Warum sitzt der Internationale Gerichtshof in Den Haag?

Der Ukraine-Krieg beschäftigt Den Haag. So viele Anträge auf Untersuchung von Kriegsverbrechen gab es noch nie. Wie steht es um das Strafgericht 20 Jahre nach seiner Gründung?

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Am 1. Juli 2002 hatte der Internationale Strafgerichtshof, kurz IStGH, zum ersten Mal seine Arbeit aufgenommen. Ein großer Schritt für die internationale Strafgerichtsbarkeit. Und groß waren auch die Hoffnungen in das Gericht: Kriegsverbrecher sollten in Den Haag angeklagt und verurteilt werden – international unabhängig, transparent und fair.

Heute, nach zwanzig Jahren, ist die Bilanz zwiespältig

Doch nur eine Handvoll Gerichtsurteile gibt es bislang, die Verurteilten stammen aus eher kleinen Ländern. Das Gericht arbeite langsam und ineffizient, wird kritisiert. Und Staaten wie die USA, Russland oder China machen gar nicht erst mit. Doch ausgerechnet der Krieg in der Ukraine könnte nun der Idee von einem internationalen Strafrecht neue Relevanz verleihen.

Anders als am Internationalen Gerichtshof, an dem Staaten einen anderen Staat verklagen, richten sich die Verfahren am Internationalen Strafgerichtshof spezifisch gegen eine Person, der mindestens eine Völkerstraftat nachgewiesen werden muss.

Verfolgt werden folgende Straftaten:

  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit
  • Völkermord
  • Kriegsverbrechen zwischen mehreren Staaten und innerhalb einzelner Staaten

Dazu kommt das Verbot der Aggression, die umstrittenste Straftat. Sie wurde erst 2010 aufgenommen und ist seit 2018 wirksam.

USA, Russland und China sind keine Vertragsstaaten des IStGH

Der Internationale Strafgerichtshof ist keine Einrichtung der UN, alle Staaten müssen gesondert beitreten. 123 haben das inzwischen getan. Von den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates haben die USA, Russland und die Volksrepublik China den Internationalen Strafgerichtshof bisher allerdings nicht ratifiziert. Eigentlich ein großes Manko, das den Einsatz des Strafgerichtshofs aber nicht völlig verhindert.

Afghanistan beispielsweise ist Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofes, damit ist die Zuständigkeit gegeben. Doch da die Prozesse am Internationalen Strafgerichtshof immer in Anwesenheit der Angeklagten stattfinden müssen, erscheint ein Prozess zu amerikanischen Kriegsverbrechen in Afghanistan äußerst unwahrscheinlich.

Neubau des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, an den Außenfenstern befinden sich Pflanzen aus allen 123 Vertragsstaaten IMAGO IMAGO / Steinach

Erstes internationales Gericht für aktuell laufende Konflikte

Der Internationale Strafgerichtshof ist das erste internationale Strafgericht, das bei noch laufenden Konflikten aktiv wird. Dementsprechend schwer ist für die Anklagebehörde das Sammeln von Beweisen: Die Gebiete sind oft unzugänglich, die Verbrechen komplex, die Zeugen häufig traumatisiert.

Es braucht Menschen, die dolmetschen können, denn mit Englisch und Französisch kommt man nicht weit. Manchmal müssen sie erst einige Wochen lang ausgebildet werden, weil niemand am Gerichtshof die Sprache spricht.

Ein Gericht ohne Polizeimacht

Ein weitere Hürde: Der Gerichtshof hat keine eigene Polizeimacht und ist bei Verhaftungen und Auslieferungen auf die Mitarbeit der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen. Und die lässt zu wünschen übrig, so der ehemalige Richter Cuno Tarfusser.

Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine könnte sich das ändern. 39 Vertragsstaaten haben Ende März die Chefanklage mit Ermittlungen beauftragt, mehr und schneller als je zuvor in der Geschichte des Internationalen Strafgerichtshofs, sagen Fachleute.

Ukraine hat ad-hoc-Anerkennung ausgesprochen

Russland und die Ukraine sind keine Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshof. Doch die Ukraine hat in zwei Erklärungen 2014 und 2015 nach der Annexion der Krim dem Gerichtshof eine sogenannte ad-hoc-Anerkennung ausgesprochen hat, deswegen kann er nun ermitteln.

Chefankläger Karim Asad Ahmad Khan vom Internationalen Strafgerichtshof 2022 zu Gast in Ukraine, um sich selbst ein Bild zu machen IMAGO IMAGO / Ukrinform

In einem Interview mit dem US-Sender CNN sagt der Chefankläger von Den Haag, Karim Asad Ahmad Khan, im März 2022, es gebe eine ausreichende Grundlage für die Annahme, dass sowohl Kriegsverbrechen als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine begangen wurden. Khan hatte sich selbst in Butscha ein Bild von den Verbrechen gemacht.

Dass Putin vor Strafgerichtshof landet, sei unwahrscheinlich

Khan räumt jedoch ein, dass russische Offiziere oder gar der russische Präsident Wladimir Putin vor dem Internationalen Strafgerichtshof landen werden, sei unwahrscheinlich. Russland müsste sie dafür ausliefern.

Doch langfristig könnte das verstärkte Interesse der Staaten zu Änderungen am Gerichtshof führen. Denn mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wieder ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt.

Manuskript zur Sendung

Warum Den Haag Gerichtshof?

Der Internationale Strafgerichtshof ( IStGH ) im niederländischen Den Haag ist seit 2003 für die Verfolgung besonders schwerer Straftaten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zuständig.

Warum gibt es den Internationalen Gerichtshof?

Vor dem Internationalen Gerichtshof werden zwischenstaatliche Streitigkeiten verhandelt – sofern sich alle beteiligten Staaten der Gerichtsbarkeit des IGH unterwerfen. Außerdem erstellt der Gerichtshof Rechtsgutachten zu völkerrechtlichen Fragen für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen.

Was hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag mit der UNO zu tun?

Der 1946 geschaffene IGH (Sitz in Den Haag) ist das »Hauptrechtsprechungsorgan« der Vereinten Nationen ( Vereinte Nationen (UN)) (Art. 92 der UN-Charta). Er hat die Aufgabe, internationale Streitfälle zu regeln und beizulegen.

Welche Länder haben den Internationalen Gerichtshof nicht anerkannt?

Länder wie China, Indien, die Vereinigten Staaten, Russland, die Türkei und Israel haben das Römische Statut entweder gar nicht unterzeichnet, das Abkommen nach der Unterzeichnung nicht ratifiziert oder ihre Unterschrift zurückgezogen.