Wer hat das gesagt Wer zum Teufel war das

I. Rum­pel­stilz­chen

Man mag sich die Ver­zweif­lung der Mül­lers­toch­ter vor­stel­len: Da ist sie von ih­rem geld­gei­len Va­ter zwecks Ver­hei­ra­tung zum Kö­nig ge­schickt wor­den. Sie kön­ne, so der Va­ter, Stroh zu Gold spin­nen – ei­ne Ei­gen­schaft, die über even­tu­el­le op­ti­sche und/oder cha­rak­ter­li­che De­fi­zi­te da­mals wie heu­te groß­zü­gig hin­weg­se­hen lässt. So nimmt denn der Kö­nig die Aus­sa­ge für ba­re Mün­ze, sperrt die Mül­lers­toch­ter über Nacht in ein Zim­mer und ver­gat­tert sie, das Ver­spre­chen ein­zu­hal­ten. An­dern­falls dro­he ihr der Tod.

In ih­rer Ver­zweif­lung zeigt sich ein klei­nes Männ­chen, wel­ches Ret­tung ver­spricht und am näch­sten Mor­gen ist das Stroh zu Gold ge­spon­nen. Noch zwei­mal wie­der­holt sich dies – der Kö­nig woll­te si­cher­heits­hal­ber ein One-Hit-Won­der ver­mei­den. Wa­ren die Be­loh­nun­gen, die das Männ­lein be­kam, an­fangs in An­be­tracht des zu Gold ge­spon­ne­nen Stroh selt­sam be­schei­de­ne Ga­ben (ein Hals­band und ein Ring), so for­der­te das Männ­chen in der drit­ten und ent­schei­den­den Nacht das er­ste Kind, wel­ches nach der Hoch­zeit zwi­schen ihr und Kö­nig ge­bo­ren wird. In ih­rer Not wil­ligt sie ein. Es kommt zur Hoch­zeit und zum Kind. Ein Jahr da­nach er­hält die Frau Be­such von dem Männ­chen, der sei­nen Lohn ein­for­dert. Sie ver­sucht, ihn mit al­len mög­li­chen Reich­tü­mern ab­zu­fin­den. Aber dies reizt ihn nicht – schließ­lich ver­fügt er ja über Fä­hig­kei­ten, mit de­nen er sich sel­ber die­se Reich­tü­mer schaf­fen könn­te. Er be­harrt auf sei­ner For­de­rung, gibt ihr je­doch ei­ne ver­meint­li­che Chan­ce: Wenn sie bin­nen drei Ta­ge sei­nen Na­men er­ra­te, ver­zich­tet er auf sei­ne For­de­rung.

Das Er­geb­nis ist be­kannt: Durch ei­ne Mit­tei­lung ei­nes Bo­ten er­fährt sie den Na­men. Die­ser hat­te ein tan­zen­des Männ­lein, das sich Rum­pel­stilz­chen nann­te, im Wald be­merkt. Das Idyll am Hof – auf­ge­baut auf Be­trug – bleibt er­hal­ten, der Gnom tö­tet sich aus Zorn selbst. »Das hat dir der Teu­fel ge­sagt« sind sei­ne letz­ten Wor­te. Rum­pel­stilz­chen bleibt im Volks­mund bis heu­te dis­kre­di­tiert – ob­wohl er ei­gent­lich nur auf Be­stä­ti­gung der Ab­ma­chung poch­te. Über den Ver­bleib der Gold­re­ser­ven wird nicht be­rich­tet.

II. Die Meu­te will ihr Rum­pel­stilz­chen

Na­men sind nicht im­mer nur »Schall und Rauch«. Häu­fig sind sie wie Zau­ber­for­meln, die das Bö­se ban­nen. Man kann so­gar mit sei­nem Na­men zah­len, wie ei­ne Kreditkarten­werbung sug­ge­rier­te. Wer den Na­men kennt, be­sitzt ei­nen Teil der Per­son – das war im Mär­chen nicht an­ders als in Zei­ten der so­zia­len Netz­wer­ke, die Per­sön­lich­keits­pro­fi­le zu Wer­be­zwecken er­stel­len.

Die »Mül­lers­töch­ter« von heu­te, die aus Stroh Gold spin­nen woll­ten, sind Leu­te wie Karl Theo­dor zu Gut­ten­berg, Sil­va­na Koch-Mehrin, Jor­go Chatz­ima­ka­kis oder Ve­ro­ni­ka Saß. Aber die Rum­pel­stilz­chen von heu­te sind kei­ne ver­bit­ter­ten, klei­nen Zwer­ge mehr, son­dern knall­har­te Text-Ana­ly­ti­ker.

Es ist ein ab­ge­kar­te­tes Spiel, wenn gro­ße Tei­le des Jour­na­lis­mus und jetzt auch der Bun­des­in­nen­mi­ni­ster Klar­na­menzwang im Netz for­dern. Da ist viel vom »of­fe­nen Vi­sier« die Re­de. Man kön­ne und sich in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft stel­len; für An­ony­mi­tät ge­be es al­len­falls Recht­fer­ti­gungs­grün­de in Dik­ta­tu­ren. Der Streit ist schon ei­ne Wei­le am Kö­cheln. Die An­schlä­ge von Os­lo und die Selbst-Ent­tar­nung ei­nes »VroniPlag«-Benutzers ha­ben aus un­ter­schied­li­chen Mo­tiv­la­gen her­aus der Dis­kus­si­on neue Nah­rung ge­ge­ben.

Im Nu for­mie­ren sich die Hee­re im Netz. Je­mand wie Mi­cha­el Spreng, der prak­tisch sein gan­zes Le­ben mit ei­ner gut si­tu­ier­ten Rechts­ab­tei­lung im Hin­ter­grund Jour­na­lis­mus be­trei­ben konn­te, plä­diert na­tür­lich nach­hal­tig für den Klar­na­menzwang. Er scheut sich nicht, von »Miß­brauch« zu spre­chen, was nicht nur ei­ne ge­hö­ri­ge Por­ti­on Ah­nungs­lo­sig­keit der (so­ge­nann­ten) Netz­kul­tur ge­gen­über of­fen­bart, son­dern auch aus per­sön­li­cher Mo­ti­va­ti­on her­aus ge­schieht. Hat­te sich doch »Vro­ni­Plag« zu­nächst die Dok­tor­ar­beit der Stoi­ber-Toch­ter Ve­ro­ni­ca Saß vor­ge­nom­men (Spreng war Wahl­kampf­lei­ter Ed­mund Stoi­bers 2002). Spreng ar­gu­men­tiert nun da­hin­ge­hend, dass Saß kei­ne Per­son öf­fent­li­ches In­ter­es­ses ge­we­sen sei – in­so­fern sei in die­sem Fall mit ihr an­ders zu ver­fah­ren, als mit ei­nem Po­li­ti­ker, für den, so Spreng auch bei »An­ne Will«, stren­ge­re Maß­stä­be zu gel­ten ha­ben.

Die­se Sicht­wei­se ver­stößt nicht nur auf per­fi­de Wei­se das Gleich­heits­ge­bot. Es ist auch rein sach­lich falsch, denn Dok­tor­ar­bei­ten sind öf­fent­li­che Tex­te, die je­der­zeit und von je­dem ana­ly­siert, be­wer­tet und kri­ti­siert wer­den dür­fen. Nur weil ei­ne Dok­to­ran­din ei­ne »Pri­vat­per­son« ist, ste­hen ihr nicht au­to­ma­tisch mehr Schutz­rech­te zu. Oder, um­ge­kehrt: Nur weil es sich um ei­nen Po­li­ti­ker han­delt, darf man hier schär­fe­re Kri­te­ri­en an­le­gen.

Der zwei­te vor­ge­brach­te Vor­wurf ist der der Ein­sei­tig­keit. Als sich vor ei­ni­gen Ta­gen mit Mar­tin Hei­dings­fel­der ein Grün­der von »Vro­ni­Plag« äu­ßer­te, war die Auf­re­gung ent­spre­chend. Hei­dings­fel­der hat ein SPD-Par­tei­buch und sei, so der »Spie­gel« ein »ak­ti­ves« Par­tei­mit­glied. Dies gilt als Be­leg für die Ein­sei­tig­keit, mit der bei »Vro­ni­Plag« vor­ge­gan­gen wor­den wä­re. Da­bei wur­de über­se­hen, dass mit Uwe Brink­mann auch ein SPD-Mit­glied in den Fo­kus ge­riet und in­zwi­schen sei­nen Ti­tel ab­erkannt be­kam. Des­wei­te­ren ist ge­ra­de un­ter CDU/CSU wie auch un­ter FDP-Mit­glie­dern die Aka­de­mi­ker­quo­te viel hö­her als in an­de­ren Par­tei­en. Und schließ­lich: Was hiel­te an­de­re In­itia­to­ren ab, ähn­li­ches mit Dok­tor­ar­bei­ten von an­de­ren Par­tei­en an­zu­stel­len?

Die Jagd auf Hei­dings­fel­der zeigt: hat die Meu­te erst ein­mal ihr Rum­pel­stilz­chen, be­ginnt sie mit al­len ihr zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel die­se Per­son zu dis­kre­di­tie­ren. Be­son­ders her­aus­ra­gend agiert in die­sem Zu­sam­men­hang im Mo­ment der Pla­gi­ats­be­trü­ger Chatz­imarka­kis. Die­se Vor­ge­hens­wei­se ist Be­leg da­für, dass die An­ony­mi­tät im Netz nicht im­mer Aus­weis ei­nes fei­gen De­nun­zi­an­ten­tums dar­stellt, son­dern not­wen­di­ger Schutz, der den Fo­kus auf die Sa­che – die Dis­ser­ta­ti­on – legt und weg von der Per­son führt. Ein Vor­ge­hen, das für Jour­na­li­sten, die der­art fi­xiert auf Per­so­nen sind, schwer aus­zu­hal­ten ist.

III. Vom Wunsch, den Dis­kurs zu do­me­sti­zie­ren

Der CSU-An­ge­ord­ne­te Uhl sag­te kurz nach den An­schlä­gen in Nor­we­gen mit in­brün­sti­ger Über­zeu­gung, die Tat von B. in Os­lo sei aus dem In­ter­net ge­bo­ren. Die­ser Blöd­sinn wird durch so­ge­nann­te In­ter­net-Ex­per­ten auch noch ge­adelt, die die ge­fil­ter­te Wahr­neh­mung als netzim­ma­nen­tes Phä­no­men dar­stel­len. Als hät­ten die Ex­ege­ten der Hetz-Pam­phle­te der Ver­gan­gen­heit auch die The­sen der ih­nen wi­der­spre­chen­den Fo­li­an­ten aus den Re­ga­len ge­zo­gen und ver­ar­bei­tet.

Jetzt möch­te auch Bun­des­in­nen­mi­ni­ster Fried­rich die An­ony­mi­tät aus dem Netz ver­ban­nen, da­mit sich po­ten­ti­el­le Straf­tä­ter und Ter­ro­ri­sten nicht im Schutz des Net­zes be­we­gen und ih­re ab­stru­sen Ge­dan­ken als Mul­ti­pli­ka­to­ren ver­brei­ten, oh­ne da­für be­langt zu wer­den. Der Vor­schlag – ei­nes Rechts­staa­tes voll­kom­men un­wür­dig und eher als Som­mer­thea­ter zu ru­bri­zie­ren – sorgt ent­spre­chend für hel­le Auf­re­gung. Da ist so­fort vom En­de der Netz­kul­tur die Re­de. An­de­re be­ru­hi­gen und wei­sen ein biss­chen treu­her­zig auf die Im­pres­sumpf­licht für deut­sche Blogs und Platt­for­men hin. Das Phan­tom des Über­wachungsstaates wird wie­der aus der Gruft ge­holt; man braucht nur den Staub, der sich seit Schäub­les De­mis­si­on an­ge­sam­melt hat­te, ab­zu­pu­sten. In­ter­es­san­ter­wei­se wird auch von de­nen, die bei je­der Ge­le­gen­heit für »Na­zis raus« aus so­zia­len Netz­wer­ken plä­die­ren auf der Kla­via­tur der Mei­nungs­frei­heit ge­spielt. Hier tref­fen sich die schein­bar so wi­der­sprüch­li­chen Grup­pie­run­gen plötz­lich: Bei­den ist ge­mein, dass sie der Kraft des Ar­gu­men­tes zu Gun­sten der Re­pres­si­on miss­trau­en.

Und da ist es dann wie­der: Das Ge­spenst des »gei­sti­gen Brand­stif­ters«. In den 70er Jah­ren von der po­li­ti­schen Rech­ten ge­bo­ren um In­tel­lek­tu­el­le als RAF-Sym­pa­thi­san­ten zu de­nun­zie­ren, wird es nun sei­ner­seits von links­in­tel­lek­tu­el­len Pu­bli­zi­sten ge­gen miss­lie­bi­ge Gei­ster in Stel­lung ge­bracht. Auch ih­nen geht es nicht um ei­ne Auf­ar­bei­tung des Ge­sche­he­nen oder um ei­ne Dis­kus­si­on jen­seits al­ler Vor­fest­le­gun­gen. Ih­nen geht es – wie letzt­end­lich Fried­rich – um Ru­he an der pu­bli­zi­sti­schen Front. Es geht ih­nen nicht um die schwie­ri­ge Aus­ein­an­der­set­zung, son­dern um Fried­hofs­ru­he. Was nicht sein darf, ist nicht.

So ist die ak­tu­el­le Dis­kus­si­on um An­ony­mi­tät im Netz am En­de die Dis­kus­si­on dar­über, wie­viel ab­sei­ti­ge Mei­nun­gen ei­ne Ge­sell­schaft nicht nur aus­zu­hal­ten be­reit ist, son­dern auch be­reit ist, dis­kur­siv zu be­han­deln. Da­bei geht es nicht dar­um, knie­tief in der Kloa­ke zu wan­deln und dies als Be­triebs­aus­flug lä­chelnd aus­zu­hal­ten. Die Schmutz­kü­bel, die sich auf un­er­reich­ba­ren Ser­vern tum­meln und ih­ren Ge­dan­ken­müll in die Welt hin­aus­po­sau­nen, wird es im­mer ge­ben. Sie fin­den im In­ter­net Be­schleu­ni­gung – kei­ne Fra­ge. Wie die auf­kom­men­de Groß­stadt zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts mit ih­rer An­ony­mi­tät die Mög­lich­keit von im stil­len agie­ren­den Mas­sen­mör­dern be­gün­stig­te (da­für hat sie al­ler­dings kei­nes­falls ein Mo­no­pol), so birgt das In­ter­net das Po­ten­ti­al auch für die Ver­herr­li­chung von Ge­walt und Ras­sis­mus.

Aber hier­um geht es nicht. Die Dis­kus­si­on um »gei­sti­ge Brand­stif­ter« dient der Do­me­sti­zie­rung des ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Dis­kur­ses. Ich ha­be lan­ge ge­rät­selt, war­um der nor­we­gi­sche Mi­ni­ster­prä­si­dent Stol­ten­berg schon un­mit­tel­bar nach den fürch­ter­li­chen Ta­ten von B. da­von sprach, man müs­se nun »mehr De­mo­kra­tie« prak­ti­zie­ren. Als hät­te es ein De­mo­kra­tie­de­fi­zit ge­ge­ben, wel­ches die­se Tat wenn nicht kre­iert, so doch be­gün­stigt hät­te. Viel­leicht hat es aber da­mit zu tun, dass sich die De­mo­kra­tie nun nicht auf schnel­le Ver­bo­te oder Ein­schrän­kun­gen be­sin­nen soll­te, die aus ei­ner fal­schen Rück­sicht­nah­me her­aus ge­sell­schafts­po­li­ti­sche und so­zia­le Pro­ble­me schön­re­det, leug­net oder ver­schweigt. Son­dern statt­des­sen mu­tig ih­re Wer­te ver­tritt und be­grün­det.