Jennifer connelly es war einmal in amerika

Sergio Leone ist wohl vornehmlich für seine Western bzw. Italo-Western oder auch Spaghetti-Western (wie sie abwertend bezeichnet werden) bekannt. Das ist nicht verwunderlich, besteht doch über die Hälfte seines wenn auch kleinen Oeuvres aus Filmen, die in diesem Genre beheimatet sind, darunter solch unbestrittene Klassiker ihrer Gattung wie "Für eine Hand voll Dollar", "The Good, the Bad and the Ugly" und natürlich auch "Spiel mir das Lied vom Tod".

Jennifer connelly es war einmal in amerika
Doch sein letzter Film "Es war einmal in Amerika" (1984), vollendet kurz bevor Leone wenige Zeit später an einer Herz-Attacke starb, war kein solcher Western, sondern ein Gangster-Film - ebenso seit den 1930er Jahren eines der uramerikanischsten Genres und quasi des Westerns kleiner Bruder. Vom (Anti-)Helden des Italo-Westerns zum Gangster ist es nur ein kleiner Schritt: Beide sind Außenseiter der Gesellschaft, die auch nicht vor Gewaltanwendung zurückschrecken, um ihre Ziele zu erreichen. Und so sagt schon der Grundtenor von "Once upon a time in America" (Originaltitel von "Spiel mir das Lied …": "Once upon a time in the West"), dass sich in Amerika zwischen dem Wilden Westen und der Prohibition gar nicht so viel getan hat.

Der Film ist eine Adaption, basierend auf dem Roman "The Hoods" von Harry Grey. Was diese Geschichte in Leones Augen so attraktiv für ihn machte, war die Art, wie ihre Szenen in so augenscheinlicher Weise von den frühen großen Gangster-Filmen inspiriert und gezeichnet waren. So braucht das fast vierstündige Gangster-Epos des italienischen Regisseurs den Vergleich mit anderen Größen seines Genrefachs wie zum Beispiel "Der Pate" oder "Goodfellas" nicht zu scheuen. Sein Status als Meisterwerk der Filmgeschichte musste er sich allerdings wesentlich härter erarbeiten, als diese beiden ähnlich herausragenden Gattungskollegen.
Da Film nie nur als reines Kunstwerk existiert, sondern auch und vor allem der wirtschaftliche Faktor einen erheblichen Anteil am Entstehen einer Film-Produktion hat, müssen sich Produzent und Regisseur stets einig über ihr gemeinsames Projekt sein. Dies war bei "Es war einmal..." bedauerlicherweise nicht der Fall. Die ursprünglich vom Regisseur vorgesehene Fassung des Films fand bei seiner Produktionsfirma keine Zustimmung. Mehre Gründe waren dafür ausschlaggebend: Zum einen, dass die Erzählung des Films auf verschiedenen Zeitebenen arbeitet, die im Film nicht chronologisch bzw. nicht linear abgehandelt werden. Zudem waren in den Jahren zuvor zwei für damalige Verhältnisse gigantische Projekte mit sogar noch längeren Spielzeiten an den Kassen gefloppt, Bertuluccis "1900" und Michael Ciminos "Heaven's Gate". Obendrein fand eine Sneak-Preview des Films in Boston keine gute Aufnahme beim Publikum. Und obwohl die vierstündige Fassung bei einer Vorführung in Cannes großes Lob erntete, entschied man sich letztlich dann doch dazu, den Film drastisch zu kürzen und ihn auf eine lineare Erzähl-Struktur von144 Minuten um zuschneiden, um ihn so massentauglicher zu machen und vor einer finanziellen Pleite zu bewahren.
Diese radikale Abänderung des Films kam praktisch einer Vergewaltigung der künstlerischen Intention seines Autors und Regisseurs gleich und entstellte den Film so sehr, dass er beim Publikum auch keine positive Resonanz fand (ein ähnliches, aber berühmteres Beispiel für solche Schnitt-Querelen ist der Film "Blade Runner", der ein gleichermaßen dramatisches Schicksal im Cutting-Room erfahren musste). Das Ende vom Lied: In den USA lief die gekürzte Version von "Es war einmal …" im Kino und der Film floppte. In Europa sah man die Langfassung, und feierte ihn als Meisterwerk (öffentlich-rechtliche Sender erblödeten sich allerdings dennoch, im deutschen Fernsehen die Kurzfassung zu zeigen). Schließlich jedoch wurde "Es war einmal..." im Jahr 2003 erfolgreich in den USA als "Director's Cut" wiederveröffentlicht, in voller Original-Länge von 229 Minuten. Seitdem hat man auch jenseits des Atlantiks die Größe dieses Werks verstanden.

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Der Film umspannt das Leben von fünf Freunden, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts in New York groß werden, und zeichnet sowohl ihren Aufstieg als auch Fall in der Welt des organisierten Verbrechens nach. Früh lernen Max, das Banden-Oberhaupt, Noodles, Dominic, Cockeye und Patsy, sich im jüdischen Ghetto der Lower East Side zurechtzufinden. Ihre Karriere als Kriminelle nimmt schon früh ihren Anfang. So scheuen sie sich nicht, einem Betrunkenen seine Uhr zu stehlen oder auch als Auftragsarbeit einen Zeitungsladen anzuzünden. Nachdem sie den für ihr Viertel verantwortlichen korrupten Polizisten beim Geschlechtsakt mit einer Prostituierten fotografieren, erpressen sie ihn, bei ihren zukünftigen illegalen Geschäften ein Auge zuzudrücken. Sie sind erfolgreich und verdienen viel Geld, dass sie in einem Koffer in einem Bahnhofs-Schließfach aufbewahren. Den Schlüssel dazu hinterlegen sie bei Fat Moe, einem Freund von ihnen, dessen Vater ein jüdisches Restaurant besitzt.
Eines Tages treffen sie dann unerwartet auf Bugsy, der in ihrem Viertel das eigentliche Sagen hat und es mit seiner Bande beherrscht. Konkurrenz - auch so junge - duldet er nicht. Die Jungen versuchen zu fliehen, doch Bugsy zieht seinen Revolver und schießt. Er trifft Dominic, den Jüngsten von ihnen, tödlich in den Rücken. Wutentbrannt und geschockt sticht Noodles Bugsy daraufhin nieder, bevor ihn die Polizei verhaftet.
Nach zehn Jahren Zuchthaus wird Noodles (erwachsen nun gespielt von Robert de Niro) am Tag seiner Freilassung von Max (James Woods) abgeholt, der seinen treuen Freund schnurstracks ins schöne Leben ihrer Verbrecherorganisation einführt - die Prohibition und damit auch die organisierte Kriminalität befinden sich auf ihrem Höhepunkt. Mit ebenso dreisten wie brutalen Coups macht sich die Gang einen Namen und häuft massig Reichtümer an. Selbst dem Polizeichef wischt man eins aus, indem die Babys in der Entbindungsstation, in der seine Frau gerade ein Kind geboren hat, allesamt vertauscht werden.
Doch die große Sause kann nicht ewig halten. Die Prohibition neigt sich ihrem Ende zu. Und Max plant einen letzten großen Coup, nämlich die Federal Reserve Bank auszurauben. Das Vorhaben grenzt an Größenwahnsinn und würde den Tod aller bedeuten. Das sieht auch Noodles....

Fernab jeglicher Erzähl-Konventionen besticht "Es war einmal..." durch seine verschachtelte Erzähltechnik, die zwischen den Zeitebenen von 1968 (als der gealterte Noodles an die Orte seines Gangsterlebens zurückkehrt), 1922 und 1932/33 hin und herwechselt. Dieser Umstand allein fordert ein mindestens zweimaliges Sehen des Films, um ihn in seiner ganzen Komplexität mehr als nur oberflächlich zu erfassen.
So ist zum Beispiel die grobe Inhaltsangabe hier chronologisch wiedergegeben, der Film hingegen beginnt mit einem erwachsenen Noodles, wie er von mehreren Gangstern gesucht und verfolgt wird. Seine Freundin Eve wurde bereits erschossen und sein alter Freund Fat Moe wird gefoltert, während er in einer chinesischen Opium-Haus liegt.
Der Anfang hat es schon in sich. Eve wird erst von zwei Gangstern brutal geschlagen und dann auf ihrem Bett erschossen. Die Gewalt wird hier in ihrem ganzen schonungslosen Ausmaß gezeigt. Und so hängt auch Moe mit blutüberströmtem Gesicht wie ein totes Stück Fleisch beim Metzger über dem Boden und wird gefoltert. Die explizite Gewaltdarstellung, die man schon aus Leones vorherigen Filmen kennt, zeigt in ehrlichen und zugleich drastischen Bildern, wie es in der Welt des Verbrechens tatsächlich zugeht.

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Dem Gangster haftet nichts Romantisches mehr an. Geprägt durch das soziale Milieu, in dem er aufgewachsen ist, wendet er das an, was er erfahren hat. So mögen auch Noodles und seine Freunde in ihrer Kindheit noch Sympathie erwecken und eine Identifikation herstellen, doch spätestens bei einer hässlichen Vergewaltigung, die den Zuschauer durch die kompromisslose Kamera in die unangenehme und hilflose Lage versetzt, das grässliche Schauspiel ertragen zu müssen, kommt die Ambivalenz des Hauptcharakters deutlich zum Vorschein, und das anfängliche Mitgefühl schwindet. Das Gewaltpotential, das die Gang bei der Erledigung ihrer Pläne kühl und berechnend entfaltet, zeigt ihre wahre Natur.

Der Film nimmt sich viel Zeit für seine Figuren. Vieles, was die Geschichte in ihrer Entwicklung nicht unbedingt weiterbringt, hätte sicherlich weg geschnitten werden und der Film damit kürzer ausfallen können. Doch es ist eben gerade diese Charaktertiefe, diese Komplexität und diese Erzählweise, die den Film und überhaupt Sergio Leones Gesamtwerk besonders machen. Leone hatte insgesamt gedrehtes Material für 10 Stunden, sein erster Rohschnitt war ganze 5 Stunden lang.

Wie man es von Leone kennt, wird die Erzählung phasenweise immer wieder durch lange, sehr stille Szenen unterbrochen. Insgesamt sind die Dialoge so karg, dass in 229 Minuten scheinbar weniger gesprochen wird als in einem gängigen 100-Minüter. Wieder einmal zeigt sich hier Leones große Filmkunst, denn er versteht das visuelle Medium in seiner eigentlichen Tradition als eine Erzählform in Bildern, nicht in Wörtern. Das siebenköpfige Autorenteam, das Leone für dieses Drehbuch um sich scharrte, vollbrachte mit "Es war einmal in Amerika" einer der vielleicht größten erzählerischen Leistungen der Kinogeschichte - gerade dadurch, dass sie auf unadäquate Dialoge verzichteten und lieber kongeniale Szenen erdachten, die mehr aussprechen, als Worte jemals sagen könnten.
Ennio Morricones zauberhafte Musik, die den Szenen ihre unglaublich dichte Atmosphäre verleiht, versteht es mit nur wenigen Themen auszukommen und sie je nach Situation an die vorherrschende Stimmung anzupassen. So wird die Musik wie eigentlich in jedem Film von Leone zu einer weiteren Person im Film, die durch ihre Ausdrucksstärke und Prägnanz das Geschehen kommentiert und unterstützt. Die Bilder gehen mit der Musik in ein symbiotisches Zusammenspiel über, in dem das eine ohne das andere um seine ganze Wirkung beraubt werden würde. Durch den für Morricone typischen, durchgängig wiederholenden Einsatz eines oder mehrerer musikalischer Hauptthemen wird der Film über weite Strecken zusammengehalten, was bei der enormen Länge auch nötig ist. Bemerkenswert ist hierbei das Yesterday-Thema von den Beatles, in dem lediglich die Wörter "yesterday" und "suddenly" vorkommen und der Rest des Liedes instrumental vertont wurde. Der Musik haftet generell in ihrem Grundton der Hauch der Vergänglichkeit, Trauer und Sentimentalität an, was auch verständlich ist, da die Freundschaft aller durch einen schweren Schicksalsschlag am Ende zerbricht.

Tragisch ist vor allem die Beziehung von Noodles zu seiner Jugendfreundin Deborah, die später zu einem gefeierten Hollywood-Star aufsteigt. Beide lieben sich eigentlich, doch Deborah bleibt distanziert: Sie weiß, dass sie mit dem Gangster Noodles keine Zukunft haben kann. Unglaublich rührend und schön anzusehen sind bereits die gemeinsamen Szenen des jungen Noodles und der jungen Deborah (letztere übrigens grandios gespielt von einer noch jungen Jennifer Connelly). Überhaupt ist die ganze Besetzung überzeugend in ihrem Spiel. Und besonders die jungen Pendants von Max, Noodles und Deborah sind ihren erwachsenen verblüffend ähnlich, wodurch der Film beträchtlich an Authentizität gewinnt.

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Einen beachtlichen Teil seiner Faszination bezieht "Es war einmal in Amerika" auch aus seiner offenen Interpretierbarkeit, denn ob man es hier nun mit Realität oder Illusion zu tun hat, bleibt offen. Für viele stellt zumindest der chronologisch letzte Teil des Films Noodles' Drogen-geschwängerten Traum dar, der mit dem regelrecht zur Qual werdenden, permanenten Klingeln eines Telefons in der Opium-Höhle einsetzt; andere sehen den gesamten Film als Märchen, wie der Titel schon suggeriert - denn einige Wendungen im Film sind einfach zu unwahrscheinlich bzw. unrealistisch, als das sie so geschehen sein könnten. Diskussionswürdig ist im besonderen Maße eine der letzten Szenen am Ende des Films, mit Max und einem vorbeifahrenden Müllwagen - mehr wird an dieser Stelle dazu nicht verraten.
Auf jeden Fall erinnerungswürdig ist die Schlussszene, in der Noodles sich wieder im chinesischen Opium-Haus befindet und einen Zug von der Pfeife nimmt, sich dann zurücklehnt und die Kamera hoch über ihn fährt, während sein Gesichtsausdruck schließlich ein breites, kindliches Lächeln annimmt. Ein Lächeln, dass man wiederum auf verschiedene Arten interpretieren kann.

Eine besondere filmhistorische Anekdote: Ein paar Jahre zuvor war Sergio Leone von den Paramount-Studios angeboten worden, die Regie von "Der Pate" zu übernehmen. Der Italiener lehnte jedoch ab, da er nicht mit seiner eigenen nativen Mythologie konfrontiert werden wollte, nämlich die der sizilianischen Mafia. So ist es bezeichnend, dass die Gangster in "Es war einmal..." spezifisch jüdischer Konfession sind.

Das untrügliche Gefühl, gerade einen Sergio-Leone-Film gesehen zu haben, wird einem auch hier widerfahren, sind es doch seine stilistischen Kunstgriffe und die höchst eigenwillige Bildsprache und Erzählweise, die ihn in besonderer Weise von den anderen Großmeistern seines Faches abheben. Seine schon oben beschriebene Montage, die unverwechselbare Musik Morricones, das Sound-Design (voll von Geräuschen, denen aufgrund ihrer Lautstärke eine hohe Relevanz in der Handlung zukommt, indem sie zur Spannungssteigerung eingesetzt werden), die Signifikanz einzelner Gegenstände für die Erzählung (hier: der Schließfach-Schlüssel oder auch Patsys Panflöte) und die Simplizität, in der die Gewalt gezeigt wird, wie sie ist, hässlich und schmerzhaft - mit diesen bewährten Mitteln lieferte der Begründer des Italo-Westerns mit seinen zum Markenzeichen avancierten, extremen Nahaufnahmen auch mit seinem letzten Film ein opulentes Meisterwerk ab.
"Es war einmal in Amerika" ist nicht nur einer der größten Gangsterfilme aller Zeiten, sondern auch eines der bedeutendsten Film-Epen über die Identität Amerikas - tief in seinem Herzen aber dennoch eine Geschichte über die universellen Themen Freundschaft und Liebe, und wie sie von Geld- und Machtgier korrumpiert werden.