Wer hat den Song Roller geschrieben?

Ein Schweizer singt herrlich unpeinlich auf Schwyzerdütsch, einem neuseeländischen Comedian gelingen Songs ganz ohne Witze und das aktuelle Regina Spektor-Album enthält die Essenz des Lebens. Fünf Album-Tipps für die Weihnachtszeit.

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Wer hat den Song Roller geschrieben?
Tobias Ruhland

1. Fai Baba: "Veränderet"

Selbst das Zigarettli in seinem Bettli klingt herrlich unpeinlich bei Fabian Sigmund alias Fai Baba, dessen Songs auf dem Mundart-Debüt "Veränderet" durchgehend eines tun: Sie berühren – auch wenn man nicht jedes Wort versteht. Zehn Jahre lang lebte Sigmund ein Leben als Rock 'n' Roller mit Tourneen quer durch Europa. Songs in englischer Sprache – das hat der gebürtige Schweizer nie in Frage gestellt. Bis sein Yogalehrer mit einem Wunsch ums Eck kam: "Vor drei Jahren hat er mich gefragt, ob ich ihm ein neues Lied vorsingen könnte. Das war ein englisches Lied. Dann hab ich das gemacht und dann hat er mich gefragt, ob ich das gleiche Lied jetzt auch auf Schwyzerdütsch singen könnte. Hab ich versucht und er meinte, das gefiele ihm viel besser, sei viel direkter, da kommt viel mehr von mir. Da spürt er mehr von mir. Dann bin ich nach Hause gegangen und habe den ersten Song geschrieben."

Fai Baba wurde zum Forscher, wollte herausfinden, wie diese harte Sprache auch weich klingen kann, ohne für nicht-schweizer Ohren reflexhaft gleich als niedlich und putzig belächelt zu werden. Auf dem Albumcover, einem Wimmelbild des Schweizer Illustrators Josef Graf, entdecken wir zwischen Bienen mit psychedelischen Augen, Eulenmenschen und bizarre Salatköpfen auch Fai Baba mit crazy Brille und Indianer-Federn im Haar.

Der Erleuchtung ganz nah? Nicht ganz. Er war zwar in der Tat in den vergangenen Jahren auf Sinnsuche, nahm sich längere Auszeiten, verbrachte Zeit in Ashrams in Indien oder auf Hirschfarmen im Jura. Er singt vom Sich-Auseinanderleben, von Fotografen, die gern Kioskverkäufer wären und vom perfekten Leben, das genauso eine optische Täuschung ist wie ein "Rägeboge", wie ein Regenbogen: "Es könnte immer noch perfekter sein, wärmer, kälter, kleiner, größer, aber es kommt immer diese Tendenz – und das haben wir alle – dass da immer noch was sein könnte, das schöner und besser ist."

Und so reitet Fai Baba zu Westernmelodien eben nicht dem Sonnenuntergang, sondern dem nächsten Regenbogen entgegen. Der Lucky Luke der Schweizer Mundart, der Falsett-Folkie, der sich und seinen Songs Zeit lässt – und es zulässt, sich ungefiltert und direkt zu präsentieren, so zu sein wie im Titel vom letzten Stück: Füttliblutt ("splitterfasernackt").

2. Bonny Light Horseman: "Rolling Golden Holy"

Klassischer Fall von Supergroup, diese Bonny Light Horseman-Truppe, die für ihr Debüt von 2020 bereits für einen Grammy nominiert war. Dabei ist die Band ein reines Zufallsprodukt: Die drei Mitglieder taten sich auf einem Folk-Festival von Justin Vernon, dem Chef von den Indierock-Giganten The National, spontan zu einem Konzert zusammen – und machten dann als Band weiter.

Bonny Light Horseman sind ein Trio: der Songwriter Eric Donald Johnson, bekannt durch die Indiebands Fruit Bats und The Shins; der Multi-Instrumentalist Josh Kaufmann, einer der wichtigsten US-Produzenten derzeit (Taylor Swift, War on Drugs, The National); und schließlich die großartige Folk-Sängerin Anais Mitchell aus Vermont. Den Song "California" hat sie – Achtung, Klischee! – alleine und mitten im Wald geschrieben. Sie finde es unglaublich bereichernd und inspirierend, wenn man alles andere um sich herum ausknipst und ausblendet, um sich dann voll fokussiert aufs Songschreiben konzentrieren zu können.

Überhaupt läuft es eh richtig gut in letzter Zeit für Mitchell: Aus ihrem Album "Hadestown" wurde ein Broadway Musical und in der Folge wurde sie vom Time Magazine 2020 unter die 100 einflussreichsten KünstlerInnen gewählt. Fürs zweite Album hat die Band jetzt aber auf Eigenkompositionen gesetzt und auf das Prinzip: Weniger ist mehr. Weniger Gastmusiker, weniger Gesang. Aber immer noch so viel Harmonie und Wohlklang. Unterschiede sieht Anais Mitchell auch im Vergleich zu ihren Solo-Liedern, die sie als eine crazy combo of praying and therapy bezeichnet, also als eine verrückte Mischung aus Gebeten, Bitten und Therapie.

Im Gegensatz dazu spricht sie bei den Bonny Light Horseman Songs als gemeinsame, kollektive Erforschung und Erkundung, teils archäologisch, teils psychedelisch. Der Fokus liege auf der Musik bzw. es bleibt viel Platz für Musik, fürs Atmen, fürs Improvisieren – und es geht eben nicht darum, einen Song mit 22 Strophen zu erschaffen und jeden Takt mit Text zu füllen. Die Musik atmen lassen und um die Worte herum sprechen zu lassen. Das sei magisch, mystisch. Und eben auch das Geheimnis, genauer: das Erfolgsgeheimnis von Bonny Light Horseman.

3. Regina Spektor: "Home, before and after"

Der Song "What might‘ve been" auf dem neuen Regina Spektor-Album enthält die Essenz des Lebens im Allgemeinen und die Essenz von Regina Spektor im Speziellen. Es hat immer so was latent Zirkusrevuehaftes, wenn die Spektor singt. Und die Texte sind gleichermaßen clever, einfach, schlau und voller guter Reime und Gedanken. In diesem Fall über die Widersprüchlichkeit des Lebens: Krankheit und Blumen passen zusammen. Lügen und Glauben passen zusammen. Business und Weinen passen zusammen. Und dann im Refrain: Kanariengelb, Senfgelb. Eine gelbe Träne färbt ab auf alte Kissen. Da wird’s dann sehr assoziativ, lyrisch, kanariengelb und schillernd – passend zum bisherigen Lebenslauf der Spektor.

1980 geboren in Moskau als Regina Iljinitschna Spektor. Die Mutter Musiklehrerin, der Vater Fotograf. Als Regina neun Jahre alt ist, wandert ihre jüdische Familie wegen Antisemitismus in der damaligen Sowjetunion aus und landet über Österreich und Italien schließlich in den USA. Genauer in der Bronx von New York. Später studiert die junge Spektor klassische Musik, wird eine Virtuosin am Klavier – gleichzeitig wächst sie auch rein in die Underground- und Pop-Kultur von New York. Ein erster kleiner Hype entsteht Anfang der Nullerjahre durch die Zusammenarbeit mit den damaligen Rock'n'Roll-Propheten von The Strokes.

Ihr "You’ve got time" wird 2013 Titelsong der erfolgreichen Netflix-Frauenknast-Serie "Orange is the new black" und dann auch gleich noch für einen Grammy nominiert. Doch Trophäen sind der Spektor ziemlich egal: "Ich treffe manche Entscheidungen bewusst, weil ich kein Pop-Star sein will, sondern mich als arbeitende Singer-Songwriterin sehe, die ihre Möglichkeiten ausloten und musikalisch wachsen will."

Und dieses Versprechen löst Regina Spektor auf ihrem achten Studioalbum ein, unternimmt permanent Sabotage-Akte, um das klassische Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Schema zu sprengen. Gesang und Klavier wurden übrigens in einer Kirche in Upstate New York aufgenommen, das Orchester in Mazedonien (!). Ein Höhepunkt des Albums ist die Nummer "Up The Mountain". Der ganze Song hat was Beschwörendes, Zauberhaftes, und die Spektor tanzt wie eine Hexe, eine von den guten und schlauen Hexen freilich, um das Orchester und entwickelt da ihre Gedanken und Zaubersprüche: Aus dem Ozean ragt ein Berg heraus. Auf dem Berg ist ein Wald. In dem Wald ist ein Garten, in dem Garten steht eine Blume. In der Blume findest Du Nektar. Probier den Nektar. Beeil Dich. In dem Nektar liegt die Antwort. In der Antwort findest Du die nächste Antwort und so weiter und so Spektor…

4. Kutiman: "Open"

Mit siebzehn Jahren zog Ophir Kutiel aus der israelischen Provinz nach Tel Aviv, um an der renommierten Rimon-Musikhochschule Jazz zu studieren. Die wichtigsten musikalischen Lektionen aber hat er in seinem Nebenjob als Verkäufer in einem Supermarkt gelernt. Da lief permanent ein Uni-Radio-Sender mit viel Underground-Sound, der Kutiel inspirierte, eigene Platten zu machen als Kutiman.

Sein Internetprojekt "Thru You" von vor zehn Jahren machte den Multiinstrumentalisten, Filmemacher und Komponisten sehr früh sehr populär – und veranlasste ihn zu einer sehr langen Abwesenheit von der Öffentlichkeit. Das 2022er-Album "Open" erzählt uns die Geschichte über diese Lücke im Lebenslauf des Kutiman. Neun Jahre lebte er in einem Kibbuz in der Negev-Wüste. Eine lange Zeit und viel kreativer Freiraum, um Dinge auszuprobieren. Bis heute empfindet er es als Privileg, diese Zeit gehabt zu haben für seine Experimente mit Ambient Sounds, Avantgarde und Freejazz.

Die Hälfte der neuen Songs sind Instrumentalstücke, der Rest sind Duette mit seinem guten Freund, dem Bariton-Sänger Elran Dekel. Den Hit der Platte, das soulig glänzende "My Everything", und einige andere Songs hatten Kutiman und Dekel ursprünglich für ein Kunstprojekt einer Bibliothek komponiert, um dann aber festzustellen, dass einige der Songs einfach viel zu gut waren, um sie zu für das Büchereiprojekt zu verwenden, und sie daher lieber für das neue Album verfeinert. Gut so. Denn dadurch bleibt die Platte abwechslungsreich.

Verglichen mit den Alben, die Kutiman ausschließlich im Kibbuz aufgenommen hat, ist das Album "Open" deutlich grooviger. Bass und Drums treiben die Songs mit ihrer Mischung aus Soul und nahöstliche Psychedelia-Sounds immer wieder an. "Open" steht dann auch für Kutimans Übergang, für die Rückkehr aus der kontemplativen, einsamen Kibbuz-Zeit in das quirlige "normale" Großstadtleben. Mit der Erfahrung von 2,5 Jahren Corona können wir den Kutiman nur allzu gut verstehen, nach dem Motto: Rückzug und Kontemplation, zu der diverse Lockdowns ja auch Gelegenheit boten, können kurzfristig guttun, angenehm sein. Aber die Sehnsucht nach Kommunikation, das Erfahren von Gemeinschaft ist dann doch ein menschliches Grundprogramm, für das der Kutiman eine wunderbare musikalische Übersetzung gefunden hat.

5. Bret McKenzie: "Songs without Jokes"

Mit dem Musik-Comedy-Duo "Flight of the Conchords" wurde er in den Nullerjahren bekannt und später gewann er außerdem für "Man or Muppet" einen Oscar in der Kategorie "Bester Filmsong" ("Mupets"). Bret McKenzie heißt das musikalische Multi-Talent, das ab sofort nicht mehr lustig sein will. Jedenfalls ist da dieser plakative Titel seines Solo-Debüt-Albums: "Songs without jokes". Garantiert unlustig und spaßfrei?

Als Kiwi Comedian wird Bret McKenzie in seiner Heimat Neuseeland verehrt und gefeiert. Und weil sein Solo-Album dann auch gleich im Song "This World" mit so einem Hereinspaziert-Vorhang-Auf-Tusch beginnt, rechnet man unweigerlich mit textlicher Lustigkeit. Ungefähr so wie wenn im Zirkus ein Äffchen auf einem Einrad in die Manege geradelt kommt. Weil: McKenzie kann doch nur lustig, oder?

Musikalisch ist es eine Nummernrevue, textlich aber ein Abgesang auf die Welt. Plastikverschmutzte Meere, kollabiertes Klima – und wir verhalten uns so, als ob der Mars kurzfristig eine Alternative wäre, mahnt uns Bret McKenzie. Er ist freilich ein freundlicher Mahner. Nach dem Motto: Wir sitzen alle in einem Leck geschlagenen Boot. Aber immerhin, wir sitzen zusammen.

Tatsächlich meint er es wirklich ernst mit dem Albumtitel: "Songs without Jokes". Genau das Gegenteil hat er ja über viele Jahre als eine Hälfte des Comedy Duos Flight of the Conchords gemacht. Liedgewordener Spaß. Neuseelands viertbekannteste Gitarren-Digi-Bongo-A-Capella-Rap-Funk-Comedy-Folk-Duo haben sie sich selber genannt – haben eine Art Comedy-Musical-Serie gemacht, die von zwei neuseeländischen Musikern erzählt, die in New York ihren Durchbruch schaffen wollen und dabei ständig in musikalischen Tagträumen landen mit so schönen Nonsens-Pseudo-französischen Liedern wie "Fou du Fafa".

Mit seinem Solo-Album will McKenzie jetzt die Schublade wechseln, und ihm gelingt ein ähnlicher Spagat wie einst Muppet-Erfinder Jim Henson: das Alberne mit dem Ernsten vermischen, das Verspielte mit dem Tiefgründigen. Schön und schrecklich zugleich – so singt Bret McKenzie zum Beispiel in "America Goodbye" über eine verflossene oder zumindest krisenbehaftete Liebe, gemeint ist seine Beziehung zu den USA, wo McKenzie immer auch phasenweise lebt. Textlich und auch musikalisch tänzelt Bret McKenzie hier in den Fußstapfen seiner Vorbilder Harry Nilsson und Randy Newman herum, die großen Experten für ironisch-literarisches Songwriting mit Ohrwurmcharakter.

Unterm Strich löst Bret McKenzie sein Versprechen auf seinem stimmungsvoll abwechslungsreichen Solo-Debütalbum ein. Tatsächlich sind es allesamt Songs ohne offensichtliche Jokes. Aber dafür steckt umso mehr Joy zwischen den Zeilen. Freude. Die pure Spiel- und Vorfreude, das alles live mit Musikern in einem Raum aufführen zu können, so erzählt es McKenzie im Interview, und "bombs of joy", Freudenbombe über dem Publikum abzuwerfen.

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Volkan Yaman

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25 Jahre (23. Oktober 1997)Apache 207 / Alternull