu kommen und in ihm konzentriert alles zu �bersehen, was in anscheinend unbegreiflicher Unordnung da vor uns liegt.“

Redend erhob er sich, die Linke auf den Tisch gest�tzt und sich gegen seine G�ste verneigend. Man folgte seinem Beispiel.

„Innige Vereinigung im Geiste mit diesem h�heren Wesen,“ sprach der Kammerherr weiter, die eine Hand auf der Schulter des jungen Russen, mit der andern das eigene Kinn umspannend und angestrengt vor sich hinblickend, „das ist’s, was der J�nger anzustreben h�tte. Und der Weg dazu? Eine grenzenlose, eine seraphische Liebe zu Ihm, wie auch zu den Br�dern, best�ndige asketische Gemeinschaft im Geist und in der Wahrheit und — hm, hm, —“ er starrte nachdenklich ins Leere, — „endlich kontemplative sowohl als auch praktisch experimentierende Erforschung der Natur!“ schlo� er triumphierend und sah sich nach Forster um, — „Nun, ist’s nicht so, mein Freund?“

In der Tat, George erkannte mit einigem Staunen eigene Wortreihen wieder, einem Vortrag entstammend, den er vor nicht allzulanger Zeit im vertrauten Kreise gehalten hatte.

„Die Herren scheinen mir sonderbar unterrichtet,“ sagte Herr von Hippel, der ein wenig hastig neben seinen Z�gling getreten war. Der Kammerherr meckerte vergn�gt.

„Eine kleine Tabagie, meine Herren,“ rief er aus, „wie w�r’s mit einer kleinen Tabagie und einem Spielchen? Und begeben wir uns der gro�en Fragen!“

Bierkr�ge und Tonpfeifen, ein Kartentisch warteten im Nebenzimmer, einem kahlen Raum. Von Hippel blieb seinem Grafen zur Seite, zog Richers und Greve heran und brachte das Gespr�ch auf Pferde. Canitz sa� mit Knigge und Prizier beim L’Hombre und fluchte gelegentlich unwirsch. George und S�mmerring bildeten stumme Zuschauer. M�ller lehnte an der Wand unter einem Bilde des preu�ischen K�nigs und sah melancholisch und angewidert aus. Wieder mu�te George an den Petersburger Knaben denken, — warum nur? War’s die Vorstellung des K�nigs, von dem jener Knabe damals zu ihm gesprochen hatte, — ja, und dies, da� er damals so sehr gew�nscht hatte, der Knabe m�chte zu ihm sprechen? W�hrenddessen war von Hippel, wohl in der �berzeugung, seinen Z�gling endg�ltig und wirksam in die zul�ssigen Bahnen zur�ckgeleitet zu haben, an den Kartentisch herangetreten, hatte sich einen Stuhl neben den des Kammerherrn gezogen, rittlings darauf Platz genommen und begleitete das Spiel mit seinen Bemerkungen. Wohl, dachte George, es mag nicht immer selig sein, einen Erben zu h�ten. Und, indem er sich selbst, von S�mmerring gefolgt, der Ecke n�herte, in der die jungen Leute sa�en, war er bem�ht, sich in der �berzeugung zu best�rken, da� er seinen Platz aus Interesse f�r den Russen wechselte, — und nicht etwa, weil M�ller jetzt dort an dem holl�ndischen Kachelofen lehnte, einer Erz�hlung Greves zuh�rend. Und, — oh, es war durchaus nicht immer noch die Beschreibung der Reitschule in Hannover, der der Knabe mit gl�henden Ohren lauschte! Nein, hier in dieser Ecke unter dem tr�pfelnden Wandleuchter, wo es nach Tabak, Leder und ein ganz klein wenig nach Stall roch, — denn wie schon erw�hnt, der Hauptmann und der Leutnant, sie waren zu Pferde von Hanau her�bergekommen und sa�en nun einmal da, wie sie gekommen waren, in Reithosen und hohen Stiefeln, — hier war im ged�mpften Ton der Begeisterung die Rede von der Marquise, hier klang der Name Cagliostros auf, hier ward die wunderbare Geschichte von dem Polen Sendivogius erz�hlt, der, ein Rosenkreuzer ohne Furcht und Tadel, im Besitz des Steins der Weisen gewesen war.

Graf Puschkin, wieder mit Augen von dem Glanz derer eines Kindes, das nie f�r wahrscheinlich gehaltene M�rchen von Blutzeugen erh�rtet h�rt, wandte sich an M�ller: „Und Sie, monsieur,“ sagte er dringlich, — „ein Mann der Wissenschaft, — Sie halten es auch f�r m�glich, Gold zu machen?“

„Mein Gebiet, Graf, ist das der Weltgeschichte. Ich habe zu h�ren und — aufzuzeichnen. Indessen, — hier stehen zwei M�nner vom Fach, — zwei Naturforscher. Nehmen wir ihr Urteil an!“

Ja, M�ller l�chelte. Und gequ�lt wiederholte George oft gesprochene Worte, deren Inhalt auf einmal einen seltsam schmalen Geschmack hatte —: „Die Wissenschaft in der Hand jenes Glaubens, der Berge versetzen kann, — was verm�chte sie nicht, meine Herren?“

Eine halbe Stunde sp�ter unter den kalt funkelnden Januarsternen zwischen S�mmerring und M�ller eilig durch die Gassen schreitend, sagte George mit einem etwas gewaltsamem Atemholen: „Die Br�der vom reinen Willen, — ich habe nicht ganz verstanden, — ist es eine Institution?“

Mon dieu, — nein, Freund, — Sie haben nicht verstanden.“ M�ller lachte kurz auf.

„Also, —“ George tastete, — „eine Idee, — ein Einfall — ein Wunsch?“

„Es gibt Ideen mit dem Charakter von Tatsachen,“ sagte M�ller, wieder mit jenem ungeduldigen Auflachen, indem er den Kragen seines Mantels hochschlug. „Aber wenn Sie es denn gesagt haben wollen: die Br�der vom reinen Willen sind die Menschen, denen das Gesetz ihres Lebens in Harmonie mit dem Gesetz des Universums eingeboren ist, — und wenn es Grade unter ihnen gibt, so m�gen die unter ihnen die gr��ten sein, die dieses Gesetz in sich am reinsten vernehmen. Aber ich wei� nicht, ob wir uns verstehen …“

George und S�mmerring schwiegen. M�ller mochte Mi�trauen f�hlen und seufzte ungeduldig auf. Diese drei M�nner, alle noch diesseits der Grenze der Drei�iger, schritten miteinander durch die Nacht, von den durch sie kreisenden Str�men verwandter Ideen und Leidenschaften mit aller Heftigkeit der Jugend angezogen und abgesto�en.

„Sie wissen nichts vom Bunde und ahnen nicht, wie sehr Sie im Herzen der Unsre sind!“ Georges Stimme schwankte ein wenig und klang werbender, als er selbst es vielleicht w�nschte.

M�ller z�gerte.

„Ich empfinde die Sch�nheit des Bundes,“ sagte er vorsichtig, „und glaube, da� ihm anzugeh�ren die moralische Gl�ckseligkeit st�rkt. Lassen wir die Chimie beiseite, — auf sie kommt es nicht an …“

„Oh, ein wahres Wort!“ rief S�mmerring begeistert.

„Freund!“ George legte eine bebende Hand auf M�llers Arm. „Sie werden der Unsre! Ich ahnte es! Jetzt! In dieser Stunde! Kommen Sie mit uns!“

Er nahm Schweigen f�r Zustimmung. Er ging weiter im seltsamen Taumel, die andern durch seinen Schritt zur Eile mitrei�end. Sie erreichten das Haus, in dem er wohnte. Er schlo� auf und ohne weitere Verabredung folgten ihm die beiden andern die dunkle steile Treppe hinauf, an der Wand entlang tastend. In Georges Zimmer angelangt, wo die aufflammende Kerze ihm die blasse gespannte Miene S�mmerrings, die verschlossene M�llers zeigte, entledigten sie sich ihrer M�ntel. George r�umte mit fliegenden H�nden einen Tisch ab, holte zwei Bronzeleuchter und entz�ndete feierlich die Wachskerzen, legte eine Bibel zwischen sie und entnahm dem Schrank endlich einen eingewickelten Gegenstand, ein Kruzifix aus Elfenbein, das er enth�llte und aufstellte. Mit fremder Stimme sprach er: „Meine Freunde! Christus sagt: wo zwei oder drei beisammen sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen …“ Und zwischen den beiden andern niederkniend, die gefalteten H�nde auf die Kante des Tisches gest�tzt, begann er zu beten.

Vom Fl�stern anschwellend zum ged�mpften Schrei ri� seine Stimme sein Herz auf. Entsetzen quoll hervor, Angst, Not, Einsamkeit. Er beichtete. Er enthielt sich keines Gest�ndnisses. Und sei es aus Scham, sei es aus Hingerissenheit, — fl�sternd fiel S�mmerring, stammelnd fiel M�ller ein, die drei Stimmen, verborgenste Gedanken in Worte sammelnd und aussto�end, stiegen nebeneinander auf und vereinigten sich in eine steile Rauchs�ule des Opfers. Diese Drei, die H�upter zur�ckgeworfen, die Augen verz�ckt aufgeschlagen, die Lippen verkrampft, wie sie dort knieten, sich haltlos in den H�ften wiegend im Sturm der Anbetung — sie wurden eins im Rausch. Ihre gefalteten H�nde l�sten sich, tasteten nacheinander. Sie umschlangen einer des andern Schultern, aneinandergelehnt, Schl�fe an Schl�fe f�hlten sie eine unfa�bare Vermischung ihrer Wesenheit. Und wie der Sturz der Worte nachlie�, wie er m�hlich in Seufzern verebbte, verharrten sie dennoch kniend, blieben sie umschlungen, bis ihre Arme in Ermattung niedersanken und Forster sich als erster wieder erhob, bebend und in den Knien wankend, die Augen getr�bt.

Und da, in diesem Augenblick, als er die beiden andern unsicher ansah, war es ihm klar, da� dies nicht der Weg gewesen war, M�ller zu gewinnen, M�ller, der dort abgewandt stand und die Schnallen seiner Beinkleider anzog, die sich beim Knien gelockert hatten. Verzweifelte Ern�chterung �berkam ihn. Er verbarg sie hinter einem gleichm�tig gesellschaftlichen Auftreten, das seltsam von dem eben erlebten Taumel abstach.

Sie sprachen nicht mehr viel. Fr�stelnd, die Kerze in der Hand, begleitete George die beiden die Treppe hinunter. Die W�nde glitzerten von Eiskristallen, der Atem rauchte.

„Noch eines war’s, was ich fragen wollte, Freund,“ sagte M�ller auf den letzten Stufen stehen bleibend und zu George aufblickend. „Die Seherin, — sie hatte ganz im Anfang ein Wort f�r Sie, das Sie zusammenfahren lie�, — was war es, — darf ich es wissen?“

„Ach, Teuerster!“ George schritt an ihm vorbei und vollends hinunter, vor sich hinl�chelnd, w�hrend er an dem Schlosse der Haust�r hantierte. „Was sie da sagte, war nicht gerade vom Geist eingegeben und im Grunde ridik�l.“

„Und was war es, — wenn ich doch fragen darf?“

George hielt die T�r auf und erschauerte in dem eisigen Luftzug, sein schmales Gesicht leuchtete geisterhaft bla�.

„Sie sagte, — nun, damit Sie etwas zum Lachen haben, — sah mich an und sagte — zu mir: Mon pauvre ami, — Au revoir � Paris!

Wann war er nur je erwacht, ohne diesen Druck zu sp�ren, diesen dumpfen, f�rchterlichen Druck auf seinem Herzen? Mochte es in seiner fr�hesten Kindheit gewesen sein, vielleicht auch auf der Wolga, — vielleicht in den ersten Wochen der S�dseereise, — jene Morgen jedenfalls, die er sorgenlos begr��t, jung, froh und erwartungsvoll, ihr Licht ward aufgetrunken von der grauen Winterschwermut, die nun einmal das �bliche zu sein schien.

Was f�r Gestirne, dachte George an diesem M�rzmorgen verzweifelnd, w�hrend er sich �berst�rzt ankleidete, was f�r Gestirne mag ich �ber mir haben? Lag denn sein Leben ganz im bleiernen Schatten des Saturn? Was aber das Schlimmste war, er empfand es heute wieder mit f�rchterlicher Klarheit, das war dieses: sein Ungl�ck kam nicht mehr von au�en her! Fr�her war es, — nun ja, er st�hnte auf und ri� an seinen Schnallenschuhen, — fr�her war es eben der Vater gewesen, der diesen Druck aus�bte, der Vater und seine Unrast, der Vater und seine Arbeitswut, die wie mit der Hetzpeitsche hinter ihm gestanden hatte. Schlie�lich, in diesen letzten Jahren, der Vater — und seine Schulden; vielleicht auch — der Vater und seine unverh�llte Eifersucht auf die Erfolge des Sohnes, obgleich es ein seltsamer geheimer Triumph war, diesem nackten Neid immer wieder zu begegnen, — eben noch, bei seiner Anwesenheit in Halle, wie hatte der Alte es ihn immer wieder merken lassen, da� er, George, mit seiner Bearbeitung und Ver�ffentlichung der S�dseereise im Grunde schmarotzt habe — schmarotzt! „Ich habe die S�dseereise beschrieben,“ murmelte George vor sich hin, kn�pfte an seiner Weste und lief erregt in dem engen Alkoven auf und nieder, — wohl, er wu�te ganz gut, da� er sich scheute, sein Arbeitskabinett zu betreten, weil eine Unordnung darin starrte, deren er kaum noch Herr zu werden vermochte, „ich habe sie beschrieben auf seinen eigenen, hundertmal als Befehl ausgesprochenen Wunsch, weil die verfluchten Engl�nder, — Cook nehme ich aus, — Herrgott, verzeihe mir den Fluch …!“ (Er zog ein Notizt�felchen und bemerkte sich unter vielen Aufzeichnungen �hnlicher Art: den 28. M�rz fr�he, geflucht.) „Weil also die Engl�nder ihm seine eigene Arbeit zu ver�ffentlichen verboten. Ich habe sie geschrieben, um ihn aus dem Schuldturm zu retten und uns alle vor dem Verhungern. Ich habe ihm durch meinen Flei� und meine Konnexionen Unabh�ngigkeit und die gesicherte Position in Halle verschafft. Macht alles nichts: ich habe schmarotzt, schmarotzt, schmarotzt! So! Und wer hat denn auf der Reise das Material sammeln d�rfen, wer hat Tagebuch gef�hrt?“ Er l�chelte b�se und sah sich in dem Spiegel.

„Sie werden weiterhin f�r Ihren Herrn Papa arbeiten d�rfen, Mr. Forster,“ sagte er schneidend zu der graugekleideten, schlanken und ebenm��igen Figur da im Glase, die ihn so t�dlich ernst aus kummervollen grauen Augen anstarrte. Gestern war ein Brief aus Halle gekommen: der Vater bat, o nein, der Vater ersuchte um 150 Gulden. Es war nicht der erste Brief dieser Art. Woher das Geld nehmen, schrie es in George, woher?

Und nach einem Augenblick des H�ndeballens, nach einem krampfhaften Sch�tteln, das seinen ganzen K�rper durchlief, zog er wiederum das Notizt�felchen und machte unter demselben Datum eine weitere Eintragung: Geha�t!

Indessen, — was ging der Vater ihn noch an? Hatte er kein Geld, so w�rde er eben keins hinschicken. Empfand er solche Briefe denn im Grunde tiefer als M�ckenstiche? Nein, nein, — das Schlimmere war es eben, da� sein Leid nicht mehr durch �u�ere Verh�ltnisse kam, da� er stumpf geworden war gegen das best�ndige R�tteln des Schicksals, — das Schlimmere war, — da� er sich selbst zum Leid geworden war und — das. Er �berschritt entschlossen die Schwelle zum Nebenzimmer und sah mit trostlosem Blick auf das Durcheinander von B�chern, Schriften und wissenschaftlichen Ger�ten, das Tische, St�hle, ja, den Fu�boden bedeckten. Keine innere Sammlung, kein Entschlu�, keine zusammengeraffte Arbeit war noch m�glich in dieser Umgebung, und diese Umgebung war ein Abbild seines Kopfes. So d�nkte es ihn. Er blieb an der T�r stehen, lehnte die Stirn an den Rahmen und �berlie� sich der Ratlosigkeit.

Die Sache war diese: George Forster, — Forster der j�ngere, der Forster, den �lteren, an europ�ischer Ber�hmtheit zweifellos �berragte, — dieser Verfasser einer Reisebeschreibung, die ebensowohl in den B�chereien ernsthafter Gelehrter, als in den H�nden von F�rsten, Weltleuten und Damen zu finden war, — dieser liebensw�rdige Mann, dessen Jugend den Reiz seiner interessanten Pers�nlichkeit noch erh�hte, den man allenthalben, — ach, in Paris, in Antwerpen, in Berlin, an diesen und jenen kleinen H�fen, — verw�hnt und umworben hatte, diese Freundesseele, die man mit Betr�bnis scheiden sah, wo immer sie je ihr sanftes Licht gespendet hatte, — George, kurzum, dem Joche entronnen und freier Herr seines Lebens, George sah sich nach drei, vier Jahren dieser Freiheit auf einmal einer sonderbaren, einer erschreckenden Erkenntnis gegen�ber. Wo war der Mann, f�r den er sich gehalten hatte? Wo war der Dalrymple Ebenb�rtige, der geistige Sohn Cooks, straff, klar, von jener biegsamen und st�hlernen Schaffenskraft, von jener durchsichtig arbeitenden Gehirnt�tigkeit, — dieser, der in einer Atmosph�re strahlender Geistigkeit seine Bestimmung erf�llte, jede Viertelstunde ausnutzend f�r den gro�en Zweck der eigenen segenverbreitenden Vervollkommnung? Mein Gott, dieses dumpfe Gesch�pf hier unter dem T�rrahmen, das bleich aussah und tr�be, umschattete Augen mit ger�teten Lidern hatte, wie der Spiegel es ihm soeben h�hnisch gezeigt, sich in diesem Augenblick kaum anderer Zust�nde bewu�t, als einer bedr�ckten, von ziehenden Schmerzen gepeinigten K�rperlichkeit und einer qu�lenden Schuldenlast, die ihm der Anblick der halb ausgepackten B�cherkiste dort am Boden eindringlich ins Ged�chtnis rief, — dies also, — dies war der George Forster, von dem er sich einst unbedenklich das H�chste versprochen hatte! Er war p�nktlich auf die Minute, er war reinlich, sparsam, akkurat bis zum Peniblen gewesen, solange er unter dem Vater arbeitete, der das Gegenteil von alle diesem gewesen war. Und nun? Er begann herumzuhinken und mit verzweifeltem Herzen Ordnung zu machen; nun, hier sah es aus, wie bei einem S�ufer, schlimmer als in der Petersburger Wohnung des Vaters, wo er auch nie Herr �ber die Gegenst�nde geworden war und den Vater daf�r so verachtet hatte, — aber trank er denn, — spielte er, — hatte er irgend ein Laster? Hier lagen unbezahlte Rechnungen, — Rechnungen �ber Landkarten, kolorierte Stiche, B�cher, �ber den blauen englischen Frack, der so h�bsch war, �ber einen Degen zum Galakleid, — zwischen den Manuskriptseiten angefangener Arbeiten. Hier lag ein Spitzenjabot, — er hatte es l�ngst vermi�t! — in einen Folianten eingeklemmt und auf der Schreibkommode stand ein einzelner Schuh. St�hnend sortierte er, schuf reinliche Anh�ufungen gleichartiger Papiere, stellte B�cher auf und st�ubte sie ab; vergrub zwischendurch den Kopf in den H�nden und tat das, was er „sich Rechenschaft ablegen“ nannte. Er hatte keine Laster, bei Gott! Er hatte zu keiner Zeit seines Lebens so bewu�t gegen schlimme Anlagen gek�mpft, so meinte er, sich der selbstzerfleischenden Beichten im Kreise der Logenbr�der erinnernd und der unbarmherzigen Kritik, die sie aneinander �bten. Durfte er sich’s nicht eingestehen, da� Menschen ihn liebten, war die Freundschaft, deren er geno�, ihm nicht B�rgschaft f�r seine moralischen Qualit�ten? Was war’s denn mit dieser Unordnung, die er in seine Lebensf�hrung einrei�en sah, mit dieser D�mmerung, die nun schon seit Monaten unbeweglich �ber seiner Seele lagerte? Und standhaft sich abwendend von der Einsicht in die eigentlichen Gr�nde seines Zustandes (gekleidet in ein von grausam unbefangenem Gel�chter begleitetes Wort des Vaters aus den letzten Weihnachtstagen in Halle: „Die Rosenkreuzerei mitsamt der Alchemie ist eine S�nde wider den heiligen Geist, mein Sohn!“) jene Klarheit von vorhin erfolgreich verdunkelnd, machte er eine saubere Aufstellung. Schuld an seinem Ungl�ck war einfach der Geldmangel, die schlecht dotierte Stelle, die er innehatte, er, der seinem Ruf und Rang doch ein einigerma�en elegantes Auftreten schuldete und der kostbare Arbeitsmittel n�tig hatte. Ganz zu schweigen von den Anspr�chen, die der Vater immer noch an ihn stellte, und die er, er wu�te es gut genug, trotz aller harten Vors�tze immer wieder ber�cksichtigen w�rde, denn — konnte er die Mutter leiden lassen? Er brauchte also Geld, mehr, als er je durch seine Arbeit verdienen konnte, nun — und Gott hatte ihm ja den Weg gezeigt, dachte er eigensinnig und bl�tterte, ohne es zu wissen in der Aurea catena Homeri, die vor ihm auf dem Tisch lag. Gott, der die Seinen erh�rte �ber Bitten und Verstehen und vor dem die wissenschaftliche Erfahrung nichts galt, sondern das Wunder.

Hier r�hrte ihn irgendeine Erinnerung an, kaum sp�rbar, wie der Schatten eines vor�berhuschenden Vogels. Er wurde unruhig, fa�te sich an die Stirne, blickte um sich. Was war es nur? Wo hatte er doch etwas erlebt, das sich zu seinem jetzigen Erleben verhielt wie der Keim zur Frucht, ach, etwas Ungreifbares, — da — wo war es doch? Und pl�tzlich fiel Licht auf einen Heckenweg der Vergangenheit wie aufflammender Blitz, und da sah er sich stehen, einen bl�henden Kirschbaum umschlingend, gesch�ttelt von einem Ausbruch des Gebetes, eines Gebetes um Gold, — und da war ihm Gold aus dem Schmutz der Stra�e geworden!

Die Wirkung dieser Erinnerung war �berw�ltigend. Er griff mit beiden H�nden an die Schl�fen, �ffnete den Mund zu lautlosem Gel�chter, stammelte, schluchzte auf wie erl�st. Ein Zeichen, ein Gleichnis, eine Verhei�ung; ein Pfand f�r Gottes G�te hatte er besessen, ach, aus so fr�hen Tagen schon. Der Herr, der mich aus �gypten gef�hrt hat, dachte er ersch�pft und beseligt. Ja, er war auf dem rechten Wege. Er senkte das Haupt, er faltete die H�nde. Er dankte stumm.

Oh, aber da� dieser Teufel nicht von ihm weichen wollte, auch jetzt nicht, da er leichten Herzens an die Tagesarbeit gehen wollte. Da� es wiederum begann ihn anzugrinsen und ihn h�hnte mit der fahrigen Hast der eigenen Bewegungen, mit der unbestimmbaren Angst, die ihm am Herzen h�mmerte und ihn hetzte in der Erkenntnis, da� er ausgeliefert sei an eine dunkle Macht, ein Verirrter, ein Narr, ein — woher kam ihm nur dies Wort? — ein herrenloser Hund! — — —

„Der Professor zu Hause? Ist nicht zu Hause? Ist verreist? Schon wieder verreist? Ist in G�ttingen? Potztausend, — in G�ttingen! — So, so, — in G�ttingen!“

Diese Feststellungen, keinesweges in Wirklichkeit ausgesprochen und belauscht, sondern lediglich hervorgebracht von der etwas �berreizten Gehirnt�tigkeit Georges, der, soeben der Postkutsche entstiegen, �ber das holprige Pflaster des G�ttinger Marktplatzes eilte und in eine der winkligen Stra�en einbog, die zur Universit�t f�hrten, bewirkten, da� er sich in bescheidener Weise erheitert f�hlte. Wer mochte jetzt in Cassel dem wackeren M�hlhausen, seinem Bedienten, solche Fragen vorlegen und sich in Betrachtung versunken wieder von seiner T�re entfernen? Vielleicht Runde, der Jurist? Die Herren von der Anatomie, Stein und Bollinger? Nun, die w�rden versuchen, S�mmerring auszufragen. „So, so, — in G�ttingen! Schon wieder in G�ttingen.“ Ja, doch, — da war man wieder einmal in G�ttingen, hatte hinter sich den kleinen gestohlenen Reiserausch einer Nachtfahrt und jetzt das Gef�hl, weit weg von Cassel in einer erstaunlich anderen Luft zu sein … Zudem hatte man die Nacht sehr seltsam verbracht, hatte einen Reisegef�hrten gehabt, dessen Bekanntschaft eine Acquisition von unsch�tzbarem Wert ergab, einen jungen Mann, den George zun�chst f�r einen Herrn von Adel gehalten, der sich alsdann freilich unter dem Namen Meyer vorgestellt hatte, jedoch, was f�r ein artiger, interessanter Herr Meyer! George blickte sich einmal vorsichtig um, auch Herrn Meyers Reiseziel war G�ttingen gewesen. Indes Herr Meyer war verschwunden. Ja, also, da war man wieder einmal in G�ttingen und George fragte sich, ob diese kleinen Reisen, mit denen er alle paar Wochen einmal aus Cassel ausbrach, etwas wie Fluchtcharakter tr�gen? Atmete es sich nicht freier, sobald der Burgfriede jener Stadt hinter einem lag, kl�rte sich einem nicht der Kopf, verga� man nicht dies und jenes, Zust�nde, Gedankeng�nge, die aus der Ferne auf einmal unwesentlich, ja l�cherlich scheinen wollten, so bedrohlich sie einen bis gestern umdr�ngt hatten? Oh, es gab Gr�nde genug nach G�ttingen zu fahren, �bergenug! Hatte Cassel eine wissenschaftliche Bibliothek von einigem Belang aufzuweisen? Reichten seine Sammlungen, seine Institute auch nur entfernt an die der Universit�t heran? Hatte Cassel M�nner wie einen Heyne, einen Lichtenberg? Oh, also Gr�nde genug, und kein Vorwand n�tig, um diese h�ufigen Fahrten zu entschuldigen! Wenn nur nicht in einem selber tief innerlich das l�chelnde Bewu�tsein gelebt h�tte, da� alle diese triftigen Gr�nde eben eigentlich doch nur Vorw�nde waren! Denn letzten Endes gab es allein zwei Erkl�rungen f�r die magnetische Kraft von G�ttingen, und die eine davon war, da� diese Stadt au�erhalb jedes magischen Zirkels zu liegen schien, da� die Luft hier dem unerbittlichen Gedanken, der dem�tigen Arbeit, der exakten Forschung dienlicher war. Da�, — George verhehlte es sich keineswegs — die M�nner, die er hier verehrte, gewissen geheimnisvollen Bem�hungen, denen man in Cassel mit leidenschaftlich verbohrtem Ernst oblag, gleichm�tig gegen�berstanden, ohne Zustimmung, aber auch ohne Spott, ja, wie einer ganz und gar belanglosen Angelegenheit. George war aber in dieser Stunde der Ankunft, w�hrend er seinen Mantelsack im „K�nig von England“ abgab und bald darauf an einem Pult im Gew�lbe der Bibliothek lehnend sich Notizen machte, in seinem Geiste weit weniger mit diesen Begr�ndungen besch�ftigt, als mit der Erinnerung an jene ungew�hnlichen Nachtgespr�che. Vor allem ward er nicht m�de einen Satz hin und herwendend auszuspinnen, den der elegante Fremde mit l�ssiger Schwermut in die Mondesd�mmerung hineingesprochen hatte, die H�nde zwischen den Knien verschlungen, vorgebeugt und das sch�ne Gesicht zu den Gestirnen erhoben: „Jedes Leben, mein Herr Professor, hat zwei Pole, die Geburt und den Tod. Es entfernt sich von dem einen, um sich dem andern zu n�hern. Von einem bestimmten, immer individuellen Zeitpunkte an h�rt die ansto�ende Wirkung der Geburt auf — und beginnt die Anziehung des Todes …“ Und ich, — dachte George aufgew�hlt, — und ich? In seiner Einbildungskraft, die ihn mit ihrer sonderbaren Symbolik so gewaltt�tig meisterte wie je zuvor, nahm die Vorstellung des absto�enden Pols die Gestalt nicht der ihn Geb�renden, sondern die seines Erzeugers an: ha, es war der alte K�nig Minos, pausbackig und puderper�ckig, der ihn da hinausschleuderte in die Bahn, ihm nachblickend, wie er dahinfuhr, m�rrischen Angesichts, unzufrieden, ihn aus der Hand gelassen zu haben. George, zerstreut kritzelnd, und die Bl�tter der B�cher, die er f�r seine Arbeit n�tig hatte, l�ssig wendend, l�chelte vor sich hin bei seinen Gedanken, und blickte nun, seitlich geneigten Hauptes, hinaus in die gr�ne D�mmerung der Kastanienb�ume. Ja, ich bin dir entronnen, dachte er, heute frei von Bitterkeit und sommers��en Blutes froh, dein Ansto� war nicht schlecht, aber du hast keine Gewalt �ber mich. Ich fahre nun dahin … Er schrieb weiter. Siebenundzwanzig Jahre, dachte es dabei in ihm fort, und er dehnte sich in den Schultern, — ich bin noch jung. Und w�hrend er, zum Abschlu� gekommen seine Papiere ordnete und die B�nde auf ihre Pl�tze zur�ckstellte, ging es ihm durch den Sinn: wann wird mein Tod beginnen, mich zu locken — und in welcher Gestalt …?

Aber sein Herz, das heute so voll L�chelns war, lie� auch diese Frage im Licht untergehen. Er entzog sich diesen Gedanken, er h�rte statt aller Antwort den Namen: Therese, in sich aufklingen, — Therese, — und immer wieder Therese …

Es war Juni. In den G�rtchen an der Leine bl�hten die Zentifolien. George Forster ging, Therese Heyne aufzusuchen. — — —

Er, der die malaiischen Urw�lder kannte bis in die verborgenste Bl�te ihrer dampfenden Erdspalten, — der sich den lauen Wassern der S�dsee hingegeben hatte und vergeblich geworben um das starrende Geheimnis der Antarktis, — George Forster kannte nicht die Frau. Er hatte unter M�nnern gelebt, so lange er denken konnte. Was hatte die Mutter, was hatten die Schwestern bedeuten k�nnen in dem Ozean von M�nnlichkeit, den Reinhold Forster darstellte? Verschlingt nicht das Meer das s��e Wasser der Str�me? Ja, im salzigen Wind m�nnlicher Art hatte George gelebt, M�nner hatten ihn erzogen, geknechtet und neben ihm gearbeitet, M�nner hatte er bewundert und zu Freunden begehrt, — m�nnlich, geistig, hart und herbe war sein Fr�hling gewesen. Es gab gewisse einsame Erlebnisse seines K�rpers, die er verga�, sobald der Aufruhr der Nerven sich gelegt hatte. Die f�rchterliche sinnliche Erregung der zweiten Polarfahrt war eins dieser Erlebnisse gewesen, dies war der erste, und, wie ihm geschienen hatte, der letzte Ausbruch von in ihm wallenden Gluten gewesen. Der Herd war ersch�pft, jahrelang hatte er es nicht anders annehmen k�nnen. Er war der Z�rtlichkeit f�hig und bed�rftig, er trieb die Freundschaft bis zur Schw�rmerei. Frauen? O ja, mehr als eine hatte sich ihm gen�hert, seit Europa ihn wieder hatte, mehr als eine, angezogen von dem exotischen Duft seines jungen Ruhmes, von der Milde seines Geistes, seiner br�derlichen Freundlichkeit, — diese und jene vielleicht auch von dem Ger�cht, da� er gelegentlich tahitianische Kuriosit�ten als Souvenir verschenkte. Dies, er wu�te es selbst genau, waren angenehme Erfahrungen gewesen, aber ganz und gar ohne die tiefe Magie seelischer Ber�hrung, wie sie seine Begegnungen mit M�nnern wie Jakobi oder S�mmerring, — ohne den geheimen stachelnden Reiz einer aus r�tselhaften Gr�nden bek�mpften gegenseitigen Anziehung, wie ihn sein Verh�ltnis zu M�ller hatte; frei endlich von dem Gl�ck, — ja, er gestand es sich ein in Stunden zermalmter Demut, — von dem Gl�ck sklavischer Abh�ngigkeit, da� er trotz allem unter dem Joch des Vaters empfunden. Diese Begegnungen waren, — verwundert sann er manchmal dar�ber nach, — ihm niemals mehr geworden wie die Erinnerung an B�ume, Blumen und Schmetterlinge. Und war es einmal mehr gewesen, so war es begleitet gewesen von k�rperlicher Angst, die Flucht befahl, — Angst, die aus irgendwelchen Abgr�nden das Bild der Starostschenka heraufbeschwor und das der Tatarenfrau in Kasan, zugleich mit einem Duft nach Patschouli, nach asiatischem Lack, Holzkohlenrauch und irgendwelcher erstickenden menschlichen Ausd�nstung. Hierher geh�rten auch die Tr�ume von neuseel�ndischen Weibern, die ihn von Zeit zu Zeit �berfielen wie ein Alb. Kurz und gut, er ha�te diese Offenbarungen der Natur. V�llig ohne Erfahrung, wie er war, ahnte er doch, da� sie Anforderungen an seinen zarten K�rper stellten, denen er sich keineswegs gewachsen f�hlte.

Dennoch hatte er eines Tages die Grenze �berschritten und jenes Land betreten, unerforscht, und r�tselvoller als alle Urw�lder der Welt. Oh, nicht von heut auf morgen, aber er entsann sich nicht der Stadien dieser jahrelangen Reise, auf der er, sich selbst dessen kaum bewu�t, ein junger Mann von einigen Anspr�chen in bezug auf Kleidung, Bedienung und Auftreten geworden war. Er wu�te deutlich nur um die letzte Erfahrung auf diesem Wege: denn Karoline Michaelis, so meinte er, sei die Frau gewesen, bei der er zum erstenmal eine Ahnung des Aufschwungs des Leibes und der Seele gesp�rt habe, dessen er f�hig war. Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit er sich irrte, wie wenig er imstande war, die Grade zu ermessen, die sein Gef�hl durchlaufen hatte, um zu reifen. Diese Karoline jedenfalls, die ihn ein seltsam reizendes neues Gef�hl geistreichen Schmachtens gelehrt hatte, ein Gl�ck, das einen leichten Anhauch von Entsagung hatte: also dies war es, — nun ja, es war ein Gl�ck, immerhin … Diese Karoline war drauf und dran gewesen, ihn an den Rosenketten ihrer achtzehn Jahre sanft triumphierend mit sich fort zu f�hren, als, — ebenfalls achtzehnj�hrig, mit ein paar kurzen herrischen Schritten und b�se funkelnden Augen, — Therese dazwischen getreten war, ihre Herzensfreundin Therese, und jene Rosenketten ganz ohne alle R�cksichtnahme mit festen kleinen H�nden zerrissen hatte.

G�ttingen, — das war die einzige Stadt unter dem Himmel Europas, die diesen bezaubernden Schimmer hatte, die diesen Rauschduft atmete, die Erregungen ausstrahlte, jenes Fluidum, das einen geliebten K�rper umgibt. Eine kleine staubige Stadt an einem tr�ge schleichenden Fl��chen voll satter professoraler B�rgerlichkeit, das mochte Gott wissen! Dennoch, — die Stadt der G�rten voll Gei�blattlauben und Rosen. Die Stadt geheimer Dichtertrunkenheit und �ffentlicher Tollheit, die Stadt der J�nglinge, der Schw�rmer, der Poeten. Genug! G�ttingen, — das war die Stadt der Frau. — — —

George, an diesem Juninachmittag den Platz vor der Bibliothek eilig �berquerend, empfand einen sommerlichen Taumel, der ihm alle Gedanken raubte. Jenes Gartenh�uschen dort, das sein geschwungenes Dach mit der Bekr�nung des spitzen Pinienapfels �ber die Mauer des Heyneschen Gartens reckte, von bl�henden Rosen umrankt, jene Taxushecken, auf deren starrem dunkelgr�nen Polster sich wuchernder Jasmin in der �berf�lle seiner wei�goldenen Blumen w�lzte, — die Linden, weingelb �berbl�ht, — diese Luft, s��, schwer und warm, — hatte er das alles irgendwo auf Erden erlebt? Er f�hlte ein Stechen am Herzen, seufzte auf und ging langsamer. Wohl, dachte er, und blickte sich um wie ein Tr�umender, dies alles ist — wie Karoline. Therese aber, — wieder ging er schneller, der Schmerzen in der Brust uneingedenk, — Therese war inmitten seiner voll aufgebl�hten Empfindung wie eine z�rtliche Knospe, die sich nicht erschlie�en wollte, war stachelnd wie die tahitianische Ananas, war — wie dieser kurze warnende Schmerz in ihm, auf den er doch mit einer seltsamen Neugier wartete. Er seufzte wieder, schlo� die Augen einen Atemzug lang und l�chelte mit verzogenem Gesicht. Stellte er sich Therese nicht immer vor, wenn er Schmerzen hatte? Therese war ein Schmerz. Doch dieser Schmerz tat wohl.

Er war der Mann, der Deutschland mit der andern H�lfte der Erdkugel verband, — einer von den paar M�nnern, die sich an den Fingern herz�hlen lie�en. Wer immer es erreichte, ihm die Hand zu dr�cken, tat es wohl zuweilen in dem Gef�hl, einen Urwaldbaum anr�hren zu d�rfen; seine Augen, die so viele Wunder gesehen hatten, strahlten den Zauber einer andern Sonne, heftigerer Sterne aus. Abenteuer umflackerte ihn in der Vorstellung der Gesellschaft, der stete Glanz unerh�rter Leistung umgab ihn wie eine Gloriole. Zudem: er plauderte allerliebst, er hatte eine beziehungsvolle Art in Frauenaugen zu blicken, er stand in anmutiger Haltung an T�rpfeiler gelehnt und �ber Stuhllehnen geneigt, und diente jedem Salon zur begehrten Zierde. Er war, mit einem Wort: ach, — der junge Forster! Ja, selbst in seinem eigenen Bewu�tsein schaltete sich das Ich bisweilen v�llig aus und seine Stelle nahm der junge Forster ein, eine interessante Pers�nlichkeit von hohem Reiz, ein Mann von gro�en Meriten, dessen Gesamteindruck es sicherlich vergessen lie�, da� er pockennarbigen Antlitzes war und seine Zahnreihen vom Skorbut b�se mitgenommen. Der sonderbaren rauschartigen Gl�ckseligkeit, mit der ihn diese innere Verwechselung mit dem eigenen Spiegelbilde erf�llte, zum Trotz, kannte er einen Zustand entsetzlicher M�digkeit, in dem die Frage, ob denn kein Mensch um seine wahre Gestalt wisse, wie ein Schrei war. Ein Mensch, — oh ja, es gab einen solchen Menschen! Aber mit Blindheit geschlagen, gleich allen, deren Gestirne ihnen Irregang vorschreiben, — geschlagen mit dieser erstaunlichen Unempf�nglichkeit f�r das eigene Gl�ck, legte George seine Hand in die von Karoline Michaelis wie in die einer Schwester und ergriff die kleine br�unliche von Therese Heyne mit einem Zucken seines Herzens, das sich in einem kurzen Laut, halb St�hnen, halb Gel�chter, befreien mu�te. Ah, nun war er da, — nun, Gott sei Dank!

Die beiden M�dchen waren ihm Arm in Arm durch die Rabatten entgegengekommen. Er wandelte neben ihnen zur�ck, dem kleinen Lusthause an der Gartenmauer zu. Er begr��te die Professorin, Theresens heitere junge Stiefmutter, er begr��te den Professor, l�chelte, tat Ausrufe, gab das R�tsel auf: mit wem er wohl heute nacht gefahren sei? — denn Meyer hatte ihm Gr��e an das Haus Heyne aufgetragen, — empfand dunkel eine unerkl�rliche Beunruhigung, als er die Wirkung des Namens seines Reisegef�hrten auf den Gesichtern der M�dchen sah, eine aufflammende �berraschung, die sogleich wieder von einer nicht ganz echten Gleichg�ltigkeit niedergehalten wurde, — verga� das augenblicklich, indem er eine Tasse Kaffee aus Theresens H�nden entgegennahm, und fand ungesucht die zierliche Wendung, auf die er sich vorher m�hsam besonnen hatte, bittend, sie m�ge als Gegengabe f�r diese Schale morgenl�ndischen Rauschtranks dies Gewand der Insel aus dem Meere des Mittags allergn�digst aus seinen H�nden anzunehmen geruhen. Das St�ck schimmernden Aotobastes, das er bei diesen Worten aus dem mitgebrachten P�ckchen befreite und �ber den Scho� des M�dchens breitete, ward mit einem kleinen Jauchzen begr��t, und George h�rte nichts als Freude aus Theresens wortreichem Dank, den er mit einem Handku� abzuwehren trachtete, taub daf�r, da� hier und in der erregten Heiterkeit, die sich ihrer in der Folge bem�chtigte, ein Triumph mitschwang, denn, — hatte er es ganz vergessen, da� er vor einem Jahr Karoline ein �hnliches Geschenk gemacht hatte? Karoline war nun nicht mehr die einzige Besitzerin eines Ballkleides aus der S�dsee, — oh, Therese war an diesem Nachmittag ausgesucht z�rtlich zu der etwas schweigsamen Freundin, und die Professorin war ein wenig k�hl zu George und sehr holdselig zu den beiden M�dchen, — aber wer sollte das wohl beobachten? Heyne nicht, der nahm seinen jungen Freund alsbald mit stiller Gr�ndlichkeit f�r die Frage in Anspruch, inwieweit die Homer-�bersetzung des wackeren Vo� die bis dato vorliegenden Versuche von Bodmer und Stolberg �berrage … George selbst, — oh, auf keinerlei Weise, — so innig zerstreut er durch das Gespinst der Philologens�tze hindurch auf das Geplauder der Damen lauschen mochte … Gewi�, jawohl, der gute Vo� war nicht gerade mit peinlichster Genauigkeit vorgegangen, hatte sich gar getraut, in den Homer hineinzudichten … Therese, dachte George ersch�ttert, ist gar nicht sch�n, — ihr Kopf scheint zu schwer f�r die Zierlichkeit ihrer Gestalt. Was ist das, dachte er, Therese hat eine br�unliche Hautfarbe, ihre Nase ist zu kurz, ihr Mund nicht klein. Wenn Therese nicht jung w�re und ohne das Feuer ihres beweglichen Geistes in den gro�en etwas vortretenden Augen, — Therese w�re h��lich! Dennoch: Therese! Oder gerade darum: Therese! Soeben kam sie mit ihren kleinen festen Schritten den Gartenweg hinunter, sie hatte im Hause etwas zu besorgen gehabt, und wie sie nun stehen blieb, die Gesellschaft anblitzend und ihn vor allen andern, ausrufend, man werde jetzt zur Weender M�hle aufbrechen und dort zur Nacht speisen, — war da einer im Zweifel, da� es so geschehen m�sse, obgleich zuvor kein Mensch daran gedacht hatte, dies zu unternehmen? Seufzte nicht die Professorin ergeben, — nun ja, sie w�rde bei den Kindern bleiben, — eilte nicht Heyne, sich mit Hut und Stock zu versehen? Da� George die heilige St�tte noch nicht kannte, an der vor zehn Jahren der „Hain“ sich begr�ndet hatte, — nein, das war unverzeihlich. Und so wurde hinausspaziert, das Gl�ck wollte es, da� der Professor Lichtenberg auf seinem Abendgang begriffen sich ihnen anschlo� und Heyne mit Beschlag belegte. Die beiden M�nner gingen voran, George, am rechten und linken Arm die jungen M�dchen, hinterdrein. Die sanfte Landschaft, von dem stillen Gew�sser durchzogen, tat sich ihnen auf, der Himmel war weit, von silberrandigen Wolken erf�llt, — sie schwiegen, und dann seufzte eines von ihnen den Namen Klopstock. Die Herzen wurden ihnen gro�, sie blickten sich in die Augen, gewi�, da� kein F�hlender diesen Boden betreten konnte, ohne der J�nglinge zu gedenken, die vor kaum einem Jahrzehnt im Angesicht dieser Eichen f�r Gott, Vaterland und Tugend ergl�ht waren, — so sprach Therese es schw�rmerisch aus und dr�ckte des Freundes Arm gegen ihre Brust, w�hrend Karoline sich von ihnen l�ste und Blumen und gr�ne Zweige brach, um sich und die Gef�hrten zu bekr�nzen. Oh, er war George nicht fremd, dieser Ton, er fand einen Widerhall in seinem Herzen dort, wo im Elysium seines Innern der Tempel f�r Jakobi errichtet war; er kannte diese sanfte Wollust des Gedankens, die gern in Tr�nen schmolz, und gab sich ihr unbedenklich hin. Als der H�hepunkt des Gef�hls erreicht war, als sie wirklich im Schatten der B�ume dort im Weender Talgrund standen, die dem Schwur der Bundesbr�der zugerauscht hatten, da wurden sie freilich ein wenig ern�chtert. Denn hier lagerte bereits eine kleine Gesellschaft und bei n�herem Zusehen blieb kein Zweifel, da� es der ungl�ckselige Monsieur B�rger war, der hier inmitten seiner beiden Frauen des sch�nen Abends geno�. „Dieser Anblick“, �u�erte Therese im Weitergehen voller Wehmut, „bringt einem die Hinf�lligkeit aller edlen Vors�tze und Schw�re recht ins Bewu�tsein.“ Denn B�rger, wenn schon kein Mitglied des urspr�nglichen Bundes, galt er nicht in G�ttingen als der letzte dort wohnende Vertreter jener Dichtergeneration? Und nun entweihte er mit seinem Treiben selbst jenen Boden g�ttlichster Erinnerung! �brigens war B�rger so �bel nicht, dar�ber waren Karoline und Therese sich ganz einig. Die Frauen waren es, die ihn herabzogen, diese schlechterzogenen Schwestern, selbstverst�ndlich. Der Arme!

„Ei was! Der Arme!“ der Professor Lichtenberg hatte die letzten von Therese in getragenem Ton ausgesprochenen Worte geh�rt, denn jetzt lie� man sich im Grasgarten der M�hle um einen der langen rohen Brettertische nieder. Lichtenberg zog sein seidenes Schnupftuch und begann eifrig wedelnd die M�cken von seinem ger�teten Antlitz abzuwehren. „Ein Mann, der auf den Hund oder auf das Frauenzimmer kommt, hat das immer sich selbst zuzuschreiben, Demoiselle Thereschen, merk Sie sich das! Ist’s nicht an dem, mein weitgereister Freund? Die Bestie unter der dem Fu� halten, — wie? Den Hund, den Hund, meine Lieben, — oh kein Echauffement! Exk�sieren Sie, Karolinchen!“ Er schlug derb auf Karolinens vollen Arm.

„Ein M�ckchen sog sich satt

An Linchens s��em Blut

Es stirbt in Trunkenheit

Wie sanft solch Tod wohl tut!“

„Freund! Freund!“ Heyne schwenkte entsetzt die Hand an sein Ohr.

„Nun, das ist B�rgers Dunstkreis,“ redete Lichtenberg unbek�mmert, „da dichten auch die Steine. He, Mamsellchen, —“ dies galt dem aufwartenden M�dchen. „Mir eine Milch — und wenn Ihr ein wenig Beerenobst habt …“

„Wir, die wir unsere Kr�fte in Geist umsetzen, und Ihr, Wesen gleich Sylphen und Schmetterlingen,“ fuhr er fort, als die andern �hnliche W�nsche ge�u�ert hatten, „m�ssen unseren K�rper aus leichten Speisen, fl�chtigen Essenzen aufbauen. Im Ernst, teure Freunde,“ — er legte den Goldknauf seines Stockes an die Nase und blickte Heyne und George eindringlich beschw�rend an, — „es helfen uns einige weiche Eier, eine Tasse starken Kaffees, ein wenig Gallerte von Kalbfleisch meist eher zu einem Gef�hl der S�ttigung und der Rekonvaleszenz als eine derbe Mahlzeit. Oh, ich bin kein Kostver�chter. Aber ich habe meine Erfahrungen gemacht …“

In diesem Augenblick gab es einen kleinen Aufstand unter den jungen Leuten, Therese rief halblaut: „Karoline!“ und es war ersichtlich, da� sie unter dem Tisch der Freundin einen Sto� mit dem Fu� gab. George aber hatte sich erhoben und blickte freudigst einem Herrn entgegen, der sich dem Tische n�herte, den Hut in der Hand und augenscheinlich �berrascht, aufs angenehmste �berrascht, hier Bekannte anzutreffen.

„Wer von uns beiden, mein Wertester,“ sagte er l�chelnd zu George, nachdem er die beiden �lteren Herren begr��t und den Damen seine Reverenz bezeugt hatte, — „wer von uns beiden h�tte es vor zw�lf Stunden geahnt, da� uns so bald ein freundlicher Gott die Gelegenheit geben w�rde, unsere zuf�llige Bekanntschaft fortzusetzen?“ George, der einigerma�en bezaubert auf seinen eleganten Reisegef�hrten von heute Nacht blickte, konnte nicht umhin, dessen Worten zuzustimmen. Wurde Heyne schweigsam, seit Meyer neben ihm sa�? Blickte Karoline mit k�hlem Mi�trauen auf die Freundin, als die Bemerkung vom Gott dieser Gelegenheit fiel? Oh, George nahm dies durchaus nicht wahr. Angeregt gleicherma�en durch das Gegen�ber Theresens wie durch die Gegenwart des neuen Bekannten, geriet er in einen leichten Rederausch, um, endlich zu sich kommend, zu bemerken, da� niemand au�er Heyne und Karoline Anteilnahme f�r seine Pariser Erlebnisse aus dem Jahre 78 zu haben schien, — und hatte er nicht eben ganz charmant von dem alten Franklin erz�hlt? War denn Therese je in einer Gesellschaft in Paris gewesen, zusammen mit dem gro�en Franklin, hatte sie schon gewu�t, was f�r ein umg�nglicher alter Scherzbold das war, der sich „Papa“ nennen lie� und von oben bis unten grau in grau gekleidet ging? Nein, gewi� nicht! Dennoch, sie mu�te w�hrend solcher interessanter Erz�hlungen, — ja — und w�re es nicht eben George gewesen, der erz�hlte! — sie mu�te sich in ein Gefl�ster mit Herrn Meyer vertiefen und Lichtenberg schien das letzte Tageslicht zu ben�tzen, um auf seiner Schreibtafel etwas auszurechnen. George sah sich unsicher um und verstummte; Unbehagen �berkam ihn, was half es, da� Heyne ihn auf den R�cken klopfte und „trefflich, trefflich!“ ausrief? da� Therese ihm jetzt pl�tzlich einen tiefen Blick und ein L�cheln schenkte? da� Meyer ihm aufs Liebensw�rdigste sein sch�nes festes rosig-blondes Gesicht mit den k�hlen, spiegelnd blauen Augen zuwandte und etwas Scherzhaftes von seinem Neid auf Georges Erinnerungen verlauten lie�? Als aufgebrochen wurde, reichte er ausdr�cklich Karoline den Arm und schritt mit ihr hinter den andern her, sah die Nebel �ber den Wiesen wogen und den Mond gro� und rot aufsteigen. Das M�dchen an seiner Seite plauderte, — der junge Erzbischof von Osnabr�ck war k�rzlich in G�ttingen gewesen, hatte man in Cassel von ihm geh�rt und wu�te man, was f�r ein hinrei�ender Kavalier dieser junge Kirchenf�rst war? Er hatte drau�en in Weende einen veritabeln bal champ�tre gegeben und sich dabei belustigt wie ein Knabe; ja, Karoline bereute es jetzt bitter, sich durch eine tugendhafte Erw�gung um den Besitz einer solchen Erinnerung gebracht zu haben; denn sie war nicht zu diesem Fest gegangen, obgleich sie unter den geladenen Damen gewesen war. „Wie kommt es nur, mein Freund,“ sagte sie mit allerliebstem, sinnendem Ernst, „da� es meist unsere Tugenden sind, die uns hinterher Reue kosten?“

George l�chelte ein wenig bitter.

„Es n�tzt nichts, sich dergleichen vorzuhalten, teure Freundin,“ sagte er, den Blick auf das vor ihnen herschreitende Paar, Meyer und Therese, geheftet. „Nehmen wir uns vor, bei zuk�nftigen Gelegenheiten weniger gewissenhaft zu sein!“

Karoline seufzte. George bemerkte es nicht. Vom Flu� her�ber kam das Quarren der Fr�sche und nun, — zagend, wie stammelnde Sehnsucht, — der Ton einer kunstlosen Fl�te. Die Ebene klagte.

George schlug einen schnelleren Schritt an, um gleich wieder einzuhalten. „Seltsam!“ sagte er schwer aufatmend und dr�ckte die Hand auf seine Brust. „Seltsam, da� ich zu manchen Zeiten das Gef�hl habe, als hinge mein vergangenes Leben mit der Schwere eines Jahrhunderts an mir. Als m��te ich eilen, irgend etwas einzuholen … Oh, Karoline, — sollte dieser Abend Symbol meiner Zukunft sein?“

„Welch tr�be Ahnungen, bester Freund!“

Und nach einer Weile setzte das M�dchen wie gegen ihren Willen hinzu: „Meyer ist gewi� ein unendlich liebensw�rdiger Mensch von Geist und Kenntnissen. Aber, glauben Sie mir, — Therese wei� zu unterscheiden …

Sie wei� es, so gut wie ich …“

Dies kam so verloren hintennach. Ach, George �berh�rte es v�llig. Therese wu�te, zu unterscheiden! War diese Versicherung nicht Grund genug, Karolines Hand an die Lippen zu ziehen? —

„Nein, ich tr�umte nicht, denn ich schlief ja noch gar nicht!“ dachte George, gewaltsam die Augen �ffnend und im Mondlicht jede Einzelheit seines schlichten und dennoch komfortabeln Logierzimmers im „K�nig von England“ wahrnehmend. „Rechnet man denn im Traum?“ dachte er weiter. Herrn Meyers Stimme hatte, — dicht an seinem Ohr, — soeben gesagt: „Nunmehr beginnt die Anziehung des Todes …“ und „Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt,“ hatte George hierauf erwogen, „folglich siebenundzwanzig und siebenundzwanzig macht vierundf�nfzig …“

„Bergab brauchen Sie nur die halbe Zeit, Herr Professor!“ hatte da jemand anders gesagt, und George h�tte darauf schw�ren m�gen, Therese vernommen zu haben.

Von der Johanniskirche schlug es eins.

„Nat�rlich habe ich getr�umt,“ seufzte George schlaftrunken, und — „Therese wei� zu unterscheiden!“

Er l�chelte in die Dunkelheit hinein und sank in Schlummer zur�ck, die Hand �ber die Augen gelegt zur Abwehr feindlicher Gewalten, wie einst, als er ein sehr kleiner Knabe war. —

Ein Mann, der eine Familie begr�nden will, bedarf der Mittel, um sie standesgem�� zu erhalten, — das steht au�er aller Frage. Ein Mann, auf dessen geistige Kundgebungen ganz Europa mit liebender Ehrfurcht lauscht, und, — innerhalb des eigenen Bewu�tseins ist ein solches Zugest�ndnis wohl erlaubt? — er war ein solcher Mann! — hatte die Verpflichtung, das kostbare Triebwerk seiner Schaffenskraft ununterbrochen zu speisen und in Gang zu halten. Er bedurfte also der B�cher, der Kupfer, der Landkarten, der Instrumente, der Gesteinsproben, der Kuriosa aller Art, — bedurfte kurzum der Arbeitsmittel im weitesten Ausma�. Ein Mann, der sich in der Welt bewegt und der alle Tage gew�rtig sein kann, vor irgend einen hohen Herrn treten zu m�ssen, er darf sich �u�erlich nicht vernachl�ssigen, er hat auf eine soignierte Erscheinung zu achten, auf eine gewisse solide Eleganz, — f�r die das Leben in England ohnehin den Grund gelegt hatte, — er bedarf, da ihm selbst seine Gesch�fte keine Zeit f�r dergleichen Peinlichkeiten lassen, einer geschulten Bedienung.

Dies alles zusammengefa�t und ruchlos nackt ausgedr�ckt: ein Mann von solchen Anspr�chen bedarf des Geldes. Wenn er kein Geld hat, wird er, verlockt durch den Kredit, auf den er �berall und ohne Anklopfen trifft, Schulden machen. Schulden aber werden ihn, infolge �bler Erfahrungen aus fr�hen Tagen, n�chtlich dr�cken wie ein Alp. Hat er gleich von fr�h auf gelernt, da� man, um seine Bed�rfnisse zu befriedigen, eben Geld bed�rfe, komme es aus welcher Quelle es wolle, falls sie nur ehrlich sei, so ist er doch durch Schaden so klug geworden, zu wissen, da� manche Quellen die Eigenschaft haben, sich selbstt�tig zu vergiften. Er wird also andere untr�gliche und urspr�ngliche Quellen suchen, und dies tat George Forster, einer kindlichen, trotzigen Gl�ubigkeit voll. In diesem Gang des Labyrinthes hallte das Heulen des Minotauros sehr s��, ganz Gold und ganz Therese. Da� sie nur wieder vernehmlich war, diese Stimme der Gefahr, diese Lockung ins Ungewisse, der zu folgen s��er Schwindel war, ein Taumel Geistes und Blutes, der Rausch, der es erst wert war, Leben zu hei�en! Da� man nur wieder unter Projekten einherging, Aussichten erwog, auf dem Schachbrett der M�glichkeiten Verdienst und Beziehung gegen bestimmte armselige Figuren ausspielte!

„Im Vertrauen, Freund,“ sagte George zu S�mmerring, den Blick in seltsamem Strahlen auf die T�rme der Stadt gerichtet, die vor ihnen in der Morgensonne blitzten, „ich konnte von je nicht gl�cklich sein, ohne die Ver�nderung vor Augen, den Aufstieg, die Wendung zum Guten. Eine Unruhe ist mir angeboren, — oder anerzogen.“

„Dies verdankst du deinem Herrn Papa,“ bemerkte S�mmerring trocken.

„Wie dem auch sei,“ gab George unber�hrt zur�ck, „in diesem Augenblick der ungeheuern Spannung f�hle ich meinen Fu� nicht, der mich auf dem Hinweg so unertr�glich molestierte.“

Er blieb stehen, l�ftete das Seidentuch, das ein irdenes Gef�� in seiner Rechten verh�llte, und blickte angelegentlichst hinein. „Ohne Zweifel,“ murmelte er, „ohne allen Zweifel! Materia prima, — materia prima …“ Dies letzte fl�sterte er kopfsch�ttelnd, verkl�rt, sah auf und beeilte sich S�mmerring einzuholen, der mit m�rrischem Gesicht weitergegangen war und seinen Stock auf eine betont unentwegte Art und Weise durch die Luft schwenkte. „Du bist verstimmt,“ sagte George unwillig, „nun, ich begreife dich nicht … Jetzt auf der Schwelle der Gebetserh�rung …“

S�mmerring blickte zur Seite. —

Sie waren beide in derben Kleidern, hatten vollst�ndig durchn��tes Schuhwerk und sahen auch sonst mitgenommen aus wie M�nner, die vor Tau und Tag zu irgendeiner harten Arbeit aufgebrochen waren. Sie hatten eine Morgenwanderung hinter sich, eine Forschungsfahrt, eine kleine wissenschaftliche Expedition, die von Erfolg begleitet gewesen war.

Im Opus mago-cabbalisticum steht geschrieben: „Wenn der nitrosulphurische Zunder, woraus Blitz und Donner entstehen, in unserem Luftkreis keine w�sserigen D�mpfe oder Wolken antrifft, die ihn zusammentreiben und einschlie�en k�nnen, so bleibt dieser auf die sublimste Art gleichsam in einer geistlichen Gestalt in unserer Luftregion hin und wieder zerteilet, dessen grobe Teile aber werden durch ein schleimiges merkurialiches Wasser globulieret, und des Tages �ber durch die Sonnenstrahlen entz�ndet, da� dieselben des Nachts bei hell gestirntem Himmel den Fixsternen gleich scheinen, bis ihr Schwefel verzehrt ist, da sie dann wieder auf die Erde fallen; und ein solches Meteorum hei�t der P�bel Sternschnuppe.“

Dieser Sternschnuppensubstanz, diesem geheimnisvollen Stoff voll unabsehbarer Verwandlungskr�fte waren sie auf der Spur gewesen, hatten sie gesucht wie es angegeben war, an einem Fr�hlingsmorgen nach einem n�chtlichen warmen Gewitterregen, eh noch die Sonne ihre Strahlen darauf geworfen hatte. Wie die Kraniche waren sie im hohen Gras einer sumpfigen Wiese vor dem D�rfchen Weckerhagen umhergestelzt in stoischer Gleichg�ltigkeit gegen einen b�uerlichen Volksauflauf, der sich jenseits des Rains auf der Landstra�e ansammelte. Und es war gegl�ckt! Wasserblau, gallertartig und z�he, kugelig und wie von Fett strotzend hatte es in Vertiefungen des Erdbodens gelegen, sie hatten sich klopfenden Herzens dar�ber hergemacht und die Gef��e gef�llt. Sagte ein Bauernjunge, der, seine Neugierde nicht l�nger beherrschen k�nnend, herangekommen war, grinsend: „Das mache die Fr�sch’ …“? Das Volk war roh! Und das war recht gut. Nur dem Eingeweihten, dem Magier l�chelte die Natur ohne Schleier ins wissende Auge.

„Konnte jener Flegel dich in deinem Glauben wankend machen?“ fragte George heftig, „bist du der Gnade so wenig wert?“

S�mmerring wandte ihm die kleinen, ein wenig schr�g gestellten Augen bek�mmert zu. „Der Kerl sprach etwas aus, was ich l�ngst vermutete,“ sagte er in klagendem Westpreu�isch, „diese Materie ist als die Ablagerung gewisser Kr�ten, Fr�sche oder Schnecken zu betrachten, mit ihrem Fortpflanzungsgesch�ft zusammenh�ngend, wenn nicht alles t�uscht. Es entspricht dies Beobachtungen, die ich als Knabe auf den Wiesen an der Weichsel gemacht habe. Man betr�gt uns. Als ich uns dort im Grase hocken sah und deines Weltruhmes gedachte, �berkam mich Scham, — ich h�tte weinen k�nnen!“

„Schweig!“ herrschte George ihn an. „Du hast keine Demut! Uns ziemt zu glauben und zu gehorchen!“

Er schritt st�rmisch vorw�rts, die Lippen zusammengepre�t; S�mmerring folgte verkniffenen Gesichtes. Lerchen tr�ufelten ihren Gesang �ber die jungen Saaten, am Wege lockten Ammern in den Apfelb�umen. L�ndliche Fuhren �berholten sie, von Bauern in blauen Kitteln gef�hrt, M�dchen, die kurzen, gef�ltelten R�cke wippend, Lasten auf den K�pfen tragend, schritten schwatzend vorbei, in den Stra�en der Stadt empfing sie das Gewimmel eines Markttages. Die Professoren S�mmerring und Forster rannten finster hindurch. Die ersten Worte, die einer von ihnen nach jenem Gespr�ch auf der Landstra�e h�ren lie�, sagte George, sagte sie ein wenig atemlos zu dem Hofrat Prizier, der ihnen schwarzbekittelt in seinem Arbeitsgew�lbe in den Kellern der Residenz entgegentrat. „Wir haben sie!“ sagte er in herausforderndem Ton und reckte die Hand mit dem irdenen T�pfchen aus. Nun, war er etwa nicht von Gl�ck �berstr�mt? Was galt’s nun noch, als aus jenem astralischen Subjekte die kostbare, die unsch�tzbare tinctura universalissima, den Stein der Weisen auszuscheiden, sie von ihrem Fluch zu reinigen und zur �bervollkommenheit zu bringen?

George, erregt in dem weiten Gew�lbe auf und nieder schreitend, und blitzenden Auges �ber S�mmerring hinwegsehend, wiederholte sich krampfhaft die Verhei�ungen des Annulus Platonis. Reichtum, — Weisheit, — ein Leben �ber Jahrhunderte hinaus … war’s nicht so? Prizier hantierte mit Tiegeln und Retorten, auf dem Herd in der Ecke blakte ein Feuer auf. S�mmerring hatte einen schwarzen Kittel �ber seine Kleider gezogen und arbeitete auf einmal schweigsam und angespannt. Der Blasbalg fauchte zwischen seinen H�nden. „Ich sollte mehr von der Chemie verstehen,“ dachte George tr�umerisch, seiner Erm�dung nachgebend, an einem der schie�scharten�hnlichen Fenster lehnend und den ganzen Aufwand des Adepten betrachtend, Hunderte von B�chsen und Fl�schchen, von ihrem Inhalt rubinen, smaragden, schwefelgelb gl�hend. „Ich sollte die einfachsten Grundlagen meiner Wissenschaft besser beherrschen,“ redete jene unbeaufsichtigte Stimme noch einen Augenblick lautlos weiter, — „was bin ich mehr, als der vom K�nig Minos dressierte Pudelhund?“ „Den Seinen gibt’s der Herr schlafend!“ fiel sich George hier selbst heftig ins Wort und dachte zugleich: „ist’s meine furchtbare M�digkeit, die mich immer wieder nach diesem Wort greifen l��t, — gerade nach diesem?“ Er n�herte sich Prizier, der mit fanatischem Gesicht und feierlichen Geb�rden an einem Tisch hantierte, Essenzen auf die grauwei�e Sternschnuppensubstanz tropfte und ihre Wirkung mit fiebernden Augen beobachtete. Seiner Verpflichtung endlich eingedenk, fuhr George nun auch in ein Arbeitskleid und tat Handreichung, murmelte gewisse Spr�che und suchte mit Gewalt das zu �bert�nen, was seit S�mmerrings Worten auf der Landstra�e unaufhaltsam in ihm reden wollte. Mein Gott, dieser S�mmerring, der jetzt so hingegeben auf Priziers Finger sah, als hinge seine Seligkeit von dem Erfolg seiner Bem�hungen ab! Was hatte er ihn anger�hrt, ihn, den so gern und gl�cklich Schlafwandelnden? George, vergessend den Geist zur Sache zu zwingen, lie� die Augen wiederum wandern. Und da pl�tzlich, — war’s ein Wort, das gefallen war, ein Ger�usch, der fl�chtige Duft irgendeines Arkanums, eine kaum gesp�rte Blutwallung in seinem Gehirn? — pl�tzlich �berkam ihn das r�tselhafte Behagen, das er einst in fr�hen Morgenstunden in des Vaters Kabinett hatte empfinden k�nnen, ehe die Tagesarbeit begonnen hatte und wenn alle Gegenst�nde, B�cher, Papiere, Schreibger�t, so sachgem�� und r�stig dagestanden hatten, als w�rden sie sich sogleich selbst�ndig in T�tigkeit setzen, — das ihn einst wie ein Rausch �berkommen hatte bei dem Aufenthalt in Dalrymples Arbeitsraum und aus dem er auf der Reise Kraft gesogen beim Anblick von Cooks rechteckig aufgestelltem und blinkendem Ger�t. Nun, — Prizier war kein Cook, er war kein Dalrymple. Er war dem Vater in keiner Weise vergleichbar. Jedoch, er stand hier als der Meister und S�mmerring und er selbst als gl�ubige Sch�ler. Handreichung tun und gehorchen, sich von der Stimmung dieses Raums, diesem magisch-wissenschaftlichen Aufbau, dem ausgestopftem Krokodil an der Decke, dem grinsenden Totenkopf dort auf der schweinsledernen Bibel unter dem Kruzifix in das selig verantwortungslose Gef�hl des Zauberlehrlings hineinsteigern zu lassen, — dies war das verlockende Spiel einer Phantasie, die sich selber ernst zu nehmen liebte. George war f�r Minuten v�llig gl�cklich. Verz�ckte Sammlung aller Strahlen des Gef�hls auf den einen Brennpunkt gelang ihm: so wie g�ttliche Sch�pfungs- und Verwandlungskr�fte sich niedergeschlagen hatten in dieser k�stlichen Masse, diesem wahren sperma astrale, dem Weltensamen, so meinte er einen �bermenschlichen Grad aller Spannkr�fte des Gem�ts erreicht zu haben, — als eine schroffe Bewegung Priziers, der das Pr�fgl�schen gegens Licht erhoben hatte, ein unwilliger Laut, ihn herausri�. „Nichts!“ stie� Prizier hervor und warf das Glas klirrend auf den Tisch. Und „Nichts!“ wiederholte eine andere Stimme und eine Gestalt trat mit lautlosem Schritt neben George, ihm die Schulter ber�hrend, da� er mit einem unwillk�rlichen Schrei zur�ckfuhr. Woher war sie gekommen, aus welchem Schatten des Gew�lbes? „Du hier, Bruder Manegogus?“ murmelte George ersch�ttert und blickte auf S�mmerring, dessen H�nde schlotterten.

„Ich hier, — jawohl, Bruder Amadeus! — wann w�re ich nicht um euch?“

Eine entsetzliche K�lte, ein Unlustgef�hl sondergleichen �berkroch George, als er den Ank�mmling anblickte, der nun an Priziers Stelle an der Breitseite des Tisches lehnte, sich aufst�tzend und seine lange flache, bis zum Halse schwarz eingekn�pfte Gestalt vorn�berschwanken lie�. Das im Gegensatz zu der niederen Stirn und der geringen Nase schwere eckige Kinn schob sich h�hnisch vor, die rechte Hand hob sich, um geballt auf die Tischplatte zu fallen, da� die Gl�ser erklirrten.

„Und ich sage euch, es fehlet am Glauben!“ sagte die verschleimte Stimme, „am Glauben fehlt es, — ich wei� nur noch nicht, bei welchem von euch!“ Die breiten Kiefern mahlten, die �uglein gingen lauernd zwischen S�mmerring und George hin und her. „Wo das Gebet lau ist, schl�ft der Glaube ein. Wachet und betet. Die Oberen sind unzufrieden mit euch. Strafe droht. Hat einer von euch — Geheimnisse verraten?“

Und w�hrend S�mmerring den Kopf h�ngen lie�, wie ein gescholtener Knabe, war in George auf einmal der Ekel stark genug, da� er den Mann dort hinterm Tisch nicht anders sah, als er war, die Entt�uschung �ber das mi�gl�ckte Experiment hatte ihn ern�chtert wie ein Sturz kalten Wassers.

„Was will mir der Schleicher, der verfluchte Pfaffe?“ dachte er in kalter Emp�rung, indem er zur�cktrat und sich des Arbeitskittels entledigte, als sei er allein …

„Ich bin nunmehr doch der �berzeugung, Herr Hofrat,“ sagte er zu Prizier, der mit untergeschlagenen Armen und stieren Augen an der Wand lehnte, den Mann, dem eine letzte Hoffnung fehlgeschlagen ist, mit der mimischen Begabung seiner franz�sischen Herkunft darstellend, — sagte es in leichtem Ton, als ber�hre er l�ngst Vermutetes, „da� es sich hier nicht um eine Verdichtung des spiritus mundi oder der terra virginea handelt, sondern — um den Laich von bufo vulgaris, der gemeinen Erdkr�te. Darf ich mich f�r heute empfehlen? Du kommst noch nicht, S�mmerring? Nun, auf ein ander Mal! Gehorsamster Diener allerseits!“ — —

Der Bogen war �berspannt worden.

„Was europ�ischer Ruhm und F�rstenfreundschaft, Glanz der Wendekreise um mein armes Haupt und s�dliches Inselmeer zu meinen F��en!“ dachte George Forster, und er dachte mit Pathos, der gro�en Stunde angemessen, — „w�re ich ihr genaht, ein bescheidener junger Gelehrter, — etwa ein S�mmerring,“ — schaltete er ein, ‚beiseite‘ denkend, wie die Helden im Schauspiel beiseite sprechen, — „unbekannten Namens, ohne einen andern Ruhm als den meiner Redlichkeit und eines f�hlenden Herzens, — w�re ihr genaht an der Hand ihres wackeren Vaters etwa, die eigene Hand auf der Brust und die Augen zu Boden geschlagen …“ George verlor sich derma�en in diese Vorstellung, da� er sich selbst in der sparsam am�blierten Wohnstube des Hauses Heyne stehen sah vor Therese, die in einer zuchtvollen Haltung n�hend am Fenster sa�, und den Alten wohlwollengetr�nkte Worte �ber sich reden h�rte, — er blickte tr�umerisch �ber den Brief hinweg, in dem er gelesen hatte, und bewegte ekstatisch den Kopf … „dann, — ja dann k�nnte ich es glauben, dies Gl�ck! Oh, G�tter, aber warum zweifle ich?!“

Er sprang auf und ging mit langen Schritten in dem Kabinett auf und nieder, in dem alles zum Aufbruch ger�stet stand, die Kisten dort, mit seinen B�chern, Instrumenten, Sammlungen, — die ledernen Reisekoffer, der Mantelsack, noch nicht zugeschnallt, des letzten Eigentums harrend, — ach, dieser gute, treue Mantelsack, in London f�r die Pariser Reise gekauft und nun, mitgenommen und abgerieben wie er war, von all den einsamen Fahrten der letzten Jahre erz�hlend, letztlich von den n�chtlichen Ritten nach G�ttingen! George ber�hrte ihn gedankenverloren und z�rtlich mit der Hand, — o ja, es ging nun einmal Reiz und Zauber ohnegleichen von den Dingen aus, die der Reise dienten!

„Merkur mu� �ber mir stehen so gut wie Saturn,“ dachte er inbr�nstig und der Rausch des Reisefiebers lie� ihn wieder l�cheln, so haltlos, wie sich ein Mensch nur in der Dunkelheit oder v�lligen Einsamkeit dieser seltsamen Grimasse �berl��t. Und, wohl empfindend, aus welcher Quelle dieses unendliche L�cheln sich speiste, trat er ans Fenster, um im letzten Schein des Aprilabends Theresens Brief von neuem durchzulesen.

Durch Jahre hindurch kannte er nun diese fl�chtigen, launisch bewegten Schriftz�ge, kannte sie aus kurzen Billets, rasch hingeworfenen Gr��en, spielerischen Fragen nach seinem Wohlergehen, Einladungen, — kannte sie aus langen, schw�rmerischen Episteln, Antworten auf Erg�sse seines eigenen gepre�ten Herzens, aus einem Briefwechsel, bei dem es dem Anschein nach um eine Vertiefung in Gott und Welt und um die wahre Gl�ckseligkeit des Herzens gegangen war, der ein behutsames Abtasten seelischer Grenzgebiete, ein zartes Ausforschen von Wegen in die r�tselvollen Landschaften des fremden Ichs hatte bedeuten sollen und der, — George nahm vielleicht an, er allein sei sich dessen bewu�t gewesen, Mann, der er war, mit einer Vorstellung von der schmetterlingshaften Ziellosigkeit weiblichen Gem�tslebens, geeignet, ihn beliebig in R�hrung zu versetzen, — der von Anfang an das gewesen war, was Spiel und Tanz den Geschlechtern sein mu�, Werbung von der einen, Hinhalten auf der anderen Seite. Und nun, �berrascht, ja, �berw�ltigt trotz aller Gewi�heit seiner Hoffnung, in diesem Augenblick, da er sich Gott �bergeben hatte, um nach Litauen zu gehen, an die Universit�t Wilna, wohin sein G�nner, der Hofrat Czempinski in Warschau, ihn an die Universit�t empfohlen hatte, — nun sah er sich am ersten Ziele der W�nsche, auf die dieser Briefwechsel aufgebaut gewesen war: er las, mit ungl�ubigen Augen und zitterndem Herzen zum drittenmal den Satz, da� Therese Heyne „dem�tigen Herzens geneigt sei, die zuk�nftigen Schicksale ihres liebsten Freundes zu teilen, wie immer sie auch fallen m�chten.“ Er las diese fast allzu deutliche Antwort auf eine verh�llte Anfrage seines letzten Briefes, und endlich, endlich sp�rte er den Schauer des Leibes und der Seele, auf den er gewartet hatte, der doch eintreten mu�te, verga� zu zweifeln, f�hlte sein Blut hei� und gewaltt�tig steigen, wu�te, dies, — ja, dies war eine Angelegenheit des Blutes, und all die Jahre hindurch bei dem ganzen Aufwand von Geist, Papier und Tinte hatte es sich zun�chst um diesen einen Augenblick gehandelt, — dr�ckte in einem kurzen Taumel oder aus Folgerichtigkeit, oder, weil er sich diesen Augenblick der Erf�llung nun einmal von jeher so vorgestellt, den Brief erst an die Lippen und dann ans Herz, blickte verz�ckt in die Wolken und bek�mpfte bei alledem in sich die bittere Entt�uschung �ber den Schlu� des Briefes, der als Wunsch des alten Heyne den Satz enthielt, da� auf ein Wiedersehn, etwa jetzt auf der Durchreise, zu verzichten sei. „Der Vater meinte, da� wir fernerhin korrespondieren m�chten und uns einstweilen im schriftlichen Austausch unserer Seelen gen�gen lassen. Ich bin gew�hnt, mich seinem Willen zu f�gen, auch dort, wo es mir schwer f�llt, und ich bin �berzeugt, der beste Sohn der Welt, als den ich meinen Forster kennenlernen durfte, mu� mir hier recht geben …“ so schrieb Therese und: „Oh, ja,“ dachte George bitter, „der unaufh�rlich z�rtlich gehorsame Sohn, wie sollte er nicht?“ Gewi�, Therese war jung, — aber wu�te Heyne denn nicht, wie er, George, verzehrt von Glut und Einsamkeit war?

In einem Jahr, stand da noch, in einem Jahr, wenn er sich in Polen eingelebt habe und zu Besuch nach Deutschland kommen w�rde …

Nun, wu�te dieser alte Mann mit seinem Schatz sicher erworbener gleichwertiger Jahre auch, was ein Jahr mehr f�r den hie�, dem die Jahre bisher Unrast, Qual und Heimatlosigkeit bedeutet hatten? Noch ein Jahr der Verlassenheit, des Leids, des Verlangens, der Askese? Gut, gut, er w�rde sich f�gen; aber dies war hart!

Auf dem Flur schepperte die Glocke, die Wirtin schlurfte drau�en vor�ber, um zu �ffnen. Morgen bin ich fort, dachte George unbewu�t. Ach, er w�rde wenigstens die Allt�glichkeit dieses Ortes abstreifen! Nun kam S�mmerring, der Teure, um den letzten Abend mit ihm zu verbringen. Und indem er den Freund in der letzten D�mmerung umarmte, — „Bruder!“ fl�sterten beide im Einklang ihrer Bewegung, — f�hlte er die Frische des Fr�hlingsabends auf seinen Wangen und lie� die H�nde niedergleiten mit der wehen Empfindung, als m�sse er etwas Unwiederbringliches fahren lassen. Was widersinnig war, — indessen, — wer war ihm in seinem Leben bis jetzt das gewesen, was Samuel S�mmerring war? „Lassen wir das Licht!“ sagte S�mmerring mit belegter Stimme, „Teufel auch, liegt denn auf jedem Stuhl etwas? So. Und dies ist nun unser letzter Abend.“

„Ich habe dir etwas zu sagen, Bester!“ sagte George.

„Ich dir auch.“ S�mmerrings Stimme klang erregt. „Ich habe sie nicht!“ — „Was? Wen hast du nicht?“

„Guter Himmel! Da fragst du! Worauf warten wir denn? Die Exemptuspatente!“

„Die Exemptuspatente! Gut, gut,“ murmelte George zerstreut, „du bist noch eine Weile hier, du wirst sie mir nachsenden.“

Es handelte sich um die Best�tigung ihres Austrittes aus jener geheimen Gesellschaft, deren Mitglieder sie bis vor kurzem gewesen, deren Ziele ihnen weltbewegend erschienen waren, so wie die Entdeckung, da� ihr Aufbau Scheinarchitektur und hohle Kulisse sei, sie ersch�ttert hatte, gleich dem Zusammenbruch eines Tempels. Indessen, — dies alles sank ja von George wie ein altes Kleid.

„Verzeih mir,“ sagte er etwas lebhafter, „ich gebe dem allem keine gro�e Importance mehr. Die Exemptuspatente. Nun ja. Und wenn wir sie schlie�lich auch nicht bek�men …“

„So w�rden wir aller Orten als wortbr�chige Br�der und Verr�ter unseren Steckbrief haben und der Verfolgung und Rachsucht der Oberen ausgesetzt sein! Du f�rchtest sie nicht mehr? Nun, du w�rdest sie wieder f�rchten lernen!“ S�mmerring rang die gro�en H�nde. „Ungl�ckliche, Blinde, die wir in dies Verh�ngnis rannten! Manegogus ha�t uns. Er wird uns Stein um Stein in den Weg rollen.“

„Er ist ein Narr,“ sagte George ruhig, „bleibe ja kalt und gelassen in allem, was ihn betrifft! H�re mich an!“

Er trat ans Fenster und legte einen Augenblick die Stirne an die k�hle Scheibe. Messerscharf stand die Firstlinie des Daches gegen�ber gegen den gr�nlich-klaren Himmel. Alte D�cher, dachte er, ich seh euch nicht wieder im Sonnenlicht! Ach, die Orte, die er schon hinter sich hatte versinken sehen!

„Du kennst meinen Charakter,“ begann er, sich ins dunkle Zimmer zur�ckwendend, „es waren nicht Vorspiegelungen, Bestechungen mit angenehmen Aussichten auf Wohlleben und dergleichen, die mich verf�hrten …“

„Nein, bei Gott,“ beruhigte er sich selber, „denn die Hoffnung auf Gold, sie war mir aus den edelsten Gr�nden teuer, — war es nicht so?“

„… sondern Wahrheitsliebe, brennender Durst nach �berzeugung von gewissen Wahrheiten und der schw�rmerische Hang, sie f�r wahr zu halten, — das war’s doch einzig, was mich die vier Jahre hier laborieren lie�! Darum habe ich an meiner vermeintlichen Geistesreinigung gearbeitet, mich kasteit, allen unschuldigen Freuden des Lebens entsagt, habe voll redlichem Enthusiasmus in unseren Versammlungen geredet, bin bei den Bundesbr�dern die Runde gegangen, habe sie ermahnt und angefeuert, habe Geld und Ruhm in die Schanze geschlagen, kurz, alle Kr�fte aufgeboten, um das Ziel zu erringen, welches man uns als erreichbar gezeigt hatte. Und nun, da ich endlich eingesehen habe, da� mich diese Verirrung nicht nur jene 500 Taler bar gekostet hat, sondern gewi� mehr als 1500 an verschwendeter Zeit und unsch�tzbare Summen an Kenntnis, die ich mir in den vier Jahren h�tte erwerben k�nnen, und so viel an Freuden des Lebens, die meinen Kopf h�tten aufhellen, meinem Herzen h�tten Schwung geben k�nnen, — seitdem ich mich und auch dich als so betrogen erkannt habe, seitdem“ — und er stie� den Stuhl, dessen Lehne seine H�nde umfa�t hielten, heftig auf den Boden, — „seitdem erlaube ich es mir, eine schlechte Sache schlecht zu nennen und ihre Vertreter zu verachten. Ja, S�mmerring, f�r mein Leben fluche ich der Schw�rmerei! Freimaurerei und Rosenkreuzerei sind abgetan f�r mich. Meine Natur ist dem Mystischen entgegen. Es war nicht Fr�mmelei, die mich zum Betbruder machte. Es war — etwas anderes …“

„Du meinst?“ fragte S�mmerring zaghaft aus dem Dunkel.

„Ach, genug! Ich habe viel entbehrt, Bruder. Bitterer, als andere. Ich wei� es jetzt.“

„Therese!“ dachte er, in einem pl�tzlichen Aufruhr des Herzens, — „Therese!“

Gleich darauf l�chelte etwas in seiner Stimme, als er abschlie�end sagte: „Die Arbeit, Freund! Die Wissenschaft! Und — die Br�der vom reinen Willen �ber alle Welt verstreut! Oh, er hatte recht, jener M�ller!“

„Ein Treuloser!“ murrte S�mmerring, „wo mag er sein?“

„Gleichviel!“ sprach George. „Mein teuerer, einziger S�mmerring, was ich dir zu sagen hatte, es war dies: ich bin mit Therese einig.“

Nach diesen Worten blieb es sonderbar still. George, jetzt mit dem R�cken am Fenster lehnend, erblickte dr�ben im Spiegelglas seinen Schatten von einem tr�ben Abendrot umflossen und den Querbalken des Fensterkreuzes zu seinen H�upten.

„Du bist mit Therese einig,“ wiederholte S�mmerring sodann. Es gab ein Ger�usch, als bewegte er ruhelos die H�nde, riebe sie aneinander, ein trockenes aufreizendes Ger�usch.

George, im tiefsten Herzen erk�ltet und von einer r�tselhaften ohnm�chtigen Angst �berfallen, raffte sich zusammen und rief in erk�nstelt zornigem Ton: „Das ist alles, was du mir zu sagen hast? Nun, beim Himmel …“

„Versteh mich richtig, versteh mich richtig!“ sagte die Stimme aus der Dunkelheit hastig in hilflosem Ton. „Ja, dein Gl�ck liegt mir am Herzen, wie mein eigenes, Bruder, — hei�er noch, angelegentlicher. Und deshalb, gerade deshalb …“

„S�mmerring!“ sagte George beschw�rend. „Oh, Forster!“ seufzte der andere, „Forster, — ist sie denn deiner auch wert?“

„Therese?“ fragte George zur�ck, und der Ton seiner Stimme sagte, da� er l�chelte, „Therese?“

„Ja, — Therese!“ S�mmerring kam her�ber und legte mit einer unbeholfenen Geb�rde seine H�nde auf Georges Schultern, — es war ja dunkel. „George, wir kennen sie beide, und es gab eine Zeit, da durfte man noch in deiner Gegenwart ohne R�ckhalt �ber sie sprechen. Aus jener Zeit mu�t du dich entsinnen, — nun, — sie galt f�r eins von den M�dchen, deren gr��te Freude es ist, wenn sie Sklaven an ihrem Triumphwagen schleppen k�nnen. Und unter diesen Sklaven einen F�rsten zu haben, einen Forster —“

„Oh, schweige!“ George wandte sich ab.

„Ich schweige nicht,“ sagte S�mmerring mit verzweifelter R�cksichtslosigkeit, ein wenig stotternd und mit dem Zeigefinger eifrig unterstreichend. „Diese Liaisons mit dem jungen Rougemont, mit Meyer, haben die Sperlinge auf den D�chern beredet und du allein warst taub und blind.“

„Was will das sagen?“ gab George hastig zur�ck, „habe nicht auch ich —? Denke an Philippine, an Karoline Michaelis — nun, willst du mir nicht auch sagen, ich sei Theresens nicht w�rdig? Nun?“

„Oh, George!“ sagte S�mmerring, vor so viel Harmlosigkeit verlegen. „Aber das waren Spielereien, sch�ngeistige Korrespondenzen …“

„Nun, und …? Willst du etwa andeuten, da� Theresens Beziehungen zu jenen M�nnern weiter gingen? Und selbst wenn sie sich ihnen n�her attachiert gehabt h�tte, —“ er redete lauter als n�tig, wie einer, der sich selbst �bert�nen will, — „was willst du ihr vorwerfen?“

„Nichts, als da� sie gleichzeitig mit dir und jenen Hohlk�pfen ihr Wesen hatte!“

„Ach, du kennst sie nicht. Sie ist so jung. Sie ist beweglichen Geistes. Du solltest ihre Briefe lesen, Freund, — du w�rdest zufrieden sein. Was ich dir sagen k�nnte, es w�rde mich besch�men, — aber sei beruhigt, — es ist kein Mann mehr f�r sie vorhanden au�er mir. Meyer ist mir Freund und Bruder und sie, o S�mmerring, sie wird mir einst Freundin und Gehilfin sein, wie sie mir jetzt die einzig Begehrte und Geliebte ist.“ Er sank dem Freunde an die Brust.

„Vergib mir, vergib mir!“ stammelte der ergriffen. „Ich wei�, ihre Qualit�ten sind au�ergew�hnliche. Du bist der Mann, sie zu lenken. Sei gl�ckselig! Ich bin es mit dir.“ — —

Es klopfte. M�hlhausen, der Bediente, kam herein, der Schein des Leuchters in seiner Hand fiel auf ein verschnupftes, verweintes Gesicht.

„Ja, ja, M�hlhausen! Sein guter Herr!“ S�mmerring klopfte ihn auf die Schulter, „aber warum folgt Er ihm nicht?“

„O Herr! So in die finstere Polackei! Ja, wenn der arme M�hlhausen nicht Weib und Kind h�tte!“

„Lassen wir die Sentiments! Seien wir M�nner!“ Forster trat aus dem Nebenzimmer, eine triefende Flasche in der Hand; M�hlhausen, der den einfachen Abendimbi� auf den Tisch gesetzt hatte, entfernte sich.

„Ich habe hier eine Bouteille Johannisberger, Freund, — nun, ’s ist immerhin ein guter Tropfen zum Abschied, und einstweilen bist du den Hochheimer ja noch nicht gew�hnt, — du Rheinl�nder!“

S�mmerring war wie George im Begriff, Cassel zu verlassen. Er folgte einem Ruf Sr. Eminenz des Kurf�rsten an die Universit�t Mainz. George f�llte die Gl�ser. S�mmerring sah ihm schmunzelnd zu.

„Ich gedenke ein guter Preu�e und Lutheraner zu bleiben unter den Verf�hrungen Roms“, sagte er. „Der Hochheimer soll ein Reservat der Herren Domdechants sein.“

George setzte sich. „Oh, du wirst Freunde unter ihnen gewinnen. Tritt nicht zu schroff auf. Ein Mann von Welt betont seine �berzeugungen nicht. Er hat sie, — das gen�gt.“

„Da� wir beide unter die Pfaffen fallen m�ssen! Und warum nicht am selben Ort! Oh, George, — Wilna k�nnte mich nicht locken, du wei�t es, — aber ich werde alles daran setzen, dich an den Rhein zu bekommen!“

Sie hoben die Gl�ser. „Tu es!“ sagte George angeregt. „Auch ich werde f�r dich arbeiten. In Prag, — in Wien, — wo du willst. Bruder, Connexionen und Connaissancen sind alles!“

„Du hast sie durch deinen Namen,“ S�mmerring sah auf seinen Teller. „Woher sollte ein bescheidener J�nger �skulaps sie haben, wenn nicht durch seinen Freund und Bruder?“

„Oh, schweige!“ rief George, „du bist eine Hoffnung deiner Wissenschaft, du wei�t es. Wei�t du auch, wieviel Protektion wir dem Bunde verdanken?“

„Du magst recht haben,“ — S�mmerring sah sich unruhig um, — „indessen w�nschte ich dennoch …“

„Du nimmst es zu tragisch. Ich werde es unterwegs zun�chst nie ableugnen, einer Loge anzugeh�ren. Kenntnis von Geheimnissen gibt ein Air. Und in Leipzig will ich dem Schrepferschen Zirkel n�her treten. Wissenschaftshalber, verstehst du.“

„In Leipzig, —“ S�mmerring lenkte ab, — „du wirst auch nach Halle kommen?“

„Jawohl,“ erwiderte George verd�stert, — „ich mu� wohl. Die G�tter m�gen �ber meinem Reisegeld wachen. Aber auch ohne das, ich werde fest bleiben. Ich habe jetzt andere R�cksichten zu nehmen.“

„Du wirst den Deinen Mitteilung von deiner Liaison machen?“

„Um Gottes willen! Das geschieht erst in einem Jahr, — wenn ich mir Therese hole. Der Alte m�chte mir Berge in den Weg legen. Freilich, f�r ihn ist der Packesel dann endg�ltig verloren!“ Er lachte kurz auf. Sie tranken sich zu. S�mmerring legte sich �ber den Tisch und griff nach Georges Hand.

„Mein George,“ sagte er m�hsam mit schwimmenden Augen, „du bist die beste, uneigenn�tzigste Seele der Welt. Du bist der wahre Amadeus.“

„S�mmerring, S�mmerring!“ George bedeckte die Augen mit der Hand. „La� uns nicht weich werden!“

„Doch, doch!“ Samuel S�mmerring schluchzte beinah. „Du bist’s! Und nun bist du den Alten gl�cklich los — und da kommt diese Frau …“

George richtete sich auf. „S�mmerring!“ rief er, „deine Freundschaft verf�hrt dich! La� mich annehmen, es ist der Wein! La� mich annehmen, es ist der Wein!“

S�mmerring verbarg das Gesicht in den H�nden. In der Tat, er vertrug nicht mehr als ein Glas.

„Schick mir einen Elenskopf aus Polen, Bruder,“ bat er kl�glich, „das Gehirn in Weingeist! Auch einen B�renkopf bes�� ich gern. Mein Gott, mein Gott, du gehst ja in die Wildnis!“

George kam um den Tisch herum. George streichelte den gef�llten Riesen. George tr�stete. Aber da war nichts zu machen.

„Du — du bist nun einmal zu gut daf�r, um nichts zu sein als das wei�e Tuch f�r das Schattenspiel der andern!“ schluchzte S�mmerring.

George sah mit sonderbar auflauschendem Ausdruck �ber diese Worte hin ins Leere.

George durchwachte diese Nacht; er hatte es nicht anders erwartet. Hingegeben an das Rauschen seines Blutes lag er da, und da� es rauschte, da� es endlich wieder einmal mit Hochdruck durch seine Adern st�rzte, ach, er wu�te es wohl, das war nicht Theresens Brief allein, der das machte. Dieser Brief mit seinem hinhaltenden Schlu� hatte eher etwas in ihm zur�ckgestaut; ja, wenn er sich denn nun nicht sogleich von dem vollen Aufstrom seiner Seligkeit an ihre Brust tragen lassen durfte, so sollte dieser Strom wenigstens M�hlen treiben, gut, gut, — Forster war nicht der Mann sich haltlos einer Entt�uschung zu �berlassen. Und da er denn nun in der f�rchterlichen Dunkelheit nicht weinte vor bitterer ma�loser Entt�uschung dar�ber, da� er sein M�dchen morgen abend in G�ttingen nicht sehen sollte, wie er mit zweifelloser Sicherheit angenommen hatte, — da� er nicht, ehe er noch einmal in eine so gramvolle Einsamkeit und Fremde ging, ein Wort, eine kleine Geb�rde der Z�rtlichkeit mitnehmen w�rde, nicht ihr Haar, nicht diese flaumige br�unliche Haut ihres Halses einmal ber�hren durfte, — oh, seltsames Verlangen, wunderliche W�nsche mu�ten nun zur�ck in das stumme innerste Herz! — da kam dieser verzweifelte Trotz, dieses hohnvolle Lebensgef�hl �ber ihn: dennoch wollte er gl�cklich sein! Und nun stand ja diese Reise bevor, dieser angenehme Umweg nach dem Ort der neuen Pflichten, der �ber den Harz, �ber Dresden, Prag und Wien f�hren w�rde und zwischendurch die freundliche Einschaltung eines Badeaufenthaltes in Teplitz voraussah. Nein, sein Herz klopfte nicht allein unter dem Druck jener bitters��en Erf�llung, es war der wohlbekannte Fr�hlingssturm der Projekte und des Reisefiebers, der das Schiff an der Ankerkette tanzen lie�, diese verworrene gl�ubige Erwartung gr��ter Dinge und Ereignisse hinter der n�chsten Wegbiegung, zum erstenmal empfunden, als der Vater damals mit der Wolgareise schwanger ging. Er wurde nun hellwach, f�hlte die letzte Neigung einzuschlafen, entweichen, w�lzte sich herum, stemmte den Kopf in die Hand und starrte mit leise brennenden Augen in die Dunkelheit. Wohl, Cassel war erledigt. Oh, Gott im Himmel sei Dank, diese Leidensstation lag hinter ihm, nie wieder betreten w�rde er diesen Gang des Labyrinthes. Und mit einer Art phantastischer Fr�hlichkeit der alten Vorstellung erliegend, warf er sich zur�ck und lachte lautlos auf. Ja, drinnen heulte der Minotauros und hier, — hier ging er, George Forster, der gemeint war, nicht mehr ein kleiner dem�tiger Knabe, nicht mehr ein d�rftiger �berarbeiteter J�ngling, — auch nicht der dumpfe Schw�rmer der letzten vier Jahre, — nein, hier ging ein freier zielbewu�ter, und nebenbei ein ber�hmter und � la mode gekleideter, kurz, ging ein Mann, ein ganzer Mann seinen Weg hinein in neue lockende Windungen der dunklen singenden Riesenmuschel. Sich selbst hellsichtig aus dem Nichts erschaffend, gewahrte er sich, wie er in Klausthal mit dem Berghauptmann von Trebra in die Bergwerke einfahren w�rde, f�hlte seine Kenntnisse der praktischen Gesteinskunde m�helos durch Anschauung um das vermehrt, was man von Polen aus f�r die Anwendung auf dortige noch zu hebende Bodensch�tze von ihm verlangt hatte, — sah sich diese genu�reiche Art des Studiums in Freiberg bei dem ber�hmten Inspektor Werner fortsetzen, zwischendurch in Leipzig und Dresden seinen Kreis bedeutender Bekanntschaften und ergebener Freunde durch die einfache Tatsache seines Auftretens erweitern, in Teplitz allerliebste Beziehungen ankn�pfen und sodann durch verschiedentliche Triumphb�gen in �sterreich eingehen. Besonders von Wien versprach er sich viel und, — da er ja noch nicht gebunden war, — so w�rde er sich mit der Freiheit des Weltmannes bewegen. So nahm er sich vor, f�hlte aber sogleich aus irgendeinem Winkel der Erinnerung Besch�mung sich ankriechen, — was war das doch nur, — war’s jener Vorsatz auf die Sch�nen von Tahiti, den er damals im Eise des Pols gefa�t — und nie ausgef�hrt hatte? Mit Ernst gebot er derartigen st�renden Erinnerungen Einhalt, legte sich auf die andere Seite und �berz�hlte im Geiste die Empfehlungsbriefe und Adressen, die er mit sich f�hren w�rde. Ein Wolkenbruch von Namen ergab sich, das gesamte geistige Deutschland, soweit es an jenen Stra�en ans�ssig war, hatte er sozusagen in der Tasche und das, was jetzt nicht an seinem Wege lag, — er schlo� erschrocken die Augen, — oh, nur nicht diesen Hexensabbat von Erscheinungen heraufbeschw�ren, die seit der R�ckkehr aus der S�dsee an ihm vor�bergezogen waren, — gab es denn eine einigerma�en hervorragende Existenz, von deren Bedingungen er nicht einen Begriff hatte, wenn er sie nicht schon pers�nlich kannte oder im Briefwechsel mit ihr gestanden hatte? Jetzt bin ich wie der Vater war, damals in Nassenhuben, als er so viel korrespondierte, dachte er mit kindlichem Vergn�gen und jener Unumwundenheit innerster unbeobachteter Gedankeng�nge, — nur, da� ich j�nger bin, als er damals, und dennoch — mehr!

Pater meus major est me! f�gte er freilich sofort hinzu, sich gleichsam bekreuzigend aus alter Gewohnheit. Und, das schwere Federbett von der Brust wegschiebend, dachte er aufseufzend und mit einem dumpfen Gef�hl in der Brust: Er hat die Gesundheit, er steht wie ein Baum, Gott wei�, wohin er es noch bringt, wenn er noch einmal anf�ngt. Ich aber …

Aber das sollte ja in Teplitz besser werden. Sein armer Leib, immer wieder von rheumatischen Schmerzen geplagt, von r�tselhaften Schw�ren verunziert, mit st�ndigem Kopfweh und chronischen Koliken geschlagen, er sollte sich erneuern durch und durch. Und eingestandenerma�en, sein Geist schien abh�ngig von den Gezeiten jenes Giftes, das seit den Skorbuttagen im S�dmeer in seinem Blute auf- und niederstieg: er arbeitete besser, wenn es ihm nicht allzu gut ging, — oh, er wu�te es mit heimlich asketischer Inbrunst, — zuviel Gesundheit vertrug sich nicht mit seiner Einsamkeit! Sp�ter vielleicht, — in einem Jahr, wenn er Therese besa�.

Der Schwung der Erregung hatte nachgelassen, er f�hlte es. Er fror pl�tzlich, er zog die Decke �ber sich. Er war doch m�de.

Er wollte ja Therese nicht nur, um dies wahnsinnige Verlangen seiner Sinne zu stillen, nicht nur zur Gef�hrtin seiner Arbeit. Er brauchte einen Menschen neben sich, endlich, endlich, wollte diese Versto�enheit, diese k�rperliche Verlassenheit vergessen k�nnen, wie er es einst, — ach, vor undenklichen Zeiten gekonnt hatte, wenn er des Nachts die Atemz�ge der Schwester neben sich h�rte. Er wollte jemand haben, der still und z�rtlich um ihn waltete, nichts von ihm verlangte als das, was er in Einfalt geben konnte, ohne Aufwand von Geist und Willen. Es sollte ihm geschenkt werden, da war dieser Brief, — er tastete in der Dunkelheit nach ihm und dr�ckte ihn an sein Herz, — nur noch ein klein wenig Geduld, nein, er wollte nicht murren! Diese Menschen, diese schrecklich emsigen, erwartungsvollen, klugen, geistreichen Leute, die auf ihn blickten und vor denen man sich dauernd Haltung geben mu�te, — ahnten sie, da� Forster — der j�ngere Forster, wohlgemerkt, der Ruhm Deutschlands! — hier in der Dunkelheit des Alkovens weinte wie ein Kind? Oh, nichts weiter sein d�rfen, als das duldende, menschenliebende Gesch�pf, als das Gott einen gewollt hatte, geliebt um seines Wesens, nicht um seines Wissens, seines Namens willen, so sehr geliebt, da� die Leute den Forster nur allzu gern immer um sich gehabt h�tten, — wie selig mu�te es sein! Aber wenn es nur einen, einen solchen Menschen gab, der ganz ihn kannte! Oh, er war freilich zu weich, sein eigener Herr zu sein! War er vielleicht nicht gl�cklich gewesen als Sklave seines Vaters? Und dies, was S�mmerring da gesagt hatte, dies mit dem wei�en Tuch und dem Schattenspiel, — traf es nicht zu?

Er fuhr empor und griff sich mit den H�nden an den Kopf. Wie, sollte er nicht lieber gleich die Pistole nehmen? Dies war Selbstmord. Es war die M�digkeit, nicht wahr, ach, nicht wahr, — die Angst vor den F�hrnissen der Reise, f�r die er trotz aller inneren Unrast nicht geschaffen war, Angst vor dem tagelangen Fahren auf schlechten Stra�en, den Nachtherbergen voll Schmutz und Ungeziefer, vor N�sse und K�lte. Es war, — ach, es war die Angst des im Labyrinthe Verirrten, des Ausgelieferten, Verlorenen. Aber nun kam ja Ariadne, — nun kam — Ariadne …

Entwirrung, — Kl�rung, — Vereinfachung! Er w�rde arbeiten, sich ausstr�men an die Welt. Zun�chst kamen nun Briefe, Tageb�cher, — oh, liebevoll, sorgsam, geduldig wollte er sein …

Als M�hlhausen eine Stunde sp�ter mit dem Leuchter in der Hand und dem Reiserock �ber dem Arm zum Wecken eintrat, fand er seinen Herrn fest schlafend, die Linke �ber die Augen gelegt, einen l�chelnden Zug um den armen h��lichen Mund. — — —

Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

Las dieser letzte Satz seines Briefes sich etwa so, als wollte er, George, sich beklagen? Da sei Gott vor, — nicht einmal vor sich selbst tat er das, — geschweige denn dem guten S�mmerring gegen�ber! Ganz im Gegenteil! Er �berlas noch einmal die letzten Zeilen, — malte er da nicht ein Bild h�uslichen Gl�cks, da� es dem armen Teufel, der immer noch allein hauste, beim Lesen ganz verlassen zumute werden mu�te? Und diese Worte, die er eben geschrieben hatte: „Therese ist trotz ihres Zustandes von unbegreiflicher Beweglichkeit des K�rpers und des Geistes …“ die fielen doch gar nicht aus dem Rahmen heraus, klangen doch nicht anders als die Feststellungen �ber seinen eigenen Gem�tszustand, seinen Tageslauf, seine Arbeiten! Es st�rte ihn doch auch gar nicht, st�rte ihn nicht im geringsten, dachte er und horchte hinaus, da� das Haus von fr�h bis sp�t widerhallte von Theresens Gesch�ftigkeit! Was tat sie jetzt wieder? War es eigentlich m�glich, da� eine Frau mit zwei M�gden bei der T�tigkeit des W�schen�hens — ja, es entstanden Hemden f�r ihn, zw�lf neue Taghemden, f�hlte er mit geb�hrender Ersch�tterung, und die zw�lf alten waren ausgebessert worden! — da� sie bei dieser sitzenden T�tigkeit einen derartigen Aufwand von Ger�uschen machte, die f�r den Au�enstehenden nicht unmittelbar zur Sache geh�rten? Da� zun�chst Lieder gesungen worden waren, heimatliche deutsche Lieder, die Liese, die Getreue, aus G�ttingen in f�hlender Erinnerung an den fernen Geliebten anstimmte, nun, das mochte angehen. Indessen schien es ihm doch, als sei Therese ein wenig unmusikalisch; wenn sie mit ihrer tiefen Stimme einfiel, wurde die Melodie immer so seltsam unkenntlich. Dann gab es einen zornigen Aufschrei und heftige Scheltworte, — aha, Marischa, das polnische Mensch, hatte wieder einmal etwas versehen! Wenn es, dachte er ein wenig gepeinigt, nur nicht wieder zu Maulschellen kommt, die hinterher gleich mit K�ssen null und nichtig gemacht werden! Therese handelte oft so — unmittelbar. Nun fiel etwas Schweres dumpf hin, ein Ballen Leinwand etwa, — war das ein Grund, derartig zu kreischen? Und warum w�lzten sich jetzt mehrere erwachsene Menschen auf dem Fu�boden herum? Therese lachte und schimpfte, plattdeutsch und polnisch durcheinander, — nun kam auch noch Joseph, der Hausknecht, mit frischem Holz f�r den Kamin die Treppe hinaufgepoltert, das w�rde einen neuen Anla� zur Heiterkeit geben. Joseph, der seine Pflichten f�r acht Taler Lohn, einen Schafpelz und ein Paar Stiefel j�hrlich unvollkommen erf�llte, war von polnischem Adel und darum trotz seiner Schmutzkruste in den Augen Liesens von Glorie umgeben. In den n�chsten Minuten steigerte der L�rm sich ins Ungeheure, der Joseph schien mit Jubel aufgenommen worden zu sein, wie Merkur unter den Grazien, das Holz krachte, der Joseph schien unglaublich scherzhaft und Therese leutselig, jemand begann auf einem Kamm zu blasen und — war es m�glich? — wurde jetzt der neulich begonnene Unterricht Liesens im Mazurkatanzen fortgesetzt? Nun fehlte nur noch Michael, der Bediente und Gemahl der Marischa, um den Zirkus zu vervollst�ndigen. George wurde ein wenig unruhig. Nun Therese — Therese am�sierte sich, Therese war zwanzig Jahre alt, es fehlte Therese hier an einem passenden Umgang. Er wu�te, jetzt sa� sie da und hielt sich die Seiten vor Lachen. Warum auch nicht, warum auch nicht, — sie verlangte ja nicht, da� er, George, dabei war. Und es st�rte ihn nicht, o, es st�rte ihn nicht im geringsten, er arbeitete doch eben nicht, er erledigte Korrespondenzen, — nur, es war ihm im Augenblick nicht m�glich, seine Gedanken zu sammeln. Also: Therese ist trotz ihres Zustandes von einer unbegreiflichen Beweglichkeit … Freilich, wohl war sie das. Wenn sie nur um Himmels willen nicht wieder selbst tanzen wollte, wie neulich, als sie den b�sen Fall tat! Ob er doch einmal hin�berging? Nun kam der Michael wahrhaftig … Er brachte jemanden mit, er geleitete einen Besuch … Aber das ging doch nicht! George sprang erregt auf, dr�ben verstummte j�h der L�rm, und gleich darauf lie� sich eine lachende Stimme in Wiener Mundart vernehmen. Ach, die Langmayer! Da ging Therese plaudernd mit ihr �ber den Flur ins Wohnzimmer, die M�nner liefen die Treppe hinunter, Liese fing wieder an, zu singen, schmachtend, langgedehnt: „Wenn ich ein V�glein w�r …“ Ja, nun war Ruhe, und nun konnte er weiter schreiben. George starrte nach dem Fenster, vor dem in der grauenden D�mmerung die Flocken tanzten. Ged�mpft durch die Schneeluft klang das Angelusl�uten von der Universit�tskirche her�ber. Sie schneiten ein. Meilen �ber Meilen, grenzenlose Fl�chen weit breitete es sich um Wilna wie Leichent�cher, und Deutschland lag auf einem anderen Stern. George machte Licht. Es war gef�hrlich, in der polnischen Winterd�mmerung nach Deutschland hinzudenken. Im Reich des Geistes gab es keine Trennung. Er wollte korrespondieren, wollte weiter S�mmerrings br�derliche Seele beschw�ren, sich an ihr erw�rmen!

„Therese ist von unbegreiflicher Beweglichkeit …“

Ob sie nun Hemden zuschnitt oder winzige W�schest�cke f�r das erwartete Kind, — den Jungen, nat�rlich, den Jungen! — n�hte … Ob sie in der K�che Fleischkl�mpe drehte und zugleich der Marischa aufkl�rende Vortr�ge �ber den Wert der Sauberkeit beim Zubereiten der Speisen hielt, — oho, Georgie, h�tte die Mi� Therese nichts gelernt, so ��e die Panji Forstrova und ihr ganzes Haus jetzt mit den Schweinen! Pfui Teufel, selbst die Steckr�ben fra�en diese Barbaren ungesch�lt! — Ob sie mit ihren knospenden Hyazinthen am Fenster plauderte und Le Cœur aimable ermunterte, baldigst aufs aimableste zu duften und La Beaut� blanche ein wenig anbetete, — es waren auch K�chenkr�uter, Kerbel, Kresse und Petersilie mit in die T�pfe ges�t, die Sch�nheit allein macht nicht satt, Georgie! — Ob sie mit des Bischofs G�rtner, Feurei�en, einem wackern Landsmann und gutem Hannoveraner, Pl�ne machte f�r die Bestellung der Beete im Fr�hjahr und Betrachtungen �ber die moralische Minderwertigkeit des Katholizismus einflie�en lie�, — Feurei�en w�rde doch sein Kind, das Kind, das seine Frau, eine katholische Erml�nderin, erwartete, nicht etwa den Pfaffen in die H�nde fallen lassen („o, Feurei�en!“) — und sich alsbald von der Weitherzigkeit Feurei�ens �berw�ltigt zeigte, der ihr treuherzig versicherte („o, liebe Madam!“), es k�me ihm zun�chst darauf an, sein Kind zu einem Ehrenmann zu erziehen (auch er erwartete einen Jungen, nat�rlich!), alsdann w�rde es jeder Sekte Ehre machen … Ob sie, mit riesigen �berschuhen bewehrt, durch den kniehohen Schnee watete, um irgendwo irgendein vorteilhaftes Gesch�ft abzuschlie�en, das dem Haushalt zugute kam, in Holz, in �lfarbe f�r die W�nde, in Fleisch, — es mochte ein Edelmann seinen Wald abgeholzt, mochte eine Jagd veranstaltet haben, woher aber wu�te Therese dergleichen immer fr�her als andere Leute? George staunte. Ob sie ihre M�bel, ihre allerliebsten, nagelneuen M�bel abrieb und blitzblank putzte, ob sie eine Liste der Leute aufsetzte, die nun demn�chst endlich einmal eingeladen werden mu�ten (schon wieder? dachte George), denn freilich, die Menschen hier waren horribel, ohne Erziehung, ohne Geschmack, indessen, was blieb einem �brig … Ob sie Journale las oder einen neuen Roman, in die Ecke des gr�nen Kanapees gekuschelt, die F��e unter den Rock gezogen, die H�nde ins Haar gew�hlt, lachend und weinend, Gott und Georgie anrufend, oder ob sie, an dem kleinen Mahagonibureau sitzend, Korrespondenzen erledigte, ihre un�bersehbaren Korrespondenzen … Therese war trotz ihres Zustandes von einer unbegreiflichen Beweglichkeit des K�rpers und des Geistes!

Denn George begriff nicht. Er begriff nicht ganz. Er war so gl�cklich, wenn es still um ihn her war, um ihn und um Therese. Er war im Geheimen und unerachtet h�ufiger nachdr�cklicher Seufzer �ber die geistige Ein�de, in die er verbannt sei, einverstanden mit Wilna, einverstanden mit der Entfernung von den deutschen Freunden, sonderlich freilich von den G�ttinger Freunden Theresens, er nahm im innersten Herzen den l�cherlichen Zustand dieser Pseudo-Universit�t leicht und leicht den unvermeidlichen Umgang mit den Paters, den Exjesuiten, seinen Herren Kollegen. Er war ger�hrt und begeistert von seiner Wohnung, er liebte den gro�en winkligen Geb�udekasten des ehemaligen Klosters, in dem sie sich befand wie der Kern in der Nu�, er wollte von der Welt nichts weiter, als eben dieses Asyl seiner Z�rtlichkeit. Er hatte seinen Briefwechsel einschlafen lassen, er hatte seit der Hochzeit im August bis in den Winter hinein nur das Notwendigste an Arbeit erledigt, ruhend, wie Langmayer fr�hlich behauptete, auf Amors Wolken und den Lorbeeren des Erfolges, den sein Memoire an die Regierung zugunsten der naturwissenschaftlichen Institute der Universit�t gehabt hatte.

Diese Denkschrift hatte ihn im vorigen Winter besch�ftigt. Er hatte seine ganze Entt�uschung �ber die vorgefundene Lotterwirtschaft und den verrotteten Pfaffenbetrieb, �ber den Mangel an Anschauungsmaterial und den Zustand der geringen Sammlungen darin niedergelegt, hatte sich stringenter Beweise bedient, war scharf, war deutlich gewesen wie einer, der den Fu� schon �ber die Schwelle gesetzt hat, um wieder davonzugehen. Was h�tte auch daran gelegen, wenn sie auf ihn verzichtet h�tten, anstatt seine Anspr�che zu erf�llen, hatte er nicht noch jenes Kaiserwort im Ohr, mit dem damals in Wien Joseph die Audienz abgeschlossen hatte: „Sie werden in Polen nicht bleiben …“ O, Wien! Oder auch Prag, — selbst Budapest! Nun, das waren wieder Projekte gewesen. Hingegeben an die negative Arbeit der Verurteilung der gesamten Wilnaer Einrichtungen, eine Arbeit, die zugleich zur Begr�ndung eines etwaigen R�cktritts h�tte dienen k�nnen, hatte er dem alten Laster des Pl�nemachens gefr�nt wie nur je und sich hinweggeholfen �ber die tote Zeit der Sehnsucht und Erwartung. Den �berraschenden Erfolg seiner Vorstellungen, die Bewilligung aller seiner Forderungen durch die Regierung, hatte er auf der Hochzeitsreise in Warschau einheimsen k�nnen. Und, nun wohl, — jetzt gab es keine Pl�ne mehr. Jetzt war nur noch Therese und Therese bedeutete in den ersten Monaten des Besitzes eine seltsame Aufl�sung aller Lebenskr�fte, bedeutete, so hatte er schwindelnd gedacht, die M�ndung des Stromes in den Ozean und den Untergang der Flamme in der Glut. �ber sein Pult gebeugt, f�hlte er Theresens Atmen in dem toten Holz unter seinem Arme, f�hlte die eigenen Glieder wie den K�rper seines Weibes. Manchmal sann er, irgendwo hingelehnt, ein Buch in der Hand, die schwimmenden Augen ins Leere gerichtet, seinem ganzen Leben nach. Dies war der Sinn, f�hlte er ersch�ttert, der Sinn der Sinnlosigkeit. Alles hatte sein m�ssen, damit dies eine sein konnte. Dies war das Ziel, die Erl�sung aus allem Irrsal, diese lebende, zur stummen Raserei gesteigerte Hingabe an ein anderes Leben und das Hinnehmen dieses Lebens so nat�rlich wohlig, wie das Kind die Muttermilch sog. Ach, Therese! da� er sie hatte finden d�rfen, sie, die einzig seinen Sinnen Antwort zu geben vermochte, sie, deren Blut ihm die Essenz aller S��igkeit der Erde bedeutete. War er so weit, dann merkte er, da� er sein Kabinett verlie�, und l�chelte. Wo war Therese? Er ging durch das ganze Haus, er suchte sie in der K�che, im Garten, bei der Langmayer und wo er sie auch fand, sie verstand sein wortloses Dr�ngen, verstand es hinter seinen belanglosen Vorw�nden. Sie l�chelte. Sie folgte ihm. Und da war dies gr�ne Kanapee, und da war Therese an seiner Seite, seinem Herzen nahe, sein Gesicht lag an ihrer Brust, er atmete ihren Duft, — da waren ihre H�nde, ihre Arme … Sie wehrte ihm nicht. Er h�rte sie manchmal „Georgie!“ fl�stern, er f�hlte ihre kleine unruhige Hand �ber sein Haar gleiten. Er suchte ihre Augen und fand sie voller Tr�nen, abgewandt, aus Fernen heimkehrend zu ihm. „Du weinst?“ stammelte er befremdet. „Mein Freund!“ sagte sie sanft, und w�hrend er nun aufschluchzte und meinte, es sei aus Seligkeit, weil er jenes Gef�hl grenzenloser unerkl�rlicher Angst und Fremdheit nicht wahr haben wollte, das ihn �berschauert hatte, trocknete sie ihre Tr�nen, und ihn aufmerksam betrachtend, fragte sie spielerisch-ernsthaft, mit der Hand ihm die Brauen gl�ttend: „Ist’s auch mein Tod, an den du denken mu�t, mein Freund, der Tod deiner Therese, du Armer?“

Auch dies begriff er nicht. Therese dachte immer an ihren Tod. Therese war des Morgens vor Tage auf, trillerte wie eine Lerche, — und dachte an den Tod. Therese hielt in aller Fr�he eine Heerschau �ber ihr Gesinde ab, gab die Losung f�r den Tag aus, verteilte die Arbeit, nicht ohne die Marischa in scherzhaften Wendungen, die durchs ganze Haus schallten, von ihrer Meinung �ber ihren mangelnden Reinlichkeitssinn unterrichtet und den Joseph ob seiner Tr�gheit bedroht zu haben, — und dachte an den Tod. Therese sa� mit ihm am Fr�hst�ckstisch, ihre H�nde bewegten eine Strickarbeit, ihre Augen hingen gebannt an den Seiten eines franz�sischen Buches, beim Umbl�ttern fand sie Zeit einen Bissen, einen Schluck zu nehmen, ihm einen Blick, ein Wort zu schenken, sei es „Forster, mein Engel!“ oder „I�, mein Georgie!“ — und dachte an den Tod. Therese tanzte treppauf, treppab durchs Haus, kramte in Schr�nken, klimperte auf dem Klavizymbel, sortierte S�mereien, betrachtete ihre Souvenirs und Silhouetten, ordnete ihre Schmucksachen, lief mit der Langmayer in die Kirche, einem Hochamt beizuwohnen, brach in sein Kabinett ein, um sich sowohl �ber die Langmayer — „sie verpolackisiert, Georgie, es ist eine Schande!“ — als �ber den Katholizismus auszuhalten — „Pfaffenglanz, Affentanz!“ — Therese rief: „Ich st�re dein Werk, vergib mir!“, eilte lachend hinaus — und dachte an den Tod. Es mochte ein Fest geben, eine der Assembleen, die ihn so schrecklich langweilten, etwa fetierte ein W�rdentr�ger seinen Namenstag mit einer Schmauserei und Musik. Therese machte aufs sorgf�ltigste Toilette, Therese putzte ihn, — George, — aufs gewissenhafteste, da� er auch nicht im Kleinsten gegen die Mode verstie�, Therese strahlte an seinem Arm durch die Gem�cher, war huldvoll, war grazi�s, funkelte vor Belustigung �ber die schwarzen Dohlen, die Herren Paters, die nun wahrhaftig in ihren langen Weiberr�cken zur Polonaise antraten, neben sich die schillernd sich br�stenden polnischen Damen. Therese kokettierte nichtsdestoweniger wahllos, sowohl mit den Schwarzr�cken als mit den polnischen Granden, wanderte von einem Arm an den andern und bezauberte selbst Monseigneur, den Bischof bis zu folgender Unterhaltung, an die sie sich in den n�chsten vier Wochen unter gro�em Gel�chter alle paar Tage erinnern mu�te, die, dies war nicht zu bezweifeln, in jeden ihrer zahlreichen Briefe eingeflochten wurde:

Mais en conscience, Madame,“ hatte Se. Eminenz hinter der scherzhaft vorgehaltenen Hand gefragt, „Quel �ge avez-vous donc?

En dix ans, mon Prince (nein, Georgie, dieser alte violette Suitier!), je ne vous dirai plus la v�rit�. Aujord’hui j’ose la dire, — j’ai vingt et un ans pass�.

Comment! Mais vous avez l’air d’un enfant de treize ans!

„Ha ha ha, Georgie, und das mir, einer Frau, die n�chstens Mutter sein wird. „Gr�ce � ma conduite folle, gr�ce � ma conduite folle, Monseigneur!“ hab ich gesagt, ha ha!!“

Solche und �hnliche Erlebnisse hatte Therese in H�lle und F�lle, — indes, sie dachte an ihren Tod. Sie litt zeitweise unter den Widerst�nden, die ihr K�rper der Entwicklung seines neuen Zustandes entgegensetzte, unter den Anf�llen von �belkeit, unter einer krankhaften Abneigung gegen gewisse Speisen, sie beobachtete peinlich ber�hrt, da� Hals und Arme an F�lle einb��ten, je schwerer die Last ihres Leibes ward. Sie lie� sich die Ader schlagen — „Unn�tzerweise, Freund, — doch es beruhigt sie und wird nicht schaden“, sagte der wackre Langmayer zu George, — sie litt an Blutandrang zum Kopf, an Schwindel, an einem Zittern der Knie. Sie litt nicht im Verborgenen, o nein, das Haus erfuhr es, da� sie litt, doch schien dies Leiden mehr oder weniger ebenso gut ein Anla� zum Bewu�twerden der Daseinswonnen und eine Art von Genu� zu sein, als ihr niemals gebrochener T�tigkeitsdrang. Es war dies nicht der Grund, da� Therese an den Tod dachte, f�hlte George, und da� sie ihre Briefe zu Abhandlungen �ber die letzten Dinge werden lie�, — Abhandlungen, die sie ihm gelegentlich vorlesen mu�te, wenn sie besonders wohlgelungen schienen. Da sa� sie vor dem geliebten kleinen Mahagonibureau, das er ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, samt all den Erinnerungen bitterer und s��er Arbeitsstunden unter allen Himmelsstrichen, die es barg, — sie hatte es The Resolution getauft, um die Meere des Gef�hls darauf zu befahren, — da sa� sie, die F��e auf dem Kohlenbecken, vorgebeugt auf die Schreibplatte, den Blick schwimmend zum Fenster erhoben, die Feder an den Lippen. Er ging behutsam durchs Zimmer, oh, er hatte ja nicht herantreten wollen, es h�tte nicht dieser Bewegung bedurft, als wollte sie das Geschriebene vor seinen Blicken sch�tzen! Sie schrieb, sie korrespondierte, auch er tat das, gewi�, wenn schon nicht so — pflichtgetreu wie sie. Da waren die Eltern, — eine Frau, eben noch selbst Kind in der Hut z�rtlicher Eltern und nun in der sarmatischen Wildnis, in dieser Lage, sie bedarf ihrer Mutter! — da waren die Freundinnen, Musen und Grazien auf dem Parna�, der G�ttingen hie�, und unter denen sie nicht die Letzte gewesen war, — da war — jener, der Assad genannt wurde. Jener, der in einer Mondnacht zwischen Cassel und G�ttingen einst das seltsame Wort von dem Pol der Geburt und dem des Todes gefunden hatte, der sein sch�nes Gesicht so fern, so beruhigend fern von Wilna durch die Welt trug und seine Bonmots immerhin verschwenden mochte, wo es ihm beliebte, da er dann nicht darauf versessen schien, sie Briefen anzuvertrauen, gr�ce � Dieu! Warum aber bedurfte jener, der Assad genannt wurde, — und warum wurde er so genannt? „O, Lieber, — weil er so um sich werben lie�, wie Lessings Tempelritter, ehe er Zutrauen fa�te“. — „Und das sagst du mir?“ — „Aber — Georgie …?“ Warum bedurfte jener so h�ufiger, so ausf�hrlicher Berichte �ber das Leben, die Gef�hle, die Todesn�he Theresens, Berichte, unter deren Abfassung The Resolution schwankte wie nur je im S�dwestpassat? Warum mu�te von ihm gesprochen werden, abends, wenn George bei Therese auf dem gr�nen Kanapee sa� und Archenholtzs „England und Italien“, aus dem er vorgelesen hatte, sinken lie�, weil er schon seit einer Weile f�hlte, da� Theresens arbeitende H�nde ruhten und sie ins Kerzenlicht sah? Er hatte vielleicht gedacht, Therese s�he so still ins Kerzenlicht, weil sie m�de sei und w�nschte, auch er, George, m�chte bald ein wenig m�de werden. Wollte er nicht gerne m�de sein, m�de mit Therese? Aber da wandte sie ihm die Augen zu und ihr Mund hatte jenes unbestimmte fortgleitende L�cheln, als sie sagte: „Georgie, — ist das nicht zum Lachen? Assad spricht in seinem Brief, — dem Brief, wei�t du, vor vier Wochen, — von meinen zuk�nftigen Kindern, und in demselben Brief nennt er mich eine Vestalin!“

Was, so fragte sich George, nachdem er etwas von contradictio in adjecto gemurmelt hatte, was gingen Assad, — und zum Teufel, er hie� einfach Herr Meyer! — was also gingen Herrn Meyer Theresens zuk�nftige Kinder an, — und meinte er etwa, sie k�men durch �berschattung des heiligen Geistes zustande? Ich kenne die Frauen nicht, erkl�rte George sich selbst, jetzt erst erfahre ich, mit welcher Z�rtlichkeit sie der Freundschaft die Treue halten. Mochte denn das Wohnzimmer ein Tempel des Gedenkens sein, er trug die Silhouetten seiner Eltern, seiner Freunde herbei, um sie neben denen von Theresens Teueren aufzuh�ngen. Er war der Letzte, das Gl�ck des Erinnerns, des Sichversenkens in die Seelen der fernen Geliebten zu verdammen, und gab es ein edleres Vergn�gen als mit Therese in Wonne und Wehmut zu vergehen vor dem Bilde eines Jakobi, vor den Z�gen seines S�mmerring, Tr�nen zu vergie�en in den Gef�hlen, wie sie der Anblick des Pastells heraufbeschwor, das ein Abglanz war der vom Tode ber�hrten Sch�nheit jener ungl�cklichen Auguste, die an Theresens Herzen gestorben war? O, er wollte nicht ausgeschlossen sein von Theresens Freundschaftstempel, wollte mit ihr anbeten, schw�rmen, sich entz�cken, Balsam finden f�r die Wunden der Vereinsamung unter diesen bunten polnischen Tieren, wollte mit ihr vereinigt sich hinschwingen in den Kreis der ihm verwandten Seelen. Hatte er nicht mehr als guten Willen, sie zu begreifen, hatte er nicht dieselben Bed�rfnisse des Herzens, wie sie? Sie waren doch eins, — eins auch in diesen Dingen? Indessen, — warum mu�te Meyers Schattenri� dort allein in der Fensternische h�ngen, wo Therese ihn vor Augen hatte, wenn sie an ihrem Tischchen sa� und The Resolution sie nach Deutschland trug? Warum stand ein Topf mit Immergr�n auf einem Brettchen darunter, warum hauchten Hyazinthen, Goldlack und Tazetten den langen Winter und den grauen z�gernden Fr�hling hindurch ihren Duft zu Assads sch�nem, hochm�tigen Profil empor, wie Opferrauch? Wenn er mein Freund w�re, dachte George einmal, als er vor Tisch in das Zimmer gekommen war, und es noch leer gefunden hatte, und betrachtete das Bild mit sehns�chtiger Erbitterung, — aber er ist nicht mein Freund! Er wu�te es trotz aller Gr��e und Komplimente, die ihm mit jenem unbegreiflichen L�cheln ausgerichtet wurden, — Meyer war nicht sein Freund. Nie war ein Mensch von dieser gleitend geistreichen Art und dieser Selbstverst�ndlichkeit des eleganten Auftretens, nie war so ein beneideter sorgloser Plauderer sein Freund gewesen. Sie schienen Geheimnisse zu wissen, diese Menschen, deren Erwerbung ihn seine zwangvolle Jugend hatte vers�umen lassen. Mit Aufbietung aller Kr�fte konnte er ein paar Stunden, einen Abend lang Schritt mit ihnen halten, — immer aber f�hlte er, da� er Bl�cke w�lzte, wo sie mit B�llen spielten, — ja, ihre Zustimmung, ihre Bewunderung, empfand er sie nicht meist wie Heuchelei, wie Hohn? Waren sie nicht Feinde, glatte, gl�nzende Feinde, die hinter der Maske des G�nners ihren Neid auf den bitter erworbenen Ruhm verbargen? Nein, Meyer war nicht sein Freund. Aber ich will ihn lieben, dachte George, mit einer fanatischen Umschaltung des Willens, ich will ihn lieben, denn ich geh�re Theresen. Ich geh�re Theresen, dachte er verzweifelt, und was w�re ich, wenn ich mein Herz nicht in ihres f�gte, wohin es immer gehen m�ge?

Assad also, morgens, mittags und abends. Assad um Mitternacht, in Augenblicken, da die Welt v�llig versunken zu sein schien vor dem Gl�ck der gegenseitigen N�he. Ja, Assad selbst in solchen Augenblicken! „Der arme Assad, Georgie, er ist immer so allein!“

Therese, hatte George bei Gelegenheit dieses Ausspruches sich selber innerlich zugerufen, — er mu�te etwas in sich �berschreien; es war da nichts zu jammern, f�r sein Herz, o nein! — Therese ist ein Kind, wahrhaftig, sie ist ein Kind! Und sich herumw�lzend, da� er nahe neben ihr lag, den Kopf in die Hand gest�tzt und ihr eindringlich in die Augen blickend, sagte er: „Therese, Assad ist gar nicht allein. Du bist seine Freundin, ja, wir lieben ihn, aber wir sind nicht die einzigen, die das tun. Du wei�t es doch. Assad hat viele Freunde.“

„Assad hat viele Freundinnen“, fuhr er fort, mit uneingestandener Genugtuung bemerkend, da� Theresens Augen sich weiteten und sie seinen Worten entgegensah mit einem hilflosen Beben ihres Mundes, das ihm ein sonderbares Gef�hl der Macht �ber ihr Herz gab, ein sehr seltenes, ber�ckendes Gef�hl, — „du wei�t es doch, wie wir alle in G�ttingen es wu�ten: Assad fliegt von Blume zu Blume, er ist ein sch�ner Schmetterling.“

„Meinst du?“ fragte Therese tonlos und ihre Augen wanderten, — „ja, du magst recht haben …“

Sie duldete seine Liebkosungen. Er f�hlte m�de kleine H�nde seinen Nacken streicheln und �berlie� sich besinnungslos der Z�rtlichkeit, die aus seinem Herzen brach. Er lag, veratmend, neben ihr, die Stirn an ihrer Schulter, f�hlte sein Blut so sanft, wu�te: nun kommt Schlaf, — da h�rte er ihre Stimme:

„George“, fl�sterte sie, „du und Langmayer, ihr glaubt es nicht, — aber wenn ich dennoch st�rbe …“

„Therese!“

„Ich wei�, Freund, ich wei�, — du ertr�gest es nicht. Und ich mu� leben, deinetwegen. Aber dennoch, — was ist unser Wille? Und wenn ich st�rbe und du gehst allein nach Deutschland zur�ck, — geh zu Assad, George, er wird dir wohltun, er wird um mich weinen, — er kannte mich gut, — obschon ich wei�, er hat viele Freundinnen …“

Therese dachte an ihren Tod. Therese dachte an Assad. Aber nun atmete sie im Schlummer wie ein Kind, und George wachte und starrte ratlos in die Nacht.

Des Morgens fr�he mit der Sonne auf, einen Gang durch das G�rtchen getan, Zwiesprach gehalten mit den guten Geistern der Erde, den Teller voll Obst mit Milch, seien’s Himbeeren, seien’s Erdbeeren geschluckt, wie es der wackere S�mmerring verordnet hatte zur Reinigung des Gebl�tes; ausgeruhten Kopfes alsdann am Schreibpult gestanden und bis zum Fr�hst�ck die �bersetzung der Reisebeschreibung Cooks um ein paar saubere Seiten gef�rdert, das war der Auftakt zu jedem fruchtbaren Arbeitstag, — oh, nun seit Monaten schon! Das kurze Beisammensein mit Therese am Tisch, von gutem Gespr�ch belebt, etwa �ber die Frage, ob Therese, die Tochter, — da war sie, da schrie sie, da n��te sie Windeln nun fast schon ein Jahr lang und war kein Junge und doch so unbegreiflich lieb, — ob dieses annoch lallende W�rmchen w�rde Polnisch lernen m�ssen oder nicht. Und da Polnisch so viel hie� wie Katholisch, bewahre sie also der Himmel! Ja, die Pfaffen strichen ums Haus wie die Aasgeier, fand Therese mit gro�en Augen streitbar, da war besonders so ein langer, d�rrer mit spitzen Ohren und knolliger Nase, der versuchte seit gestern die Liese in Gespr�che zu verwickeln, wenn sie das Kind spazieren trug, — n�herte sich ihr mit Blumen in der Hand …

„Es war der Pater Liborius, er brachte mir ein paar Zypressenzweige f�r die Raupen von Deilephila euphoribae und konnte unsere Wohnung nicht finden,“ sagte George beg�tigend.

„Gleichviel. Es sind alles Vorw�nde! W�lfe in Schafskleidern!“ grollte Therese. Nun, von solchen Gespr�chen, die auch um die Politik der Kaiserin gegen die T�rken, oder um die Heiratsprojekte des guten z�gernden S�mmerring oder um die Anma�ung des Herrn Kant in K�nigsberg, �ber die Verschiedenheit der Menschenrassen mitreden zu wollen, oder um die Schlamperei der Langmayer, ein ergiebiges Thema! — gehen mochten, — von solchen Gespr�chen also erfrischt und gest�rkt nach je einem Kusse auf die Stirnen von Weib und Kind wieder das Kabinett aufgesucht, Folianten gew�lzt, Papier gefalzt, mit der Feder geraschelt, kurzum betriebsam gewesen, Material zusammengetragen f�r die Elementarlehre des Naturreichs f�r Schulen, zu der der gro�e Camper in Harlem ihn angeregt hatte, an den Ausarbeitungen der Vorlesungen �ber Mineralogie im kommenden Semester geschrieben … Zwischendurch auf und niederwandelnd mit sich selbst �ber Mendelssohns „Morgenstunden“ deraisonniert, sich im Geiste mit Lessing und Jakobi dar�ber auseinandergesetzt und sich in der Stille der eigenen Klarheit gefreut, — auch sich Notizen gemacht f�r einen Brief dar�ber an S�mmerring; — Lavatern abgetan, der ein Schw�rmer war und blieb, zu Cagliostro geh�rte, zu Schrepfer, Ga�ner und �hnlichen; endlich noch vor Tische den Bisonskopf, den der junge Studiosus von Howen am Morgen gebracht hatte, zum Versand an S�mmerring pr�pariert und mit Langmayer ein weniges �ber die Struktur des Wiederk�uersch�dels geschwatzt, — ha, war das nicht exemplarisch der Vormittag eines Mannes im Zenith seiner Kraft, auf der H�he des geistigen Schaffens? Im Sommer schien auch in Polen die Sonne und reifte die Saat; ein Mann, mochte er in der Welt stehen, wo ihn das launische Schicksal hinwarf, er fand seinen Wirkungskreis, und Befriedigung quoll einzig aus dem stolzen Gef�hl des eigenen Busens. Die Welt, die ihn eine Weile vergessen zu haben schien, hatte sich seiner mit Heftigkeit wieder erinnert, wie ihn d�nkte, und wenn die Nachmittagsstunden nach kurzer Ruhe der Abfassung popul�rer gelehrter Aufs�tze f�r die deutschen Journale, sei’s f�r die G�ttinger Anzeigen, f�r Bertuchs „Journal f�r Luxus und Mode“ oder f�r Lichtenbergs Kalender, und der Erledigung der Korrespondenzen gewidmet waren, so war’s eine knappe Zeit zu nennen, gemessen an der �berf�lle dieser Arbeiten. Immerhin, er beherrschte jetzt die Materie, es war Methode in seiner Art, den Stoff zu �berschauen und zu gliedern, sein Stil war geschmeidig und ein brauchbares Werkzeug, um die spr�de Masse der Wissenschaft in Anschauung umzusetzen. Industria lapis philosophorum! dachte er, mit einem verlorenen L�cheln auf seine Niederschrift gebeugt, — freilich, jetzt wandelte er Blei in Gold! Therese, — das Kind, — sie wollten leben und sollten es gut und sorglos. Therese brauchte nicht zu wissen, wie sehr ihn die Anspr�che des t�glichen Verbrauches auf einmal �berst�rzten. Therese sollte leben wie die Lilien auf dem Felde und die V�gel unter dem Himmel! Eine H�tte, ein G�rtchen mit Bohnen, Erbsen, Kohl und Spinat, eine Rosenlaube und Astern, ein St�ckchen Feld, eine Ziege im Stall, grobe Schuhe und ein kamelottenes Kittelchen, — freilich, so schw�rmte sie, dachte er ger�hrt, nicht besser wollte sie es haben, arbeiten wollte sie Tag und Nacht f�r ihn und das Kind! Wer aber kannte das Idyll von der H�tte und dem St�ckchen Land und der Ziege im Stall besser als er? Oh nein, er war nicht Reinhold Forster, der sein Weib arbeiten lie� wie eine Magd, oh nein, Wilna sollte kein zweites Nassenhuben sein! Und dann, — er l�chelte ein wenig, — „eine H�tte“, sprach sie, und: „Georgie, der Michal frisiert wie ein Stallknecht, ich kann seine H�nde nicht an mir ertragen, und die Marischa ist so schrecklich katholisch und schmutzig, — ob wir uns nicht doch den M�hlhausen aus Cassel verschreiben?“ Und: „Georgie, ich wollte es nur gesagt haben, es steht eine Chaise zum Verkauf beim Starosten Rubinski, — sie, die Rubinska, lie� es mir sagen, — nun, ich will dir nicht zureden, aber die gro�e Kutsche h�ngt so schlecht in den Federn, das R�schen weint bei den St��en, wenn wir spazieren fahren …“ Und: „Georgie, der Schwarz f�hrt zur Messe nach Leipzig, ich gebe ihm Auftrag f�r ein St�ck Bielefelder Leinen, du brauchst Nachtcamis�le, Georgie. Und, — nun ja, meinst du nicht auch, man k�nnte eine neue Kaninchenkatze f�r mich brauchen?“

Die Kaninchenkatze war Theresens Muff, sie hatte sich im vorigen Winter immer die r�udige Katze schelten lassen m�ssen, weil sie irgendwo einen kleinen abgeschabten Fleck hatte. Die Langmayer besa� einen Zobelmuff.

„Man k�nnte mit der r�udigen Katze einen herrlichen Fu�sack f�ttern,“ sagte Therese nachdenklich, „man kann nicht genug Fu�s�cke haben!“ Und pl�tzlich umschlang sie ihn von r�ckw�rts, legte ihre Wange an seine, lachte ein wenig und: „Georgie,“ fl�sterte sie, „darf die neue Kaninchenkatze aus Zobel sein?“ —

George lie� die Feder rascheln, rascheln, rascheln. George l�chelte �ber seiner Arbeit, hustete, hielt inne, hob den Kopf und lauschte auf die Ger�usche im Hause. R�schen weinte, aber nur einen Augenblick. Dann ging die Wiege, dann lachte Therese, dann jauchzte das Kind. George l�chelte wieder, er l�chelte bewu�t und �chzte gleich darauf ein wenig, ohne es zu wissen, w�hrend er fortfuhr, zu schreiben. Der Affenbrotbaum, oh, ein ergiebiges Thema! War es nicht verdienstlich, die deutsche Leserwelt �ber den Affenbrotbaum und seine Eigent�mlichkeiten zu unterrichten, und trug dann f�r ihn dieser Wunderbaum nicht seltsame Fr�chte, Nachtcamis�le und eine Kaninchenkatze aus Zobel?

‚Ich werde Spener um einen Vorschu� bitten m�ssen, wohl oder �bel,‘ dachte George, w�hrend er aus der ihm m�helos gehorchenden Anschauung heraus die S�tze halb mechanisch entstehen lie�; ‚er bot es mir ja selber an.‘

Spener war der Buchh�ndler in Berlin, in dessen Hand die F�den von Georges wissenschaftlichen Arbeiten zusammenliefen; ein Mann, der wohl wu�te, was er an seinem Forster hatte.

‚Oh, mein Teurer,‘ dachte George weiter, ‚aber glauben Sie nicht, da� ich mich als Ihr Sklave in den Bergwerken der Wissenschaft zugrunde arbeiten werde!‘

Seitlich blickend hing er eine Minute der Erinnerung seiner Einfahrten in die Harzer Bergwerke mit Trebra nach, damals auf der wundersch�nen Reise nach Wien — seltsames Labyrinth im Bauch der Erde, oh, aber still, — so still! Erzadern blinkten, irgendwo tropfte Schlaf …

Therese wu�te nicht, was Arbeit war, Therese hatte hundert Handfertigkeiten, die sie �bte wie Wandeln und Atemholen, Therese pflegte ihr Kind unter Tanz und Gel�chter, Therese hatte geistreiche Einf�lle und lie� sie spielen wie Schmetterlinge, Therese schw�rmte und weinte s��e Tr�nen und schrieb Briefe, — Briefe — Briefe …

Nein, Speners Sklave war er nicht —, Speners Sklave nicht.

Aber was wurde eigentlich aus ihm, fragte er sich manchmal dumpf staunend, aus ihm, der aus dem Reich der gro�en Geister, das Deutschland bedeutete, verschwunden war in die polnische Nacht, unter ein Volk von weniger als neuseel�ndischer Kultur, dessen geistige Gestirne bisher Pfaffen, franz�sische Vagabunden und italienische Taugenichtse gewesen waren? Dessen Adel die unbedenklichste Roheit mit franz�sischer Superfeinheit verbr�mt zur Lebensart erhoben hatte, in seinen prunkstarrenden Assembleen das Pharao als einzige Motion der K�pfe betrieb, von Konversation nichts ahnte, Kunst und Wissenschaft verachtete, — was wurde aus ihm in dieser Atmosph�re, ohne geistig ebenb�rtige Freunde, ohne Austausch, — was konnte aus ihm werden als der Sklave einer Arbeit, die, er wu�te es wohl, nur zweiten Ranges war?

Ein Abendessen im kleinen Kreise guter Freunde, ein Zusammensein in Heiterkeit und Herzlichkeit bei vorz�glichem Essen und gutem Gespr�ch, — bis Mitternacht bei dampfendem Punsch um den summenden Samowar gesessen, gelacht, gesungen, ein Spielchen getan, — dies, sinnierte George, als er an einem Januarabend Anfang 1787 bei Kerzenlicht noch einmal an seinem Pult stand und Ordnung unter den Papieren machte, wozu er vorhin in der Eile nicht mehr gekommen war —, dies ist’s, was nach einem angestrengten Tage wahrhaft Erholung und Harmonie des Gem�tes verschafft! Er pfiff mit vergn�gtem Gesicht ein wenig vor sich hin, er hatte den Spleen gehabt und seine Satire gegen Polen spielen lassen, trotz der Gegenwart von R�gnier und Strzecky, Langmayer hatte ihn grob und ehrlich unterst�tzt und wahrhaftig, R�gnier hatte den fr�heren Kammerdiener nicht verleugnet und war geschmeidig auf den Ton des Gastgebers eingegangen, bis ihn ein Wort von Langmayer auf die Nase traf, wie die Eichel den Bauern, der unter der Eiche schlief: Oh ja, Land, miserabeles, wo es gen�gt, hohe Herren gut rasiert zu haben, um Professor der Chirurgie zu werden! R�gnier, der ehemalige valet de chambre des F�rstbischofs und nun sein, eines Forster, Kollege an der Alma mater, haha, er hatte zum ersten Mal seiner gascognischen Schlagfertigkeit entraten und es hatte der ganzen Gewandtheit Theresens, der ganzen erschrockenen Milde des Pr�sidenten bedurft, um die Konversation wieder in harmlose Bahnen zu leiten, etwa, — Himmel, wie weit holte der gute alte Mann aus! — zu den Sternen der s�dlichen Hemisph�re und der Aurea australis. Da war George nun freilich ins Schw�rmen geraten und dann hatte er wieder einmal des eigenen Wesens Schatz versp�rt, aus dem heraus er unersch�pflich geben konnte, hatte wieder die Augen des ganzen Kreises gl�ubig und hingerissen auf sich gerichtet gesehen, besonders die der Langmayer und der R�gnier, die, aufgeplustert nebeneinander auf dem gr�nen Kanapee sitzend, bisher unerm�dlich miteinander geklatscht und gekakelt hatten und den Zwischenfall �berhaupt nicht bemerkt … Lieber Gott, das waren doch gute Kinder, die Langmayer in ihrer allerliebsten Rundlichkeit, die immer so viel Heimweh nach Kipfeln und Backh�hndeln hatte und ihn mit ihrer Mundart und Molligkeit immer an die kleine Mimi Born denken lie� —, die Langmayer eben, mit der alle Unterhaltungen unfehlbar auf den einen elegischen Schlu� hinausliefen: „Es gibt halt nur ein Wien, — geltens, Herr Professor?“ Und die R�gnier, deren erstes Kind so alt war wie das R�schen, schien schon wieder in der Erwartung, das r�hrte ihn heute so. R�gnier war au fond doch ein braver Kerl, wenn schon mehr ein Feldscher als ein Mann der Wissenschaft, und er g�nnte ihm sein h�usliches Gl�ck. H�usliches Gl�ck �berhaupt, das war’s, was einzig die Erde zur Heimat machen konnte, m�ge diese Zufluchtsst�tte liegen, wo immer sie wolle, meinetwegen auf Feuerland —, oh, nein, unterbrach er sich selbst erschrocken, aber jedenfalls, auch in Polen lie� es sich leben und sterben, wenn einer in des andern Liebe den Schl�ssel zum Paradiese besa�. Seit Therese das Kind hatte, seit sie in der k�rperlichen Pr�fung des Wochenbettes durchaus nicht gestorben, sondern mit verdreifachten Lebenskr�ften daraus hervorgegangen war, war sie da nicht durchstr�mt von Zufriedenheit, schien sie nicht v�llig aufzugehen in dieser Verz�ckung f�r das kleine Wesen, schwiegen nicht seit langer Zeit alle W�nsche nach Deutschland zwischen ihnen? Das Kind, dachte er, in Z�rtlichkeit verloren, o ja, das R�schen! Freilich, es sollte nach Deutschland, wohin es geh�rte, sobald seine Seele erwacht war, sollte nicht hier verk�mmern zwischen Sarmaten und R�mlingen! Einstweilen war ihm wohl, wo nur die Sonne schien, und — auch in Polen schien die Sonne und der Garten der Kindheit blieb hold und heimatlich im Scho�e der Erinnerung. War nicht ihm selbst sein d�rftiges Nassenhuben eine Insel des Friedens und der Reinheit, trotz allem?

Der sp�ten Stunde vergessend, begann er, mit den H�nden auf dem R�cken auf und nieder zu schreiten. W�rme �berkam ihn, Gef�hl des Besitzes, der Wurzelhaftigkeit. Er musterte die B�cherreihen, streichelte die Ger�te, die M�bel, die so schweigsam und bescheiden ihm dienten, mit den Augen. Er liebte sie, er pflegte sie durch Ordnung, auch das kleinste Ding hatte seinen festen Platz. Er hatte es erreicht, da� sein Tag sich mit federndem Rhythmus abspielte. Weit hinter ihm lag das Nebelmeer der Schw�rmerei mit seinen Untiefen, er war ein Mann geworden, er stand fest, er breitete sich aus. In dieser sonderbaren Stunde f�hlte er sich jeder Arbeitslast gewachsen. Er wollte nun Ernst machen mit der Aus�bung der medizinischen Praxis, womit er in innerer Unsicherheit immer noch gezaudert hatte, obgleich er sich schon vor zwei Jahren auf der Hochzeitsreise in Halle den dazu n�tigen Doktortitel geholt hatte. Langmayer hatte ihm heute wieder zugeredet, es zu tun, vielleicht nur, um R�gnier zu sekkieren, der der Vorstellung eines neuen Konkurrenten mit s�uerlichem Schweigen begegnet war. Nun, ich werde ja nicht begehren, zu operieren, mein Herr Professor und Bartscher, dachte George vergn�gt, wohl wissend, welche Art der Praxis ihm in der Gesellschaft von Stadt und Umgegend bl�hen w�rde, — Damenpraxis, leichte, aber eintr�gliche F�lle! Zweihundert bis dreihundert Dukaten f�r eine gl�ckliche Kur waren durchaus nichts Ungew�hnliches, er wu�te es von Langmayer; zwanzig bis f�nfzig Dukaten waren gemeine Einnahmen. Oh, Gott m�ge ihm verzeihen, wenn er’s nicht rein aus Liebe tat, — aber Polen einst schuldenfrei verlassen zu k�nnen, war das nicht auch ein gottgef�lliges Ziel?

Ich mu� es Therese erz�hlen, da� ich mich entschlossen habe, vielleicht, da� es sie freut, dachte er, die Kerzen l�schend und in der Dunkelheit den vertrauten Weg ins Schlafzimmer suchend. Ob sie noch wachte? Wie charmant sie heute Abend wieder die Wirtin gemacht hatte, war nicht Strzecky, dieser alte Abb�, v�llig verliebt in sie gewesen und hatten nicht die R�gnier und die Langmayer neben ihr gesessen wie schwerf�llige Lummen neben einem blitzenden wippenden Strandl�ufer? Am Ende hatte sie am Klavizymbel gesessen und �berm�tig trommelnd ihn und die ganze Gesellschaft zu unausl�schlichem Gel�chter hingerissen, w�hrend die R�gnier den Pr�sidenten in seinem langen Priesterrock nach dem Marsch aus den Deux Avares durch’s Zimmer f�hrte, versch�mt-feurig mit den gro�en Kirschenaugen rollend, w�hrend der Alte so zierlich trat wie eine Dohle im Schnee und zu seiner eigenen Entschuldigung etwas vom Wandel der Sph�ren dozierte und den K�nig David namhaft machte. „Habens eine Ahnung von ein Jesuitel!“ hatte die Langmayer atemlos gekreischt, — ja, Therese, sie war ein Genie der Geselligkeit, es machte ihr Plaisir, die Leute durcheinander zu bringen, und da� sie gl�cklich war, lag auf der Hand. ‚Ich bin’s, der sie gl�cklich macht,‘ dachte er noch gerade voll Zufriedenheit, die Klinke schon niederdr�ckend, nachdem ein feiner goldener Streifen am oberen T�rrand ihn belehrt hatte, da� drinnen noch Licht brannte. Und, so dachte es in irgendeiner Unterstr�mung seines W�nschens, — die R�gnier ist schon wieder in anderen Umst�nden …

„Therese!“ rief er halblaut und erschrocken aus und war mit zwei Schritten neben ihr, „was ist dir, Kind?“

Sie sa� auf dem Bettrand, die Ellenbogen auf den Knien, das Gesicht in die H�nde vergraben. Jetzt, da er, ratlos, den Arm zart um ihre zuckende Schulter legte, wandte sie sich hastig ab, warf sich in die Kissen und schluchzte weiter, schluchzte wie von Eruptionen einer k�rperlichen Verzweiflung gesch�ttelt, schluchzte wie ein Mensch, der sich nun einmal auf Gnade und Ungnade einer dunkelen Gewalt �berlassen hat, die er sonst zu b�ndigen pflegt, ja, hingegeben schluchzte Therese, hingegeben an diesen Ausbruch einer wilden Traurigkeit, darin rasend, taumelnd, schreiend in einer Art bacchantischer Gel�stheit, mit den H�nden schlagend, den Kopf drehend und zur�ckwerfend, Laute aussto�end, hohl, drohend, anklagend, als st�nde sie nackt vor Gott und wiese ihm ungeheures Elend, — so schluchzte Therese, — Therese, die ein Kind war, lachend sonst, schw�rmend, spielend, Therese, die gl�cklich war, die er gl�cklich machte, Therese …

George, in namenlosem Entsetzen, zur�ckgebogen nach dem Fu�ende des Bettes, die Arme steif von sich gereckt, die H�nde ineinander gerungen, erstarrt in der eisigen Str�mung dieser f�rchterlichen Offenbarung, George stammelte hilflos, mit kleiner Stimme, jammernd: „Therese! Aber Therese …“

„Oh!“ rief Therese. „Oh! Oh!“

Irrsal. Verlassenheit. Beschw�rung. —

Und dann weinte sie stiller.

George gewann Zeit, sich zu sammeln, aber er lie� seine Augen wandern und f�hlte, da� er nicht wu�te, was er hiervon halten sollte, da� er m�de war, ja, und da� ihn fror. Da stand sein Bett, schneewei�, einladend aufgedeckt, — wie, wenn er sich geschwind ausz�ge und die Erkl�rung von Theresens Kummer unter der Federdecke liegend empfinge? Unsicher indes, wie Therese dies aufnehmen w�rde, dr�ngte er solchen Wunsch zur�ck und begann ganz leise den R�cken der Halbliegenden zu streicheln, indem er in die Kerzenflamme starrte und mit dem G�hnen k�mpfte. Und fast erschrak er, als das Weinen pl�tzlich aussetzte und Therese sich so schnell aufrichtete, da� seine Hand von ihr abglitt, wie abgesch�ttelt.

„George!“ sagte Therese und ihre kleinen festen F�uste mi�handelten leidenschaftlich ein feuchtes winziges Taschentuch. „George!“ wiederholte sie tief atemholend und noch einmal aufschluchzend, er suchte mit einem scheuen Blick ihr ger�tetes entstelltes Gesicht und sah schnell wieder weg. „George!“ rief sie zum dritten Mal und der Batist zerri�: „Ich — halte dies — nicht mehr aus!“

„Aber was denn, Therese, — komm doch nur!“ bat er verzweifelt und suchte sie an sich zu ziehen. Aber sie stand auf, machte sich an der Wiege des Kindes zu schaffen, stand dann am Nachtschr�nkchen, putzte mit bebenden Fingern das Licht und wiederholte: „Ich halte es nicht mehr aus! Und was doch nur? Was doch nur? Dieses Land, — diese Stadt, — diese Menschen! Und dies, da� du dich hier behagst! Du! George Forster!“

„Ich?“ fragte George und fuhr sich mit der Hand �ber das Gesicht, — „Ich — oh — ich …“

„Oh, Georgie!“ rief Therese leidenschaftlich und auf einmal war sie zu seinen F��en und umschlang seine Knie. „Es geht nicht l�nger! Oh Georgie! La� uns …“

Das R�schen r�hrte sich in seiner Wiege und stie� einen kleinen Laut aus. „Still! das Kind!“ machte George.

„Das Kind!“ sagte Therese b�se, stand mit einer sonderbar ver�chtlichen Bewegung auf und trug gesch�ftsm��ig das Licht in eine andere Ecke des Zimmers. Dann trat sie an das Fu�ende des Bettes, auf dem er sa�, soda� er sich zu ihr umwenden mu�te, und die Arme aufst�tzend und ihn fest und beobachtend anblickend sagte sie nun in leichtem und n�chternem Ton: „Es geht nicht l�nger, George. Wir m�ssen von hier fort. Du bist es dir selber schuldig.“

„Therese,“ sagte George m�de, „du vergi�t, da� ich f�r sieben Jahre verpflichtet bin. Therese, und — wir sind doch jetzt ganz froh.“

„Froh!“ stie� sie hervor, „froh! Wenn ich mein besseres Selbst vergesse, bin ich froh.“ Und da er schwieg und mit einer haltlosen Geste die H�nde �ffnete und schlo�, den Blick von ihr abgewandt, fuhr sie fort: „Wenn ich vergesse, da� ich einmal in einem Zirkel von Menschen gelebt habe, in dem das Gespr�ch nicht einzig auf Dienstboten und Essen roulierte. In dem die gro�en Geister unserer und anderer Nationen wie Hermen in einem Tempel standen und t�glich frisch bekr�nzt wurden. Wo Seele die Seele erkannte und verstand im Augenblick des Sichfindens …“

„Jawohl, — Assad!“ fl�sterte ein b�ser Geist George ins Ohr. Und als ahnte sie seine Gedanken, schlo� Therese ein wenig allzu emphatisch: „Karoline! Philippine! Fiekchen! Schl�zer und seine herrliche Tochter! Wen soll ich noch nennen? Oh, George, du hast mit uns in G�ttingen gelebt, du kennst die Wonnen eines Umgangs mit Lichtenberg, mit — mit Assad …“

„Und,“ fuhr sie nach einer kleinen atemlosen Pause hastig fort, als wollte sie ihn hindern, zu antworten, „du behagst dich hier mit einem Langmayer, einem R�gnier beim L’hombre und bist es zufrieden, diese polnischen G�nse in der Botanik zu unterrichten.“

Dies letzte bezog sich auf einen Zyklus popul�r-wissenschaftlicher Vortr�ge, den George in diesem Winter vor einem Kreise von Damen aus der Gesellschaft hielt. Er err�tete und sagte unwillig: „Du vergi�t, da� es nicht mein eigener Wunsch war. Und ich habe Gr�nde, derartiges nicht von der Hand zu weisen.“ Er stockte. Therese, ging es ihm durch den Sinn, sollte leben wie die Blumen auf dem Felde … Er hob den Kopf und sah sie mit einem bittenden L�cheln an.

„Therese,“ sagte er, „hab’ ein wenig Geduld! Die Jahre gehen schnell herum, glaube mir!“

„Und deine Freunde vergessen dich!“ rief sie heftig. „Die Welt stand dir offen, vor zwei Jahren noch! Wer schreibt heute noch an dich? S�mmerring, — S�mmerring, — wer sonst? Spener h�chstens und die Herausgeber der Journale, f�r die du Fronarbeit tust …“

„S�mmerring freilich ist eine treue Seele“, murmelte George bitter. Oh, hatte Therese nicht recht?

„Georgie, Georgie,“ fl�sterte Therese und war wieder zu seinen F��en, die Arme auf seinen Knien, das Gesicht zu ihm erhoben, „la� uns fortgehen von Wilna, Georgie!“

„Deine Locken …“ er spielte mit ihrem Haar, er l�chelte, s�� gel�st von ihrer warmen N�he. „Oh, Therese! Weine nie wieder so!“

„La� uns fortgehen von Wilna!“ wiederholte sie eindringlich, die Augen mit t�dlich-ernstem Flehen in seine vertiefend, die ihnen auswichen. „Ich komme um in Wilna. Ich — komme um in mir selbst.“

„Oh, Therese, — und du warst doch immer so fr�hlich, seit das R�schen …“

Therese sah ihn eine Weile an, pr�fend, stumm. Dann sagte sie: „Fr�hlich, Georgie? Du sagst es, kein Zweifel, da� du es auch glaubst.“

Und gesenkten Hauptes, nach kurzem Schweigen, leise: „Die Mutter sagte manchmal zu mir:

‚Wenn dein Herz von Wunden blutet,

L�gt oft deine Stirne Ruh’ —‘“

„Therese!“ rief George kummervoll.

„Georgie?“ Sie hob den Kopf. Ihre Augen blickten bewegungslos, klar, r�tselhaft, Spiegel tiefer Brunnen. Ein nie bemerkter Zug von Qual spannte die Brauen.

„Therese,“ dachte George ersch�ttert, „war doch gestern noch ein Kind. Bin ich denn blind gewesen?“

Er zog sie empor, nahm sie in die Arme, bettete ihr Haupt an seine Schulter. „Geliebte,“ fl�sterte er angstvoll, „Einzige, sage doch, — ist es dies allein, was dich ungl�cklich macht, — dies allein?“

Therese hielt die Augen geschlossen.

„Ja, Georgie. Dies — allein …“

„Wir wollen fort von Wilna, Therese,“ redete er leidenschaftlich, und sein Atem bewegte ihr Haar, „du hast recht, ich verkomme hier, du hast recht, es ist ein �bles Zeichen, wenn man anf�ngt, sich hier zu goutieren. Du hast recht, du hast hundertmal recht, — und ich dachte nur, — ich kalkulierte, — aber gleichviel …“

Er starrte �ber sie hinweg, seine Augen brannten, sein Herz h�mmerte. Ein Fr�steln sch�ttelte seinen K�rper.

„Du bist m�de, Guter,“ murmelte Therese auf einmal schl�frig und l�chelte. Er k��te zerstreut die kleinen Finger, die ihm das Jabot l�sten. Er war nachdenklich, entledigte sich der Kleider ohne es zu wissen.

„Therese,“ begann er wieder, als er neben ihr lag, und im Dunkeln zog er sie an sich, — „es ist gut, da� dies kam, oh, du hast mich geweckt. Es war etwas eingeschlafen in mir, Therese, h�rst du, und vielleicht war es das, — das, was mich deiner Liebe erst w�rdig machte, — machen konnte, Geliebte, — dies, da� ich wagen und opfern konnte f�r dich. Ist es so, — Therese …“ bettelte er in der Dunkelheit und f�hlte es wieder, dies m�de, beschwichtigende Streicheln kleiner H�nde, das alles andre tat, als ihn beruhigen. Er stemmte sich auf den Ellenbogen und neigte sein Gesicht auf ihres.

„Vor zwei Jahren, kleines M�dchen,“ prahlte er mit leisem Lachen und spielte z�rtlich mit ihrem Stirnhaar, „als ich so verzweifelt war, weil ich nicht wu�te, woher das Geld nehmen, um dich aus G�ttingen zu holen, nicht wu�te, ob mir die Erziehungskommission den Vorschu� bewilligen w�rde, — da war ich noch ein Kerl, da hatt’ ich noch Projekte! Ja, was meinst du, wenn der Forster nicht gekommen w�re, dich zu holen, wenn er verschwunden w�re wie die Maus im Heuhaufen …“

„Ich wollte alles verkaufen,“ fuhr er tr�umerisch fort und warf sich zur�ck, „B�cher, Mineralien, Herbarien, und dann, unter dem Vorwand, nach Deutschland zu gehen, w�re ich geradenwegs nach Konstantinopel gefahren und h�tte dort mein Gl�ck versucht, als ein Kerl, der meist alle europ�ischen Sprachen spricht und just nicht auf den Kopf gefallen ist.“

Er verstummte einen Augenblick und — „ein Leucht�l, destilliert aus Hammelfett“ ging es ihm unerkl�rlicherweise durch den Sinn, und „man mu� es dem Gro�t�rken anbieten …“ jawohl, dies war der Studiosus Bezzel in Petersburg gewesen!

„Von Konstantinopel aus,“ sprach er langsamer, gleichsam behutsam, um nicht auf Erinnerungen zu treten, „w�r’ ich weitergegangen, nach Persien, — nach Indien, — w�r’ unter einem warmen Himmel wieder aufgetaut, lebendiger, geistiger, — j�nger geworden, und w�re, entweder ein Wiedergeborener mit frischem Ruhm bekr�nzt oder gar nicht zur�ckgekehrt — zu dir …“

„Georgie!“ — Therese hatte sich nun ihrerseits halb aufgerichtet und tastete nach seinem Gesicht. „Georgie!“ sagte sie schmeichelnd, „ach, kenn ich dich wieder, mein Georgie?“ Und, ihre Arme um seinen Hals werfend, leidenschaftlich: „Du solltest nicht immer — nur �bersetzen, Freund!“

„Nicht immer — nur �bersetzen, Therese?“ fragte George sanft, „oh — kleine Therese!“

„Nicht tagel�hnern — schaffen solltest du, George, die Welt erobern, gro�e Projekte ausf�hren …“

„Gro�e Projekte, Therese?“ Er hielt sie gegen seine Brust gepre�t, er f�hlte ihr schnelles h�pfendes Herz wie einen gefangenen Vogel gegen seines sto�en. Er l�chelte schmerzlich, sie sah es ja nicht.

„Ich werde,“ sagte er hastig atmend, „mich bem�hen, gib acht, — ich — habe Pl�ne, habe Aussichten. Du sollst sehen, man hat den Forster nicht so schnell vergessen, als du denkst. Therese, — bist du mir auch gut?“

Sie hatte sich zur�ckgleiten lassen, ach, und wieder waren da ihre sanften kleinen H�nde.

„Ja doch, Georgie, ja!“ sagte sie, als tr�ste sie ein Kind, „ja, ach Georgie, — und so m�de …“

Sie g�hnte leise. Sie zog die Decke bis ans Kinn hinauf. „Gute Nacht!“ murmelte sie, oh, es war gar kein Zweifel, da� sie halb schon schlief.

Der harte Kern hatte endlich keimen, Wurzel schlagen wollen, — er war aus dem Erdreich gerissen, betastet und wie spielend fortgeworfen worden. Kristalle wollten zusammenschie�en in dampfender Mutterlauge; eine achtlose Hand hatte die L�sung ger�ttelt und aufger�hrt. Und so w�rde es immer gehen, dachte George, und dachte es ohne Bitterkeit. Denn war dies nicht eigentlich erst Leben, dies, da� man nicht ausharrte in einem dunklen Gang des Labyrinthes, sondern vorw�rts st�rmte, einem halb nur geahnten Lichtschein zu, der, — Gott mochte es wissen, — den Ausweg in die Freiheit verhie�? Nun, welchen Schwung verlieh nicht der Entschlu�, Wilna zu verlassen! Welche Pedanterie war es gewesen, sich an einen Vertrag halten zu wollen, der ihn in seinen besten Jahren an eine Galeere schmiedete! Therese war eine gute T�nzerin, sie wirbelte ihn hinweg �ber alle Bedenken, und oh, welche Stunden von Moquerie und Ausgelassenheit hatten sie nun zusammen, wie verschworen und eines Sinnes waren sie jetzt inmitten des vulgi stulti, der sie fressend und saufend in tr�ger Geselligkeit umgab, wie eine Herde K�he, die wiederk�uend mit runden Augen auf das Schauspiel zweier von Geist und Jugend befl�gelter Menschen glotzte? Hatte er in dem letzten Jahr viel gearbeitet, so arbeitete er jetzt mehr als je, aber es ging ihm von der Hand als st�nde er an einer gut ge�lten Maschine, und der Cook r�ckte t�glich einen Bogen vor. Dies war nun noch einmal eine �bersetzung, dachte er, wenn er nachts mit fiebernder Stirn und kalten H�nden am Pult stand, — aber auch die letzte. Oh, Therese sollte sehen, wie es war, wenn er die Schatzkammern seines eigenen Geistes erst einmal auftat, — erntete in den G�rten, die nun endlich reife Fr�chte bieten mu�ten. Nicht zum Dozenten, zum freien Schriftsteller f�hlte er sich berufen. „Scheermesser sind nicht gemacht, um damit Kl�tze zu schnitzen,“ schrieb er an S�mmerring, frohen Selbstgef�hls voll.

Nein, er wollte nicht mehr Kraft und Zeit vergeuden. Aber freilich war es gut, immer in Amt und Brot zu sein, gut, einem freigebigen Herrn zu dienen … Es galt, einen G�nner zu finden, dem es lohnend schien, ihn hier loszukaufen, oder dessen Macht ausreichte, mit seinem Wunsch nach Forsters Diensten allein diese verfluchte Last von nahezu 6000 Gulden Vorschu� zu l�schen, die er der Erziehungskommission nun einmal schuldete. Therese hatte Recht: hier mu�te er als Mann von Welt politisch und mit k�hler �berlegung seine M�glichkeiten und Vorteile absch�tzen und gegeneinander ausspielen. Therese setzte abends „das Schachbrett“ auf, wie sie diese Besch�ftigung �berm�tig nannte, hohe und h�chste G�nner aufmarschieren zu lassen und zu pr�fen. Da war, wenn man die gro�e Zahl der ihm gn�dig gesinnten F�rsten weglie�, die hier nicht in Betracht kamen, da sie h�chstens Louisdors und Schnupftabaksdosen, aber keine gut dotierten �mter zu vergeben hatten, zun�chst einmal der Landgraf von Hessen, von Cassel her in unliebsamen Angedenken, — indes die Verleihung einer Professur der Naturwissenschaften an der Universit�t Marburg lag in seinen H�nden. Die t�tige Liebe des wackeren S�mmerring war am Werk, hier sowohl als bei seinem eigenen Herrn, dem Mainzer Kurf�rsten, f�r George zu arbeiten, und, — so sagte Therese, — beide Pl�tze hatten ihre Meriten, Mainz freilich ungleich gr��ere, da es sich unter dem Krummstab des Barons Erthal zu einem kleinen Musenhof, vergleichbar dem von Weimar, entwickeln zu wollen schien und — „mein Georgie!“ — es lag linksrheinisch, es war fast schon Paris! In Berlin war der vortreffliche Gleditsch verblichen, Friede seiner Asche! Gewi� war es opportun, dem Minister von Herzberg die Opera botanica zu schicken und diesem Besch�tzer von Kunst und Wissenschaft zu seiner Erhebung in den Grafenstand zu gratulieren, — oh, kein Wort von dem erledigten Lehrstuhl, man rief sich in Erinnerung, weiter nichts. Die gr��ten Figuren aber, mit denen Therese agierte, sa�en im Norden und im S�den auf den Thronen des deutschen Reiches und Ru�lands. Und es war zweifellos, da� es auf St. Petersburg ankam und auf St. Petersburg allein! Denn, so meditierte diese erstaunliche kleine Person ihm gegen�ber am Tisch ernsthaft, — wo Frauen regieren, hat ein Mann von Verdienst alle Chancen, und darum, von der gro�en Katharina ganz abgesehen, — kam es darauf an, die Aufmerksamkeit der F�rstin Daschkow, des weiblichen Direktors der Akademie der Wissenschaften, auf sich zu lenken! In Therese, dachte George voll abgr�ndigen Staunens, als er sich an einem dunklen Wintermorgen im Reisewagen auf der Fahrt nach Grodno sah, wo es Gelegenheit gab, sich dem Ambassadeur der Kaiserin, Herrn von Stakelberg, vorstellen zu lassen, — in Therese steckt etwas von einer Katharina, einer Daschkow und mehr von einem Diplomaten als in mir, S�mmerring, nun, und sagen wir einmal: dem Vater zusammengenommen! Und dann dachte er daran, wie der Vater im mausgrauen Rock nach Danzig gefahren war, mit der Absicht, den Vorg�nger des Herrn von Stakelberg, den weiland Herrn von Rehbinder, in die Tasche zu stecken, und wie er heimgekommen war in der �berzeugung, da� ihm dies gelungen w�re. Oh, die, alten Zeiten und der Vater! Und jetzt kollidierte man mit ihm auf Schritt und Tritt, denn nicht nur um Marburg bewarb sich der Alte ebenfalls, auch in Berlin, wo, wie George jetzt durch Spener geh�rt hatte, er, der Sohn, auf die Liste der f�r Gleditschens Stelle Vorgeschlagenen gesetzt war, war Forster senior auf dem Plan erschienen und hatte bei seiner Ernennung zum ausw�rtigen Mitglied der Akademie die Erfahrung machen m�ssen, da� George diese Ehre gleichzeitig widerfuhr! O nein, ich triumphiere nicht, dachte George, sich erschrocken von seinen Gedanken abwendend, und f�hlte doch, da� eine kalte Befriedigung sein Herz vor�bergehend hart und gl�nzend gemacht hatte. —

Es gibt Dinge, die einem niemals allein und losgel�st, sondern immer nur in der Verbindung mit anderen Gegenst�nden einfallen, so konnte sich George nicht an den Londoner Nebel erinnern, ohne an ein gewisses kleines Federmesser zu denken, das ihm in jenen b�sen Jahren vor der S�dseereise ein z�rtlich geliebter Besitz und ein Trost gewesen und sp�ter verlorengegangen war, — er konnte auch den Namen Surinam nicht h�ren, ohne die Erscheinung des Hofrats Kotelnikow vor sich zu sehen. Ebenso gab es Menschen, die ihm nur paarweise oder gar in Gruppen ins Ged�chtnis traten, Larry und Porea etwa, S�mmerring mit dem Hintergrund des ganzen Casseler Kreises, der ihm einigerma�en widerw�rtige Nikolai in Berlin mit seinem Gegenspiel, dem herzlich verachteten Schrepfer in Leipzig, die Musiker Neumann und Naumann in Dresden und — nun, Gott m�ge ihn davor bewahren, dachte George, da� er jetzt seine ganze wimmelnd bev�lkerte Erinnerung wachrief, um sich die ihn ein wenig qu�lende Tatsache zu erkl�ren, da� er nicht an den Vater denken konnte, ohne da� Therese dies stattliche Gestirn umkreiste, — nicht sich in das Wesen seines Weibes versenken, ohne da� die gleiche Konstellation sich ungerufen einstellte. An diesem Junimorgen, da er wie gew�hnlich mit Sonnenaufgang erwacht war und nun auf der Seite ruhend, die Hand unter die Wange geschoben, im ged�mpften Licht die neben ihm Schlummernde betrachtete, stieg irgendeine n�chtige Woge in ihm und wahrnehmend, wie ihre Brust sich hob und senkte und die Kante ihres Hemdes am Halse von den zuckenden Schl�gen des Pulses bewegt ward, dachte er sonderbar erregt: wie wehrlos sie ist! Und sich selbst vort�uschend, dieser Gedanke stiege aus der Lust, sie an sich zu rei�en, f�hlte er gleich darauf erschrocken, da� etwas wie geh�ssige Neugier in ihm sprach und ihm zeigte, da� Therese h��lich sei, doppelt h��lich jetzt in diesem Augenblick des Schlafes mit dem haltlosen Unterkiefer und dem Ausdruck unbedingter trotziger Hingabe an die Dumpfheit der Bet�ubung. Sieh keinen Toten und keinen Schlafenden an, sie k�nnen sich nicht verstellen! dachte George, sich unruhig herumw�lzend und die H�nde hinter dem Haupte verschr�nkend. Und da war’s wieder. Erinnerung arbeitete in ihm, deren er sich nicht bewu�t zu werden w�nschte, unwillig gab er ihr endlich Raum und erkannte, — jawohl, so hatte er oft, unz�hlige Morgen der Vergangenheit gelegen und den schlafenden Vater angesehen, hatte gedacht, — oh, l�cherliche Gedanken eines Knaben! — aber etwa so: Wenn ich nun aufst�nde, leise, heimlich, — das kleine Federmesser vom Tisch holte, das kleine, blanke, liebe, und mit seiner Spitze einen sauberen behutsamen Schnitt durch jenen tanzenden Adamsapfel dort z�ge … Aber dies m�chte Wahnsinn hei�en, wenn es nicht so l�cherlich w�re, sagte er sich, indem er sich nun pl�tzlich eilig erhob, das Gesicht zu einer unbewu�ten Grimasse verzerrt, — George Forster mit der Erinnerung an Mordgedanken, — George Forster mit der Lust, — und in einem letzten Nachgeben an jene dunkle Versuchung und mit einem scheuen Blick auf die Schlafende gab er es sich verzweifelnd zu, — ja, George Forster mit der Lust, sein Weib, seine Therese zu qu�len. Ach, nicht zu t�ten! Aber einmal mit seinen Z�rtlichkeiten den Blick ergebenen Duldens, den Blick unbeteiligter, stiller, ja vielleicht manchmal freundlicher Verwunderung wandeln zu k�nnen in einen gebrochenen, schwimmenden, — die in allen Lagen beherrschte Rede dieses Mundes aufl�sen in ein hilfloses Stammeln, — einmal Therese f�hlen zu machen! Er dachte: einmal, das ist dann, als ob eine T�r endlich aufspringt! Einmal, — das hei�t dann, f�r immer im Paradiese sein! Er zog sich hastig, ger�uschlos und ungl�cklich an. Er verlie� die Kammer und durchschritt mit gesenktem Kopf den Vorraum. Mein Gott, er war ein Narr, ein Undankbarer, sagte er sich, als er nun in seinem Kabinett hastig den Teller ausl�ffelte, den ihm Marischa gebracht hatte. Diese morgendlichen Verstimmungen waren ebenso eine Folge skorbutischer Sch�rfe in seinem Gebl�t, als die fortw�hrenden Anf�lle ziehender Schmerzen, als diese kleinen l�stigen Ausschl�ge, die entz�ndeten Augen, die peinigenden Koliken. Die S�fte reinigen! Das war der Schl�ssel auch zur Harmonie der Seele. Hastig schluckte er seine Erdbeeren in Milch, — Obst auf n�chternen Magen, wie es ihm S�mmerring verordnet hatte, und das Therese nie vers�umte, ihm hinstellen zu lassen, in der Form, wie die Jahreszeit es bot. Oh, sorgte sie nicht r�hrend f�r ihn? Ja, er war ein Narr! Wenn jetzt der Druck der Entt�uschung auf ihr lastete, da� bisher alle Pl�ne, von Wilna fortzukommen, gescheitert waren, — wenn dieser Druck sie matt und teilnahmslos machte, — war das nicht nur nat�rlich? Was verlangte er denn von ihr? Er schob den Teller zur�ck. Obst am fr�hen Morgen, mir zuwider wie nur je, dachte er angeekelt. Ach, mein Gott, es verlangte ihn ja nur nach ein wenig Z�rtlichkeit und W�rme, schrie es verzweifelt in ihm auf. Trugen sie denn die Entt�uschung nicht gemeinsam? Litt er nicht wie sie unter dieser Umgebung ohne Geist und Feuer, mu�te sie nicht endlich �berzeugt sein, da� er Ruhe und Gesundheit dransetzte, um aus diesem stagnierenden Froschteich herauszukommen, da� die satte Zufriedenheit der Kollegen, die kleinlichen Eifers�chteleien und Kabalen ihn bis zur Verzweiflung peinigten? Litt er denn immer noch nicht sichtbar genug, um der Gemeinschaft ihres Leidens endlich teilhaftig zu werden? Denn, — nicht wahr, — dies war’s: er wollte leiden, um ihrer w�rdig zu sein, um bei ihr zu sein, wohin ihr Herz sie immer trug, — nur bei ihr und mit ihr, — und um den D�mon L�gen zu strafen, der ihm so den Spiegel vorhielt und h�misch raunte: br�chtest du selbst denn die Gr��e auf, Freund, um so zu leiden wie sie, unmittelbar aus Gottes bitterer Hand? — sprang er verzweifelnd auf und rannte hinaus, fort von den schon ausgebreiteten B�chern und Papieren, der still lockenden und drohenden Welt der Arbeit, in der Vergessen und Zufriedenheit war.

Ein botanisches G�rtchen von Qualit�t! ging es ihm durch den Kopf, als er in dem Schattenwinkel hinter dem Hause war, wo er die f�r die Demonstrationen in den Kollegien notwendigen selteneren Pflanzen ziehen sollte und wo er nun zwischen den Rabatten auf und nieder ging, dumpf eingedenk, da� die unz�hligen Fenster des weitl�ufigen Geb�udes auf ihn niederblickten und da� hinter einem m�glicherweise die Langmayer stand und in der lieben Wiener Mundart sagte: „Maria und Josef, — der arme Mann!“ H�tte er nur gewu�t, warum sie ihn immer bedauerte, ihn, der vor der Welt so gl�cklich war! Dies aber, was ihn jetzt qu�lte und ruhelos machte, da er nun einmal wieder den Vater und Therese in seinen Gedanken vermengt hatte, war eine Erinnerung von der Hochzeitsreise her, die �ber Halle hierher gegangen war. Selbst in dem Bewu�tsein, wieder in den Bannkreis des Vaters zu treten, hatte er dieses Mal ohne inneres Widerstreben, ja, mit einem gewissen Frohlocken die Schwelle des Elternhauses �berschritten, er kam ja nicht allein, wer konnte ihm jetzt noch etwas anhaben? Die Erlebnisse der ersten Tage des Zusammenlebens waren noch unentwirrt um ihn und Therese, sie bedeuteten einstweilen noch die holde Unordnung zerrissener Kr�nze, die noch nicht verwelkt waren, es war im gesicherten Besitz noch das atemlose Zittern ungestillter Sehnsucht in ihm und sie war von jener br�utlichen Schmiegsamkeit gewesen, mit jenem weinenden L�cheln der Hingebung, der Bereitschaft, das ihn r�hrte und toll machte zugleich. Sie waren im Gasthof abgestiegen, Therese machte sich sch�n, sie hatte das Kleid aus jenem wei�en Aotobast hervorgeholt, den George ihr einst geschenkt, hatte es angezogen, um, wie sie mit Munterkeit sagte, den alten Eroberer von Tahiti zu ehren. George hatte ihr geholfen, hatte Hefteln und B�nder geschlossen, die Handspiegel gehalten, damit Madame sich von allen Seiten betrachten konnte, hatte zwischendurch vor ihr gekniet und diese lieben, wunderlich kleinen F��e gestreichelt, — mu�ten sie nicht m�de sein von der Reise? Aber ja, sie mu�ten doch, wenn man auch best�ndig gefahren war! Wie war es denn m�glich, da� ein Mensch sein Leben lang auskam mit F��chen, nicht gr��er als eine gew�hnliche M�nnerhand? — kurzum, er hatte sich verliebt und ungeschickt betragen, bis Therese: „Aber, — mein Freund!“ gesagt hatte, ja, das hatte sie schon damals zuweilen getan. Am Ende hatte er mit ihr am Arm den Gasthof verlassen und hatte sie ganz �berm�tig vor Stolz und Wichtigkeit durch die Stra�en gef�hrt, selbst elegant genug, wie er sich d�nkte, im neuen blauen Tuchrock nach englischem Schnitt, Hut unterm Arm und Hand am Degenknauf. Blickten die Mutter und Fieken nicht schon am Fenster nach ihnen aus? Er gab Theresen noch einige Verhaltungsma�regeln; sie sollte sich nur nicht f�rchten, sagte er tr�stend, der alte Herr, nun ja, er habe seine Wunderlichkeiten, aber er sei kein Menschenfresser, — sei kein Menschenfresser, wiederholte er sich selbst innerlich staunend, wer hatte ihn denn je daf�r gehalten, f�r einen Menschenfresser? — und man brauche ja nicht mit ihm zu leben. In wenigen Tagen w�rden sie wieder allein miteinander sein, sagte er, nur, nicht wahr, ein paar Stunden t�glich w�hrend dieser kurzen Zeit m��ten der Piet�t zum Opfer gebracht werden und die Mutter, ach, die Mutter w�rde sich so freuen! Er redete so viele Worte der Beruhigung und der Vorbereitung, da� Therese endlich ganz verwundert zu ihm aufsah und sagte: „Aber, George, ich f�rchte mich doch gar nicht!“ und er sich besann, freilich, er hatte nicht bedacht, da� Therese Heyne gewohnt war, mit den sonderbarsten alten Knaben zu plaudern, da� sie, — und war das nicht einer der Z�ge, die er so leidenschaftlich an ihr bewunderte? — eine kleine Dame von Welt war, gewohnt, sich in alle Situationen zu schicken. Kindlich genug betrachtete er ihre Eigenschaften als eine Verst�rkung, eine Erweiterung der eigenen Person, — nun, der Vater w�rde sehen, der Vater w�rde staunen, was da endg�ltig aus ihm, George, geworden war, er w�rde es nicht mehr wagen …

Was w�rde er nicht mehr wagen? George wu�te es bald selbst nicht mehr, was eigentlich er sich von diesem Besuch f�r eine Wirkung versprochen hatte, — etwa die einer Parade vor dem Feind, einer friedlichen Parade in voller R�stung mit Fahnen, Standarten und blitzend neuen Waffen: Hier das Haus Forster junior auf immerdar? Da stand ein Riesenstrau� bunter Astern mitten auf dem runden Tisch und dahinter, r�tlich wie der herbstliche Mond, leuchtete Reinhold Forsters massiges Gesicht unter dem schimmernden Toupet und selbstverst�ndlich! er hatte auch einen blauen englischen Frack an und wie f�llte er ihn aus mit Brust und Schultern! Da sa� er, lie� seine gro�en Augen rollen, blies die Backen auf wie nur je und spielte den galant-homme, sich herabneigend zu der kleinen zierlichen Schwiegertochter und seine gewaltige Hand auf ihre schmale legend, — und das schon in der ersten halben Stunde der Bekanntschaft! George, an der anderen Seite des Tisches zwischen Mutter und Riekchen sitzend, sich der Verpflichtung innerlichst bewu�t, sein neues Gl�ck in die erloschenen Augen der Mutter strahlen zu m�ssen, die an ihm hingen, f�hlte eine nie geahnte Erregung des Herzens. Plaudernd und lachend, als h�tte er Wein getrunken, rief er Therese an, sie m�ge seine Erz�hlung von der Hochzeit erg�nzen, was f�r eine Robe hatte ihre Mama getragen, wie waren die allerliebsten Carmina gegangen, die ihre kleinen Stiefgeschwister rezitiert? Dies alles interessiere brennend die Damen. Zugleich w�hlte er hastig, fieberhaft nach einer Frage, die er dem Vater wie eine Schlinge umwerfen k�nne, — ja, — wie war das mit seiner Promotion, was f�r Visiten waren zu machen, welcher Anzug war angebracht? Sonderbar bem�ht, der Mittelpunkt des Kreises zu werden, kein Sondergespr�ch aufkommen zu lassen, redete er nach rechts und links, was ihm gerade in den Sinn kam, die Augen immer wieder beschw�rend auf Therese gerichtet: einen Blick, ein kleines Freimaurerzeichen des Verst�ndnisses, der Zusammengeh�rigkeit wollte er haben, — oh, aber nicht dies gleichm�tige, abgleitende L�cheln! Verzweifelt machte er Anspielungen auf kleine gemeinsame Erlebnisse der letzten Tage: „Wei�t du noch, in Weimar …?“ sagte er, und „Therese, wie war die Aussicht aus unserem Fenster in Eisleben, du erinnerst dich, haha!“ erreichte aber nichts, als da� sie ihn erstaunt fragend und nachdenklich anblickte und da� Riekchen eifrig fragte: „Wie war das denn, erz�hle doch!“ Allm�hlich verstummte er, zerbr�ckelte seinen Kuchen mit den Fingern und starrte vor sich hin aufs Tischtuch. „Mein Georgie,“ h�rte er die Mutter neben sich und f�hlte ihre leise Hand auf dem �rmelaufschlag, „bist du nun froh?“

Er wandte ihr die Augen zu.

Der Vater neckte Therese. Der Vater nannte sie: „Frauenzimmerchen, charmantes, durchtriebenes!“ Der Vater reichte ihr mit Grandezza den Arm, um sie in den Garten zu f�hren. Die andern folgten. „Zwischen diesen ehrw�rdigen Zeugen des Geistes,“ sagte Reinhold Forster im Kabinett verweilend mit einer weiten Handbewegung auf die B�cherborde deutend, „hat Ihr George seine ersten sch�chternen Schritte auf dem Pfade der Wissenschaft getan!“ Alle waren stehengeblieben. Dort standen der Vater und Therese. Hier stand George, den Kopf ein wenig gesenkt, den Mund mit einem schmerzlichen Versuch zu l�cheln halb ge�ffnet, die Augen schweifend; Mutter und Schwester hinter ihm in der dem�tigen Haltung liebender Einfalt. Der Vater aber legte den Arm pl�tzlich mit einer gro�en Geb�rde um Therese, die mit einem gurrenden Lachen zu ihm aufsah, und mit der Linken erst auf sich selbst, dann auf den Sohn deutend, rief er mit dem alten wohlbekannten Dr�hnen des Brustkastens: „Geg�ngelt, geg�ngelt, geg�ngelt ist er gegangen! Frauchen, Frauchen, nun kriegt Sie die Z�gel in die Hand! — hat Sie auch die Forsche dazu?“

Versunken niederstarrend auf ein Beet mit Heilkr�utern, sah er die beiden wieder stehen, mit den K�pfen nickend. Hatte nicht auch Riekchen, hatte nicht selbst die Mutter lachen m�ssen? Ein Scherz, mein Gott, ein Scherz im Familienkreise!

Er ging ins Haus zur�ck, von neuem bet�ubt durch diese Erinnerung, von der f�rchterlichen Bedeutsamkeit, die sie in seinen Augen gewann, je �fter er sie hin- und herwandte: hier hatte er gestanden, allein, und dort — dort war Therese gewesen, — Therese neben dem Vater. — — —

Ein paar Stunden sp�ter am Fenster stehend, unf�hig zu arbeiten unter dem f�rchterlichen Druck des seelischen Schweigens, das zwischen ihm und Therese sich ausbreitete, einem ratlosen Zustand k�rperlicher Angst hingegeben und mit einem Gef�hl von Abneigung und Ekel das Treiben der G�nse um den T�mpel auf dem weiten grasbewachsenen Platz zwischen seinem Wohnhause, dem Universit�tsgeb�ude und der blendenden Fassade der Kirche gegen�ber beobachtend, — in diesem Augenblick sah er durch die wei�e Ver�dung der Mittagsstunde aus der Richtung der Posthalterei her einen Mann stracks auf sein Haus zukommen, trat einen Schritt zur�ck, griff sich an die Stirn, lachte gl�cklich auf und stammelte: „Nun, endlich!“ obgleich er sich sofort dessen ganz bewu�t war, da� nicht der geringste Anla� vorlag, in diesem Manne den Schicksalsboten zu sehen. Als er eine Stunde sp�ter das Wohnzimmer betrat und sich Therese gegen�ber am gedeckten Tische niederlie�, war eine Frische und Straffheit in seinen Bewegungen und lag, w�hrend sie die Suppe l�ffelten, ein nicht zu b�ndigendes L�cheln auf seinem Antlitz, da� Therese schlie�lich nicht umhin konnte, die Lider zu heben. „Was gibt’s, Forster?“ fragte sie ein wenig gereizt, — freilich, buchte er heimlich, was hatte er auch fr�hlich zu sein, wenn es ihr zu schmollen beliebte? — und „Was ist’s mit dem russischen Kapit�n? Wieder einen Gast auf den Abend? Du wei�t, ich habe nichts im Hause.“

Spielerisch, als sei er g�nzlich unber�hrt von ihrem larmoyanten Ton, gab George l�chelnd zur Antwort: „Oh, wie du willst, meine kleine Therese! Es ist ein Kapit�n Mulowsky aus Cherson von der Marine der Kaiserin, und gewi� ein etwas verw�hnter Herr. Ich — werde mit der Langmayer sprechen, meinst du nicht? und zum Soupieren mit ihm hin�bergehen. Sie wird sich’s zur Ehre anrechnen, denk ich.“

Therese, die an ihm vorbeigesehen hatte, wie ein trotziges Kind, blickte ihn pl�tzlich voll und mi�trauisch an: „Zur Langmayer? Aber geh du nur, — und verdirb dir wieder den Magen an ihrem fetten Zeug! Es ist eine Sache des Geschmacks, ob man sich dabei behagt oder nicht.“ Und da das milde Strahlen gar nicht aus Georges Augen weichen wollte, blickte sie ihn noch einmal pr�fend und nicht begreifend an und sagte dann langsam, mit einem Unterton ungl�ubiger, z�gernder Ahnung: „Georgie, — was — wollte dieser Kapit�n?“

„Oh — nichts …“

George zerschnitt vergn�gt das Fleisch auf seinem Teller, — „gar nichts weiter Besonderes. Er — hat mir im Namen der Kaiserin — nun etwa dreitausend Rubel Gehalt versprochen und Deckung aller meiner hiesigen Schulden …“

„O George — Georgie!“

„… wenn ich mich bereit erkl�re, eine Entdeckungsexpedition nach der S�dsee mitzumachen. Er brachte einen schmelzenden Empfehlungsbrief vom Ambassadeur mit. So ist es! Ja, Therese!“

Gl�ckselig lachend breitete er beide Arme aus. „So ist es!“ rief er noch einmal, „so ist es! Oh, Therese, — das Leben ist mir neu geschenkt!“ Und im selben Atemzug neben ihr kniend, sie umschlingend: „Oh, vergib! Aber verstehe, verstehe! Dies, — dies ist noch einmal eine T�r ins Freie. Und ich komme wieder, ich komme wieder, Kleine, Geliebte, — und du wirst mich lieben und wir werden selig sein!“

Therese, seltsam �ber diese gestammelten Worte hinweglauschend, ihm zugewandt, die Hand auf seiner Schulter, sagte langsam: „Georgie, dies ist mir wie ein Traum.“ Und nach einem Stocken, w�hrend er l�chelnd zu ihr aufsah: „Wie sagtest du? Dreitausend Rubel Gehalt? Wie — ist das zu verstehn, mein Georgie?“

„Oh,“ sagte er ein wenig erstaunt, „es war eine meiner Bedingungen, es war … Nun, ich werde j�hrlich zweitausend Rubel unterwegs ausgezahlt bekommen, — Liebe, — es ist eine Abwesenheit von drei bis vier Jahren vorgesehen …“ er legte mit zarter, �ngstlicher Geb�rde den Arm um sie.

„Zweitausend,“ wiederholte sie ein wenig ungeduldig, „nun, und — und …?“

„Tausend,“ sagte George irgendwie verwundert, „wirst du j�hrlich bei einem noch n�her zu bestimmenden deutschen Bankier f�r deinen und unseres Kindes Unterhalt erheben. Du wirst in Deutschland leben, selbstverst�ndlich!“

„Ach!“ Therese beugte sich vor, um ihn zu streicheln, — oder war’s, um ein sonderbares L�cheln zu verbergen, das haltlos um ihren Mund flackerte? „Wie gut von dir! Georgie, — aber wirst du denn auch eine Pension haben, wenn du zur�ckgekommen bist?“

„Ich werde mir die H�lfte meines Gehaltes auf Lebenszeit ausbedingen,“ erwiderte er, bem�ht, ihren wandernden Blick zu fassen, „und“ — setzte er langsam hinzu — „komme ich nicht wieder, Therese, so sollst du diese Pension bis an dein Lebensende haben. So werde ich mich bem�hen, es durchzusetzen.“

„Oh, Georgie, Georgie! Wer spricht davon?“ rief sie nun und pre�te seinen Kopf an ihre Brust mit einem Aufschluchzen, wie ihn d�nkte. „Oh, wie kannst du an so etwas denken? Es ist nur — der Vater, — er ist immer so penibel in derlei Fragen. Du wei�t ja, damals, als du um mich angehalten hattest, eh du nach Wilna gingest, er wollte nicht, da� wir uns noch einmal s�hen. Erinnerst du dich?“

„Ich erinnere mich“, sagte George, pl�tzlich von Bitterkeit �bermocht.

„Es war,“ fl�sterte Therese, „da� er meinte, du w�rdest mich nicht erhalten k�nnen. Er dachte, du w�rdest es bald selber einsehen, und dann w�rde es gut sein, da� wir uns nicht wiedergesehen h�tten, wei�t du. Ach, er sprach so viel von Versorgung und Pension, da ist das so in meinen t�richten Kopf gekommen. Wie, Georgie, — du wei�t doch, da� deine Therese keine Rechnerin ist?“

Spielend, z�rtlich, flocht sie ihre Finger in seine. „Drei bis vier Jahre? Ach, George! Aber es gilt deinen Ruhm und die Wissenschaft! Du sollst sehen, wir werden tapfere Frauen sein, das R�schen und ich!“

George hatte sich erhoben. Er sah auf sie nieder mit seinem unsichern Blick g�tevollen Staunens, er wandte sich ab, er schritt im Zimmer auf und nieder.

„Tapfer? Tapfer?“ dachte er ratlos, — „sie — freut sich ja! Sie freut sich — da� ich gehe …“

Sie freute sich nicht, da� er ging, befahl George nach einer Viertelstunde der Verzweiflung in seinem Kabinett seinem Herzen zu glauben, nachdem er sich an der alten Vorspiegelung gest�rkt hatte: Therese ist ein Kind! Therese war ein Kind, und das Neue dieser Aussichten, die unfa�bare Ver�nderung des Daseins, die bevorstand, hatten sie verwirrt. Wie hatte er sich so t�uschen k�nnen? „Der Mut meiner unvergleichlichen Therese unterst�tzt mich in allem,“ schrieb er gleich darauf am Schlu� eines in fliegender Eile an seinen Schwiegervater hingeworfenen Briefes mit den Neuigkeiten dieses Tages und f�gte ein Erkleckliches an Beruhigungss�tzen �ber die Sicherung von Gegenwart und Zukunft hinzu. Oh, wie sehr recht hatte ein Vater, sich um das Gl�ck seiner Tochter zu sorgen! Mein R�schen! dachte er in Bewegung. Nur ein Vater konnte ein Vaterherz verstehen! Indes, nun die R�hrungen beiseite geschoben, es galt, sogleich an S�mmerring zu schreiben, den er dem Kapit�n als begleitenden Arzt vorgeschlagen hatte, galt, Jubel auszustr�men in die Brust des Getreuen, der wie kein anderer begreifen w�rde, was dies hie�, was dies zu bedeuten hatte, als wissenschaftlicher Leiter mit unbeschr�nkten Vollmachten einer Expedition vorzustehen, die mit f�nf Schiffen ausger�stet als eine Kriegsflotte der Aufkl�rung gegen die R�tsel des Erdballs ziehen w�rde. Rausch und Taumel �berkamen ihn bei der Versenkung in die Macht, die da auf einmal in seine H�nde gelegt war. Einen Astronomen, Unter�rzte, Zeichner, J�ger, Ausstopfer, G�rtnerburschen, ja vielleicht auch Bergleute galt es anzuwerben, — ha, jetzt sollte manch einer es erleben, da� er gut daran getan, dem Forster Dienste zu erweisen, da� der Forster sich zu erinnern verstand! Er beschlo� und notierte es sich, da� er eine geh�rige Summe fordern wollte, um seinen Mitarbeiterstab durch Verleihung kleiner Geschenke und Pensionen geschmeidig zu erhalten. Schlug er etwa den guten alten Wales in London — er w�rde doch noch leben? — als Astronomen, — den jungen, ihm so treu ergebenen Dr. Mayr in Prag als Botaniker vor? Und welche Aussicht, dem Bruder Karl eine Stelle als surgeon’s mate zu verschaffen, konnte er als S�mmerrings Gehilfe nicht Unsch�tzbares profitieren!? Der Vater, dachte George, schier atemlos von dem Wirbel seiner Gedanken, der Vater wird’s nicht zugeben! Und wie ein Wolkenschatten zog die finstere Gestalt des eifers�chtigen K�nig Minos �ber die Gefilde seines Gl�ckes. Gleich darauf ri� er Schiebladen auf und begann, planlos Papiere herauszunehmen, durchzusehen, zu vernichten. Aber dies hat Zeit! dachte er pl�tzlich besch�mt und tat alles wieder an seinen Ort. Besser war’s, eine Liste der zur Fahrt n�tigen B�cher und Instrumente aufzustellen, oder mit allem Flei� seine der russischen Regierung vorzulegenden Bedingungen noch einmal durchzuarbeiten, oder ein Verzeichnis der Gegenst�nde zu machen, die vor der Abreise hier zu verkaufen waren, — denn nat�rlich dachte er nicht daran, unn�tigen Ballast in die befreite Zukunft hineinzuschleppen, und was war nicht alles Ballast in diesem Augenblick, — die H�lfte seiner B�cher und Sammlungen gewi�, und der gr��te Teil des Ameublements! Das alles w�rde in den n�chsten Monaten f�r gutes Geld loszuschlagen sein, unter der Hand und ganz ohne Aufsehen, denn er mu�te seine Vorbereitungen heimlich betreiben, bis die russische Regierung mit der Erziehungskommission abgerechnet und ihn losgekauft hatte, — Himmel, Therese w�rde doch nicht etwa schon mit der Langmayer geschwatzt haben! Er rannte hin�ber, auch in dem unbewu�ten Verlangen nach R�schens kleinem Apfelgesicht, — wenn ich wiederkomme, dachte er mit j�hem Erschrecken, ist mein R�schen fast sechs Jahre alt! Nein, Therese hatte mit keiner Seele geschwatzt, sie sa� im G�rtchen, das Kind an der Brust, den Blick ganz still auf ein Beet voll bl�henden Lavendels gerichtet. „Ich will doch nicht an den Vater denken und an seine ridik�len Passionen!“ dachte George, den es von jeher ein wenig verstimmt hatte, da� Therese die Vorliebe f�r dieses Kraut mit dem Alten teilte und da� denn dieser Duft der Duft aller guten und b�sen Tage zu sein schien.

Therese hob den Blick zu ihm und da sah er, da� ihre Augen voll Tr�nen standen: „Wir kommen nach Deutschland, wir kommen heim!“ fl�sterte sie gebrochen, und da war es auch um seine Fassung geschehen. Er kniete neben ihr, er k��te ihre H�nde, das R�schen jauchzte und griff in seine Haare, sie lachten und weinten miteinander. „Alles wird gut, alles wird wieder gut!“ zog es befreiend durch sein Herz. Unendliches wollte besprochen sein, im Umsehen war der Abend da, und mit ihm noch einmal der Kapit�n, zun�chst zugekn�pft wie ein Engl�nder. Aber der Tee schmolz sein russisches Herz, er begann zu fabulieren; Katharina war seine Himmelsk�nigin und er wollte ihr den Erdkreis erobern. Er sei ein nat�rlicher Sohn des F�rsten Czernitscheff, des Vizepr�sidenten des Admiralit�tskollegiums, — oh, der Herr Geheime Rat sollte nur fordern, fordern, fordern, es w�rde alles unterschrieben werden. Drei K�sse besiegelten den Bund, als die zuk�nftigen Weggesellen sich trennten. „Dieser Mann“, sprach George noch vor dem Einschlafen in die Dunkelheit hinein, von seinem aufgew�hlten Herzen getrieben, „wird mir Freund und Bruder werden. Ihn und unseren S�mmerring an meiner Seite wissend kannst du getrost mich ziehen lassen, Therese. Therese, — aber schl�fst du denn schon?“

Nun, da er dem Abgott seiner Jugend geopfert hatte, in dem Augenblick, da die �bersetzung der Cookschen Reisebeschreibung als ein stattliches Konvolut bereit lag, an Spener abgesandt zu werden einschlie�lich seines Aufsatzes �ber jenen Tapferen, der mehr war als eine blo�e W�rdigung, der eine Huldigung war und ein Dank des armen kleinen George aus den fernen Tagen, — einschlie�lich auch der allergn�digst akzeptierten Widmung an des Kaisers Majest�t zu Wien, die Therese durchgesetzt hatte, — ja, als ob mit diesem Zeitpunkt das Schicksal freie Hand bekommen h�tte, so hatte es ihn ergriffen und dorthin gestellt, wo sein Held gestanden hatte, mitten in ein Leben der Tatbereitschaft und des Wirkens. Er hatte so lange im Schweigen Gottes gelebt, da� er mit ungl�ubigem Staunen wahrnahm, wie alles sich so glatt abwickelte, wie die Kommission ihn, obschon mit unendlichen Ausdr�cken des Bedauerns, der H�flichkeit und Versicherungen seiner Unersetzlichkeit loslie� und das russische Geld einsteckte; da� er es kaum fassen konnte, als er die Kisten mit seinem pers�nlichen Eigentum, — — oh, welche W�scheausstattung hatte Therese in den wenigen Wochen zustande gebracht! — nach Kopenhagen abfertigte, wo sie Mulowsky, mit seiner Flottille von Petersburg kommend, gleich an Bord nehmen sollte; da� ihm die Gedanken stockten bei der Vorstellung, da�, wenn er Therese nach G�ttingen gebracht hatte, wo sie bei den Eltern bleiben sollte, er dann im Oktober zusammen mit S�mmerring nach London gehen und dort die letzten, wichtigsten Vorbereitungen treffen w�rde. Er, nun so gro�er Dinge gew�rdigt, ward in diesen Wochen von einem blinden Triumphgef�hl getragen, als habe er dies alles hart erk�mpft und nicht nur — herangeduldet. Er verga� alle seine k�rperlichen Leiden oder sie gingen unter in dem Aufstrom von Kraft, der durch seine Adern brauste. Er sang und pfiff bei der Arbeit, — ach, The Rakes of Mallow und Larry droben im Takelwerk! — seine Phantasie spielte, er sp�rte bis ins Mark den st�hlenden Atem der Wogen, roch Salzwind und Teer und Kaffees�cke und fremde H�lzer, Gew�rze und Tiere, sah vor Augen die wilden, sch�nen Menschen der Inseln, sp�rte ihre erregende Ausd�nstung, dachte an die Starostin, an die Tatarin, lief zu Therese, um sie an sich zu pressen und ihr etwas ganz und gar �berfl�ssiges von dem h��lichen Kreischen der Papageien in den Urw�ldern Surinams zu erz�hlen, von Schlingpflanzen, Affennestern, Giftschlangen und V�glein Kolibris, die aus Becherbl�ten Honig tranken, sagte tr�umerisch und unverst�ndlich: „Also so, — so war es dem Vater zumut, damals, als ich nichts begriff …“ und ward nur in den N�chten manchmal von Zaghaftigkeit �berfallen, in den N�chten, wenn bei der s��en, leisen Musik der Atemz�ge von Weib und Kind ihn die Vorstellung �berkam, da� die gro�en Winde drau�en �ber den Meeren tanzten und kein Erbarmen hatten und nicht wu�ten, da� einer zur�ckkommen mu�te zu Therese und zu dem kleinen, kleinen Kinde.

Dann wieder �berkam ihn das Gl�ck ausschlie�lich in Gestalt der Vorstellung, da� diese H�lle von Wilna nun zu seinen F��en lag, — „denn,“ sagte er in Langmayers runde Augen hinein, „es war eine H�lle f�r mich, Freund, und alle meine Anpassung an meine unw�rdigen Verh�ltnisse nur eine Form der Verzweiflung.“

Langmayer, dem�tig zustimmend, wagte zu bemerken, da� jede H�lle ihm durch seine Miezi zum Paradiese werde, ein Argument, das George �berh�rte. Da� er nahe daran gewesen war, hier auch sein Paradies zu finden, wennschon nur in seiner Phantasie, nun, wen ging das etwas an? Er, der zur�ckgefunden hatte auf den harten m�nnlichen Weg der Dalrymple und Cook, er hatte sein Paradies im Reich der Ideen und nicht zwischen Tisch und Bett. Er opferte sein Behagen der Wissenschaft, — wu�te Herr Langmayer, was es damit auf sich hatte? Zugleich empfand er es Tag und Nacht mit einem Taumel des Entz�ckens, da� Therese einen neuen Menschen in ihm entdeckt zu haben schien, da� sie seine rastlose, beschwingte T�tigkeit mit einer heimlichen Bewunderung begleitete, die sich in kleinen Z�rtlichkeiten Luft machte. Da� sie seine Pl�ne ausbauen half und sich nach seinem Sinne einrichtete, — so verzichtete sie ohne weiteres auf ihren Wunsch, die Jahre der Trennung in Gotha bei den Freunden Reichardt zuzubringen, da es ihm lieber war, sie in G�ttingen zu wissen, — und er ging unter in der seligen T�uschung einer endlich erreichten, vollkommenen Vereinigung. Die Abschiedsvisiten lagen hinter ihnen, auch die letzte, feierlichste beim F�rsten Primas im Lustschlo� Werki, eine Stunde vor Wilna, — sie verbrachten die letzte Nacht in den Gastbetten der guten Langmayers, sie konnten nicht einschlafen und z�hlten sich die Wonnen des Wiedersehens, die auf dem Wege bis nach G�ttingen lagen, auf. Und hingerissen und verf�hrt von der schelmischen Anmut, die die unb�ndige Freude ihr gab, in der hellen nordischen Sommernacht auf sie niederblickend, die in seinem Arm lag, sagte George in irgendeiner unbedachten Eingebung, so wie man ein Spielzeug vor einem Kinde tanzen l��t: „Nun, und Assad, — Assad! Therese?“ und erschrak gleich darauf vor dem Ernst, der auf ihre Z�ge fiel wie Reif.

„Assad?“ fragte sie langsam, „nun, — liebst denn du ihn nicht, George?“

„Assad ist mein Freund und Bruder, Kind!“ sagte George und k��te ihre Schulter, „ich wei� es ja, wem du geh�rst …“

„Ich wei� es ja,“ wiederholte er tr�stend und fragte sich zugleich, wen eigentlich er tr�sten m�sse? — „wir beide lieben Assad, ja, wir beide!“

„Schwerlich, schwerlich!“ sagte George, denn ihm d�nkte, dies m�sse eine passende Antwort sein, auf das, was Lichtenberg soeben zu ihm gesagt hatte, etwas, das zweifellos den Inhalt gehabt hatte, da� die Familie Forster keinen Zeitpunkt h�tte finden k�nnen, geeigneter zu einer festlichen Heimkehr nach G�ttingen, als diese Tage des Universit�tsjubil�ums im September 1787 und des Taumels s�mtlicher Fakult�ten. Denn dies war’s doch, womit alle Menschen bisher ihre Gespr�che mit ihm eingeleitet hatten, und was sollte Lichtenberg denn anders gesagt haben zu ihm, der hier an der Wand des Saales lehnte und allem Anschein nach entz�ckt in das Getriebe des Tanzes sah? M�glicherweise aber hatte Lichtenberg auch gefragt, warum er, George, nicht teiln�hme am Tanz, und mit erhobener Stimme, um sich durch das Gefiedel der Musikanten hindurch verst�ndlich zu machen, setzte er hinzu, w�hrend ein L�cheln an seinem Gesicht zerrte und er mit der Hand zur Schl�fe fuhr, hinter der dieser boshafte Schmerz wieder einmal w�tete: „Ich bin durch meinen Aufenthalt unter den Wilden denn doch um die Erwerbung einiger Vorz�ge gekommen, Verehrtester, in deren Besitz der deutsche Europ�er sich gl�cklich f�hlt. So bin ich niemals konfirmiert worden und verstehe mich nicht auf die Kunst des Tanzens.“

„Ich stellte mir soeben vor,“ fuhr er einigerma�en geschw�tzig fort und lie� seine brennenden Augen unruhig durch die Reihen der Tanzenden schweifen, „was f�r einen Effekt wohl der neuseel�ndische Hundetanz machen m�chte, ausgef�hrt von den Greisen der vier Fakult�ten, haha!“ Er nahm Lichtenberg am Arm und zog ihn mit sich fort. „Vergebung, Freund, ich habe heute abend ein wenig den spleen und meine Imagination ist schon wieder so ganz in der S�dsee. Ich denke daran, da� ich bald die halbe W�lbung des Erdballs zwischen mein Weib und mich gelegt haben werde, und bedaure es ein wenig, nicht mit ihr tanzen zu k�nnen. Nehmen wir zusammen ein Glas Wein!“

„Nehmen wir ein Glas Wein! Nehmen wir es auf Georgia Augusta und auf Ihren neuesten Ehrendoktor! Den Sie sich wahrlich verdient haben, Freund, — oh, nicht allein durch das Faszikel dieser s�perben Pr�parate magellanischer Pflanzen, um das Sie Ihre Sammlungen beraubt und die unseren bereichert haben! — auch nicht allein durch Ihren Vortrag, der freilich magnifique wirkte nach dem langweiligen Blumenbach! Immerhin danke ich den G�ttern, da� wir den offiziellen Teil hinter uns haben!“ —

„Ich fragte Sie, lieber Freund, soeben nach dem jungen Eluyar, mit dem Sie, wie Therese mir erz�hlte, in Dresden zusammengetroffen sind, und Sie haben mir darauf ‚schwerlich, schwerlich‘ geantwortet“, hub Lichtenberg schmunzelnd von neuem an, als sie in einer Ecke des Nebenraumes sa�en. „Sie haben mir sodann ausf�hrlich Ihr Bedauern dar�ber ge�u�ert, nicht tanzen zu k�nnen, und ich erwidere Ihnen nunmehr, sachlicher als Sie, da� ich dies Bedauern nicht teilen kann, und es nur mit Beifall begr��e, Sie gleich andern vern�nftigen M�nnern ihre Lust beim Weine anstatt bei jenem w�rdelosen Geh�pfe suchen zu sehen. Der Tanz steht unter den Belustigungen den triebhaften Liebesspielen der Tiere am n�chsten. Ihre Wilden bringen das zweifellos noch unbefangener zum Ausdruck als wir.“

„Sie wackeln mit dem Stei� und gehaben sich auch sonst sehr deutlich,“ sagte George und sp�hte d�ster nach der offenen T�r, an der die Paare bunt vor�berwirbelten, „aber unser Tanz ist im geheimen tausendmal schamloser, glauben Sie mir!“

„Und wie war’s mit dem jungen Eluyar?“ Lichtenberg blickte an ihm vor�ber.

„Der junge Eluyar ist ein edler Mensch und mein Freund! Oh, Sie erinnern mich an g�ttliche Stunden“, George wandte sich dem andern nun voll zu. „Er war bei unserer R�ckkehr aus dem Exil der erste Gru� eines geistigen Europa an mein verschmachtetes Herz! Gebildet im sch�nsten Sinne, feurig und dennoch gelassen. Ich hatte nicht erwartet, bei einem Spaniolen diese Gr�ndlichkeit der Kenntnisse anzutreffen, diese Beschlagenheit auf allen Gebieten. Er war zudem in einer �hnlichen Lebenslage, wie ich — es k�rzlich war,“ sagte George nun z�gernder und starrte wieder nach der T�r, „soeben verheiratet und in den ersten Erfahrungen der Seligkeit mit einer geliebten Frau. Wir tauschten unsere Herzen aus …“

„Ihre F�higkeit zum Enthusiasmus hat in Polen nicht gelitten.“

„Oh, er ist dort geschont worden und hatte keine Gelegenheit, sich abzunutzen, dieser Enthusiasmus. Freund, wie glauben Sie, da� mir zumute ist, wieder redliche Seelen um mich zu wissen und nicht mehr Jesuiten?“

„Ich w�rde an Ihrer Stelle mich dieser Gewi�heit nicht allzu optimistisch �berlassen,“ Lichtenberg kniff, seinen Wein kostend, vergn�gt die Augen halb zu, „der Jesuitismus ist trotz Herrn Nicolai und der streitbaren Kurl�nderin weniger eine ausrottbare Ordensangelegenheit, als eine allgemeine Eigenschaft der menschlichen Natur. Der Jesuitismus ist“, sagte dieser Filou und bewegte schalkhaft den Zeigefinger, „sonderlich ein Grundbestandteil der weiblichen Natur und ein verheirateter Mann ist dem nun einmal ausgeliefert. Der Weise rechnet damit.“

„O, ich verkaufe meinen Glauben an das Herz nicht um Ihre Menschenkenntnis!“ rief George voll Bitterkeit und fuhr im selben Augenblick leicht zusammen. Wie von einer Woge der Musik hereingesp�lt war aus dem Saal ein Paar in dies Kabinett geeilt und beim Anblick der beiden einsamen Zecher in pl�tzlichem Zaudern stehengeblieben, als h�tte es den Ort verlassen geglaubt.

„Oh, Therese!“ sagte George sonderbar langsam und erhob sich schwerf�llig, „du suchtest mich? Mein lieber Meyer, — nehmt doch Platz. Ihr — seid erhitzt, — Ihr w�nscht etwas zu trinken?“

Und stehend neben seinem Stuhl verharrend, blickte er in unschl�ssiger Hilflosigkeit auf Therese nieder, die da schon gegen�ber von Lichtenberg sa�, mit unruhigen H�nden ihre Frisur ordnete und den leichten silbergestickten Schal um die zarten Schultern zog.

„Wir st�ren das erste Sichwiederfinden zweier sch�ner Geister, ich wette!“ rief sie aus und lie� ihre Augen zwischen Lichtenberg und George wandern.

„Warum stehst du so gebrochen da, mein Freund?“ Und bem�ht, dieses sonderbare Gespr�ch stummer Blicke zwischen George und Wilhelm Meyer zu beenden, Meyern, der ebenfalls noch stand und sehr aufrecht mit einem r�tselhaften Erzengell�cheln seiner blauen Augen auf den in sich geb�ckten George sah, dr�ngte sie: „So setzt euch doch! Wie ist dein Kopfweh, George? Ach, Assad, wenn du das Fenster schlie�en wolltest, dieser k�hle Luftzug tut unserm Freunde unm�glich gut! Oh, unser deutscher Walzer, George, — was sind alle Mazurken dagegen! Du erlaubst doch, Lieber?“

Sie f�hrte sein Glas an die Lippen, sie l�chelte ihn an, ihre Hand suchte seine. Eine Woge von Entz�cken sprengte den Reifen, der um seine Brust gelegen hatte; er lachte, er st�rzte den Rest des Weines hinunter und setzte das Glas mit solchem Schwung und Nachdruck nieder, da� es zersprang. Er sa� neben ihr, er hielt ihre Hand fest, er redete, eifrig, dem�tig: „Ich bin gl�cklich, dich hier zu wissen, Assad. Wenn der Ozean um mich brandet, wird der Gedanke mich st�rken: Therese ruht im sicheren Hafen, treue Freunde sch�tzen mein Weib und mein Kind.“

„Komm doch h�ufig zu uns, Teurer,“ sagte er in das seltsam ratlose Schweigen der anderen hinein, „sieh, wie wir leben, nimm dir ein Beispiel an unserm Gl�ck! Ich werde dir dankbar sein, wenn du Therese auf ihren Spazierg�ngen begleitest, ich bin von meinen Reisevorbereitungen �berm��ig in Anspruch genommen, — lies ihr vor, ich werde dabei sein, wenn ich kann. H�re, Assad, — aber du willst gehen, — warum geht er denn, Therese?“

Mit einer kurzen Entschuldigung war Meyer aufgesprungen und hinausgeeilt, in dem Augenblick, als die Musik aufh�rte und die Menge der Tanzenden plaudernd und lachend hereinstr�mte. „Er scheint da doch irgendwo interessiert zu sein,“ sagte George, ihm nachblickend, „was meinst du, Therese, ist es eine von den Gatterers oder am Ende gar die gelehrte Dorothea?“ Aber da nun der alte Heyne, am Arm die Professorin Wrisbach, an den Tisch trat, den Schwiegersohn auf die Schulter schlug mit dem Aufruf: „Hier verbirgt sich das Turteltaubenpaar, ei, ei, da kann man freilich lange suchen!“ und: „So lob’ ich mir’s, T�chterchen, hast dem petit ma�tre den Laufpa� gegeben und deinen Forster gesucht!“ so ward Therese der Antwort v�llig �berhoben.

Er wollte nicht zu Professor B�ttner gehen, wie er daheim zu Therese gesagt hatte, er f�hlte sich heute weder den Anforderungen einer gelehrten Konversation, noch der Hundeatmosph�re im Studio des Alten gewachsen. Er ging auch nicht zu Heyne. Ihm war nicht nach tabaksqualmumw�lkten philologischen Er�rterungen zumute und er hatte keine Lust, sich von jedem Besucher, — und immer waren dort Besucher! — auf die Schulter klopfen und begl�ckw�nschen zu lassen, zu seiner Heimkehr aus Sarmatien, zu seinen Aussichten, zu — seinem Weibe. Warum �berhaupt, meditierte er irgendwie erregt und weit ausschreitend, warum f�hlte sich jetzt jedermann nicht nur gedrungen, sondern auch berechtigt, ihn auf die Schulter zu klopfen, sei’s im Ton der Rede oder mit der Geb�rde? War er etwa j�nger geworden, hatte er eingeb��t an Verdienst, an Haltung, an W�rde? Warum hatte Karoline Michaelis, die nun des wackeren B�hmer Gattin und aus ihrem Klausthal am Harz nur vor�bergehend nach G�ttingen gekommen war, ihn gestern beim Wiedersehen im Hause Gatterer so besorgt betrachtet, so aufmunternd zu ihm gesprochen, als sei er m�tterlicher Betreuung bed�rftig? Und: „Guter Forster!“ hie� es allenthalben, „der gute Forster“ an allen Ecken und Enden, und: „Forster, mein Guter!“ rief ihn Therese �ber den Tisch hin�ber an, oh, hatte er sich denn je im Leben dieser Bezeichnung weniger wert gef�hlt, als gerade eben? „Karoline freilich“, schaltete er mit einem Aufatmen in seine Gedanken ein, „wird wohl jeden streicheln und betreuen wollen, dem sie ein wenig gut ist, — und ich glaube, sie war mir ein wenig gut, einst, ehe ich …“

Seine Gedanken wurden zu Vorstellungen. Er sah einen Fr�hlingsgarten, sah Therese, sah Karoline vor sich stehen. Zog er Vergleiche? L�cherlich! Sie war die Doktorin B�hmer, er war Theresens Gatte. — „Was bin ich noch?“ dachte er angestrengt, w�hrend seine F��e im Herbstlaub rauschten und sein Blick unruhig den Himmel suchte zwischen den entbl�tterten Wipfeln der Kastanien, und wu�te im Hintergrunde seines Bewu�tseins ganz wohl, welche Antwort er von seinen Gedanken erwartete, welches Spiegelbild er zu sehen w�nschte. „Den jungen Forster“ etwa, wie einst, als diese Formel eine Vorstellung von Tapferkeit, Geist und Gunst der G�tter ausdr�ckte, „den Pionier der Kultur“, gewi�! und den „Bannertr�ger der Aufkl�rung in die Nacht der Barbarei“. Indessen kam nur eine Antwort mit der Aufdringlichkeit eines repetierenden Uhrwerkes und seine eigene Einsicht lie� nicht ab, ihm zu versichern, er sei Theresens Gatte und Herrn Meyers Freund und Bruder.

„Zu viel der Ehren“, h�hnte er sich selber und ri� den Mantel am Halse auf, denn er f�hlte seine Stirne feucht werden in der dampfenden Schw�le des warmen Oktobernachmittages. Er nahm den Hut vom Kopf und gesenkten Hauptes schritt er weiter. Es war die qu�lende Spannung, in der ihn die Erwartung einer Nachricht aus St. Petersburg hielt, einer Nachricht �ber die endlich erfolgte Ausreise des Kapit�ns Mulowsky, die zugleich das Signal f�r seine und S�mmerrings Abreise nach London sein sollte, — diese qu�lende Spannung war es, an der sich seine Gedanken stauten. Nun war Therese mit dem Kinde untergebracht in der h�bschen kleinen Wohnung bei Pastor Wagemann am Wall, seine Angelegenheiten waren geordnet, seine Koffer standen gepackt, er konnte jeden Tag aufbrechen. Aber anstatt der ersehnten Post kam b�se Zeitung �ber b�se Zeitung, die Welt summte von Kriegsger�chten, England hatte den Krieg an Frankreich deklariert und hier, in dem sturmgesch�tzten G�ttingen, sa� er nun, bebend vor Ungeduld, und f�hlte ohnm�chtig die Verwicklungen europ�ischer Interessen, die alle F�rstenpl�ne wissenschaftlicher Art im Keime erdrosseln mu�ten. Wie, wenn Frankreich Anschlu� an Ru�land suchte, — wenn Katharina diesen Augenblick zur �berrumpelung der Pforte geeignet finden sollte? Nein, er selbst war wohl nicht mehr als ein gelegentlich nicht ohne Gl�ck radotierender Kannegie�er, aber hatte nicht ein Mann von politischem Weltblick wie Schl�zer gestern bedenklich ge�u�ert, es sei augenblicklich die unglaublichste Konjunktur in politicis, die je gewesen, Frankreich sei ganz von beiden Kaiserh�fen gewonnen, England aber habe vernehmlich ausgerufen, es w�rde nie zugeben, da� die T�rken aus Europa vertrieben w�rden? Was w�rde dies alles ihn k�mmern, wenn er nicht gewu�t h�tte, da� Katharina in Pallas mehr die Kriegsg�ttin als die Beschirmerin der Wissenschaft ehrte, da� — nun kurz und �bel, — sie einen wissenschaftlichen Plan mit Achselzucken aufgeben w�rde, wenn die Mittel daf�r einem milit�rischen zugute kommen konnten! Hier sa� er also, mu�te sich einen guten Forster hei�en lassen und h�tte am liebsten jedem den R�cken gekehrt, der ihn fragte: „Nun und wann brechen Sie auf, wann reisen Sie, mein Bester?“ Der Betrachtungen anstellte �ber sein, des guten Forster, und �ber Theresens Los … Da hatte er nun um die Vermittlung Zimmermanns in Hannover nachgesucht, des Leibmedikus und st�ndigen Korrespondenten Katharinas, aber dieser Don Pomposo, wie ihn Lichtenberg nannte, regte sich nicht und r�hrte keine Feder. Ob er einmal nach Hannover fuhr? Wenn ihn doch niemand mehr fragen wollte, — wenn doch diese aufgeregten Briefe von S�mmerring ausbleiben m�chten! Eine Arbeit, jawohl, das w�re Rettung! Kollegien belegen, Anatomie und Chemie treiben, jeder Minute abgewinnen, was sie nur bieten konnte! Doch hier lief er auf den W�llen von G�ttingen spazieren, hier lief er, weil er es zu Hause nicht aushielt, weil da etwas Unsichtbares in der Luft lag, eine best�ndige Frage, eine Entt�uschung, ein Warten, — das Warten, da� er doch gehen m�ge, wenn nicht in die S�dsee, so doch wenigstens auf die W�lle! War es nicht so? Oh, Therese sprach es nicht aus, sie sprach es nat�rlich nicht aus, im Gegenteil … Aber war die einsame Wandrerin, die ihm dort entgegenkam, nicht die Doktorin B�hmer? Und w�hrend er vor der im raschen Gange Stockenden stehenblieb und sich verneigte, nicht wissend, da� die bitteren Gedanken der letzten halben Stunde sein Gesicht noch verzogen, erinnerte er sich, gestern empfunden zu haben, Karoline habe die sanften warmen H�nde einer Schwester oder einer Mutter, erinnerte sich eines irrenden Wunsches, diese H�nde auf seiner Stirn zu f�hlen. Karoline l�chelte an ihm vorbei: „So einsam, Freund, — und ohne ein Ziel? Oh, ich sah Sie von weitem kommen und Sie gingen nicht wie einer, der ein Ziel, kaum wie einer, der einen Ausgangspunkt hat.“

„Ich verstehe nicht ganz …“

„Oh, gr�beln Sie nicht, es ist Spielerei mit Worten. Sehen Sie, ich habe einen Ausgangspunkt und ich habe ein Ziel, und mein Weg beschreibt den Kreis der Schlange, die sich in den Schwanz bei�t: ich komme aus Klausthal und ich gehe wieder nach Klausthal. Sie aber, — Sie kommen aus der weiten Welt und gehen wieder — hinaus …“

„Habe ich nicht auch mein Klausthal?“ fragte er, sonderbare Unruhe im Herzen. Er hatte gewendet und schritt an ihrer Seite, langsamer nun, den Weg zur�ck, den er gekommen war. Sie lie� den Blick seitw�rts gleiten.

„Oh, nennen wir es Klausthal, gut! Klausthal,“ sagte sie mit unerkl�rlichem L�cheln, „Klausthal ist ein Ort von gro�en Meriten, denn er betrachtet mich als sein Zentrum, sein schlagendes Herz. Klausthal, verstehen Sie, — mein Klausthal, — kann nicht leben ohne mich, und das ist’s, was mich an — Klausthal fesselt. Etwas, wie die Verantwortlichkeit eines F�rsten f�r ein ihm ergebenes Land. Nein, lieber Freund, — ich glaube, — ein Klausthal haben Sie nicht.“

George h�rte und dachte: „Sanfte Stimme“ und „Oh, wie die gelben Bl�tter auf dem schwarzen Wasser schwimmen!“ Aber er antwortete nichts.

„Der Ort, der Ihnen Klausthal sein k�nnte oder den Sie daf�r halten … Verzeihen Sie mir, ich liebe es, ein wenig zu phantasieren und bin kein gelehrtes Frauenzimmer wie Dortchen Schl�zer“, unterbrach sie sich heiter und sah mit lachenden Augen auf in seine kummervoll forschenden. „Nun, ich habe etwas von den Ideen des Herrn Kant �ber die Entstehung des Kosmos geh�rt und es hat mich am�siert. Also Ihr Klausthal ist kein Granitfelsenort wie meins, sondern ein feuriger Stern, feurig und fl�ssig, noch nicht recht bewohnbar, ist’s nicht so? Ein Ort voller Eruptionen und Lavastr�men, — f�r einen Naturforscher recht interessant.“

„Oh, Karoline, dies war maliti�s!“

„Lieber, Verehrter! Ich bin erschrocken. Es war nicht b�se gemeint. Forster! Eines Tages taucht ein Eiland aus den dampfenden Wassern, — sanfte Matten …“

„Pisangw�lder, ich wei� …“

„Apfelb�ume, Blumen, heimische W�lder, oh, nichts Exotisches, Freund!“ plauderte sie eifrig, als erz�hlte sie einem Kinde von Weihnachten.

„Ein Haus?“ fragte er bittend.

„Ein Haus zwischen Hecken, es geh�rt dem Forster allein!“ tr�stete sie strahlend.

„Ein Klausthal!“ murmelte er.

„Klausthal!“ best�tigte sie z�gernd und ihre Augen gingen blicklos in die Ferne. Und pl�tzlich fragte er wie erwachend:

„Karoline, — sind Sie gl�cklich in — Klausthal?“

„Wie anders?“ sagte sie ruhig und unter der T�r ihres elterlichen Hauses reichte sie ihm l�chelnd die Hand, „Forster, gibt es nicht f�r uns eine Verpflichtung zum Gl�ck?“ — — —

Wohl, sie hatte ihm noch Abschiedsworte gesagt und dies, da� sie einander wiedersehen w�rden, in Jahren, alte und weise Leute geworden, wie es sich von selbst verstand. Was ihn aber bewegte, ihm, — oh, endlich, endlich einmal wieder! — den federnden Schwung der Gedanken gab, es war dies Wort von der Verpflichtung zum Gl�ck. Er, ein Mensch ohne die F�higkeit, eine Melodie ann�hernd richtig wiederzugeben, verdankte dennoch der Musik gelegentlich �hnliche Wirkungen, wie sie ihm jetzt durch dieses Wort geschehen waren: nach der Versenkung, ja nach dem schwelgenden Untertauchen in die Wehmut der Erinnerung an erlittene Unbill, das Aufstr�men schmerzlichen Trostes, des Lebenwollens, trotzalledem. Oh, und welche Aufforderung zur ritterlichen Askese, welch herausfordernder Widerspruch zwischen Zustand und Geb�rde lag in diesem Ausdruck, den die Freundin ihm spielend hingerollt hatte, wie einen Ball! Nun, — und sie selbst? Wie kam sie, die ewig Heitere, zu solchen Erkenntnissen? Aber danach fragte er jetzt nicht viel in seinem soldatischen Rausch der Leidens- und Sterbensbereitschaft unter blanker Montur und bei erklingendem Marsch. Ach, George, der kleine Knabe von dazumal, der das Spiel nie gekannt hatte und einen so sonderbaren Aufwand mit den Werkzeugen seiner Fronarbeit am Schreibtisch trieb, aus dem verzweifelten Hunger seiner Phantasie nach buntem Symbol heraus, — George, der Mann, er brauchte das t�nende Wort. George st�rmte vorw�rts durch die engen d�mmrigen Gassen, in denen Kinder l�rmten und Frauen schwatzend vor den Haust�ren standen, George f�hlte dies, da� das Bewu�tsein des eigenen Wertes allein zum Gl�ck, zur Verachtung der �u�eren Umst�nde, zur Haltung verpflichte, und in diesem Gef�hl schon meinte er zu besitzen, was er w�nschte.

Warum aber erlahmte sein Schritt, je n�her er seiner Wohnung kam, warum stieg er die Treppe so z�gernd, warum verharrte er auf dem letzten Absatz, den goldlackierten Knauf des Gel�nders mit der Hand umklammernd, und sagte sich: „das R�schen freut sich, wenn ich komme, — das R�schen wird sich freuen …“ —

Sollte sie bis zu seiner Abreise warten, um sich in der G�ttinger Gesellschaft einzuleben? Nun, war es nicht etwa freundlicher, er begleitete sie in die H�user der Freunde und pflanzte sich Keime der Erinnerung an den verschiedenen Teetischen, damit sie erbl�hen und duften konnten, wenn er erst fort war? Sollten die Fakult�ten und ihre Damen annehmen, er sei ein Tyrann und verlangte, sie sollte in der Heimat freiwillig das geistige Hungerleben von Wilna fortsetzen? Gewi�, das war seine Absicht doch nicht! Liebte er seine Therese? Hier wurde: Georgie! gefl�stert mit einem gewissen L�cheln, das lockte und verhie�, und das ihn wehrlos machte, er wu�te es wohl. Er glaubte diesem L�cheln. Er hatte Grund, ihm zu glauben, — aber warum war er denn nicht selig unter diesem lauen Sturmwind des Gef�hls, der so j�h und sto�weise aus Therese aufgebrochen war und sein Blut f�chelte? War es der nahende Abschied, der ihr Herz endlich in Wallungen brachte? Oh, aber dieser Abschied zog sich hin, kein Mensch konnte auch jetzt, zu Ende November, sagen, ob bis Weihnachten, bis zum Fr�hling oder bis �bers Jahr. Katharina hatte den T�rken den Krieg erkl�rt, dies war im Grunde so gut, wie die Gewi�heit, da� dem wackern Mulowsky samt seinen f�nf Schiffen eine andere Verwendung bl�hen w�rde, als jene Entdeckungsfahrt. Indessen blieben bestimmende Nachrichten aus St. Petersburg immer noch aus, und obwohl George in seiner verzweifelten Ungeduld bereits begonnen hatte, mit dem jungen Eluyar Verhandlungen �ber ein neues Projekt anzukn�pfen und sein Geist genu�reich mit der Ausarbeitung der Forderungen besch�ftigt war, die er im Falle des Gelingens der spanischen Regierung zu unterbreiten gedachte, so hing sein Herz doch immer noch mit schmerzlicher Hoffnung an dem Auftrag der Kaiserin, dessen Erf�llung ihm seines Rufes w�rdiger schien, als die Annahme einer h�heren Beamtenstelle unter spanischem Regiment. Denn darum handelte es sich. Er sollte mit Weib und Kind als sachverst�ndiger Erforscher der Bodensch�tze nach den Philippinen gehen. Da er aber nun zu wissen glaubte, was er wert war und welcher Summen eine Regierung f�hig war, die ihren Kopf auf einen bestimmten Mann gesetzt hatte, — oh, ihn konnte niemand mehr �bervorteilen! — so forderte er so raffiniert und phantastisch, da� der junge Eluyar erschrocken zur�ckwich und dieser sch�ne Plan sich sogleich als totgeboren erwies. Abschied und Trennung also lagen im Nebel vor ihm, in ungewisser Entfernung, ja, m�glicherweise barg dieser Nebel nichts, als ein Zusammenleben unter ver�nderten Umst�nden. Warum aber dann dieser Aufwand des Gef�hls bei Therese? dachte George, ungl�ubig und mi�trauisch, reizbar geworden in der kaum noch ertr�glichen Erwartung einer Entscheidung. Warum dieser Singsang vom Morgen bis zum Abend wie in der ersten Wilnaer Zeit, diese heitere Gesch�ftigkeit um ihn her, da er nicht mehr gew�hnt war, da� nach seinen besonderen W�nschen gefragt wurde, — warum dieser angelegentliche Drang, sich mit ihm in Gesellschaft zu zeigen und, wom�glich an seiner Seite sitzend, seine Hand festhaltend — mit — Meyer zu konversieren, der sich zu ihnen gesellte, ruhig, wie durch ein Naturgesetz bestimmt? Er f�hlte das wohlbekannte erregte Beben dieser manchmal so hilflosen kleinen Hand, f�hlte, wie die Pulse in ihr zuckten und tanzten, blickte ratlos auf, sah Meyers undurchdringliche Augen auf sich gerichtet, — auf sich und nicht etwa auf Therese, — und senkte den Kopf in ratloser Best�rzung, in qu�lender Besch�mung f�r sie, die da zwischen ihnen plauderte und lachte und nun nach Meyers herabh�ngender Linken griff als w�rde ihre Hand magnetisch hingerissen. „Die Kette ist gebildet“, dachte George dumpf. Sp�rte sie denn nichts von den Str�men, die nun durch ihre H�nde aufstiegen, hielt ihr Herz es aus, da� in ihm Ha� gegen Ha� zuckte? — Oh, aber da war kein Ha�, wu�te George, wieder zu Meyer aufblickend und erkennend: da war Mitleid, und ein sehr k�hles Mitleid, und nur in ihm selber war dieses b�se drohende Gef�hl, das ihn jetzt hastig aufstehen lie� und Therese veranlassen, ihm zu folgen.

So war es an dem Abend bei Professor Michaelis gewesen, in dem Hause, das ihm lieb war durch irgendeine unbewu�te Erinnerung an die ferne Karoline. „Du bist b�se, Georgie?“ hatte Therese in der Dunkelheit des Heimwegs zaghaft gefragt, — woher kam ihr dies auf einmal, diese Zaghaftigkeit, ihr, die nie gez�gert hatte ihn zu verletzen, weil eben sie es bisher noch nie f�r m�glich gehalten hatte, da� ein Wort von ihr ihn verletzen k�nnte, so sicher war sie immer ihres guten Willens gewesen? „Therese,“ sagte George gequ�lt, „es ist dies, da� du dich auffallend viel mit Meyer abgibst. Kennst du denn nicht die G�ttinger Klatschm�uler? Es ist nicht meinetwegen, bei Gott, — ich wei� ja, ich bin ja sicher …“ log er und dachte dabei: „Therese ist ein Kind, Therese wu�te nicht, aber jetzt ahnt sie, wie es um sie steht, und wenn sie v�llig zu sich kommt, was soll dann aus uns werden?“

Und wie um es zu verhindern, da� sie sich rechtfertigte, in t�dlicher Angst vor Auseinandersetzungen, sagte er heftig:

„Ich bin um deinen Ruf besorgt, meine Teure, du verspielst mit ihm auch den meinen. Und es ist meine Pflicht, dich zu warnen.“

Die Stimme aus dem Dunkel neben ihm kam warm und s��, — so wie Theresens Gesicht und ihr K�rper in diesen letzten Monaten erbl�ht waren wie Rosenduft im Juni, warm und s��: „Du selbst hast ihm und mir das Du vorgeschlagen und den geschwisterlichen Ku� erlaubt, Georgie, damals, an unserem Hochzeitsabend, erinnere dich. Und, oh, Georgie, — er ist mir wie ein Bruder und nennt mich seine Schwester, — und du ludest ihn ein, zu kommen, so oft er wollte, zum Essen t�glich, und mir vorzulesen. Wo ist denn da das B�se, Georgie, — wo?“

Er schwieg, denn er erstickte den Schrei, der in ihm aufstieg. Therese, wu�te er zerbrochen, hat noch nie geliebt bis jetzt. Und Therese ist dennoch mein Weib geworden, — und ich liebe sie. — —

Mulowsky schrieb so voll h�flichen Bedauerns, Biedermann, der er war, und beteuerte am Schlu� seines Briefes den Gewinn, den er trotz des Fehlschlagens dieser sch�nen Pl�ne durch die Bekanntschaft mit dem Begleiter und Freunde Cooks gehabt habe. George w�rde einen �hnlichen Brief in gefa�tem Tone zur�ckschreiben, er entwarf ihn in Gedanken, als er in der Dunkelheit des Dezemberabends den Weg nach Hause suchte, von Heyne kommend, dem er das endg�ltige Scheitern seiner gro�en Aussichten nun doch hatte mitteilen m�ssen, ehe dieser b�se Tag ganz zu Ende ging. Er entwarf den Brief, fieberhaft bem�ht, seinen Geist zu besch�ftigen und nicht in der f�rchterlichen Leere der Zukunft zerflattern zu lassen und einer Versuchung zur Emp�rung zu erliegen, auf die, er wu�te es wohl, er kein Recht hatte, denn: wem wollte er denn diese Vorw�rfe machen, die aus ihm quollen wie schwarze Galle, wem die wahnsinnige Verzweiflung seines Herzens vor die F��e werfen, da� dies nun wieder nichts sei, da� man ihn wieder genarrt habe, — der Kaiserin Katharina etwa? Er war doch kein Kind, das den Stuhl schlug, an dem es sich gesto�en hatte, — aber, oh, mein Gott, wer, wer hatte denn Schuld, da� er immer und immer auf Sandb�nke fuhr, wenn er die Segel spannte? Denn dies war nicht mehr begreiflich ohne Schuld, dies war Verh�ngnis, Strafe, Gericht! Gott versagte sich ihm, Gott schwieg und setzte allen seinen Hoffnungen, — unschuldigen Hoffnungen gewi�, aus dem Willen zur Arbeit, zum Wirken, zur gro�en Tat geboren, — ein stummes hartes Nein entgegen, wie eine Mauer, an der er hin und her irrte, schreiend ein Tor in die Gnade begehrend. Ich habe, dachte er mit bitterer Unbarmherzigkeit gegen sich selbst, die Stimme �berschrien, als sie leise zu mir zu sprechen begann, damals in Wilna, als ich in dem�tiger Handlangerarbeit anfing, mich gl�cklich zu f�hlen. Denn dies ist’s, was er mir zugewiesen hat, Knechtschaft, und nicht Freiheit, leiden und nicht herrschen. Und wer mich anders sieht, der ist mein Feind! rief er halblaut, die geballte Faust gegen die Stirne pressend. Es gab keinen Menschen, der ihn so geliebt hatte, wie er wirklich war, — au�er vielleicht der Mutter. Ach, die Mutter! Er ging nun ganz langsam, ganz gel�st, hingegeben an die Erinnerung der einzigen, still atmenden Liebe, die um ihn gewesen war, wie Fr�hlingssonne um den Baum. „Du wolltest nichts von mir,“ murmelte er, „du wolltest nichts, als geben d�rfen …“ Und w�re dies nicht Gl�ck? fragte er pl�tzlich, das Antlitz lauschend erhebend, als habe er von irgendwoher Anruf und Botschaft empfangen, — w�re — dies — vielleicht — das Gl�ck? — —

Ob er das R�schen nicht mit hinauf nehmen wollte, h�rte er die Stimme der Pastorin Wagemann in die sonderbare Stille seines Herzens hinein fragen, kam zu sich und erkannte, da� er schon im Treppenflur des Hauses stand, auf dem Absatz vor der ge�ffneten T�re der Wagemannschen K�che, aus der heraus es festlich und schmalzkuchenhaft duftete. Die ganze Familie, um den riesigen Backsteinherd versammelt, schien sich dem Opferdienst der Zubereitung eines Silvestergeb�cks zu weihen, selbst der Pastor stand da in Schlafrock und Pantoffeln und auf jedem Arm ein Kind, von denen eins das R�schen war und schlief, den kleinen Kopf vertrauend auf die Schulter des freundlichen W�rdentr�gers gelegt. Oh, die Demoiselle Tochter sei von der Liese heruntergebracht worden, die noch einen Gang machen zu m�ssen vorgegeben hatte, und die Frau Geheimr�tin habe ja Besuch, kam die Erkl�rung der Pastorin, in der George irgend etwas st�rte. Er machte sich klar, da� es dies unn�tig eingeschobene „ja“ sei, — die Frau Geheimr�tin habe ja Besuch … Aber was lag denn nur in diesem unschuldigen W�rtchen, fragte er sich in der Ersch�pfung seines Gehirns vergeblich, indem er, Dankesworte murmelnd, dem Pastor das R�schen abnahm und sich auf einem h�lzernen Stuhl niederlie�. „Oh, hier ist es warm,“ sagte er und blickte um sich, „und so wie zuhause, wissen Sie, als ich ein Knabe war.“

„Ich denke an Nassenhuben, wo mein Vater Pfarrer war“, erkl�rte er, bem�ht, unausgesprochene Fragen zu beantworten, — wenn man ihn doch nur ein wenig verweilen lassen wollte, ein wenig Zeit gewinnen! Jener Besuch dort oben mu�te doch gewi� jetzt gehen und dann brauchte man ihm nicht zu begegnen! — „Dort war die K�che auch so gro� und niedrig und um den Rauchfang herum hingen die kupfernen Pfannen. Auch so ein Dreifu� stand manchmal �ber den Kohlen und der Schmalztiegel drauf“, sagte er zu dem �ltesten Knaben, der an ihn herangetreten war und ihm ernsthaft zuh�rte. „Nun, du bist schon gro� und verst�ndig, du mu�t dem Herrn Papa wohl schon geh�rig assistieren? Exzerptieren, katalogisieren, Manuskriptlein kopieren, — haha, jaja, ich kenne es, mein Sohn, wir kennen es!“

Seine Hand, die er hob, um den blonden Kopf zu streicheln, griff ins Leere. Der Knabe war einen Schritt zur�ckgewichen.

„Ich spiele lieber,“ erkl�rte er, mit gro�en Augen auf den Fremden blickend. „Der Vater hat mir einen h�lzernen Degen gemacht und lehrt mich exerzieren.“

„Der Vater gedenkt selbsten gern der entschwundenen Kindheit,“ redete der Prediger verlegen und rieb die H�nde ineinander, „wer ein Paradies besessen hat, w�nscht es seinen Kindern auch zu schaffen, wie der Herr Geheimerat es unschwer verstehen werden.“

„Freilich, — freilich wohl,“ murmelte George und sah in R�schens schlummerndes Gesicht.

„Der Herr Geheimerat sollte in dein Kabinett eintreten, Friedrich, du solltest mit ihm hineingehen. Er sitzt hier so hart und die Kohlen rauchen und die Lampe riecht so schlecht. Und ich und mein Schmalztopf, — lieber Himmel, der Herr Geheimerat ist bessere Gesellschaft gew�hnt. Es k�nnte eins von den Kindern hinaufgehen, es melden, wegen dem R�schen und da� es ins Bett mu�. Die Frau Geheimer�tin hat ja Besuch …“

„Ich mu� hinauf!“ George erhob sich hastig. Was hatte er hier unter Fremden Zuflucht gesucht? Und warum Zuflucht? Und warum ging er jetzt die Treppe so zaudernd, und doch so leise, als beschleiche er ein Wild? Und warum wankten seine Knie? Hatte Therese ihn nicht gek��t, als er ging? Und was — was hatte sie doch gesagt:

„Du bleibst zum Abendbrot bei den Eltern, George?“

Therese — erwartete ihn noch nicht zur�ck. —

Meyer hatte, den Pelz �berwerfend, den Hut in der Hand das Zimmer verlassen, in steif aufgerichteter Haltung, mit seinem starren Blick auf ihn zutretend und sich sonderbar tief vor ihm verneigend, der regungslos, das schlafende Kind in den Armen, unter der T�r stehen geblieben war.

Therese, in dem erbarmungslosen Lichtkreis der beiden Armleuchter auf dem Kanapee sitzend, hatte die H�nde vors Gesicht geschlagen und duckte sich zusammen, als k�nnte sie so den Zustand ihrer aufgel�sten Frisur, den ganzen Zustand dieser selbstvergessenen Stunde verbergen.

Er war mit dem R�schen ins Nebenzimmer gegangen und hatte es auf sein Bettchen gelegt, in seinem wahnsinnig triumphierenden Schmerzgef�hl, da� er recht gehabt, ja, da� er dies erwartet und gewu�t habe, doch noch eine peinigende Besch�mung f�r sie empfindend und den Wunsch, ihr Zeit zu lassen. Er hatte gemeint, entsetzlich ruhig zu sein. Er war zu ihr zur�ckgekehrt, die nun mit angstvollen Augen zu ihm aufblickte, hatte gesagt: „Es ist nun genug. Ihr k�nnt euch haben. Ich fahre morgen mit dem Postwagen nach Berlin. Du wirst dann von mir h�ren.“

„Oh, Georgie, — oh! Ich wei� nicht, was du willst! Verzeih mir doch!“

„Du hast die Ehe gebrochen vom ersten Tage an!“

„Ich wei� nicht, was du willst!“

„Ich, — o mein Gott! Ich war ein Narr, ein blinder Narr, weil ich vertraute.“

„Es ist Freundschaft allein!“ —

Er war um den Tisch herumgekommen, hatte sein Gesicht dem ihren gen�hert und, ein L�cheln zeigend, das er noch f�hlte wie ein tierisches Entbl��en der Z�hne, hatte er in ihre entsetzten Augen hineingefragt:

„Und — war’s also auch — Freundschaft allein, da� du mir das R�schen geboren hast?“

„George!“ hatte sie aufgeschrien, „jetzt vergi�t du dich!“

„Wer hat sich wohl vergessen, — wer? Und geh du nur zu deinem Vater und klage mich an! Ich werde ihm schreiben!“ —

Ich werde ihm schreiben, dachte er, w�hrend er Stunden um Stunden in der Ecke des Postwagens hockte, die F��e auf dem treuen Mantelsack, in Decken und Pelze geh�llt, ein einsamer unseliger Reisender durch den ringsum starrenden Winter. Ich werde ihm aufz�hlen, was ich erduldet habe, dachte er, heimgesucht und �bermocht von all den Stunden furchtbarer Ahnungen und Einsichten aus den letzten zwei Jahren, deren Leiden er schweigend in sich abgetan und die er so gern verleugnet h�tte. Ach, immer noch. Denn da war diese irrsinnige Sehnsucht, jetzt, gerade jetzt, Therese in seinen Armen zu halten und im Gef�hl ihrer N�he zu erblinden im �berschwang der Z�rtlichkeit, da war eine Bereitschaft, zu verzeihen und zu vergessen, ja, die Schuld auf sich zu nehmen, gegen die sein wunder Stolz vergeblich stritt, — wenn nur ihre kleinen H�nde sich um seinen Nacken klammern wollten, und er sie hilflos werden wu�te vor ihm. Da war die weinende Erkenntnis, vorw�rts zu m�ssen, immer noch, die G�nge wurden enger und gewundener, ihre W�nde d�nner und die Stimme des Minotauros wirbelte schwirrend und dr�hnend, bet�ubend und unwiderstehlich, griff sausend nach seinem Herzen, lockte, sog, ungeheure Leere war in seinem Gehirn. „Ich bin ein nackter Mensch, — o nur ein nackter Mensch,“ dachte er, dachte es ohne Grauen, voll der Wollust des Versinkens. „Und Ariadne?“ l�chelte er stier, — „sie kam, aber ihre Hand glitt aus meiner. Ich finde hinein, — sie findet hinaus, — sie findet hinaus …“

Die R�der der Diligence nahmen das Lied auf.

Zwei Monate sp�ter fand er sich auf derselben Wegstrecke, G�ttingen wieder zugewandt. Gewaltsam hatte er seine Gedanken in diesen letzten Stunden vor der Ankunft mit den Ergebnissen des Berliner Aufenthaltes besch�ftigt, hatte Unterhaltungen von Wert und Inhalt, wie sie sein Ged�chtnis aufbewahrt hatte, memoriert und Betrachtungen daran gekn�pft, hatte sich mit Biester und Nikolai in dem Handel gegen Starcke einig gewu�t und in der Erinnerung an seine Besprechungen mit Spener alle guten Kr�fte in sich lebendig werden gef�hlt. Fuhr er nicht selbst nach den Philippinen, o, so w�rde er sich ungleich m�heloser in diese Breiten versetzen, indem er f�r Spener die Geschichte vom Schiffbruch einiger Engl�nder auf den Pelews-Inseln, erz�hlt von Mr. Keates, ins Deutsche �bertrug. Aber nicht etwa, da� er ausschlie�lich zu �bersetzen gedachte! Da waren botanische Kuriosa, die auf seine Feder warteten, um liebevoll und sauber beschrieben zu werden; da war, in undeutlichen Umrissen zwar noch, aber doch schon monumental am Horizont sich aufbauend, das Werk �ber die Geographie der S�dsee, �ber alles Denkw�rdige, was zwischen China und Peru zu finden war, das er der Welt schuldete. Dies alles hatte er vor und noch viel mehr. Ein freier Mann nunmehr, da die Kaiserin in gro�m�tiger Weise trotz ihres Verzichtes auf seine Dienste ihn aus seinen polnischen Verpflichtungen gel�st und ihn f�r seine Wartezeit entsch�digt hatte, — eine Anstellung in St. Petersburg, die ihm angeboten worden war, hatte er abgelehnt —, ein Mann, dem keine Kette mehr am Fu� klirrte, hatte er seine Zukunft in der Hand und nie wieder w�rde er sich an die Galeere schmieden lassen. Die Stelle des Universit�tsbibliothekars in Mainz war durch M�llers Aufstieg in das Ministerium des Kurf�rsten soeben frei geworden, S�mmerring hatte ihn sogleich davon benachrichtigt, M�ller beg�nstigte ihn. Er gedachte sich zu bewerben, gedachte im n�chsten Monat nach Mainz zu reisen, um sich dem Kurf�rsten vorzustellen, gedachte …

Ich will es ihr leicht machen, durchbrachen seine Gef�hle hier endlich die m�hsam aufgeworfenen D�mme der n�chternen �berlegung, will sie in meine Arme nehmen, will zu ihr sagen: Es ist alles gut, mein Liebling, weine nicht, nichts soll uns wieder trennen.

Allein im Wagen, wie er auch diesmal wieder war, dr�ckte er den Kopf in die Fensterecke und �berlie� sich seinen Gef�hlen.

Dies also war das Ergebnis eines mit t�dlich bittrem Pathos gef�hrten Briefwechsels zwischen ihm und dem Schwiegervater und schlie�lich auch zwischen ihm und Therese. Nicht nur, da� er zur�ckkehrte zur Vers�hnung bereit, bereit, selbst Meyern zu vergeben, wenn dieser nur zun�chst seinen Weg nicht kreuzen wollte, — hier sa� er wiederum wie auf der Hinreise, gebrochen, nach Vers�hnung seufzend, lechzend nach der Wonne, vergeben zu d�rfen. Hier sa� er, tr�nen�berstr�mt, sein Herz taute wie drau�en die Erde, hier sa� er, dem Augenblick entgegenbebend, da er sie wieder sehen, h�ren und f�hlen w�rde …

In den G�ttinger G�rten bl�hten die Veilchen. Er ahnte es, er atmete den Duft, er ging an der Mauer entlang, �ber die das Gartenh�uschen sein spitzes, mit dem Pinienapfel gekr�ntes Dach hob, ging und dachte, dachte: Ach, noch ein paar Schritte …

Sie sollten sich im Hause der Eltern wiedersehen. Nun kam die Gartenpforte, der Pfad zwischen den Buchseinfassungen der Beete, die Glasveranda, — ach, der Klingelzug …

„Meine geliebten Kinder!“ sagte der alte Heyne und erhob segnende H�nde, „meine geliebten Kinder!“ O, w�rde er denn nicht hinausgehen? Er ging hinaus, im langen gr�nen Hausrock, ein wenig schwankend vor innerer Bewegung, und nun, — wo war Therese? Er hatte sie wohl beim Eintritt gesehen, ihre schlanke kleine Silhouette mit dem ein wenig zu gro�en Kopf gegen das helle Fenster gelehnt, jetzt erst kam sie auf ihn zu, und er erkannte, sie trug das Kleid aus tabakfarbenem Kaschmir, mit den wei�en S�umchen, das er nicht sehr liebte, eine gestickte Sch�rze und ein Falbelh�ubchen auf den � la h�risson frisierten Haaren.

Dies alles nahm er seltsam deutlich wahr und bemerkte selbst, da� die �rmel dieses, — von ihm also nicht sehr geliebten, — Kleides nach der neusten Mode enger gemacht und verl�ngert worden waren, sah, da� ihre Gesichtsfarbe auffallend frisch, ihre Lippen sehr gl�nzend rot waren, da� da, indem sie mit einem unbegreiflichen schwebenden T�nzeln auf ihn zukam, ein Zug von s��lichem Leiden, von irgend einem unaufrichtigen M�rtyrertum in ihrem Gesicht war, so stark, da� der Blick ihrer Augen ein wenig verscho�, wie das dem Blick ihres Vaters angeboren war, — sah dies alles mit einem Zur�ckbeben des Herzens, ahnte �ber sich schwebend den kommenden Schlag, machte eine Bewegung, ihrer Umarmung auszuweichen, ihr zuvorzukommen, erkannte, es sei zu sp�t, ergab sich und empfing die Worte: „Ich habe dir verziehen, George!“ schweigend, auf ihre H�nde gebeugt, einer Versuchung, auf seine Knie zu fallen, m�hsam widerstehend. — — —

Er hatte sich, so meinte er, bei der Einrichtung dieser seiner beiden Arbeitsr�ume in der neuen Wohnung zu Mainz — einem weitl�ufigen Hause in der Klarengasse, nahe der Gro�en Bleiche und dem provisorischen Bibliotheksgeb�ude, der alten Bursche, — recht eigentlich von dem Grundsatz bestimmen lassen, da� der �u�ere Mensch ein Symbolum, ein Ausdruck und ein Abbild des inneren sein sollte oder doch wenigstens von dem Idealzustand dieses Unsichtbaren. Kleidete er sich in diesem Sinne mit peinlicher Gewissenhaftigkeit tadellos bis ins kleinste und unterschied zwischen Haus- und Arbeitsrock, zwischen Besuchs- und Stra�enanzug, als sei er durch irgendwelche ihm allein bekannte Dienstordnung an ein strenges Reglement in diesen Dingen gebunden, so wollte er auch hier unter den zur Arbeit n�tigen Gegenst�nden die Ausstrahlungen eines Geistes wirksam sehen, der so klar und exakt t�tig war wie ein segensreiches Gestirn. Er l�chelte. Er ging mit gleitenden Schritten zwischen den beiden Stuben hin und her und sah sich um. Die tahitianischen Rindenmatten an den W�nden in allen Abstufungen von Wei�gelb bis zu Braunschwarz mit ihrer seltsam geometrisch-phantastischen Ornamentik taten ihm wohl. Die K�sten mit den Mineralien, den Konchylien, den Insekten standen rechtwinklig aufeinander get�rmt mit Inhaltsvermerken versehen da. �bersichtlich geordnet lagen in ihren neuen Gestellen, die der Meister Hefele so �beraus sauber angefertigt hatte, die Mappen mit den Herbarien, den Kartenwerken. Und w�hrend George vor seinem besten Schatz, dem gro�en Kartenwerk von Dalrymple, ein wenig verweilte, erkannte er pl�tzlich und wandte sich wiederum l�chelnd aus der Tiefe des Raumes den Fenstern zu: O, nun wu�te er, warum hier alles stand, wie es stand, warum dort der lange Tisch vor die drei Fenster ger�ckt diese Einteilung trug, die eines Schreibplatzes in der Mitte, eines Ortes f�r die Zeichenger�te, f�r Winkel und Zirkel, f�r Stifte und Farbn�pfchen zur Rechten, f�r das Mikroskop zur Linken … O, er wu�te ganz gut, wen er selbst sich hier vorspielte, er l�chelte dar�ber, er, der einzige Mitwisser dieses nicht ungeschickten Darstellers der Rolle eines gro�en Menschen und ausgezeichneten Gelehrten …

Gleich darauf wandte er sich �rgerlich von seinen eigenen Gedanken ab und ging zu dem h�lzernen Barometer an der Wand, befragte die Quecksilbers�ule durch Beklopfen und stellte an ihrem ruckweisen Sinken eine �bereinstimmung mit der Bedeutung der ziehenden Schmerzen in seinem Fu� fest.

Es wurde Herbst. Es wurde Herbst und noch war es nicht erprobt, wie seine Gesundheit dem Klima des Rheinlandes standhalten w�rde. Das Ger�usch der Haust�r, die Schritte eines Ank�mmlings auf den Steinfliesen des Flurs, enthoben ihn diesen sorgenvollen Betrachtungen seines m�den Kopfes. Auf einmal stand er nebenan am Pult, �ber einen angefangenen Brief an Jakobi gebeugt. M�ller, falls denn er es sein sollte, der ihn aufsuchte, nun endlich aufsuchte, durfte ihn nicht m��ig antreffen. Indes, auch als Eindruck f�r den jungen Huber, den die Magd nun zu seiner leisen Entt�uschung anmeldete, war es g�nstiger, als werkt�tiger Forster hier zu stehen, denn als tr�umender.

„Ich bin enchantiert, mein lieber Freund,“ sagte George, dem Gast entgegengehend und die tintennasse Feder von der Rechten in die Linke wechseln lassend, um H�nde sch�tteln zu k�nnen, „Sie st�ren mich ganz und gar nicht, — Sie erlauben nur, da� ich eine Schlu�zeile …“

„Diese B�cher werden noch anders geordnet,“ redete er, eilig schreibend, Sand streuend, salzend, siegelnd, „ich habe bestimmte Prinzipien der Anordnung, die ich nun auch amtlich wirksam zur Geltung bringen kann.“

Er trat neben den Besucher, zog ein Buch aus der Reihe und reichte es ihm. Der junge Huber, schlank, von wenig guter Haltung, schwarz gekleidet wie ein Abb�, bl�tterte die Titelseite auf und richtete dann sein blasses Gesicht mit dem Ausdruck liebensw�rdiger Ratlosigkeit auf Forster.

„�brigens sind mir einstweilen die H�nde v�llig gebunden,“ fuhr dieser fort. „So lange die Entscheidung �ber ein neues Bibliotheksgeb�ude h�chsten Ortes nicht getroffen ist, lohnt es sich nicht, anzufangen. Mein Gott, es verkommt alles in Staub, es ist nichts zu �bersehen, es existiert kein Katalog. M�ller mu� sich wahrhaftig kaum … Aber lassen wir das. Er hatte Besseres zu tun. In der Tat, wer h�tte das nicht? Was ich Ihnen da in die Hand gab, mein Teurer,“ sagte er und nahm Huber das Buch nachsichtig wieder ab, „ist eine interessante Reisebeschreibung des Engl�nders George Keate, die ich zu �bersetzen gedenke. Ich wei�, ich wei�, Ihre Neigungen geh�ren der sch�nen Literatur und mehr den Franzosen als den Briten.“

„Soll, sprach er, soll mein Albion vergehen …“ murmelte Huber und strich sich mit der Hand verlegen �ber die Stirne.

„Sie meinen? Oh, Sie zitieren einmal wieder und vermutlich Ihren Abgott, diesen Herrn Schiller, von dem ich noch so wenig wei�. Nun, dem werden Sie abhelfen. Aber, was ich sagen wollte, — die sch�ne Literatur samt einer Tasse Tee finden wir dr�ben bei meiner Frau. Und au�erdem vermutlich Demoiselle Dieze und den jungen Herrn von Humboldt aus Berlin, hier durchreisend nach Paris.“

„Ich bin so dankbar,“ sagte Huber mit seiner bedeckten Stimme, „so namenlos dankbar f�r dies Geschenk der G�tter, das Ihr Wohlwollen mir bedeutet! Mainz war �de f�r mich, ich fand keinen Anschlu�, weder bei Hofe noch in den gelehrten Kreisen. Ich bin ein Schw�rmer …“ Er l�chelte inbr�nstig vor sich hin und hob dann die schweren Lider zu einem schnellen scheuen Blick in Forsters Gesicht. „Gew�rdigt des Umgangs mit einem K�rner, einem Schiller, kann ich den seichten Frivolit�ten eines Heinse keinen Geschmack abgewinnen.“

„Und doch liebte ihn Fritz Jakobi!“

„Es w�re unbegreiflich, f�nden sich nicht im „Woldemar“ Fingerzeige f�r gewisse Stationen des Geistes, die Jakobi durchlaufen hat. Er war nicht immer, der er ist.“

„Nicht immer der tiefgrabende philosophische Kopf, als den ich ihn jetzt kenne, — oh, da haben Sie recht. Aber wollen wir nicht hin�bergehen?“

„Ach, ein Gespr�ch zu zweien ist so unendlich viel fruchtbarer!“

„Sie sind wirklich ein Schw�rmer! Und garnicht neugierig auf die Dame des Hauses?“

„Ich werde mich gl�cklich preisen!“ sagte Huber und legte die Rechte aufs Herz, indem er seine gro�e Gestalt sonderbar in den Schultern fallen lie� und Forster folgte, wie ein Verurteilter.

Nachdem der neue Gast der Hausfrau und der Demoiselle Dieze vorgestellt worden war, verneigten sich der Legationssekret�r der s�chsischen Botschaft, Herr Huber, und der Doktor beider Rechte und der Kameralwissenschaften, Herr von Humboldt aus Berlin, auf das artigste vor einander und gerieten alsbald in ein h�fliches Gespr�ch �ber den Wert des Reisens, sonderlich einer Reise nach Frankreich, dem Fiekchen Dieze mit schief geneigtem Kopf und leicht ge�ffnetem Munde and�chtig lauschte, w�hrend Therese sich an dem sausenden Samowar zu schaffen machte, um frischen Tee zu bereiten, und George unruhig im Zimmer auf und nieder wandelte. Da lehnten die Bildnisse der Gro�eltern Theresens und sein eigenes, von Tischbein gemaltes, immer noch in einer Ecke an der Wand. Die Gardinen waren gl�cklich aufgesteckt, Hammer, N�gel und Schn�re jedoch lagen noch auf St�hlen und am Fu�boden herum. Die B�cherkiste mit der sch�nen Literatur stand noch unausgepackt am Fenster, aber es war darin gekramt worden und die letzten G�ttinger Almanache waren aufgeschlagen auf dem Tisch zwischen den Tassen. Das war nun einmal Therese, — er dachte es ergeben und wu�te es nicht, da� seine Blicke zwischen ihr und den jungen M�nnern, denen sie jetzt mit ihren hastigen Bewegungen den Tee reichte, hin- und hergingen. Das war nun einmal Therese und so w�rde es auch noch morgen, auch noch in acht Tagen hier aussehen. Denn, nicht wahr, Umzug war Umzug und gab ein Recht auf Unordnung. Allerdings w�rden wie von Anfang an in allen Ecken Gl�ser und Vasen mit buntem Laub, Herbstastern und Veilchen stehen, „The Resolution“, aufgeklappt und mit beschriebenen Bogen bedeckt, w�rde von T�tigkeit und Mitteilungsbed�rfnis zeugen, wie die umhergestreuten B�cher und Journale von Lesehunger, die angefangene N�harbeit dort von h�uslichem Flei�. Und ganz allm�hlich und schonend w�rde die Umzugsunordnung eben von der gewohnten, allt�glichen �berwuchert und abgel�st werden, in der Therese sich nun einmal � son aise f�hlte, — nun, er hatte ja seine eigenen R�ume. Der junge Humboldt sah �brigens vorz�glich aus, auffallend viel besser als Huber, auf dessen weichem Enthusiastengesicht irgend ein Zug von Unfertigkeit oder Kindlichkeit lag. Dennoch, er f�hlte sich zu Huber hingezogen, mehr als zu dem breit und fest gebauten J�ngling mit dem unersch�tterlichen Blick der blauen Augen und diesem starken runden Kinn. O, er hatte dieser Art von Physiognomien mi�trauen gelernt, Erinnerung dunstete durch seine Gedanken wie Krankheit. Er r�ckte seinen Stuhl nahe an Hubers heran und legte ihm die Hand auf den Arm. „Ein wahrer petit ma�tre, ein ganzer Mann von Welt, dieser Herr aus Preu�en, nicht wahr?“ fl�sterte er ihm kopfnickend, mit leicht verzerrtem Munde zu und besann sich sogleich unter dem gutwilligen, aber leicht befremdeten L�cheln, dem er begegnete. Wohin geriet er immer? Er war wahrhaftig krank in seiner Seele, und nicht mehr imstande, einen Menschen rein zu genie�en. Therese unterhielt sich, Therese unterhielt sich gut, und sollte er nicht froh sein, sie nach Monaten wieder einmal unbefangen lachen zu h�ren? Was sa� er denn hier und gr�belte dar�ber nach, da� ihr Lachen nicht mehr so war wie fr�her, — da� da ein neuer Klang, ein pathetischer Ton in ihre Art zu sprechen gekommen war?

„Finden Sie Theresen ver�ndert?“ fragte er Fiekchen halblaut. Hatte sie, die als Kind, ehe ihr Vater nach Mainz berufen worden war, Theresens Gespielin, die sp�ter als junges M�dchen h�ufig mit ihr zusammen gewesen war, dies auch bemerkt, dies, da� da eben nicht Therese sa�, nicht Therese, die heitere, junge, lachende, gl�ckliche, sondern ihr Haupt, ihr Haar, ihr Antlitz, ihr K�rper, ihre Kleider, hinter denen ein fremder Wille, eine fremde Stimme, ein fremdes Gel�chter gespenstisch agierten? Oh mein Gott, was sollte denn dieser betr�bte, ratlos zustimmende Blick des guten Sophiechens, dies: „Ich kann mir nicht helfen, — ja, — ich finde es auch!“ Und George sagte laut, irgendeinem Schicksal, wie ihn d�nkte, frech unter die Augen lachend: „Sch�ner geworden, nicht wahr, — sch�ner geworden, Mamsell Fiekchen!? Ja, ja, die Ehe tut Wunder! Die Ehe tut Wunder, guter Freund, und Sie sollten sich auch bald entschlie�en zu heiraten,“ wandte er sich an Huber, „ich h�re, da� Sie mit der Demoiselle Stock verlobt sind. Ich lernte sie in Dresden kennen, — welch ein M�dchen, welche Qualit�ten an Kopf und Herz! Sie sind sehr zu begl�ckw�nschen, wissen Sie das auch?“

Huber, dunkel err�tet, lie� einen hilflosen Blick zu Fiekchen und dann zu Therese gleiten. Diese, obschon in einem Wortgefecht mit Humboldt, schien geh�rt zu haben, um was es sich handelte, und rief mit einem sonderbar ver�chtlichen Ausdruck �ber den Tisch hin�ber: „Du mu�t einen artigen Sklaven nicht an seine Ketten gemahnen, George!“

„Oh, oh,“ stammelte Huber, verz�ckt l�chelnd, „es ist nicht das, nicht das!“

„Rosenketten also?“

„Ja ja! ‚Da band ich sie, da band sie mich mit Rosenketten‘ …“

„Da� der Alte je so amoureuse war!“

„Klopstock, — Klopstock, nicht wahr?“ Fiekchen sah mit gro�en Augen zwingend in Hubers hinein, dieser aber, seine Augen mit einer Art stiller Standhaftigkeit auf Therese richtend, sagte langsam, von einem L�cheln durchleuchtet:

„Weisheit mit dem Sonnenblick,

Gro�e G�ttin, tritt zur�ck,

Weiche vor der Liebe!

Nie Erobrern, F�rsten nie,

Beugtest du ein Sklavenknie,

Beug es jetzt der Liebe!“

„Ach, das ist Ihr Schiller!“

Therese griff ungeduldig nach einem der Almanache auf dem Tisch und bl�tterte darin. „Ich kann den Enthusiasmus f�r ihn nicht teilen …“

„Und doch ist er dem Geheimnis der Gl�ckseligkeit so nahe,“ sagte George vor sich hin. „Er l��t seine Liebe aufgehen in dem gro�en Brand seines Herzens f�r die Menschheit. Er vermag es.“

„Mein Freund?“

„Oh — du meintest?“

„Ich meinte, ob du zu Ende w�rest mit dieser Meditation und ob ich um Geh�r f�r meinen wackren B�rger bitten darf?“

Sie las. Sie las die Elegie. „Als Molly ihn verlassen hatte“, erntete ergriffenes Schweigen, einen lyrischen Seufzer Hubers, f�hlte sich offensichtlich gel�st, bl�tterte, begehrte ein Licht, las weiter. George sah auf sie hin, f�hlte seine Brust unter ihrer Stimme erzittern wie den Resonanzboden einer Geige, die Sch�rfe in ihm zerging, er atmete leicht und gl�cklich, er staunte, da� sie sch�n wirkte, einzig durch den jetzt seelisch entz�ndeten Glanz ihrer Augen. Er sah es wohl, da� sie sich wieder und allen seinen Bitten entgegen geschminkt hatte, da� ihr Anzug, dies gr�ne, wei�gestreifte Hauskleid, im Widerspruch zu jenem Aufwand der Eitelkeit stand, — er war nicht blind daf�r. Dennoch, — hier war Therese, — und hatte sie sich ver�ndert, jetzt zeigte sie es nur im Ausdruck einer Tiefe der Empfindung, deren sie erst f�hig hatte werden m�ssen. Und George in einem t�richten Frohlocken dachte in diesen Minuten nichts, als: Sie ist mein, ich modelte ihr Herz, — und die Blicke der beiden jungen M�nner, die, betroffen oder hingerissen, verrieten, da� nicht nur er allein dem r�tselhaften Zauber dieser nicht sch�nen Frau erlag, gaben ihm ein Triumphgef�hl des Besitzes. Einer jener verh�ngnisvollen T�uschungen nachgebend, die ihn in diesem Abschnitt des Lebens zuweilen �berst�rzten wie Lichtstr�me das Land an einem wolkentreibenden Apriltag, meinte er sich eins mit ihr zu f�hlen, eins in einer reinen geistigen Luftschicht, in die sie durch den Dunst niederer Ebenen hindurch gemeinsam sich empor gek�mpft h�tten. Hier, nun wohl, standen sie Hand in Hand auf der Schwelle eines neuen Lebens; dieser Abend, der erste in Mainz, der ihnen G�ste zugef�hrt hatte, war von der Musik unsichtbarer Genien umspielt, Musen und Grazien hatten ihr Haus in ihre Hut genommen. In den Stand der Gebenden, Austeilenden, �berstr�menden eintreten d�rfen, ja, er war gew�rdigt worden, es war nun an der Zeit! Mochten Menschen wie M�ller hochm�tig oder abgewendet fernbleiben! Hatte er auf ihren Umgang gehofft, er war der Entt�uschung wohl gewachsen. Wenn nur jene kamen, die noch nicht des eignen Geistes satt waren, wenn sie nur kamen, bereit, ihm seine F�lle abzunehmen, er wollte sie wohl n�hren und Theresens anmutiger und sch�ner Geist sollte sie laben, wie der Flor eines Gartens. Huber sollte den Freund an ihm finden, den er suchte, ger�hrt blickte er auf ihn, der dort mit einem gl�ubigen Ausdruck knabenhafter Begeisterung an der Vorlesenden hing. Ihm war, als s�he er sich selbst, zehn Jahre zur�ck, und fast wollte es ihn mit wehm�tigem Neid �berkommen: hatte denn je �ber ihm so das G�ttergeschenk der Freundschaft eines �lteren, Gereiften geschwebt, hatte er sich nicht von je einsam seinen Weg suchen m�ssen, f�hrerlos und Gott allein verantwortlich? —

Da Therese nun zu lesen aufh�rte, stand er auf und eilte in sein Zimmer, von dem Bed�rfnis �berkommen, auch etwas zu geben, und sich erinnernd, da� Humboldt ihn nach seinen eigenen Arbeiten gefragt hatte. Er hatte vorher in dem botanischen Kollegium gebl�ttert, das er den Wilnaer Damen gelesen hatte. Es waren doch recht artige Perioden darin, besonders in den Vorlesungen, die von der Generationstheorie handelten, er traktierte das Ding so aus dem Handgelenk, leicht, fast am�sant, ohne doch im geringsten aufzuh�ren, der Forster zu sein. Er kehrte zur�ck, das Manuskript in der Hand, fand das R�schen, das inzwischen hereingebracht worden war, auf Humboldts Knien sitzend und diesen bem�ht, den ernsthaften kleinen Mund des Kindes zum Aussprechen seines Namens zu bewegen: „Wilhelm!“ sagte er ihm l�chelnd vor, „Wilhelm!“

„Wilhelm …“ wiederholte Therese sich vorneigend, und, im Schatten der Zimmertiefe verweilend, erkannte George im Innersten betroffen den sp�henden ruhelosen Blick ihrer Augen, den bebenden Ton ihrer Stimme, und wu�te pl�tzlich, was da vorhin ihrem Lesen Klang und Zauber gegeben hatte, es war ihr verborgenes Herz gewesen, das unabl�ssig jenen Namen anrief, unabl�ssig, — ihn, den er selbst so gewaltsam hinter sich in die Vergessenheit getreten hatte. — —

Er hatte nicht mehr vorgelesen. Er ging in seinem Zimmer auf und nieder, im Schein der Kerzenflamme glitt sein Schatten an der Wand entlang, der Schatten eines alten Mannes, von dem sein Auge m�de abschweifte. Sein Kopf schmerzte, seine Glieder waren schwer. Die anderen waren noch hinaus in die klare Herbstnacht gegangen, um die Sterne sich im Rhein spiegeln zu sehen. Er scheute die feuchte Luft, er war zur�ckgeblieben, er ging hier zwischen seinen B�chern auf und ab in der Gesellschaft eines m�den, geb�ckten Schattens. „O, — du hast wieder Schmerzen, lieber Freund?“ hatte Therese gleichm�tig gesagt. Ja, — glaubte sie ihm nicht einmal die Schmerzen mehr?

„Ich habe vielleicht allzuoft in meinem Leben unter derartiger Gesellschaft sein d�rfen, um dies als ein besonderes Gl�ck zu sch�tzen,“ erwiderte George l�chelnd auf die Frage Theresens, wie er es denn ertragen k�nne, hier oben auf der Galerie unter den Geduldeten zu sitzen. Er hatte den Arm auf die Br�stung gest�tzt und blickte von der Seite in ihr Gesicht, das angeregt und unzufrieden zugleich auf die gl�nzende Versammlung unten im Akademiesaal des Schlosses hinabsp�hte. Das Scherzo einer Haydnschen Symphonie hub soeben mit den rasch sich folgenden Eins�tzen der Streichinstrumente und Fl�ten an, als beg�nne ein lustiger Wettlauf leichter Kinderf��e �ber eine Fr�hlingswiese. Therese hielt eine Antwort auf der Zunge zur�ck, seufzte ungeduldig auf und schlo� die Augen, gelangweilt oder genie�end. George, musikm�de, wie stets gegen Ende eines Konzerts, sah zu S�mmerring und Wedekind hin�ber, die an ihrer anderen Seite sa�en, beobachtete ein wenig die amtlich gesammelten Mienen, mit denen die beiden Mediziner den Genu� dieser kurf�rstlichen Samstagsveranstaltung entgegennahmen, lie� seine Augen �ber die and�chtigen oder zerstreuten Mienen der hier oben sitzenden b�rgerlichen Gesellschaft schweifen, nickte dem kleinen eleganten Professor Dorsch zu, der auf seinem Stuhl wippend mit seiner Dose spielte, tauschte mit Fiekchen Dieze einen Blick l�chelnden Einverst�ndnisses �ber die neben ihr s�nftlich eingeschlummerte Frau Mama, geriet selbst ein wenig ins G�hnen und starrte zum Plafond des Saales empor, der, von den olympischen Ausgeburten Januarius Zickschen Geistes bedeckt, ihn einlud zum Verweilen zwischen Wolkenh�geln und den rosigen Nacktheiten unbefangener G�ttinnen. Er f�hlte sich irgendwie bedr�ngt von dem atmenden Schweigen dieser orphisch gebannten Menschheit, als sei er der einzige Wache unter lauter Bezauberten. Dennoch wu�te er, da sa�en sie nun und enthielten sich der Worte, der Bewegungen, schillerten in den Farben ihrer Kleider, ihrer Edelsteine, im Glanz ihrer leuchtenden Haut, wie Frau von Coudenhoven dort unten an der Seite des Kurf�rsten und der Kreis ihrer Damen, — hatten scheinbar sich selbst und die Welt vergessen und verhielten sich in dem strahlenden Licht der Kronleuchter reglos, als sei die Mainzer Hofgesellschaft nichts als ein pflanzenhaftes Produkt der Natur von pfauenhafter Buntheit, — zuckten aber mit unz�hligen Herzen, dachten mit unz�hligen H�uptern, konnten den Augenblick der Entzauberung nicht erwarten, da das Orchester verstummen w�rde, br�teten �ber den S�tzen, mit denen sie sich selbst wieder vernehmen lassen und h�ren w�rden: ganz gut, Herr Haydn, ganz gut, aber Sie hatten allzulange das Wort!

Sieh, der Kurf�rst beugte sich bereits zu seiner Freundin hin�ber und fl�sterte ihr etwas zu. Die Symphonie, ohne Pause in das Rondo hineinst�rzend, verwirbelte in Kreiselt�nzen wie ein lerchenhaft enteilender Himmelsbote, von dem in Raserei verfallenden Kapellmeister gejagt. �berall bewegten sich die K�pfe, die Schultern, kam Leben in starre Gesichter, wurde Beifall bereit gestellt. Der Coadjutor Dalberg tauschte Kennerblicke mit Heinse, und M�ller, der bis jetzt in sich versunken, den chapeau bas unter dem Arm, an einem Fensterpfeiler gelehnt hatte, hob pl�tzlich den Kopf und sah ohne umherzusuchen zu George auf, der ihm mit einem gr��enden L�cheln begegnete. Nun, — dies war wieder etwas, wie die ab und zu gewechselten franz�sischen Billets sachlichen Inhaltes, etwa �ber ein Buch aus der Bibliothek, die manchmal so �berraschend emphatisch schlossen, „tout � vous, de cœur et d’�me,“ oder geheimnisvoll verhalten mit dem lateinischen „Tuus“, „Totus tuus!“, das wie eine Schwurformel der Verbundenheit klang. George, noch immer an der einsamen Gestalt dort unten hangend, die sich l�ngst von ihm abgewandt hatte, gab sich mit einem unbewu�ten Seufzer nach. Er verstand diesen Mann so wenig wie nur je. Er sah ihn ab und zu im Fluge bei Frau von Coudenhoven, wenn er ins Schlo� kam, um dem jungen Coudenhoven das w�chentliche Privatissimum zu lesen. Hier fand er M�ller zuweilen, plaudernd und anscheinend ganz � son aise in dieser Atmosph�re h�fischer Geselligkeit, in der George nur beklommen atmete. Im �brigen lebte er einsiedlerhaft, amtlichen Gesch�ften und wissenschaftlichen Arbeiten hingegeben, lie� jeden Besucher abweisen und — nun ja, er l�chelte George zu und schrieb ihm Billets, aber er entzog sich seinem Umgang und schien es nicht wissen zu wollen, da� ungehobene Sch�tze in dem Gebirge lagen, das zwischen ihnen beiden sich t�rmte. —

„Wir werden“, fl�sterte George Therese zu, „mit Huber nach Hause gehen m�ssen, er machte mir vorher ein Zeichen, er sieht auch jetzt hinauf. Aber du sahest wohl schon?“ Und mit uneingestandenem Befremden bemerkte er ein L�cheln in ihrem Gesicht, das dem Legationssekret�r galt, der, im schwarzen Hofkleid, die Hand am Degen, hinaufgr��te.

Therese wandte sich an Wedekind. „Wo ist Ihre Schwester, Hofrat?“ fragte sie S�mmerring ungeduldig, wenn schon mit l�chelndem Kopfnicken den Umhang abnehmend, den dieser mit umst�ndlicher H�flichkeit bem�ht war, ihr um die Schultern zu legen. „Wo ist Meta? Ich w�nschte sie mir f�r den Heimweg, — oh, wer kann immer unter M�nnern atmen?“

Sie lachte kurz auf, George, S�mmerring und Wedekind nacheinander mit den Blicken streifend und nun Huber entgegensehend, der heraufgekommen war und sich der abflutenden Menge entgegendr�ngend den Weg zu ihnen suchte. In der Umrahmung des russischen Baschliks wirkte ihr Gesicht zart, in den Augen lag noch das innerliche Lodern, das Musik hier stets entfachte. Wedekind sagte in langsamem Hannoveranisch: „Meta f�hlt sich nicht disponiert unter Menschen zu gehen. Sie hatte Briefe, die sie aufgeregt haben, sie bekam Kongestionen. Ihre Aff�re zieht sich hin.“

„Herr Forkel ist ein Oger“, sagte Therese leichthin, „welcher redlich Denkende besteht auf einem Besitz, der nur noch auf dem Papier Existenz hat? Oh, ist er denn ein Sklavenhalter? Was meinen Sie, Huber?“

„Da� unsere Freundin frivoler redet als sie denkt.“

„Ah, mon Dieu, — comme il est c�r�monieux!

„Ich werde Meta heute abend noch zur Ader lassen“, sagte Wedekind steif, indem sie die Treppe hinunterschritten, „es wird ihr den Kopf kl�ren. Forkel ist in seinem Recht.“

„Ich bin nicht daf�r, den Weibern so viel Blut zu entziehen“, gab S�mmerring den Auftakt zu einem medizinischen Gespr�ch, das auf der Stra�e fortgesetzt wurde. Forster schritt stumm nebenher, von unerkl�rlicher Traurigkeit befallen. Er dachte: „mitunter steigen Worte aus Abgr�nden auf und verraten alle Schrecken der verborgenen Tiefe. Sage auch ich zuweilen solche Worte?“ Er w�nschte, stehen zu bleiben und sich Therese und Huber zuzugesellen, die hinter den drei Herren gingen, aber er tat es nicht. Er schritt gesenkten Hauptes, kraftlos. S�mmerring war bei seinem Lieblingsthema, der Sch�dlichkeit der Schn�rbr�ste f�r den weiblichen K�rper, angelangt. Huber dahinten sagte soeben in seiner z�gernden Sprechweise zu Therese:

„Jeder Mann, er sei denn von Natur ein M�nch, wird der geliebten Frau eher einen Fehler des Herzens oder ein Versagen des Kopfes nachsehen, als einen k�rperlichen Defekt, der sich dem Bewu�tsein zu jeder Minute aufdr�ngt.“

„Und wer ist jetzt eben frivol zu nennen?“ h�rte George zu seiner Befriedigung Therese fragen. In der Tat, durfte der Verlobte eines k�stlichen M�dchens, wie es die ein wenig bucklige Dora Stock war, so sprechen?

„Ich bin nicht frivol. Ich bin ein Ungl�cklicher.“

„Und warum erz�hlen Sie mir das? Oh, ich verstehe. Ich scheine Ihnen stark genug, um andere zu tragen. Aber ich warne Sie, mein Freund. Ich bin weder stark noch mitleidig. Vielleicht, da� ich es einmal war. Oh, — vielleicht …“

„Warum sich immer eines kalten Herzens r�hmen?“

„Werden einer Frau die Fehler des Herzens nicht leichter verziehen?“ George blieb j�h stehen.

„Du solltest in der kalten Nachtluft nicht sprechen, meine Liebe“, sagte er und zog ihren Arm durch den seinen, „der Hornung ist ein t�ckischer Monat f�r eine zarte Brust.“

Er redete hastig, sich selber unbewu�t. „Huber, Sie kommen mit uns. Sie teilen unsern Abendtisch. Ich wei�, Sie haben einen neuen Akt in der Tasche, Sie brennen darauf, ihn uns mitzuteilen, wie wir es kaum erwarten k�nnen, ihn zu h�ren. Ist’s nicht so, Therese? Ich habe einen herrlichen Brief von Jakobi, ich mu� ihn Ihnen mitteilen, er rouliert ganz auf den Begriffen des Wahren, Guten und Sch�nen …“

Denn dieser Huber war ein Mensch, dem man es nachsehen mu�te, da� er den Inhalt seines Busens zu Tage brachte, wie das Meer Muscheln, Sch�tze und Leichen an den Strand schwemmt, sei dieser Strand nun inselhaft lieblich umgr�nt wie das Herz einer Frau oder einged�mmt und stark wie die Brust des m�nnlichen Freundes. Therese, meinte George zu f�hlen, war ganz mit ihm einig, da� diesem Menschen geholfen werden m�sse, der seine F�lle so schlecht b�ndigen konnte und der weder in seiner Lebensf�hrung noch in seinen poetischen Versuchen irgendwelche Form besa�. Freilich, Therese machte absonderliche Erziehungsversuche an ihm, suchte durch Herbe und Spott zu wirken, wie ihn d�nkte, belohnte zuweilen mit L�cheln und der S��e eines Augenaufschlages, wie er beobachtet zu haben meinte, aber hatte doch, dessen war er sich gewi�, nicht den richtigen Weg eingeschlagen, Wirkungen zu erreichen. G�te, Vertrauen und Hingabe waren es, die hier zu gewinnen hatten. Leise, unmerklich, mit dem magischen Fl�tenspiel eines freundlichen Hirten, war dieser Verirrte herauszulocken aus der Wildnis. Begann er nicht schon, den Geschmack an der w�sten Gesellschaft zu verlieren, an die er verfallen gewesen war, vermied er nicht neuerdings sein Wirtshausleben mit Schauspielern und Dichterlingen und sa� Abend f�r Abend an Theresens Teetisch, ein schweigsamer Gast, solange anderer Besuch anwesend war, beredt, sobald man, selbdritt, das Gespr�ch auf ihn, auf sein Leben, seine Pl�ne, seine Arbeiten kommen lie�? Oh, ihn nicht verspotten, nicht an ihm zerren, ihn nicht mit ihrem raschen Witz vergr�men sollte Therese, dachte George br�derlich. Dieser da kam, um W�rme, und Rat, um Halt zu finden, und so kam er zu ihm, zu George, so war er, endlich, endlich, die in uns�glicher Einsamkeit wortlos vom Schicksal erflehte Seele, die seiner bedurfte, seiner ganz und gar. Er gab es sich selbst nicht zu, da� die eigentliche Befriedigung darin lag, vor Therese entfalten zu k�nnen, wessen er f�hig war, wenn denn ein Mensch kam, der seiner bedurfte. Gab es sich nicht zu, da� er diese Rolle des Hilfreichen, Geduldigen, Unerm�dlichen so eifrig spielte, damit sie erkennen sollte, er war nicht der, als den sie ihn mehr und mehr zu sehen beliebte, der unabl�ssig Fordernde, der, dessen Liebe nichts wu�te, als da� der andere ihm geh�rte und ihm zu dienen hatte. Ahnte sie es, da� sein Bem�hen um Fremde ein Werben um sie selber war, — ahnte sie es und lie� ihren Spott deswegen spielen, wo es sich um Huber, ihre Gleichg�ltigkeit, wo es sich um andere Hilfebed�rftige handelte, denen er Besch�ftigung vermittelte, denen seine Person, sein sanfter, t�tiger Geist m�hlich zur wohlt�tigen Lebenssonne wurde, um die zu kreisen neugewonnene Ordnung bedeutete? Verneinte sie diese Menschen, die ihn nicht anders wollten, wie er war, die ihn gut hie�en, weil sie ihn anders w�nschte und weil sie im geheimen jede seiner �u�erungen und Taten entwertet sah in dem Lichte des Verdachtes, da� alles geschah, nicht nur, um vor ihr zu bestehen, nein, um auch als der Bessere, der Gr��ere, der von ihr Geopferte zu erscheinen? Hatte sie es erkannt, da� in diesem Zusammenhalten aller Tugenden, in der unabl�ssigen Aus�bung von Treue, Redlichkeit und Menschenliebe der letzte verzweifelte Widerstand seiner Seele sich kundgab, gegen sie, von der er sich doch abh�ngig wu�te wie vom t�glichen Brot, in der sonderbaren, scheuen und w�hlerischen Not seiner Sinne vor ihr so bed�rftig, wie der Verschmachtende in der W�ste vor der einzigen Oase? Wu�te sie es, wie verzweifelt er sich an die Best�tigung seiner selbst klammerte, die ihm von anderen ward, weil er sonst begonnen h�tte, sich mit ihren, mit Theresens Augen zu sehen, als einen W�rdelosen, der bettelte oder sein Recht erzwang, wo es ihm nicht frei und liebend gew�hrt wurde? Und wie �bte er ihn aus, diesen Zwang, fragte er sich mit einiger Bitterkeit und starrte b�se gr�belnd zu ihr hin�ber, die dort in der Schattenecke des Zimmers sa� und mit diesen nie ruhenden kleinen H�nden an ihrer langen Halskette zerrte und spielte, w�hrend Huber die gro�t�nende Phraseologie seines Dramas mit gaumiger Stimme vor�berw�lzte. Hie� das Zwang aus�ben, z�rtlichen W�nschen nicht Halt zu gebieten, wenn sie nicht auf Willkommen, nur auf — Duldung stie�en?

Oh, �ber die best�ndigen Monologe, in denen er sich rechtfertigte, die stummen Auseinandersetzungen, die kein Echo hatten, — oh, �ber die nicht endende Apologie, dem Forum des eigenen Gewissens gegen�bergestellt, das ihn anklagte, weil er Gl�ck nur nahm und immer nur nahm! Und warum, warum blickte Huber, nun, da er geendet hatte und nach der Anstrengung des Lesens im Stuhl zusammensank, mit einem �ngstlich heischenden Blick zu Therese hin�ber, deren Antlitz, jetzt vorgebeugt ins Kerzenlicht, still war, als lauschte sie den letzten Versen nach? George erhob sich, mit einem �berst�rzten: „Vortrefflich, lieber, teurer Freund, — indessen …“ die Aufmerksamkeit an sich rei�end, und, im Zimmer auf und nieder gehend, begann er eine Kritik des Geh�rten zu entwickeln. Diese Auftritte, meinte er, seien vorz�glich aufgebaut, jedoch so sehr vom Gef�hl �berwuchert, da� der Gang der Handlung unter Blumen, — oh, und er m�ge nur verzeihen! — auch unter Unkraut, bl�hendem Unkraut verschw�nde, — da� — „ist’s nicht so, Therese? Nicht wahr, da sehen Sie, sie gibt mir recht!“ — nun, da� den H�renden eine leise Erm�dung �berk�me, da� seine Gedanken abschweiften, da� — redete er, verzweifelt wahrnehmend, wie Huber Therese unabl�ssig anblickte, und wie sie ihre Augen in seinen spielen lie� — da� er, wenigstens er, nicht h�tte folgen k�nnen.

„Doch ist’s nicht sch�n,“ sagte Therese, in diesem Augenblick ihn ansehend mit einem Ausdruck bittender Demut, der ihn r�tselhaft ersch�tterte, — „ist’s denn nicht sch�n, mein Freund, des Herzens �berflu� zu sehen?“ Und, sich mit den Schultern windend, als sp�re sie Schmerz oder Druck, eine Bewegung, die ihr in den letzten Monaten zur Gewohnheit geworden war, fuhr sie fort, abgerissen, verlegen sprechend: „Das Herz, — ach, nur das Herz einmal reden zu h�ren, George, — ein Herz zu sehen, golden, feurig — ist das nicht besser, als Kunst?“

„Aber ich rede wie ein Kind,“ sagte sie, pl�tzlich sehr gefa�t, stand auf und f�llte die Tassen neu, — „h�ren Sie nicht auf mich, Huber, h�ren Sie auf George, — er — wei� viel besser, was not tut.“

Sie stand neben ihm, die Hand auf seiner Schulter, er f�hlte ihre Finger hei� und bebend an seinem Halse hingleiten. Den Arm um sie gelegt, von irgendeinem Triumphgef�hl durchsch�ttert, das unvergleichlich viel st�rker war als die Einsicht, es handele sich hier um die wirksame Darstellung eines lebenden Bildes oder die Vorf�hrung einer Parabel, l�chelte George in die mit dem Ausdruck seelischer M�hsal auf ihn gerichteten Augen Hubers hinein und dozierte weiter. —

„Du solltest,“ h�rte er Therese nach einer halben Stunde leise und leidenschaftlich sagen, als er das Wohnzimmer noch einmal betrat, nachdem er den Gast hinausgeleitet und die Haust�r hinter ihm abgeschlossen hatte, — „du solltest diesen jungen Menschen nicht so oft kommen lassen, mein Freund! Wenn nicht um deinetwillen, so seinetwegen.“

Sie stand in der Fensterecke, als sei sie dorthin gefl�chtet, den Arm auf „The Resolution“ gest�tzt und sah ihm bla� und feindlich entgegen. Er erkannte nur, da� ein aufgeregtes Herz ihre Augen seltsam dunkel leuchten lie�, da� sie noch in diesem weichen Kleid aus maisgelbem Seidenmusseline war, das sie zum Konzert getragen hatte. Er tat ein paar Schritte auf sie zu, blieb stehen, l�chelte und sagte: „Ich verstehe dich nicht.“

„Du wirst nie zu sehen lernen!“ rief sie und schlug die H�nde vors Gesicht. Dann, mit jenem unerkl�rlich schnellen �bergang aus der Erregung in die Ruhe, in den sie ihm gegen�ber jetzt so oft verfiel, sagte sie wieder ganz leise und sehr gehalten: „Du solltest ihn nicht so oft ins Haus bringen. Siehst du denn nicht den Zustand seines Herzens? Ich habe eine unselige Anziehung, ich …“

Sie stockte, blickte George, der sich ein wenig n�herte und immer noch l�chelte, unsicher an und vollendete hastig: „Ich habe nichts dazu getan, George, bei Gott. Aber schaffe ihn fort, — ja? Oh,“ schlo� sie ein wenig pathetisch und dr�ngte die H�nde gegen seine Schultern, denn nun war er bei ihr, „George, George, liegt denn ein Fluch auf meinem Leben?“

„Du siehst Gespenster, Therese. Er ist jung, seine Schw�rmerei kennt keine Grenzen. Wie dein Herz klopft!“

Und �berw�ltigt wie von einer endlichen Erf�llung, blind, trunken, nicht f�hig, diesen Blick voll Schicksalsangst, der seinem auswich, zu deuten, murmelte er, sie an sich ziehend: „Was willst du doch? Er ist gebunden und du — du bist doch mein.“

Therese, abgewendeten Antlitzes in seinen Armen h�ngend, die Brauen verzerrt, fl�sterte: „Ja. Ich bin dein. Und ich m��te wohl noch Kinder haben …“

In dem Schweigen, das folgte, war nichts, als das unstete Flackern der beiden niedergebrannten Kerzen, das den Raum mit dem Tanz schwankender Schatten f�llte.

„Sey doch jeder vergn�gt, wenn er sein kleines Pl�tzchen gefunden hat, aus dem er in die Welt hinausgucken und �ber sie lachen kann“, so las George in der zierlich beh�bigen Handschrift des alten Heyne, las diesen Satz zum zweitenmal, nachdem er den kurzen Brief des Schwiegervaters, datiert von einem Fr�hlingstag des Jahres 1789, beendigt hatte, las in der Einsamkeit seines Kabinetts, versuchte zu l�cheln und f�hlte sich zugleich derma�en gesch�ttelt von Abwehr, �berdru� und Herzeleid, da� er das unschuldige Papier krampfhaft mit der Hand zerknitterte, es hinwarf, das Gesicht in den H�nden begrub, — und dann aufsprang, um, die H�nde auf dem R�cken verschr�nkt, im Zimmer auf und ab zu laufen. Oh, gewi�, — oh, aber ohne jeden Zweifel: er hatte sein kleines Pl�tzchen gefunden! Er besa� ein Weib, ein gehorsames Weib, — in z�rtlichem Gehorsam ihm ergeben, war’s nicht so? — das nun, da die St�rme erster Jugend bes�nftigt waren, sich anschickte, in allen St�cken dem Ideal Salomonis �hnlich zu werden und das ein zweites Pfand seiner Liebe unter dem Herzen trug. Er besa� das R�schen, das ihm an den Rocksch��en hing, wenn er sich nur zeigte, und das soeben — horch! — sein Stimmchen drau�en mit dem Gurren der Tauben auf dem Dachfirst mischte, drau�en, wo im Vorg�rtchen Narzissen und Tazetten unter der Maiensonne bl�hten, — er besa� ein Haus und nicht nur Narzissen, Tazetten, Goldlack und dergleichen t�richte Sch�nheit, sondern auch einen Garten vor dem Tor, wohl f�nfzig Schritt im Quadrat, wo er Salat zog und Erdbeeren, von Kohl und Wurzeln ganz zu schweigen. Er besa� Malchus, den Knecht, und Mareiken, die Magd, mochten sie gleich andere Namen tragen, — besa� Tauben, auch H�hner, der Ankauf einer Ziege war geplant, — ei, hatte er nicht wahrhaftig sein kleines Pl�tzchen, und was hinderte ihn denn, nun, in die Welt hinauszugucken und �ber sie zu lachen? Klausthal, dachte er, von irgendeiner Erinnerung gestreift, — das hie�e wohl, mein Klausthal gefunden haben, — indessen …

Er blieb am Fenster stehen und starrte schwerm�tig hinaus auf den �berschwenglich bl�henden Kastanienbaum und den festlich sch�nen Bau des Bassenheimer Hofes gegen�ber. Der Geist, der solche Formen schaffen konnte, der die Quadern dem Gesetz der Schwere selig entfremdete und es ihnen verlieh, da� sie Rhythmik, heitere Ordnung, schwingende Gelassenheit ausstr�mten, dieser Geist, — oh, dieser Geist! Er dachte nicht ganz zu Ende. Er dachte nur mit einem verzweifelten Aufwand von Pathos: Verflucht das kleine Pl�tzchen und die Zumutung �ber eine Welt zu lachen, die ich aus den Fugen rei�en m�chte, um sie neu aufzubauen, reinlicher, gerechter, weiser und — beseelt von dem Glauben an mich, an meines Herzens Kraft und W�rdigkeit! —

Nun, da der Andrang des Blutes zum Kopfe nachlie�, sammelte er sich, wandte sich ins Zimmer zur�ck und versuchte, sich selbst die Gr�nde der Erregung klar zu machen, die ihn derma�en �berw�ltigt hatte. Heyne war ein alter Mann, sagte er sich beg�tigend, der sein Leben lang in den gesch�tzten Niederungen der Philologie gehaust und keine anderen St�rme kennen gelernt hatte, als leidige Universit�tsintrigen und kleinst�dtische Familienkabalen. Er war, nun auf der H�he seiner sechzig Jahre, gel�utert genug, sich �ber diese Anfechtungen erhaben zu f�hlen, erfreute sich seines abgekl�rten Zustandes, f�r den er Gleichnisse fand, angemessen dem Verh�ltnis des Gegensatzes, den er f�r ihn bedeutete, — ein kleines Pl�tzchen also, aus dem man herausguckte und lachte, — und w�nschte, denen, die er liebte, die Annehmlichkeiten einer solchen Gem�tsverfassung nahe zu bringen. Aller Welt gut werden, schrieb er auch wohl einmal, das sei die Basis des inneren Friedens, und dann tat er mit ein paar l�chelnden Greisenworten „die Chim�re“ ab, es m��te jeder ins Gro�e wirken. Oh, vor ein paar Jahren noch, in Wilna, da w�re sein Wort Musik f�r mich gewesen, dachte George, damals, als wenigstens ein Mensch, als Therese noch, das Gro�e von mir erwartete und mich erm�dete mit ihrer Ungeduld und ihrem ungest�men Fordern. Damals, als er, sonderbar �bers�ttigt von fr�hem Ruhm, bereit war auf Lorbeeren auszuruhen, die nicht erstritten, sondern, wie es ihn jetzt d�nkte, t�ndelnd am Wege gepfl�ckt waren. Heute aber, — man hat sich mit mir abgefunden, das ist entsetzlich! Das ist entsetzlich! hallte es in ihm wider, w�hrend er von dem selbstt�tig in ihm arbeitenden Pflichtbewu�tsein getrieben die zur �bersetzungsarbeit n�tigen B�cher und Bogen auf dem Tisch anordnete und auf den letzten Satz im Manuskript starrte. War es ihm nicht immer als das einzig m�gliche Ziel erschienen, ins Gro�e zu wirken, — so oder so? Er hatte nie dar�ber nachgedacht, freilich; sein eigener Wille, so glaubte er zu erkennen, war immer abgel�st worden, in der Jugend durch den leidenschaftlichen T�tigkeitstrieb des Vaters, in dem sein eigener aufging, wie die Kohle in der Flamme, und dann durch dies zweischneidige Geschenk der G�tter, durch den Ruhm in fr�hen Mannesjahren. Es war s��, unter den freundlichen Augen der Menschen zu leben, s�� nach so bitteren Jahren, — diese wehm�tige Best�tigung der Erinnerung fl�sterte er sich zu, dieser Satz hob und senkte seine Fl�gel �ber der Arbeit der n�chsten halben Stunde, in der er gesch�ftsm��ig englischen Text in deutsche S�tze umbaute, bis er die Feder hinwarf und, verzweifelt den Kopf hebend, der Frage ins Auge blickte, deren Gegenwart er in den letzten Wochen unabl�ssig gef�hlt hatte, wie die einer unsichtbaren erbarmungslosen Gottheit. Nicht l�nger lie� sie sich in Nebel bannen. „Was tat ich?“ schrie er auf, — vernahm die eigene Stimme unselig fremd, sah um sich und fl�sterte erschrocken, — „ja, was tat ich denn, diesen Ruhm zu rechtfertigen, — ja, was baute ich denn auf diesem kolossalischen Fundament des Gl�cks? Mein Gott, mein Gott, — ich sollte doch ins Gro�e wirken, — war das denn nicht dein Ruf?“

Oh, alter Mann auf deinem B�nkchen in der Gartenlaube! — bist du je so gerufen worden? War dir die Kindheit der Vorhof der Zucht und der Entsagung, so da� du, ein Knabe noch, geschulten Geistes und m�nnlicher Arbeit gew�hnt dort schon standest, wo f�r andere die Jugend gipfelt? Wurden dir da die Tore der Welt auseinandergerissen und taumeltest du hinein in die F�lle der Erde, in das Sprachengewirr der V�lker, umwirbelt vom Schall ihrer tausendf�ltigen Musikinstrumente, vom Staub ihrer Herden, — von ihren Ger�chen umdampft, ihrer Buntheit geblendet, von ihren Weibern verlockt, von ihren G�ttern bedroht? Rollten Steppe und Strom sich auf als Teppich deiner F��e, waren die gro�en St�dte deine Herbergen, beugte das Meer geb�ndigt seinen Nacken, dich sanftm�tig zu tragen und dir seine Inseln zu schenken? Gingen dir Helden voran und zur Seite, dir zu zeigen, wie sie gemeistert wird, die erschreckliche, wonnevolle, best�rzende F�lle, — und mehr noch: ward es dir gegeben, die Helden zu erkennen und zu wissen, da� ihnen gefolgt werden mu�? — Oh, alter Mann, — dein Ziel war stets der n�chste Meilenstein! Wie solltest du die wahnsinnige Raserei der Reue kennen und verstehen, die in der Brust eines Mannes tobt, wenn er sich an den Grenzmarken der Jugend sieht und endlich wahrnimmt, da� er aus allem Reichtum, der ihm zu F��en lag, nichts errafft hat, als die Phantome der Erinnerung? — Dies war der Zustand des Herzens, in dem George Forster sich seit einigen Monaten befand. Wie bin ich hierhergekommen, fragte er sich verzweifelt, wenn er sich Tag f�r Tag vor dem Chaos der Bibliothek sah, das er ordnen sollte, f�r dessen Unterbringung er R�ume, Repositorien, ja, wom�glich ein ganzes Geb�ude schaffen sollte, f�r das er rennen und laufen, mit den Universit�tsprofessoren konferieren, Sitzungen anberaumen, beim Kurf�rsten antichambrieren mu�te. In seiner Vorstellung war ein Berg, der aus B�chern bestand und unaufh�rlich von innen heraus b�cherquellend wuchs. Die B�cher rollten, rutschten, wollten ihn erdr�cken, er mu�te sich mit beiden Armen gegen sie stemmen, sie polterten um ihn herum nieder, w�lkten den Staub von Jahrhunderten, drohten ihn mit ihrer Ausd�nstung zu ersticken. Er griff hinein, bl�tterte Titelseiten auf, schaffte irgendwo einen kleinen freien Raum, stapelte die hier, jene dort auf, kam auf den Gedanken, da� es sich lohnen w�rde, doppelte Exemplare auszuscheiden, um die Menge zu verringern, suchte diese Absicht durchzuf�hren und geriet in einen peinlichen, nagenden Kampf mit seinen Hilfskr�ften, mit diesem Heer der Unverantwortlichen, der t�ckischen, tr�gen Zwerge, die ihn zwingen wollten, nichts anderes in ihnen zu sehen, als die Teile einer Maschine, die, h�misch, wie es seiner trostlosen �berreizung d�nkte, die H�nde ruhen lie�en, wenn sein Antrieb einmal aussetzte, die schlampig arbeiteten, wieder zerst�rten, wo er meinte, Grund gelegt zu haben, Verzeichnisse anfertigten, die nichts taugten, nach Hause gingen, wenn die Glocke schlug, und sich nicht weiter k�mmerten …

W�hrend er bis in seine Tr�ume hinein B�cher schmeckte, sah und f�hlte, Handschriften und Erstdrucke und Widmungsst�cke an tote Kurf�rsten und Folianten und Elzevirs, — und da w�lzte sich ein neuer Haufe heran, lebendig kriechend wie ein Heerwurm, die B�cher aus der Karthause, die der Kurf�rst angekauft hatte, und die nun auch noch untergebracht werden mu�ten. Und niemand war bereit, ihm Platz einzur�umen, das Kuratorium der Professoren schien sich gegen ihn verschworen zu haben, — gegen den Ausl�nder und Protestanten, nat�rlich! Sein Vorschlag, die ehemalige Jesuitenkirche f�r diesen Zweck auszubauen, ward verworfen wie ein Angriff auf das Heiligtum, der Kurf�rst bekannte seine Ohnmacht, M�ller, wenn er sich denn einmal sprechen lie�, zuckte die Achseln, sagte: „Ja, mein teurer, lieber Freund …“ und redete vom Stein des Sisyphus. Und dieser Stein, er sank zur�ck auf seine Brust und war der Alp seiner N�chte. Ich kenne ihn aber, dachte er �chzend, ich kenne ihn doch seit ich lebe, diesen Alp der B�cher, oh, ich kenne ihn, seit ich so klein war und pl�tzlich lesen konnte und das Spielen aufh�rte! Dennoch, — war es denn m�glich, da� dies das Ziel und Ende gewesen war, sollte er sich darein ergeben, von diesem Gebirge t�glich eine Handvoll abzutragen, sollte er zufrieden sein mit der satten Selbsttr�stung, sein Bestes getan zu haben? Wer hatte denn sein Bestes getan, der nicht die Pf�nder einl�ste, die in der Jugend von Gott empfangen waren! Diese Pf�nder, die er besa� in den unmittelbaren Erlebnissen der bunten gl�henden Welt und des fr�hen Ruhms, sie qu�lten ihn auf einmal, wie Verpflichtungen, f�r die noch aufzukommen war. Ein ber�hmter J�ngling, und nur ein ber�hmter J�ngling, das ist wie eine sch�ne T�nzerin, dachte er angeekelt. Aber das leere Altern des J�nglings ist unverzeihlicher. Taube Bl�ten, Erlebnisse, die nicht Frucht und Leistung gezeugt hatten, — mit f�nfunddrei�ig Jahren von den Zinsen einstmals m�helos oder zuf�llig erworbener G�ter leben und sich nur noch mit kleinen Handfertigkeiten besch�ftigen, mit �bersetzungen — (— o Therese! O jene Nacht in Wilna und das Wort, damals bel�chelt: „Nicht immer nur �bersetzen, George …!“) — und mit dem Registrieren von B�chern, — diese Erkenntnisse, pl�tzlich hereingebrochen, vielleicht, weil die �de seines Herzens nun dunkel genug war, nachdem die Hoffnung auf jenes unerh�rte Einssein mit Therese, die fast zehn Jahre alles andere �berschienen hatte, niedergebrannt und, wie er meinte, der d�mmerhaften Dauerglut der Gemeinsamkeit gewichen war, — vielleicht auch nur, weil ihre Zeit gekommen war, weil eben entbl�tterte B�ume das Licht durchlassen, — diese Erkenntnisse schufen ihm eine Qual der Unrast, die ihn auf sich selbst zur�ckwarf, nun, nachdem er Jahre und Jahre die Magnetnadel seines Herzens hatte abweichen und auf andere Menschen weisen sehen, so da� er den Kurs auf das Zentrum der eigenen Bestimmung hatte verlieren m�ssen, — wenn er ihn denn je schon besessen hatte. Was Wunder denn aber, was Wunder! Oh, f�rchterlichster Gang des Labyrinths, nun durchwandert, der nach zehn Jahren offenbarte, da� er nicht vorw�rts, nicht etwa ins Freie, nein, da� er den unseligen Wanderer nur im Bogen zur�ckgef�hrt hatte, an jenen Ort zur�ck, wo die Wege der hundert M�glichkeiten abzweigten und wo der Nebel der Unschl�ssigkeit hing! —

Der Kreis der Freunde an Theresens Teetisch fand den Hausherrn am Abend dieses Tages ungew�hnlich gespr�chig. Huber, der den dritten Akt seines „Heimlichen Gerichts“ vorgelesen hatte und nun, geduckt dasitzend, in seiner Tasse r�hrte, bekam alles andere zu h�ren, als die Kritik, die er erwartete. „Gott ist ein schlechter Schauspieldirektor!“ rief George aus, sah Fiekchen Dieze erschrocken zusammenzucken, l�chelte ihr beg�tigend zu, f�gte ein: „Symbolisch gemeint! liebe Freundin“, und fuhr fort: „Wann gibt er denn je eine Rolle dem Richtigen? Mir zum Exempel gab er das Kost�m und die Rolle des Pioniers der Aufkl�rung und ich f�hle nun einmal den Auftrag, sie unter allen Umst�nden zu Ende zu spielen. Ich spiele augenblicklich miserabel, ich wei� es, ich f�hle mich der Aufgabe keineswegs gewachsen, — indessen ich habe nun einmal vor den Augen der Welt die Gestalt des Mannes zu agieren, in der die S�dsee f�r Deutschland ein St�ck Wirklichkeit geworden ist.“

„Sollten Sie da nicht ein wenig die Importance jener antipodischen Hemisph�re f�r Deutschland �bersch�tzen?“ murmelte der Professor Dorsch, der im �brigen v�llig durch die Betrachtung seines allerdings sehr kleinen und sehr eleganten Schnallenschuhs in Anspruch genommen zu sein schien.

„Lieber Freund, agieren Sie doch getrost den guten Forster und weiter nichts!“ warf die kleine Forkel ein und suchte vergebens einen Blick spitzb�bischen Einverst�ndnisses mit Therese auszutauschen.

„Es handelt sich hier um den Ausdruck des geistigen Wertes der Weltbefahrenheit!“ Dorsch wurde zornig angesehen und die Forkelin bekam einen mitleidigen Blick. „Ich habe also unbegrenzte Horizonte, Weltweite, Gelassenheit und was wei� ich zu verk�rpern. Ich soll aus diesem Seeleninhalt heraus entsprechend handeln, wirken, schreiben. Nicht wahr?“ fragte er fast flehentlich und sah Therese langsam und nachdenklich nicken. Hastig trank er ein paar Schlucke aus seinem Teeglas, in das er nach polnischer Art einen L�ffel Eingemachtes anstatt des Zuckers getan hatte. Dann fuhr er nachdenklich fort: „So hat der Meister es sich gedacht. Aber nicht nur, da� er den guten Forster, wie eine Stimme aus dem Publikum soeben richtig anmerkte, auf den heroischen Kothurn gestellt hat, anstatt ihn etwa f�r das sentimentalische Fach auszustatten, — Gott ist auch ein schlechter Theaterdichter!

Aber bitte, meine Teure, so zucken Sie doch nicht immerfort! Dies sind doch nicht Blasphemien, sondern die Resultate einer Auseinandersetzung mit dem Schicksal!“

„Und was ist Schicksal?“ sagte Huber leise und eindringlich, „wieviel Quellen springen auf, um im Sande zu versickern! D�rfen wir �berall Anl�ufe zu einem Ziel, Absichten einer h�heren Macht vermuten? Hie�e das nicht Anma�ung? Ach, und wenn wir einmal meinen, einer eigenen gro�en und furchtbaren Bestimmung gew�rdigt zu sein, wie bald m�ssen wir erkennen, da� wir — nur in die R�der eines fremden Schicksals geraten sind!“ Er blickte d�ster vor sich nieder.

„Wir monologisieren da recht artig nebeneinander her“, bemerkte George trocken und fuhr fort:

„Dieser schlechte Dichter also, — ich meine den oben erw�hnten Meister, — erwartet immer, da� wir selbst die Rolle zu Ende f�hren. Er schreibt den ersten Akt, vielleicht auch noch den zweiten, ganz selten f�hrt er uns auf die H�he des dritten, wie es doch unserm Freund hier mit seinen Gesch�pfen nunmehr gelungen ist. Uns �berlassen auf alle F�lle bleibt der Kom�die Schlu�, und wird das St�ck dann ausgepfiffen, so macht er die Akteurs verantwortlich …“

„Warum sagst du Kom�die?“ fragte Therese mit unbehaglichem Z�gern.

„Du meinst, da� aus diesen Anf�ngen sich nur Trag�die entwickeln kann?“ fragte er auflachend zur�ck.

„Ich meine,“ sagte sie mit einer aufreizenden, unpers�nlichen und undurchdringlichen Gelassenheit, die er nicht zu deuten wu�te, „da� die tragische Muse h�here und w�rdigere Anforderungen stellt. Soll ich w�hlen zwischen Minna und Emilia, so will ich lieber mit Emilia in der Bl�te meiner Jahre den Tod willkommen hei�en als gleich Minna mich mit einem mittleren Gl�ck begn�gen.“

„Du vergi�t, warum Emilia so sterben darf. Du mi�verstehst dich selbst — und die dir zugeteilte Rolle!“

George, gleich nach diesen Worten f�hlend, da� er sich von der Bitterkeit der Erinnerung hatte hinrei�en lassen, wandte t�dlich betroffen von der K�lte, mit der sie ihn anblickte, die Augen ab und lie� sie zur Seite gleiten mit dem Ausdruck eines, der den Boden unter sich wanken f�hlt. Da war S�mmerrings breite Hand, beruhigend warm wie nur je, die ihn auf die Schulter klopfte, und des Freundes Stimme, die die Gesellschaft aufforderte, zuzugeben, da� die Forkelin wahrhaftig Recht habe und da� der Forster nichts zu tun brauche, als sein Herz zu leben, um des allgemeinsten, des innigsten Beifalls gewi� zu sein, — nun, er l�chelte auch, er blickte unbefangen im Kreise herum, sah Therese ebenso unbefangen den Pflichten der Wirtin gen�gen, zog Huber in ein Gespr�ch �ber den Fortschritt des Dramas und die Aussichten einer Auff�hrung unter Iffland in Mannheim, gab Theatererinnerungen aus Berlin, Paris und Wien zum Besten, und sp�rte dabei unaufh�rlich wie eine von neuem blutende verj�hrte Narbe dies entsetzte Erstaunen, weil da ein Schleier gel�ftet worden war, ein Gorgonenhaupt ihn angestarrt, ein Dolch ihn bedroht hatte. — —

Da einmal erkannt worden war, worauf es ankam, war Aufschub nicht mehr Zeitverlust. Denn, nicht wahr, — das ganze Leben bis jetzt war Vorbereitung gewesen. Da George Forster denn f�nfunddrei�ig Jahre gebraucht hatte, um einzusehen, da� er letzten Endes von niemand auf der Welt etwas zu erwarten habe, als von sich selber, da� kein Vater, kein Freund, keine Geliebte Dank wu�ten f�r Demut, Treue, r�ckhaltlose Hingabe, da er jetzt nach f�nfunddrei�ig Jahren die Kraft in sich f�hlte oder den Gleichmut, auf jene Best�tigung des eigenen Gem�tes verzichten zu k�nnen, wie er sie bisher unabl�ssig bebenden Herzens von der unbegrenzten Zuneigung des menschlichen Wesens gefordert hatte, das ihm jeweilig das n�chste gewesen war, — da konnte er in diesem Zustand der Erkenntnis wohl ein wenig verweilen und sich sammeln, indem er sich vorsagte, das furchtbar gl�hende Gestirn, dessen Strahlen die W�ste erst zur W�ste machten, habe den Zenith nun �berschritten und w�rde, m�hlich abw�rts sinkend, bald sich mildern.

Warum also nicht auf vierzehn Tage zu Jakobi nach D�sseldorf fahren und des Freundes wie des rheinischen Fr�hlings genie�en? Warum nicht gegen Ende Juni f�r zwei Monate seinen Wohnsitz ins Rheingau verlegen, nach dem heitern Eltville, wo der von B�cherd�nsten, Stubenluft und Krummsitzen ersch�pfte K�rper sich in gelinder durchsonnter Luft und bei regelm��igen B�dern erholte, wirksam unterst�tzt durch Morikis privilegierte Blutreinigungspillen, auf deren Verabreichung Therese leidenschaftlich bestand? Warum nicht Zeit verschwenden an lange philosophische Briefe, an Gespr�che, warum nicht die gl�cklichen Stunden wahrnehmen, die sich aus dem Aufenthalt durchreisender Freunde ergaben? Ja, wahrlich, nicht umsonst lag Mainz an der Stra�e nach Paris, nicht umsonst als Station der great tour an dem Wasserwege von England und den Niederlanden nach S�den, — und der Besuch von M�nnern wie Baggesen und dem Grafen Moltke, von Wilhelm Humboldt und Campe, von J�ger aus Mitau, konnte der nicht daf�r entsch�digen, da� Hof und Adel von Mainz immer noch keine Anstalten machten, in ihm den zu ehren, der er f�r die gebildete Welt doch war? Warum nicht genie�en, — warum nicht l�cheln? Mochte der Kurf�rst ihm gegen�ber denn immer den gn�digen Herrn herauskehren oder gelegentlich den Herrn de mauvaise grace, wie neulich, als er ihn von D�sseldorf zur�ckbefahl wegen einer Sitzung �ber die leidige Bibliotheksunterbringung, die dann gar nicht stattfand. Er f�hlte sich imstande, mit den Achseln zu zucken, — was unterschied denn die Gro�en der Erde in seinen Augen noch von andern Lebensfaktoren? Es galt sie zu behandeln wie blinde Naturm�chte, sie zu nutzen, sie einzud�mmen, wenn es nottat. Oh, Frankreich hatte das als Volk jetzt eingesehen, was ihm als einzelnem auch viel zu sp�t ein ganzes Leben voll Entt�uschungen klargemacht hatte! „Freund, sie sind ver�ndert, — mir ist, — vergeben Sie! — als seien Sie gealtert!“ hatte M�ller bei einem zuf�lligen Zusammentreffen neulich gesagt, den f�rmlichen Ton seiner Rede j�h unterbrechend und ihn einen Augenblick mit dem schwerm�tigen L�cheln von einst pr�fend betrachtend. Auch hier gab er nur stummes Achselzucken zur Antwort. M�ller, bei dessen gef�hrlicher Erkrankung im Fr�hjahr er noch einmal die volle Macht der alten Zuneigung in der ratlosen Ersch�tterung der Angst um sein Leben gef�hlt hatte, auch M�ller war dorthin entr�ckt, wo sie alle nun f�r ihn standen, jene Gleichg�ltigen, von deren Affektion er seine Ruhe, sein Gl�ck, seinen Frieden abh�ngig gemacht hatte. Nun, er guckte zwar nirgendwo heraus auf die Welt und lachte �ber sie. Aber, er rechnete mit ihr, so wie sie war. Und indem er sich stillschweigend schonungslos mit den Menschen auseinandersetzte, reinliche Scheidungen vornahm, die N�tzlichkeit jeder einzelnen Beziehung abwog und das, was dann an reiner Freundschaft und geistigem Gewinn dazukam, hinnahm wie ein unerwartetes Geschenk, das keine Dauer versprach, umging er in seinem Innern doch die eine Frage, als sei sie nicht vorhanden, ja, er h�tete sich so sehr den Bestand seines h�uslichen Gl�ckes anzuzweifeln, da� er sich �ber Tisch lieber die eingelaufenen Journale und Gazetten reichen lie� und w�hrend des Essens las, wenn er nur von ferne annehmen konnte, es lagerte irgend ein Schatten auf Theresens Stimmung. Den Zustand der Gewohnheit gegenseitiger Freundlichkeit, der Selbstverst�ndlichkeit ihrer F�rsorge und dessen, was sie sich an Hingabe abgewinnen konnte, — oh, diesen Zustand nur um jeden Preis erhalten!

Damit er denn die Ruhe behielt, so zu arbeiten, wie es f�rs erste noch n�tig war, — ehe der Augenblick erschien, geeignet, um endlich mit diesem neuen geh�rteten Herzen hervorzutreten und den gro�en Wurf zu tun. Damit er denn in t�glichen kleinen Erregungen nicht die Kraft einb��te, so gebeugten R�ckens dazusitzen, wie es einstweilen sein mu�te, und die Feder rascheln zu lassen, rascheln, rascheln, rascheln, auf da� nicht der sp�rliche Zuflu� der kleinen Einnahmen versiegte, mit denen der unzureichende Strom des Gehalts st�ndig gespeist werden mu�te, um nicht vor Quartalsschlu� kl�glich ersch�pft zu sein! Auch war der alte Satz noch in Kraft, obschon seine Begr�ndung ge�ndert war, — Therese, hie� er, Therese sollte leben wie die Blumen auf dem Felde … Weil sie jung, s�� und heiter war, hatte George fr�her inbr�nstig hinzugedacht, — weil es unbequem ist, ihr �ber die Anwendung jedes einzelnen Guldens Rechenschaft abzulegen, dachte er jetzt im geheimen und vor sich selbst kaum eingestanden. Therese bestellte das Hauswesen mit nahezu derselben Heiterkeit wie einst in Wilna, bestellte es mit Hilfe dreier Dienstboten und war ununterbrochen in T�tigkeit, kein Zweifel. Therese bat um Geld und eilte mit Luise auf den Fruchtmarkt, ein bauchiger Marktkorb begleitete sie und ward heimgebracht beladen wie ein Kauffahrteischiff von fernen K�sten. Therese, noch in Umhang und Hut, ein wenig ermattet aussehend durch die neue Schwangerschaft, kam zu ihm herein, seufzte: „O diese Hitze, mein Freund!“ bat dann aber inst�ndig um noch ein wenig Geld, denn da waren Rosen auf dem Markt gewesen, fr�he Rosen, sie hatte nicht widerstehen k�nnen, und nun h�tten sie kein Brot mehr mitbringen k�nnen und die Milch sei noch zu bezahlen und — so ein paar kleine Schulden beim Kaufmann Winterstein in der Welschnonnengasse. „Ich brauche ja die f�nf Gulden nat�rlich nicht daf�r ausschlie�lich, Georgie,“ sagte Therese, und lie� sich am Fenster nieder, „aber es kommen doch immer wieder Kleinigkeiten …“

„Spezereiwaren,“ ging es George durch den Sinn, nach dem Text der Anzeigen in der Privilegierten Mainzer Zeitung, „Puder, ged�rrte Schinken, echtes Mannheimer Wasser in Kr�gen, veritable englische Schuhwichse in Schopfenbouteillen, vielleicht auch Genueser Sardellen oder Feigen, Krachmandeln und Traubenrosinen, alles zu haben beim Handelsmann Schreck oder bei Sebastian Martin in seinem Gew�lbe am Dom …“ Oh, eine Stadt wie Mainz bot Gelegenheit Geld auszugeben! Jedenfalls sagte er h�flich etwas, wie „Selbstverst�ndlich, meine Teure“, gab das Gew�nschte mit der Geb�rde, als griffe er in Fortunats S�ckel und schrieb sich selbst stillschweigend auch ein paar Gulden zugute f�r irgendein Buch, ja, in letzter Zeit h�ufig auch f�r dies oder jenes h�bsche M�bel oder einen Gegenstand des Zimmerschmucks. Er hatte sich eine Liebhaberei f�r englisches Mahagoni und H�chster Porzellan anerzogen und gab sich selbst kaum zu, da� seine Aufmerksamkeit auf die Kunstwerke Meister Melchiors erst durch ein Gespr�ch mit M�ller geweckt worden war, eins jener fl�chtigen Gespr�che anl��lich eines Zusammentreffens bei dem jungen Coudenhoven, die ihre Stoffe in Hast aus der Anschauung der n�chsten Umgebung nahmen. Immerhin gab er f�r B�cher und Karten aus eigenen Mitteln weniger aus als je, da sein Amt ihm Gelegenheit gab, Werke von Wert und Neuerscheinungen aller Art aus dem daf�r bestimmten Fonds f�r die Bibliothek anzuschaffen, — und war es nicht verzeihlich, da� er von dieser Freiheit ausgiebigen Gebrauch machte, mit dem Verdienst, alte Best�nde aufzuforsten, zuweilen die heimliche Befriedigung langgehegter W�nsche verbindend? „Im �brigen, lieber Freund,“ hatte Therese neulich �ber den Teetisch hin�bergesagt, — sie hatten nun endg�ltig diese sonderbare fa�on de parler angenommen, sich lieber Freund und teure Freundin zu nennen, — also: „lieber Freund, der Kurf�rst von Mainz hat die Laune, sich einen Bibliothekar von mehr als europ�ischer Ber�hmtheit zu halten. Stattet er ihn nicht gen�gend aus, so wird er voraussetzen, da� der Bibliothekar nicht ausschlie�lich in seinen Gesch�ften aufgeht, sondern Zeit auf den eigenen Acker verwendet.“ Dies als Antwort auf laut ge�u�erte Selbstvorw�rfe seinerseits, da� er, anstatt seinen letzten Schwei�tropfen f�r die B�cherei zu vergie�en, halbe Tage lang eigenen Arbeiten nachhing. Und sie hatte Recht, wie meist. Nur da� sie nie mehr ein Wort fand, ihn wirklich zu eigenen Arbeiten zu ermuntern, da� sie es unbewegt mit ansah, wie er �bersetzte, und nur �bersetzte, — oder vielleicht bisweilen ein Artikelchen schrieb, Aufs�tzchen f�r Kalender, f�r Almanache, verruchtes kleines Zeug, zu dem er das Saatgut ungeschriebener gro�er Werke vermahlte.

Jedoch konnte er sich mit Genugtuung sagen, da� er nunmehr endlich die einzig richtige Methode gefunden habe, die Aufgaben zu meistern, die ihm von Herausgebern und Verlegern unersch�pflich gestellt wurden. Er hatte sich einen ganzen Stab von Hilfsarbeitern gebildet, er leitete die Ausf�hrung gro�er �bersetzungen wie der Meister in der Werkstatt, Huber, als sein erster Adjutant, hatte einen Teil der Briefe Dupatys �ber Italien unter der Feder, die kleine Forkel sa� mit gl�hendem Eifer �ber den Abenteuern des Mr. Keates auf den Pelews-Inseln, drei oder vier emsige Burschen, Studenten der Universit�t, machten Ausz�ge f�r ihn, trugen ihm Material zu.

„Da du das Honorar mit ihnen teilen mu�t, eine etwas sonderbare �konomie“, bemerkte Therese, als das neue System ihr durch das best�ndige Kommen und Gehen dieser Gehilfen klar geworden war.

„Es wird sich rentieren, meine Teure“, antwortete er kurz. Es war an einem Sonntagabend, und der seltene Fall lag vor, da� keine G�ste anwesend waren. George, der das R�schen auf den Knien hatte und dem Kinde mit kleinen Muscheln Kreise und Figuren auf dem Tisch legte, f�hlte in erschrockener Ratlosigkeit eine Unlust, sich auszusprechen, gleichsam das Versagen der Ausdrucksf�higkeit im Zwiegespr�ch. Er raffte sich auf. Dies sei eine Sache, die Zukunft habe, sagte er. In kurzer Zeit, — nun, m�ge es auch noch ein, zwei Jahre dauern! w�rde er alle jene fremdsprachigen B�cher, die er als ein redlich besorgter Volkserzieher in den H�nden der Deutschen w�nschen m��te, nicht mehr selbst �bersetzen, sondern diese Arbeiten denen anweisen, die er der Besch�digung und der Unterst�tzung f�r w�rdig befunden h�tte, — w�rde als Mittelpunkt in diesem Netz der T�tigen sitzen, alle F�den in der Hand behalten und leiten und nicht nur des Dankes dieser wenigen, sondern vor allem der ewigen Dankbarkeit der Nationen gewi� sein, zwischen denen er Schranken einrei�en, Grenzen aufl�sen w�rde. „Was ich auf diesem Wege,“ f�gte er mit einem kurzen Auflachen hinzu und fuhr sich mit der Hand �ber die brennenden Augen, „nun ja, etwa seit f�nfundzwanzig Jahren tue, seit meinem elften Lebensjahr. Indessen fehlte mir lange der Blick auf den gro�en Sinn der Sache, jawohl, ich ermangelte des Ausblicks.“

Er schwieg still. Nicht, als ob er eine Antwort erwartet h�tte. Er war nur m�de. Das R�schen schob die Muscheln hin und her, patschte darauf und warf sie zu Boden. Er hob sie geduldig auf. „Tu das nicht, R�schen, die sind von Larry“, sagte er und summte ein paar Takte vor sich hin. „Larry, Larry“, plauderte das Kind und wirtschaftete mit den runden H�ndchen weiter. Dann sagte es: „Der Onkel Ferdi kommt heut nicht, der Onkel Ferdi kommt heut nicht …“

„Nein, — er ist in der Favorite“, sagte Therese.

Drau�en regnete es. Es war so d�mmerig, da� sie kaum ihre Gesichter unterscheiden konnten. Theresens Gestalt, schon ein wenig unf�rmig, in dem wei�en weiten Sommerkleid leuchtete regungslos in dem tiefen Stuhl am Fenster. „Und was wirst du dann tun, — wenn du nicht mehr �bersetzest?“ fragte sie pl�tzlich leise. — — —

Er hatte sich wohl gesagt, da� ein wenig frische Luft nach Abschlu� dieses hei�en Arbeitstages ihm noch gut tun w�rde, und darum ging er hier im Staube, den die Equipagen und Chaisen der spazierenfahrenden gro�en Welt auf der Rheinallee aufwirbelten, ging dem fr�hlichen Gedr�nge heimkehrender B�rger mit ihren Weibern und Kindern entgegen und sah mit trocknen entz�ndeten Augen auf das Bootgewimmel des abendlich belebten Stromes, in dem die Auen schwammen wie selig umbuschte Eilande, voll Gesang und Tanz. Wohl, hier ging der Hofrat Forster eiligen Schrittes durch das lustige Get�mmel eines rheinischen Sommerabends, lie� seinen Schatten in den letzten schr�gen Strahlen der Augustsonne seitlich zu seiner Rechten unm��ig lang hinter sich drein schleifen und zuweilen an den dicken St�mmen der alten Linden sich aufrichten, tupfte nach je ein paar Schritten seine Stirn ab, wiederholte es sich: „Ich mache mir Bewegung, dies ist gut!“ und dachte uneingestandenerma�en fortw�hrend Dinge wie: „Jener Mann dort vorn, — ach nein, Huber ist gr��er …“ oder: „Dieses Paar dort, endlich, — wieder nichts, — wo bleiben sie nur?“ so da� er bei seinem unabl�ssigen Sp�hen in die von goldenem Staub erf�llte Ferne der Allee fast an Therese und Huber vorbeigelaufen w�re, die, auf dem schmalen Pfad jenseits der Baumreihe schreitend, nun stehenblieben, — das hei�t, Therese blieb stehen und rief ihn an, w�hrend Huber, verst�rt um sich blickend, den Eindruck eines j�hlings erwachten Schlafwandlers machte. Therese, den langen Kaschmirschal, der sie umh�llte, ein wenig raffend, griff nach seinem Arm, sie schien keine Erkl�rung f�r sein unerwartetes Erscheinen zu w�nschen, und, indem sie gemeinsam die ersten Schritte nach der Stadt zur�ck taten und er mit Beunruhigung das leise Beben ihres Armes empfand und Erregung aus ihrem K�rper zu sich her�bergeleitet f�hlte, sagte sie mit einem leeren kleinen Gel�chter und einem Seitenblick unter dem weit vorspringenden Rand ihres italienischen Strohhutes hervor zu Huber hin: „Da kommt mein Forster gerade zur rechten Zeit, um teilzuhaben an Ihren �berraschenden Neuigkeiten, lieber Freund! Denn dies wurde doch nur zuf�llig mir allein anvertraut? H�re doch, Georgie …“

George, an ihr vor�berblickend, sah Huber mit einer unerkl�rlich verzweifelten Geb�rde die Hand erheben, wollte Schweigen gebieten, unterlie� es aber in dem eigenen Erschrecken �ber Theresens ver�nderte Stimme, �ber die ganze befremdende Art, mit der sie weniger sprach, als plapperte: „Er will sein Verl�bnis mit Dora l�sen. Das arme M�dchen, wie soll sie es ertragen? Deformierte sind so empfindlich. Sie kann daran sterben. Ich denke mir, wenn so ein Brief ankommt, so ein grausamer Brief …“

„Aber ich verstehe nicht …“

„Oh mein Freund! Du verstehst es nicht? Dieser junge Mann meint, von einer Leidenschaft zu einer anderen Frau ergriffen zu sein. Er spricht sich nicht deutlich aus. Vielleicht hat er mehr Vertrauen zu dir …“

Therese, wieder von diesem nerv�sen Gel�chter befallen, das einem Schluchzen glich, dr�ngte George zu einer Bank, die am Wege stand. Sie lie� sich nieder, pre�te die Hand auf ihre Brust und blickte, die Augen voll Tr�nen, zur Stadt hin�ber. George, in ratloser Verlegenheit, wandte sich an den d�ster dastehenden Huber und sagte sanft: „Wenn es Sie denn entlasten sollte, sich auszusprechen, Freund, so vertrauen Sie sich uns an. Sie haben an diesem Ort, ja vielleicht auf der ganzen Welt nicht Herzen, die es aufrichtiger mit Ihnen meinen, als das meine und das meines guten Weibes.“

„Sie sehen sie �berm��ig exaltiert. Ihr Zustand erfordert Schonung.“ Er lie� sich neben Therese nieder, nahm ihre Hand, die ihm willenlos �berlassen wurde, und blickte vorwurfsvoll zu Huber auf, — ein lebendes Bild, o gewi�, hier war zu sehen ein einiges Ehepaar, — indessen, — wovor zitterte sein Herz? Und Huber, dessen Z�ge zum erstenmal nicht beherrscht waren von dem Ausdruck des Heiteren, H�flichen oder auch des Harmlos-Treuherzigen, oder des Liebensw�rdig-Schw�rmenden, des Selig-Traurigen, — Huber, die Nasenfl�gel gebl�ht, die Lippen und das Kinn vorgeschoben, unkenntlich, er, der Sanfte, in dieser Maske des Z�rnenden, dem eine unverzeihliche Schm�hung das Recht auf Zorn gab, er stie� hervor: „Lasse man mich doch wenigstens mein Herz allein aus dem Staube aufheben, in den es getreten wurde! — Freundschaft, — o vorz�glich! Aber auf dem schmalen Grat, �ber den mein Leben jetzt f�hrt, kann ich keine anderen Begleiter mitnehmen, als jene, die in der Luft ihren Pfad suchen, also etwa die Geister der Entschlossenheit und der Entsagung zur Rechten und zur Linken!“ Mit einer br�sken Bewegung sich abwendend, tat er ein paar Schritte, kam zur�ck, beugte sich zu George nieder, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte, und fl�sterte rauh: „Bruder! Die Frau, um derentwillen ich mein gutes M�dchen aufgeben wollte, ist nicht nur eines anderen Weib, sondern auch eine infame Kokette!“ Er st�rzte davon.

Therese weinte jetzt recht herzlich. George, von den neugierigen Gesichtern der Vor�bergehenden gepeinigt, murmelte: „La� uns gehen!“

Sie nahm das Tuch vom Gesicht, lie� mit �berstr�menden Augen einen Blick unnahbarer W�rde �ber die Gaffer gleiten, erhob sich, raffte ihren Schal und griff nach seinem Arm.

„Du hast es gesehen,“ sagte sie, von Schluchzen unterbrochen, „du hast den Zustand seines Herzens gesehen. Wei�t du nun, warum ich dich bat, ihn zu entfernen? Aber du wolltest ja nicht …“

„Ich wollte nicht? Um Gottes willen, soll ich die Schuld haben an diesem d�sastre? Und warum weinst du derma�en, wenn ich fragen darf?“

„George! Ich kann nicht so schnell gehen!“

Er m��igte seinen Schritt, senkte den Kopf und f�hlte eine t�dliche Ermattung. Nach einer Weile sagte er:

„Wir werden diesen Menschen nicht aufgeben. Kommt er wieder zu uns, — und ich denke, er wird wiederkommen, — so steht unser Haus ihm offen.“

Therese war stehengeblieben, sie sah mit halbge�ffnetem Munde zu ihm auf, sie dr�ckte die gerungenen H�nde gegen ihr Herz:

„Aber begreifst du denn nicht? Aber bist du denn blind?“

George sah zu den T�rmen des Domes hin, die im letzten Licht brannten und funkelten. Eine starre Falte stand zwischen seinen Brauen:

„Ich werde nie aufh�ren, dir zu vertrauen, Therese.“

M�ller, an den George im Laufe des Sommers einige ausf�hrliche Schilderungen seiner Lage und seiner Geldschwierigkeiten gerichtet hatte, hatte zwar weder eine Gehaltserh�hung noch eine Zubilligung freien Holzes beim Kurf�rsten durchzusetzen vermocht, jedoch war es ohne Zweifel sein Werk, da� der Geheime Hofrat Forster eine neue, ger�umigere und sch�nere Dienstwohnung in den sogenannten Universit�tsh�usern an der Tiermarktstra�e angewiesen bekam. Im Herbst also gab es die erbauliche Arbeit des R�umens und Wiedereinrichtens wie im vergangenen Jahr, erbaulich, weil sie einen Bruch mit �berlebten Zust�nden vort�uschte und den Beginn eines neuen Lebens. An dem b�sesten Tage des Umsturzes, als kein Stuhl mehr zu finden war, um einen Augenblick auszuruhen, und die Blusenm�nner geliebte Besitzt�mer ohne Unterschied mit Eimern und Besen zusammen verfrachteten und davonf�hrten, — in diesem Zeitraum der wankenden Bodenst�ndigkeit erschien pl�tzlich Huber wie ein lautloser Geist und fragte dem�tig an, ob er denn nicht den Tag �ber mit R�schen spazieren gehen d�rfe. Empfangen von einem Hausherrn, der im Begriff stand, hinter einem Handwagen dreinzulaufen, der seine kostbarsten Sammelk�sten entf�hrte, — die Konchylien, man denke, eine Anh�ufung unw�gbarer Werte, die in Deutschland vermutlich kein zweites Mal zu finden war, es sei denn bei dem anderen Bereiser des australischen Meeres, Forster senior in Halle, — begr��t von einer Hausfrau, deren Unbefangenheit unterst�tzt ward durch die Aufgabe, mit Hilfe der Demoiselle Dieze die jungen H�hner einzufangen und in einem Korb unterzubringen, gelang es ihm ganz ohne Widerst�nde, das Ziel seines Begehrens zu erreichen und mit einem versch�mt strahlenden R�schen an der Hand das Chaos zu verlassen, wobei sein Gesichtsausdruck dem seiner Begleiterin nicht un�hnlich war. Am Abend wurde ein guter Onkel Ferdi von der kleinen Hand nicht losgelassen, ehe er sich mit am Tisch in der neuen K�che niederlie� und an dem Reisbrei teilnahm, der Herrschaft und Gesinde um einen riesigen Topf vereinigte. Therese war von einer nicht ganz nat�rlichen Munterkeit: „� la guerre, meine Freunde, tout comme � la guerre!“ rief sie und bedrohte jeden mit dem Sch�pfl�ffel, der nach ihrer Meinung sich zierte, genug zu essen. Forster, das R�schen auf den Knien, plauderte vergn�gt von der Weitl�ufigkeit der Wohnung, von anderen Tapeten, neuen M�belst�cken, die n�tig waren, — „Freilich, — er hat es ja �brig!“ warf Therese ein und nickte Huber hastig zu, — und er verstummte erst, als der wiedergewonnene Freund zum erstenmal sein befangen-gl�ckliches Schweigen brach und erkl�rte, auch er w�rde wohl bald umziehen m�ssen, aus diesen und jenen Gr�nden. George wurde nachdenklich. Nach Tisch nahm er den andern mit hinauf, ihm im letzten Tagesschein die R�ume zu zeigen. Er mu�te sich seiner freudigen Gespanntheit entladen, gespr�chig, als h�tte er Wein getrunken, entrollte er den Stoff, der sich seit dem letzten Zusammensein im Sommer angesammelt hatte. Da waren die Besuche von Humboldt und Campe, — und der letztere bot Anla� zu einem Exkurs �ber die derzeitigen Erziehungsk�nstler Deutschlands, die allesamt �bel wegkamen, mochten sie nun Campe, Salzmann oder Willaumez hei�en, — da waren die j�ngsten Schikanen des katholischen Universit�tskuratoriums gegen den protestantischen Herrn Bibliothekar, der doch wei� Gott an Toleranz nichts zu w�nschen �brig lie�, wie es sein Aufsatz in der Berliner Monatsschrift bewies, der die Proselytenmacherei entschuldigte, wenn nicht gar in Schutz nahm. Hatte Huber ihn gelesen? Und geh�rte er etwa zu den Leuten, die den Standpunkt des Verfassers nicht billigten? O, das gab eine endlose Diskussion! Die Kerze war niedergebrannt und die Mitternacht sang vom Dom, von St. Peter und allen ihren Schwestert�rmen, als Huber sich den Weg zwischen dem aufgestapelten Hausrat hindurch zur Stra�e suchte.

„Er ging wieder wie ein Schlafwandler,“ dachte George, „und ich redete wie ein Traumschw�tzer, und hier wird Therese liegen, die Augen gro� offen, und wacher sein als wir alle …“

Er �ffnete leise die T�r der Schlafkammer und wie er gedacht, fiel der Schein seines Lichtes auf Theresens Gesicht, das ihm aus den Kissen mit reglosem L�cheln entgegenblickte.

„Er blieb ja so lange,“ sagte sie ohne sich zu r�hren, als George neben ihr lag.

„Wir hatten h�chst angenehme Konversation, — er ist ganz der alte, du kannst versichert sein. Iffland f�hrt nun sein St�ck auf, ich fahre mit ihm nach Mannheim.“ Da keine Antwort kam: „Du hast recht, — ich wollte in diesem Jahr nicht mehr reisen. Jedoch dieser Katzensprung, — und es ist Freundespflicht …“

Er dr�ckte das Licht mit den Fingern aus, w�hlte sich wohlig in die Kissen und st�hnte behaglich. Sei es Reise, sei’s Umzug, — Ver�nderung verj�ngte sein Herz. Er hustete ein wenig.

„Ich habe ihm, — ich habe Huber die beiden Mansardenzimmer oben angeboten, von denen wir nicht wu�ten, wie sie verwenden …“

Dies tat ich, f�hlte er unter dem rasenden Klopfen seines Herzens voll Verzweiflung, weil mir nichts anderes �brig bleibt. Weil es besser ist, sich mit der Brust in ein Schicksal zu st�rzen, als das Zusto�en des zaudernden Schwertes abzuwarten. Dies tat ich vielleicht, um die G�tter durch Demut zu vers�hnen …

„Er will es noch �berlegen,“ fuhr er fort, die H�nde auf die Brust gepre�t, als neben ihm kein Laut Antwort gab. „Ich denke aber, er k�nnte es gar nicht besser treffen. Er zahlt f�r Kost und Logis, er rechnet ganz zur Familie, es wird seinen Gewohnheiten gut tun und unsern Mittagstisch beleben … Nun, ich w�rde mich freuen.“

„Du hast ihm die beiden Mansardenzimmer angeboten! Mein Gott, — George! — mein Gott …“

„Was denn, — Therese?“

Lachte sie in der Dunkelheit?

„La� nur gut sein, George, la� gut sein.“

Sie schwiegen. Sie r�hrten sich nicht mehr. Die Zeit verging. Nach einer bangen Stunde fl�sterte er: „Therese!“ und noch einmal: „Therese!“ — M�de kam ein „Ja, George — was ist?“

„Ach, — wenn ich noch ein wenig Baldrian h�tte …“

Sie machte Licht. Sie reichte ihm die Tropfen. Er sah �ngstlich in ihr Gesicht und fand es m�de, still und k�hl. —

Der Professor Wedekind, sein Glas in der Rechten, die blauen Augen in dem angenehm ger�teten viereckigen Gesicht schiefgeneigten Hauptes und schwimmenden Blickes empor zu dem neuen Kronleuchter erhoben, schlo� seine Tischrede: „… und da denn wir Hannoveraner und anderen Ausl�nder, Protestanten und anderen Ketzer, Kosmopoliten und Freigeister hier unter uns sind — ich bitte denjenigen um Verzeihung, der sich nicht zu uns z�hlt …“ Die alte Frau Wedekind, Madame M�re genannt, wiegte mit vorgeschobenen Lippen den hochtoupierten Kopf, machte tadelnd kleine Schnalzt�ne und rollte die Augen nach seitw�rts zu ihrem Nachbarn, dem Professor Dorsch hin, — allein Monsieur l’Abb� schien durchaus nicht anders als angenehm ber�hrt, sa� zierlich aufgest�tzt da, meckerte ein wenig und spielte mit Brotk�gelchen, — „da wir denn heut zum erstenmal allhier versammelt sind, wo unser gro�er Freund und Welteneroberer nun hoffentlich die bleibende Statt gefunden, so bitte ich die geneigte Tafelrunde einzustimmen in meinen Ruf: diese Herberge der Musen, dieser Hort der Aufkl�rung, — das Haus Forster vivat hoch!“

Die Gl�ser klangen aneinander. Wedekind, der seiner Nachbarin Therese am oberen Ende der kleinen ovalen Tafel die Hand gek��t hatte, kam nun auf halbem Wege George entgegen und ward in heller R�hrung umarmt.

„Freunde, ihr wi�t, da� ich mit einer schweren Zunge geschlagen bin,“ redete George, �ber seinen Teller gebeugt und den Fu� seines Glases drehend, als die Bewegung begeisterter Zustimmung sich gelegt hatte, „ihr seht es mir deswegen auch nach, wenn ich nicht in geziemender Ansprache danke. Aber sagen mu� ich es, da� ich, — ich und mein liebes Weib, — da� wir nun nach dem ersten Jahr in Mainz das Gef�hl einer Heimat in uns keimen f�hlen, und mich d�nkt, das liegt weniger an der Gunst des Ortes als an den freundlichen Herzen, die wir uns hier bereitet fanden. Ein stilles Glas der Freundschaft!“

Er suchte Hubers Augen, w�hrend er trank, allein Huber, in ein kicherndes Geschw�tz der Forkelin verflochten, blickte nicht her�ber und George fand sich alsbald ein wenig besch�mt von S�mmerrings treuem Hundeblick, in dem ein stiller Vorwurf zu stehen schien. „For ever!“ rief er halblaut �ber den Tisch, l�chelte und nickte.

„Man sollte dem Herrn Geheimenrat eine schwere Zunge gar nicht glauben!“ lispelte die kleine Madame Dieze an seiner Linken und sah dem�tig zu ihm auf.

George, ihr zugewandt und versichernd, freilich sei es an dem und auf dem Katheder versagten ihm gar die Worte den Gehorsam, indessen, wenn er das eine oder andere Gl�schen Liebfrauenmilch getrunken habe, wie soeben …

„Ei, so w�rd’ ich mir an des Herrn Geheimenrats Stelle des �fteren ein Gl�schen Liebfrauenmilch verschreiben! Der selige Dieze nannte das medizinieren …“

George unter solchem Gepl�nkel der alten Dame dachte, da� die gebl�mte Tapete, da� die neuen punktierten Mullgardinen samt den zwei schmalen fa�ettierten Pfeilerspiegeln und dem kleinen Kristallkronleuchter diesem Zimmer wahrlich einen Anstrich festlicher Vornehmheit verliehen, — dachte: „Therese sieht heut abend so bleich …“ dachte, die englische Mahagonistanduhr will immer noch nicht wieder schlagen, sie mu� auf der Reise gelitten haben, sie mu� einen andern Platz bekommen, — dachte in irgendeinem Zusammenhang: „Unsinn, Spener wird den Vorschu� schon abgesandt haben …“ und wieder: „Therese sieht heut abend so bleich …“

„Kann ich dir etwas besorgen, meine Liebe?“ rief er, sich halb erhebend, denn er bemerkte pl�tzlich, da� sie suchend umhersah. Aber da stand schon Huber neben ihr, empfing l�chelnd einen gefl�sterten Wunsch, glitt hinaus, kehrte wieder, verbeugte sich von seinem Platz aus ein wenig, bekam ein dankbares L�cheln, — die Marie erschien, brachte der Frau R�tin das Schnupftuch, das hastig ben�tzt wurde, — oh, darum handelte es sich! — Huber bekam einen zweiten l�chelnden Blick und er, George, nun auch ein Nicken, das T�chlein verschwand im Brustausschnitt … George nahm ein paar Schlucke, dachte ersch�pft: „S�mmerring trinkt zu viel, er ist schon ganz traurig geworden,“ und f�hlte seinen Geist pl�tzlich belebt wie von einem Sporenstich durch einen Satz �ber Paris, den Dorsch da unten sprach. Paris, — o, freilich wohl, Paris!

„Geht es Ihnen auch so, Freund, da� Sie meinen, leichter atmen zu k�nnen, seit die Spannung dort oben sich entladen hat?“

Dorsch sp�hte mit seinem kleinen nackten Gesicht um den m�chtigen Vorbau von Madame M�re herum.

„Ei, Verehrtester, tragen Sie ein so feines Instrument f�r den Luftdruck der Zeit in der Brust? Es lie� sich dies alles voraussehen, ja, mit der Uhr in der Hand vorausbestimmen. Mon dieu, nein, ich kann nicht behaupten, da� ich vorher litt und nun leichter atme.“

„Oh, Sie meinen, ich affektiere den Geisterseher und Mesmeristen, aber bei Gott, dies nicht! Ich war nie ein Politikus, mein Allerbester, ein jeder, der mich kennt, wird es Ihnen bezeugen …“ und George warf einen l�chelnden Blick hin�ber zu S�mmerring, der die Augen zur Decke hob und die Hand abwehrend bewegte, — „ich war also auch nie ein bewu�ter Beobachter der Machtstr�mungen und f�rstlichen Machenschaften.“ —

„Aber was gibt es denn Interessanteres als mitzudichten an dem theatrum mundi?“

„Ah bah, mich langweilt das, so lange ich denken kann. Kein braverer Untertan als ich, so lange die Sache meines F�rsten die Sache der Menschheit und der Menschlichkeit ist! H�rt sie auf das zu sein …“

„Dann nimmt unser Forster den Stab in die Hand und sagt: ubi bene, da Vaterland, ho ho!“ rief Wedekind kr�ftig, und von seinem Gel�chter klirrten die Gl�ser auf dem Tisch. Therese bot erschrocken die Schale mit Obst noch einmal an und sagte in unterdr�cktem Tone zu S�mmerring: „Wie kommen wir nur auf diese leidigen Themata? Der eine ger�t ins Schw�rmen, der andere verf�llt auf Grobheiten.“

„Da� sie jetzt auch immer auf den F�rsten herumhacken m�ssen!“ schmollte die Demoiselle Dieze und gebrauchte den F�cher.

„Ich pflege mich nie politisch zu enragieren, sondern immer nur menschlich,“ fuhr George mit einem kalten Blick in die Richtung des selbstzufrieden schmunzelnden Wedekind fort, „habe da freilich mehr als mancher andere Anla� gehabt, Despotismus und Ungerechtigkeit am eigenen Leibe zu erfahren.“

„Mein Gott, S�mmerring, so bringen Sie ihn doch auf etwas anderes! Gleich wird er bei England angelangt sein!“ murmelte Therese, und ihre Augen wanderten gleichzeitig hilfesuchend zu Huber hin�ber.

„O, ein Europa ohne F�rsten, — welch eine Szene ohne Saft und Kraft, ohne Farbe und Musik!“ rief dieser bereitwillig.

„Nein doch, Huber! Sie sollen doch lieber von Stalaktiten oder Meteoren reden als von F�rsten!“ lachte Therese vorgebeugt halblaut, w�hrend George, die Stimme erhebend, ohne irgend welchen Einwurf zu beachten, fortdozierte:

„Der Einzelne, meine Freunde, der hervorragende Einzelne, der sich seiner symbolischen und stellvertretenden Bedeutung f�r die Menschheit bewu�t ist und an vorgeschobenem Posten heftiger unter dem Druck der Knechtschaft leidet, als das arme dumpfe Volk, — nun dieser Einzelne, als der ich mich f�hle, wie jeder unter uns im Namen der Menschheit sich f�hlen sollte, — hat der nicht ein Recht, aufzuatmen, wenn irgendwo der Wille zur Freiheit seine Ketten sprengt und hervorbricht, um sich auszubreiten wie ein fressendes Feuer?“

„Aber was ist Freiheit?“

„Lieber Huber, Sie sind der Mann der skeptischen Seufzer! Was ist Schicksal? fragten Sie neulich …“

„Wir sollten,“ lie� sich Dorsch, nunmehr ganz verborgen hinter dem Bollwerk von Madame M�re, mit kr�hender Kathederstimme vernehmen, „wir sollten doch weniger �ber den Willen zur Freiheit als �ber die Freiheit des Willens disputieren!“

„Wenn Sie nur Ihren Kant anbringen k�nnen! Hier handelt es sich nicht um die Grundelemente der Vernunft …“

„Dann freilich …“

„Sondern um die Bedingungen, unter denen unsere Vernunft sich ihrer g�ttlichen Natur erst bewu�t werden kann.“

„Ist sie g�ttlich, so ist sie unbedingt.“

„Mein Gott, Sie wollen mich nicht verstehen. Nehmen Sie einen Menschen von guten Anlagen, man hat ihn von Jugend aus unterdr�ckt, seine Kraft ausgenutzt, sein Blut gesogen, — was sag ich? — hat ihn mit F��en getreten, ihm alle Bildungsm�glichkeiten unterbunden, ihn nur zu Fertigkeiten abgerichtet, die sich lohnten, um von der Hand in den Mund zu leben, hat Belohnungen unterschlagen, die ihm zukamen, — — o, meine Freunde, dies ist ein Gleichnis und ich spreche von dem franz�sischen Volke, das gewi� nun bald dazu kommen wird, �ber die Freiheit des Willens nachzudenken, nachdem sein Wille zu dieser Freiheit sich einmal manifestiert hat.“

In das betretene Schweigen hinein, das auf diesen Ausbruch folgte, sagte Madame M�re angstvoll:

„Der Herr Geheimerat glaubt aber doch nicht, da� wir in unserm Deutschland �hnliche horreurs erleben k�nnten wie in Paris?“

„Ach, ch�re maman, dazu sind wir Deutschen doch viel zu geduldig und langweilig!“

„Silence, Doroth�e!“

Frau Forkel lie� eine unehrerbietige Zunge sehen, kicherte und knackte weiter N�sse auf, mit denen sie ihre Nachbaren Huber und Dorsch versorgte.

Therese, mit einem starren Gesichtsausdruck auf diese vergn�gte Gruppe am Tischende ihr gegen�ber blickend, sagte langsam, als machte das Sprechen ihr M�he:

„Und wir Deutschen lassen Worte das Handeln ersetzen und die Schw�rmerei ins Gro�e l�st den Willen zur Tat ab …“ Sie hob die Tafel auf. Im Nebenzimmer, dem Zimmer des gr�nen Kanapees und des Mahagonibureaus, stand die neue gl�serne Servante, deren Inhalt bewundert werden mu�te. George schlo� auf und holte mit z�rtlichen H�nden die Figur der Chinesin aus der Berliner Porzellanmanufaktur heraus.

„Lassen Sie sehen, Freund!“ Dorsch, mit der Stielbrille vor den Augen, t�nzelte angeregt n�her. — „Ah, diese satten Farben, dieser sanfte Schmelz! Vortrefflich, exzellent! Eine kostspielige Liebhaberei! Aber sehr sch�n! Sehr artig! — ‚Sie haben Sauereien geschrieben, Heinse, — aber sehr sch�n, sehr artig!‘ hat unsere Eminenz neulich zu dem Verfasser des ‚Ardinghello‘ gesagt, — ha ha!“ Er blickte beifallsfreudig in die Runde. Huber machte ein hochm�tiges Gesicht. Eine d�nne kleine Stimme wurde pl�tzlich h�rbar und �bert�nte klagend die Unterhaltung, die Professorin Dieze erhob lauschend den Zeigefinger und Madame M�re, neben ihr auf dem gr�nen Kanapee, nickte ger�hrt:

„O, — die j�ngste Demoiselle!“

„Ich sehe, was es gibt!“

Huber hatte mit einem beruhigenden L�cheln �ber die Schulter zur�ck das Zimmer verlassen, noch ehe Therese sich hatte erheben k�nnen.

„Ein brauchbarer Page,“ bemerkte Frau Forkel irgendwo in die Luft hinein.

„Sie haben wohl einen recht angenehmen Hausgenossen an ihm?“

Madame M�re hatte Blick und Haltung eines Gro�inquisitors.

„Er liebt die Kinder so, — o, ich danke Ihnen, mein Lieber, — Lise ist in der Kammer, sagen Sie? Ja, ich danke Ihnen — und — wollten Sie nicht mit Fiekchen noch ein wenig musizieren?“ —

George, mit Wedekind, S�mmerring und Dorsch am Spieltisch sitzend, hob den Kopf, als Huber begann, auf dem Spinett zu pr�ludieren. Fiekchen hielt den kleinen G�ttinger Almanach in der Hand, das herausgetrennte Notenblatt stand vor Huber. Und Fiekchen sang:

„O J�ngling, warum liebst du mich?

Wie gern, wie willig liebt’ ich dich, —

Doch, ach, du kennst mein Los!

Ich f�hl’, obschon du mir’s verhehlst,

Nur allzu oft, wie du dich qu�lst,

Und wein’ in meinen Scho�.

Ach, ziehe nicht vor meinem Blick

Den deinen so betr�bt zur�ck

Und schone meiner Ruh’!

Oh, w�re dieses Herz noch mein,

Es sollte dein auf ewig sein

Und meine Hand dazu.“[1]

[1]  „Das Mitleiden“ von W. G. Becker, G�ttinger Musenalmanach 1788.

„Hm, — auch ein Seufzer nach Freiheit!“ meinte Wedekind und spielte aus.

„Zu dem die Demoiselle meines Wissens keinen Anla� hat, — au contraire, sie scheint mir eher der Freiheit m�de zu sein,“ bemerkte Dorsch mit einem pfiffigen Blick auf den m�rrisch-teilnahmslosen S�mmerring.

George dachte zum drittenmal an diesem Abend: „Therese sieht so bleich“, und dachte: „das Wochenbett hat sie allzusehr angegriffen …“ Er brachte Verwirrung in das Spiel und verlor, weil er die Augen und seine Gedanken immer wieder zu der kleinen Gestalt hin�berwandern lie�, die da so hilflos in dem gro�en Lehnstuhl kauerte. — —

„Wann habe ich sie denn je genug geliebt?“ dachte George und ging leise durchs Haus, als l�ge irgendwo ein Schlafender, der nicht geweckt werden durfte. Seit dem Herbst, — ja, seit die kleine Claire auf der Welt war, versicherte er sich, — war Therese ver�ndert, war in ihrem Wesen etwas Neues, das ihn ratlos machte und ersch�tterte, eine Geduld war da, eine Sanftmut, eine Bereitschaft f�r ihn, auf die zu hoffen er l�ngst aufgegeben hatte, — oh, und er begriff nicht ganz, aber er war namenlos ger�hrt, die Tr�nen kamen ihm zuweilen, wenn er ihr stilles Wirken vernahm und die kleinen Lieder h�rte, die sie vor sich hinsummte. Andere singen aus Fr�hlichkeit, wu�te er, Therese singt wohl aus einer unendlichen Wehmut des Herzens, und weil sie nicht weinen will, — aber er dachte nicht weiter, h�chstens kam ihm die Erinnerung an die endlosen Lieder der Wolgaschiffer. Er war sehr krank in diesem Winter, das alte skorbutische �bel war wieder da und durchw�hlte seinen K�rper, ausbrechend in str�menden Katarrhen, schmerzhaften Anschwellungen aller Gelenke und Migr�nen, die ihn nahezu erblinden lie�en in rasender Pein. Aber war es nicht gut, sich pflegen zu lassen? Anerkennung zu ernten daf�r, da� man trotz aller Bresthaftigkeit am Schreibtisch sa�, daf�r, da� man der Geplagte, der Unerm�dliche, der Tapfere war? Sie waren wohl alle drei ein wenig krank, auch Huber, der so lautlos kam und ging und so bla� war und still wie der Mond, gar nicht mehr genialisch hereinst�rmte und tr�b und wild in den Ecken lehnte wie einst. Es war fast unm�glich zu denken, da� er einmal bei den Mahlzeiten nicht dabeigewesen war, fand George, denn es gab nun doch eine Art des Ideenaustausches, der mit einer Frau nicht zu unterhalten war, so anmutig und unentbehrlich Theresens Einf�lle auch waren. Es gab einen aufmerksamen H�rer am Tisch, einen, dessen stumme, unbedingte Bewunderung einstmaliger und gegenw�rtiger Leistungen zu einem Bestandteil der h�uslichen Atmosph�re wurde, ohne die nicht mehr recht zu leben war. Man hatte einen Berichterstatter vom Hof im Hause, der nun wahrlich das theatrum mundi aus erster Hand geno� und mit der Wiedergabe seiner Eindr�cke nicht sparsam war; man konnte also den gro�en Herren ein wenig in die Karten sehen, und das war au�erordentlich lehrreich. Im �brigen tauschte man seine sch�ngeistigen Korrespondenzen aus, und die Briefe Jakobis und Lichtenbergs, K�rners und Schillers boten Anla� zu den erbaulichsten Gespr�chen. Der Ablauf des Tages war unersch�pflich an Dingen, der Er�rterung wert; es war nicht n�tig, von sich selbst zu sprechen. Bisweilen geschah es wohl, da� Huber schon am Teetisch anwesend war, wenn George, vor M�digkeit taumelnd, aus seinem Kabinett her�berkam. Doch da waren die Herren Th�mmel und Hermes, sonderlich aber der Herr Lafontaine mit seinen allerliebsten Erz�hlungen von der „Gewalt der Liebe“, oder die unsch�tzbare Madame Naubert mit ihren lehrreichen und poesievollen Romanen, zum Exempel dem „Alf von Dulman“. Dies waren die Herrschaften, die George immer antraf, wenn er das Zimmer des gr�nen Kanapees betrat und Huber dort schon am Teetisch bei Therese fand, und h�rte er nicht schon vom Saal her, — das Zimmer des immer noch neuen und heimlich sehr geliebten Kronleuchters f�hrte den Namen eines Saals, — die monotone Stimme des Vorlesers, so vernahm er die T�ne des Spinetts, an dem Huber sa� und leise spielte. Ja, dieses war gewi�: man hatte sich untereinander wohl vieles zu erz�hlen, man hatte sich aber wenig zu sagen. Ein langes Schweigen l�ste sich zuweilen in ein L�cheln auf, es l�chelte Therese, die vielleicht lange ins Licht gesehen hatte, und beugte sich wieder �ber ihre Arbeit, es l�chelte Huber und sah aus wie ein ertappter Knabe, es l�chelte dann auch George vor sich hin. Dies alles war sehr gut, fand er. Denn was konnten Menschen einander Besseres erweisen, als sich so zu schonen, wie sie es gegenseitig taten, miteinander den Weg zu gehen, den weiten, weiten Weg, und �ber die Beschwerden des Tages hinweg nach dem verborgenen Ziel zu sp�hen? —

So war der April gekommen, und sichtbar �ber den Horizont stieg die Verwirklichung eines Projektes, das seit Monaten in Briefen und Unterhaltungen hin und her gewendet, nach allen Seiten erwogen und vorbereitet worden war, des Planes einer Reise in die Niederlande, nach England und nach Frankreich, auf der George als Mentor den j�ngeren Bruder Wilhelm von Humboldts, Alexander, begleiten sollte. Es war unm�glich, die Vorz�ge einer solchen Reisem�glichkeit f�r ihn zu �bersehen, indessen ward George nicht m�de, sie immer von neuem aufzuz�hlen, als m��te er sich verteidigen, da� er an solche Unternehmungen dachte, allein und ohne die Absicht, Therese mitzunehmen. Jedoch, die Kinder, — nicht wahr? Und die in diesen Zeiten nicht wieder einzubringenden Kosten, die den Luxus einer blo�en Vergn�gungsreise verboten. Er hingegen, er flog eben aus, wie die Biene, die Honig sucht, Beobachtungen, die Stoffe zu ganzen B�chern enthielten, w�rde er einsammeln, an Ort und Stelle Eindr�cke der gro�en franz�sischen Umw�lzung einheimsen, in den Londoner naturhistorischen Kabinetten die notwendigsten Studien zu dem gro�en Werk �ber Pithekologie machen, das er mit S�mmerring dann alsbald in Angriff nehmen w�rde, einem epochemachenden Werk �ber die Verwandtschaft des Menschen mit der Tierwelt …

„Und das Descriptio Plantarum? Und die Geschichte der S�dseeinseln?“ hatte Therese bei der Erw�hnung dieses Reisezweckes einmal ganz beil�ufig gefragt.

Daf�r w�rde er Verleger und Unterst�tzung in London eher finden als in Deutschland, und nur der Aussicht auf eine erfolgreiche Drucklegung bed�rfe es noch, um dieses Buch zur Kristallisierung zu bringen, da denn sein Material l�ngst fertig dal�ge! Ob sie etwa geglaubt h�tte, er lie�e dies Lieblingskind seines Geistes einfach fallen? O, sie hatte gar nichts geglaubt, — sie hatte nur so gefragt. „Und warum dieser Seufzer?“ Aber sie h�tte wirklich nicht geseufzt, ihres Wissens nicht, — sie h�tte nur an den alten Herrn, an seinen Vater denken m�ssen. Und George, weit entfernt davon, den Gedankeng�ngen nachzusp�ren, die von seinen Projekten zu dem K�nig Minos gef�hrt hatten, sagte eifrig: „Du hast recht, — auch um seinetwillen ist es von Wichtigkeit, da� der Name Forster in London wieder genannt wird und an die Gewissen schl�gt!“

„Ja, hoffst du denn immer noch?“

„Mein Kind, der, der sich seines Rechtes bewu�t ist, hofft nicht, er wei�!“ — — —

Am Nachmittag des ersten Mai kam der kurf�rstliche Leibarzt Geheimer Rat Hofmann dem in Begleitung des Legationssekret�rs Huber gem�chlich die Tiermarktstra�e in der Richtung der Gro�en Bleiche hinaufschlendernden Hofrat Forster entgegen, gr��te und sagte mit dem Pathos des ironischen Plebejers: „Ich bin gew�rdigt worden des Anblicks von Ihrer Eminenz, der Baronin von Coudenhoven. Sie sa�en mit Erlaucht der Gr�fin Ingelheim in einem karmoisinroten Staatswagen, wurden von vier fetten Apfelschimmeln gezogen und geruhten nicht, den Staub zu ihren F��en zu bemerken, welch selbiger doch eine gewisse Vertrautheit mit jedem H�hnerauge dieser F��e nicht verleugnen kann. Ich bin gew�rdigt worden des Anblicks so vieler Sch�nborns, Bassenheims, Eltzens, Greiffenklaus, Wolffs, D�newalds, da� meine geblendeten Augen schmerzen und ich nun wahrlich �berzeugt bin: der Fr�hling ist da — denn ein hoher Adel f�hrt wieder spazieren!“

„Die erste Piroutchade!“ rief Huber mit hochgezogenen Augenbrauen vergn�gt und sp�hte nach der Gro�en Bleiche hin, wo an der M�ndung der Tiermarktstra�e vor�ber ein ungemein buntes Gedr�nge von Menschen und Wagen sich schob. P�nktlich mit dem ersten Mai nahm die Hofgesellschaft den angenehmen Zeitvertreib der Korsofahrten wieder auf, und eine schillernde Schlange von Karossen, Piroutchen und englischen Kutschen wand sich die sch�nste und breiteste Stra�e der Stadt hinauf und hinunter, w�hrend die promenierende B�rgerlichkeit den Vorteil dieser gro�en Modeschau und der Musik der beiden Kapellen geno�, von denen die eine im Schlo�garten, die andere auf dem M�nsterplatz unverdrossen blies und fiedelte. „Die erste Piroutchade!“ sagte Forster m�rrisch, „also ist die Gro�e Bleiche nicht passierbar!“ Er machte auf dem Absatz kehrt.

„Ich meine doch, wir sollten versuchen, hindurchzukommen!“ Huber blickte z�gernd zur�ck. „Wir vermeiden den Umweg und — es ist ein so heiteres Bild …“

„Ersparen Sie es mir! Nehmen Sie an, das Gedr�nge sei meinem schmerzenden Kopf zu viel.“

„Nehmen Sie an,“ fuhr er fort, nachdem er den Stock heftig aufsetzend ein paar Schritte getan hatte, „ich ertr�ge diesen Anblick des M��iggangs im gro�en jetzt nicht. Vulgus stultum freilich betrachtet so ein Schauspiel als sein gutes Recht, — er ern�hrt den Adel und will das pr�chtige Tier, das er sich h�lt, nun auch einmal in Freiheit dressiert vorgef�hrt haben.“

„Ihre Hypochondrie, Verehrter, l��t Sie die Sache sehr schwarz sehen oder schwerer nehmen, als sie es verdient. Reisen Sie! und reisen Sie bald! Das ist mein Rezept f�r Ihre Grillen.“

Hofmann, den Bambus zwischen den auf dem R�cken gefalteten H�nden, schritt breit, aufrecht und schmunzelnd neben dem Geb�ckten. Sie �berquerten den Tiermarkt und schlugen die Richtung zum Dom ein. „Ich kann gleich ein paar notwendige Kommissionen machen,“ sagte George tonlos zu Huber, und wischte sich die Stirn ab, „wenn man doch einmal unterwegs ist …“

„Unsere braven Kurmainzer zumal,“ dr�hnte Hofmann weiter, „fassen die Sache nicht anders als im wackeren Untertanenverstand auf und finden es nat�rlich, da� der F�rst wie ein F�rst lebt und der B�rger als B�rger.“

„Sie haben da eine recht moderierte Anschauung. Sollten Sie bei Ihrer exponierten Stellung noch nie unter dem Undank der Gro�en gelitten haben? Was sagten Sie soeben von — Ihrer Eminenz, wie Sie so witzig bemerkten? Und Seine Eminenz — il a le besoin d’�tre ingrat, h�rte ich raunen. Denken Sie an M�ller …“

M�ller war nach einigen Auftritten mit dem Kurf�rsten, die der �ffentlichkeit nicht entgangen waren, drauf und dran gewesen, aus dem Kabinett auszutreten und nur mit M�he bewogen worden, zu bleiben, — wie es verlautete, durch den Einflu� seiner sch�nen G�nnerin von Coudenhoven.

Hofmann, stirnrunzelnd, erwiderte nachl�ssig die Gr��e einer Studentengruppe, um gleich darauf den Hut sehr tief und devot vor einem Offizier in gold�berladener Uniform zu ziehen, der mit einer kurzen Geb�rde abwinkte.

„Der Baron Erthal hat, seit er den Kurhut errungen, der Welt nicht nur zwei Gesichter gezeigt, wie der hochselige Janus, sondern mindestens deren sechs. Als er antrat, nannte das Volk ihn nicht unbegr�ndet ‚das fromme Herrchen‘, sobald er aber fest im Sattel sa�, fing er an, die Masken nach Bedarf zu wechseln, und heut ist er imstande, Ihnen etwas daherzufreigeistern, da� einem Maul und Nase offenstehen bleiben. Der alte Emmerenz Joseph, das war ein anderer Kerl …“

Der Geheime Rat Hofmann tat bei diesen Worten einen unerwarteten Schritt zur Seite und war auf einmal nicht mehr vorhanden. Forster, verwirrt um sich blickend, gewahrte einen knienden Mann, einen gebeugten breiten R�cken, darauf der schwarz umwickelte Zopf lag, ein unbedecktes Haupt: hinter vorangetragenem Kruzifix, von weihrauchfa�schwenkenden Chorknaben umgeben, war ein Priester mit dem Allerheiligsten aus einer Seitengasse gebogen. Die Fu�g�nger wichen zur Seite, Damen, Bauern neben ihren Gem�sekarren, Kinder, Soldaten, B�rgersfrauen sanken am Stra�enrand hin wie niedergem�ht.

„Schabbesdeckel runner! Verfluchter Jud!“ rief ein Schusterjunge hinter Huber und Forster drein.

„Ich mu� zum Buchbinder Chulmann, auch zum Sattler Hebensperger,“ sagte George leise und nerv�s, „was meinen Sie, Therese wird ungeduldig werden im G�rtchen? Wollen Sie vorangehen? Ach nein, verlassen Sie mich nicht, allein bin ich den leib�rztlichen Opinions nicht gewachsen.“

Er nahm Hubers Arm, fast als wollte er sich st�tzen.

„Und da kommt sein Namensvetter …“

Sie tauschten eine zeremonielle Begr��ung mit dem Professor der Geschichte Hofmann, der, im langen blauen Scho�rock und hohen Schaftstiefeln, kurz, breit und st�mmig, von einigen Sch�lern umgeben, aus der Richtung der Universit�t her ihnen entgegenkam.

„Erthal, wollte ich nur sagen, ist von einem Kaliber mit dem starken Mann von L�ttich, f�r den unsere braven Burschen sich nun bald die K�pfe blutig schlagen lassen d�rfen,“ sagte der Leibarzt ein wenig schnaufend, sie wieder einholend und auf einen Trupp Soldaten in feldmarschm��iger blauer Montur deutend, die, von einer �bung auf den Schanzen kommend, die Beine ungeheuer mutig gen Himmel warfen.

„Haben Sie einmal preu�isches Milit�r gesehen, — Infanterie des alten Fritz? Ich kenne nun doch die Soldateska aus mancher Herren L�nder, aber das Bild, wenn die Wache unter den Linden in Berlin aufzieht, wird nirgends ann�hernd erreicht. Fleischgewordene Kantsche Philosophie …“

„Und doch schickt Preu�en die Pfaffensoldaten gegen L�ttich vor!“

„Hach, mein Lieber, das ist Politik! Zudem — es ist nicht mehr das alte Preu�en! Denken Sie daran, wie die Liga W�llner und Bischofswerder den Berliner Hof unterw�hlt und reden Sie nur wieder vom Zauber der Kirche, der erhalten bleiben m��te, wie neulich!“

„Sie haben mich wieder einmal so gr�ndlich mi�verstanden!“ Huber geriet in sanfte Erregung.

„Sie meinen, das w�ren keine Pfaffen? Oh, mein Freund! Ihnen fehlen da Einblicke! Das sind die Pfaffen in der Potenz!“

Mitten auf dem Fruchtmarkt blieb Huber stehen und rief mit einer beschw�renden Bewegung: „H�ren Sie mich an! Lassen Sie es mich noch einmal auseinandersetzen!“

„Die Herren m�ssen gestatten, da� ich mich verabschiede! Ich habe Dienst.“ Hofmann schwenkte den Hut und steuerte mit gro�z�giger Eindeutigkeit auf ein kleines Kaffeehaus im Schatten des Domes zu. Huber redete leidenschaftlich: „Ich sprach davon, da� wir in Tagen des gest�rten Gleichgewichtes leben, des gest�rten Gleichgewichtes zwischen Macht und Masse. Zwischen diesen beiden Schalen der Wage hat der Geist den Ausschlag zu geben, und wir, wir freien M�nner vom Geist sind es, die ebensowohl die Rechte des Volkes gegen die Machthabenden, als jene Macht der Regierenden und der Kirche gegen die unverst�ndigen Anl�ufe des P�bels in Schutz nehmen m��ten …“

„Jawohl, — und Sie sprachen vom Zauber der Kirche. Fabelei, mein Lieber!“

„Lassen wir diesen Punkt. Immer, wo Macht und Masse einander gl�cklich und gleichm��ig durchdrangen, hat der Geist vermittelt. Es gab solche Zeiten. Ihr Niederschlag liegt in den Werken der K�nste vor uns und zeugt von dem gesunden Verh�ltnis der Volksschichten untereinander. Ich w��te nicht, wo das besser zu observieren w�re, als in einer Stadt wie Mainz!“

Er lie� seinen schw�rmerischen Blick von dem zierlichen Tempelbau der Domprobstei z�rtlich hin�berschweifen zum Dom, der r�tlich angestrahlt von der sinkenden Sonne war. Sie gingen weiter. Forster, nachdem er f�r eine Minute die Universit�tsbuchhandlung am Speisemarkt betreten hatte, fand beim Herauskommen den Freund gleichsam mit neugeschwellter Brust und bebend wie ein ungeduldiges Ro� vor, seufzte ein wenig und ergab sich in die Rolle des Zuh�rers. Vor�ber an den Gem�se- und Blumenst�nden des Marktes gingen sie durch die Schuster- und Quintinsgasse zum Brand, unter den grauen und r�tlichen H�usern mit den geschweiften Giebeln hin. �ber den geschnitzten, messingbeschlagenen Haust�ren flammten durchbohrte Herzen, gl�hten in Nischen hinter schmiedeeiserner Vergitterung rubinrot die Geheimnisse der ewigen L�mpchen. Goldene Heilige von aufgeregter Inbrunst rangen an den Eckh�usern in der H�he des ersten Stockwerks Beterh�nde unter kleinen Schutzd�chern, — da war am Brand die Maria, �berschattet von der Taube des Heiligen Geistes, hingebend wie eine Leda, und doch anders, schmerzlicher, — Gottvater von oben sah so ruhevoll zu. George dachte fremd: „Dies alles lie�e sich beschreiben etwa wie die Szenerie einer S�dseeinsel“ und — „Wie, wenn ich nun Bilder aus den Niederlanden, aus England und Frankreich so schriebe, als stellte ich in Europa unerh�rte Dinge dar, nie erblickte Wunder, — wir haben das Sehen verlernt, das ist wahr!“ und h�rte w�hrenddem Huber begeistert reden:

„Auf diesem Boden haben alle Volksschichten die Denkm�ler ihres sch�nen und gesunden Einvernehmens hinterlassen, — in K�rze gesagt: hier hat das Volk als Begriff einer h�chsten Einheit sich wundervoll und allseitig manifestiert. F�rsten und Geistlichkeit, — oder dr�cken wir es so aus: f�rstliche Geistlichkeit, es mag seine Vorz�ge haben, wenn diese beiden zusammenfallen, — Adel und B�rgertum haben in ihren Pal�sten und Wohnh�usern, in Kirchen und Zunfthallen, in den sch�nen Toren und Brunnen, in der geistvollen Anlage der Festungswerke die auf lange Zeit hinausredenden Zeugnisse f�r ein heiteres In- und Miteinanderwirken niedergelegt. Dies alles ist freilich Vergangenheit …“

„Sie meinen also ungef�hr, es sei ein chemischer Proze� im Gange, der die Elemente von Macht, Masse und Geist voneinander schiede und sie isolierte …“

„So da� der heutige Zustand das vergebliche Bem�hen der drei Faktoren bezeichnet, sich neu zu durchdringen, — und die Irrwege des Geistes, der fortw�hrend Verbindungen eingeht, die das Gleichgewicht, anstatt es wieder herzustellen, nur noch mehr st�ren. So meine ich es!“

„Sehr gut! Sehr gut, in der Tat! Denken wir uns diese Bem�hungen des Geistes in den Anstrengungen des edlen Mirabeau verk�rpert, so ist Ihre Theorie gl�cklich illustriert. — Aber hier sind wir bei Hebensperger. — Nun, Meister, was ist mit meinem Mantelsack, ich brauche ihn in wenigen Tagen!“

„Gehorsamer Diener den Herren, ganz gehorsamer Diener!“

Im gr�nen Schurzfell, umwittert von herbem Ledergeruch und den Ger�chen nach Lack und Wagenschmiere, kam der Eifrige die Stufen von der Haust�r herunter.

„Da steht man nun und sieht nach dem Himmel und freut sich �ber das Wetterle, Gnaden, Herr Hofrat, der Petrus ist halt ein guter Mann und wei�, da� der neue Staatswagen vom Hebensperger in der Piroutchade mitfahren tut. Mit Ihro Gnaden der Frau Gr�fin von Ingelheim, Herr Hofrat! Auf englischen Federn, Herr Hofrat! Karmoisinlack und vergoldetes Gestell, goldfarbener Samt auf den Polstern — und karmoisin Bl�mchen, — man tut vor lauter Vergn�ge lache, wenn man den Wagen sehen tut! Aber halten zu Gnaden, Herr Hofrat, wenn ich der Herr Hofrat w�re, mit dem Mantelsack t�t ich doch keine Reise mehr tun! Da h�tt’ ich Auswahl auf Lager, — englisches Leder, Herr Hofrat! Wenn der Herr Hofrat sich einmal hereinbem�hen t�ten …“

George sagte err�tend und schnell: „Gleichviel, wie das Ding aussieht, Meister! Ich kann nicht ohne es reisen. Flick Er den Schaden aus und schick Er mir auch den Koffer in zwei Tagen!“

„Wenn der Herr Hofrat befehlen … Aber da hat der Lehrbub im Futter etwas gefunden, vielleicht ein Souvenir, — sieht freilich aus wie eine geweihte M�nze …“ Er lief ins Haus und kam mit einem kleinen Gegenstand zur�ck, den er in Georges Hand gleiten lie�, — ein rundes Metallpl�ttchen mit verwischtem Gepr�ge. Huber beugte sich interessiert dar�ber.

„St. Patrick, ora pro nobis!“ las er, — „wie kommen Sie zu Irlands Heiligen? Ein zeitgem��er Schutzpatron, allerdings, denn: die Freiheitsliebe der Irl�nder wird immer lauter, — wo stand das doch neulich gleich?“

George, in tiefes Sinnen versunken, reichte Larrys Souvenir an Toghiri dem Meister zur�ck: „Lasse Er es wieder einn�hen, Meister,“ sagte er langsam, — „es geh�rt wohl dazu …“

Der Wackere blickte ihm kopfsch�ttelnd nach:

„Irgendwo spinnen tun die Ketzer doch alle …“

„Aber nun wollen wir eilen!“ George straffte seine Gestalt und schlug eine schnellere Gangart an. Die sp�te Nachmittagsstunde �u�erte ihre Wirkung in seinem Befinden, ohne da� er sich klar dar�ber wurde, er pflegte erst gegen Abend v�llig zu erwachen. Vom Rhein her kam ihnen der Wind angenehm f�chelnd entgegen, George konnte es auf einmal nicht erwarten, Wasser zu sehen. Sie durchschritten das Tor beim eisernen Turm und George nahm den Hut ab, als gr��te er die stille Majest�t des Stromes, die wimpelfrohe Fahrt der Schaluppen, Lastk�hne und Segelschiffe, die ernste Lieblichkeit der Auen und dr�ben das sehns�chtige Blauen der Taunusberge. An die Br�stung der Raimondi-Schanze gelehnt sprach er zaudernd, als suche er die Worte in seinem Ged�chtnis zusammen: „So sollte man wohnen, — so, — einen Strom vor den Fenstern, den Tanz der M�wen, das Schwanken der Rahen vor Augen, — es w�re ein Surrogat der Meeresferne, der Reise …“

„Und Tr�ume eine Abl�sung des Handelns, w�rde Therese sagen, — nicht ich, mein Teurer!“ erg�nzte Huber, verlegen lachend.

„Sie ist von ungeheurer Spannkraft, von r�tselhafter Energie, Huber, nicht wahr? Es ist nicht immer leicht, ihr zu gen�gen, aber geben Sie acht! Lassen Sie mich nur erst zur�ck sein!“ Er schob den Arm wieder in den des Freundes, sie gingen dem Gartenfeld zu, wo Therese mit den Kindern sie in dem kleinen Mietg�rtchen erwartete. George pfiff den Ruf der Schiffer auf dem Strom nach, inbr�nstig und falsch. Reiseunruhe zuckte ihm im ganzen K�rper.

Als sie in den Heckenweg einbogen, r�usperte Huber sich. „Sie w�nschen also nicht, lieber Forster, da� ich mir f�r die Monate Ihrer Abwesenheit ein anderes Logis suche? Oh, mein Gott, Sie sehen mich erstaunt an, — es k�nnte doch sein, nicht wahr, es w�re doch m�glich, da� Ihre G�te es nicht selbst fordern wollte, und dennoch, der Wunsch Ihres Herzens w�re mir Befehl …“

Er verwirrte sich unter dem stillen Blick des anderen.

„Mein Freund, — ich verstehe Sie nicht,“ sagte Forster langsam.

Das R�schen sprang ihnen jubelnd entgegen, die Magd kniete auf einem Beet und schnitt Spinat, Therese sa� in der frisch umgr�nten Bohnenlaube, die kleine Claire an der Brust, und l�chelte ihnen zu. Ach, dieser Abend lag im wehm�tigen Lichte des Abschieds. Dies enge G�rtchen, sonst von ihm gering gesch�tzt und vernachl�ssigt, wie war es traut und heimatlich, eben weil es eng war! Wie bl�hten die Apfelb�ume und wie blaute der klare Himmel so rosig-wei� umgittert durch ihr Gezweig! Wie hatten Kirschen und Stachelbeeren so lobenswert angesetzt, und wie die Erbsen keimten, wie die Salatstauden standen, — es war doch ein Staat! Der Vater w�rde nun mit dem Schiff wegfahren, das gro�e Wasser entlang, und in ferne, fremde L�nder, erz�hlte George dem aufhorchenden Kinde, die warme kleine Hand in seiner und auf den schmalen Pfaden zwischen den Rabatten spazierend. Bis er wiederk�me, w�rden die Kirschen rot sein und vielleicht auch schon aufgegessen. — „Ich hebe Ihnen welche auf, Papa, die allergr��ten!“ beruhigte das R�schen, — das kleine Clairchen w�rde ein viel dickeres Clairchen geworden sein und R�schen w�rde den Papa am Ende ganz vergessen haben und nicht wiedererkennen. Das Kind sah ernsthaft zu ihm auf: „Wird denn so schnell alles anders, Papa?“

„Zuweilen doch, R�schen, zuweilen …“ Er wandte an der Gartenpforte um, die Gedanken um all die M�glichkeiten pl�tzlicher Ver�nderungen kreisend, die bevorstehen k�nnten, wenn es ihm denn gelingen sollte, Gelegenheiten wahrzunehmen. Der Garten war eng, der Garten war traut, — aber die Welt so weit und das Gro�e noch nicht getan. Und da blickte er zu Therese hin�ber in die Laube und sah sie dort sitzen, das Kind in den Armen und sah Huber an ihrer Seite und wu�te nicht, was er sah und was ihn so erschreckte. „Sie sehen so — geborgen aus“, dachte er ratlos und kam z�gernd n�her, als Therese rief: „Kommst du denn gar nicht zu uns, Lieber?“ —

�brigens war es nicht seine Art, einen solchen Augenblick ahnungsvoller Erkenntnis gr�belnd im Ged�chtnis zu tragen. Er verga� ihn in der n�chsten Stunde, und um so schneller und gr�ndlicher, als die Reisevorbereitungen umfangreich waren und ihn ganz in Anspruch nahmen. Sein erstes Reiseziel war Aachen, dort bei Jakobi w�rde er den jungen Humboldt treffen. Und nun v�llig von seiner n�chsten Umgebung abgelenkt im Gedanken an den liebensw�rdigen Sch�ler, der ihn erwartete, schon empfindend, wie der leere Raum im Wissen und in der Erfahrung des andern die eigene F�lle, den eigenen �berflu� unwiderstehlich ansog, bereits in der n�chsten bunten wechselnden Zukunft lebend, nahm er es kaum wahr, da� Therese, stiller noch und sanfter, als sie es in den letzten Monaten gewesen war, unter dem Abschied unverh�ltnism��ig litt. Ihr Weinen am letzten Abend ersch�tterte ihn. Er sa� am Schreibtisch, um noch einige amtliche Briefe zu erledigen, und f�hlte auf einmal, da� sie, die sich bisher im Hintergrunde des Zimmers mit dem Koffer besch�ftigt hatte, neben ihm kniete. Weiter schreibend tastete er mit der Linken nach ihr, legte die Hand auf ihren warmen Nacken, sp�rte das Beben ihres K�rpers und legte erschrocken die Feder hin.

„Was ist dir, Kind?“

Er versuchte ihren Kopf aufzurichten, sie aber pre�te die Stirn nur noch fester gegen ihn, umschlang ihn mit beiden Armen und lie� unter fortw�hrendem Weinen minutenlang keine Worte h�ren, als „Georgie! — Ach, Georgie! — Bleibe doch bei mir, Georgie!“ so da� er schlie�lich ganz ratlos stammelte, es sei doch nun alles vorbereitet und beschlossen, und er k�me doch auch wieder, und sie sei doch hier auch gar nicht so allein. Ehe er aber dazu kam, die Freunde aufzuz�hlen, die ihr in seiner Abwesenheit zur Seite stehen k�nnten, sagte sie stockend: „Lieber, lieber Georgie! La� mich doch nach Gotha fahren mit den Kindern, zu den guten Reichardts! Ich wei� ja, nach G�ttingen ist es zu weit, und der Vater fand es selber zu teuer, — aber Gotha, wei�t du, Gotha, das ginge doch und Amalie w�rde sich so freuen …“

Da er schwieg, hob sie endlich den Kopf und blickte scheu zu ihm auf. Er sah gequ�lt vor sich nieder. „Das h�tte doch alles langer Hand vorbereitet werden m�ssen, Therese. Nun kommst du so in elfter Stunde … Die weite Reise mit dem kleinen Kind … Und hier der Haushalt mit den Dienstboten … Nein, ich verstehe es nun doch nicht ganz.“

„Nicht, Georgie?“

„Du sollst dich ja auch hier nicht langweilen. Fahr mit Lise und den Kindern nach Eltville und auf die Auen, so oft ihr wollt, geh einmal in die Kom�die, du vernachl�ssigst das Theater ja ganz. Lade dir �fters Leute ein! Ach, und gute teure Freundin, — ich werde dir ja so viele Briefe schreiben! Nun?“

Er versuchte, sie l�cheln zu machen. Tr�nen in den Wimpern und auf den Wangen blickte sie ihn tief, ernst, zweifelnd an. Dann erhob sie sich seufzend, indem sie sich auf sein Knie st�tzte, legte den Arm um seinen Nacken und blieb neben ihm stehen.

„Ich soll also hier bleiben, Georgie, — du willst es, — ich soll?“

Er schwieg. Er malte langsam an einer Adresse. Dann sagte er: „Ich wei� dich hier im besten Schutz der Welt.“

„Etwa in Hubers?“ fragte sie schnell.

„In deinem eigenen, Therese, in dem unserer Kinder“, sagte er leise.

Sie sah ihn mit bebenden Lippen an und hob die H�nde mit einer hilflosen beschw�renden Geb�rde. Aber sie blieb stumm. —

Er flog also wie beabsichtigt einer Biene gleich durch Brabant und die Niederlande, das hei�t, er war der Reisende mit den offenen Augen, dem empf�nglichen Herzen, das Notizbuch in der Linken, den Stift in der Rechten. Zuweilen glaubte er wahrzunehmen, da� die Empf�nglichkeit des Herzens vollkommen abgel�st sei durch die Routine des Kopfes, Eindr�cke abzufangen, einzuordnen und zu verarbeiten. Zuweilen glaubte er zu erkennen, da� nicht eigener, sondern der Enthusiasmus des jungen Humboldt ihn befl�gelte und ihm kurze Stunden des Rausches verschaffte. Indessen h�tete er sich wohl, der Sache auf den Grund zu gehen. In London, wo man beinahe f�nf Wochen verweilte, f�hlte er sich auf Schritt und Tritt begleitet von dem Schatten des Verfassers eines gewissen Schriftchens, das den Titel eines Tableau d’Angleterre trug, in den letzten Jahren auf dem Kontinent ziemlich viel gelesen worden war und den Anspruch erhob, ein getreues Portrait der k�niglichen Insel zu sein. Es war nicht eben von Zuneigung, nicht einmal von Anerkennung, kaum von Gerechtigkeitsliebe getragen, das Schriftchen, es war geradeheraus gesagt, eine h�mische Karikatur, und es war durchgesickert, sein Verfasser sei ein Herr Forster, ein Deutscher mutma�lich, und wahrscheinlich einer von den Forsters, die mit auf der „Resolution“ in der S�dsee gewesen waren. Es half einem gar nichts, da� man das b�se Schriftchen laut f�r ein obskures Machwerk, ein elendes Pasquill erkl�rte. In diesem Schatten also, den der K�nig Minos von Halle aus zu werfen verstanden hatte, war die Atmosph�re in London trotz der Junisonne frostig und kalt. Es war nicht ratsam, bei dieser Witterung den Samen z�rtlich gehegter Hoffnungen und Anspr�che neu auszus�en. England schien Forster sen. und Forster jun. gegen�ber ein besseres Gewissen zu haben als je, ja, es schien sich ungerechtfertigterweise in dem Bewu�tsein zu wiegen, Nattern an seinem Busen gen�hrt zu haben. So glaubte George durchzuf�hlen. Da er aber die ganze Zeit �ber kl�glich an seinem hinf�lligen K�rper litt, so ist anzunehmen, da� er �berempfindlich war und auch den Einflu� des gro�en Sir Joe Banks �bersch�tzte, von dem er an Therese schrieb, da� er die S�dsee gepachtet habe und keinem Buchh�ndler erlaube, irgendein Werk �ber diese Breiten in Verlag zu nehmen, das nicht seinen Namen auf dem Titelblatt trage. Jedenfalls bestand der Ertrag des Londoner Aufenthaltes in wenig mehr als in einer Abmachung mit einem gro�en B�cherjuden, ihm die neuesten Erscheinungen auf allen Gebieten des europ�ischen Buchmarktes monatlich zuzusenden, ein gewisserma�en negativer Ertrag, der vielleicht in etwas wett gemacht wurde durch die Gewinnung des jungen Mr. Thomas Brand zum Sch�ler und Pension�r. Dieser blonde J�ngling mit der Aussicht auf den Titel und die W�rden eines Lord Dacre w�rde, solange seine Sehnsucht, Deutsch zu lernen, anhielt, einen lieblichen Strom blanker Guineen durch das Haus Forster leiten. Aber George war entsetzlich niedergeschlagen, als er von Dover abreiste. Er ging auf dem Verdeck des Schiffes auf und nieder, dankte dem Himmel, da� Humboldt in der Kaj�te Korrespondenzen erledigte und er nicht zu sprechen brauchte, und br�tete ohne Aufh�ren und ratlos und mit gel�hmten Gedanken �ber dieser unfa�lichen Versteinerung des Herzens.

„Italien,“ dachte er, — „Griechenland, — Indien!“ Ja, der S�den k�nnte ihn vielleicht noch einmal verj�ngen. Und da war doch ein kleines Gl�ck, eine wunderlich sch�ne Perle, die er mitnahm aus England, das war die Bekanntschaft mit den Asiatic Researches des William Jones, in denen jene seltsamen Spekulationen „On the Gods of Greece, Italy and India“ standen, verborgene Pforten entriegelnd in den glatten Mauern, die seit Jahrtausenden die V�lker voneinander schieden. Uralte Stammbaumgemeinschaft erschlo� sich: wer zu den gleichen G�ttern fleht, stammt von den gleichen V�tern her. Und diese Offenbarung Deutschland mitteilen zu d�rfen, war das nicht ein Ergebnis seiner Reise, besser als Gold, — war nicht jenes kleine Buch in seinem Mantelsack, die indische Sacontala in der englischen �bersetzung von Jones, die er ins Deutsche �bertragen wollte, ein Fenster in Weltweiten, da� er berufen war aufzusto�en und so den Deutschen einen alten Horizont zu sprengen? Ach, f�r Minuten von Tr�bsal befreit, vom Aufflammen niedergesunkener Gluten befeuert, dachte er doch gleich ver�chtlich und bitter: was fragt Deutschland nach mir? Deutschland lagert tr�ge am Rand seiner Meere, es f�hrt nur aus, um Schellfisch und Hering zu fangen. Noch nicht zu sich selbst erwacht, ohne Kern und Kristall, will es auch nicht wachsen, sich nicht dehnen, die Erde erobern und ihr seinen Geist aufpr�gen. Deutschland ist froh, wenn es satt wird und Stoff zu Spekulationen hat. Ob ich ihm den Stoff bringe oder ein Chinese, das ist gleich, sie nehmen alles aus Gottes Hand. Ich bin kein Engl�nder, ich bin kein Franzose. Nicht Volk noch Vaterland braucht mich als Waffe, als Pfeil, als Handhabe einer Sehnsucht. Was ich tue, tue ich auf eigene Verantwortung, ein Einzelner unter Vereinzelten. Die Hand am Hut, den flatternden Mantel eng um sich zusammenraffend sah er zum Horizont. Gut, — wer keinen Dank erh�lt, ist niemand etwas schuldig. Schiffsboden ist mein Vaterland — und the Rakes of Mallow for ever! Ein Wanderm�nch der Wissenschaft, ein Zigeuner der Forschung … Er ging mit breit gestellten Beinen umher und pfiff, das Herz voll Wehmut und Trotz. Auf einmal sah er, da� Humboldt vorn am Bug stand, die Arme vor der Brust gekreuzt, den Kopf zur�ckgeworfen, das unbedeckte Haar dem Winde preisgegeben. Der und sein Preu�en, f�hlte er vergr�mt. Oh, war das Neid? Und pl�tzlich war er ganz erweicht, er wandte sich ab, Entsagung gab ein L�cheln. J�ngling, fl�sterte er vor sich hin, — oh, J�ngling, Bruder, Freund — und Erbe! —

Er nahm aus Paris den Abglanz mit, den das gro�e Feuer der begeisterten Vorbereitungen zum F�derationsfest in sein Herz geworfen hatte, er sah von den H�hen von Chaillot aus auf dem Marsfeld ein Volk vom K�nig herab bis zum Bettler dieses Fest singend zur�sten, auf da� es sch�n gefeiert werden k�nne, und so nahm er die �berzeugung mit, da� dies Volk w�rdig sei, die Sache der Menschheit zu vertreten. Er sah es nicht, oder er wollte es nicht sehen, da� dies nicht mehr war, als eine Verkleidung des alten monarchischen Sch�ferspiels zu demokratischer Fl�tenbegleitung. Er labte sich schw�rmerisch an dieser ungeheuren Idylle, er �berh�rte den schneidenden Rhythmus des „�a ira“ und sch�ttelte den Kopf �ber den schweren Ernst, den er auf den Z�gen des verg�tterten Mirabeau lagern sah. Im �brigen hatte er seine Gesch�fte, Besuche und Studienvors�tze m�hselig genug unter namenlosem Widerwillen abgewickelt, gehemmt von Anf�llen f�rchterlicher Zahnschmerzen und einer Schwermut, die er ratlos halb mit der Sehnsucht nach dem Meer, von dem er sich diesmal mit unerkl�rlichem Leid losgerissen hatte, teils mit dem Heimweh erkl�rte, mit dem unstillbaren Bed�rfnis nach Therese und den Kindern, — mit zwei einander widersprechenden Gef�hlen also, durch die ein D�mon seinen Busen zu spalten versuchte. Er hatte unter diesen grauen Schieferd�chern gelitten wie ein lebendig Begrabener und segnete jeden Abend, der sich zwischen ihn und jene Stadt legte. In sechs Tagen gelangte man nach Stra�burg. Von Speyer an waren sie nur noch zu Vieren in der Postkutsche, Humboldt, er, ein Jude, der in Gesch�ften reiste, und ein Unbekannter im grauen Habit, der zumeist schlief und sein Reiseziel nicht verriet.

„Er gleicht dem Herrn Selten aus ‚Sophiens Reise‘,“ sagte Humboldt halblaut zu George, „er sieht ebenso edel und geheimnisvoll aus. Den Juden h�tten wir auch, fehlen nur noch ein paar artige Frauenzimmer, um die Gesellschaft komplett zu machen.“

Die Juliglut wogte glastend �ber dem Land, die reifen Kornfelder rauschten golden und schwer, die Obstb�ume, �berladen mit Frucht, lie�en die �ste bis zur Erde h�ngen. Der Jude, mit unerm�dlichen Mausaugen alles absch�tzend, was irgend Handelswert haben konnte, und zwischendurch seine Reisegef�hrten beobachtend, begann alsbald, den Kurf�rsten von Mainz �ber die Hutschnur zu loben, ihn einen weisen Herrn, einen gerechten Herrn, einen Herrn, der nicht verachtete die Handlung und das Gesch�ft, zu nennen und dabei George so listig anzublinzeln, da� dieser keinen Zweifel hatte, einen Mainzer Stadtjuden vor sich zu haben. „Gott Israels! Wie bl�ht sein Land! Wie mehren sich seine G�ter!“ Da er nun von den Reicht�mern des Domkapitels �berging zum Glanz des kurf�rstlichen Hofes, sich erstaunlich vertraut mit allerhand innerpolitischen Mainzer Vorg�ngen zeigte, zum Exempel mit der Entlassung des Geheimen Hofrats M�ller, zu der es ja nicht gekommen sei, — „Gott sei’s getrommelt und gepfiffen! Taugt er sich mehr, der Herr von M�ller, als alle Dalberg, Albini und Sickingen zusammen!“ — da er sodann anfing, die Universit�t zu loben, „die grausam grau�e Gelehrtenschul“ und wieder sagte, der kurf�rstliche Herr sei so tolerant, besch�tzte die Ketzer und Juden, so war George darauf gefa�t, sich in jedem Augenblick bei Namen genannt zu h�ren und im Hinblick auf den Reisenden in der Ecke, der soeben einmal erwacht war und �rgerlich den pulverigen Staub von seinem Rock abklopfte, erwartete er die L�ftung seines Inkognitos mit einer gewissen lustvollen Spannung. Denn Journale, ja Journale las die ganze deutsche Welt, — und wer war da noch nicht auf den Namen George Forsters gesto�en, — wenn er ihn denn sonst nicht kannte? Indes verlie� der Jude sie pl�tzlich in einem gr��eren Dorf, wo sie kurze Rast machten, nicht ohne beim Abschied auf seinen Packen zu klopfen und George zuzuraunen: „Wenn die Frau Gemahlin einmal hat Bedarf in feine und andre T�cher, einf�rbig und meliert, in der Wolle gef�rbt, — frage der Herr Hofrat nur nach dem Isaak B�r aus Weisenau, — kennt ihn jedes Mainzer Kind und wei�, der B�r kauft ein mit Profit und verkauft zum eigenen Schaden.“

Der Fremde aber erwies sich bald als ein Armeelieferant aus Wien, ein Pole, der in �sterreichischen Diensten reiste, unzufrieden mit den Zeitl�uften war und Krakau f�r den besten Ort der Welt erkl�rte. Und warum er nicht am besten Ort der Welt geblieben sei?

„Was will man machen, messieurs? Wir Polen haben kein Vaterland mehr …“

�ber Wilna und Wien, — nein, der Fremde las augenscheinlich keine Journale und hatte keine Beziehungen zur Gelehrtenwelt! — kam man im Bogen zur�ck auf den Juden, da der junge Humboldt sein liebensw�rdiges Gesicht in schwere Falten legte und ernsthaft erwog, warum diese Nation gleichzeitig solche Wunderblumen hervorbringe wie den Mendelssohn der „Morgenstunden“ und solche Knorze, wie den ausgestiegenen Reisegenossen. Der Fremde wiegte den Kopf und meinte, hier liege der gleiche Unterschied vor, wie zwischen den weisen Chassidim in Galizien und den schmutzigen polnischen Pracherjuden, begann nun ein wenig von den Chassidim zu erz�hlen, und am Ende kam man in eine ganz lebhafte Diskussion �ber die Eigenschaften des auserw�hlten Volkes, die den Weg angenehm verk�rzte.

„Und schlie�lich, — was will man ihnen vorwerfen,“ sagte Alexander von Humboldt feurig, „bleiben sie nicht Menschen wie wir auch? Sind sie nicht die besten Untertanen, wo sie Wurzel schlagen d�rfen? Was w�rde aus uns, wenn man uns das Vaterland n�hme, von Ort zu Ort jagte, ausnutzte, verfolgte …?“

Der Pole lachte kurz auf. „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’! Was will man machen, messieurs? Jeder Heimatlose wird zum Juden!“

George Forster starrte in die untergehende Sonne. — — —

Die ersten k�hlenden Atemst��e des Abendwindes kamen vom Rhein her �ber die Felder. Es roch nach reifem Korn, nach Staub, nach Leder und Pferden. Die Kutsche schwankte, das eint�nige Ger�usch der knirschenden Federn, der �chzenden R�der, der trottenden Hufe, war so einschl�fernd. Eine Stunde vor Mainz etwa raffte George sich zusammen, machte es sich klar, da� er nun nachhause kam und sich zu freuen hatte, — r�tselhafter Druck auf seinem Herzen, der Freude nicht aufkommen lassen wollte! — b�rstete an sich herum, erfrischte Gesicht und H�nde mit Eau de lavande und sank schlie�lich wieder in hoffnungsloser Erm�dung vorn�bergebeugt auf seinem Sitz zusammen.

Auf einmal fuhr er auf, starrte auf die Stra�e, blickte verst�rt um sich, sprang auf, lehnte sich aus dem Wagenschlag, die Strecke zur�ckblickend, die sie gekommen, setzte sich wieder, fuhr mit der Hand �ber das Gesicht und lachte.

„Wie man so lebhaft tr�umen kann! Schlief ich denn �berhaupt?“

„Ich wei� es nicht sicher.“ Der junge Humboldt hielt mit Pflaumenessen inne und betrachtete ihn interessiert. „Tr�umten Sie denn sch�n?“

George sagte langsam:

„Es kam uns eine Kutsche entgegen. Therese sa� darin — und die Kinder. Aber das Clairchen schon gro�, wie zweij�hrig. Und noch eine Frau fuhr mit, die ich nicht erkannte. Ich dachte, wie sch�n, da sind sie mir entgegen gefahren! Aber indem fuhr die Kutsche sehr schnell an uns vor�ber, Therese sah geradeaus und niemand sah mich an …“

Er sch�ttelte den Kopf und blickte tief beunruhigt auf Humboldt. Der murmelte verlegen: „Sonderbar? Nun, es war eben ein Traum und“ … er l�chelte, — „unsere Sehnsucht befl�gelt die Imagination.“

„Es war aber ganz anderes Wetter, es war Herbst, — oder Winter …“

Der Postillon blies und durch das neue Tor rasselte der Wagen hinein auf das Pflaster von Mainz.

Gewi�, er w�re auf keinen Fall diesen ersten Abend allein mit Therese und den Kindern gewesen, auch wenn die biedere Gestalt S�mmerrings im braunen Scho�rock und die leichtgesch�rzte der Madame Forkel in �berbl�mtem Mousseline da nicht seine Haust�r flankiert h�tten, wie die Penaten der Heiterkeit und des Flei�es. Auf alle F�lle w�re Humboldt zugegen gewesen, da er nun einmal bei ihnen logierte, — einen Fremden h�tte es also unvermeidlich am Tisch gegeben, trotz des Fernbleibens des guten Huber, der aus Delikatesse an der Table d’h�te im H�tel National speiste, um das Wiedersehen nicht zu st�ren. Immerhin h�tte sich der guterzogene Reisegenosse vielleicht fr�h zur�ckgezogen, und wenn dann eben S�mmerring und die Forkel nicht dagewesen w�ren …

Aber warum verdarb er sich die erste Stunde der Heimkehr mit solchen Reflexionen! Hatte Therese diese G�ste zu seiner Begr��ung eingeladen, so war es geschehen aus demselben Grunde, aus dem sie die T�ren mit Buchs bekr�nzt und den Abendtisch im Saal mit Rosen geschm�ckt hatte, aus dem sie im wei�en Kleide mit Blumen in den Haaren ihm entgegengekommen war, aufgeregt fr�hlich und das winzige Clairchen ihm hinhaltend wie ein Weihegeschenk. Therese freute sich, da� er wiederkam, Therese lachte, Therese tanzte, Therese feierte ein Fest, — konnte ein Fest von Therese ohne G�ste sein? Er ging durch die R�ume, das gl�ckliche R�schen an der Hand, das im gelben rotpunktierten Kleidchen manierlich einherschritt wie eine junge Dame und zuweilen behutsam zu ihm aufl�chelte, — ja, er l�chelte auch, aber warum f�hlte er sein L�cheln schmerzlich wie eine Grimasse? Es gab da kleine Ver�nderungen in den Zimmern, die er mit dem Sp�rsinn seines �berreizten Gehirns auf den ersten Blick wahrnahm, wie die neue Anordnung von B�cherreihen in der Wohnstube und dies, da� sein Portrait, das von Tischbein gemalte, einen anderen Platz bekommen hatte und im Saal hing, nicht mehr dem gr�nen Kanapee gegen�ber. Ja, das mochte ganz gut sein, war es ihm nicht selbst oft ridik�l gewesen, da� er da von der Wand herab sich selber zugesehen hatte, wenn er hier mit Therese gesessen hatte, abends, auf dem gr�nen Kanapee? Freilich, die letzten Monate, da h�tte Therese das Bild wohl h�ngen lassen k�nnen, sich zur Gesellschaft, die Monate, die sie hier allein gesessen hatte … Er ging umher, ruhelos, trotz der Reisem�digkeit. Waren es diese kleinen Ver�nderungen, die die Wohnung so fremd erscheinen lie�en? War er zu lange weg gewesen? Ach, die gro�e englische Uhr im Saal war stehen geblieben, er �ffnete die gl�serne T�r und w�hrend er aufziehend die schweren Messinggewichte im Geh�use emporleierte, fiel sein Blick auf die kleine Scheibe im Zifferblatt, die, von Mond und Sternen umgeben, das Datum anzeigte. Sie stand auf dem 6. Mai, dem Tag nach seiner Abreise. Machte es ihn denn so mutlos, da� die Uhr hier geschwiegen hatte, die ganze lange Zeit �ber, da� er weg gewesen war?

Lustig, lustig, Therese feierte ein Fest! Hatte er unterwegs etwa gedacht, er wollte sich fr�h niederlegen, den schmerzenden Kopf auf k�hle Kissen betten und dann sollte Therese in der d�mmerigen Sommernacht an seinem Bett sitzen und er wollte ihr erz�hlen und f�hlen, da� er wieder daheim war? Nun, das ging jetzt freilich nicht. Er mu�te hier in guter Haltung den liebensw�rdigen Hausherrn spielen, der Forkel ein wenig die Cour machen und S�mmerring in die �rztlichen Forscheraugen blicken, ihm Bericht erstatten von den Kollegen in Harlem, in Oxford. Er hielt nicht still Theresens Hand. Jedoch es hielt Therese seine Hand, das war ja wahr. In den Essenspausen und als abgespeist war, suchte ihre fiebrige kleine Rechte seine Linke, die schlaff und m�de auf dem Tischtuch lag, und w�hrend Therese �ber den Tisch hin�ber lachende Rede und Gegenrede mit Humboldt tauschte und mitten darin die Funken ihrer Heiterkeit in seine Unterhaltung mit S�mmerring spr�hen lie� und der Forkel eine Rose an den Kopf warf und der aufwartenden Marianne zurief: „Hurtig, M�dchen, der Herr ist wieder da!“ — ja, w�hrend der ganzen Zeit f�hlte er sich geliebkost, hastig gestreichelt, h�rte sich zum Essen, zum Trinken ermuntert.

„Bin ich denn auch ein Gast hier?“ dachte er in schrecklicher Benommenheit, — „was ist dies nur? Was blickt mich S�mmerring so an?“

Er trank hastig hintereinander ein paar Gl�ser Wein. O ja, nun war er zuhause! Er legte den Arm um Therese, f�hlte das Beben ihrer Schultern und alle M�digkeit war dahin. Eine rei�ende Beredsamkeit entfesseln, die Holl�nder loben, die Engl�nder schm�hen, die Franzosen in alle Himmel erheben, — Ditters Gassenhauer zitieren und von der g�ttlichen Mi� Siddons schw�rmen, — aufspringen, die kleine Spieluhr aus Paris mit dem eingelegten Rosenkr�nzchen auf dem polierten Deckel herbeiholen, die dem R�schen mitgebracht worden war, sie aufziehen und das kleine Menuett von Rameau tr�nenden Auges mitsummen, — dann von den indischen Shawls der englischen Damen fabulieren und Therese anblinzeln, auch von einem wei�en Kreppflor zum Kleide Andeutungen machen und von einem Teppich, der unter The Resolution liegen sollte und kleinen F��en im Winter zur Erw�rmung dienen, — kurzum, gespr�chig sein, munter, munter, und Humboldt zum Trinken n�tigen! S�mmerring, der vertrug das ja nicht, — aber stand da nicht Huber unter der T�re? „Endlich, endlich, teurer Freund und Bruder!“ Redete ihm Huber zu, doch Platz zu behalten, f�hrte er ihn zu seinem Stuhl zur�ck, weil er ein wenig taumelte? Sa� dieser Huber in seinen prall anliegenden Escarpins und im bordeauxroten Frack nun l�chelnd an seiner Rechten und legte die Hand auf seine Schulter, wie Therese es im gleichen Augenblick an seiner Linken tat, und sagte sie da nicht mit �berschlagender Stimme: „Huber, Huber, wie ist Ihnen? Da haben wir ihn wieder!“ Warum starrte die Forkel so t�richt in ihren Scho�, warum sa� S�mmerring so d�ster da und Humboldt so ratlos? Er, George, w�rde jetzt einen Scherz machen, man gebe acht. Er hob den Zeigefinger: „Huber, Huber, Sie trugen sich doch sonst so dunkel, ei, ei, sind Sie wie ein Vogelm�nnchen in der Brunstzeit am sch�nsten befiedert?“

Es lacht ja niemand sehr, dachte er, mit schweren Augen in die Runde sp�hend, und gleichzeitig: warum �brigens eigentlich Brunstzeit? „Und singen Sie dann auch?“ f�gte er z�gernd hinzu. Er erwartete durchaus keine Antwort, gab den Kreiselbewegungen seines Gehirns nach und versank in ein leeres Vorsichhinbr�ten. Endlich wieder zu sich kommend erblickte er Humboldt mit S�mmerring in angelegentlicher Unterhaltung, sah die Forkel schl�frig und vereinsamt und h�rte �ber sich weggehen ruhiges Gespr�ch zwischen Therese und Huber. „Wenn die Ehem�nner des Mittelalters auf Reisen gingen, legten sie ihren Frauen einen Keuschheitsg�rtel an, zu dem sie allein den Schl�ssel besa�en …“ Oh, mein Gott, hatte er das eben laut ausgesprochen? Nein doch, nein doch, auf welche Gedanken kam er! Er hatte es nicht gesagt, nein doch, sie redeten ja alle ruhig fort, er sa� da wie im Theater und h�rte zu. Aber, — nochmals! — mein Gott, mein Gott! Ich bin doch selber auf der B�hne, und was ist denn hier nun meine Rolle?

Es war eine Pantomime von f�rchterlicher Lautlosigkeit. Dergleichen erleben wir in Tr�umen. Vorg�nge allt�glichster Art spielen sich um uns her ab, es lachen Menschen, es trauern Menschen, es tanzen Menschen, sie winken sich zu, sie gehen Hand in Hand und trennen sich wieder, — vielleicht pfl�cken Kinder Blumen und gehen im Ringelreihen, vielleicht steht irgendwo in einer r�tselhaft engen Stra�e ein Haus in Flammen und aus den Fenstern beugen sich in Todesangst Gestalten, die wir lieben, und wir stehen gel�hmt in der Ferne, — holde und doch schreckliche Masken, die wir nicht deuten k�nnen, wandeln an uns vor�ber. Es hat alles eine Beziehung auf uns, eine geheime wahnwitzige Bedeutsamkeit, auch die geringste Geb�rde, das Fallen einer Apfelbl�te vom Baum und das Zerbrechen eines Spielzeugs. Wir stehen und f�hlen den Wirbel, der unsere Ebene mit allem, was unser, ach, unser, von unsern Augen, unserem Schicksalskreis allein bedingter Horizont umschlie�t, ergriffen hat, einen Wirbel, so rasend, da� wir ihn empfinden wie Stillstand, und nur durch den Luftdruck, der uns dem Atem benimmt, wissen, es geht abw�rts, es — geht unter. Wir stehen und warten auf das Zeichen, warten auf den Fall der Apfelbl�te oder ein ruchloses L�cheln oder das Nicken eines gigantischen Hauptes, — auf das Zeichen, das wir erkennen, auf das hin wir hineinschreiten werden in die stumme schreckliche Handlung, um unsere Sendung zu erf�llen. —

Durch die innersten Windungen des Labyrinthes f�hrt uns der t�dliche Wirbel der Sinnlosigkeit. —

Riesenhaft und drohend in Unberechenbarkeit wankten die Lenker des europ�ischen Geschicks um den �u�eren Umkreis der Szene. Mirabeau versank und mit ihm fiel Bourbon, an ihrer Stelle stieg apokalyptische Ungestalt, die Souver�nit�t des Volkes. Preu�en und �sterreich ballten ihre Macht zusammen. In der Affaire von L�ttich gab es ein Miniaturvorspiel, eine Ouvert�re, in der alles enthalten war, was die Zukunft bringen sollte. Die Atmosph�re war mit ungeheurer Spannung geladen, Funken zuckten hin�ber und her�ber, irrten ab, erschlugen in Schweden den K�nig, lie�en hier und dort winzige Aufst�nde aufprasseln und im gr�nen gespenstischen Schein des Wetterleuchtens uralte Zust�nde fremd und verwest daliegen, wie Tote, die man verga� zu begraben. Die Fl�chtlinge von Westen mehrten sich und fanden im Kurf�rsten von Mainz einen cher p�re et protecteur, der seine Sonne aufgehen lie� �ber Cond�, Artois und allem, was zu ihnen schwur, und der es v�llig �berh�rte, da� es auch die Bezeichnungen eines Abb� de Mayence und eines Gentilhomme parvenu f�r ihn gab. Studenten und Z�nfte pr�gelten sich und altgediente Professoren bekamen blutige Kopfe, die Pfaffensoldaten, die auf das Volk von L�ttich hatten schie�en m�ssen, kamen heim und nahmen ihren alten Dienst wieder auf, bei den Prozessionen und Hoffesten Spalier zu stehen. Die Lesegesellschaft, zusammengesetzt aus Beamten und Gelehrten, Schullehrern und Kaufleuten, n�hrte sich nicht mehr allein vom Belles-lettres-Fach und den Naturwissenschaften, sondern von Pariser Flugschriften, und im Universit�ts-Kaffeehaus in der Quintinsgasse hob der Kellner Vespery, der sich selbst gern als einen Polyhistor und Tausendsasa bezeichnete, den Moniteur neuesten Datums f�r seine G�nstlinge auf.

Sonst aber, — noch kein Anla�, sein Leben zu �ndern! —

Es gab f�r George eine neue, vorteilhafte und vielversprechende Verbindung mit der Vossischen Buchhandlung in Berlin. Es gab neben der Ausarbeitung seiner j�ngsten Reiseerinnerungen, die dem Publikum allm�hlich in drei B�ndchen unter dem Titel „Ansichten vom Niederrhein“ dargeboten werden sollten, endlose Rezensionen, endlose �bersetzungen, endlose, endlose Lohn- und Frohnschreibereien. Es gab literarisch-politische Erregungen, etwa �ber Hohlk�pfe und Per�ckenst�cke, die die Revolution angriffen, wie Herr Girtanner in G�ttingen oder �ber einen englischen fat, der sein Licht gegen ihre Schattenseiten leuchten lie� und gegen sie andeklamierte, wie Burke in London, es gab zuweilen einmal Grund, sich selbst als den M��igen, Klugen, Gerechten zu empfinden, wenn ein Mann wie Schlosser — oder ein anderer, — die Franzosen verdammte, — gab Gelegenheit, sich als den Sparsamen, Haush�lterischen, Zur�ckhaltenden zu loben, wenn man wahrnahm, wie ein Liebling des Publikums, der so verg�tterte Goethe in Weimar, ein Ding auf den Markt zu bringen wagte, wie den „Gro�-Kophta“, ein fades Machwerk ohne einen einzigen Gedanken darin! Nun wenigstens war George Forster so ausgelaugt noch nicht, wenn schon noch kein Liebling der Lesewelt. Dies w�rde bald kommen. M�chten nur die Herren, die f�r ihre M�dchen, L�ufer, Lakaien und Musikanten oder Poeten (siehe den Herzog von Sachsen-Weimar!) t�glich Hunderte ausgaben, m�chten sie doch nur erst endlich einsehen, da� sie mehr Ruhm davon h�tten, wenn sie einen Gelehrten, dessen Werk ihren Namen durch die Jahrhunderte tragen w�rde, derma�en unterst�tzten, da� er vom Joch der Tagesschriftstellerei befreit schreiben k�nnte, zum ersten: das Descriptio plantarum der S�dsee, und zum zweiten: die Geschichte der S�dseeinseln. Weiteres w�rde sich einstellen. Auf der Suche nach solcher F�rstengunst schrieb man dann an M�ller, an Dohm, an Vo�, unter ausf�hrlicher Darlegung aller Schwierigkeiten, mit denen man zu k�mpfen hatte, erntete verlegene Gegenbriefe, Ratschl�ge und verh�llte Ablehnungen und hatte Anla�, sich gegen�ber einer ausgearteten Hierarchie und Aristokratie als Glied einer edleren und besseren Mittelklasse zu f�hlen, — keinen Anla�, sein Leben zu �ndern.

Wollte der alte Heyne wieder erziehen? Stellte er warnende Beispiele von verschwenderischen Herren aus G�ttinger Universit�tskreisen auf, mit denen es dann schief gegangen war? Von lauter Herren mit Vorliebe f�r englische Fa�ons und englisches Mahagoni!? Rang er von ferne die H�nde �ber Georges politische Ansichten, die doch wei� Gott, sich milde genug �u�erten, und warnte er, warnte er?! Sprach er von „dem Zentrum des Studierst�bchens, von dem aus er ohne zu staunen durch ein klein Fenster oder einen Ritz das Narrenspiel der Welt mit ans�he“? Oh, wu�te denn dieser alte Mann, was seine Frau Tochter bei ihrem Lilienleben auf dem Felde verbrauchte und wer im Hause es eigentlich war, der den Ofen des politischen Enragements nicht ausgehen lie�? Ei, da hatte er Anla�, vom Geist hann�verischer Teegesellschaften zu reden und von dem Geist Englisch-Hannovers im allgemeinen, — von wo aus sich unschwer der �bergang bot, auf den Geist Alt-Englands �berhaupt zu kommen und auf alte Geschichten, — Anla� somit, sich gr�ndlich auszusprechen, keinen Anla� indessen, sein Leben zu �ndern.

G�ste kamen und gingen durchs Haus, durchreisende und die alten in Mainz ans�ssigen Freunde. Zu dem Kreise um den abendlichen Teetisch gesellte sich zuweilen August Lux, ein junger Rousseau-Schw�rmer, der drau�en in Kostheim sein kleines Landgut bestellte, ein Kind nach dem andern zeugte und es in seliger Freiheit mit seinen K�lbern und Ferkeln aufwachsen lie�, — zuweilen der Ingenieur Eikmeyer, der Ausbauer der Festungswerke, — es gab unendliches spekulatives Raisonnement, wozu die Nachrichten und Ger�chte des Tages mehr Stoff als gen�gend boten.

Und da war seit dem Fr�hjahr 1792 Karoline B�hmer, die verwitwete Karoline, die mit ihrer kleinen Tochter einen Zufluchtsort gesucht hatte und von Therese mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit nach Mainz eingeladen worden war. Oh, Therese hatte ein so starkes Menschenbed�rfnis und besa� in Mainz noch immer keine Freundin, denn Frau Forkel kam nicht in Betracht. Was war also Wunderbares an dem Wunsch, Karoline in der N�he zu haben, Karoline, die nun t�glich ins Haus kam und mit der milden Heiterkeit ihres Geistes an allem teilnahm, was die Freunde betraf?

Jedoch es kam auf alles dieses garnicht an. Auf dem Hintergrund der Tage voll Arbeit, Krankheit, M�hsal, voller verschlungener Jahreszeiten mit Blumensprie�en, Ernte und Bl�tterfall, auf dem Hintergrund, in den die Gestalten der Freunde hineingewebt waren wie wandelnde Gobelinfiguren und auf den das europ�ische Geschehen Widerschein und Schatten warf, auf diesem Hintergrund spielte sich das Folgende ab. —

Es waren zwei zeitlich fast durch ein Jahr voneinander getrennte h�usliche Ereignisse, aber f�r George schmolzen sie seltsam in eins zusammen und er vermochte sie sp�ter in der Erinnerung nicht voneinander zu trennen. Sie begannen damit, da� seine Arbeitsruhe gest�rt war durch eine Beobachtung, die er sich zun�chst nicht eingestehen, die er nicht wahr haben wollte und vor der er sich in die Bibliothek zur�ckzog, um sich dort wochenlang zu vergraben. Immerhin nutzte es nichts, dann bei den Mahlzeiten und abends bis zum Einschlafen den Gespr�chigen zu spielen, ja den rei�end Geschw�tzigen, der sich Mitteilungen des anderen in den kurzen Stunden des Beisammenseins weislich vom Leibe zu halten wu�te, nutzte nichts, wenn man sich leidender gab, als man wirklich war, und in Haltung und Geb�rde die verzweifelte Bitte ausdr�ckte, einen mit folgenschweren Mitteilungen zu verschonen. Dies alles lie� sich h�chstens sechs bis acht Wochen durchf�hren und dann, — dann kam eben doch der Abend, an dem es Hohn gewesen w�re, sich dem Augenschein l�nger zu verschlie�en, an dem er �brigens pl�tzlich von Gewissensangst, Pflichten vers�umt zu haben, tief beunruhigt fragen mu�te: „Ist es an dem, Therese, — ist es denn wirklich an dem?“

Das Besondere war, da� Therese, die ihn in der Erwartung des R�schens und der kleinen Claire immer von ihren Hoffnungen unterrichtet hatte, fast noch ehe sie sich bestimmter Anzeichen erfreuen konnte, ihn bei diesen beiden Kindern ganz seinen eigenen Ahnungen und Wahrnehmungen �berlie�, da� sie die k�rperliche Anf�lligkeit der ersten Monate in keiner Weise zur Schau trug und ihr M�glichstes tat, durch eine passende Kleidung den wachsenden Umfang ihres Leibes zu verbergen, so da� er von beiden Kindern erst erfuhr, als die Mutter ihr Leben schon f�hlte und auch dann erst auf jene Frage hin, die er nicht mehr unterdr�cken zu k�nnen glaubte. Dies, so stellte er �ber seine Arbeit geb�ckt aber stundenlang ohne fortzuarbeiten gr�belnd fest, dies war R�cksichtnahme von Therese, ohne Zweifel. Er bewegte den Kopf leise hin und her und st�hnte, begegnete seitlich blickend, als wollte er vor irgend etwas ausweichen oder suchte etwas, seinem in der zur�ckgeschlagenen Scheibe des offnen Fensters gespiegelten Bilde und starrte erschrocken hin. War er denn das, der den Kopf so zwischen die Schultern zog, der so scharfe Falten von der Nase zum Munde hatte, zu diesem in Qual verzerrten und lautlos ge�ffneten Munde? Hatte er diese Augen mit der zerknitterten Stirn, den gewulsteten Brauen dar�ber, diese Augen voll Abwehr, Argwohn und Angst? Oh, abgewandt von diesem tr�ben Spiegelbild richtete er sich hastig auf, ordnete seine Z�ge durch ein L�cheln von innen heraus, wie er meinte, und sagte sich von neuem: R�cksicht war es und R�cksicht allein, der Wunsch, ihm Zukunftssorgen so lange wie m�glich zu ersparen, Liebe also, f�r die er zu danken hatte, auf Knien zu danken! R�cksicht jedoch, hatte er seit seiner Heimkehr aus England gelernt, konnte f�rchterlich, konnte erstickend, konnte zum Fluch werden. Er begriff es nicht, warum jetzt fortw�hrend R�cksichten auf ihn genommen wurden, auf seine Appetite, seine Launen, seine Zeiteinteilung, seine W�nsche �ber Kindererziehung, auf sein Befinden, seinen Geschmack in allen und jeden Dingen, — da� er fortw�hrend gefragt wurde, ob er zufrieden sei, ob er’s auch anders haben wollte? Da� das R�schen angehalten wurde, auf den Fu�spitzen zu gehen und nicht zu plaudern, wenn er Kopfschmerzen hatte, da� das kleine t�richte Clairchen dann wenn es schrie in das entlegenste Zimmer verbannt wurde; da� niemand mehr hinging und auf seinem Schreibtisch Ordnung machte, was er sich fr�her zu hundert Malen umsonst verbeten hatte; da� bei Tisch Gespr�che fallen gelassen wurden, wenn er merken lie�, da� sie ihn verstimmten; da� er so viel angel�chelt wurde; da� die Umschl�ge, Einreibungen und Medikamente f�r ihn immer vorhanden waren. Alles, alles dieses, das er fr�her entbehrt hatte, bis er die Entbehrung gew�hnt gewesen war, er besa� es jetzt im �berflu�, er ging wie auf Watte, seine W�nde waren gepolstert, Therese pflegte ihn und Huber schonte ihn und beide waren so einig darin, da� er geliebt werden m�sse. Sie blickten sich an, und dann kam ein Vorschlag, der ihm Freude machen sollte, etwa, ob er nicht einmal wieder auf den Abend die Kupfer zur S�dseereise ausbreiten und ihnen erkl�ren wolle, oder die australischen Muscheln zeigen oder aus den „Ansichten“ vorlesen, — sie blickten sich an und dann zog sich Huber zur�ck, und er blieb mit Therese allein, — sie blickten sich an, und dann �berredeten sie ihn gemeinsam zu dem oder jenem, wozu er vorher keine Lust gehabt hatte. Und mit der Zeit blickten sie sich auch garnicht mehr erst an, sondern was der eine meinte, das sprach der andere aus, sie waren aufeinander eingespielt, waren in einem Einverst�ndnis der Liebe zu ihm, wu�ten ihn zu nehmen, — oh, und er, anstatt dankbar zu sein, anstatt auf den Knien zu lobpreisen f�r das Himmelsgeschenk, das ihm da wurde, er knirschte, er ballte heimlich die F�uste, er h�tte gerne um sich geschlagen und Luft gemacht — und wu�te doch, das w�re wie ein Schlag ins Wasser gewesen oder ein Versinken in Federkissen! Denn sie waren so unangreifbar freundlich, die beiden, ihre Gelassenheit so unzerst�rbar, so ruhig der Glanz der Heiterkeit auf ihren Stirnen. Und da hatten sie es nun f�r gut befunden, ihm vorzuenthalten, da� er wieder Vater werden sollte, — oder nein doch, Therese hatte es f�r gut befunden, es ihm und aller Welt und somit auch Huber so lange zu verbergen, als es immer nur anging. Er erkl�rte es sich ja, er verstand, — es waren diese beiden jungen M�nner am Tisch, Huber und Mr. Brand mit seiner englischen Pr�derie, da durfte selbst er es nicht wissen, ehe es nicht mehr zu umgehen war, nur damit er durch F�rsorge und Aufmerksamkeiten die Blicke nicht auf sie z�ge. So war es, redete er sich ein, nat�rlich, so war es! Was sollte es auch sonst …

Oh, Huber war der beste, treueste Freund, er nahm wie ein Bruder an allem teil, was seine Forsters anging! Er war es, der in den N�chten, wenn die Entbindungen herannahten, kaum schlief, sich h�chstens angekleidet niederlegte oder stundenlang auf- und niederging, — man konnte seine leisen ruhelosen Schritte in der ehelichen Schlafkammer vernehmen. Er war es, der dann zur Hebamme lief, den weiten Weg durch die ganze Stadt zum C�strich, den des Nachts keine Magd allein machen wollte, w�hrend George am Bette der Leidenden sa�, bereit, die erste Hilfe zu leisten, halber Mediziner, der er einmal war.

Dann waren diese Stunden des Wartens, erf�llt vom herben Duft des schnell entfachten Holzfeuers im Ofen, das sausend brannte, vom Geruch nach Fenchel und Baldrian, und unruhig gemacht von der aufgeregten Gesch�ftigkeit der M�gde. Da war das Stimmchen eines der Kinder, das, im Schlaf gest�rt, klagend weinte und m�hlich wieder verstummte. Da war Theresens Fl�stern: „da� nur Brand nicht geweckt wird, — sie sollten doch leiser gehen …“ und wenn er dann auf den Fu�spitzen auf den Flur gegangen und zur Vorsicht gemahnt hatte, ihr dankbarer Blick und dann wieder ihre Augen geradeaus gerichtet ohne Ziel oder mit einem Ziel im Unsichtbaren, bis von neuem die ratlose Angst hindurchflackerte, um gleich einem Ausbruch unbedingter Entschlossenheit zu weichen, bei dem die kleinen H�nde sich ballten, der Kopf zur�ckgeworfen ward, der ganze K�rper sich straffte und so dem Krampf der Wehe begegnete. Sie griff nicht nach seinen H�nden, o nein, — aber warum wagte er es denn auch nicht, die ihren zu fassen, warum redete er ihr nicht zu, sich festzuhalten, warum st�tzte er sie nicht, wie er doch so gern getan h�tte, — warum sa� er hier und starrte aus einer entsetzlichen Ferne des Herzens hin�ber in ihren Kampf? Warum konnte er nicht zu ihr, warum lag diese undurchdringliche Einsamkeit des Stolzes und der Tapferkeit um sie her?

„Therese …“ murmelte er ersch�ttert, wenn es vorbei war, ja, und sie l�chelte ihn an mit einem vergehenden L�cheln von G�te, als sei er es, der gelitten habe. Er legte die Hand �ber die Augen.

„Wie lange ist er schon fort?“ fl�sterte sie.

George sah auf seine Uhr: „Eine Viertelstunde, — noch ein wenig Geduld …“

Drau�en schleuderte der Wind Regenschauer gegen die Fensterscheiben, — immer waren dies Fr�hlingsn�chte. Immer murmelte Therese dann etwas wie: „Da� er nun so hinausgelaufen ist mitten in der Nacht“ und „Ist er nicht gut?“ Immer meinte George darauf antworten zu m�ssen wie auf einen unausgesprochenen Vorwurf, da� er ja doch auch gegangen sein w�rde, aber wer w�re dann bei ihr gewesen? Immer war dann dies unbegreifliche L�cheln der G�te wieder, die Hand, die seine streichelte und schnell wieder fortging. Dann hastige kleine Worte �ber h�usliche Angelegenheiten, — da� man nicht vergessen m�ge, den Dachdecker kommen zu lassen, es regnete oben an einer Stelle ins Haus, die Lise w�rde schon wissen. Da� sein, Georges, englischer Castorhut zum K�rschner m�sse, er m�ge daran denken und keine Visiten mehr damit machen. Da� in der Bodenkammer im Bettkasten obenauf baumwollenes Zeug zu warmen Unterr�ckchen f�r die Kinder liege und auch Strickgarn f�r neue Winterstr�mpfchen, — ach, die Lise wisse ja Bescheid, an die Lise k�nne er sich in allen F�llen halten. W�hrend sie von einer neuen Wehe gepackt verstummte, dachte er, er wisse wohl sehr gut, was sie damit meinte mit diesem „in allen F�llen“, befand es aber f�r gut, sich nichts merken zu lassen. Sie, ersch�pft vom Schmerz, fl�sterte noch: „Huber bat mich gestern abend noch, an seinem roten Frack einen Knopf anzun�hen, erinnere doch Lise …“ drehte den Kopf auf die Seite und gab sich aufatmend einem leichten Schlummer hin, w�hrend er nun, die Wange in die Hand gelegt, reglos in die flackernde Kerze sah. Die sonderbare Abgel�stheit dieser Stunde aus dem Alltag gab ihm eine Art von Trunkenheit, ein Gef�hl, �berwach zu sein, gab ihm die T�uschung, vor Entscheidungen gestellt zu sein, oh, endlich nackt vor Gott zu stehen, vor Gott allein. In solchen Stunden schien das ganze Leben gerechtfertigt und leicht und s��, von heller weiser Lieblichkeit, wie die Qu�lereien einer grausamen Geliebten in der Stunde, da sie sich ergibt. In solchen Stunden war die Erinnerung an den K�nig Minos z�rtlich und ganz ohne Bitterkeit, obgleich dieser K�nig Minos eben in diesen Jahren wieder begonnen hatte, sich alter Gewohnheiten zu entsinnen und dem Sohn in jedem Briefe seine Einnahmen nachrechnete, um sie mit den eigenen zu vergleichen. In solchen Stunden schaukelte George auf dem Gartenpf�rtchen zu Nassenhuben und sp�rte den alten Abendwind der Kindheit vor der dunklen Nacht und alles, was an dem Wege von jenem Garten bis zu dieser dunklen Fr�hlingsnacht gewesen war, lag in dem verzaubernden Schein der Ahnung mehr noch als im verkl�renden der Erinnerung. Er tr�umte sich da einen fabelhaften Strom, Schiffe, von heldenhaften M�nnern gef�hrt, Meerwunder, unerh�rte V�gel, Pisanghaine, T�rme, Pal�ste, Tore, S�ulen, Dome, Minaretts aus edelsteinblauem, von Feuer durchgl�htem Eis. Er war ein sonderbarer kleiner Knabe unter anderen sonderbaren kleinen Knaben in Deutschland, sie w�rden alle ihren Weg machen und im Zauberwald des Lebens gro�e Taten tun und ihre kleinen knospenhaften Namen w�rden bl�hen. Sein Name unter den gro�en des Zeitalters, — er l�chelte. �ber das in seinen Kr�mpfen schwer atmende Weib hin�ber dachte er an den Mann, der sich jetzt aus ihrer Erdverbundenheit zum Lichte rang, — dachte an einen Sohn aus seinem Blut und Geist. — Er schrak auf. Therese, l�ngst erwacht, mit bangen wandernden Augen und in Bedr�ngung �chzend, hatte gefl�stert: „Da kommt er, Gottlob!“ Hatte er die Haust�r �berh�ren k�nnen? Schritte kamen die Treppe hinauf, da waren Stimmen … „Ja, sie ist es!“ sagte er erl�st und indem er der Wittib Schippel seinen Platz am Bett einr�umte, gab er sich selbst in Hubers Freundesh�nde. Und Huber war der beste sorgende Freund, er lie� Kaffee bereiten, er machte f�r den Todm�den ein Lager auf dem gr�nen Kanapee zurecht. George, nun wirklich in Halbschlaf versinkend, erblickte in den Pausen seiner Bet�ubung immer wieder den langen gebeugten Schatten des andern, der lautlos durch das Zimmer wanderte, stehen blieb, wenn das Jammern der Leidenden anschwellend her�berklang, — diesen Schatten im Zwielicht der abgeblendeten Kerze, der Seufzer ausstie�, die Hand �ber die Augen legte, st�hnte. „Mein Huber hat ein weiches Herz“, dachte George, fl�sterte es sich innerlich eifrig und schnell zu, und beobachtete den andern durch halbgeschlossene Lider unabl�ssig, die Kn�chel der ganz verkrampften Hand gegen die Z�hne gepre�t. „Mein Huber hat ein weiches Herz, das fremde Leiden r�hrt ihn allzusehr, — mein Huber hat ein gar zu weiches Herz …“

„Huber! Es ist eine Tochter!“ sprach er, gegen Morgen aus der Wochenstube tretend, — aber s��er klang es ihm selbst im April 1792, als er mit den Worten, — nun, Worten, die er im �berschwang des Augenblicks nicht abgewogen hatte! — an die Brust des Freundes sank:

„Mein Huber! Wir haben einen Sohn!“

Und Huber, — oh ja, er hatte wohl ein weiches Herz, er hatte mitgelitten, aber nun schluchzte er vor Freude und dann lachte er wie gesch�ttelt, die Arme um Georges Schultern gelegt, den Kopf abgewandt, — lachte und wurde mit einem Schlage wieder tiefernst. Er folgte George an Theresens Bett, sie hatte den Wunsch ausgesprochen, ihm zu danken, der so treu mitgewacht hatte, er stand von ferne, mit h�ngenden Armen und gesenktem Kopf auf sie hinblickend, die, den Neugeborenen im Arm, zu ihm aufl�chelte. Und da war kein Wort im Zimmer, aber etwas wie Frage und Antwort, ausgedr�ckt in einer unh�rbaren s��en Musik, die auch George mit einem verborgenen Organ der Seele vernehmen, die er aber nicht deuten konnte, an der er herumr�tselte, — und da war es auch schon vorbei, und Huber schlich auf den Zehenspitzen hinaus und er folgte ihm, und da war ein neuer grauer Tag und da lag wartend die Arbeit von gestern, — nein, diese Nacht hatte nicht vermocht, das Leben zu erneuern. — —

An Christian Friedrich Vo�, den Verleger, der zum Freunde geworden war, schrieb George, — und er tat dies, als die kleine Tochter Louise schon seit sechs Monaten den guten Platz am Herzen liebender Eltern und Geschwister wieder verlassen und ihn mit einem Bettchen unter dem Rasen des St. Christoph-Friedhofes vertauscht hatte, — George also schrieb am Morgen des 24. April 1792 an den guten Vo� in Berlin:

„Ich bin am Sonnabend von meiner Frau mit einem jungen Sohn beschenkt worden. Sie, mein g�tiger Freund, werden Anteil an unseren Empfindungen bei dieser Gelegenheit nehmen. Sie sind Empfindungen von gemischter Art; Freude, da� der kritische Zeitpunkt gl�cklich �berstanden ist, da� alles gut geht, Mutter und Kind gesund sind; Freude, da� der Mann, der einmal den h�uslichen Kreis einem gl�nzenden Gl�ck vorgezogen hat, nun auch die Bestimmung n�her vor sich sieht, gewisse Ideen- und Gedankenreihen, die in einen weiblichen Kopf nie recht passen, dennoch einem seiner Kinder �bertragen zu k�nnen und zu sollen; aber dies gemischt mit den Besorgnissen aller Schwierigkeiten, welche sich zwischen jenen Zeitpunkt der vollendetsten Erziehung und diese Aussicht aus der Ferne noch h�ufen und sie vereiteln k�nnen, mit dem Gef�hl vervielf�ltigter Pflichten und vermehrter Beschwerde auf dem Pfad des Lebens, — vor allem mit dem Gedanken, da� das k�nftige Gl�ck und die Zufriedenheit noch eines Menschen nun wieder von unserm Handeln abh�ngen mu�. — Ich wollte wirklich so ernsthaft nicht werden, lieber Freund, allein was sich jetzt in Kopf und Herzen regt, dr�ngt sich auch wider Willen hervor. Sie halten mir diese Mitteilung meiner selbst zu gute. — Und nun zu unseren Gesch�ften …“

Der Mann, der „einmal den h�uslichen Kreis einem gl�nzenden Gl�ck vorgezogen hatte“ — gleichviel, ob man jenes gl�nzende Gl�ck zu keiner Zeit seines Lebens enger h�tte umschreiben k�nnen, denn mit dem Begriff einer Fata Morgana, dieser Mann fragte sich in den folgenden Monaten zuweilen, ob es denn nun eingetreten sei, da� Sorge und M�hsal ihn vor der Zeit h�tten altern lassen, so da� er Jugend und Frohsinn nicht mehr verst�nde. Denn er sa� in seinem h�uslichen Kreis wie ein Fremder, wie ein tagfremder Uhu, den Singv�gel uml�rmten, in diesem h�uslichen Kreise, den ein unbegreiflicher Taumel beherrschte. Ein Glas Wein nach Tagesschlu�, gewi�, er verschm�hte es nicht, es erw�rmte sein langsames Blut, es belebte f�r eine Stunde seinen erm�deten Geist, — mu�te jedoch Abend f�r Abend Wein getrunken werden? Kam er nicht aus seinem eigenen Keller, so hatten Huber oder Brand ein paar Bouteillen mitgebracht. Die Fenster standen alle weit ge�ffnet, milde, duftschwere Mailuft wogte herein, bl�hende Obstbaumzweige oder Fliederstr�u�e schm�ckten das Zimmer und auf dem gr�nen Kanapee thronten Therese und Karoline und hielten Hof. Wie einst f�hlte er jene unerkl�rliche W�rme von Karoline auf sich ausstrahlen, sah sie heiter, gelassen und anmutig, wo Therese sprunghaft, ungeduldig und von einer sonderbaren Bitterkeit des Ausdrucks war, versuchte zu vergleichen, — und wu�te, da� er Theresen angeh�rte, Theresen allein und f�r immer, mochte sie sanft und s�� sein, wie sie es in jenem ersten Winter in dieser Wohnung gewesen, oder von der geistig aufgeregten Heftigkeit, die sie jetzt ununterbrochen sch�ngeistern und politisieren lie� und in Betrachtung der neusten Ereignisse in Paris leidenschaftlich Partei ergreifen, — f�r Frankreich nat�rlich, f�r Frankreich und die Freiheit und gegen alle Despoten Europas, den ungl�cklichen Ludwig eingeschlossen. Karoline lie� dann nicht von ihrem spielenden L�cheln, das jeden streifte und es nicht zu begreifen schien, wieso man sich derma�en echauffieren k�nne, da denn doch alles aufs Menschlichste zu erkl�ren sei, — Karoline sprach dann zuweilen ein Wort, das erstaunlich klug und einfach den Gegenstand des Gespr�ches auf einmal abtat, — Karoline wandte sich manchmal ganz ihm zu, wenn er still und m�de dasa�, sie lockte ihn aus sich heraus, sie war geduldig lauschend, war freundlich, — dennoch, in ihrer Gegenwart sp�rte er st�rker als seit Jahren, da� er Theresens bedurfte und Theresens allein. Es war nicht recht von Therese, da� sie die Eifers�chtige spielte, freilich, nur spielte, nur mit kleinen Neckereien, mit verstelltem Schmollen, mit Redewendungen, wie: nun, sie wolle das t�te � t�te nicht st�ren, wenn er einmal in ein Gespr�ch mit der Freundin versenkt war. Es war nicht recht von ihr und entz�ckte ihn doch und er mu�te dann nachher zu ihr kommen und sich mit vielen Worten rechtfertigen, ungeschickten kleinen Worten, die sie ungern anh�rte: „Aber ich bitte dich, lieber Freund, — es war doch nur Scherz!“ und „ich g�nne es dir doch wahrhaftig …“ Oh, was mi�verstand sie nur? oder wollte sie mi�verstehen? Sie lie� ihn mit Karoline allein, tauschte Blicke mit Huber, wenn er im allgemeinen Gespr�ch sich einmal ereiferte und dann ohne es zu wollen, in diese aufmerksamsten und stillsten Augen am Tisch hineinsprach, deren Ausdruck ganz allm�hlich in L�cheln �berging. Er sprach von der „Sakontala“, er tr�umte redend den Traum von Indien, feurig phantasierend, unerachtet Mr. Brands skeptischen L�chelns �ber den Rand des Glases hin�ber, — ein Deutscher konnte den Wundersamen freilich besser zum Keimen bringen als ein verkn�cherter Engl�nder mit den Voraussetzungen des Warren-Hastings-Prozesses und den gewinns�chtigen Spekulationen der jungen East Indian Company, die sich gierig wie ein Geier auf jene unerh�rte Beute gest�rzt hatte. Deutschland war bestimmt, das tausendj�hrige Herz des erstgeborenen Bruders wieder zu erl�sen! �ber seinem Schw�rmen wu�te er doch immer jede Bewegung Theresens und da� sie sich vom Tisch erhoben hatte und mit ihren Schritten Huber nach sich ans Spinett zog, — wu�te, da� Huber sich jetzt dort vor den Tasten niederlie� und zu ihr aufblickte, die �ber den Deckel gelehnt, das Kinn in die Hand gest�tzt, auf ihn einsprach, und versuchte verzweifelt den Gegenstand jenes halb fl�sternd gef�hrten Gespr�ches zu erraten. Sprachen sie denn wieder von dem kleinen Jungen, von seinem kleinen Jungen, mit dem so viel vor sich ging, das er nicht erfuhr, oder nur, wenn man sich allein, ohne ihn aus der Bibliothek, aus seinem Kabinett herbeizurufen, �ber einen neuen Krampfanfall gesorgt, mit Wedekind, dem Arzt, und mit Huber zur Seite, — aber ohne ihn, den Vater? Der Vater bedurfte der Schonung, der R�cksicht, der Arbeitsruhe. Es gab Stunden, die k�mpfte ein wackeres Weib allein mit ihrem Gott durch. Nun ja, — m�chte sie doch nur allein mit ihrem Gott und allenfalls mit Wedekind gewesen sein! Wenn der kleine Junge so elend war und wachsbleich, — warum mu�te dann abends hier Wein getrunken, gesungen und getanzt werden? �brigens f�hlte er sich gar nicht imstande, seinem dunkeln Widerstreben Ausdruck zu leihen. Wenn sich die Unterhaltung um ihn her in Hist�rchen und Anekdoten aufl�ste, wenn Huber anfing, sich zu seinen Arien auf der Laute zu akkompagnieren, wenn die Forkel sich erbitten lie�, den einzigen Tanz zu spielen, den sie beherrschte, dieses ewige Menuett von Gossec, zu dem Karoline dann mit einem unsichtbaren Partner ihre Pas und Komplimente machte, — was hatte er also zu schaffen mit dieser tanzenden l�chelnden Dame? — fragte er sich, — wenn dann um Mitternacht Wedekind auftrat, um den Lustbarkeiten ein Ende zu machen, die Forkelin nachhause zu bringen und den einmal angebrochenen Bouteillen auf den Grund zu sehen, wie er sagte, — oh, so sa� George in einer Ecke des Kanapees bei der Kerze, scheinbar ins Journal des D�bats oder den Moniteur vertieft, im Herzen bitter entr�stet und ratlos, weil sie alle spielen durften und mochten und immer nur spielen, — nur er nicht. Merkte es wohl ein Mensch, nahm etwa Therese es wahr, wenn er aufstand, den einen Leuchter ergriff und in die Kammer ging? Dort stand er an der Wiege, das Licht mit der Hand sch�tzend, und starrte auf das winzige Gesicht, dessen bl�uliche Lider sich beim Schlafen nie ganz schlossen, so da� die Iris reglos und erschreckend durch den Spalt schimmerte. Ein Zucken lief mitunter �ber die blassen B�ckchen hin und durch diese mageren H�ndchen, die da auf dem Deckbett lagen, ausgestreckt und ergeben, wie die H�nde eines leidenden Erwachsenen. Was suchte er denn in den alten faltigen Z�gen des W�rmchens, warum ging er nicht wieder, da er doch sah, hier war alles in Ordnung? Der kleine George, dachte er langsam mit Erw�gung jedes einzelnen Wortes, sieht unter seinen Geschwistern nur der kleinen Louise �hnlich, der kleinen Louise, wie sie dalag und tot war. Warum wurde dr�ben gesungen, getrunken, gelacht, wenn der kleine George dalag und aussah wie tot? Er tastete sich trotz seines Leuchters durch den Saal zur�ck, als ginge er durch Dunkel. Pl�tzlich blieb er stehen, reckte den Arm mit dem Licht hoch und starrte b�se und gr�belnd hinauf zu seinem eigenen Bilde, zu diesem arglos liebensw�rdigen Antlitz da oben, das �ber ihn wegsah, als h�tte es nie etwas mit ihm gemein gehabt. —

Woher dies Feuer der Beredsamkeit? dachte jetzt George zuweilen am Familientisch, — nun, sa� Therese neuerdings auf kassandrischem Dreifu�? Sie hatte einen Menschen mit der cocarde tricolore durch die Gassen gehen sehen, hatte armes Volk untereinander auf die Reichen und die Pfaffen schimpfen h�ren, hatte sich auf dem Markt �ber die steigende Teuerung aufgeregt und sich die Schandtaten irgendwelcher Emigranten erz�hlen lassen, die sich doch wahrhaftig immer mehr geb�rdeten, wie die Herren im Lande. Therese also, durch eine Belanglosigkeit angeregt, Therese dozierte etwa so: Der Krieg, der sich da vorbereitete, der schon im Gange war, er war eine interne Angelegenheit der Franzosen, — kein Zweifel bestand f�r den Einsichtigen! Bruder gegen Bruder k�mpfte Frankreich verzweifelt um sein zerrissenes, blutendes, um sein heiliges Herz.

Dies sei sehr richtig bemerkt, mochte Huber hier einf�gen. Preu�en und �sterreich schmeichelten sich zwar in dem Wahn f�r die Ruhe Europas und somit f�r das eigene Interesse zu r�sten, indessen …

Indessen, dies lag auf der Hand, — Therese reckte lebhaft ihre kleine feste Hand mit gespreizten Fingern aus und zog sie hastig wieder zur�ck, als h�tte sie ein Geheimnis enth�llt, — auf der Hand lag es, da� l’ancien r�gime, da� Frankreich in Gestalt seines vertriebenen Adels ein deutsches Heer aufgeboten hatte, um Frankreich, um jenes rabiate Paris zu bew�ltigen! L’ancien r�gime, verachtens- und verabscheuensw�rdig, — oh, was hatte Huber dagegen einzuwenden? Die kleine Faust fiel leicht und kr�ftig auf die Tischplatte nieder, denn Huber hatte die breiten sch�n umrissenen Lippen ein wenig verzogen und bewegte schmerzlich den Kopf, wie von einem krassen Forte peinlich ber�hrt. Hatte der s�chsische charg� d’affaires noch so viel aristokratische Sympathien, da� er kein wahres Wort h�ren konnte? Huber hob nur abwehrend die Rechte: „Ah, l’ancien r�gime! Es war nicht ohne charme!“ Therese, sein verz�cktes Gesicht aufmerksam, fast neugierig betrachtend, streckte ihm pl�tzlich die Hand hin, z�rtlich ausrufend: „Huber! Ich verstehe auch diesen point de vue! Im Grunde aber sind Sie unserer Meinung!“ und fuhr dann fort, im Tone der Seherin darzustellen, wie l’ancien r�gime nun in der Pose unwiderstehlicher Bravour dastehe, bereit, mit Str�men fremden Blutes jene ridikulen Menschenrechte hinwegzuschwemmen, — w�hrend das andere Frankreich in Gestalt eines Heeres schlecht ausger�steter und mangelhaft bekleideter Soldaten, deren zuverl�ssigste Waffe ihr Herz war …

Eines Heeres begeisterter Kreuzfahrer, wie Huber nun von dem anderen point de vue aus schw�rmend einschob, die die heiligen Grabst�tten einer gro�en Vergangenheit zu neuem Leben befreien wollten …

W�hrend dies andere Frankreich im roten Westen unbeirrt seine Kolonnen formierte. F�hlte denn nur sie allein den Boden schon zittern unter dem Marschrhythmus der von Osten und Westen einander entgegenziehenden Armeen, war nur sie allein so prickelnd erregt von der Spannung dieser von Erwartung des Kommenden geladenen Luft, die jetzt �ber dem Rheinland lag? —

O nein, auch George f�hlte diese Spannung. Er f�hlte sie, als m�ndeten alle Strahlen des drohenden Sommerhimmels in der Kuppel seines unseligen Sch�dels, und hineingerissen in das unwiderstehliche Vibrieren des Lebens, das von Paris ausging, — mochte der Geist dort auch schon den Mord heilig gesprochen haben, — in dieser Stimmung schrieb George an den Schwiegervater, gelassen, als sei er an der Urheberschaft dieser Entwicklungen beteiligt: „Jacta est alea! Wir wollen nun aufh�ren, von Prinzipien zu sprechen. Die Appellation an das Recht des St�rkeren ist geschehen. Wir wollen sehen, wer der seyn wird.“ —

Der W�rfel war gefallen!

Dies war der Grund jener Erregung, die einstweilen zwecklos verlodern mu�te. Der W�rfel war gefallen, — deshalb, — nun erkannte er es! — galt es, die N�chte aufzusitzen, zu trinken, zu lachen, zynisch und bizarr zu reden. Wenn die Staaten ins Wanken gerieten, so war nichts zu tun, als die H�nde sinken zu lassen. Die Sache der Zukunft war es, der man angeh�rte, einer noch v�llig verschleierten, dunklen, ungewissen Sache. Wieder einmal, wenn man sich pr�fte, sah man sich selber als den nackten Menschen, dem Schicksal ausgeliefert, und es w�rde sich darum handeln, der Bestie gegen�ber das Ideal zu verteidigen. Indessen lag die Bestie noch unt�tig da, den Kopf auf den Pranken, t�ckisch blinzelnd. In einer solchen entsetzlichen Spannung hatte der kleine George vor drei�ig Jahren keinen anderen Ausweg gefunden, als den, seine Natur zu vergewaltigen, mit dem Janusch umherzuwildern, �pfel zu stehlen, Heuschober anzustecken, Hunde und Katzen zu qu�len. Oh, er erinnerte sich seltsam deutlich!

G�ste also ins Haus! und ein Oxhoft Nierensteiner im Pfandhaus ersteigert! —

Viele kleine Kinder litten doch an Kr�mpfen und �berstanden es. —

Es lohnte sich nicht, in diesen Wochen viel zu arbeiten, da doch fortw�hrend Besuch kam und au�erdem mehrere Eisen im Feuer lagen, Projekte, die sich auf die Unterst�tzung des Pflanzenwerkes durch den Wiener Hof, auf eine Anstellung in Preu�en, auf eine Reise mit Brand nach dem S�den bezogen. Und es kamen wirklich unaufh�rlich Menschen ins Haus, Offiziere, �rzte, Feldprediger der durchziehenden Truppenteile, die an der Grenze Aufstellung nehmen sollten, — alte Bekannte aus den Casseler Jahren, mit denen man einst den lapis philosophorum gesucht hatte und die S�mmerring ungern wiedersah, — Reisefreunde aus Berlin, aus Dresden, aus Wien, aus Warschau, alles Leute von Welt und von geschmeidiger politischer Einstellungsf�higkeit, keine bramarbasierenden Preu�en, Eisenfresser und Despotenb�ttel. Es gab ein ungeheuer lustiges Politisieren um den Teetisch herum.

Hatte nun nicht die gro�e Katharina mit ihren Deklamationen gegen Paris Preu�en und �sterreich endlich auf die Beine gebracht und so weit fort auf die Hasenjagd geschickt, da� sie selbst jetzt in Polen ungest�rtes Spiel hatte? Und was sickerte alles von Preu�ens und �sterreichs Absichten �ber die Teilung der Beute durch, noch ehe der Braten erlegt war? — Es war besser, nicht zu dem kleinen Jungen hineinzugehen, wenn er einmal eingeschlafen war, hatte Therese gesagt. Es st�rte den kleinen Jungen, — ja, Therese hatte nat�rlich Recht! —

Ein Glas Wein auf den Abend war gut; zwei Gl�ser machten sogar heiter. H�rte man auf, die Gl�ser zu z�hlen, so stellte sich ein Zustand von Zufriedenheit ein, der auf der F�higkeit leicht, elegant und interessant zu demonstrieren basierte, einer ungewohnten F�higkeit, die gl�cklich machte. Er tat es den anderen gleich, war feurig in der Verteidigung der Neufranken wie Therese, begr�ndete sein Urteil m�helos mit Belegen aus der Historie, wie Huber, fand kleine Scherzworte, nicht wahr, war ein wenig schalkhaft wie Karoline, — spielte mit, kurzum, spielte mit und stand nicht daneben.

Der kleine Junge begann ja auch zu gedeihen. Er hatte ihn heute heimlich aus der Wiege genommen und ihn herumgetragen, als er schrie. Er war in seinem Arm still geworden, er war so warm und s��. Hatte er einmal etwas besessen, was �hnlich gewesen war, �hnlich hilflos, zart, ganz auf ihn angewiesen? Einen kleinen Vogel vielleicht? Sein kleiner Junge war sein Freund, er hatte ihn angel�chelt mit diesem bebenden zahnlosen kleinen Munde. Wem glich sein kleiner Sohn doch, wenn er l�chelte, — wem glich er doch? —

Archenholz kam auf der Durchreise und brachte mit seinen Berichten aus Paris Hoffnungen auf einen gem��igten und gl�cklichen Verlauf der inneren Entwirrung, die jedoch bald von den Berichten neuer Greuel vereitelt wurden. Die Teuerung in dem von Emigranten und Truppen �berv�lkerten Rheingau wuchs von Tag zu Tag und mit ihr allgemeine rat- und ziellose Erbitterung. Nebenher wurden die Zur�stungen zu dem gro�en concert des puissances, das nach der Kr�nung des neuen Kaisers zu Frankfurt in Mainz stattfinden sollte, heiter und gro�artig betrieben, als g�lte es schon ein Siegesfest. George fuhr in den Kr�nungstagen mit Huber und Brand nach Frankfurt hin�ber, sah den jungen Franz, wie er so gutartig und unschuldig aussehend, die Hauskrone auf dem Haupt zu Pferde in die Kirche zog, und lie� sich von diesem Anblick bis zu Tr�nen r�hren, was er seinem Herzen unbeschadet seiner despotenfeindlichen Grunds�tze g�nnen zu d�rfen glaubte. Dem Schauspiel der f�rstentrunkenen Mainzer, der Ehrenpforten, Illuminationen, Feuerwerke, der spalierbildenden Rotr�cke, — dem L�rm der Janitscharenmusiken und feierlichen Hoch�mter indessen ging er aus dem Wege, indem er die guten Freunde Reichardts aus Gotha nach ihrem Reiseziel Koblenz weiterbegleitete, nachdem sie einige Tage unter seinem Dach geweilt hatten. —

Er machte es sich klar, da� er von einer f�rchterlichen M�digkeit befallen war, als er bei der Heimkehr vom Anlegeplatz des Schiffes vor dem Raimonditor durch die Stadt nachhause ging, — da� die Julihitze ihn krank gemacht habe, da� diese entsetzliche Schwermut folglich nicht b�se Ahnung, sondern k�rperlich und im �brigen gegenstandslos sei. Die Stra�en waren wie ausgestorben. In Eltville fand ein Volksfest statt, bekr�nzte Schaluppen mit t�rkischer Musik waren ihm den Rhein hinunter entgegengekommen. Die gro�e Welt mochte in den G�rten der Favorite feiern. Die fremden Truppen lagerten im Glacis. Wie er so schlaffen Schrittes dahinschritt, den Hut in der Hand, den Kopf gesenkt und nichts empfindend, als eine peinliche Unlust, nachhause zu kommen, eine Unlust, die ihn trotz aller Erm�dung nicht den n�chsten Weg suchen lie�, sondern ihn immer wieder durch fremde Stra�en und G��chen trieb, stie� er am Karmeliterplatz fast mit einem Leichenzug zusammen, der zum St. Christophs-Friedhof wollte, — mit ein paar preu�ischen Grenadieren, die einen kleinen wei�en Kindersarg trugen, der mit Rosenketten bekr�nzt, das traurig-prunkvolle Gefolge eines Priesters mit seinen Knaben und einiger preu�ischer Offiziere in gro�er Uniform hatte. George erkannte einen jungen Hauptmann von Eltz, einen geborenen Mainzer in preu�ischen Diensten, der, wie er wu�te, auf dem Weg ins Feld seine Frau und deren Schwester, T�chter eines Generals von Tracht, mit seinem kleinen Sohn f�r die Dauer der Campagne zu seiner hier lebenden Mutter gebracht hatte. Betroffen verweilend und alles an sich vor�berlassend, stand er noch immer von der Ahnung eines Schicksals durchschauert da, als der Zug und die kleine Schar von Frauen und Kindern, die ihm nachlief, l�ngst verschwunden war, — raffte sich dann pl�tzlich zusammen, blickte verst�rt um sich und pre�te die Hand auf die Brust. Dies, sagte er sich, nun hastig in der Richtung auf die Gro�e Bleiche hinstrebend und diese Stra�e hinauf und nachhause zu schreitend, dies war Wirklichkeit, kein Spuk und keine Vision. Es hatte keine �hnlichkeit mit irgend etwas schon Erlebtem, denn, — so tr�stete er sich sinnlos: als wir das Louischen begruben, war es an einem nebeligen Novembermorgen und Huber und ich au�erdem nicht in preu�ischer Uniform. Dies also war nicht die Spiegelung eines mir bevorstehenden Ereignisses. Hier gurren Tauben auf dem Dach, diese Kinder spielen so vergn�gt, die Frau dort h�ngt so friedlich W�sche auf. Die Leute k�nnten doch nicht alle so ruhig sein, wenn … Ich bin au�er aller Contenance, f�hlte er, und wischte sich den Schwei� von der Stirne. Einem Leichenzug zu begegnen, bedeutet au�erdem doch immer Gl�ck. Nun bog er in die Tiermarktstra�e ein, rannte fast die letzten Schritte bis zu den Universit�tsh�usern, ging dann wieder langsamer, dr�ckte z�gernd, z�gernd die Haust�r auf. Wie k�hl war doch die Luft im Flur! Ach, nat�rlich, — welche Einbildungen! Er atmete erleichtert auf, wovor hatte er sich eigentlich gef�rchtet. Er erinnerte sich, da� Therese und die Kinder nun in der Nachmittagshitze ruhten, da� die M�gde in der K�che besch�ftigt waren, da� es deshalb so still, so seltsam still im Hause sei. Auch schrie kein kleines Stimmchen, wie er doch, — er war sich dessen sicher, — erwartet hatte. Um so besser, dachte er. Wir werden einen belebten Abendzirkel haben, machte er sich klar, indem er die Treppe hinaufstieg, und besann sich, da� auch der Besuch Herrn von Goethes aus Weimar, der seinen Herzog ins Feld begleitete, in Aussicht stand. Das Gespr�ch darf nicht auf den „Gro�-Kophta“ kommen, entschied er und dr�ckte nun mit einem Gef�hl der K�lte in Wangen und Lippen, mit einem Krampf in der Brust die Klinke der Wohnstubent�r hinunter.

Er sah: da stand der offene kleine Sarg. Da lag sein kleiner Junge tot. Und da sa� Therese vorgebeugt, den Ellbogen auf den Knien, den Kopf auf die Hand gest�tzt mit einem auf ihrem Antlitz erstarrten Ausdruck irrer Fassungslosigkeit �ber diesen Sarg ins Leere starrend, und da sa� Huber neben ihr, den Arm schlaff um sie gelegt, zusammengesunken, zerschlagen, furchtsam vor sich niederblickend, Tr�nenspuren auf den Wangen, — da sa�en zwei Zusammengefesselte, zwei Miteinanderverurteilte …

Therese hatte sich erhoben. Huber stand auf. Sie schienen beide noch nicht ganz erfa�t zu haben, da� er da war, obgleich sie ihn anblickten. Pl�tzlich unter diesen Augen, die zwischen ihm und Therese hin- und herglitten in stummer entsetzlicher Frage, legte Huber die Hand �ber sein Gesicht, machte eine taumelnde Bewegung auf George zu und ging wankenden Schrittes zur T�r.

O nein, o nein, den Abgrund nicht! Den Abgrund zwischen ihnen beiden nicht! War er noch zu f�llen mit dem Schutt des Alltags? Reichten die Br�cken der gro�en Ereignisse noch von einem Rand zum anderen?

Wohnten sie denn nicht beieinander, hatten die Mahlzeiten, die Zimmer, die Kinder, die Freunde gemeinsam, gemeinsam die lauten festlichen Abende und die N�chte, Bett an Bett mit dem stundenlangen Belauschen des anderen im Finstern? Oder lauschte Therese nicht so auf ihn, wie er auf ihre Atemz�ge, die ihm verrieten, da� auch sie nicht schlief, da� sie … Oh, wartete sie etwa darauf, da� er — nun endlich einschliefe? Aber ihre Hand war sanft gegen ihn gewesen, er hatte alle Pflege gehabt, deren sein kranker Leib bedurfte, er hatte das L�cheln ihrer Augen �ber sich gesehen und nichts war ihm verwehrt worden. Nicht wahr, jene Stunde, jene furchtbare, am Sarg des kleinen Jungen, sie hatte im h�llischen falschen Lichte seiner Erm�dung und �berreizung gestanden, und sie war doch vor�bergegangen, wesenlos geworden wie das furchtbare Wort, das er gesprochen hatte, — oder hatte er es nicht gesprochen? Das er hinter Huber drein gesprochen zu haben meinte, der die T�re so entsetzlich sanft geschlossen hatte: „Ihr werdet wohl nicht ruhen, bis auch ich …“ Oh, nein, nicht in seinem Herzen wohnten Worte mit solchen Widerhaken! Sein Herz war sanft, geduldig, wollte tragen. Es tat sich auf, sobald die Sonne wieder schien, und da war die geliebte Frau und da war der Freund und sie beide so voll Milde und Kraft, bereit, ihn, den Schwachen, zu st�tzen, ihm alles zu verzeihen …

Er war gefa�t. Er arbeitete wieder. Und was arbeitete er? Er fa�te die Erinnerungen des glorreichen Jahres 1790 in Kalenderform zusammen, machte aus jenen unverge�lichen �v�nements und den Silhouetten der gro�en M�nner ein allerliebstes B�chlein im Publikumsgeschmack, das mit vorz�glichen Kupfern geziert zur Michaelismesse bei Vo� herauskommen sollte. Im �brigen f�gte er Bild an Bild zum dritten B�ndchen der „Ansichten“, lie� sich von Karolines klugem Zureden bewegen, etwas gef�lliger und weniger pathetisch zu schreiben, sa� mit dieser guten Freundin und Zuh�rerin �ber neuen �bersetzungspl�nen und nahm sich t�glich in den Morgenstunden sein R�schen mit ihrem Augustchen zusammen vor, um diesem kleinen Gesindel ein paar Anfangsgr�nde der Wissenschaften beizubringen. Sie waren keine Knaben, — allerdings …

Es war ihm, als m��te er ganz leise und behutsam weitergehen. Als k�nnte ein hastiger Schritt, eine heischende Geb�rde, — als k�nnte schon ein ungeduldiger Gedanke die Schneeflocke l�sen und mit ihr die Lawine, die alles begraben w�rde.

L�cheln also. Waren Therese und Huber nicht Kinder, liebensw�rdige Kinder? War es nicht gut, mit ihnen zu leben, zu f�hlen, da� sie ihn trugen und dennoch seiner nicht entraten konnten, seiner Arbeit bedurften, seiner Erfahrung, seines Rates? L�cheln, oh, und nicht mi�trauen, wenn sie auf den Spazierg�ngen zur�ckblieben, wenn sie dann Hand in Hand wie die Tr�umenden herankamen, — wenn sie in der Abendstunde still zusammen am Fenster sa�en. War es nicht Unschuld, wenn sich ihre H�nde nicht l�sten? Wenn Huber den Blick nicht von Theresens �ber die Arbeit gesenkten Scheitel lie�, auch jetzt nicht, da George hinzugetreten war? — L�cheln also! L�cheln auch �ber den Klatsch, den der um des Freundes Ehre so redlich besorgte S�mmerring nicht unterlie�, ihm zu hinterbringen.

„Ach, guter S�mmerring, — wir wollen lieber anderer Dinge gedenken! Die Moral des Mainzer Professorenkl�ngels in Ehren. Aber ich denke, f�r uns ist anderes ma�geblich …“

L�cheln also! L�cheln auch �ber jenes Gedicht im letzten G�ttinger Almanach, der ihm im Oktober in der Universit�tsbuchhandlung in die Hand kam, in dem er bl�tterte, verwundert, ihn nicht wie jedes Jahr gleich bei seinem Erscheinen von Dietrich zugesandt bekommen zu haben. Er stutzte beim Titel eines der Beitr�ge, der „Huberulus Murzuphlos oder der poetische Ku�“ �berschrieben war, las weiter, las ein kleines, infames Machwerk voller Anz�glichkeiten, las den Verfassernamen Bajazzo Romano, meinte sich zu erinnern, da� Meyer gelegentlich unter diesem Pseudonym ver�ffentlichte, legte das B�ndchen beiseite — und l�chelte. Hatte man ihm zu Hause das Buch unterschlagen, um ihn zu schonen? Er sprach mit Karoline dar�ber, die er gleich darauf in ihrer Wohnung in der Welschen Nonnengasse aufsuchte, um ihr einige Journale zu bringen. Die gute Freundin err�tete heftig, — o ja, sie sei mit Therese �bereingekommen, den Almanach vor ihm nicht zu erw�hnen, da er diesmal durch und durch faul und wurmstichig sei, von p�belhaften, kleinen Gemeinheiten wimmele, zu denen auch B�rgers Epigramme z�hlten. Der „Huberulus Murzuphlos“ �brigens, sprach sie nach einer Pause mit verzweifelter Tapferkeit weiter, so wie man eine Wunde ber�hrt, um sie zu heilen, dieser elende Angriff auf den guten Huber sei nun Gott sei Dank durchaus nicht von Meyer, wie sie zuerst mit Entr�stung h�tte annehmen m�ssen, — oh, dazu sei Meyer nicht f�hig, sagte George sehr ruhig und — l�chelte; er selbst w�re nie auf diese Annahme verfallen, sprach er, b�ckte sich und r�ckte an der Schnalle seines Schuhs, — sondern von Bouterweck, der sich f�r Hubers herbe Kritik seines „Donamar“ in der Jenaischen Literaturzeitung in dieser feinen Weise r�chte. Indem sie ihn �ngstlich anblickte und — er f�hlte es, — gern nach seiner Hand gegriffen und sie gestreichelt h�tte, sagte sie ganz zaghaft und leise: „Lieber Forster, nicht wahr, es ist nun alles gut?“ Und als er ihr darauf mit einem kraftlosen Heben und Senken der leeren H�nde sein Antlitz zuwandte, bemerkte er Tr�nen in ihren Augen, murmelte: „Liebe Karoline …“, und wu�te es nicht, da� es seine Geb�rde war und dieses arme L�cheln seines m�den, gealterten Gesichtes, die jene Tr�nen st�rzen lie�en. —

Was bedeuteten �brigens auch solche, im Bereich der Belles lettres hin- und hersausenden Giftpfeile in diesen Tagen, da Mainz mehr denn je einem aufgest�rten Ameisenhaufen glich, nachdem jener General Custine, der, in Landau stehend, seine Soldaten aus purer Langeweile einmal ein wenig ins Rheingau spazierengef�hrt und so spazierengehenderweise Worms und Speyer eingesteckt hatte, sich mit dem ber�hmten Appetit, der im Essen w�chst, Mainz zu n�hern begann und gewillt schien, des heiligen r�mischen Reiches Schl�ssel seiner siegreichen Republik zu F��en zu legen? Es mochte seinen besonderen Reiz haben, die Zur�ckwerfung der deutschen Armeen, die seit dem f�r die Koalitionstruppen so unseligen Tage von Valmy eine vollkommene war, mit der Eroberung der Stadt zu kr�nen, von der das renommistische Manifest des Braunschweigers ausgegangen war. Wer sich f�r den Geist jenes Manifestes irgendwie auch nur im entferntesten mitverantwortlich f�hlte, dem schien das Heranziehen des B�rgergenerals jedenfalls au�erordentlich peinlich zu sein und w�hrend wenige Meilen n�rdlich das Zur�ckwandern der geschlagenen deutschen Truppen �ber den Rhein begann, setzte �ber die Schiffsbr�cke von Mainz eine sonderbare Piroutchade sich in Bewegung und auf einer unabsehbaren Kette von Wagen aller Art schaffte ein hoher Adel sich selbst und sein bewegliches Eigentum so eilfertig aus der Stadt, da� schon vor dem 10. Oktober die Mainzer B�rgerschaft ganz unter sich war. Denn auch die obere Geistlichkeit und die Emigranten waren nicht zur�ckgeblieben, beileibe, diese am allerwenigsten. Seine Eminenz hatte die Stadt n�chtlicherweise und durchaus unauff�llig verlassen, wie es hie� in einem Wagen, an dessen Schl�gen die Wappenschilder in aller Eile abgekratzt worden waren, und hatte sich nach dem Eichsfeld begeben, baldigst gefolgt von Ihrer Eminenz, die indessen das Tageslicht nicht gescheut hatte und am fr�hen Morgen mit allem Pomp und gro�em Gep�ck, gezogen von den vier Apfelschimmeln abgereist war. —

George stand am Morgen des n�chsten Tages an der Br�cke und sah dem Schauspiel der abrollenden Berlinen und Kaleschen zu, unter denen endlich das Kabriolett kam, in dem Huber mit dem Archiv seiner Gesandtschaft nach Frankfurt fuhr, — nicht aus Furcht, wie er zu versichern kaum n�tig gehabt h�tte, aber wegen dieser �berfl�ssigen K�niglich S�chsischen Staatspapiere, f�r die er nun einmal verantwortlich war. Da war er hingefahren, in unbegreiflicher Erregung bleicher aussehend, als sich mit dem Anla� dieses Abschieds vertrug, und hatte fremd und ernst zu George hin�bergegr��t, als er ihn am Br�ckenkopf stehen sah. George war dann zur�ckgegangen, als sei der Zweck seines Ausgangs erf�llt: er hatte Huber abfahren sehen. Unerkl�rliche Befriedigung f�llte schwankend sein Herz bis zum Rand. Gewi�, und er gab es sich zu: leichter war es zu l�cheln, zu l�cheln auch in der Vorstellung, da� nun die deutsche literarische Welt aus jenen Bajazzo-Versen h�misch die Runen seines Schicksals zu deuten suchen w�rde, — leichter war es zu l�cheln, wenn Huber einmal f�r Tage, f�r Wochen nicht mit am Tisch sa�. Es war m�glich, mit der Vorstellung zu spielen, da� die Flut politischen Geschehens ihn auf Nimmerwiedersehen entf�hren k�nnte, — kamen doch schon wenige Tage nach seiner Abreise kummervolle Briefe von ihm, des Inhaltes, da� er Befehle aus Dresden habe, den gef�hrdeten Boden von Mainz nicht eher wieder zu betreten, bis die alte Ordnung dort hergestellt, der Kurf�rst zur�ckgekehrt sei.

Therese nahm das so gelassen hin, sie �u�erte keine Vermutungen, keine Hoffnungen f�r die Zukunft, — Therese war bla�, aber heiter, von einer Fassung, der er dem�tig begegnete. Sie folgte der Entwicklung seiner Pl�ne mit Aufmerksamkeit und nur mit geringen Einw�nden, — gewi�, es war kein �bles Projekt, baldm�glichst nach Paris �berzusiedeln und dort zun�chst als freier homme de lettres, sp�ter im Dienst der freiheitlichen Regierung zu leben. Sie hatte alle Auffassung daf�r, da� es nun an der Zeit sei, mit einer langsam gereiften freiheitlichen Anschauung Ernst zu machen, da� es unm�glich sein w�rde, der alten Mainzer Regierung, die sich so ver�chtlich gemacht hatte, weiter zu dienen, — falls sie denn wieder ans Ruder kommen sollte. Aber der Hausstand hatte sich so vergr��ert in den letzten Jahren, — wie dachte er es sich denn mit dieser Menge beweglichen Eigentums? Die M�bel sollten wieder verkauft werden? Nun ja, — ihr Herz hing nicht an Gegenst�nden. Immerhin m�ge er bedenken, da� in irregul�ren Zeiten die Konjunktur f�r derartige Verk�ufe keine g�nstige sei. Es war Abend und sie sa�en zusammen auf dem gr�nen Kanapee, Therese unt�tig in einer Sofaecke lehnend und ihr Armband am linken Handgelenk unabl�ssig hin- und herschiebend. Ihr Blick, nur zuweilen mit scheinbarer Sammlung in seinen Augen ruhend, durchforschte unruhig die D�mmerung der unbeleuchteten Zimmertiefe und hing dann wieder wie pl�tzlich gebannt in n�chster N�he, an einer Fehlstelle in der Politur des Tisches, die sie spielend ber�hrte, — an einem kleinen braunen Fleck ihres Unterarms.

„George, —“ fragte sie pl�tzlich, als er schon seit einer Weile von einer Bibliotheksangelegenheit sprach, — „k�nntest du denn daran denken, zu den Franzosen �berzugehen?“

Sie sah ihn von der Seite an, — fast lauernd. Er nahm den Anla� wahr und holte sehr weit aus. Er sei in Polnisch-Preu�en geboren, habe diesen Boden verlassen, noch ehe er wieder in preu�ische H�nde �bergegangen sei, und h�tte alsdann von seinem elften Jahre an nacheinander, — er z�hlte es an den Fingern her, — der russischen, englischen, hessen-casselschen, polnischen und nun endlich der kurf�rstlich-mainzischen Regierung gedient. H�tte als Gelehrter das ungeheure russische Reich, fast alle L�nder Europas und die halbe Erde bereist … Hier flocht Therese ein: „Zwischen deinem elften und zwanzigsten Jahr, — ach, Georgie, du Gelehrter!“ lachte ein kleines, gurrendes Lachen und streichelte spielend seine Rechte. Jawohl, fuhr er mit ernsthaftem Eifer fort, er habe eben auf diese Weise, wenn nicht die ganze Erde, so doch Europa als sein Vaterland betrachten gelernt und die Menschheit als sein Volk, sei zudem nie einer Kirche h�rig gewesen, sondern von fr�hester Jugend an durchdrungen und geleitet von der k�niglichen Kunst, mit dem Ma�stab der Wahrheit, mit dem Winkelma� des Rechtes und mit dem Zirkel der Pflicht in der erdumfassenden Vereinigung aller Guten zum Guten zu wirken, deren Ziele nie andere gewesen w�ren, als die, die nun auf den Fahnen der gl�cklichen Neufranken st�nden …

„Mit dem Ma�stab der Wahrheit, mit dem Winkelma� des Rechtes, mit dem Zirkel der Pflicht …“ wiederholte er sich l�chelnd die alten wohlgef�lligen Symbole. Therese, die �brigens keineswegs zugeh�rt hatte, obgleich sie mit dem Ausdruck des Lauschens dagesessen hatte, aber dem eines angestrengten Lauschens �ber seine Ausf�hrungen hinweg, zuckte pl�tzlich auf, sagte: „Horch!“ und „Also doch!“ sank aber gleich wieder in Gleichg�ltigkeit zur�ck, denn das war S�mmerrings Stimme, die jetzt nach dem Ger�usch der sich schlie�enden Haust�re unten im Flur h�rbar ward, und S�mmerrings schwerer Schritt, der da die Treppe hinauf kam.

„S�mmerring“, murmelte George, nach der T�r blickend, von einer unerkl�rlichen Unruhe �berschauert, und dachte dabei, diese Tage seien geeignet, einen zum Geisterseher zu machen, immer d�chte man, es st�nde ein Schicksalsbote drau�en oder auch — Huber.

„Da w�ren wir!“ sagte S�mmerring ein wenig schnaufend, wie er nun im T�rrahmen stand, schwarz sich abhebend gegen das Licht des L�mpchens drau�en auf dem Flur, „und da bringe ich die wandelnde Hieroglyphe.“ Vollends eintretend lie� er einen hohen, schmalen Schatten hinter sich ins Zimmer gleiten und, — „ja, ich wu�te es!“ dachte George, — dies war Huber! Huber, der z�gernd in den Lichtkreis des Armleuchters trat, mit h�ngenden Schultern, den dunklen Blick aus fast wei�em Antlitz auf Therese geheftet, die ihn ansah, ja, die ihn ansah und l�chelte, George wu�te es, — Huber, der nun murmelte: „Ja, — hier bin ich wieder. Ich dachte, ihr k�nntet meiner bed�rfen. Es braucht ja keiner zu wissen. Wem sollte es auffallen? Ich will ein paar Tage verweilen, die Ereignisse abwarten …“

War es m�glich, alle diese Dinge zu sagen, als seien sie Z�rtlichkeiten? S�mmerring, in seinen gewohnten Armstuhl niedergelassen, sagte m�rrisch, indem er seine gro�en H�nde ineinanderrieb: „Was ist da viel abzuwarten? Morgen oder �bermorgen sind sie da.“

Huber war in das D�mmer zur�ckgewichen und lehnte irgendwo an der Wand. Er lachte nerv�s.

„Fama geht in vieler Gestalt um. Gestern ein Weisenauer Marktweib, heute ein betrunkener Weilheimer Husar. Und der Stephanst�rmer st��t ins Horn, die Alarmsch�sse knallen, Kriegsrat wird abgehalten und wer ein schlechtes Gewissen gegen die unterdr�ckte Majest�t des Volkes hat, l�uft, was er laufen kann. Und Custine ist l�ngst wieder in Landau.“

„Die Stadt ist entv�lkert,“ sagte S�mmerring d�ster, „da!“ Er hob den Finger. Unaufh�rliches Wagenrollen kam fernher durch die Nacht.

„Ah bah, — der Adel geht auf Reisen und die Emigranten suchen andere Weidepl�tze.“ George erhob sich und begann ungeduldig auf und ab zu gehen. „Custine ist nicht wieder in Landau! Warum sollte er auch?“

„Hoffst du, da� er nicht wieder in Landau ist?“ Therese sa�, das Kinn in die Hand gest�tzt, und zog die Augenbrauen hoch.

„Ich hoffe gar nichts. Ich vertraue der Sto�kraft dieser Idee …“

„Welcher Idee?“

„Wie kann man fragen? Der Idee der Freiheit!“

„Esterhazys Armee soll in der Bergstra�e stehen,“ sagte Huber sanft, „dies d�rfte die Sto�kraft d�mpfen.“

„So? Und wenn die Sansculotten morgen vor unsern Toren stehn? Was n�tzen uns da die Esterhazys in der Bergstra�e? Sollen uns unsere dreihundert Mainzer und Weilburger Kerls verteidigen? O Gott, o Gott! O Gott, o Gott! Eine Festung wie Mainz und bei solchen Zeitl�uften von Truppen evacuiert! Ist es zu glauben?“ S�mmerring rang buchst�blich die H�nde.

„Frankfurt schickt Sukkurs.“

„Wie unterrichtet Sie sind! Dann lassen Sie sich nur sagen und erz�hlen Sie es den Frankfurtern, da� man hier nicht an Verteidigung denkt, gar nicht daran denkt! Eikmeyer ist imstande und geht Custine mit den Schl�sseln der Festung nach Weisenau entgegen und die Intelligenz der Stadt schreit: Vive la nation!

„Nun, nun, mein Alter! Und du schreist nicht mit?“

„Oh, hier ist nichts zu scherzen! Ich w�nsche meinen Hausstand nicht w�hrend eines Erdbebens zu begr�nden. Und du bist von Demagogen verf�hrt und hast das Gef�hl f�r Ma� und B�rgerw�rde eingeb��t, — la� dir es sagen, Freund!“

S�mmerring stand im Begriffe, sich zu verheiraten. George nickte ihm mit schwerm�tiger Freundlichkeit zu. Seine Hand spielte mit dem kleinen globus terrae aus Kristall, den er wie auch S�mmerring an der Uhrkette trugen, einem rosenkreuzerischen Abzeichen aus der Casseler Zeit. Er zitierte tr�umerisch die alte Formel: „‚Wenn die Hauptzahl erf�llt sein wird, so wird der Gr��te der Kleinste und der Herr der Diener seines Dieners und der Knecht seines Knechtes sein … Die S�nden der Profanen werden vor den Augen des Jehova die Wagschale �berwerfen und ihr Ma� wird voll sein … Ein Hirt und ein Schafstall, ein Herr und ein Knecht — und die Weisen werden gehen auf Rosen aus Eden,‘ — oh, Bruder, war das nicht auf diese Zeit gesagt?“

„Willst du nicht auch wieder anfangen, Tote zu beschw�ren und den Sternen zu gebieten, ihren Ort zu wechseln? Still, ich will nicht erinnert werden. Der Teufel versucht dich, la� dich warnen und weck den Schw�rmer Amadeus nicht auf!“

Forster l�chelte wehm�tig.

„F�rchte nichts!“ sagte er. „Amadeus ist tot.“

„H�tte ich wieder einen Sohn,“ sagte Therese leise, „er sollte Amadeus hei�en, — oder Aim�, — Geliebter!“

Das Wort zog bunte Kreise durch den Raum. Die drei M�nner l�chelten. Therese blickte unbefangen auf, fand Hubers Augen mit einem leidenschaftlichen Triumphieren auf sich ruhn, l�chelte verwirrt und sah auf ihre H�nde. — — —

Den Prophezeiungen eines veritablen charg� d’affaires zum Trotz hatte die Idee der Freiheit in der Gestalt des B�rgergenerals Adam Philippe de Custine ihre Macht bewiesen und war am 21. Oktober ganz ohne besonderer Sto�kraft zu bed�rfen, in einem Tressenrock aus Scharlachtuch, einen gewaltigen Federhut auf dem � la chien frisierten Haupte mit gro�em Gefolge in Mainz eingezogen. „So sieht er aus, der W�terich, — mon dieu!“ sagte die kleine Forkel ganz entt�uscht, neben Therese und Karoline in einem Fenster der Bibliothek an der Gro�en Bleiche lehnend, — „ein Mann mit Haar am Mund, — fi donc und Philipopel!“ Ein stumpfnasiger, ein und�monischer Mann, fand Therese, der wie im Traum zum Ruf eines Attila gekommen sein m�sse; er gliche einem gutm�tigen Schl�chterhund, der allzu reichlich von fettem Abfall lebte.

„Meine Lieben,“ sagte Karoline erheitert, „ich staune �ber eure esp�rancen! Seid ihr vielleicht auch entt�uscht �ber das ausgefallene Bombardement? Lise soll ja gesagt haben: beigewohnt haben m�chte ich dem doch einmal, — und so mag wohl auch der neugierige Goethe gedacht haben, als er bei Valmy in den Kugelregen ritt!“

„Ich habe gar nichts erwartet“, sagte Therese hochm�tig und zog sich vom Fenster zur�ck. „Ein Edelmann, der sich dieser Zeit f�gt, taugt nichts, — da waren die Emigranten mir lieber!“

„Potztausend!“ Dora Forkel war pikiert. „Und Sie weinten doch vor Entz�cken beim Anblick der ersten cocardes tricolores in der Schustergasse, — wenn mich meine Erinnerung nicht t�uscht, meine Teure.“

„Und ich werde immer weinen, wo ich sie erblicke als Abzeichen einer gro�en Gesinnung, einer freiheitsgl�ubigen Seele … Wir wollen gehen, George, — wir wollen ins Lager gehen und die echten S�hne Frankreichs und der Freiheit begr��en. Dies ist kein f�hrender, — dies ist ein geschobener Mann!“

Sie lachte schrill. George bot ihr stumm den Arm.

Das Herz voll aufjubelnder Erinnerung an das Volk, das er vor zwei Jahren auf den Champs d’Elys�e sein gro�es Bruderfest hatte zur�sten sehen, ja, m�glicherweise in dem Gef�hl, hier handele es sich um eine Fortsetzung jenes Festes, in das nun auch er und was um ihn war, einbegriffen sei, — sie waren in gr��erer Gesellschaft dem Zuge der vors Tor hinausstr�menden B�rger gefolgt, — in dieser nicht gew�hnlichen Stimmung also, einem Rausch der Menschenliebe, des Freiheitsfr�hlings, — konnte sich George nicht enthalten, einem der ersten S�hne der Freiheit, die ihm in den Weg kamen, unter Schwenkung des Hutes ein aufrichtiges: „Vive la r�publique!“ zuzurufen. Der Soldat, ein langer brauner Kerl, auf seine Flinte gelehnt und die Vor�bertreibenden nicht eben freundlich musternd, spuckte aus, strich sich den Schnauzbart und rief herzlich: „Sacr�! Elle vivra bien sans vous!“ worauf er sich abwandte. In der sonderbaren, ahnungsvollen Bewegtheit seines Gem�tes ging das Wort George tagelang nach. Elle vivra bien sans vous! Oh, dies war eine Warnung des Schicksals! Nein, er w�rde nicht dem Klub, der Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit beitreten, die sich schon am ersten Tage nach dem Einzug der Franzosen um einige allgemein bekannte Revolutionsschw�rmer zu kristallisieren begann, um den Dr. Metternich etwa und den Professor Blau, einen der lebenslustigen Priester, denen das Beispiel des Kollegen Dorsch in die Augen stach, der vor einem Jahr in das freiheitliche Stra�burg �bergesiedelt war und dort die ihm nachfolgende Demoiselle Strohmeier, zu der er allgemein bekannte, anst��ige Beziehungen unterhalten hatte, nunmehr ehelichte. Der Kollege Dorsch �brigens kam, noch ehe der Oktober um war, wieder in Mainz an und brachte die geehelichte Strohmeiern mit, desgleichen kam der Professor B�hmer angereist, ebenfalls aus Stra�burg und nicht eben zum Entz�cken seiner Schw�gerin Karoline. Niemand wu�te recht, hatte Custine diese Herren wirklich herbeigerufen, wie sie in Umlauf zu setzen nicht unterlie�en, oder waren sie seinen Spuren gefolgt, kleine Schakale der F�hrte des L�wen? Nun, jedenfalls, sie wu�ten ihr air zu behaupten, waren nicht mehr Dilettanten der Sache der Freiheit gegen�ber, sondern verstanden es von Grund aus, eine larmoyante und tr�ge deutsche B�rgerschaft, die am Ende gar noch mit ihrem Despoten zufrieden gewesen war, zu elektrisieren. Dergleichen Leute also, wie jener Metternich, wie der dicke Blau mit Dorsch und B�hmer, zu denen sich etwa noch der Historiker Hofmann und Wedekind gesellten, bildeten den Kern der Mainzer Jakobinergesellschaft, — und, wie gesagt, — George verzichtete. Nicht allein, weil Marianne in Gestalt jenes Getreuen ihm einen Korb gegeben habe, sagte er lachend zu Therese und Karoline. Sei nicht der erste Korb einer Spr�den immer mit den Blumen der Hoffnung gef�llt? Nein, — er verzog das Gesicht und schob die Schultern hin und her, — diese Gesellschaft war nicht sein Geschmack. Sie geb�rdete sich allzu sehr wie eine Schulklasse, die der Lehrer verlassen hat. Sie war nicht durchpulst von dem urspr�nglichen hei�en Quell der Emp�rung. Sie gefiel sich in einer �ffischen Nachahmung von Paris, war tollgewordnes Spie�b�rgertum. Huber, der ihn aufmerksam ansah, meinte z�gernd, als taste er im Dunkeln nach der Klinke einer verschlossenen T�r, ob es denn nicht vielleicht gerade aus diesen Gr�nden die Pflicht eines Mannes von wahrem Weltb�rgersinn sei, die gro�e Sache auf deutschem Boden w�rdig zu vertreten? Dies sagte Huber, indem er nun nicht mehr George, sondern Therese ansah und Therese, den Blick unsicher und fragend erwidernd, nickte pl�tzlich mit Heftigkeit Beifall: „Freilich, George, — hier kommt es auf den Standpunkt an.“

„Ich bin kein f�hrender Mann“, sagte George gedankenverloren, Tags zuvor geh�rte Worte wiederholend, ohne es zu wissen, und nicht wahrnehmend, da� die Blicke Hubers und Theresens sich hastig kreuzten, um einander wieder zu fliehen, w�hrend Karoline ihn voll Schwermut ansah.

Es war ein Herbst, so herbstlich wie noch nie. Der Nebel kam durch die Haust�ren hinein und wallte still �ber die Treppen; er quoll in die Fenster, wie der Odem einer ungeheuren kranken Brust. Es roch nicht nach Nebel allein, es war nicht nur jener fast s��e feuchte Geruch nach frischen modrigen Bl�ttern und �berbl�hten Veilchen, den man an Novemberabenden zwischen den Heckenwegen sp�rt, — dieser Herbst war Krankheit. Es lag F�ulnis und Verwesung in der Luft, die Ausd�nstungen des Heeres, seiner Menschen und Tiere, — es lag L�hmung, verzweifelte Unentschlossenheit �ber dem �ffentlichen Leben, die den B�rger hinderten, die Stadt f�r den neuen Herrn im alten Stand der gepflegten Sauberkeit zu halten. Es war zu dem allen der sonderbar aufregende Duft nach Leder, nach Pferden, nach Schnaps, nach holl�ndischem Tabak, nach parf�miertem Puder, waren die D�nste ungew�hnlicher Mahlzeiten, von denen die Atmosph�re durchwittert war. Es war das st�ndige Signalblasen der H�rner, das durch den Nebel drang, der Marschtritt auf den Gassen, die neuen Lieder und T�nze, die abends aus den H�usern schollen, der Wohlklang und Rhythmus der fremden aber geliebten Sprache an allen Ecken und Enden. Es war der Zustand des Krieges, den George als qu�lend herbstlich empfand, als spukhaft, als eine unertr�gliche, laue, schlaffe Entspannung der Nerven, diesen Zustand, in dem die Aufhebung allen Rechtes zur S�nde herauszufordern scheint, denn jede Handlung, die der Mensch unternehmen k�nnte, um den f�rchterlichen Stillstand des Lebens zu unterbrechen, hie� noch eben S�nde. Es war das lautlose Abbr�ckeln der Welt von gestern mit ihren Gesetzen, es war dies furchtbare stille Scheinen der gelben, tropfenden Lindenb�ume drau�en vor den Fenstern, das George fast rasend machte. —

W�nschte der General seine Dienste oder lag ihm nichts daran? Er hatte sich �berreden lassen als Wortf�hrer einer Deputation von Professoren dem Gewaltigen seine Aufwartung zu machen und hatte die Interessen der Universit�t erfolgreich vertreten. Custine jedenfalls erlie� dem Institut alle Zwangsabgaben und lie� sich durch B�hmer, der sich mit einem Individuum Namens Daniel Stumme in die Sekret�rsdienste im Schlosse teilte, die Rede des pp. Forster in der Niederschrift ausbitten. „Hier h�tten Sie hinterhaken m�ssen, mein Teurer, hehe! Sie hatten den Fu� im B�gel und sind nicht aufgesessen. Der General hatte ein fl�chtiges Interesse f�r Sie gefa�t, es h�tte leicht ein faible werden k�nnen, — aber Sie nahmen den Augenblick ja nicht wahr. Ich f�rchte, der General ist verstimmt.“ B�hmer, der George als Abschlu� eines kurzem Pflichtbesuches diese Mitteilung machte, sah ihn mit widerlich offenstehendem Munde, hochgezogener Stirne und aufgerissenen Augen an, indem er wichtig mit dem Finger drohte. Da er einem Schweigen begegnete, sammelte er sein Gesicht, sagte: „Es ist noch nichts verloren, da ich Ihr aufrichtiger Freund bin“, und verabschiedete sich. Sein Besuch war einer unter den hunderten in diesen Tagen, die alle mehr oder weniger deutlich Georges Eintritt in den Klub forderten. Dies war geeignet, ihn nachdenklich und schwankend zu stimmen. B�hmer war ein Hanswurst, ganz ohne alle Frage, aber dem General beliebte es nun einmal, ihn zu seinem Sprachrohr zu machen, der General stellte die republikanische Regierung dar, und war er, George, einmal auf die Gunst dieser Regierung, deren Grunds�tze er als seine eigensten, innersten f�hlte, angewiesen, ging sein Herz in einem Takt mit dem gro�en heiligen Herzen der Republik und dachte er nicht daran, dem im Eichsfeld h�nderingenden Kurf�rsten eine sentimentale Treue zu halten, — nun wohl, — was hinderte ihn eigentlich, ausgesprochenen und unausgesprochenen W�nschen Rechnung zu tragen? �brigens war es von eigent�mlichem Reiz zu f�hlen, da� erschrockene B�rgeraugen auf einen sahen, als auf den Mann von Weltblick und Contenance; da� kleine Anregungen, die man unter der Hand gab, wohlt�tige Folgen zeitigten, so wie etwa auf seine urspr�ngliche Veranlassung hin das Theater wieder zu spielen anfing, damit die franz�sischen Offiziere sich am�sieren und das Publikum sich wieder humanisieren m�ge. Es war von eigent�mlichem Reiz zu wissen, da� Menschen auf einem ungewissen Wege nicht weiter gehen wollten, ohne ihn, — denn drinnen heulte der Minotauros. Es war fast unwiderstehlich, zu denken, da� eine Aufgabe wartete, die seines Kopfes erst in zweiter Linie, vor allem aber seines Herzens, seiner Menschlichkeit bedurfte. „Es ist nicht der Ruhm, den ich suche, sondern die Liebe meiner Br�der“, redete er inbr�nstig in Brands gro�e blaue Kinderaugen hinein, die gl�ubig auf ihn gerichtet, in diesen Tagen fortw�hrend politische Unterweisung von ihm forderten und mit Monologen privater Natur abgespeist wurden. „Zudem scheint Preu�en endg�ltig auf mich zu verzichten …“

Oh, Preu�en taumelte mit sehenden Augen in sein Verderben. Der K�nig lie� den Herrn von Bischoffswerder unentwegt weiter Geister zitieren, denen alle staatsm�nnischen K�nste des Grafen Herzberg nicht gewachsen waren. Dem K�nig fehlte, kurz und gut, ein Mann in seiner Umgebung, dessen Grunds�tze, Charakter und Wandel bis dato f�r die Rechtschaffenheit seiner Absichten zeugten, dessen Laufbahn Gelegenheit zur Entwicklung eines gro�en �berblicks, einer gesunden Einsch�tzung der Zeichen der Zeit geboten h�tte. Einen deutschen F�rsten von weitem Machtbereich jetzt leiten, einen wesentlichen Teil des deutschen Volkes jetzt durch vern�nftige Reformationen ohne blutige Revolution zu einer gesunden Staatsverfassung f�hren zu d�rfen …

„Freilich,“ unterbrach Therese sein Schw�rmen und bat durch einen Blick um Brands Teller, den sie mit Suppe f�llte, „da indessen weder dein Freund Vo� noch der Minister einen Weg zu finden scheinen, den K�nig auf sein Gl�ck aufmerksam zu machen, so hielte ich es f�r ratsam, sich an das Gegebene zu halten. Huber meinte noch mit dem Fu� auf dem Wagentritt du — m�chtest dir doch hier durch dein Zaudern keine Chancen entgehen lassen.“

Eine Estafette seiner Regierung mit einem kr�ftigen Verweis hatte den charg� d’affaires vor einigen Tagen wieder nach Frankfurt zu seinen Staatspapieren zur�ckbeordert.

„Meinte er das?“ George nickte gr�blerisch. „Ich gebe so viel auf sein Urteil in diesen Dingen. Er hat einen eminenten Scharfblick, trotz seiner Jugend. Er fehlt mir doch unendlich. Was meinst du, Therese, — fehlt er uns nicht?“ Er a� hastig und in sich gekehrt. Brand starrte vor sich hin. Er hatte verzweifelt viel Takt, obgleich er hier nur halb begriff. Why, — hatte Mrs. Forster Kummer? Wozu jetzt diese Tr�nen? Therese hatte ihr Gesicht einen Augenblick auf Clairchens Kopf gesenkt, die sie auf dem Scho� hielt und f�tterte. Jetzt sagte sie mit etwas rauher Stimme: „Deine eigentlichen Gaben liegen auf dem Gebiet des Menschlichen, Lieber, im Umgang und in der Behandlung der verschiedenen Individuen.“ Sie stockte und blickte vor sich hin, als d�chte sie selbst erstaunt �ber ihre Worte nach. Dann fuhr sie tastend, aber mit wachsender Sicherheit fort und unterbrach sich kaum mit einem genickten Gru�, als Karoline w�hrend ihres Redens leise eintrat.

„Du h�ttest dies am Anfang deiner Laufbahn in Deutschland ins Auge fassen sollen, George,“ sagte sie, das Kinn in die Hand gest�tzt und die Augen empor gerichtet, als l�se sie eine nachtr�gliche Weissagung von der gebl�mten Tapete ab, — „du h�ttest das diplomatische Fach ergreifen sollen und dein Gl�ck w�re heute gemacht. Du h�ttest �berall Freunde und G�nner, du h�ttest Konnexionen an allen H�fen Europas, — du hast so charmante Umgangsformen, mein George!“

Sie sah ihn mit spielender Z�rtlichkeit an, vermochte es, da� sein blasses Gesicht kindhaft strahlte, �berlie� ihm ihre Hand und phantasierte weiter:

„Du h�ttest die Naturwissenschaften immer als Liebhaberei nebenher betreiben k�nnen, — so wie der Goethe es auch tut, — nicht wahr? Der Landgraf in Cassel hatte eine Vorliebe f�r dich, — ich wei� es. Konnte er dich nicht in seinem Kabinett anstellen, ebensogut wie an dem t�richten Carolinum? Du h�ttest dich f�r die armen hessischen Landeskinder verwenden k�nnen, die er nach Amerika verkaufte, — sieh, das w�re gleich ein verdienstlicher Anfang gewesen! Hernach w�re die Sache schon weiter gegangen und wer wei�, welchen Verlauf die europ�ische Politik genommen h�tte, wenn …“

„Nun? Wenn was, meine geliebte Sibylle?“

„Ja, — wenn George Forster in Wien oder Paris am Steuer gesessen h�tte. Nicht wahr? Nun — und f�r Paris — ist es ja noch nicht zu sp�t.“

„Ah bah, mein liebes Kind. Worauf willst du eigentlich hinaus? Was meint sie wohl, Karoline?“

„Da� — du deine Chancen nicht wieder vers�umen sollst, — George.“ —

Die Suppe war abgetragen worden, die Kinder hatten Gute Nacht gesagt. George ging unruhig auf und nieder, die Hand gegen die schmerzende Stirn gepre�t. Er murmelte: „Ich dachte dieser Krise als Privatmann beizuwohnen.“ Therese, ohne vom Moniteur aufzublicken, in dem sie las, antwortete:

„Du mu�t es selbst wissen, was du deinem Namen schuldig bist.“

„Mr. Forster wird mit mir fahren nach Italien als mein Mentor, wir werden studieren der Urpflanz und f�hren Mr. Goethe ad absurdum, — is it not, Mr. Forster?“ erinnerte Brand, in eine Sofaecke gerekelt. „He is not made for politics, Madam, not at all. Not hard enough, you know!

„So, — und Huber, — dieser sensible Mensch mit dem Herzen einer Mimose? Oh, wir gehen alle an unsern wahren Bestimmungen vor�ber! Und das ist die Erbs�nde!“

„Was w�re denn Hubers Bestimmung gewesen? Oh, ich frage nur beil�ufig …“ Karoline war damit besch�ftigt, kleine Puppen aus Stoffresten in den franz�sischen Farben zu machen.

Therese sah in ihren Moniteur. „Huber ist ein Dichter“, sagte sie leise. —

„Ich habe geh�rt, da� Dora Stock schwer kr�nkeln soll“, erz�hlte Karoline nach einer Weile unbefangen und hielt ein P�ppchen gegen das Licht. „Schiller und K�rner sind sehr schlecht auf Huber zu sprechen.“

„Da� Dora schwer kr�nkeln soll, — was hei�t das?“ wiederholte George.

„Er hat ihr einen Scheidebrief geschrieben, — Huber.“

„Huber — hat Dora einen Scheidebrief geschrieben? Therese?“

„Oh — was sagst du das so fassungslos? Ja. Hat er es nicht erz�hlt? Dora w�rde auch nie einen Menschen an sich binden, der in Bezug auf sie d�sinteress� ist.“

„Was meint Scheidebrief?“ fragte Brand lernbegierig. „Does it mean separation?

„Freilich, Vortrefflicher,“ lobte Karoline und f�gte hinzu: „Es ist ein Ausdruck aus der deutschen Bibel.“

Indeed!

Er hatte Karoline durch die dampfende Nacht nach Hause begleitet und kam hustend in das Schlafzimmer. Er zog sich hastig und leise aus. Therese lag mit gro�en, wachen Augen, ohne sich zu r�hren. Im Nachtanzug endlich kniete er an ihrem Bette nieder, ergriff ihre Hand und k��te sie inbr�nstig. Er fl�sterte: „Ach Gott, du bist so traurig, mein Herzenskind, — ach, kannst du es mir nicht sagen?“

Sie fl�sterte: „Du wei�t es ja, George.“

Ihre Tr�nen stiegen, fielen, tropften lautlos �ber ihre Schl�fen. Sie r�hrte sich nicht.

Der Schritt der Ronde klang auf der Stra�e. Der Ruf erscholl:

Qui vive?

Der Herbstregen kl�pfelte rasend ans Fenster.

George weinte heftig, lautlos und gebrochen mit Therese. — — —

Der Geheime Staatsrat von M�ller war w�hrend aller dieser Vorg�nge abwesend von Mainz und auf einer Reise nach Wien gewesen. Anfang November kam er zur�ck, aber obgleich Custine sich angelegentlichst um ihn bem�hte, gelang es ihm nicht, diesen wertvollen Mann seinerseits vom Wert der neuen �ra zu �berzeugen, und nachdem M�ller einige harmlose eigene Gesch�fte in aller �ffentlichkeit und einige im Sinne der Franzosen vielleicht weniger harmlose in aller Stille erledigt hatte, reiste er wieder ab, nicht ohne dem Mainzer Publikum M��igung und eine kluge F�gung in die Absichten der Eroberer nahegelegt zu haben. Es war George nicht gelungen, ihn zu sprechen. Allein die Meinung M�llers, da� die Mainzer gut t�ten, nicht wider diesen Stachel zu l�cken, und seine behutsamen Ratschl�ge an einige einflu�reiche B�rger, dem Klub beizutreten, sich in die provisorische Administration w�hlen zu lassen, um dort den Leuten zu steuern, die beabsichtigten, im Tr�ben zu fischen und f�r den Schutz des privaten und �ffentlichen Eigentums zu sorgen, — diese diplomatischen �u�erungen zur Sachlage kamen George zu Ohren und erschienen ihm bald wie eine Rechtfertigung seiner langsam gereiften Absichten. Dennoch erschien es ihm nicht anders wie eine �berrumpelung seines Geschmacks und seiner Willensfreiheit, als Blau ihm am Abend des 10. November nach einer Klubsitzung im Akademiesaal des Schlosses, der er beigewohnt hatte, das in Blech gestanzte Abzeichen der „Freunde der Freiheit und Gleichheit“ auf die Brust heftete, wozu der beh�bige Riese einigerma�en schmunzelte.

„Als wir den Freiheitsbaum setzten,“ erz�hlte er und hielt George am Rockaufschlag fest, „hab ich geh�rt, wie zwei Juden sich unterhielten. ‚Gott der Gerechte!‘ sagte der eine, — es war der B�r Ingelheim aus der Judengasse, der andere war der Isaak B�r aus Weisenau, — ‚Was hei�t F. G.?‘“

Blau stie� vergn�gt mit dem Zeigefinger auf diese geschmackvolle Blechmarke mit den Initialen von Freiheit und Gleichheit. George, betroffen von der pl�tzlichen Erkenntnis, da� dies schicksalsvolle Abzeichen eine Umstellung seiner eigenen Anfangsbuchstaben enthielt, wandte sich unlustig zum Gehen, aber der andere nahm seinen Arm und kam mit.

„Sagt der Isaak B�r, dieser Patriot, hoho! Gott der Gerechte, du fragst? Hei�t sich Frau Grausin …“

„Maria und Josef! Und Sie verstehen den Witz am Ende gar nicht, Herr Hofrat!“ fuhr er fort, nachdem er sich von einem ausgiebigen Heiterkeitsausbruch erholt hatte, — „haben nie f�r ein Hundel eine Marke bei der Grausin, der Wasenmeisterin, um zehn Kreuzer geholt?“

„Und auch sonst nie Beziehungen zu ihr unterhalten?“ sagte Dorsch an Georges anderer Seite und h�stelte.

Blau am�sierte sich unverh�ltnism��ig. „Der Jude ist eine witzige Kreatur!“ Die Geschichte ging noch viel weiter. Am Schlu� hatte Isaak B�r sich den Freiheitsbaum, der an Stelle des uralten Mainzer Wahrzeichens, des eisernen Steins, auf dem Markt gesetzt worden war, schief angesehen und seinen Eindruck von diesem mit der roten Jakobinerm�tze gekr�nten, bekr�nzten und bewimpelten Mastbaum dahin zusammengefa�t, da� er sich hinter dem Ohr kratzte und sagte: „Ei weih! Ain Baum ohne Worzel, — eine Kappe ohne Kopp!“

„Volksstimme!“ sagte Dorsch jetzt scharf. „Ich bin auch �berzeugt, meine Herren, da� die Sache hier keinen Boden fassen wird. B�hmer zieht uns den Abschaum der Stadt auf den Hals und macht uns mit seinen Listen und Deklamationen vor ganz Deutschland l�cherlich.“

B�hmer begann den Schreckensmann en miniature zu spielen. Er hatte neuerdings im Klub das „rote Buch der Freiheit“ und „das schwarze Buch der Sklaverei“ ausgelegt und forderte die B�rgerschaft t�glich unter geheimnisvollen Androhungen oder ekstatischen Hinweisen auf „unsern Heiland, den B�rger Custine“ auf, ihren Standpunkt durch Eintragung in eins der B�cher darzutun. Er sprach die Absicht aus, „die Despotenknechte wie Staub vor sich herzujagen“ und alsdann die B�rger mit Gewalt zur Annahme der fr�nkischen Wohltaten zu zwingen. George, von Widerwillen gesch�ttelt, sagte zu Dorsch: „Freund, — jede gro�e Sache hat ihre Affen und Narren. Sie lebt aber durch ihre Priester. Es steht jedem frei, seinen Standpunkt zu w�hlen.“

Er gr��te hochm�tig und bog in die Tiermarktstra�e ein. Seine Finger nestelten an dem gelben Medaillon und l�sten es ab. Er geh�rte nun zu ihnen, jawohl. Aber sie sollten ihn nicht hinunterziehen! Er, dem die Freiheit ins Herz geboren war, bedurfte keinerlei Ausweise f�r seine Gesinnung, weder der Kokarde noch dieser verfluchten Hundemarke. Er betrat sein Haus leise, er suchte sein Kabinett auf, er mu�te allein sein, sich sammeln, seinen Weg in die Zukunft zu erkennen suchen. Und in der reinen Atmosph�re seiner Arbeitswelt, hier unter seinen B�chern, vor seinen Manuskripten, unter all den Zeugen seines dem Geist geweihten m�hevollen und gebeugten Lebens, �berkam ihn das Bed�rfnis, sich vor einem Gleichgestellten, einem Weggenossen zum ewigen Ziel, zu rechtfertigen, sich zu reinigen in der Ber�hrung mit einer br�derlichen Seele, so heftig, da� er den Armleuchter zum Stehpult trug und mit fliegender Feder an M�ller zu schreiben begann:

„Da die Umst�nde mich n�tigen, an der provisorischen Organisation des Mainzischen Landes, soweit es gegenw�rtig in den H�nden der franz�sischen Republik ist, t�tigen Anteil zu nehmen, so halte ich es f�r unumg�nglich n�tig, Ihnen, mein vortrefflicher Freund, die Gr�nde, die mich bewogen haben, und die Grunds�tze, nach denen ich mein Verhalten einzurichten willens bin, vorzulegen.

Sie wissen, da� in meinen Augen die Freiheit immer das gr��te, sch�tzbarste von allen G�tern gewesen ist und es immer sein wird. Ohne sie gibt es nach meiner Meinung kein wahres Gl�ck, kein �ffentliches Wohl.

Aber der Philosoph kennt eine moralische und innere Freiheit, die von der politischen �u�eren sehr verschieden ist, die Freiheit, welche Epiktet auch noch in Fesseln hatte, die Freiheit, welche man selbst unter der Regierung von Tyrannen beh�lt, wenn man nur Kraft hat, es zu wollen. Nun, diese Freiheit mu� der wahre Gegenstand unserer Verehrung sein! Denn sie bleibt uns �brig, wenn Klugheit uns zeigt, wie ohnm�chtig die in unserer Gewalt stehenden Mittel sind, um uns den Besitz der politischen und b�rgerlichen Freiheit zu verschaffen.

Wer aber kann den Zeitpunkt bestimmen, wo es dem gerechten und denkenden Mann zur Pflicht wird, die Erwerbung dieser politischen und b�rgerlichen Freiheit zu versuchen, ohne welche der gro�e Haufe des Menschengeschlechtes nie zur Vollkommenheit des intellektuellen und moralischen Wesens, zu der inneren Freiheit, dem wahren Endzweck seines Daseins, gelangen kann? Mich d�nkt, man mu� die Augenblicke erwarten, wo der allgemeine Wille sich erkl�rt, erwarten und sogar ergreifen, um hervorzubrechen und zu dem gro�en Werke des �ffentlichen Wohles mit beizutragen …“

Dieser Zeitpunkt war nunmehr eingetreten, kein Zweifel. George hob den Blick und sann, f�hlte sich feurig durchstr�mt von Kr�ften, die einem neuen gro�en Gef�hl der Verantwortung entsprangen, — einem eben so edlen als von ihm mi�verstandenen Verantwortungsgef�hl, l�chelte, best�rzt vor Gl�ck, setzte die Feder wieder an, zauderte einen Augenblick und schrieb dann unaufhaltsam fort. Sein Gesicht brannte, als er fertig war, wunderliche, nie gekannte Schwingen hielten ihn schwebend �ber dem Alltag. Er �berlas das Geschriebene.

Der Weg, den er sich vorgezeichnet hatte, lag zum erstenmal in voller Klarheit vor ihm, die Absichten und Ziele, deren er sich w�hrend des Schreibens erst ganz bewu�t geworden zu sein glaubte, schienen ihm gro� und sch�n und aller Opfer wert. Er setzte seinen Namen unter den Brief und verharrte in Versenkung, das Haupt geneigt. Diese Worte, an M�ller gerichtet, waren mehr als eine Auseinandersetzung seiner Ansichten, als eine Rechtfertigung seines Eintrittes in den Klub. Sie entschieden �ber das Leben, das ihm noch blieb. Sie trennten ihn auf ewig von Deutschland und der Vergangenheit. Er dachte es nicht aus, was alles sich ihm in M�ller verk�rperte, den scheue leidenschaftliche Freundschaft trotz allen heimlichen Werbens nie ganz zu gewinnen vermocht hatte. Er hatte einen Scheidebrief geschrieben, er wu�te es, — und wu�te es doch nicht. — — —

Frauen brauchten immer l�ngere Zeit, um sich mit dem Neuen abzufinden, er meinte sich dieser z�gernden Haltung einer fertigen Entscheidung gegen�ber von seiten Theresens als etwas ganz Gewohntem zu erinnern, selbst wenn sie vorher zu dieser Entscheidung gedr�ngt hatte. War es nicht immer so gewesen, da� sie ein gedehntes „Ach!“ sagte und dann lange Zeit gar nichts und dann Einw�nde h�ren lie� und Zweifel vorbrachte. Oh, er suchte �ngstlich in seinem Ged�chtnis nach �hnlichen F�llen und versicherte sich dann, ja, es sei immer so gewesen! Jedoch es war diesmal nicht recht von ihr, seine Verantwortung mit ihrem halb erschrockenen, halb nachdenklichen Hinnehmen seiner Entschl�sse derma�en zu belasten, und die betretene Stimmung, die auch Karoline und der gute Brand, der ja nun freilich ganz und gar nicht ma�geblich war, an diesem Abend zur Schau trugen, veranla�ten ihn zu einer zornigen Gespr�chigkeit. Was der Vater in G�ttingen sagen w�rde? Wie, war dies auf einmal ihre erste Sorge? Nun, der gute Alte habe ihm neulich, wie sie sich wohl erinnern werde, geschrieben, da� man diesseits und jenseits der Leine in Frieden lebte, ��e, tr�nke und schliefe, — daran w�rde auch der �bertritt seines Schwiegersohnes auf ein ihm fremdes Gebiet nichts �ndern, obschon es gewi� einige Lamentationen kosten w�rde. Sie m�ge nur entschuldigen, sie kenne seine Verehrung, seine Liebe f�r den alten Herrn, — seit wann aber fordere sie, da� er ihm zuliebe seine Lebenswege in der hann�verschen Tiefebene halte? Viel peinlicher sei es ihm zumute in Erwartung eines Ausbruchs des v�terlichen Vulkans in Halle, und — nun ja, er sei eben nicht in der Lage, das Praktische ganz �ber dem Ideal hintenan zu setzen, da er sie und die Kinder nicht hungern lassen d�rfe: w�rde der wackere Vo� in Berlin sich jetzt noch zur Gew�hrleistung jenes Darlehns der 1500 Dukaten, deren er zur Deckung von allerlei Schulden — „du entsinnst dich wohl, meine Teure!“ — so dringend bedurfte, verstehen k�nnen? — Karoline wagte es, mit sanfter Stimme einzuflechten, da� es derlei Bedenken ja auch sein m�chten, die den Hofrat Heyne m�glicherweise zu Lamentationen veranlassen w�rden und mit einigem Recht. Sie wurde jedoch gar nicht beachtet, denn mit einer Bewegung, als striche sie etwas Unsichtbares von der blanken Tischplatte hob Therese kummervolle Augen zu George empor und sagte mit schwerer Betonung: „Und dies hast du nicht bedacht, mein Freund, da� du nicht nur die Ehre deines Weibes, sondern auch ihr und deiner Kinder Leben durch deinen Schritt gef�hrdest? Oh, wir werden alle vogelfrei sein, eines Tages …“ Sie nickte aufschluchzend vor sich hin. George blickte starr auf sie nieder.

„Willst du mir nicht bitte sagen, woher dir dieser Pessimismus kommt? Vor drei Tagen redetest du anders.“

„Oh, warum gehst du nicht mit Brand nach Italien?“

„Willst du mir bitte nicht erkl�ren …“

George hielt inne. Er blickte zu Karoline hin�ber, die seinen Augen auswich und sagte, von einer Erkenntnis �berkommen, fast ohne es zu wissen:

„Huber ist hier gewesen!“

Nach einer Weile, als niemand widersprach, wiederholte er diese Mitteilung, die ihm seine eigene Stimme da eben gemacht hatte, und setzte hinzu:

„Und — ich sollte es nicht wissen.“

„Ich wei� nicht, warum ich es dir nicht erz�hlt habe.“ Therese sprach abgebrochen, in hastigen, kleinen S�tzen. „Er war vorgestern ein paar Stunden hier. Du hattest die Sitzung wegen der kurf�rstlichen Privatbibliothek …“

„Was du drei Tage wenigstens vorher gewu�t hast …“

„Bitte, — mein Freund?“

„Oh, — nichts!“ —

„Er sprach so �berzeugt davon, da� die Preu�en Mainz wieder nehmen w�rden. Er ist doch immer aus erster Hand instruiert. Er hat mich ganz kleinm�tig gemacht. Er meinte, du d�rftest dich nicht kompromittieren.“

„Ich sollte meine �berzeugung opfern?!“

„Lache nicht so schrecklich! Er sagte, du k�nntest auch in Deutschland als Republikaner leben, in Altona oder Hamburg zum Exempel …“

Sie sah ihm scheu nach, der nun nach alter Gewohnheit im Zimmer auf und abzugehen begann. Sie verfolgte sein m�hseliges Wandern mit den Blicken einer befremdlichen, fast ha�vollen Gespanntheit. Karoline beugte den Kopf �ber ihre Stickerei. Der harmlose Brand g�hnte �ber dem „B�rgerfreund“, der neuen Zeitung des revolution�ren Mainz. Therese wartete. Aber George sagte nur:

„Ich habe noch Schreibarbeit. Ich bitte mich zu entschuldigen. Willst du daf�r sorgen, da� ich warme Mehls�ckchen zum Umschlag vorfinde, — mein Knie ist wieder sehr schlecht.“

Er nickte Gute Nacht und ging hinaus. — — —

Der rasende Ablauf der Tage vor einem gro�en Aufbruch ist bekannt. Es sind Gesch�fte zu erledigen, unabsehbare Gesch�fte, deren Wichtigkeit uns fast erdr�ckt und von denen wir nie zugeben w�rden, wir w��ten, da� wir sie �bersch�tzten. Sich mit ihnen abzugeben, scheint Aufschub zu bedeuten, nicht wahr? Einer, der bisher gelebt hat wie der M�nch in seiner Zelle, auf seine Pergamente geb�ckt, die F��e dem L�wen des Geschicks fest auf den Nacken gestellt und nicht duldend, da� er sich erhebe, — er rast auf einmal, da die Uhr ihm zu H�upten zum Schlage schon ausholt, hinaus vor die Welt, rei�t sich das Gewand vor der Brust auseinander und schreit: Hier bin ich, nehmt mich hin! w�hrend das befreite Ungeheuer hinter ihm sich erhebt und ihm die Pranken auf die Schultern legt. —

Beiseite also mit dem stillen Handwerkszeug der Wissenschaft! Und Waffen zur Hand, bisher noch nicht ge�bt, deren Sch�rfe unerprobt, deren Tragkraft unberechnet war. Erfahrungen, die bis dahin ungenutzt geruht, hervorgeholt und formuliert, bis sie zum Wurfgescho� brauchbar schienen; eine Zeitung gegr�ndet, Artikel ohne Zahl geschrieben, Reden ausgearbeitet und frei vom Blatt vorgetragen! Der Freiheit, der Gleichheit, der Br�derlichkeit, der Menschlichkeit Hymnen gesungen, der Tyrannei das Urteil gesprochen, alle noch in der Nacht der Despotie schmachtenden V�lker weidlich bedauert und einmal offen deklariert, da� der Rheinstrom die gegebene Grenze zwischen Frankreich und Deutschland sei! Sich dem erhabenen Beruf des Menschenlehrers inbr�nstig hingegeben und die ungl�cklichen verblendeten B�rger und Bauern nach Kr�ften �ber ihren Zustand der Ausgesogenheit und Zertretenheit aufgekl�rt, da sie denn derma�en durch jahrhundertelangen Mi�brauch abgestumpft waren, da� sie nur bl�de in die Sonne der Freiheit starrten und gar die alte Nacht zur�ckverlangten. Die Emissarien des Kurf�rsten schlichen im Dunkeln umher und k�derten das t�richte Volk mit unverantwortlichen Versprechungen, da war kein Zweifel. Aber die Wahrheit war auf dem Marsche und man sollte nur erst die Wahlen kommen, sollte den freien Mann sich frei zu seiner Gesinnung bekennen sehen!

George, in den Wirbel einer fremden T�tigkeit hineingerissen, vor die Aufgabe gestellt, sich in Gebiete einzuleben, die er bisher kaum vom H�rensagen kannte, in Fragen der st�dtischen und l�ndlichen Verwaltung, von fr�h bis sp�t von Klubgenossen, Offizieren, B�rgern und Landbewohnern �berlaufen, durch seine Anstellung in der am 19. November errichteten Administration zum Leitstern f�r alle verzagten Seelen seines Kreises geworden, — George verlor v�llig die Besinnung auf sein eigenes Leben und wu�te es nicht mehr, da� er hier auf der B�hne des Weltgeschehens agierte, die Faust zum Himmel sch�ttelte, Arme ausbreitete und zum Besten des Mainzer Volkes weinte, lachte und deklamierte, da� er dies alles tat, um sich des Menschen nicht bewu�t zu werden, jenes Menschen, der mit seinem Schicksal bekleidet wie mit seiner Haut jetzt schreiend und keuchend durch die innersten kreiselnden G�nge des Labyrinthes jagte …

Von Huber kamen aufgeregte Briefe. Nun, Huber durfte nicht nach Mainz kommen und n�chstens w�rde er nach Dresden zur�ckm�ssen. Warum sollte Huber nicht ein letztes Wiedersehen gew�hrt bekommen, warum ihm den Wunsch nach einer Zusammenkunft in H�chst abschlagen, nach der er, — und auch Therese, und auch Brand, und schlie�lich auch er selbst, ja, auch George! — verlangten?

Es war gar nicht n�tig, da� Brand ihm derma�en zuredete und seine Berline zum Zweck dieser kleinen Reise zur Verf�gung stellte. Er w�rde gewi� selbst auf den Gedanken dieses Ausfluges gekommen sein, h�tte er nur mehr Zeit gehabt. Als Vizepr�sident der Administration hatte er selbstverst�ndlich einen Passepartout durch alle Vorposten hindurch und nun war es nach all den Tagen der Unrast und der ununterbrochenen Arbeit fast eine Erholung, auf der kriegerisch belebten Landstra�e mainaufw�rts zu rollen, die stille Heiterkeit einer milden Sonne nach dem frostigen Nebel der Fr�he zu sp�ren, nicht reden, nicht denken zu m�ssen. Da war Therese an seiner Seite und Brands festes rosiges Knabengesicht ihm gegen�ber, das mit einem seltsamen Gemisch von Verachtung und Neugier auf die marschierenden Nationalgarden sah, die die Stra�e immer wieder sperrten, Lieder sangen und ihre gutlaunigen Scherzworte zu den Reisenden hin�berriefen. „Sie halten uns f�r Mainzer, die ‚kr�nkelnder Umst�nde halber‘ f�r eine Weile verreisen“, wiederholte Therese erheitert die Wendung aus der Privilegierten Zeitung, mit der jetzt dort t�glich Personen ihrer bevorstehenden Abreise den Anschein einer Flucht zu nehmen suchten. Dies waren, setzte sie ihre Betrachtungen fort, zumeist Frauen mit ihren Kindern, die von ihren Ehem�nnern aus der gef�hrdeten Stadt geschickt wurden. Billigte �brigens George ein solches Vorgehen von Ehem�nnern? Ein nerv�ses kleines Gel�chter folgte dieser Frage. Da George schwieg oder �ber dem Ger�usch der R�der gar nicht verstanden hatte, f�hlte sich der h�fliche Brand bewogen, zu bemerken, es sei die Pflicht jedes Gentlemans, seiner Lady den Anblick der Szenen des Krieges zu ersparen, geschweige denn, sie vor Schlimmerem zu besch�tzen! George, wie aus einem Schlaf erwachend, fragte: „Ja, bef�rchten Sie denn noch Kriegsszenen in unserm guten Mainz?“ Und als der Engl�nder stumm mit den Augen auf einen Trupp Soldaten wies, der in dem Dorf, das soeben passiert wurde, am Brunnen mit einer alten B�uerin um ein paar G�nse handelte, und zwar in einer Weise, die auch dem fl�chtigen Beobachter keinen Zweifel �ber Form und Ausgang dieses Handels lie�, zuckte er die Achseln und rief: „Das Volk hat es selbst in der Hand, ob diese Soldaten mit der Pike oder mit dem Palmenzweige in den H�nden zu ihm kommen. Es gibt eben Religionen, die m�ssen mit Feuer und Schwert ges�t werden!“ Indem rasselte der Wagen schon durch die Gassen von H�chst und unter der T�r des ‚Roten Ochsen‘ auf dem Marktplatz stand Huber und trat nun, einen Ausdruck leidender Spannung auf dem blassen Gesicht, heran, um die Freunde zu begr��en. Das gemeinsame Mahl verlief ziemlich schweigsam. Therese erz�hlte von Haushalt und Kindern; hatte Huber noch die neuen roten Winterkleidchen an den M�dchen gesehen? Sie sahen so allerliebst darin aus, besonders das Clairchen. Und R�schen sei in die Mansardenstube gegangen, habe sich dort auf einen Schemel gesetzt und gesagt: „Ich will an den Onkel Ferdi denken.“ Im Wagen �brigens sei ein Paket mit Hemden und Str�mpfen von ihm, die noch aus der W�sche gekommen seien, sie seien auch schon geflickt, — „ja, lieber Brand, das m�ssen Sie nun schon in Kauf nehmen, da� eine deutsche Hausfrau selbst bei Tisch von Hemden und Str�mpfen spricht!“ — und da sei au�erdem ein Pack aus Jena mit Druckschriften, zum Rezensieren wahrscheinlich. Die Einquartierung im Hause w�rde immer l�stiger. Sie h�tten nun bald eine halbe Kompagnie Soldaten in den R�umen im Erdgescho�, die allerlei Unfug trieben und neulich versucht h�tten, ihre Suppe auf dem Kaminfeuer zu kochen, ein Balken hinter dem Kamin sei in Brand geraten, man h�tte Maurer ins Haus holen und mit M�h und Not l�schen m�ssen. Die Offiziere seien chevalereske Leute, aber recht anspruchsvoll, — ja, die wohnten nun in der Mansardenstube … Ihr Geplauder versiegte allm�hlich unter dem dr�ckenden Schweigen der M�nner. Das Essen war abgetragen. In dem engen, schlecht gereinigten Zimmer, das der Wirt ihnen auf ihren Wunsch, allein sein zu k�nnen, einger�umt hatte, dunstete das Kohlenbecken, ohne W�rme zu verbreiten; von dem hochaufget�rmten Bett und den bekritzelten W�nden ging die Vorstellung schlafloser N�chte aus, der unbehaglichen N�chte Durchreisender und Heimatloser. Auf einmal pre�te Huber die Stirn in beide H�nde, st�hnte unwillig, sah dann auf und sagte entschlossen: „Ich war in so entsetzlicher Sorge um Euch, mein bester Freund, und dies ist’s, warum ich Euch hergerufen habe …“

George machte „Ach!“ und: „H�tten Sie sich doch in Ihren Briefen deutlicher ausgesprochen! Ich w�re geflogen, Sie aus Ihrer Unruhe zu rei�en!“

Indessen wu�te er wohl, Worte bedeuteten jetzt keinen Aufschub mehr. Da Huber verstummte und gr�belnd vor sich hinstarrte, nahm er den unsichtbaren Ball auf und warf ihn zur�ck: „Ihre Sorge um uns kann kaum gr��er gewesen sein, als die unsere um Sie. Oder sprechen wir von Mann zu Mann und aufrichtig: es schmerzt mich, da� Sie nicht imstande sind, mit den politischen �berzeugungen Ihres Kopfes und Herzens Ernst zu machen. Wenn wir unsern Freund in einer unklaren Stellung sehen, wenn er, — vergeben Sie mir das Wort, — Ideale �u�eren Verh�ltnissen opfert, so weinen wir mit seinem Genius um ihn.“ Er stemmte die Kn�chel der rechten Hand auf den Tisch und blickte Huber sanft strafend an. Der wandte sich gequ�lt ab. Therese, die ihren Hut gar nicht abgebunden hatte, zog nun auch den weiten Mantel wieder fr�stelnd um ihre Schultern zusammen und sah tief erbla�t von einem zum anderen.

„Es handelt sich hier augenblicklich nicht um Politik“, sagte Huber endlich leise und nach Worten suchend. „Ich bin als J�ngling in eine politische Laufbahn eingetreten, ohne zu wissen, was ich tat. Dieser �u�ere Beruf wird in kurzer Zeit von mir abfallen wie die H�lle, wenn die reifende Frucht sie sprengt. Da ich kein enrag� bin …“

„Welcher Vern�nftige w�re es?“

„Da ich kein enrag� bin, so mache ich aus der Tatsache meiner inneren Entwicklung nicht den Auftakt zu einer Trag�die …“

„Wer — tut — denn das?“

Huber starrte d�ster vor sich hin. Dann raffte er sich auf:

„Als ich Ihnen neulich zuredete, sich frei zu Ihrer �berzeugung zu bekennen …“

„Oh, es bedurfte keines Zuredens! Wahrlich!“

„Um so besser! Oder um so schlimmer! Kurzum: nie war es meine Meinung, Sie sollten sich in eine Rolle begeben, wie Ihre heutige in Mainz es ist, sich derma�en blo�stellen, sich vor ganz Deutschland kompromittieren. Wozu denn diese Reden auch noch drucken lassen? Wozu denn nach Frankfurt hin�berdrohen? Wissen Sie, wie man in Frankfurt �ber Sie spricht? Und da� wir die Preu�en vor unsern Toren haben?“

„Welche Sprache! Aber ich halte es Ihrer Erregung zugute!“

„Oh, ich bin au�er mir! Ich sehe mein Teuerstes in Gefahr …“ Er besann sich, atmete tief und verbesserte:

„Meine teuersten Freunde am Rande eines Abgrundes. Oh Gott, mein Freund! Noch k�nnen Sie zur�ck!“

Er streckte beschw�rend beide H�nde aus und blickte George flehend an. George sagte mit einem Gef�hl, als rauchte der Eishauch seines j�hlings erstarrten Herzens aus seinem Munde: „Wohin bin ich geraten? Dies ist eine Verschw�rung! Was wollt ihr denn von mir?“

Er hatte sich erhoben und einen Schritt vom Tisch zur�ckweichend starrte er mit erbitterter Befremdung in diese drei ihm zugewandten Gesichter.

„George!“ bat Therese schmerzlich, „du darfst ihn nicht so mi�verstehen!“

„Ihr seid alle drei im Bunde gegen mich!“

Nonsense, Sir! It’s your own best we intend!“ murmelte Brand unbehaglich vor sich hin. Er drehte sich samt seinem Stuhl zum Fenster um. Der fr�he Abend begann den Westen tr�be blutig zu f�rben. D�mmerung schlich in die Kammer.

„Wir wollten Sie, teuerster und edelster Mann, nicht best�rmen, von Ihrer �berzeugung zu lassen“, sprach Huber nun sanft und nahezu dem�tig, indem er auf George zutrat und ihn umfa�te. „Wie d�rften wir das unternehmen, die von Ihnen geleitet, den Weg dieser �berzeugung selbst betreten haben und gewillt sind, ihn niemals wieder zu verlassen!“

„Aber Georgie! Als ob wir nicht alle eines Sinnes w�ren!“

„Was ich Sie nur bitten m�chte, — wozu mich mein Gewissen dr�ngt … Oh, Forster, war es denn n�tig, gleich diesen vorgeschobenen Posten zu w�hlen …“

„Nicht ich w�hlte. Die Wahl fiel auf mich.“

„Gleichviel. Oder ihn anzunehmen? Sehen Sie, auch ich, — auch ich … Ich werde mein Amt niederlegen, sobald gewisse einmal angefangene Gesch�fte abgewickelt sind, sobald der schickliche Augenblick sich findet. Ich werde dann als Privatmann leben, mich als freier homme de lettres durchschlagen.“

„Sie haben nicht f�r eine Familie zu sorgen, — in der Tat!“

„Oh, Forster! Als ob mein Wohl und Wehe noch jemals von eurem zu trennen w�re! Wenn wir uns einen Platz in der Welt gesucht h�tten, wo wir zusammen h�tten weiter leben k�nnen wie in Mainz …“

George war ans Fenster getreten. Er st�tzte den Kopf in die Hand und blickte in den traurigen Abendhimmel, als sei er allein.

„Zusammen weiter leben wie in Mainz …“ wiederholte er langsam und nickte vor sich hin. Dann wandte er sich ins Zimmer zur�ck. „Und warum sollte das jetzt unm�glich sein?“

„Weil, — ums Himmels willen, Freund, sind Sie denn mit Blindheit geschlagen? — weil Frankfurt morgen oder �bermorgen oder meinetwegen in drei Tagen in preu�ischen H�nden sein wird und dann ist Mainz doch auch in wenigen Tagen wieder frei!“

„Frei! Hahaha! Lieber Huber, Sie haben das Wesen der Freiheit begriffen! Sie haben es begriffen!“

„Da� Sie doch bei der Sache bleiben wollten! Man wird Ihnen mit hundert andern den Proze� machen, Sie einkerkern, f�silieren, was wei� ich. Sie meinen, Sie werden dann mit der franz�sischen Armee ins Innere von Frankreich fliehen, — gut …“

„Sie gehen ja von ganz falschen Voraussetzungen aus. Welche Meinung haben Sie denn von Custine und diesen herrlichen Truppen! Frankfurt wird nicht preu�isch werden und Mainz erst recht nicht. Wir haben Kastel befestigt. Wir halten eine zweij�hrige Belagerung aus.“

Huber ging auf ihn zu, als wollte er ihn bei der Gurgel packen. Nahe vor ihm blieb er mit geballten F�usten stehn, blickte von unten heraus b�se in sein Gesicht, was er zuwege brachte, obgleich er gr��er war als George, und schrie:

„Und dem allen wollen Sie Ihre Frau aussetzen?“

Gleich darauf fa�te er sich, kehrte sich ab und f�gte mit schwacher Stimme hinzu: „Und Ihre Kinder …“

George sagte dumpf und blickte niemand an:

„Therese kann ja fliehen.“

„Oh, was beschlie�t ihr �ber mich!“

George murmelte: „Wer hat denn schon beschlossen?“

Aber nun erhob sich Brand. Seine gro�e, etwas ungeschlachte Gestalt verdunkelte das eine Fenster v�llig, niemand konnte mehr die Gesichter der andern erkennen. Brand redete mit vielen Handbewegungen, redete in seinem ungeschickten Deutsch voll gutm�tiger Heftigkeit. Er wollte Mr. Forster in seine Berline packen und nach Italien entf�hren, kurz und gut. Er habe es auch satt, in Mainz der gentilhomme anglois zu sein, der Spionage verd�chtig und unter steter geheimer �berwachung. Er w�rde aber nicht nach G�ttingen gehen wie sein Oheim es w�nschte, sondern auf eigene Faust nach Italien, �ber Mailand und Florenz nach Rom, wenn nur Mr. Forster Vernunft annehmen und mit ihm gehen und die Franzosen to their own damned affairs �berlassen wollte! Ehe noch George ein Wort sagen konnte, rief Huber emphatisch: „Dies ist ein Wink der G�tter!“

„Und Therese — und meine Kinder?“ murmelte George, die Hand an der Stirn.

„Oh, lassen Sie Ihre Freunde sorgen! Vertrauen Sie ihnen doch! Bis Sie ungef�hrdet zur�ckkehren k�nnen, tragen andre Ihre Pflichten!“

„Nur die Pflichten?“ sagte George tonlos und niemand vernahm ihn.

„Und au�erdem ist dir der Vorschu� von Vo� doch sicher“, h�rte er Therese seltsam gelassen sagen. „Als Brands Bedienter k�mest du ohne Gefahr aus Mainz heraus bis Basel.“

„Als Brands Bedienter, sagst du.“

Es war dunkel geworden. Huber ging an die T�r und rief nach Licht. Niemand sprach ein Wort. Als der Aufw�rter mit der d�rftig scheinenden Unschlittkerze eintrat, hob George ihm das Gesicht entgegen, ein graubleiches verfallenes Gesicht, und befahl, er m�ge anspannen lassen. Dann, sich Haltung gebend, in gefa�tem Plauderton, mit einem L�cheln zu Therese hin�ber und dann, als er Theresens Augen ratlos ins Leere gerichtet fand, Huber fest und freundlich ansehend, sagte er: „Vielleicht werden die n�chsten Tage unsere Entschl�sse reifen. Glauben Sie nicht, lieber Freund, da� ich von irgend jemand auf der Welt das Opfer fordern werde, mit mir zu leben — und zu sterben.“

Therese schluchzte auf.

„Oh, George! Welche gro�en Worte wieder!“

„Mein gutes Kind! Ich glaube, — jetzt hab ich ein Recht auf sie.“ — — —

Der Pfeil war auf die Sehne gelegt. Der Sch�tze in den Sternen zielte.

Der Adventsreiter von Frankfurt war unterwegs. Sein gr�ner Dolman fegte hinter ihm drein, unter den Hufen seines Rappen stob der neue Schnee. Kam er durch die D�rfer, so ritt er langsamer und stie� in die Trompete: „Trahisson! Massacre! Vengeance! Die Preu�en haben Frankfurt genommen! Ver—rat!“

In den sonnigen Nachmittagsstunden des 2. Dezember, eines Montags, stand George mit Therese und Brand auf den Schanzen von Kastel. Diese kleine Promenade hatte ihm gut tun, hatte die entsetzliche Unrast in ihm ein wenig d�mpfen sollen. Der bei ihnen einquartierte Artillerieoffizier an seiner Seite machte aufs artigste den F�hrer durch die Verschanzungen und erkl�rte die Arbeiten, mit denen Bauern aus der Umgegend und Soldaten Schulter an Schulter besch�ftigt waren. Hier herrschte br�derliche T�tigkeit, ach, es war ein Bild, dessen sich das bebende Herz getr�sten konnte. George h�rte Therese plaudern, h�rte sie ernsthafte kleine Fragen tun; er f�hlte ihre Hand seinen Arm umspannen, wie sie es zu tun pflegte, wenn sie in Eifer geriet, — da l�chelte er und dr�ckte diese kleine Hand an seine Brust. Brand kletterte mit R�schen auf den �berfrorenen Lehmhaufen herum, das Kind jauchzte und rief den grabenden Soldaten sein winziges: „Bon jour, citoyen!“ immer wieder zu, vergn�gt �ber die Heiterkeit, die ihm antwortete. Schneegew�lk quoll rings um den Horizont auf und erstickte die ohnehin schon tief stehende Sonne. Ihre letzten Strahlen lagen mit seltsam aufregendem Licht auf den hohen T�rmen der Stadt dort dr�ben, w�hrend hier der kalte graue Schatten schon stand und der Strom matt und bleiern durch wallenden Nebel gl�nzte.

In schwerm�tigem Gedankenspiel sagte sich George, da� sein Haus jenseits des Stromes im Land der untergehenden Sonne l�ge, und da� er nicht �ber die Br�cke zur�ck, sondern ostw�rts gehen sollte, dem Lichte entgegen. Er sagte sich dies, und in einem mechanischen Zwang die Allegorie weiter f�hrend, redete er sich ein, da� der sinkenden Sonne folgen auch hei�en k�nne, wieder mit ihr aufzugehen, — als er mit einem Male durch das grelle Schmettern einer Trompete und eine durch die Kolonnen der Arbeitenden zur Stra�e hinwogende Bewegung zum j�hen Aufblicken vermocht, den gr�nen Reiter, den Adventsreiter von Frankfurt erblickte, wie er soeben nach kurzem Anhalten inmitten einer Gruppe von Offizieren und Mannschaften weiterjagte, der Rheinbr�cke zu, deren Bohlen alsbald unter den Hufen dr�hnten, w�hrend die Worte: „Francfort! Trahisson! Les Prussiens! Massacre!“ durch die Reihen liefen wie fressendes Feuer, Fl�che laut wurden, F�uste sich ballten und Bruchst�cke einer blutigen Geschichte, Raben eines f�rchterlichen Ger�chtes durch die Luft flatterten, schreiend und Rache heischend. Und pl�tzlich fand sich George allein unter den fremden, wild redenden und gestikulierenden Soldaten, sah Therese hin�berlaufen zu Brand, der ihr entgegeneilte, sah sie die H�nde auf seinen Arm legen und h�rte sie rufen: „Oh, Brand, da sehen Sie, — da sehen Sie! Er hatte recht! Er hatte wirklich recht!“ — — —

In der folgenden Nacht, — einer furchtbaren, endlosen Nacht, — machte George es sich klar, da� es nun nur noch ein Vorw�rts f�r ihn g�be, und da� er, traumwandelnd wie er zu seinem �ffentlichen Bekenntnis zur Sache der Freiheit gekommen war, nunmehr erwacht f�r sie einstehen m�sse. Und da die Freiheit keines Volkes Sache zu sein schien, als die Sache Frankreichs, so mu�te er eben f�r Frankreich eintreten, war sein Blut und seinen Geist keiner irdischen Macht mehr schuldig, au�er der Souver�nit�t des freien Frankenvolkes und seinen Mitb�rgern, insoweit sie Frankreichs Sache zu der ihren gemacht hatten. Den letzten Funken und den letzten Tropfen f�r Mainz, wenn es feurig und heldenhaft f�r die Menschenrechte zu streiten und zu sterben begehrte! Den Staub dieser Stadt von seinen Schuhen, wenn sie, gleichen Geistes wie Frankfurt, in dem friedlichen Eroberer nichts sehen wollte als den alten Erbfeind im Schafskleid, und die erste Gelegenheit wahrnahm, um die arglosen Freiheitss�hne zu �berrumpeln, dem deutschen Heer die Tore zu �ffnen und sich mit Freudengewinsel unter den Fu� der heimkehrenden Despotie zu ducken! Und darum wohl von vornherein: den Staub von seinen F��en! Denn da� dieser Geist in Mainz umging, wer wollte daran zweifeln? Dar�ber w�rde auch der tobende Klub nicht hinwegt�uschen, der in seiner Zusammensetzung immer mehr an ein Narrenhaus erinnerte und eine Zufluchtsst�tte f�r alle geworden war, die bis dahin im Leben zu kurz gekommen waren und ihre unausgelebten Begierden nun zum Himmel schrien, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Nein, nein, der deutsche B�rger war nicht reif f�r die Freiheit der Selbstbestimmung! F�nfzig, ja hundert Jahre der Entwicklung fehlten ihm noch! Welche Gnadenfrist f�r Deutschlands F�rsten, dachte George von l�ngst begrabenen W�nschen noch einmal spukhaft ber�hrt. Einem jener F�rsten, denen Ludwigs Schicksal jetzt wie der b�se Traum einer bangen Nacht scheinen mochte, der Joseph sein d�rfen, der diesen Traum ausdeutete, der seine Warnungen in klaren Lettern an die Wand schrieb … Da denn sein Leben doch unaufhaltsam der �ffentlichen, der politischen Rolle zugetrieben war, dem hei�en Drang nach weiter Wirksamkeit folgend, diesem uneingestandenen Drang nach sichtbarer, nach h�rbarer, nach ruhmvoller Wirkung, — oh, warum dann nicht jenen Weg, der doch vielleicht auch offen gestanden h�tte, den Weg der aufgehenden Sonne entgegen? Indessen, sagte er sich in seinen hei�en Kissen verzweifelnd und immer wieder auf das Marschieren drau�en lauschend, denn die von Frankfurt zur�ckgenommenen Truppen durchzogen n�chtlich die Stadt, alle diese Betrachtungen waren Versuchungen des D�mons der Wankelm�tigkeit und es galt nichts mehr als das „Allons, enfants de la patrie“ und den Rhythmus des �a ira in seiner wahnsinnigen Unbek�mmertheit. In einer bangen R�hrung hatte er l�ngst wahrgenommen, da� auch Therese nicht schlief. Ihr Herz h�lt sie wach, dachte er, nun ganz an sich selber hingegeben und f�hlend, da� all das unerm�dliche Raisonnement seines Verstandes nichts war, als eine �bung, um dieser innersten schrecklichsten Sorge zu entgehen. Ihr Herz h�lt sie wach, sagte er sich, ihr verzagtes Herz, das Herz eines Weibes und das einer Mutter! Schreckensvoll abgewandt von der fratzenhaften Einbildung, die ihm anderes einfl�stern wollte, die da wu�te, Therese will gehen und — Therese hat nun einen Anla� gefunden, — die Hand �ber die Augen legend, als k�nnte er sich so dem Aufflammen entsetzlicher Einsicht verschlie�en, sprach er sich die Grunds�tze vor, denen jetzt zu folgen war, n�mlich, da� er handeln m�sse als sei er der einzige unbedingt verl��liche Mensch auf der Welt, der Opfernde, der f�r sich kein Opfer forderte. Und da kam der Schlummer �ber ihn, der Schlummer mit der k�hlen Schale des Vergessens.

Er hatte sie gefragt, — und er hatte ein L�cheln dabei gehabt und eine Liebkosung, —: „Wie ist es denn nun, liebes Kind, w�rest du bereit, abzureisen, wenn nun die Preu�en …“ Er vollendete den Satz nicht, er l�chelte wieder. Nach den neuesten Berichten schien es so ausgeschlossen, da� die Preu�en k�men. Custine hatte Frankfurt aus den H�nden gelassen, das war Strategie. Er hatte die Truppen auf Mainz zur�ckgezogen, Kastel war befestigt, die Stadt nach Eikmeyers Ansicht auf eine zweij�hrige Belagerung vorbereitet. Jedoch, so hatte wiederum Eikmeyer, das milit�rische Orakel des Klubs, ge�u�ert, woher wollte der General Kalkreuth jetzt die Armee aufbringen, die Festung einzuschlie�en? Es lag mithin kein Grund vor, Mainz als gef�hrdeten Boden zu verlassen, und wenn der Vizepr�sident der Administration seine Familie wegschickte, gab er damit nicht zu, da� er, ein Vertreter der Stadtverteidigung, anderer Ansicht war? W�rde das nicht hei�en, die B�rgerschaft beunruhigen, den Vors�tzen also, mit denen er sein neues Amt �bernommen, untreu werden?

„Nun, — diese B�rgerschaft …“ Therese wand ihre Schultern.

„Sie ist keine Opfer wert in ihrer Lauigkeit, — freilich, da hast du recht. Aber vielleicht verlangt meine Ehre es doch, da� ich �ffentlich erkl�re, da� ich …“

„Da� du was erkl�rst, Georgie?“

„Nun, da� ich mich von ihnen lossage, weil sie nicht f�r die Freiheit sind und also wider sie, da� ich mich nur noch als fr�nkischer Beamter f�hle und mithin handele, wie es mich gut d�nkt, — und nicht, wie die R�cksicht auf ein verstocktes Publikum es erfordert.“

Therese blickte nachdenklich von ihm zu Karoline.

„Und wenn dies, — wenn diese Lossagung gerade den Erfolg hat, da� die B�rgerschaft sich besinnt, — um dich nicht zu verlieren? Nun, — nimm an, — es w�re alles m�glich“ …

George z�gerte. Dann l�chelte er und sagte auch seinerseits dem Anschein nach zu Karoline:

„Dann freilich w�rest du wohl meiner Ehre das Opfer schuldig, noch ein wenig zu verweilen. Vielleicht w�rdest du dann auch erleben, da� die Preu�en gar nicht …“

Therese sagte hastig: „Sie kommen. Wir gehen greuelvollen Szenen entgegen. Was willst du? Brand ist bereit, mich nach Stra�burg zu bringen. Er hat die Unbeirrtheit des Unbeteiligten, er sieht klarer als wir alle. Er dringt auf die Abreise!“

„Brand ist ein Knabe und glaubt alles, was Huber ihm vorspricht.“ Karoline, die Schweigsame, war auf einmal so heftig. „Mainz jetzt zu verlassen, — oh, meine Liebe, es fehlt mir an Ausdr�cken … Ich habe auch ein Kind …“

Therese sah sie bla� und hochm�tig an: „Und spielst va banque mit seinem Leben!“

Die beiden Frauen blickten sich in die Augen:

„Und du, — womit spielst du, Therese?“ — —

Am Montag hatte er die Rede im Klub halten wollen, in der er dem Publikum seinen Standpunkt deklarierte. Es war am Samstag abend, da� Therese, als die Kinder schliefen, zu ihm kam und bebend sagte: „La� mich doch morgen mit den Kindern fahren, George. Weil doch auch Brand nicht l�nger warten kann …“

Allerdings hatte Brand fast t�glich Mahnungen von dem aufgeregten Lord Dacre, die unterminierte Stadt schleunigst zu verlassen. George argw�hnte nicht ohne Grund, da� es nicht nur das vulkanische Mainz, sondern ebenso das verfehmte Haus des Jakobiners Forster war, das Sr. Lordschaft nicht mehr als Aufenthalt f�r den Neffen behagte. Er sagte langsam: „Weil Brand nicht l�nger warten kann, gewi�.“

„George, — ach, warum l�chelst du jetzt nur?“

„Weil ich dich so gut verstehe, Therese. Nun, — sieh mich nicht so an, mein Liebling. Ist es nicht seltsam, Kind, da� unsere eigensten Verh�ltnisse so mit den gro�en Angelegenheiten der Zeit und der Menschheit zusammenfallen?“

„George, — ich verstehe dich nicht. Du schickst uns mit Brand nach Stra�burg …“

George blickte still in sein Licht.

„Ich schicke euch nach Stra�burg, — nun gut, Therese, — und …“

„Oh, George, warum sprichst du jetzt so?“

Sie ging weinend hinaus. —

Der Tag war frostig, nebelgrau und feucht. George hatte das Kl�rchen auf dem Arm und das R�schen an der Hand. Sie standen auf den Stufen des Hauses und sahen zu, wie der gro�e, eilig vollgepackte Koffer hinten auf die Berline aufgeschnallt wurde.

Brand hatte sich schon verabschiedet und war gegangen. Er fuhr mit der Postchaise nach Stra�burg, es vertrug sich nicht mit seinen Anstandsbegriffen, im gleichen Wagen mit der Frau seines deutschen Freundes abzureisen. Oh, Mr. Forster hatte keinen Grund, ihm zu danken. Er erf�llte nur seine Pflicht als gentleman. Da denn Mr. Forster seine Frau nicht selbst zu begleiten w�nschte …

Dies war Old England, das ihn da mit den Augen einer k�hlen Selbstgerechtigkeit noch einmal musterte, wu�te George. Er wu�te es mit Gelassenheit, wenn er es �berhaupt empfand. Er f�hlte die warmen kleinen H�nde seiner Kinder und sonst nichts. Im Hintergrunde h�rte er Theresens Stimme, die der Magd Marianne Anweisungen gab, — Lise fuhr mit nach Stra�burg. Oh, beschw�rende Anweisungen ohne Zahl. Und da� Marianne am Abend nur nie die warmen Umschl�ge f�r den Herrn vergessen m�ge, die warmen Mehls�ckchen f�r sein Knie! Die warmen Mehls�ckchen, — jawohl, dachte George. Er h�rte ihre Schritte hinter sich. Er ging die Stufen hinunter und gab das Kl�rchen der Magd zu halten.

„Warum weint Sie denn, Lise, warum denn?“ murmelte er und beugte sich zu R�schen hinunter.

„Warum kommen Sie denn nicht mit, guter Papa?“ Das Kind umklammerte seine Hand. In das �ngstliche kleine Gesicht hinein sagte George l�chelnd, da� er noch ein wenig hier bleiben wolle, bei den guten Soldaten, und da� er sich dann auch in eine Kutsche setzen und dem R�schen nachfahren w�rde, zum Christfest, freilich doch, zum Christfest schon! Einen Augenblick versucht, selbst zu glauben, was seine �berredende Stimme da sagte, so jammerte doch gleichzeitig sein Herz zu Gott, da� er ihm doch auch einen Trost geben m�ge, ein Versprechen, — ach, und wenn schon ein unm�gliches Versprechen! Aber da stand Therese nun am Wagenschlag, in dem braunen Reisemantel mit den gro�en perlmutternen Kn�pfen, — dies war der Mantel der Abreise am Hochzeitsabend in G�ttingen gewesen! Torheit der Erinnerung! — den blauen Schleier fest um den hohen englischen Hut, um das wei�e Gesicht geschlungen. Wie in einer wunderlichen Abwesenheit des Geistes tasteten ihre H�nde am Gep�ck, befahl ihre Stimme Lise, mit den Kindern einzusteigen, fragte nun tonlos: „George, — du f�hrst doch noch mit uns bis zum Tor?“ Und da er zauderte: „Nein, nein, — du darfst auch nicht den Anschein erwecken, — ich wei�!“ Der Kutscher m�ge langsam durch die Stadt fahren und am neuen Tor auf sie warten, rief sie, „Dein Hut!“ rief sie, „dein Stock!“ eilte die Stufen hinauf, der verst�rten Marianne beides abzunehmen, kehrte noch einmal um, lief ins Haus und kam mit dem wollenen Halstuch zur�ck. Er h�rte indessen den Wagen anr�cken, sah die kleinen Gesichter der Kinder, ratlos, wie ihn d�nkte, auf sich, auf das Haus ihrer Heimat gerichtet, bis sie entschwanden, f�hlte Theresens H�nde, die ihm den Schal umkn�pften, bebende, kleine H�nde, gewi�, er kannte dies Beben, jawohl, und nun ging er, ging mit Therese am Arm die Tiermarktstra�e hinauf. Der Hofrat Forster, der Vizepr�sident der Administration, hier ging er durch Mainz, seine Gattin am Arm. Kein Grund sich aufzuregen f�r das Publikum, nicht wahr?

„Du hast so eisige H�nde, Georgie, — ich verga� deine Handschuhe, — ach verzeih!“

„Aber ich bitte dich, Liebe, — das schadet doch nichts. Hast du auch deinen Muff im Wagen, — die Kaninchenkatze, Therese?“

„Oh, Georgie, — oh! Ich habe alles, auch Fu�s�cke und den gro�en Pelz f�r die Kinder.“

„Das Kl�rchen hat den Schnupfen …“

„Du hast so schrecklich gehustet vergangene Nacht, Georgie. Vergi� nie den Eibischtee abends. Marianne stellt ihn dir hin, aber du mu�t ihn auch trinken. Hei�, Georgie, — ganz hei�!“

„Liebe, du mu�t dich nun gar nicht mehr sorgen um mich. Du wirst genug mit euch selbst … Wirst du mit dem Gelde auch reichen?“

„Ach, George!“

„Warum weinst du denn, Liebling? Sei mein tapferes Herz. Alles wird gut. Wenn du dich je in bedr�ngter Lage siehst, wende dich an Schweigh�user, nicht an Zaukell. Zaukell ist ein guter Gesch�ftsmann, aber ein zu guter Gesch�ftsmann.“

„Ach George, — warum an Fremde? Du bist so nah. Denk doch, zwei Tagreisen …“

„Freilich doch, Therese. Ich bin ganz nah.“

„Und du schreibst mir t�glich?“

„Ich schreibe dir t�glich.“

Sie bogen in die stille Wei�liliengasse ein und gingen unter der Zitadelle hin. Sie gingen ganz langsam. Die Domglocken l�uteten und den Nebel schwellend zu ungeheurer Klage fielen allm�hlich alle Kirchen ein. Trommeln rasselten aus den Schanzen.

Sie blieben stehen.

„Oh, Georgie, — du l�chelst?“

„Warum soll ich — nicht l�cheln, Therese?“

„Oh, George, — du hast das heiligste Herz auf der Welt.“

Er dr�ckte sie still an die Brust. Nach einer Weile zog er sein Tuch und trocknete ihr sanft das Gesicht. „Komm nun, Therese. Die Pferde …“

Sie schritten weiter. Therese sagte stockend:

„George, ach, sei nicht so allein, jetzt, bis du nachkommst.“

„Ach, Therese, — bei so viel Gesch�ften — und so viel guten Bekannten …“

„Ich denke nur, — S�mmerring ist fort …“

„Ja, S�mmerring ist fort.“

„Und M�ller …“

„Ach, — M�ller — Aber freilich, ihn hier zu wissen, w�re ganz gut.“

„Aber der gute Lux, George. Wedekind kann dir nichts sein, aber Lux ist so lauter gesinnt. Und George, Karoline, — du sollst Karoline oft sehen.“

„Soll ich das, kleine Therese?“

„Ach, George, — ist sie dir denn gar nichts?“

Er blickte in ihr Gesicht, in dem eine fordernde Frage stand. Brauchte sie auch diesen Trost? Er sagte mitleidig: „Karoline ist mir wohl sehr viel, du Kind.“

Da stand der Wagen unf�rmig im Nebel. George sagte:

„Therese …“

„George?“

„Ich — m�chte dich noch einmal k�ssen, — hier — allein …“

Ihr wei�es k�hles Gesicht. Ihre geschlossenen Augen. Ihr s��er, s��er, duldender Mund.

„Hab ich dich oft — ach oft — gequ�lt, mein Herz?“

„Oh, George …“

Der Kutscher �ber seinen sieben Kragen fluchte schon. Der englische Bereiter sprang vom Bock und ri� den Schlag auf. Im Wagen war ein warmes zwitscherndes Nest voller Kissen, Decken und Pelze, die Kinder schmausten mitgenommenen Kuchen, die biedere Lise strickte. Da stieg Therese nun hinein. George wagte es nicht mehr, nach den Kindern zu greifen. Er stand. Er l�chelte.

Therese dr�ngte den Schlag, der zufallen wollte, noch einmal zur�ck, Therese sprang heraus, sie warf sich an Georges Brust.

„Vergib mir, — o vergib!“

Die Peitsche knallte, die Pferde zogen an. Mr. Brands Berline setzte sich schwankend in Bewegung und schaukelte zum Neuen Tor hinaus, auf der Stra�e nach Speyer, die George vor zwei Jahren heimkehrend von Paris gekommen war. — — —

Wirbelnd hatte die Spindel getanzt; rasend rollte der Schicksalsfaden ab.

Der Deputierte des Mainzer Konvents im Nationalkonvent zu Paris, George Forster, wohnhaft in der Rue des Moulins, Maison des Patriots hollandais, war ein Freund der einsamen Spazierg�nge. Dieser gewesene Deputierte eines gewesenen Konvents, nach Paris gesandt vom Vertrauen seiner Mitb�rger, die ihren aufgezwungenen Freiheitstaumel seit dem Juli in den Tr�mmern ihrer von den Preu�en zusammengeschossenen Stadt b��ten, George Forster, durchwanderte unabl�ssig die Stra�en von Paris und machte es mit sich aus, was es hei�en wolle, ein Sansculotte des Herzens zu sein.

Der Sansculotte des Herzens fragt nicht nach Haus und Herd. Er hat sein Zelt, sein Arbeitsger�t, seine Waffe. Sein Lager und seine Feuerstelle sind da, wo der Abend den Wandernden findet. Er ist nicht Patriot, sondern Kosmopolit; er ist Weltb�rger. Weiter:

Der Sansculotte des Herzens fragt nicht nach Freund und Gevatter, er vergi�t, da� er Eltern und Geschwister besa�. Darum gleichviel, wer hinter ihm drein flucht, gleichviel, ob es Lippen sind, die seinen Namen einst in der Ergriffenheit von Z�rtlichkeit und Zuneigung nannten! Er geh�rt zum heimlichen Orden der Br�der vom reinen Willen. Letztlich:

Der Sansculotte des Herzens fragt nicht nach Weib und Kind. Er fragt nur nach der Idee und dankt dem g�ttlichen Wesen, wenn es von irdischen Banden ihn l�ste. —

Er hatte sich mit zwei Gef�hrten, Lux und Patocki, Ende M�rz nach Paris schicken lassen, um in Mainz nicht am Ekel vor dieser Pseudorevolution zu ersticken, sich nicht den Tod zu holen bei dieser Orgie geilgewordener Spie�b�rgertriebe. Er hatte sein entseeltes Haus verlassen, den Schauplatz der f�rchterlichen Monate des Einsamseins, und Aug in Auge mit einer Wirklichkeit, der nun nicht mehr auszuweichen gewesen war, die nun endlich genommen werden wollte als das, was sie war.

Ach, es war durchaus keine �berraschung f�r ihn gewesen, dies, da� Therese, kaum eine Woche in Stra�burg, in ihren Briefen von Feuillants und Rolandisten zu schw�rmen begann, charmanten Leuten, deren �berzeugungen ihr wohl taten und ihrem weiblichen Herzen entsprachen; keine �berraschung, da� sie nach weiteren vier Wochen den Ratschl�gen dieser neuen einsichtigen Freunde nachgebend, wie sie versicherte, — den brieflichen Lamentationen des alten Heyne, den Beschw�rungen des Freundes in Dresden folgend, wie George ohne alles Fragen wu�te, — mit den Kindern Stra�burg verlassen und sich nach Neufch�tel, in die neutrale Schweiz begeben hatte, in ihrer weiblichen Verwirrung scheinbar ganz au�er acht lassend, da� sie nun unerreichbar f�r einen franz�sischen Staatsbeamten und B�rger geworden, dem das �berschreiten republikanischer Grenzen bei Todesstrafe verboten war! Es war keine �berraschung endlich, auch dies nicht, da� sie, — nicht unerreichbar f�r einen deutschen Untertan und s�chsischen charg� d’affaires au�er Diensten, — seit dem Mai unter Hubers Schutz in Neufch�tel lebte, — oh, in allen Ehren und nicht unter einem Dach, aber immerhin, Huber war bei Therese in Neufch�tel, Huber sah sie t�glich, Huber unterrichtete das R�schen, Huber sorgte f�r Theresens Unterhalt, denn wie h�tte George bei seinen achtzehn Livres Di�ten, die er einstweilen noch bezog, das jetzt vermocht?

Endlich, noch nicht genug, — und seltsam, wie gewappnet sein Herz diese letzten Schl�ge erwartet hatte, — keine �berraschung war es, da� sie ihn baten, nur noch Theresens Freund zu sein, — und Hubers Bruder, ja, freilich! — auch vor der Welt. Keine �berraschung die grausamen Enth�llungen �ber die letzten Jahre, die man nun aus der Ferne ihm zu machen den Mut endlich fand! Diese Kinder — oh, sie waren ja tot! Auch der kleine Junge — war tot. Konnten Tote denn zweimal sterben?

Keine �berraschung, nicht wahr, im letzten Grunde keine �berraschung, kein Schreck, keine Ersch�tterung! Er hatte dies alles gewu�t. Er hatte wissend daran vor�bergelebt, wehrlos, in inbr�nstiger Hoffnung vertrauend, denn er war nicht geboren als ein Sansculotte des Herzens. Indessen, er hatte gelernt. Und was sich da jetzt noch an Widerstand in ihm regte, was sich das lange Jahr �ber, — denn wieder war es Dezember, — an un�berwindlicher Sehnsucht, an unerf�llbarer Hoffnung aufgeb�umt und sich Luft gemacht hatte in endlosen Briefen voller F�rsorge und Z�rtlichkeit, voller Projekte und Vorschl�ge f�r ein gemeinsames Leben, ein Leben zu dreien, — schlie�lich voller Demut, voller Werbung, die an Bettelei grenzte, — dies alles, er t�uschte sich nicht, sein eigener Zuschauer, der er geworden war, dies alles waren die Todeszuckungen einer sehr teuren Gewohnheit. Er wu�te: dies alles w�rde noch eine kleine Weile so fortgehen. Es w�rde noch eine kleine Weile dauern und dann w�rde das Unverletzliche in ihm triumphieren. Und dann w�rde nichts sein als der reine Kristall, der voll entfaltete Lotos: die Seele nicht des k�mpfenden, aber des im Martyrium l�chelnden Helden —

Die Todeszuckungen jedoch einer geliebten Selbstt�uschung sind gef�hrlich f�r den Organismus, in dem sie w�ten. Sie hatten einen Sanften und Liebensw�rdigen zeitweilig reizbar, ausfallend und b�sartig gemacht. Sie hatten f�r Monate vielleicht einen politischen enrag� gezeitigt, wo ein Friedensapostel gewesen war. George vermied es, sich seiner politischen T�tigkeit bei den Wahlen in Mainz zu erinnern, die in den Januar und Februar gefallen war. Dies war vor�ber. Seine Z�ge waren nicht mehr verzerrt. Dieses letzte halbe Jahr �ber starrend in das enth�llte Antlitz des unbedingt B�sen, schwer atmend im Blutdunst der Guillotine, m�hte sich George verzweifelt um sein Menschheitsideal, um die hundertmal versto�ene und hundertmal weinend wieder aufgesuchte G�ttin.

Er war fortw�hrend krank gewesen; niemand pflegte ihn, und er schonte sich nicht. Im Zustande einer sonderbaren Gleichg�ltigkeit gegen seinen leidenden K�rper, seine verschleimten, pfeifenden Lungen, sein versagendes Herz, seine geschwollenen, schmerzenden Glieder, seinen gebeugten R�cken, als gegen ein Kleidungsst�ck, das man bald abzulegen gedenkt, und so lohnt es sich nicht mehr, daran herumzuflicken, — in dieser Gleichg�ltigkeit ging er auch heute am Abend vor Weihnachten durch die Stadt, nach einem Besuch bei dem Buchh�ndler Onfroi den Heimweg durch die nebeligen Stra�en suchend, ohne �berrock und in jener leisen s��en Trunkenheit des Fiebers, die ihn nun seit einigen Wochen Abend f�r Abend befiel. �brigens war ihm dabei durchaus nicht heiter zumute. Wenn er in diesen Stunden in seinem einsamen Zimmer war, pflegte er, von Hemmungen befreit, zu weinen. Wenn er in einer unerkl�rlichen Angst vor solchen Ausbr�chen einer sonst geb�ndigten Traurigkeit entfloh und durch die Gassen streifte, standen zuweilen Gestalten an seinem Wege und schlossen sich ihm an, die er kaum zu betrachten wagte, aus Furcht, sie m�chten allzu schnell wieder in Nebel zerrinnen.

Es war zwischen vier und f�nf Uhr nachmittags. Als George den Pont Neuf �berschritt, stutzte er einen Augenblick, sah zur Seite, nickte vor sich hin, murmelte ein Wort und ging weiter. Der Fremdling aber, den er dort am Br�ckengel�nder hatte lehnen sehen, ging mit und blieb ihm zur Seite.

Er trug weite pludrige Hosen aus englisch Leder, die unter den Knien zusammengebunden waren, seine blo�en F��e steckten in derben Schnallenschuhen. Der Wind griff ihm in den Nacken, bl�hte den weiten, rotgestreiften Kittel und machte, da� der Mann best�ndig nach seiner M�tze griff, einer runden, abgeschabten Pelzm�tze, die er tief in die Stirn dr�ckte. �brigens war an diesem Abend kein Wind, der Nebel stand unbewegt. George aber war nicht imstande, sich dar�ber zu wundern, da� er seinen Begleiter st�ndig wie vom Wind getrieben sah. Dies war Larry. Kein Zweifel! Oh, er war es! Ein rosiges, gebr�untes Knabengesicht, wassergraue Augen, die seltsam blicklos schienen, als sei alles durchsichtig und dahinter unabsehbare Ferne, die kurze Tonpfeife im Mund und die H�nde in den Hosentaschen, — es war Larry, wie er gewesen war, ehe George ihn zum letztenmal sah, in der H�ngematte liegend, gelb und ausgemergelt, zahnlos, mit verschwollenem Munde und mit vorquellenden, angstvollen Augen.

Larry, der den Tod im Skorbut gefunden hatte, Larry nun hier an seiner Seite im Nebel von Paris, getrieben oder getragen von seinem eigenen sanften Segelwind, Larry begleitet von dem alten kecken Rhythmus:

Beaning, belling, dancing, drinking,

Creaking windows, damning, sinking,

Ever raking, never thinking …

Ein L�cheln trat auf Georges Lippen und er versuchte zu pfeifen, —

Live the rakes of Mallow!

Larry an seiner Seite tat ihm gut. Er w�rde ihn nicht anrufen, oh nein. Hinter seiner Stirn war das s��e Gesumm vollst�ndiger Gedankenaufl�sung, aber dies wu�te er, da� es umsonst war, mit Boten von Larrys Art anzubinden. Er wu�te wohl, da� Larry als ein Bote kam. Es war gut, ihn gesehen zu haben, — aber er verga� ihn auch wieder und vermi�te ihn nicht, als er wieder verschwand. Er hatte Larry in den letzten Monaten manchmal gesehen, — oder war es nur, da� er seiner gedacht hatte? George blickte �ber die gelbe Flut der Seine hin�ber zur Notre Dame, die dort dr�ben in einer Gloriole tr�ben Abendgoldes, entheiligt, finster und trauervoll ragte, und ging weiter, den Stock hart auf das Pflaster setzend und in der dumpfen Erinnerung, da� er jetzt wohl etwas essen m�sse, denn Therese hatte ja geschrieben, er solle sich gut pflegen, — er ging, vor sich hinsehend mit dem Blick jenes Kummers, der von sich selbst nichts mehr wei�, von Menschen gesto�en, ohne da� er es bemerkte, — ein Herr im tabakfarbenen Rock, der die linke Hand gegen die Brust pre�te und dem der Hut sehr traurig �ber den Augen sa�. Die Laternen wurden herabgelassen, angez�ndet und schaukelten nun droben im Nebel, tr�be herabgl�hend, wie blutige Augen eines Himmels, der keine Sterne mehr hat. Willenlos emporblickend sah George jetzt einen Reigen um die schwankenden Feuertulpen, lautlos geschwenkt, wie einen Tanz riesenhafter Motten um das Licht: Leiber, so lang gerenkt, Wangen, bl�ulich gedunsen, Augen, vortretend, furchtbar, ins Nichts gerichtet. Dem einen quoll die Zunge dick aus dem Munde, dem andern klaffte die Stirn, — alle aber waren hinschwindend, aus Dunst geboren, schattenhaft und von dem armen Licht vollgeflossen, durchsichtige Gebilde, die in der Finsternis zergehen w�rden. Georges Nacken sank mit einem Ruck vorn�ber, wie unter einer pl�tzlich aufgelegten Last, und doch wu�te er: das da hatte �ber ihm gehangen Abend f�r Abend, wenn er hier gegangen war, dieser stumme, zuckende Tanz der Toten an den Laternen, — er hatte ihn geahnt, gef�hlt, und da� er ihn bis heute noch nicht mit Augen gesehen hatte, was machte das f�r einen Unterschied? Vielleicht sollte er sie heute alle sehen in dieser ersten Nacht der heiligen Zw�lf, sie, von denen er wu�te, da� sie in diesen Stra�en umgingen, die F��e rot vom eigenen Blut, mit der gr��lichen Wunde im Nacken? Er hob den Kopf nicht wieder und dennoch, er sah sie, schleppenden Schrittes, aneinandergelehnt oder einsam, M�nner und Frauen, wie er ihren Gang zum Schaffot mitangesehen hatte, getrieben von einer unentrinnbaren peinlichen Begierde zu erleben, wie denn das sei, wenn Menschen von Menschenhand st�rben … Er hatte an Agamemnon denken m�ssen, wie er im Blute sich badete, — sein Weib �brigens war es, das ihn verriet, mit ihrem Liebhaber, das Weib! — an Polyphem, dem der gl�hende Pfahl im Auge zischte, an die Schlachtung der Freier, — Antinous, dem der Pfeil in die gespannte Gurgel fuhr und der den trompetenden Todesschrei einer Schlachtgans h�ren lie�, — er erinnerte sich, er erinnerte sich, er kannte sie, diese wahnsinnige, prickelnde, kitzelnde, jagende Angst, in die zu versinken uneingestandene Wollust war. Er kannte sie aus den Phantasien seiner fr�hesten Kindertage und war jetzt leibhaftig von ihr gepackt worden beim Anblick der K�nigin im zerfetzten wei�en Mantel, angesichts des Leichenzugs von Marat, dessen bl�ulich fahle Brust mit der schwarzroten Wunde entbl��t war, beim Vor�berfahren der Charlotte Corday und der unz�hligen andern, die in seinem Ged�chtnis namenlos geworden waren und nichts als Masken des Todes. Er sah sie alle, ob er aufblickte oder nicht, und erst als er nun schwindelnd nach der Mauer eines Hauses tastete und mit ver�detem Blick in die Wirklichkeit zur�ckfindend, auf die vor�berdr�ngende Menge starrte, kam er wieder zu sich; mein Gott, waren sie das, die er als eine geifernde, heulende Meute gesehen hatte, diese hier, lachend, singend, schwatzend und pfeifend, — gez�hmt, gutartig, satt vom Blute f�r heute und begierig nach den unschuldigen Freuden des Daseins? Und geh�rte er selbst zu ihnen, konnte auch er morden und weiterleben im Dampf des Blutes wie im Atem junger Fr�hlingswiesen?

Wieder v�llig bei sich, hatte er also Larry g�nzlich vergessen und Larry war denn auch verschwunden. George stieg die Stufen des Speisehauses hinauf, wo er zu essen pflegte, ging zwischen den unsauber gedeckten runden Tischen hindurch bis in die hinterste Ecke des schlecht beleuchteten Raumes, legte Hut und Stock ab, betastete mit unruhigen Fingern sein zerknittertes Jabot und lie� einen gehetzten Blick �ber die anwesenden G�ste gleiten, ein oder zweimal mit einem m�hsamen L�cheln den Kopf zum Gru� senkend. Obenhin wurde ihm gedankt, nur ein hageres M�nnchen, ein verwilderter kleiner Abb� von lumpiger Eleganz mit einer Frisur � la Titus, die ihm den Stempel eines welken Knaben gab, hob sein Glas und trank George mit �bertriebener H�flichkeit zu: „Ah, M. le d�put� de Mayence!“ Sein Gef�hrte, ein dicker kurzhalsiger Mann in Carmagnole und gestreiften Pantalons, lie� nur einen ver�chtlichen Blick hin�berwandern, ohne seine ged�mpfte Rede zu unterbrechen. „Monsieur le D�put� de Mayence“, das war keine Empfehlung f�r den Herrn im tabakfarbenen Rock, welcher Rock, wie sein Besitzer es wohl wu�te, nicht eben neu aussah, fadenscheinig und blank gescheuert, und der unter der Achsel eine Wunde hatte, eine geplatzte Naht, die nicht mehr zu heilen war, denn der Stoff war m�rbe und faserte aus. „Monsieur le D�put� de Mayence“ war in der ersten Auflage bereits zur Guillotine emporgeklettert, und hatte seine unzeitgem��e Begeisterung f�r Charlotte Corday mit dem Tode geb��t; wer aber im Volk war sich wohl klar dar�ber geworden, f�r welches Vergehen jener arme Lux seinen runden Sch�del hatte lassen m�ssen, f�r was er so „mit Freuden“ starb? Er war ein „D�put� de Mayence“ gewesen, einer Stadt, die Frankreich wieder entrissen worden war, und wer konnte es wissen, vielleicht durch Verrat, wie Francfort. Mancher Pariser Mutter Sohn lag auf den W�llen von Mainz verscharrt, — eh bien, war das nicht Grund genug, einen „D�put� de Mayence“ feindlich zu mustern? George argw�hnte diese Feindseligkeit auf Schritt und Tritt, indessen focht sie ihn kaum noch an, er war ihrer, — oder seiner Einbildung davon, — so m�de wie aller andern Umst�nde des �u�ern Lebens. Er bestellte ein wenig zu essen, er bestellte hei�es Wasser und Rum und w�hrend B�rger Max, der Aufw�rter, ein fetter Gascogner, die Speisen majest�tisch vor ihn hinstellte, starrte er sonderbar betroffen auf eine Gruppe neuer G�ste, die mit einigem Nachdruck eingetreten war, die beflissen gegr��t, der neugierig und fl�sternd nachgeschaut wurde. Nun, da� der B�rger Robespierre hier zuweilen soupierte, war auch George nichts Neues mehr, er sah auch nicht auf den langen Mann, dessen kleines Haupt auf der hohen Halsbinde ruhte, wie der Kopf eines Reptils, sah nicht auf seine Umgebung von bekannten Journalisten und Montagnards, — er sah auf die Dame im trikoloren Taftkleid, die an seinem Arm ging, sah in dies Gesicht mit dem krankhaft roten Mund, mit den Augen, deren Farbe wie ausgelaugt schien, — und wu�te. Es bedurfte nicht der getuschelten Erkl�rung des B�rgers Max, der, mit hochgezogenen Brauen den namenlos betroffenen Blicken des Gastes folgend, ihm zufl�sterte, dies sei die Prophetin, Madame Th�os, die geistige Mutter des gro�en Robespierre. Eine Ahnung hatte ihm gleich gesagt, dies k�nne niemand anders sein, als die Seherin, von der es hie�, da� ihre Inspirationen es seien, die �ber Tod oder Leben entschieden, — ein m��iges Ger�cht �brigens, dem Glauben schenken mochte, wer da Lust hatte! Jedoch George hatte diese trikolore Kassandra schon einmal gesehen und w�hrend er nun aufstand, um sich mit sonderbarer Feierlichkeit sehr tief zu verneigen, ging es ihm durch den Sinn, was jener mohnrote Mund damals in Cassel zu ihm gesagt hatte:

Ah, mon pauvre ami,

Au revoir � Paris …

Er erinnerte sich, damals gelacht zu haben, und er l�chelte jetzt. Das Schicksal war eigent�mlich scherzhaft, wenn es einmal eine Erf�llung f�r ihn hatte. Das Schicksal war scherzhaft, darum mu�te man heiter sein, besonders da der gro�e Robespierre so s��lich verwundert auf ihn herabsah, Madame Th�os v�llig an ihm vor�berblickte und nur ein krummbeiniges Individuum aus dem Gefolge, das sich einer roten M�tze und einer schwarzsamtnen Carmagnole r�hmen konnte, vor ihm stehen blieb und seine Courteoisie erwiderte, einmal, zweimal, dreimal, die Hand auf dem Herzen, als sei es verantwortlich f�r die Unh�flichkeit der Dame, die am Arme ihres Begleiters bereits in einem der Nebenr�ume verschwunden war. „Damals“, dachte George sich einigerma�en ersch�pft niederlassend, „spekulierte dieser auf die Gunst deutscher F�rsten und trug Tressenrock und Staatsperr�cke. Wir sind mit der Zeit mitgegangen, Confrater!“ Er blickte dem Gesch�pf nach und fuhr sich hohnvoll �ber sein geschorenes Haar, bef�hlte den bereits recht stattlichen moustache. Von den Leuten, die mit der Gesellschaft Robespierres hereingekommen waren, blieben nun zwei an seinem Tische stehen, Kerner, der Berichterstatter einer Hamburger Zeitung, und Couv�, der Redakteur des Moniteur. Der junge Kerner, von diesen beiden George am n�chsten verbunden durch die Reinheit seiner Gesinnung, und seinem Beruf nach eigentlich Arzt, blickte George pr�fend an und erkl�rte dann, an seinem Tisch essen zu wollen, falls er nichts einzuwenden habe, welchem Vorhaben Monsieur Couv� nach einem gelangweilten Blick �ber die andern Anschlu�m�glichkeiten des Lokals auch seinerseits zustimmte.

„Unser Freund“, erkl�rte Kerner liebensw�rdig, als sie sa�en, „scheint mir heute Abend ein wenig der �rztlichen Gesellschaft bed�rftig! Mein guter Forschter,“ fuhr er fort, aus dem Franz�sischen in sein heimatliches Schw�bisch verfallend und mit den Fingern nach Georges Puls tastend, — „Sie habe hohes Fieber und geh�re heim ins Bett, samt Ihre garschtige Huste!“

George sah ihn freundlich an, aber wie aus einer fernen Fremdnis. „Heim,“ sagte er, — „ich geh�re also heim? Jawohl. Ich will es Ihnen erkl�ren …“

Er wandte sich auf seinem Stuhl und sa� nun halb dem Raume zugekehrt, die linke Hand auf dem Tisch ruhend, die Rechte schwer und umst�ndlich bewegend, w�hrend er weiter sprach. Um ihn her wurde es pl�tzlich still; er achtete nicht darauf. Er schien keinen der Menschen zu sehen, die sich mit lachenden, h�hnischen und ver�chtlichen Gesichtern ihm zuneigten, verstummten, andern Schweigen zuwinkten, aus entfernten Ecken vorsichtig n�her schlichen in der Erwartung eines ausgesucht komischen Theaters. Dieser Deutsche da, — oder war es ein verfluchter Engl�nder, verstehen konnte man dies barbarische Idiom ja nicht! — er hatte sich �bernommen und klagte nun Gott und die Welt an, wie es die Art dieser traurigen Teufel war, die �l anstatt Blut in den Adern hatten, das sich nicht mit dem Wein zu einem neuen beseligenden Element vermischen mochte! Denn da� er klagte, — nun das war klar, man brauchte nur dem Tonfall seiner Worte zu lauschen, die in sich zusammengesunkene Gestalt zu sehen, eines alten Mannes ausgeh�hlte Gestalt, auf deren hagerem Hals der Kopf mit den blatternarbigen Z�gen vorn�ber hing wie eine unzeitig verwelkte Frucht. Ja, er klagte, — klagte, weil er betrunken war, das war der Grund, nicht wahr, und darum konnte man dar�ber lachen, sich ansto�en und diese Szene eines Lustspiels genie�en wie etwa eine aus dem g�ttlichen „Eingebildeten Kranken!“ Jedoch war es denn wirklich am�sant? Die Heiterkeit erstarrte, das Lachen erschrak vor sich selbst, das L�cheln gefror auf unbehaglichen Mienen. Denn irgend etwas, — irgend ein t�dlicher Hauch ging von der Stimme dieses Mannes aus, die eint�nig auf- und abschwoll wie Herbstwind. Ja, er klagte, — und er klagte nicht, weil er betrunken war, alle f�hlten es. Versuchten sie noch, Blicke auszutauschen und sich im Spott zu best�rken? Sie versuchten es, aber da war eine Fremdheit zwischen ihnen ausgebrochen, als sei jeder �berronnen von durchsichtigem Eis, sie konnten nicht mehr zueinander, verlegen und ratlos wichen ihre Augen sich aus und sahen wieder auf den redenden Mann. Was erz�hlte er nur, was meinten diese schweren, unverst�ndlichen Worte, an niemand gerichtet, als vielleicht an den gerechten Gott allein, diesen Betr�ger, mit dem sie abzurechnen schienen, — leidenschaftslos, nur klagend, klagend!? Er hat Hunger gelitten, wu�te auf einmal der Gast, der ihm zun�chst in der Ecke sa� und sich mit schweigsamer Gier seinen Bohnen gewidmet hatte, bis Georges Stimme ihn aufst�rte und er erst ingrimmig wie ein beim Fra� geneckter Hund, allm�hlich dann dumpf betroffen hin�berstarrte. Seine Kinder haben ihn mit F��en getreten, — oh, er wei�, wie es ist, — f�hlte ein alter Mann. Man hat ihn auf die Stra�e gesetzt, weil er kein Geld f�r die Miete hatte. Er ist todkrank und sein Weib hat ihn verlassen. Er hatte Haus und Hof, und man hat ihn ausgesogen, Beere f�r Beere, nun ist nichts von ihm �brig als der kahle Stengel, von der Rebe losgerissen … Und wieder: Er hat Hunger gelitten! Er schl�ft des Nachts nicht, — es hat ihn einmal ein M�dchen schlecht behandelt, — oder sein Bruder hat ihn betrogen, — oder sein Freund hat ihn ins Gesicht geschlagen. Er h�tte einmal K�nig werden k�nnen, aber er war zu feige dazu oder zu schwach. Seine Eltern haben ihn betteln geschickt, als er klein war. Er ist einer von denen aus der Bastille, — das ist er, — sie haben ihn dort begraben, als er jung war, er hat es verlernt zu leben. Und wieder: Er hat Hunger gelitten! — Und abermals: Hunger gelitten! Der Fremde wu�te jedermanns Leid und sagte es mit seiner eint�nigen Stimme und jedermann h�rte sich selbst reden in der Sprache seines verborgenen Herzens, die auch nie ein anderer verstanden hatte. Entsetzliche Einsamkeit drang aus jeder Brust wie ein Schwert aus der Scheide und bedrohte den N�chsten: Hebe dich weg, das ist mein Schmerz! —

Und George redete. Er hatte Kerner vergessen, er wu�te nichts von seiner Umgebung. Ach, er redete! Alles, alles l�ste sich auf einmal, was hart wie Ureis in seiner Seele vergletschert gelegen hatte. Er redete noch, als Kerner ihn unter den Arm gefa�t, ihm den Hut auf den Kopf gesetzt, den eigenen �berrock um die Schultern gelegt hatte und ihn nun hinausf�hrte, durch neugierige und mitleidige Blicke und Fl�sterworte hindurch, hinaus auf die Stra�e. Er verstummte unter einem schrecklichen Hustenanfall, als die na�kalte Luft ihm in die Kehle drang, und als das �berstanden war, lehnte er sich auf den br�derlichen Freund und �u�erte nun weiter nichts mehr als „Well, — there he is again!“ Dies konnte nun der Mann aus Schwaben freilich nicht verstehen. Es sollte aber hei�en, da� Larry wieder da sei, Larry, der doch den Tod im Skorbut gefunden hatte. Da ging er vor ihnen her, ohne sich umzusehen, die H�nde in den Taschen der pludrigen Hosen, vom eigenen sanften Segelwind getrieben, schwebend und lautlos, wie ein Schiff �ber Wasser gleitet. Er glitt durch die Haust�r der Maison des Patriots hollandais, noch ehe sie aufgeschlossen war, und im Schein des d�rftigen �ll�mpchens konnte George ihn voran die Treppe hinauf eilen sehen, als kl�mme er im Takelwerk empor. Er stand auch wartend am Bett, solange Kerner sich um George bem�hte und ihm beim Auskleiden half, er verschwand erst, als George sich niedergelegt hatte. Kerner schien ihn gar nicht zu bemerken, — nun, und George war ja auch so t�dlich m�de, er h�rte es kaum noch, da� der Freund versprach, f�r Krankenw�rter zu sorgen. —

Von dem �u�eren Verlauf der n�chsten Tage wu�te er sp�ter nichts. Als er am Abend des 27. Dezembers ohne Fieber war und man ihm auf sein Bitten dazu verhalf, ein wenig aufrecht im Lehnstuhl zu sitzen, da er meinte durch diese Ver�nderung etwas Erleichterung seiner in allen Gliedern w�hlenden Schmerzen zu gewinnen, erz�hlte man dem geb�ckt Dasitzenden, der mit den schrecklich zitternden H�nden die Kn�ufe der Armlehnen umklammerte, wer alles an seinem Lager gestanden habe, — Onfroi und der gute schottische Freund Christie, Mr. Wollstonecraft, der auf dem Stuhl neben dem Bett sitzend augenscheinlich gebetet habe, der gro�e Merlin de Thionville, dieser m�rrisch und unzufrieden, da� jemand, mit dem er hatte disputieren wollen, unzurechnungsf�hig vor ihm lag und ganz sinnlos fl�sterte, — Monsieur le Professeur Dorsch endlich, der freilich die Kammer schnell wieder verlassen habe, — und dann, das Vorzimmer f�llend, die Vielen, die immer kamen, die nichts brachten, nicht nach ihm fragen wollten, sondern seinen Rat, seine Hilfe suchten, armes Volk von Literaten, emigrierte Mainzer, die ihn f�r ihr Schicksal zur Rechenschaft zogen, und dergleichen Leute.

George l�chelte. Nein, er hatte von diesen allen nichts bemerkt. Er hatte andere Besucher gehabt, er meinte, in den letzten Tagen an die tausend Gesichter gesehen zu haben, sie hatten ihn angel�chelt und angefratzt, sie waren aus Nassenhuben in Polnisch-Preu�en, aus Petersburg, von der Wolga, aus England, aus Afrika und aus der S�dsee, schlie�lich aus allen St�dten eines geistigen Europa gekommen, ein summender Schwarm. Er hatte sie verzweifelt gebeten, nacheinander zu kommen, sich in Gruppen zu teilen nach Jahren und Arten, — umsonst, — was je auf den Spiegel des Ged�chtnisses gefallen war, jedes Bild quoll hemmungslos hervor und der Wahnsinnsreigen der Erinnerung hatte um sein armes Haupt getobt. Nach zwei Gestalten hatte er zuweilen mit den H�nden geschlagen, er wu�te es; es waren Therese und der Vater gewesen. Sie sollten sich trennen, nicht fortw�hrend miteinander fl�stern, auf ihn deuten, �ber ihn lachen …

Es war also viel Besuch dagewesen, oh, ja! Er blickte auf kleine Geschenke, die Kerner ihm zeigte, Wein und Pastetchen, ein allerliebster runder Schinken und eine gestickte Weste, die Christie als ein Geschenk seiner Schwester auf das Tischchen am Bett gelegt hatte. Er sagte unbeteiligt: „Womit habe ich alles das verdient?“ Und dann fragte er nach Briefen. Es waren aber keine gekommen. —

In den n�chsten Tagen besserten sich die unertr�glichen Schmerzen der Gelenke und des R�ckens ein wenig, daf�r aber stellte sich die peinlichste Form seines Leidens in Gestalt des skorbutischen Speichelflusses mit seinen widerlichen Begleiterscheinungen ein, wie er sie aus fr�heren Jahren kannte, und er war betr�bt. Er sagte zu Herrn Haupt, einem geflohenen Mainzer, dem er aus Mitleid mit seinem Alter und seiner Ratlosigkeit den Schrecken von Paris gegen�ber, durch �bertragung von Schreibarbeiten �ber schlimme Monate hinweggeholfen hatte und der sich nun mit Kerner und einem jungen Polen in den Krankendienst bei ihm teilte, — zu Haupt also sagte er: „Mu�te auch dies noch kommen? Oh, — es ist nicht meinetwegen … Ich wollte ja gern … Oder jedenfalls: ich kenne Schlimmeres. Aber es ist wegen meiner Umgebung. Meine arme Frau litt hierunter mehr als ich selbst.“ Er hielt das Tuch vor den Mund und st�tzte seinen wankenden Kopf. Haupt erwiderte aufmunternd, er m�ge die Sache doch nicht schwer nehmen, man sei ja hier unter M�nnern und die Frau Hofr�tin nicht anwesend. George starrte tr�be nach der T�r und murmelte geistesabwesend: „Nun immerhin, — es k�nnte doch sein …“

Er lie� sich Papier und Tinte geben und mit Mirabeau’s „Correspondance secr�te“ als Unterlage auf den Knien schrieb er in h�ufigen Abs�tzen einen m�hsamen Brief. Sie mu�te doch wissen, wie es ihm ging, dachte er, und f�gte der enthaltsamen Schilderung seiner Leiden �ngstlich die Worte hinzu, da� dies alles auf Tatsachen und nicht auf Einbildung beruhe. Denn er wu�te wohl, — sie nannten ihn einen Hypochonder.

�brigens kamen schon am n�chsten Tag mehrere Briefe von Therese auf einmal, sie hatten sich durch irgend eine Postst�rung verz�gert und enthielten, wie immer, heitere und gefa�te Berichte �ber ihr Leben und das Treiben der Kinder. Therese hatte begonnen, einen Roman zu schreiben und Huber, der herzlich gr��en lie�, versprach sich allerlei Erfolg von dieser neuen Besch�ftigung. Nach dem Lesen dieser Briefe legte George eine gewisse t�richte Hoffnung beiseite, — dorthin, wo schon viel anderes Unbrauchbares lag, — und erkannte auch sie als einen der letzten Kr�mpfe jener teuren Gewohnheit des Herzens, von der er doch eigentlich schon losgekommen war. Er hatte n�mlich, da die Briefe ausgeblieben waren, im stillen angenommen, Therese sei mit den Kindern unterwegs nach Paris.

Der alte Haupt erkl�rte ihm, diese Krankheit beruhe haupts�chlich auf Arthritis vaga, der fliegenden Gicht, und predigte mit Behagen �ber die viererlei Mittel, die dagegen anzuwenden seien, n�mlich Kampfer, Salmiak, Opium und Balsam von Mekka. Der alte Haupt war ein unertr�glicher Firlefanz. War er einmal ausgegangen, so war es wundervoll still in der Kammer. George lag auf dem R�cken, gerade ausgestreckt, die H�nde auf dem Deckbett, gleichm�tig hingegeben an die Schmerzen, dankbar empfindend, da� sein Kopf wenigstens frei war. Indessen dachte er nicht viel. Er baute nicht mehr Projekte aus. Es war ihm gleichg�ltig, ob er in Zukunft weiter in Paris leben w�rde, oder in England oder in Z�rich oder am Ende doch in Altona, — ob der Plan, nach Indien zu gehen, zur Ausf�hrung gelangen w�rde. Er gr�mte sich nicht mehr um seine B�cher und Sammlungen in Mainz, von denen ihm bisher kein Mensch hatte sagen k�nnen, was nach der Beschie�ung aus ihnen geworden sei. Er dachte sonderbarerweise manchmal an das kleine Mahagonibureau, das Therese „The Resolution“ getauft hatte, weil es mit in der S�dsee gewesen war. Ja, „The Resolution“ h�tte hier in der Kammer bei ihm stehen sollen! „The Resolution“ w�re wohl voll Trost gewesen. Er versuchte auch zuweilen an seine Arbeiten zu denken, — nicht an zuk�nftige, nur an vergangene. Aber dann wollte ihm immer nichts einfallen, als dies, da� er die „Sakuntala“ �bersetzt und den Deutschen den Weg nach Indien gezeigt habe. Und wenn er so dachte, dann l�chelte er.

Er dachte an die Mutter, die nun alt war. Er dachte an seine Kinder. Er wu�te, da� er nicht an Therese und an den Vater zu denken brauchte, weil Larry das nicht duldete. Larry war stets im Zimmer. Manchmal in der D�mmerung lie� er sich sehen, er arbeitete in unsichtbarem Takelwerk und Wind war in seinen Haaren:

Living short but merry lives;

Going, where the wind them drives;

Having sweethearts but no wives;

Live the rakes of Mallow …

Das Leben ebbte Tag f�r Tag mehr von ihm zur�ck. Es kam nichts mehr darauf an, was Paris da drau�en tat, ob die Gegenrevolution Fortschritte machte, was mit den Rebellen in der Vend�e geschah und ob Camille Desmoulins oder sonst jemand neue Journale gr�ndete. Es kam nichts darauf an, da� die Besucher ausblieben, je l�nger sein Krankenlager dauerte, da� er in den ersten zehn Tagen des Jahres 1794 niemand mehr um sich sah, als Kerner, Haupt und den braven kleinen Nagorsky. Alles war von ihm abgefallen, alles war sehr vereinfacht. Er war beim Minotauros in der Kammer; er war nackt und ganz allein.

George Forster l�chelte. Er wu�te nun:

Durch die �u�eren G�nge des Labyrinthes begleiten uns Jugend und Hoffnung. Wir f�llen unser Herz mit Welt und wenn wir leiden m�ssen, geschieht es ungl�ubig, als hielten wir es f�r einen Irrtum der Vorsehung.

Vor den inneren Windungen des Labyrinthes erwartet uns der Schmerz. Er nimmt uns in Empfang und bleibt bei uns, er heilt uns von der Anschauung, da� er ein Irrtum der Vorsehung sei und wir etwa gar nicht gemeint. Er entkleidet uns aller unsrer Hoffnungen und jagt uns nackt durch die entsetzlichen Irrg�nge dem furchtbaren R�tsel zu, das da im Herzen der Finsternis die gro�en Baalsges�nge heult und dem er uns vorwerfen wird, — wenn wir es nicht vorziehen, selbst bis in die letzte Kammer zu gehen, freiwillig, und ohne nach des Opfers Zweck zu fragen.

Wenn wir Geopferten werden zu Opfernden, so haben wir heimgefunden ins Herz der Dinge und Gottes.

Das Labyrinth versinkt und wir sind frei. —

Am 12. Januar gegen vier Uhr nachmittags verlie� Haupt den schlummernden Kranken, um einigen eigenen Gesch�ften nachzugehen. George erwachte eine halbe Stunde sp�ter unter einem furchtbaren Brustkrampf, dem er sich �chzend ergab. Mit dem Abklingen des Schmerzes kam eine wunderbare Erleichterung und ein Frieden �ber ihn und pl�tzlich sah er Larry am Fu�ende des Bettes stehen, von geheimnisvollem Licht umflossen und die Hand winkend erhoben. Und Larry sagte:

„Georgie, — komm nun mit!“

George hob den Kopf, — vielleicht glaubte er auch nur, es zu tun, — er streckte die Hand aus und fl�sterte: „Ich komme, Larry, — aber wohin?“

Und Larry, der Leichtmatrose von The Resolution, wies nach Osten und sang:

„Nach Indien, George, — nach Indien …“

Als Haupt nachhause kam, war des Kranken Schlummer ein anderer. Er hatte die Hand �ber die Augen gelegt und atmete leise aus.

Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

Inhalt

K�nig Minos Seite 3 / Zwischenspiel Seite 143
Ariadne Seite 205

Buchausstattung von Alphons W�lfle / Gedruckt in der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig

Cartoon gott wer dagegen ist hebe die hand

Anmerkungen zur Transkription

Forsters Vorname wird in diesem Buch durchg�ngig George geschrieben. Einige wenige, offensichtlich unbeabsichtigte Abweichungen als Georg wurden zu George vereinheitlicht.

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden in einer anderen Schriftart markiert.

Offensichtliche Druckfehler wurden wie hier aufgef�hrt korrigiert (vorher/nachher):

  • ... einladende Geberde, eins war wie eine brennende Kerze und zwei ...
    ... einladende Geb�rde, eins war wie eine brennende Kerze und zwei ...
  • ... starken Findern merkw�rdig zart verpflanzte und umsetzte, er erbaute ...
    ... starken Fingern merkw�rdig zart verpflanzte und umsetzte, er erbaute ...
  • ... Rebinder, dem Gesch�ftstr�ger Ihrer Kaiserlichen Majest�t, die Korrespondenz ...
    ... Rehbinder, dem Gesch�ftstr�ger Ihrer Kaiserlichen Majest�t, die Korrespondenz ...
  • ... sch�ne“ waren das da oben auch nicht, sondern Wasserv�gel, M�ven, ...
    ... sch�ne“ waren das da oben auch nicht, sondern Wasserv�gel, M�wen, ...
  • ... den Segensw�nschen des Iswotschick, — ja, er w�rde warten, bei ...
    ... den Segensw�nschen des Iswotschik, — ja, er w�rde warten, bei ...
  • ... pers�nlichen Dreck, der sich jahrelag hielt und w�rmte. Da roch es ...
    ... pers�nlichen Dreck, der sich jahrelang hielt und w�rmte. Da roch es ...
  • ... sind Ritter des Wlodomirordens. A propos, h�ren Sie ein Epigramm ...
    ... sind Ritter des Wlodomirordens. propos, h�ren Sie ein Epigramm ...
  • ... Pflichtgef�hl, — ein l�stige, — ein h�chst l�stige Krankheitserscheinung, ...
    ... Pflichtgef�hl, — eine l�stige, — eine h�chst l�stige Krankheitserscheinung, ...
  • ... der Vater manchmal Kr�hen geschossen und dieselben schmeckten gegebraten ...
    ... der Vater manchmal Kr�hen geschossen und dieselben schmeckten gebraten ...
  • ... zur Mutter zu kommen! Seine kleine H�nde wurden heute kaum mit ...
    ... zur Mutter zu kommen! Seine kleinen H�nde wurden heute kaum mit ...
  • ... stand er vergn�gten Herzens an der Reling neben Wanja, dem Koch, ...
    ... stand er vergn�gten Herzens an der Reeling neben Wanja, dem Koch, ...
  • ... und er wande sich dem Knaben mit einem geistreichen L�cheln und ...
    ... und er wandte sich dem Knaben mit einem geistreichen L�cheln und ...
  • ... funny! Don’t call me Miss! J am Evelyn!“ und nun ward das sich ...
    ... funny! Don’t call me Miss! I am Evelyn!“ und nun ward das sich ...
  • ... ob das Schiff durch die Finsternis sauste wie in einen gahnenden ...
    ... ob das Schiff durch die Finsternis sauste wie in einen g�hnenden ...
  • ... Frische der ersten Reisemonate war erstaunlich schnell aufgebracht ...
    ... Frische der ersten Reisemonate war erstaunlich schnell aufgebraucht ...
  • ... gegen�ber, er schob seine Offiziere und Patton, den Wunderarzt, ...
    ... gegen�ber, er schob seine Offiziere und Patton, den Wundarzt, ...
  • ... Antlitz und dann geraudeaus auf die rastlos wandernde, sch�umende ...
    ... Antlitz und dann geradeaus auf die rastlos wandernde, sch�umende ...
  • ... in der S�dsee ihr Land der h�heren Kultur lag, wie ihre arme Schilf- ...
    ... in der S�dsee ihr Land der h�heren Kultur lag, wie ihre armen Schilf- ...
  • ... your tongne!“ sagte er und versorgte sich ausgiebig mit verdorbenem ...
    ... your tongue!“ sagte er und versorgte sich ausgiebig mit verdorbenem ...
  • ... M�nze mit der Mutter Gottes auf der einen und St. Patrik auf der ...
    ... M�nze mit der Mutter Gottes auf der einen und St. Patrick auf der ...
  • ... doch eine be�nstigend saugende Kraft ausging. George dehnte den ...
    ... doch eine be�ngstigend saugende Kraft ausging. George dehnte den ...
  • ... Ist es Madame m�re? Nein. Aber der alte Mann … Ich ...
    ... Ist es Madame M�re? Nein. Aber der alte Mann … Ich ...
  • ... „Was sagst du, George?“ murmelte S�mmering. „Ich komme ...
    ... „Was sagst du, George?“ murmelte S�mmerring. „Ich komme ...
  • ... Maconnerie und …“ er lie� einen geschwinden Blick zu seinem Gouverneur ...
    ... Ma�onnerie und …“ er lie� einen geschwinden Blick zu seinem Gouverneur ...
  • ... L�cheln Bescheid tat, einem L�cheln, da� er nun mit der breiten wei�en ...
    ... L�cheln Bescheid tat, einem L�cheln, das er nun mit der breiten wei�en ...
  • ... einem kahlem Raum. Von Hippel blieb seinem Grafen zur Seite, zog ...
    ... einem kahlen Raum. Von Hippel blieb seinem Grafen zur Seite, zog ...
  • ... Er l�chelte b�se und sah sich in den Spiegel. ...
    ... Er l�chelte b�se und sah sich in dem Spiegel. ...
  • ... Ahnung des Aufschwungs Leibes und der Seele gesp�rt habe, dessen ...
    ... Ahnung des Aufschwungs des Leibes und der Seele gesp�rt habe, dessen ...
  • ... doch mit der Bekr�nung des spitzen Pinienapfels �ber die Mauer des ...
    ... Dach mit der Bekr�nung des spitzen Pinienapfels �ber die Mauer des ...
  • ... sei? — denn Meyer hatte ihm Gr��e an das Haus Heyne aufgegetragen, ...
    ... sei? — denn Meyer hatte ihm Gr��e an das Haus Heyne aufgetragen, ...
  • ... blukte ein Feuer auf. S�mmerring hatte einen schwarzen Kittel �ber ...
    ... blakte ein Feuer auf. S�mmerring hatte einen schwarzen Kittel �ber ...
  • ... von Cook rechteckig aufgestelltem und blinkendem Ger�t. Nun, — ...
    ... von Cooks rechteckig aufgestelltem und blinkendem Ger�t. Nun, — ...
  • ... der gemeinen Erdkr�te. Darf ich mich f�r heute empfehen? Du kommst ...
    ... der gemeinen Erdkr�te. Darf ich mich f�r heute empfehlen? Du kommst ...
  • ... Schauer Leibes und der Seele, auf den er gewartet hatte, der doch ...
    ... Schauer des Leibes und der Seele, auf den er gewartet hatte, der doch ...
  • ... er sich, wie er in Clausthal mit dem Berghauptmann von ...
    ... er sich, wie er in Klausthal mit dem Berghauptmann von ...
  • ... er wu�te es von Langmayer; zwanzig bis f�nzig Dukaten ...
    ... er wu�te es von Langmayer; zwanzig bis f�nfzig Dukaten ...
  • ... „Caroline! Philippine! Fiekchen! Schl�zer und seine herrliche ...
    ... „Karoline! Philippine! Fiekchen! Schl�zer und seine herrliche ...
  • ... Kabinett verweilend mit einer weiten Handbewegung auf die B�cherborte ...
    ... Kabinett verweilend mit einer weiten Handbewegung auf die B�cherborde ...
  • ... dem letzen Absatz, den goldlackierten Knauf des Gel�nders mit der ...
    ... dem letzten Absatz, den goldlackierten Knauf des Gel�nders mit der ...
  • ... in der Ecke des Postwagens hockte, die F��en auf dem treuen Mantelsack, ...
    ... in der Ecke des Postwagens hockte, die F��e auf dem treuen Mantelsack, ...
  • ... und legte ihm die Hand auf den Arm. „Ein wahrer petit ma�re, ein ...
    ... und legte ihm die Hand auf den Arm. „Ein wahrer petit ma�tre, ein ...
  • ... er nicht froh sei, sie nach Monaten wieder einmal unbefangen lachen ...
    ... er nicht froh sein, sie nach Monaten wieder einmal unbefangen lachen ...
  • ... vieler st�rker war als die Einsicht, es handele sich hier um ...
    ... viel st�rker war als die Einsicht, es handele sich hier um ...
  • ... Campe, Salzmann oder Villaumez hei�en, — da waren die j�ngsten ...
    ... Campe, Salzmann oder Willaumez hei�en, — da waren die j�ngsten ...
  • ... nickte gr�hrt: ...
    ... nickte ger�hrt: ...
  • ... „Zuweilen doch, R�schen, zuweilen …“ er wandte an der Gartenpforte ...
    ... „Zuweilen doch, R�schen, zuweilen …“ Er wandte an der Gartenpforte ...
  • ... legte. In sechs Tagen gelangte man nach Stra�burg. Von Speier ...
    ... legte. In sechs Tagen gelangte man nach Stra�burg. Von Speyer ...
  • ... einem Teppich, der unter the Resolution liegen sollte und kleinen ...
    ... einem Teppich, der unter The Resolution liegen sollte und kleinen ...
  • ... Er, George, w�rde jetzt eine Scherz machen, man gebe acht. Er ...
    ... Er, George, w�rde jetzt einen Scherz machen, man gebe acht. Er ...
  • ... die �ber den Deckel gelehnt, da� Kinn in die Hand gest�tzt, auf ihn ...
    ... die �ber den Deckel gelehnt, das Kinn in die Hand gest�tzt, auf ihn ...
  • ... Tiermarkstra�e ein, rannte fast die letzten Schritte bis zu den Universit�tsh�usern, ...
    ... Tiermarktstra�e ein, rannte fast die letzten Schritte bis zu den Universit�tsh�usern, ...
  • ... „Was meint Scheidebrief?“ fragte Brand lernbegierig. „Does is ...
    ... „Was meint Scheidebrief?“ fragte Brand lernbegierig. „Does it ...
  • ... die wohnten nun in der Mansardenstube … Ihr Geplauder verversiegte ...
    ... die wohnten nun in der Mansardenstube … Ihr Geplauder versiegte ...
  • ... Ihnen erk�ren …“ ...
    ... Ihnen erkl�ren …“ ...

End of the Project Gutenberg EBook of Das Labyrinth, by Ina Seidel

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS LABYRINTH ***

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warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
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provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
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providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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