Psychische gewalt in der ehe strafbar

Psychische gewalt in der ehe strafbar

Andrea Brem

Expertinnenstimme

Andrea Brem

Ist von Gewalt gegen Frauen die Rede, denken die meisten Menschen an körperliche Gewalt, an Schläge und Hämatome oder auch an Vergewaltigung und sexualisierte Übergriffe. Die psychische Gewalt wird maximal am Rande mitgedacht, aber nur selten ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Dabei ist doch ernsthaft zu fragen, ob nicht jede Form der Gewalt auf psychischer Gewalt basiert. Wenn der Ehemann seine Frau prügelt, ist wirklich die Verletzung der Frau sein eigentliches Ziel oder geht es ihm nicht viel mehr darum, seinen Willen durchzusetzen und seine Macht zu demonstrieren, die Frau zu demütigen und einzuschüchtern? Dies aber sind Motive, die der psychischen Gewalt zugeordnet werden.

Der Verein Wiener Frauenhäuser startete im Herbst 2013 eine Sensibilisierungskampagne zum Thema "Psychische Gewalt in der Familie". Wir haben das getan, weil diese spezielle Gewaltform weder im öffentlichen Diskurs, noch in der Forschung bisher einen besonders hohen Stellenwert einnimmt. Dabei erleben wir in unserer täglichen Frauenhausarbeit das große Ausmaß der Betroffenheit der Opfer und die oft dramatischen Folgen der psychischen Gewalt. Und es wird in der praktischen Arbeit auch eine gewisse Machtlosigkeit sichtbar, da es keinen Straftatbestand "psychische Gewalt" gibt und diese daher oft weder in Strafverfahren noch in Zivilrechtsverfahren, wie Scheidung und Obsorge, thematisiert wird.

Was genau ist psychische Gewalt?

Jeder Mensch erfährt in seinem Leben, in seiner Beziehung, am Arbeitsplatz psychischen Schmerz, wird beleidigt, manchmal auch gedemütigt. Und jeder Mensch verliert manchmal die Nerven, schreit jemanden an, wertet jemanden ab, ja bedroht vielleicht sogar einmal einen anderen Menschen. Dies ist natürlich nicht in Ordnung, ist aber nicht psychische Gewalt.

Psychische Gewalt ist vielmehr ein zielgerichtetes, über einen längeren Zeitraum andauerndes, seelisches Quälen. Immer wieder attackiert der Angreifer das Opfer mit Erniedrigungen, Abwertungen, Schuldzuweisungen, Unterstellungen oder aber auch mit gezielter Ignoranz oder Kontaktverweigerung. Dazu versucht er auf verschiedenen Ebenen ständige Kontrolle über das Opfer auszuüben, bedroht es oder setzt es unter Druck bzw. sorgt dafür, dass die angegriffene Person sozial isoliert wird. Er behindert das Opfer im Alltag, macht es in der Öffentlichkeit lächerlich und demonstriert in Alltagssituationen ständig seine Macht. Manchmal schürt der Angreifer aber auch durch gelegentliche Zuwendungen die Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wenden wird. All dies führt dazu, dass sich die Wahrnehmung der in ihrer psychischen Integrität verletzten Person langsam zu verschieben beginnt, plötzlich fühlt sie sich wirklich wertlos, glaubt, dass sie im Alltag ohne Angreifer nicht mehr zu Recht kommt, hat ständig Angst zu versagen oder tatsächlich „verrückt“ zu werden.

Psychische Gewalt kann beim Opfer zum Verlust der Selbstbestimmung, völligen Verunsicherung und Realitätsverschiebung führen und hat somit nichts mit jenen psychischen Verletzungen zu tun, die wir alle in der einen oder anderen Form kennen. Parallelen in der Dynamik gibt es aber sicherlich bei Mobbing am Arbeitsplatz oder beim Cyber-Mobbing.

Ausmaß psychischer Gewalt in Paarbeziehungen

In der 2013 durchgeführten EU-weiten FRA Studie, in der 42.000 Frauen befragt wurden, gaben 43% der Frauen an, irgendeine Form der psychischen Gewalt durch ihren Partner/ ihre Partnerin erfahren zu haben. 32%, also etwa jede 3. Frau, gab an, dass sie durch den/die aktuelle/n oder eine/n frühere/n PartnerIn psychische Misshandlung erlebt hat. Dazu gehören Verhalten wie Herabsetzen oder Demütigen in der Öffentlichkeit oder Privatsphäre, Verbieten das Haus zu verlassen bzw. Einschließen oder Zwang gegen ihren Willen pornografische Filme anzusehen, Verängstigen, Einschüchtern oder Bedrohen. Die meisten Frauen, die mehrere (mindestens vier) Formen von psychischer Gewalt erlebt haben, äußerten auch, dass ihr derzeitiger Partner (Partnerin) ihnen körperliche und/ oder sexuelle Gewalt angetan hat. (FRA-Studie, 2014, S.25)

Der Verein Wiener Frauenhäuser initiierte eine Studie zur psychischen Gewalt bei Frauenhausbewohnerinnen. In dieser Studie wurden die verschiedenen Ausformungen der psychischen Gewalt erfragt, auch um deutlich zu machen, was psychische Gewalt in Abgrenzung zu alltäglichen kleinen Verletzungen bedeutet. Auch wenn die Studie nicht als quantitative Studie zu sehen ist, so macht sie deutlich, welch massive psychische Misshandlungen die Frauen erfuhren. In der Studie gaben unter anderem 86% der befragten Frauen an, dass sie ständigen Entwertungen durch ihren Partner ausgesetzt waren, und dass sie oft im Beisein der Kinder (84%) beschimpft und beleidigt wurden. 84% der Frauen gaben an, dass ihnen der Partner den Kontakt zu anderen erschwert hat und bei 70% wurde das Einkommen vom Mann kontrolliert. 94% der Befragten gaben an, bedroht worden zu sein, 74% mit Sätzen wie "Ich bringe dich um, wenn du mich verlässt", 38% gaben an, auch mit Waffen bedroht worden zu sein. (Brem, Lechner, Wimmer-Puchinger, 2014)

Dynamik der psychischen Gewalt

Im Falle der psychischen Gewalt zeigt sich, dass Opfer das, was sie tagtäglich erleben müssen, oft lange nicht als Gewalt benennen und wahrnehmen. Manchmal dauert es Jahre, bis Betroffene bemerken, dass Verhaltensmuster des Gewalttäters, welche sie beinahe schon als normal werten, alles andere als normal sind. Auch Marie France Hirigoyen, eine französische Psychiaterin und Psychotherapeutin, die maßgeblich zur Gesetzgebung gegen psychische Gewalt in Frankreich beigetragen hat, spricht davon, dass Frauen sich mit psychischer Gewalt "abfinden", weil diese Gewalt nicht sofort als solche erkennbar ist. Vielmehr baut sie sich schrittweise auf und dehnt sich immer weiter aus. Sie äußert sich in verschiedenen Mikrogewalten, von denen man nicht ganz sicher ist, ob sie eigentlich normal oder anormal sind. (Verein Wiener Frauenhäuser, Tagungsbericht, 2014, S.21)

Wenn zu Beginn einer Beziehung vereinbart wird, dass das Geld zusammengelegt wird, wenn dann plötzlich nur eine Bankkarte da ist, nämlich eine, die auf den Namen des Mannes lautet, wenn dann das "Haushaltsgeld" Zug um Zug vom Mann alleine verwaltet wird, fällt der Frau vielleicht gar nicht auf, dass es eigentlich völlig "verrückt" ist, wenn sie darum bitten muss, dass sie ein wenig von dem Geld bekommt, welches sie selbst verdient hat. Wenn eine Frau immer und immer wieder von ihrem Partner als minderwertig, blöd, hässlich und unselbständig bezeichnet wird und ihr gleichzeitig der Kontakt zu anderen Menschen verboten wird, die dieses Bild über sich korrigieren könnten, liegt es nahe, dass sie mit der Zeit glaubt, was sie tagtäglich von ihrem Peiniger hört.

Dazu kommt, dass viele dieser Frauen zumindest einmal, meist jedoch mehrfach, körperliche Gewalt erfahren haben. Für eine Frau, die einmal körperlich schwer misshandelt wurde, reicht bereits ein Hinweis, ja sogar ein bestimmter Blick oder eine Geste des Gewalttäters, um sie an diese Misshandlung zu erinnern und sie so in Angst und Schrecken zu versetzen. In dieser Atmosphäre der Angst bekommt jede Aussage des Bedrohers für die betroffene Frau ein ganz anderes Gewicht! Was für Außenstehende völlig harmlos erscheinen mag, schüchtert die Frau massiv ein.

Und wird den Betroffenen schließlich bewusst, dass sich etwas verkehrt hat, dass sie ständig verschiedene Formen von psychischer Gewalt erfahren, wissen sie meist nicht, wie sie sich Hilfe von außen holen können, da ihre Gewalterfahrungen und Erlebnisse schwierig zu verbalisieren sind.

Eine Frauenhausklientin erzählt zum Beispiel vor Gericht, dass ihr Mann eifersüchtig ist. Das ist zwar unangenehm, kommt aber in vielen Beziehungen vor und wird nicht besonders dramatisch genommen werden. Würde die Frau sagen, was wirklich passiert ist, müsste sie z.B. schildern, dass sie, wenn sie aus dem Haus geht, immer wieder von ihrem Mann angerufen wird und er verlangt, dass er die U-Bahndurchsage hören möchte, um festzustellen, bei welcher Station die Frau gerade ist; oder dass er alle ihre SMS liest, dass sie mit keiner Nachbarin reden darf und dass sie, als sie einmal vom Besuch ihrer Mutter zu spät nach Hause kam, vom Mann nicht mehr in die Wohnung gelassen wurde und die Nacht im Keller des Wohnhauses verbrachte, um dann am nächsten Tag von ihrem Peiniger hören zu müssen, dass sie sich sicher mit anderen Männern herumgetrieben hätte. Das zeichnet ein völlig anderes Bild. Doch um dies zu erzählen, braucht die Frau zuerst ein subjektives Gefühl vor dem Peiniger sicher zu sein, und dann ein aufmerksames Gegenüber, dem sie vertrauen kann, das genau zuhört und auch nachfragt.

Auswege

Da ein System der Machterhaltung in Gewaltbeziehungen die gezielte Isolation des Opfers ist, sind diese Frauen oft auf sich selbst gestellt. Sie haben niemanden, dem sie sich anvertrauen können und wollen, da sie Angst vor den Folgen haben und sich auch schämen.

Hier ist es wichtig, vermehrt öffentlich über das Thema psychische Gewalt zu berichten und über Beratungseinrichtungen zu informieren. BeraterInnen müssten sich vermehrt mit dem Thema der psychischen Gewalt auseinandersetzen und Beratungssettings bieten, die Betroffenen Raum und Zeit geben, ihr Martyrium zu schildern, ja auch sich dessen überhaupt einmal bewusst zu werden und Worte dafür zu finden.

Der nächste Schritt aus dem "Spinnennetz" der psychischen Gewalt müsste bei Gericht erfolgen – in Strafverfahren, meist auch im Zuge einer Scheidung, bzw. eines Obsorgeverfahrens. Und hier ist die Justiz natürlich besonders gefordert. In Österreich existiert unserer Meinung nach kein ausreichender gesetzlicher Rahmen, um gegen psychische Gewalt vorzugehen. Abseits der Möglichkeit, ein so aggressives Verhalten gezielter zu sanktionieren, würde die Schaffung eines Straftatbestandes "psychische Gewalt" , wie es diesen zum Beispiel in Frankreich gibt, auch die Aufmerksamkeit der Gesellschaft mehr und mehr auch auf diese Form der Gewalt richten.

Um mit den Worten Hirigoyens zu sprechen: "Ein Mensch kann einen anderen tatsächlich durch fortgesetztes seelisches Quälen vernichten, was man mit Fug und Recht "psychischen Mord" nennen kann." (Hirigoyen 2002, S. 9).

Wir dürfen daher nicht länger so tun, als wäre psychische Gewalt ein Kavaliersdelikt oder ein Beiwerk anderer Gewaltformen. Vielmehr müssen wir Betroffene darauf aufmerksam machen, dass das was sie schildern, psychische Misshandlung ist und sie dabei unterstützen, dieser zerstörerischen Kraft zu entkommen.

Andrea Brem, Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser

  • [1] Brem A., Lechner I., Wimmer-Puchinger B.: Psychische Gewalt. Unveröffentlichte Studie, Wien 2014

  • [2] FRA- Agentur der Europäischen Union für Grundrechte: Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung; Ergebnisse auf einen Blick, Luxemburg 2014

  • [3] Hirigoyen M.: Die Masken der Niedertracht Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2002

  • [4] Hirigoyen M.: Von psychischer Unterdrückung zu erkennbarer Gewalt In: Verein Wiener Frauenhäuser, Tagungsbericht "Ohne mich bist du nichts", 2014

www.frauenhaeuser-wien.at
Website des Verein Wiener Frauenhäuser

Was ist seelische Grausamkeit in der Ehe?

Kennzeichnend ist, dass vor allem über Worte und Taten, nicht aber über körperliche Aktionen Partner eingeschüchtert und erniedrigt werden. Beispiele für psychische Gewalt sind etwa Beleidigungen und Demütigungen, Drohungen, Einschüchterungen, Lächerlich machen in der Öffentlichkeit u.v.m.

Was ist Psychoterror in der Ehe?

Psychoterror in der Partnerschaft Sehr häufig geht es um tiefliegende, ungelöste Konflikte. Etwas, das in der Vergangenheit vorgefallen war, wurde nicht verziehen oder aufgearbeitet. Dadurch ist der Respekt voreinander verloren gegangen und nun wird jede Möglichkeit genutzt, den Partner zu „bestrafen“.

Wann fängt psychische Gewalt an?

Häusliche Gewalt wird vor allem mit blauen Flecken und körperlicher Gewalt assoziiert. Im sozialen Nahraum beginnt die Gewalt jedoch selten mit physischen Übergriffen. Vor den ersten Schlägen sind die Betroffenen meist schon über Monate oder sogar Jahre hinweg psychischer Gewalt ausgesetzt.

Was zählt zu Psychische Gewalt?

Drohungen, Nötigungen und Angstmachen sind häufige Formen von psychischer Gewalt. Auch die Androhung, Dritte zu verletzen (Verwandte, Haustiere, ...) wird eingesetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen.