Wer wenn nicht ich buch

In November 2019 erschien das neueste Werk von Henryk M. Broder: Wer, wenn nicht ich ist der, wenn man die Ironie übergeht, etwas größenwahnsinnige Titel von diesem Buch, das zum Nachdenken anregen soll.

Wer wenn nicht ich buch
Henryk M. Broder ist, eventuell, bei der nächsten Bundestagswahl mit einer eigenen Liste dabei: „Alte weiße Männer, SUV-Fahrer und Vielflieger“ (Klappentext „Wer, wenn nicht ich“); Foto: Peter Ansmann

Aus „Anstelle eines Vorworts“:

Dieses Buch ist kein Blick hinter die Kulissen einer Verschwörung, es ist die Zwischenbilanz einer Einwicklung, die vor ziemlich genau vier Jahren mit der programmatischen Vorhersage einer SPD-Politikerin ihren Anfang nahm: „Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel. Unsere Gesellschaft wird weiter vielfältiger werden, das wird auch anstrengend, mitunter schmerzhaft sein. Wir werden das Zusammenleben täglich neu aushandeln müssen.“ – Das ist inzwischen der Fall. Das Zusammenleben wird täglich neu ausgehandelt. Zwischen den Anwohnern rund um den Görlitzer Park und den Dealern im Görlitzer Park. Zwischen den Rettungsdiensten der Feuerwehr und des Roten Kreuzes und denjenigen, die sich ihnen in den Weg stellen. Zwischen jenen, die schon länger hier leben, und jenen, die neu dazugekommen sind. Zwischen denjenigen, die vor einem Ende der Welt Angst und denjenigen, die am Ende des Monats kein Geld mehr haben. Dieses Buch ist keine Anleitung zum Handeln, wie sie derzeit von Kreti und Pleti en masse geschrieben werden. Es ist eine Einladung zum Selberdenken, zum Misstrauen gegenüber allen Wegweisern, die sich selber nicht von der Stelle bewegen, und allen Ablasshändlern, die davon leben, dass sie Ängste schüren.

Henryk M. Broder hat sich, zwischen dem 26. Juni und dem 26. September 2019, so seine Gedanken gemacht und ein Buch geschrieben.

200 Seiten, große Schrift.

24 Euro.

Ein stolzer Preis.

Aber, was für Broder gilt: Kunst hat ihren Preis.

Und dieses Werk ist ein „echter Broder“.

Wer seine Texte und seine Performance (Deutschland-Safari z.B.) sowieso mag: Dem sei das Buch ans Herz gelegt. Wer sich über bestimmte Themen dieser Zeit aufregt und sich so seine Gedanken macht: Auch dem sei Wer, wenn nicht ich ans Herz gelegt. Außer er ist stolzer Sozialdemokrat oder Fan von Anton Hofreiter. Seltene Spezies.

Die Verbotsliebe von den Grünen Khmern. Appeasement gegenüber islamischen Extremisten. Trauerfall SPD. Fehlende Verhältnismäßigkeit („Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum die Bundesrepublik die VR China mit 630 Millionen Euro Entwicklungshilfe jährlich unterstützt, wo es doch eigentlich andersrum sein müsste, wenn man die Bundesrepublik technologisch auf den Stand von China bringen möchte.“). Moralisches Übermenschentum.

Broder holt zum literarischen Rundumschlag aus. Pointiert. Intelligent. Witzig geschrieben.

Wer wenn nicht ich buch
„Wer, wenn nicht ich“; Foto: Peter Ansmann

Zugegeben: Broder hatte bei mir ein leichtes Spiel bei mir. Ich kann Broder bereits für den folgenden Satz (Seite 19, Flugschämt euch!) umarmen:

…ich freue mich, dass ich nicht tagelang oder wochenlang über Land reisen muss, sondern nur dreieinhalb Stunden in der Luft schwebe, wenn ich von Berlin nach Reykjavik oder Tel Aviv will. Das Einzige, das mir Unbehagen bereitet, ist die Vorstellung, einen Platz neben Anton Hofreiter oder Luisa Neubauer zu erwischen, aber das Risiko ist überschaubar.

Meine volle Aufmerksamkeit, ich habe kurze Zeit im idyllischen Friedrichshafen gewohnt, hatte Broder dann spätestens mit der folgenden Beschreibung eines Berichts über „Schein und Sein beim klimagerechten Reisen“:

Nach dieser Intro ahne ich, was mich erwartet. Eine Reportage von den Seychellen oder den Lofoten, aber nein, es geht um „Ferien in Deutschland“, genauer: in Friedrichshafen am Bodensee, wo derzeit 30 Grad Celsius ein Wetter wie auf Mallorca vortäuschen.

In (Ich möchte es nicht bösartige Art nennen. Sondern eher „liebevoll bösehrliche Art“.) bösehrlicher Diktion nimmt sich Broder Personen und Themen unserer Zeit vor.

Broder schreibt routiniert cool und „erfrischend“. Wie ein leckerer Bushmills oder eine Zigarette: Man kommt in wenigen Zügen durch dieses Werk.

Heiko Maas (SPD) und Luise Neubauer (Friday for Future) liegen dem Autoren dabei besonders am Herzen: Über Heiko Maas zu schreiben, ist etwa so erfreulich, wie an einem Autounfall vorbeizufahren; Während Martin Schulz seine Zukunft bereits hinter sich hat, hat Luise Neubauer ihre Vergangenheit noch vor sich… ….sie ist, wie viele ihrer Alterskohorte, ein Produkt der deutschen Bildungskatastrophe; Nebenwirkungen beim öffentlichen Kippatragen.

Vorausahnend aktuell (Auch wenn ich Höcke ausdrücklich in der Auflistung rauslassen würde!) ist, nach einer a) vergurkten Wahl in Thüringen und b) Gewaltandrohungen, die absolut inakzeptabel sind, gegen Politiker der FDP in Thüringen, eines der letzten Statements in Wer, wenn nicht ich.

Wenn Leute wie Sarrazin und Lucke, Mendig und de Maizière, ja: auch Meuthen und Höcke, wenn die alle Nazis und Faschisten sind, was waren dann die Nazis die von 1933 bis 1945 Deutschland regiert und halb Europa verwüstet haben? Das ist die Frage der Fragen, die im Hintergrund wabert. Und die Antwort lautet: „Eine ziemlich harmlose Truppe.“ so wird das Dritte Reich bagatellisiert, tatsächlich zu einem „Vogelschiss“ runtergestuft. Oma und Opa werden rehabilitiert, der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt.

Und so vollendet ausgerechnet die Antifaschistische die Entnazifizierung.

Fazit: Die Gedanken und Worte von Henryk M. Broder sind schonungslos und bleiben hängen.

So einschneidend, wie ein Merkava 4 sich seinen Weg durch feindlich beherrschte, unwirtliche, Gebiete bahnt, so – gewohnt –  treffend sind die Kommentare von Henryk M. Broder zum aktuellen Zeitgeschehen.

Man muss nicht jede Position teilen. Klar: Henryk M. Broder ist umstritten. Nicht grundlos. Lesenswert sind seine Gedanken allemal.

24 Euro – viel Geld für 200 Seiten kluger Worte.

Aber, wie bereits geschrieben: Kunst hat ihren Preis. Und Henryk M. Broder ist und bleibt der Michelangelo des Textes. Ich habe dieses (kurze) Leseerlebnis genossen.

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