Kennen Sie Gloria Gaynors Disco-Hit "I will survive"? Darin besingt sie eine schmerzhafte Trennung, die sie am Ende aber doch stärker gemacht hat. Der Song ist so etwas wie die Hymne für alle, die eine schwere Krise überwunden haben - und sich dadurch gestärkt fühlen. Show Doch die Idee, nach einem Schicksalsschlag stärker zu werden, gibt es nicht nur in der Popkultur. Auch in der Psychologie ist sie relevant und wird als posttraumatisches Wachstum bezeichnet, erklärt Dr. Judith Mangelsdorf, Leiterin der deutschen Gesellschaft für positive Psychologie.
Aber es gebe auch durchaus ganz unspezifische persönliche Erfahrungen, so Mangelsdorf. "Das heißt, dass das Wachstum vielleicht eher darin liegt, dass ich mich heute mit digitalen Medien auskenne, die ich vor der Krise gar nicht kannte." Für die Forschung schwer zu greifenPosttraumatisches Wachstum ist also relativ und vor allem subjektiv. Und es ist mehr als eine populäre Redewendung. Vielmehr ist es sogar ein riesiges Forschungsgebiet, erzählt Dr. Alexander Jatzko, Vorstandsmitglied der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie. Es gebe insgesamt 2.778 wissenschaftliche Veröffentlichungen zum posttraumatischem Wachstum.
2.778 Veröffentlichungen - trotz dieser beeindruckenden Zahl hat die Forschung einen Haken: Wachstum nach einer Krise lässt sich nicht endgültig belegen. Denn Probanden der Studien wurden meist nur NACH der persönlichen Krise befragt, aber nie vor Eintritt der Krise. Methode in der Wissenschaft umstrittenUnd so eine Methode ist eigentlich in der Wissenschaft umstritten, sagt Judith Mangelsdorf. Eigentlich sei es der Goldstandard, schon vor dem einschneidenden Erlebnis Daten darüber zu haben, wie es zum Beispiel um die persönlichen Beziehungen stand oder um das Erleben der eigenen Wirksamkeit nach Außen. "Und dann quasi, nachdem das krisenhafte Ereignis beendet ist, nochmal die Personen befragen und hoffen, dann Veränderungsprozesse zu sehen", erläutert Mangelsdorf das ideale Vorgehen. Das Problem scheint unlösbar. Denn niemand weiß ja, wann eine persönliche Krise eintritt. Für die wissenschaftliche Korrektheit müsste auf gut Glück eine große Zahl von Probanden befragt werden, in der Erwartung, dass sie demnächst einen Schicksalsschlag durchleben. Das ist das eine Problem. Das andere: In den Fragebögen wurden Probanden meist nur nach den positiven Effekten einer Krise befragt, aber kaum nach den negativen - also zum Beispiel: "Haben sie durch die Krise eine innere Reifung erlebt?" Und wer würde nicht sagen, dass sein jetziges Ich viel weiter entwickelt ist, als sein früheres? Das verzerrt die Ergebnisse natürlich. Stärke durch Krisen nicht die RegelDass posttraumatisches Wachstum nicht die Regel ist, erlebt Silke Mayerhofer. Sie ist ehrenamtliche Trauerbegleiterin und Lebensberaterin. Wie Menschen etwa nach dem plötzlichen Tod eines Angehörigen weiter leben, sei sehr unterschiedlich:
Wovon kann es also abhängen, ob subjektiv das Gefühl entsteht, an einer Krise gewachsen zu sein? Von ganz verschiedenen Faktoren, erklärt Dr. Alexander Jatzko: "In Studien hat sich immer wieder gezeigt, dass eine positive, optimistische Lebenshaltung helfen kann und zum anderen eine Offenheit für neue Erfahrungen." Ein anderer, sehr wichtiger Punkt sei, Aufgaben und Ziele im Leben zu haben. Und es habe sich in ganz vielen Studien gezeigt, dass ein unterstützendes, sehr positives Umfeld und positive soziale Beziehungen ein großer Faktor seien, um mit Erlebtem besser zurecht zu kommen und danach wieder eine bessere Lebensqualität zu erreichen, erläutert Jatzko.
Wachstum = Herausforderung × UnterstützungDie amerikanische Wissenschaftlerin Angela Duckworth fasst das in einem prägnanten Satz zusammen: Wachstum ist Herausforderung mal Unterstützung - ob von außen oder von innen. Die innere Unterstützung kann sich tatsächlich auch trainieren lassen. Etwa indem man sich jeden Abend drei Dinge überlegt, für die man dankbar ist.
Welche Rolle die Perspektive bei innerem Wachstum spielt, hat auch Trauerbegleiterin Silke Mayerhofer beobachtet. Selbst bei Menschen, die den Ehepartner oder das eigene Kind verloren haben. Aber das könne man nur, wenn man durch die Trauer durchgehe und auch positiv zurückblicken könne. "Und eben sagen kann: Okay, weil ich diesen Verlust erlitten habe, habe ich aber das und das und das erlebt."
Natürlich bleibt ein Verlust oder der Schrecken des Erlebten. Und an Krisen zu Wachsen, ist nicht die Regel. Niemand sollte sich den Druck machen, durch Schicksalsschläge wachsen zu müssen. Das könnte im schlimmsten Fall sogar eher schaden. Und oft hilft nach der Krise vielleicht auch der einfache Blick zurück und die Erkenntnis: Ich habe es überlebt. |