Wie viele Majore gibt es in der Bundeswehr?

- mittelalterliche Restbestände: »ständischer Korporationsgeist, vorherrschend ritterlicher Prägung«,

- Elemente aus dem Zeitalter des friderizianischen Absolutismus: »Gehorsam gegen den Fürsten, Autokratie gegen das Volk, beides 'absolut'«, und

- Bestandteile des 19. Jahrhunderts: vor allem »den Nationalismus«.

Aristokratisch im Gehabe, sogar oder gerade wenn bürgerlicher Herkunft, königstreu und national, den Reichstag für eine »Quasselbude« haltend und das. Volk als »Menschenmaterial« ästimierend - so figurierte der deutsche Offizier zu Beginn des Jahrhunderts in den Vorstellungen des deutschen Bürgers, des »Simplicissimus« und des Auslands.

Selbst wenn man von diesem Bild die durch Haß, Spottlust oder Bewunderung motivierten Überzeichnungen abstreicht, bleibt genügend Wirklichkeit, ihn als präzisen Typ zu erkennen.

Dieser Typ ist dahin. In vier Phasen wurde das traditionelle Offiziersbild ausgelöscht; entscheidend waren:

- die Epauletten-Inflation zweier Weltkriege, deren Hauptlast der Reserveoffizier trug (Erster Weltkrieg: 45 923 aktive Offiziere, davon 11 357 gefallen, und 226 130 Reserveoffiziere, davon 35 493 gefallen);

- der verfehlte Versuch des Generalobersten von Seeckt, als Chef der Heeresleitung (1920 bis 1926) während der Weimarer Republik den alten Offizierstyp in einer nahezu totalen Absperrung von Staat, Gesellschaft und Kultur wiederherzustellen;

- Hitlers Demoralisierung des deutschen Offizierkorps durch Dotationen, Terror und Weltanschauung und schließlich

- die Niederlage von 1945.

Des Offiziers feudal-aristokratische Haltung, seine königstreue oder doch autoritäre Einstellung und sein nationales Ethos waren längst zermürbt, entnervt und zersetzt, als Bundeskanzler Adenauer am 25. Oktober 1950 den CDU-Bundestagsabgeordneten Theodor Blank zum »Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen« ernannte - und damit den ersten Schritt zum Aufbau der Bundeswehr, mithin auch zum Aufbau, eines neuen deutschen Offizierkorps tat.

Fünf Jahre nach der Berufung Blanks zum »Sicherheitsbeauftragten« - am 10. November 1955 - ernannte Bundespräsident Theodor Heuss die ersten. 95 Offiziere der Bundeswehr: zwei Generalleutnante (Heusinger und Speidel), 18 Oberstleutnante, 30 Majore, 40 Hauptleute und fünf Oberleutnante.

Acht Jahre sind seither vergangen. Aus den ersten 1500 Soldaten der Bundeswehr, die am 20. Januar 1956 auf dem Kasernenhof von Andernach durch Bundeskanzler Adenauer begrüßt wurden, ist inzwischen eine Bundeswehr von über 400 000 Mann entstanden. Rund 180 000 davon sind Wehrpflichtige (mit 18monatiger Dienstzeit), etwa 120 000 »Soldaten auf Zeit« (mit Mindest-Dienstzeiten von zwei bis acht Jahren), etwa 86 000 Berufs-Unteroffiziere und rund 20 000 Berufs-Offiziere.

Aber ebensowenig wie es gelungen ist, aus der Bundeswehr ein den Ansprüchen genügendes Verteidigungs-Instrument zu machen (Bundesverteidigungsminister von Hassel beklagte im Sommer unter Hinweis auf »Fallex«, daß der Bundeswehrapparat für den Verteidigungsfall noch nicht geeignet sei), ebensowenig ist ein befriedigendes Offizierkorps entstanden.

Das Dilemma des Bundeswehr-Offizierkorps beginnt mit Zahlen. Im Sommer dieses Jahres gab von Hassel die Zahl der Offiziere mit fast 20 000 an. Tatsächlich liegt sie Ende 1963 immerhin bereits »über 20 000«.

Aber im Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums für das Jahr 1963 waren weitaus mehr Offizier-Planstellen ausgewiesen - nämlich 27 049,

das heißt 35 Prozent mehr als die Ist -Ziffer. Von diesen Planstellen waren vorgesehen für

- (Vier-Sterne-) Generäle 3,

- Generalleutnante und Vizeadmirale

13,

- Generalmajore und Konteradmirale

44,

- Brigadegeneräle und Flottillenadmirale

117,

- Obersten und Kapitäne 725,

- Oberstleutnante und Fregattenkapitäne

2272,

- Majore und Korvettenkapitäne 5208,

- Hauptleute und Kapitänleutnante

8691,

- Oberleutnante 6077 und

- Leutnante 3899.

Mehr als ein Viertel dieser Planstellen sind überhaupt nicht, ein weiterer Teil nur durch »auf Zeit« dienende Offiziere (Mindest-Dienstzeiten je nach Verpflichtung von zwei bis acht Jahren) besetzt - weil nicht genug Offiziere, auf jeden Fall aber nicht genug hinreichend qualifizierte Offiziere verfügbar sind. Die daraus resultierende Überbeanspruchung der Offiziere ist eine der Ursachen für die gereizte und oft mürrische Stimmung im Offizierkorps.

Dabei ist das deutsche Offizierkorps überaltert. Nach Feststellungen, die Ende 1961 gemacht wurden, betrug damals das Durchschnittsalter

- der Bundeswehr-Hauptleute 35 bis 40 Jahre (Nato-Norm 26 bis 28),

- der Bundeswehr-Majore 42 bis 46

(Nato-Norm 28 bis 32),

- der Oberstleutnante 46 bis 50 (Nato -Norm 32 bis 35),

- der Obersten 50 bis 52 (Nato-Norm

36 bis 40),

- der Generäle 56 bis 60 Jahre (Nato -Norm 40 bis 50).

Die Mängel in der Altersschichtung des Offizierkorps sind auch heute noch nicht behoben. Nach den Vorstellungen der Bundeswehr sollte ein Oberst nicht älter als 50 Jahre sein; tatsächlich beträgt das Durchschnittsalter der heutigen Bundeswehr-Obersten 52. Die entsprechenden Ziffern lauten bei Oberstleutnanten 47 gegen 491/2, bei Majoren 44 gegen 46 und bei Hauptleuten gar 38 gegen 42.

Bis 1972, so glaubt das Bundesverteidigungsministerium, werden diese Mängel überwunden und eine »gesunde« Altersstruktur des Bundeswehr-Offizierkorps erreicht sein.

Seit 1961 sind die Kompaniechef-Stellen bei den Kampftruppen fast vollständig von jungen Offizieren übernommen worden. Doch auch an ihnen beobachten besorgte Truppenkommandeure bereits die Spuren einer dauernden Überbeanspruchung - durch häufige Versetzungen, durch viele, aber notwendige Lehrgänge, durch den viel beklagten, aber unvermeidlichen Papierkrieg und vor allem durch den Mangel an Unteroffizieren.

Laut Bundesverteidigungsminister von Hassel fehlen der Bundeswehr 20 000 Unteroffiziere, aber das Minus ist noch weitaus größer. Die Zahl der vorhandenen Berufs-Unteroffiziere wird zur Zeit mit 86 000 angegeben. Laut Haushalt 1963 aber sind über 142 478 Planstellen vorhanden - also beträgt das Minus in Wirklichkeit rund 56 000.

Freilich wird ein Teil des Minus - ebenso wie bei den Offizieren - durch »Soldaten auf Zeit« gedeckt, im Offizierkorps sogar zeitweilig durch den Einsatz von Reserve-Offizieren, die ihre Übung machen. So kommt es, daß die Bundeswehr jeden Bundeswehr -Leutnant dankbar akzeptiert, der sich auch nur für ein Vierteljahr länger verpflichtet.

Doch selbst Kompanien mit kompletter Unteroffizier-Besetzung haben meistens nur drei Fünftel ihrer Unteroffiziere praktisch zur Verfügung: Der Rest ist abkommandiert. Oberst Schall (Bundesverteidigungsministerium): »... rückt die Masse unserer Kompanien zum Außendienst mit drei bis vier Unteroffizieren anstelle von rund 16 aus.«

Die Überlastung der jungen Kompaniechefs hat auch noch andere Gründe: Vielfach ist deren Ausbildung lückenhaft. Mit dem Leutnants-Patent frisch versehen, kamen sie in den Anfangsjahren der Bundeswehr als Zugführer zu Kompanien, die von ehemaligen Kriegsoffizieren geführt wurden. Diese Vorgesetzten - oft ehemalige Unteroffiziere, die im Kriege zu Offizieren aufstiegen - waren häufig schlechte Lehrer. Viele von ihnen standen in innerer Abwehr gegen die neuen disziplinären Prinzipien und die neuen Anforderungen, die sich etwa aus

dem vorgeschriebenen »staatsbürgerlichen Unterricht« ergaben.

Für diese Aufgaben nicht geschult, oft nur dem Erlebnis ihrer Rekrutenzeit von 1935 oder 1936 und dem Kampferlebnis des Zweiten Weltkrieges verbunden - waren viele dieser Hauptleute bemüht, alles Neue lächerlich zu machen, ihren Ausbildungspflichten gegenüber dem jungen Leutnant auszuweichen und dessen Idealismus zu zerstören.

Sie infizierten die jungen Offiziere mit der von Minister von Hassel beklagten, auf »Absicherung«, »Nicht -Auffallen« und »Versorgung« bedachten Einstellung, die für, einen hohen Prozentsatz der nach 1955 reaktivierten Offiziere charakteristisch ist.

In der Bundeswehr dienen heute noch 2750 Offiziere, die vor 1945 aus dem Unteroffizier-Stand in den des Offiziers übernommen wurden. Viele von ihnen fühlen sich mehr zu ihren gleichaltrigen Feldwebeln als zu den jungen Leutnanten hingezogen.

Freilich wird im Bundesverteidigungsministerium nachdrücklich darauf hingewiesen, daß auch viele alte Offiziere sich hervorragend bewährt haben - vor allem aufgrund ihrer nach dem Kriege erworbenen wirtschaftlichen, handwerklichen oder akademischen Kenntnisse und nicht zuletzt auch aufgrund ihrer im Umgang mit zivilen Problemen gewonnenen Erfahrungen:

Trotz des Mangels an Offizieren sind die Beförderungsaussichten schlecht, zumal für Hauptleute und Stabsoffiziere. Sie sind meistens für ihren gegenwärtigen Dienstgrad zu alt, und so zögert der Bundesverteidigungsminister, sie für, die Versetzung in den nächsthöheren Dienstgrad vorzuschlagen, dessen Altersgrenze sie nach normalen Begriffen eigentlich auch schon überschritten haben.

In den Altherren-Ecken der Kasinos ist heute weniger von Hubertusjagd und Herrenabenden die Rede als von der Jagd nach dem nächsten Stern. »Die ständige Diskussion über die Beförderung vergiftet die Atmosphäre des Offizierkorps«, erklärt ein hoher Truppenoffizier.

Früher konnte sich ein Offizier seine nächste Beförderung anhand seines Dienstalters errechnen. Ausnahmen gab es nur im Falle von ausdrücklich beurkundetem Versagen oder wegen besonderer Leistungen, die ihn als »Überspringer« qualifizierten.

In der Bundeswehr gilt dagegen für Offiziersbeförderungen das »Leistungsprinzip«. Zwar ist die Richtigkeit dieses Prinzips kaum zu bestreiten, doch fehlt es an Richtlinien, die bestimmen, was »Leistung« ist. Der Effekt: Liebedienerei, Intrigen und Cliquenwesen.

Besonders unter Stabsoffizieren munkelt man von Gruppen und Grüppchen, deren jeweilige Mitglieder einander in die Hierarchie der Sterne emporhieven. Da ist von einer Gruppe der »52er« die Rede - gemeint sind die Offiziere, die unter dem damaligen Sicherheitsbeauftragten Blank mit dem Aufbau der Bundeswehr begannen. Viel gesprochen wird von dem sogenannten »gelben Kreis« (einer Gruppe ehemaliger Kavallerieoffiziere), von der Gruppe ehemaliger Offiziere des Bundesgrenzschutzes oder den »Spätheimkehrern«, die in General Foertsch, selber Spätheimkehrer, bis jetzt einen hohen Protektor besaßen.

Mit besonderem Abscheu wird behauptet, daß bei der Beförderung neuerdings die Konfession eine Rolle spiele. Die Ernennung des katholischen Generalleutnants Trettner zum Nachfolger des Generals Foertsch als Generalinspekteur wird in diesem Zusammenhang verzeichnet - und hinzugefügt: Leider zeigten die Herren katholischer Konfession die Tendenz, Offiziere gleichen Bekenntnisses »nachzuziehen«.

Daß in der Personalabteilung des Bundesverteidigungsministeriums besonders viele Schlüsselpositionen von katholischen Offizieren besetzt sind, wird mimer wieder behauptet. Dabei hat das schon früher merklich geringere Interesse des katholischen Volksteils am Wehrdienst auch nach 1945 kaum zugenommen.

Nach inoffiziellen Schätzungen ist das Offizierkorps der Bundeswehr heute zu drei Vierteln protestantisch. Unter dem Offiziernachwuchs soll der katholische Anteil etwas größer sein. Einen

gewissen Aufschluß gibt die regionale Herkunft der Offizierbewerber. Danach stellt das protestantische Schleswig -Holstein relativ am meisten Interessenten (siehe Graphik. Seite 48).

Das Gefühl des Unbehagens ist aus all diesen Gründen in der Bundeswehr weit verbreitet. Bundesverteidigungsminister von Hassel gab im Juni diesem Unbehagen Ausdruck, indem er anordnete, »daß die nächsten Jahre vorwiegend darauf verwendet werden, das innere Gefüge der Truppe zu festigen... (und) der Bundeswehr mehr innere Solidität zu geben«. Das sei wichtiger, »als weitere Verbände aufzustellen«.

Freilich: Obwohl diese Erklärung das Eingeständnis enthielt, daß viele Mängel der Bundeswehr auf deren hastige Entwicklung zurückzuführen sind, hat von Hassel den Aufbau neuer Verbände befohlen - den Aufbau der sogenannten Territorialverteidigung, mit dem am 1. Januar 1964 begonnen werden soll.

Zwar sollen die Einheiten der Territorialverteidigung zumeist von Reserve -Offizieren geführt werden, doch bestreiten hohe Offiziere, daß Hassels Lieblingsplan ohne neue Abkommandierungen aktiver Offiziere durchführbar ist. Neue Lücken in der Offizier-Besetzung der zwölf - Heeres-Divisionen werden befürchtet.

Hassels Wunsch, »die innere Konsolidierung (der Bundeswehr) vorwärtszutreiben«, begegnet aber noch ernsteren Schwierigkeiten - nicht zuletzt auch in bezug auf die Ausbildung, Auswahl, Erziehung und »Typisierung« der Bundeswehr-Offiziere. Der Katalog der Schwierigkeiten reicht

- von ethischen Problemen, wie etwa dem des Wehrzwecks im atomaren Zeitalter oder dem der Vaterlandsverteidigung im geteilten Deutschland,

- über Fragestellungen, die sich für die Offiziers-Prägung aus den ständig veränderten Vorstellungen von einem zukünftigen Krieg ergeben,

- bis zu Problemen, die im Gefolge der Mechanisierung und Verwissenschaftlichung des Kriegshandwerks aufgetreten sind.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges kam - nach Schätzungen eines ehemaligen Generalstäblers - auf je 15 Infanteristen ein Pferd. (Die Motorisierung hatte kaum begonnen.) Während des Zweiten Weltkrieges betrug bei den Amerikanern das Verhältnis von Motorfahrzeug zu Soldat 1:4. Während des Herbstmanövers des 1. Korps der Bundeswehr im Raum Lüneburg betrug das Verhältnis Motor zu Mann 1:3. Auf 30 000 Soldaten kamen 9500 Kraftfahrzeuge.

Jeder zweite der bei diesem Manöver ("Widder") eingesetzten Bundeswehrsoldaten hatte eine technische Spezialausbildung: zum Beispiel Radar-, Funk -Schulung, Ausbildung am Nachtgerät eines Richtschützen. Allein 1500 Offiziere und Soldaten waren für Aufbau und Bedienung des doppelten Funk- und Fernmeldenetzes (nebst Funkschreibleitungen und Bildfunk für Luftaufnahmen) eingesetzt, das sich über ein Gebiet von 24 000 Quadratkilometer erstreckte.

Das Manöver-Kasino des I. Korps in Munsterlager glich in jenen Tagen der Kantine für leitende Angestellte eines großen Industrieunternehmens. Allein das Vokabular der Gespräche - von

»Amplituden« und »Frequenzen« bis zu Beschreibungen der »größten Erhöhung« (etwa bei Panzerhaubitzen) reichend - machte deutlich, daß die rasch fortschreitende Technisierung sogar des Heeres kaum noch eine gemeinsame »Offiziersprache« gestattet.

Der Wortschatz der Bundeswehr wird nicht mehr von allen Offizieren gemeinsam beherrscht - und die Integration des Offizierkorps durch den einstigen Kasino-Jargon wirkt, wo man ihn zu pflegen versucht, eher lächerlich als überzeugend.

Auch Ton und Haltung gegenüber dem Untergebenen entsprachen in Munsterlager nicht der Tradition: Soldaten; die eine Meldung überachten, deuteten »stramme, Haltung« nur kurz an. Zur Entgegennahme, des Befehls wurden sie in den Polstersessel gebeten.

Auch das ist nicht so sehr die Konsequenz einer aus -Gründen politischer Neuorientierung angestrebten »weichen Welle«, sondern die zwangsläufige Konsequenz der Mechanisierung.

Die faktische Abhängigkeit des Offiziers von seinem Soldaten ist gewachsen. Schon im letzten Weltkrieg waren Generäle etwa bei der Beobachtung feindlicher Bomberpulks auf das angewiesen, was ein Mathematikstudent im Rang eines Gefreiten im Oszillographen sah und mittels Logarithmentafel und Rechenschieber in gemeinverständliche Daten einer Orts- und Kursbestimmung übersetzte.

Die Einengung der disziplinären Autorität des. »Chefs« durch die fachmännische Autorität des- Spezialisten im Mannschaftsdienstgrad hatte begonnen.

Dieser Prozeß hat sich in der Bundeswehr fortgesetzt und dort auch das Heer erfaßt. Ohne seinen Funker und dessen technisches Können verliert der Chef schnell die Kontrolle über seine Einheit. Seine siebzehn Panzer werden oft von Gefreiten gefahren, ohne deren Sachverstand und - wichtiger noch: ohne deren Mitdenken er seine Kompanie nicht führen könnte.

Die patriarchalische Menschenführung müsse ähnlich wie in Schule, Lehre und Elternhaus auch im militärischen Bereich durch die »Partnerschaft« von Offizier und Mann abgelöst werden, forderte 1958 der damalige Hauptmann Scherff in der Zeitschrift »Wehrkunde«. Der jetzige General Graf Baudissin prägte schon vor Aufstellung der ersten Bundeswehr-Einheiten den Begriff des »mitdenkenden Gehorsams«.

Das Bild des zwei Schritt vor seiner Kompanie mit gezogenem Degen gegen den Feind stürmenden Hauptmanns war schon im Ersten Weltkrieg obsolet geworden. Er ist inzwischen durch denim Befehlspanzer genau wie jeder seiner Soldaten unter geschlossener Luke sitzenden Kompanieführer abgelöst worden. Von ihm werden vor allem sachgemäße und gewissenhafte Befehle und nur im Ausnahmefall ein heroisch mitreißendes Beispiel erwartet.

Dabei sind die sachlichen Anforderungen an den Offizier gewachsen. Der Einheitsführer von heute hat schneller zu entscheiden als sein Kamerad vor 50 Jahren. Seine Truppe bewegt sich statt mit sechs Kilometer pro Stunde mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 50 Kilometer fort. Statt der bloßen Fühlung zu den Einheiten an beiden Flügeln hat er schnell wechselnde und relativ komplizierte Sachverhalte im Auge zu behalten und laufend in Entschlüsse umzusetzen.

Eine Heeres-Division der Bundeswehr (zwischen 15 000 und 16 000 Mann, zwischen 4000 und 5000 Fahrzeuge) hat, wenn auf dem Marsch, eine Länge von 250 Kilometer (etwa die Entfernung Köln-Heidelberg), eine Panzerbrigade mit 3000 Mann ist 50 Kilometer lang.

Der hohe Grad von Technisierung, Mechanisierung und Spezialisierung ist einer der Gründe nur einer von vielen Gründen - dafür, daß die Integration der Bundeswehr-Offiziere Zu

einem »Offizierkorps« auf außerordentliche Schwierigkeiten stößt. Eine ganze Reihe von hohen Offizieren ist deswegen zu der Meinung gelangt, eine solche Integration sei überhaupt unmöglich oder gar nicht einmal wünschenswert.

Die letzte Ansicht begegnet allerdings harter Kritik: Eine betont scharfe, im »vortechnischen« Drill eingepaukte Disziplin soll den durch die Technik von Auflösungserscheinungen bedrohten Zusammenhalt der Truppe sichern. In fast allen Armeen der Welt sind es Offiziere der Fallschirmjäger-Einheiten, die diese Ansicht besonders gern vertreten. Es gibt aber auch in den hohen Bundeswehr-Stäben Offiziere, die dieser Meinung sind.

»Gerade die Folgerungen der modernen Technik, das Spezialistentum und die Teamarbeit zwingen heute mehr denn je zu einem gewissenhaften Eingehen auf das Prinzip von Befehl und Gehorsam.« So der Referent für psychologische Kriegführung im Bundesverteidigungsministerium, Oberst i.G. Wolfgang Schall. Der »Bindungsmangel« der Wehrpflichtigen müsse, meint Schall, durch Betonen der »hierarchischen Ordnung«, durch »sinnvolle Traditionspflege«, durch »militärische Formen und Feiern« aufgefangen werden.

Allerdings ist die Frage, auf welche »Idealfigur« hin der Offizier einer modernen Armee erzogen, ausgebildet und typisiert werden soll, auch in anderen Ländern keineswegs unumstrittten.

Der amerikanische Soziologe M. Janowitz hat in einer Untersuchung des Offizierkorps der amerikanischen Streitkräfte ("The Professional Soldier") drei Offizierstypen als wünschenswert herausgearbeitet:

- den »heroic leader«, also den »Helden«,

- den »technologist«, den technischen

Spezialisten,

- den »military manager«, von dem neben militärischen auch staats-, betriebs- und wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse erwartet werden und für den ein Zivilist wie der US -Verteidigungsminister McNamara als Vorbild zu gelten habe.

Bemerkenswerterweise wird eine gewisse wissenschaftliche Grundbildung laut Janowitz nicht nur von dem Spezialisten- und Manager-Offizier, sondern auch von dem »Helden« verlangt, der besonders für die Pflege des »Betriebsklimas« in seiner Einheit geschult sein soll. Bei der Ausübung seiner Führungspflicht soll er sich nach den von Janowitz beobachteten Anforderungen weniger auf die Amtsgewalt seiner Chef-Stellung als vielmehr auf »brüderliche Autorität« stützen.

In der Diskussion innerhalb der Bundeswehr über »den Offizier« zeichnen sich bei gehöriger Vereinfachung zwei als wünschenswert empfundene »Idealfiguren« ab:

- der »intellektuelle«, gelegentlich geradezu als »akademisch« bezeichnete Offizier und

- der Offizier, dessen wesentlicher

Wert in seiner »Persönlichkeit« liegt.

Unter den Anhängern beider Gruppen gibt es Tendenzen, wonach die Autorität des von ihnen gewünschten Offizierstyps noch durch eine Betonung der Amtsgewalt - also durch - Hervorhebung der Hierarchie - gestützt werden soll.

Besonders stark ist allerdings diese Tendenz bei den Anhängern des »Persönlichkeits«-Offiziers, so daß man diese Gruppe als die »konservative« bezeichnen kann, zumal in dieser Gruppe auch am häufigsten noch andere »konservative« Bestrebungen - wie »Wiederbelebung der Tradition«, starkes Betonen der gesellschaftlichen Exklusivität des Offizierkorps, Unterstreichung des Unterschieds zum Unteroffizier, Vorliebe für den Innendienst, das Formalexerzieren (auch Präsentiergriff und Parademarsch) -und dergleichen mehr zu beobachten sind.

Freilich Werden in der Diskussion die Differenzen zwischen den beiden Gruppen sehr oft verwischt. Auch Anhänger des »intellektuellen« Typs verlangen von ihrem, Offizier »konservative« Qualitäten wie »Mut«, »Entschlossenheit« und »Autorität«, und umgekehrt verzichten die Anhänger- des »Persönlichkeits« -Offiziers in der Debatte durchaus nicht

auf »Bildung«, »Wissen« und »Menschenführung«.

Die Unterschiede zwischen beiden Gruppen sind theoretisch Akzent-Unterschiede, machen sich aber in der Truppenpraxis oft scharf bemerkbar - und führen dort, je nach Einstellung der Kommandeure, zu, der Formung sehr unterschiedlich gearteter Offiziersgruppen.

Die Gefahr besteht, daß unter dem Eindruck dieses Hin und Her der Erziehungs-Theoretiker und unter dem Druck des Kasernen-Alltags die Typisierung weder in die eine noch die andere Richtung läuft, am Ende vielmehr ein »Wehrfunktionärs-Typ« herauskommt, der aber gleichwohl das Gesicht der Bundeswehr bestimmt.

Im Verlauf der ersten acht Jahre seit 1955 sei, so klagen viele höhere und hohe Offiziere, die Initiative für die Formung der Bundeswehr von der Spitze in Bonn nach unten abgerutscht.

Unter General Foertsch sei nicht mehr »geführt«, sondern nur noch »verwaltet«

worden. Das Bild der Bundeswehr werde heute mehr vom Kasernenhof -Alltag und damit von den zufälligen Ansichten, Marotten oder Ängsten der Kommandeure und Chefs bestimmt als von »oben«, wo man sich nicht mehr zutraue, den Routiniers der »Front« mit präzisen Führungsvorstellungen gegenüberzutreten.

So werde eben in manchen Einheiten »geschliffen«, in vielen bloß »geschludert« und seltener bewußt auf die Bedürfnisse und Bedingungen einer hochtechnisierten Truppe hin ausgebildet.

Die Wünsche der »intellektuell« interessierten Offiziere ergeben sich nicht nur aus der Technisierung der Truppe, sondern auch aus der Tatsache einer veränderten Umwelt: Eine Gesellschaft ohne krasse Klassenunterschiede, eine pluralistische und mobile Gesellschaft erfordert - so meinen sie - vor allem einen geistig wendigen Offizier, der in seinen Soldaten »Mitarbeiter« sieht und dessen Autorität im wesentlichen in der Qualität des größeren sachlichen Überblicks besteht.

Dieses Bild eines neuen deutschen Offiziers ist in der Substanz unmittelbar nach 1950 von dem Grafen Baudissin entwickelt worden, der heute allerdings als Kommandeur des Nato -Defense-College in Paris kaum noch Einfluß besitzt. Oft verdächtigt, ein heimliches Mitglied der SPD zu sein,

als enragiert protestantischer Individualist in keine Schablone passend, hat die Bundeswehr ihn nach Paris abgeschoben.

Baudissin selbst empfand sich, als er 1951 die Planung seines Neuererwerks in der damaligen »Dienststelle Blank« aufnahm, als ein Nachfolger der preußischen Heeresformer Scharnhorst und Gneisenau.

In der Tat gibt es zwischen den Reformern von damals und heute Parallelen. Vor allem: Die preußische Heeresreform von 1808 zielte genau wie die Baudissins dahin, mit der Tradition bloßer Disziplin zu brechen und anstelle dessen einen »denkenden« Offizier zu formen.

Scharnhorst und Gneisenau forderten nach den Niederlagen von Jena und Auerstedt (1806) gegen Napoleon, daß von dem Offizier der künftigen preußischen Armee mehr Bildung verlangt werden müsse, daß die Nachwuchs-Offiziere nicht nur aus dem Adel rekrutiert, daß der Zopf und die Prügelstrafe ("Freiheit des Rückens") abgeschafft werden sollten.

Anders als in den deutschen Mittelstaaten, wie zum Beispiel in Bayern, bestand das preußische Offizierkorps bis 1808 fast ausschließlich aus Adligen. Eine preußische »Rang- und Quartierliste pro Majo 1739« (also aus der Zeit des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm

I.) zählte 34 Generäle - sämtlich adlig - und 211 Stabsoffiziere, davon 200 adlig, auf.

Noch 1806, also zwei Jahre vor der Heeresreform, dienten in dem 7000 bis 8000 Mann umfassenden preußischen Offizierkorps immer noch nur 695 Bürgerliche.

Charakteristischerweise stand die Mehrzahl dieser Bürgerlichen bei derjenigen Truppe, die am meisten Kenntnisse verlangte, nämlich bei der Artillerie. Friedrich Wilhelm I. hatte noch die wissenschaftlich gebildeten Offiziere kurzerhand »Blackscheißer« genannt, aber bei der Artillerie waren sie einfach unentbehrlich. Doch blieb die Artillerie noch bis Ende des 19. Jahrhunderts in der preußischen Armee ein Reservat der Bürgerlichen und für adlige Offiziere »unstandesgemäß«

Das adlige Offizierkorps versuchte, sich der Neuerungen Scharnhorsts und Gneisenaus unter anderem mit dem Hinweis auf seine soldatische »Erfahrung« zu erwehren - eine Behauptung, die schon Friedrich der Große mit der Antwort abgetan hatte, wenn es auf Erfahrung ankommen würde, dann wären »die Maultiere des Prinzen Eugen« die besten Feldherren.

Am Ende hatten die Reformer Erfolg. Am 6. August 1808 wurde durch Reglement bestimmt, daß fortan in Friedenszeiten Kenntnisse und Bildung für den

Anspruch auf Offizierstellen maßgeblich sein sollten.

Dazu kam die unausweichliche Notwendigkeit, gegen Napoleon ein Volksheer aufzustellen, für dessen Führung und Geist der Einsatz bürgerlicher Offiziere unerläßlich war. In der Tat wurde die preußische Landwehr während der Freiheitskriege 1813/14 fast ausschließlich von bürgerlichen Offizieren kommandiert, und sogar im aktiven Offizierkorps fand der Bürgerliche Eingang. 1818 zählte die preußische Rangliste neben 3828 adligen 3350 bürgerliche Offiziere auf.

An diesem Punkt freilich stagnierte die Entwicklung. Noch in den 60er Jahren wurde über die Hälfte der Offizieranwärter der preußischen Armee vom Adel gestellt -ein Anteil, der in keinem Verhältnis zu dem Prozentsatz des Adels im Rahmen des Volksganzen stand.

Die reaktionären Tendenzen kamen aber vor allem in dem wachsenden Widerstand gegen die Forderung nach »Bildung« zum Ausdruck. Der Prinz von Preußen und spätere Kaiser Wilhelm I. wehrte sich aus Rücksicht auf den Adel mehrere Jahrzehnte lang mit Erfolg dagegen, daß vom Offizieranwärter die Primareife oder gar das Abitur verlangt werden solle.

Erst nach der Reichsgründung - und auch dann mehr unter dem Druck des Mangels an qualifizierten Offizieren als aus Einsicht - setzte sich die Forderung durch, ein Offizieranwärter müsse das Abitur haben. Während noch 1890 nur 35 Prozent der Offizieranwärter der preußischen Armee das Abitur hatten, waren es 1912 immerhin schon 65,1 Prozent.

Bismarcks Reichsgründung und der Sieg von 1870/71 hatten das soziale Ansehen des Offiziers bedeutend gesteigert. Die Familien des Bildungs- und Besitzbürgertums schmückten sich nun gerne mit einem Sohn in der Uniform eines Offiziers. Die Zahl der Kriegsschüler, deren Väter Kaufleute oder Fabrikbesitzer waren, stieg von 79 im Jahre 1888 auf 183 im Jahre 1913, die Zahl der Kriegsschüler aus Akademikerfamilien von 235 (1888) auf 459 (1913).

In diesen Zahlen spiegelte sich die Militarisierung und Aristokratisierung des deutschen Großbürgertums unter Wilhelm II. E war schick geworden, Offizier zu sein.

Nach dem Ersten Weltkrieg und der deutschen Niederlage von 1918 spielte zwar der Gegensatz »Adel und Bildung«, der ein ganzes Jahrhundert lang für die Formung des preußisch-deutschen Offizierkorps maßgeblich gewesen war, keine Rolle mehr, gleichwohl jedoch trat nun in dem sehr kleinen Offizierkorps des 100 000-Mann-Heeres der Adel wieder stärker in Erscheinung.

Obwohl der Schöpfer der Reichswehr, Generaloberst von Seeckt, hohe wissenschaftliche Anforderungen an den Offiziernachwuchs und den Offizier stellte, nahm der Adel einen unverhältnismäßig großen Teil der Offizierstellen ein, nämlich 20,8 Prozent (1929).

Im Jahre 1931/32 erreichte der Anteil von Adligen am Offiziernachwuchs der Reichswehr sogar 36 Prozent, nachdem er in den vorangegangenen Jahren auf jeden Fall immer über 20 Prozent gelegen hatte. Die historischen (vorwiegend preußischen) Soldatenfamilien mit Adelstitel kamen in den Ranglisten der Reichswehr jeweils gleich mehrfach vor:

- die Arnim und Schwerin sechsmal,

- die Bülow und Kleist fünfmal,

- die Blomberg, Both, Chevalierie,

Uckermann und Witzleben viermal,

- die Hammerstein, Horn, Hülsen, Prittwitz und Gaffron, Schulenburg, Stülpnagel, Tippelskirch, Uslar-Gleichen und andere dreimal.

Der Zweite Weltkrieg und Hitlers Regime ebneten den Gegensatz »Adel und Bildung« vollends ein, immerhin war noch 1939 ein Zehntel der Hauptleute und Leutnante adlig.

In der Bundeswehr spielt der Adel keine außergewöhnliche Rolle mehr. Zwar waren von den 562 hohen Offizieren, die bis März 1957 dem Personalgutachter-Ausschuß des Bundestages als Bewerber für die Aufnahme in die Bundeswehr vorgestellt wurden, 78 Adlige (gleich rund 14 Prozent), doch ist das Interesse der deutschen Adelsfamilien am Soldatenberuf merklich zurückgegangen. 1957 war der Adel noch mit 5,5 Prozent am Offizierkorps beteiligt, heute nur noch mit 2,5 Prozent. (Der Anteil des Adels an der Bevölkerung der Bundesrepublik beträgt schätzungsweise 0,1 Prozent.)

Gelegentliche Klagen bürgerlicher Bundeswehr-Offiziere, wonach vor allem in Panzeraufklärungs-Abteilungen (die in vielen Garnisonen die Tradition feudaler Kavallerie-Regimenter von einst übernommen haben) der Adel wieder den Ton angebe, werden offiziell als unbegründet abgelehnt: Einen »I.R. Graf Neun« (Anspielung auf das Infanterieregiment Nr. 9 der Reichswehr in Potsdam, dessen Offizierkorps einen hohen Prozentsatz Adliger hatte) gebe es in der Bundeswehr nicht.

Tatsächlich deutet die erste wissenschaftliche Analyse der Bundeswehr nach soziologischen und politischen Gesichtspunkten, die von dem amerikanischen Professor Eric Waldman vorgenommen worden ist, darauf hin, daß auch alte Offizierfamilien - häufig identisch mit adligen - am Soldatenberuf wenig interessiert sind*.

Mittels Befragung stellte Waldman fest, daß elf Prozent der Offizieranwärter einer ausgewählten Zahl von Bundeswehr-Angehörigen aus Soldatenfamilien stammten.

Einer anderen Untersuchung zufolge (vorgenommen unter den Schülern der Heeresoffizierschule I der Bundeswehr

in der Zeit vom 1. Januar 1960 bis 1. März 1962) stammten sogar nur vier Prozent der Offizieranwärter der Bundeswehr aus Familien ehemaliger Offiziere.

Zwar hat das Bundesverteidigungsministerium - genau wie Waldman festgestellt, daß elf von 100 Bundeswehr-Leutnanten im Jahre 1962 angegeben haben, ihr Vater sei Offizier oder Wehrmachtbeamter gewesen, doch es scheint zweifelhaft, ob diese Angaben über den tatsächlichen Beruf der Leutnants-Väter etwas aussagen. In der Zeit zwischen 1940 und 1942, als die Leutnante von heute geboren wurden, gab es viele Offiziere.

Aus allen soziologischen Untersuchungen über den Offiziernachwuchs der Bundeswehr geht auf jeden Fall übereinstimmend hervor, daß die minder bemittelten Schichten sich heute mehr als früher für den Offizierberuf interessieren und in ihm eine Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg sehen. Das Bundesverteidigungsministerium: »Eine leichte Verschiebung der Sozialstruktur des jungen Offilzierkorps in die Richtung der sozial einfacheren Schichten (hat) stattgefunden.«

Laut Waldman kamen 16 Prozent der Offizieranwärter des von ihm befragten Personenkreises aus Handwerker - und Facharbeiterfamilien.

Die Untersuchung an der Heeresoffizierschule I ergab zwar keinen so hohen Prozentsatz. Doch erwies sich auch hier, daß neun Prozent der Offizierschüler in Handwerkerfamilien und weitere drei Prozent in Arbeiterfamilien (und Familien von Gewerkschaftsangestellten) aufgewachsen waren.

Den höchsten Anteil an den Offizieranwärter-Jahrgängen der Bundeswehr liefern - laut beiden Untersuchungen - die Familien höherer Beamter und Akademiker, nämlich zwischen 38 und 39 Prozent. Das wird auch durch die Unterlagen des Bundesverteidigungsministeriums bestätigt.

Obwohl die soziale Herkunft des Bundeswehr-Nachwuchses unterschiedlicher ist als in irgendeiner anderen deutschen Armee zuvor, wird vielfach von der SPD Klage über das »Jung -Offizierkorps« geführt. So schrieb die der SPD nahestehende Bonner Korrespondenz »PPP": Es sei »fast typenbildend«, daß die Nachwuchsoffiziere »überwiegend aus ähnlichen Gesellschaftsschichten kommen und von zu Hause und in der Schule einseitigen parteipolitischen Einflüssen ausgeliefert waren«.

Die Beschwerde der SPD ist auf jeden Fall insofern richtig, als - nach den Feststellungen Professor Waldmans - die Mehrheit der Bundeswehr-Offiziere christdemokratisch eingestellt ist. 74,6 Prozent aller von Waldman befragten Leutnante, Oberleutnante und Hauptleute der Bundeswehr äußerten Sympathie für die CDU/CSU. Drei Prozent erklärten, daß sie nach Eintritt in die Bundeswehr ihre politische Ansicht geändert hätten - die meisten zugunsten der SPD. (Die letzte Tatsache wird von Professor Waldman als Beweis dafür gewertet, daß innerhalb der Bundeswehr keine Beeinflussung zugunsten der CDU/CSU stattfindet.)

Einige SPD-Führer setzen ihre politischen Hoffnungen auf die Bundeswehr -Unteroffiziere - so zum Beispiel, indem sie, gegen das ohnehin durchlöcherte Bildungserfordernis des Abiturs für Offiziere Stellung beziehen. Ob diese traditionelle Vorliebe der SPD für die Unteroffiziere sich politisch als nützlich erweist, wird indes vielfach bezweifelt.

Einmal unterscheidet sich die politische Einstellung der Bundeswehr -Unteroffiziere keineswegs wesentlich von denen der Offiziere: Laut Professor Waldman neigen 74,2 Prozent der Unteroffiziere und 76,9 Prozent der Feldwebel zur CDU/CSU.

Zum anderen fällt die SPD mit ihrer Opposition gegen den »gebildeten« Offizier ausgerechnet derjenigen Offiziersgruppe innerhalb der Bundeswehr in den Rücken, die am modernsten eingestellt ist und noch am ehesten Sympathien

für die SPD hegt. Einige Offiziere beklagen denn auch, daß die Bildungs-Feindseligkeit der SPD eine fatale Ähnlichkeit mit der Bildungsfeindseligkeit des reaktionären Prinzen Wilhelm von Preußen (des späteren Kaisers Wilhelm I.) hat.

Tatsächlich besteht bislang wenig Grund, eine etwaige »Über-Intellektualisierung« des Bundeswehr-Offizierkorps festzustellen, wenngleich der Bildungsstand, gemessen an früher, hoch ist: 66,5 vom Hundert der Berufs-Offiziere der Bundeswehr haben das Abitur und 21,4 vom Hundert die Mittlere Reife oder Prima-Reife.

Rund 500 Offiziere haben das Abschlußzeugnis einer Technischen Hochschule, rund 800 das einer Universität.

(Dabei sind die Offiziere des Sanitätsdienstes nicht mitgerechnet.)

Zur Zeit gewährt die -Bundeswehr über 450 jungen Offizieren Studienbeihilfen. Sie haben sich für mindestens acht Jahre Dienst verpflichtet;

Fast 1500 Offiziere haben das Abschlußzeugnis einer Höheren Technischen Lehranstalt oder eines vergleichbaren Instituts.

Von den Anwärtern auf die Berufsoffizier-Laufbahn verlangt die Bundeswehr im Prinzip das Abitur. Doch haben gegenwärtig nur 70,2 von hundert Leutnanten (Berufs-Offiziere und Offiziere auf Zeit) das Abitur. Leutnant auf Zeit kann auch ein Mittelschüler mit abgeschlossener Berufsausbildung werden. Wenn er sich drei Jahre als Offizier bewährt hat, kann er Berufs-Offizier werden.

Ein weiterer Zugang an Nicht-Abiturienten ergibt sich daraus, daß die Bundeswehr besonders qualifizierte Unteroffiziere zu Offizieren ausbildet. 1964 wird die Zahl dieser Offiziere 400 betragen.

Von den rund 32 000 Oberschülern, die alljährlich das Abitur ablegen, bewerben sich jeweils sieben bis acht Prozent bei der Zentralen Prüfstelle für Offizierbewerber in Köln. 1800 werden jährlich angenommen. Um den Bedarf der Bundeswehr zu decken, müßten es jedoch 2000 sein.

Die 1800 angenommenen Bewerber bilden aber keineswegs die Elite der jeweiligen Abiturienten-Jahrgänge. Bei einer Bewertungsskala von 1. bis 7 liegen die Bewertungen der Prüfstelle durchschnittlich zwischen 4 und 5, bei ausreichend oder gerade noch ausreichend.

»Welt«-Redakteur Bernd Nellessen erfuhr bei der Heeresoffizierschule in Hannover, daß auch dort die Leutnante durchschnittlich mit einer gerade noch ausreichenden Qualifikation abgehen.

Das Urteil vieler Kommandeure über den Nachwuchs ist denn auch zurückhaltend. So (vor einigen Jahren) der damalige Oberstleutnant Domaschk über, die jungen Offiziere: »Viele sind

doch nur wegen der Versorgung gekommen und auch in Uniform Handschuhverkäufer geblieben.«

Besonders nachteilig macht sich die »gerade noch ausreichende« Qualität des Nachwuchses bei den Kampftruppen des Heeres bemerkbar. Da die Leistungs -Elite der jeweiligen Offizier-Jahrgänge vor allem für die technischen Verbände der Luftwaffe, der Marine und im Heer wiederum für die Stäbe und für geistig besonders anspruchsvolle Dienste beschlagnahmt wird, bleibt für die Kampftruppen der zwölf Divisionen nur der minder qualifizierte Rest.

Außerdem ist die Ausbildung nach Erhalt des Leutnant-Patents oft behindert - unter anderem auch durch die Frühheiraten der Leutnante.

Tatsächlich ist fast ein Viertel (23 Prozent) aller Leutnante der Bundeswehr verheiratet. Sogar von den Offzierschülern sind vier bis fünf vom Hundert verheiratet. Wehrbeauftragter Vizeadmiral a. D. Heye: Die jungen Offiziere suchten »Nestwärme«, was angesichts der Ungemütlichkeit des Kasernenmilieus und des Mangels an Geselligkeit verständlich sei.

Viele Kommandeure (so der Major Dr. Joachim, Jäschke) möchten denn auch dem Problem der Leutnants -Frühheiraten durch die bessere Pflege gesellschaftlicher Beziehungen im Offizierkorps beikommen: »Wenn der junge Offizier im Hause seines Chefs oder Kommandeurs eine gediegene Häuslichkeit, eine zufriedene Familie und eine gütige Hausfrau mit Herzensbildung kennenlernt, wird er beeindruckt und beeinflußt werden.«

Aus Jäschkes Äußerung spricht auch das Unbehagen vieler konservativer Offiziere über die mangelnde Bildung und Erziehung junger Leutnants -Frauen. Vielfach wird denn auch der Wunsch nach Wiedereinführung einer »Heiratsordnung« für Offiziere laut.

Andere Offiziere, wie zum Beispiel der General Baudissin, machen dagegen geltend, daß eine »Heiratsordnung« nicht nur dem Grundgesetz, sondern auch dem »mobilen« Zustand der modernen Gesellschaft widersprechen würde: Viele Komtessen sind heute Verkäuferinnen, viele Arbeitertöchter Lyzeums-Schülerinnen.

Baudissin: Das Problem der Frühheiraten könne nur durch persönliche Beratung der jungen Offiziere gelöst werden, vor allem durch den Hinweis, daß aus evidenten Gründen der verheiratete Leutnant an der Teilnahme von Lehrgängen und Sonderausbildungen zumal im Ausland, mithin auch an einer guten Karriere gehindert ist.

Die allenfalls durchschnittliche Qualität des Offiziernachwuchses hängt offenkundig auch mit dem gesunkenen Sozialprestige des Offizierberufs zusammen. Es gilt im Nach-45er-Deutschland kaum noch als vornehm, Offizier zu sein. Die meisten, Offiziere scheuen sich deswegen auch, außer Dienst in Uniform auszugehen.

Nach Untersuchungen, die Professor Karl Valentin Müller, Nürnberg, in der »Zeitschrift für Markt- und Meinungsforschung veröffentlichte, rangiert der Offizier in der öffentlichen Wertschätzung durchweg an nachgeordneten Stellen.

Bei einer Befragung von Studenten der Nationalökonomie nach den zehn

am höchsten bewerteten Berufen wurde der Offizier überhaupt nicht genannt. Befragte männliche Berufsschüler nannten den Major an zehnter Stelle. Zwanzig- bis Vierundzwanzigjährige placierten bei einer Befragung den Major an siebenter Stelle - immerhin noch vor dem Gutsinspektor, Opernsänger und Polizeiwachtmeister.

Auch in der Selbsteinschätzung des Soldaten sind bemerkenswerte Änderungen gegenüber früher eingetreten. Während der Offizier früher gemeinhin dazu neigte, sich selbst als »etwas Höheres« zu empfinden, ist diese Einstellung nach den Feststellungen Professor Waldmans heute nur noch bei vier Prozent der Offiziere und sechs Prozent der Offizieranwärter zu finden.

Zwei Drittel der von Waldman befragten Rekruten waren nicht einmal geneigt, dem Soldaten im täglichen lieben den gleichen Rang wie dem Zivilisten einzuräumen.

Das Gefühl eines nachhaltigen Prestigeverlustes ist im Bundeswehr -Offizierkorps allgemein. Unterschiedlich sind die Standpunkte sowohl bei der Bewertung dieser Tatsache als auch hinsichtlich der Vorschläge zu einer denkbaren Besserung des Zustandes.

Während die modernen Offiziere aus der Schule des Generals Baudissin die gesellschaftliche Höchstbewertung des Offiziers, wie sie früher üblich war, auf jeden Fall als heute nicht mehr wünschenswert erachten, gibt es eine ganze Reihe von Offizieren, die der Wertschätzung ihres Standes mit höchst traditionellen Mitteln wieder auf die Beine helfen wollen: Durch Stärkung der disziplinären Autorität, durch Rekrutierung des Offiziernachwuchses aus bestimmten Gesellschaftskreisen, durch Wiederbelebung alter Regimentstraditionen, durch Idealisierung des Offiziers als dem »einsamen Wahrer der großen nationalen Überlieferungen«.

Die Anhänger dieser Forderungen - von dem Münchner Wehrpublizisten

Wilhelm Ritter von Schramm als »militärische Rechtsopposition« gekennzeichnet - haben auch außerhalb der Bundeswehr Stützen gefunden. Die Spalten der Münchner »Deutschen National-Zeitung und Soldaten-Zeitung« (Druckauflage rund 60 000) stehen dieser Rechtsopposition ständig zur Verfügung, und ohne Zweifel gibt es auch in der Spitze der CDU/CSU Kräfte, die sie stützen.

Der jetzige Vorsitzende der CDU, Adenauer, hat sich zwar während seiner Amtszeit als Kanzler wenig um Grundsatzfragen der Bundeswehr gekümmert, doch wird berichtet, daß er dem neuen Offizierkorps und dessen freimütigerem Verkehrston skeptisch gegenübergestanden hat.

Als er unmittelbar nach Gründung der Bundeswehrschule für Innere Führung (die heute in Koblenz ist) an einem Kommandeurlehrgang teilnahm, äußerte er über die Art der politischen Diskussion seine Verwunderung: »Ist dat denn nich jefährlich?«

Zu den ausgesprochenen Vertretern traditioneller Vorstellungen vom Soldaten gehört ohne Zweifel der frühere CDU-Minister von Merkatz: »Tradition ist ein Zeichen von Selbstbewußtsein, von ungebrochenem Lebensgefühl, von Vitalität.«

Eine spezifische Abart traditionalistischer Vorstellungen ist von dem Schriftsteller Winfried Martini vertreten worden. In einem seinerzeit vor allem von jungen Offizieren vielbeachteten Aufsatz in der »Wehrkunde« (Heft 12, 1958) unter dem Titel »Wehrmotiv - heute« empfahl Martini, bei der Formung der Bundeswehr das Beispiel der französischen Fremdenlegion nicht zu übersehen.

Was Martini, der seither viel von Offizierzirkeln eingeladen wird, zu seinem schockierenden Vorschlag veranlaßt hat, ist die Behauptung, die Ideologie der Freiheit und Demokratie gebe »offensichtlich in weiten Teilen des Volkes (der Bundesrepublik) kein Motiv der Verteidigung« ab. Ebensowenig könne das Motiv der Vaterlandsverteidigung im geteilten Deutschland ein allgemein akzeptiertes Wehrmotiv liefern.

Angesichts dieser Schwierigkeiten, den in der Bundeswehr repräsentierten Wehrwillen aus ideologischen oder nationalen Motivationen zu speisen, hält Martini es für berechtigt und nützlich, die Bundeswehr und die Legion jedenfalls experimentell zu vergleichen und zu untersuchen, worauf es beruht, daß eine Truppe wie die Legion ohne jegliche geistige oder ideologische Fundierung zu einem Elite-Verband werden konnte.

Bei dieser Untersuchung stößt Martini unter anderem auf die vier Eigenschaften der Legion, die er - anders ist er kaum zu verstehen - der Beachtung durch die Bundeswehr empfiehlt:

- »erhöhte Kameradschaft durch erhöhte

Disziplin«,

- »eine sorgfältige Pflege der Tradition,

von Mythen und eines entsprechenden Rituals«,

- »ein hochqualifiziertes Korps von

Offizieren und Unteroffizieren« und

- eine »besondere Art von Toleranz«.

Die - nach mehreren Aussagen - lebhafte Diskussion im Offizierkorps der Bundeswehr über Martinis Ansichten wurde 1961 und 1962 durch die beiden Bücher »Die Zenturionen« und »Die

Prätorianer« des französischen Schriftstellers Jean Lartéguy weiter genährt. Beides sind Bücher über Frankreichs Fallschirmjäger, die sogenannten Paras, deren Moral und Disziplin etwa denen der Fremdenlegion entsprechen.

Es war zu erwarten, daß die von Martini und Lartéguy dargestellten Soldatentypen gerade von intellektuell wachen jungen Offizieren als Vorbilder empfunden werden würden. In der Tat läßt die inzwischen jedenfalls teilweise aufgedeckte Ausbildungspraxis in einigen Nagolder Einheiten der 1. Luftlande-Division der Bundeswehr vermuten, daß man dort die beiden Schriftsteller mit Eifer gelesen hat.

Die Redensarten des Schleifer-Gefreiten Raub über die »Fallschirmjäger -Ehre« passen genau in das von Martini entworfene Bild der Legion. Offenkundig ist er von seinen Offizieren in diesem Geist geschult worden, Manche Sprüche des Fallschirmjäger-Oberleutnants Schallwig - »der Toten Tatenruhm« - lassen eben jene Vorliebe für »Mythen« und »Ritual« erkennen, die laut Martini auch in der Legion herrschte. Schallwigs Neigung zu den Paras ergibt sich daraus, daß er einen Urlaub daransetzte, um das Sprungabzeichen der Franzosen zu erwerben. Auch der Nagolder Leutnant Rölle erschien - obschon in Zivil - mit dem Abzeichen der französischen Paras zur Zeugenaussage vor Gericht.

Im Bundesverteidigungsministerium wird, allerdings bestritten, daß Nagold für die zwölf Divisionen der Bundeswehr typisch ist. Minister von Hassel vertritt die Ansicht, daß die Disziplin in vielen Einheiten der Bundeswehr eher zu lax als zu hart gehandhabt wird, und der Oberst i.G. Schall äußerte kürzlich in der Zeitschrift' »Die neue Gesellschaft« die Meinung, daß auf zehn Fälle »falschen Verhaltens« der Vorgesetzten »vielleicht hundert Fälle geduldeter Disziplinlosigkeit« kämen.

Ohne Frage ergeben sich schon aus dem Mangel an Unteroffizieren sehr häufig Disziplinwidrigkeiten. Bei der Ausbildung an der Waffe müssen manche Gruppen oft lange warten, bis der einzige Unteroffizier zur Belehrung und Berichtigung zu ihnen kommt. Inzwischen wird unter Aufsicht eines Gefreiten »Hände geklopft«.

Außerdem klagen viele junge Soldaten über den sogenannten Gammeldienst: in die Länge gezogene Stunden für die Wartung von Fahrzeugen und Gerät.

Solche von der Sache und Situation her gegebenen Mängel durch »vortechnische« Disziplinierung aufzufangen, findet wohl bei den meisten jungen Offizieren wenig Gegenliebe.

Dagegen erweist sich »Tradition« im Sinne von Erinnerungspflege doch häufig als anziehend. Die Äußerung des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss vor der Führungsakademie in Blankenese im Jahre 1959 - »Aber diese Bundeswehr ist doch kein Verein für verjährte Märchenerzählungen« - wird heute nicht mehr gern gehört, und von Hassel hält immerhin »sinnvolle« Tradition für wünschenswert.

Die »Traditions«-Debatte, die praktisch so alt wie die Bundeswehr selbst ist, zielt letztlich (sofern es den Offizieren nicht bloß um Degen, Affenschaukel und dergleichen geht) auf die Frage, ob und wie die Bundeswehr-Offiziere zu einem »corps« integriert werden sollen, das über »esprit de corps« oder, wie der preußische Militärdenker Clausewitz es nannte, über »Innungsgeist« verfügt.

Clausewitz war noch von der damals gültigen Vorstellung ausgegangen, daß Krieg »ein bestimmtes Geschäft« sei. In der Tat bezog der Soldatenberuf bis zum Zweiten Weltkrieg seinen Anspruch auf besondere Würde aus der Tatsache, daß der Soldat im Ernstfall im besonderen Maße dem Tode ausgesetzt war.

Viele Offiziere der Bundeswehr, vor allem auch in den höheren Rängen, sind sich darüber im klaren, daß diese hervorgehobene Stellung des Soldaten durch den Zweiten Weltkrieg mit seinen Luftangriffen, insbesondere aber durch das zukünftige Kriegsbild überholt worden ist.

Im koreanischen Krieg fielen rund 300 000 Soldaten und eine Million Zivilisten. Im Bombenkrieg müssen von dem Leiter eines Elektrizitätswerkes oder eines städtischen Ernährungsamtes ebensoviel Mut, Entschlossenheit, Autorität und Einsatzwillen erwartet werden wie von einem Kampfgruppen-Offizier

- und oft sogar mehr als von einem Stabsoffizier.

Die Besonderheit der Stellung des Soldaten zum Tode ist weggefallen und damit auch ein Moment der Exklusivität und Integration des Offizierkorps.

Hinzu kommen die Wirkungen der Spezialisierung. So macht General Baudissin darauf aufmerksam, daß die berufliche Solidarität eines Nachrichten -Offiziers sich vielleicht eher auf seine Kollegen von der Post erstreckt als auf seine Kameraden einer Panzergrenadier-Brigade. Dies sei - so Graf Baudissin - keineswegs eine nur für die Bundeswehr charakteristische Erscheinung. Ähnliches könne man auch in anderen Berufen beobachten. Tatsächlich kann man vermuten, daß zum Beispiel ein Röntgenologe sich beruflich viel weniger solidarisch mit dem Kollegen Landarzt fühlt als etwa mit einem Metallographen.

Wesentliche Integrationsfaktoren der Armeen aller Länder waren bis in die Gegenwart hinein ethischer Art. Die

Atombombe hat auf diesem Gebiet für die Soldaten und Offiziere aller Länder Probleme geschaffen, die für die Bundeswehr überdies noch durch die Teilung Deutschlands erschwert werden.

Noch im Jahre 1932 verlangte der damals renommierte Militärschriftsteller Generalleutnant a.D. von Metzsch vom Offizier, daß er »zwar nicht zum Kriege drängt, aber an seine Unentbehrlichkeit glaubt«. Das sei »soldatischer Wirklichkeitssinn«, den der Offizier im besonderen Maße zu verkörpern habe.

Heute wirbt die Bundeswehr für den Offizierberuf unter anderem mit einem Annoncen-Text, wonach der Offizier »dem Frieden verpflichtet sein« soll.

Schwerpunkt sowohl der gegenwärtigen Wehr-Ethik als auch der Wehr -Praxis ist die Vorstellung, daß Rüstung jeglicher Art, mithin auch der Offizier, der Verhinderung des Krieges zu dienen habe - eine Maxime, an die der wohl geläufigste Kasino-Witz der Bundeswehr anknüpft:

Fragt der Lehrer einer Heeresoffizierschule: »Der Feind hat heute morgen die Grenze der Bundesrepublik überschritten. Fähnrich Meier, was tun Sie?«

Meier: »Ich gehe nach Hause.«

Lehrer: »Wieso?«

Meier: »Mein Auftrag, den Krieg zu verhindern, ist gescheitert.«

Bundespräsident Heuss zitierte in seiner Rede vor der Führungsakademie in Hamburg-Blankenese einen französischen General, der ihm gesagt hatte: »Die ernsten Pazifisten sitzen heute in den Generalstäben« - und es war offenkundig, daß diese Äußerung des Franzosen die innere Zustimmung des damaligen Staatsoberhauptes der Bundesrepublik hatte.

Ganz im Sinne dieser Erklärung erhob der Kommentator des »Hamburger Abendblatts«, Wilhelm Backhaus, jüngst die Forderung, der moderne Offizier müsse der »Resignation« fähig sein.

Minister von Hassels Äußerungen über Wehr-Ethik sind allerdings weiter gefächert. Sie reichen von der Forderung, die »Wertgrundlagen« und die demokratische »Lebensordnung« zu verteidigen, bis zu der Erklärung, daß eine Armee eines freien Staates keinen »tragfähigen Boden« habe, »solange nicht sittliche Bindung und der Glaube an Gott den Menschen über seine Zeitlichkeit hinaus blicken und hoffen lassen«.

Demgegenüber wird auch von hohen Offizieren der Bundeswehr geltend gemacht, daß in einer pluralistischen Gesellschaft eine Vielfalt ethischer Motivationen, darunter auch die des Sozialismus, zugelassen sein müsse - wie denn ja auch die Widerstandskämpfer des 20. Juli sowohl aus den Kirchen als auch vom Sozialismus her gekommen seien.

Auf jeden Fall ist klar, daß eine Ethik des Krieges im atomaren Zeitalter eigentlich überhaupt nicht, eine Ethik der Armeen als Instrumente zur Erhaltung des Friedens nur sehr kompliziert begründet werden kann. Unverkennbar ist, daß eines der klassischen Integrationsmomente alter Armeen, nämlich der Stolz des Kriegers, kaum mehr oder - wie im Musterfall der Paras, Legionäre und Fallschirmjäger von Nagold - nur unter sehr fatalen Begleitumständen wiederhergestellt werden kann.

Neben der »atomaren« spielt die Situation des geteilten Deutschland eine Rolle. Zwar polemisierte Minister

von Hassel in einer Rede vor der Bundeswehrschule für Innere Führung gegen den Zeitgenossen, »der es für unschicklich hält, von 'Vaterland', von 'Nation' zu sprechen«, doch war der Minister in der gleichen Rede so vorsichtig, von der Bundesrepublik als einem »Territorium« zu sprechen, das geschützt werden müsse.

Die autoritativste Äußerung zum Thema »Krieg im geteilten Deutschland« - die Rede von Bundespräsident Lübke vor der Führungsakademie am 11. Oktober 1961 - bejaht trotz Gewissensbedenken den Zwang des Soldaten, »gegen seine eigenen Landsleute kämpfen zu müssen«. Es handele sich dabei um eine »Pflicht zur Notwehr«, vergleichbar dem Einsatz der Polizei gegen Rechtsbrecher.

Generell kann man sagen, daß die Wehrmotivation der Bundeswehr entnationalisiert worden ist. Motive der gesellschaftlichen Ordnung, wie zum Beispiel »Freiheit« und »freiheitliche Lebensordnung«, rangieren vor der Verpflichtung für die »Nation«. Das entspricht

der politischen Wiedervereinigungsmaxime aller Parteien in der Bundesrepublik, der zufolge eine »nationale Wiedervereinigung« nur »in Freiheit« möglich ist - anders ausgedrückt: der zufolge das Postulat der Freiheit vor dem der nationalen Einheit placiert wird. Im Sinne dieser These hat sich im Offizierkorps der Bundeswehr ein relativ starkes Solidaritätsgefühl mit dem »Westen« entwickelt.

Professor Waldman stellte fest, daß - während in der Bevölkerung der Bundesrepublik »eine gewisse Gleichgültigkeit« in der Einstellung zum Westen zu beobachten sei - bei der Bundeswehr »eine ausgesprochene prowestliche Einstellung festzustellen ist, die mit steigendem Dienstgrad, Dienstzeit und Alter zunimmt«.

Dabei ist man sich auch in der Bundeswehr darüber im klaren, daß die »pro-westliche Einstellung« bei weitem nicht so integrierend wirkt wie einst das nationale Motiv auf das alte deutsche Offizierkorps.

Während das nationale Motiv eine Gefühlssache war, muß das Bewußtsein der Solidarität mit dem Westen reflektierend, also auf intellektuellem Wege erarbeitet werden - ohne selbst dann die Dichte und Intensität de: nationalen Einstellung von einst zu erlangen.

Bemerkenswerterweise wird diese Entwicklung der Bundeswehr und anderer Nato-Armeen in der. Sowjet-Union mit einer Mischung von Verachtung und prinzipieller Ablehnung kommentiert. So wandte sich jüngst der Sowjet -Marschall Tschuikow im Moskauer Rundfunk gegen die »Nato-Ideologie«, wonach Nationalstaaten überholt seien. Der »Mensch ohne Nation« sei eine Abstraktion, und die entsprechende Lehre »zersetzt wie Gift das Bewußtsein der westlichen Soldaten«.

Hohe Offiziere der Bundeswehr stimmen mit Tschuikow insoweit überein, daß der Verzicht auf eine bedingungslose nationale Motivierung des Wehrwillens und andererseits der Rückgriff auf nur intellektuell erarbeitbare Motivationen einem Verlust an emotionaler Dichte gleichkommen. Sie schätzen diesen Verlust aber als nicht allzu hoch, als verschmerzbar und auf jeden Fall als unumgänglich ein.

Ohnehin ist - nach Ansicht dieser Offiziere - eine stärkere »intellektualisierung« des Bundeswehr-Offizierkorps erforderlich, und zwar

- aus Gründen der technischen und »Management« - Anforderungen an den modernen Offizier,

- aus ethischen Gründen (Entwicklung einer geistigen Selbstkontrolle, die man insbesondere angesichts der atomaren Situation für geboten hält),

- aus dem Grund, das Ansehen des Offizierberufs zu heben und ihn vor allem für Abiturienten attraktiver zu machen.

Als einen Schritt auf diesem Wege sieht man im Bundesverteidigungsministerium vor allem die Gründung einer Wehrakademie an - eine Forderung, die seit Beginn des Aufbaus der Bundeswehr von Graf Baudissin erhoben worden ist.

Nach den freilich noch nicht ausgereiften Vorstellungen des Bundesverteidigungsministeriums sollen die Oberleutnante der Bundeswehr auf dieser Akademie in Lehrgängen von einem halben bis dreiviertel Jahr vor allem auf taktischem und logistischem Gebiet geschult werden.

Vielen Offizieren geht diese Planung allerdings noch keineswegs weit genug. Sie fordern, entsprechend englischen und amerikanischen Vorbildern, eine mehr geistig betonte Offizier-Ausbildung. Allein so könne heute noch ein formatives Offiziersbild entwickelt und vor allem die fatale Entwicklung unter den bisherigen Generalinspekteuren zum Stehen gebracht werden, in deren Verlauf auf der einen Seite solche Typen wie die Fallschirmjäger-Offiziere von Nagold und andererseits der Typ des auf »Nicht-Auffallen« geschulten Offiziers entstanden sei.

Daß die Bundeswehr einer neuen Initiative bedarf, kam auch in einer der ersten Reden Bundeskanzler Erhards zum Ausdruck. Vor den Generälen und Kommandeuren der Bundeswehr erklärte er: »Ich selbst werde der inneren. Konsolidierung der Bundeswehr große Aufmerksamkeit schenken.«

* Eric Waldman: »Soldat im Staat«. Harald Boldt Verlag, Boppard am Rhein; 294 Seiten; 18 Mark.

* Karl Demeter: »Das deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und Staat 1650-1945« (Neu-Auflage). Bernard & Graefe Verlag für Wehrwesen, Frankfurt a.M.; 322 Seiten; 19,80 Mark.

Bundeswehr-Offiziere in Hamburg 1963: In der Republik ein Beruf

Preußische Offiziere in Hoppegarten 1913: Im Reich eine Elite

Erste Bundeswehr-Vereidigung (Andemach 1956): Auf der Suche nach einem Vorbild...

... eine Begegnung mit Prätorianern: Französische Fallschirmjäger

Reichswehr-Gründer Seeckt Auch in Zivil ein Soldat

Bundeswehr-Reformer Baudissin

Auch in Uniform ein Bürger

Simplicissimus-Karikatur 1898: »Jestern Turfklub jewesen - Sekt, ejal Sekt«

Drill in der Wehrmacht: Hohe Schule der Nation

Kavallerie-Offizier der Wehrmacht: Muß der Offizier...

... der Resignation fähig sein?: Raketentruppe der Bundeswehr

Einrückender Rekrut, Kompaniechef

Befehlsempfang im Polstersessel

Nagold-Kompaniechef Schallwig

Im Urlaub zu den Paras

Offizierskasino der Bundeswehr: Ein Gefreiter weiß mehr als ein General

Bundeswehr-Offizier, nach Dienstschluß: Der Unteroffizier wohnt eine Treppe höher

* Von links: Speidel, Blank, Heusinger, Adenauer.

Wie viel verdient ein Major bei der Bundeswehr?

Das Gehalt vom Major bei der Bundeswehr beträgt zwischen 4.511,11 EUR und 5.799,96 EUR und fällt damit überdurchschnittlich hoch aus. Bei dieser Besoldung handelt es sich um das Grundgehalt, das abhängig von Ihrem Dienstgrad als Major ist. Als solche/r fallen Sie in die Besoldungsgruppe A13.

Ist Major ein hoher Dienstgrad?

In der United States Army, der US Air Force und dem US Marine Corps ist der Major ein in der Hierarchie über dem Captain und unter dem Lieutenant Colonel rangierender Dienstgrad.

Wie lange dauert es bis man Major wird?

(1) Die Beförderung zum Hauptmann ist nach einer Dienstzeit von fünf Jahren seit Ernennung zum Leutnant zulässig. (2) Die Beförderung zum Major ist nach der erfolgreichen Teilnahme an einem Stabsoffizierlehrgang und nach einer Dienstzeit von neun Jahren seit Ernennung zum Leutnant zulässig.

Wie hoch ist der Dienstgrad Major?

Heeres- und Luftwaffenuniformträger.