Warum liefert deutschland keine waffen in die ukraine

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Warum Berlin der Ukraine keine Waffen schickt ZDFheute Logo

Welche Waffen helfen der Ukraine? Sicherheitsforscher Christian Mölling erklärt, welche Hürden deutsche Waffenlieferungen haben und warum sich die Bundesregierung so schwer tut.

Ukraine, Kiew: Ukrainische Soldaten verladen auf dem Flughafen-Boryspil Javelin-Panzerabwehrlenkraketen. Rüstungshilfe für die Ukraine: Soldaten verladen in Kiew neu angekommene US-Panzerabwehr-Raketen.
Quelle: dpa

ZDFheute: Herr Mölling, Estland würde gerne alte Haubitzen aus der DDR an die Ukraine weitergeben. Deutschland blockiert das bislang. Warum ist das so kompliziert?

Dr. Christian Mölling: Der rechtliche Rahmen für diese Haubitzen ist, dass wir der Vorbesitzer sind. Als wir sie in den 1990er Jahren zuerst an Finnland weitergegeben haben, wurde unterschrieben, dass jede Weitergabe unserer Zustimmung bedarf. Für Kriegswaffen haben wir sehr scharfe Regeln, die aus Artikel 26 des Grundgesetzes hervorgehen. Und die sind so eigentlich auch in Ordnung. Deutschland übernimmt Verantwortung für die Waffen, die es herstellt oder besitzt.

ZDFheute: Warum tut sich die Bundesregierung so schwer damit, eine Entscheidung zu den Waffenlieferungen zu treffen?

Mölling: Die politischen Entscheidungsträger haben eine große Unsicherheit: Es fehlt der sicherheitspolitische Kompass, der sagt, wann es sinnvoll ist, Waffen zu liefern und wann nicht. Dazu kommt das gesellschaftliche Tabu von Rüstungsexporten per se. Die Politik hat Angst, eine Entscheidung zu treffen - wie so oft. Und diese Entscheidung auch öffentlich zu verteidigen.

Wegen der großen Aufmerksamkeit auf das Thema kann die Bundesregierung gerade nur verlieren - entweder gegenüber der deutschen Öffentlichkeit oder gegenüber seinen internationalen Partnern.

ZDFheute: Manche Politiker führen an, dass Deutschland gar keine Waffen in Krisengebiete liefern darf. Stimmt das?

Mölling: Dass Deutschland grundsätzlich keine Waffen in Krisengebiete liefert, stimmt so nicht. Das generelle Verbot kann aufgehoben werden, es gibt Ausnahmen. Das beste Beispiel sind die Kurden und Jesiden, die wir im Kampf gegen den IS unterstützt haben. Wir haben die irakische Armee aufgerüstet mit dem Ziel, die nationale Souveränität des Staates herzustellen. Da hatten wir ein UN-Mandat, das ändert die Situation etwas. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass die Bundesrepublik jeden Fall einzeln betrachtet.

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ZDFheute: Wäre es mit Waffenlieferungen an die Ukraine allein getan?

Mölling: Waffenlieferungen sind nur ein Teil eines sicherheitspolitischen Werkzeugkastens. Wenn wir uns irgendwo engagieren, dann gehen wir nicht nur militärisch rein, sondern haben immer verschiedene Komponenten: Hilfe, Stabilisierung, Diplomatie und, wenn angemessen: Waffenlieferungen. Das tun wir verantwortungsvoll, indem wir gleichzeitig den Sicherheitssektor mit reformieren.

Wir drücken nicht nur Waffen in die Hand und sagen tschüss, sondern wir bilden die Soldaten auch mit den Waffen aus.

Dr. Christian Mölling, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

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ZDFheute: Die Ukraine hat sich mit einer Wunschliste an Waffensystemen an Deutschland gewandt. Was halten Sie von diesen Forderungen?

Mölling: Im Prinzip bräuchte die Ukraine, was auf der kolportieren Liste steht. Diese Lieferungen kämen jetzt aber zu spät. Je komplexer das Waffensystem ist, umso länger brauchen Sie in der Ausbildung. Sie können nicht irgendwo eine Flugabwehrrakete hinstellen. Sie brauchen dazu ein ganzes System an Sensoren und Radaren. Das muss technisch und organisatorisch in die Streitkräfte integriert werden.

Waffen einfach hinzustellen, kann zu einem Fall wie beim Abschuss des MH17-Flugs führen. Russland hat damals ein Flugabwehrsystem an Milizen weitergegeben. Die haben auf den falschen Knopf gedrückt. Das darf nicht passieren.

Wenn man die Ertüchtigung ernstnehmen würde, dann fängt man nicht erst zwei Wochen vor Kriegsbeginn an.

Dr. Christian Mölling, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

ZDFheute: Hat die Bundeswehr überhaupt so viel zusätzliches Material, das sie abgeben könnte?

Mölling: Wir haben viel zu wenig Flugabwehr mittlerer Reichweite, etwa Patriots. Kann man die weitergeben? Man würde sich selbst natürlich schwächen. Generell sind die Bestände der Bundeswehr mit Blick auf Munition und kleines Material, das nicht ständig in der Öffentlichkeit diskutiert wird, massiv runtergefahren. Da gibt es seit Jahren Lücken.

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ZDFheute: Müssten Sie entscheiden: Welche Waffen könnte Deutschland realistisch liefern, die der Ukraine jetzt praktisch helfen würden?

Mölling: Ich denke, dass MedEvac, also Flugzeuge, mit denen wir Verletzte ausfliegen können, und Panzerminen hilfreich sein könnten. Damit kann man Sperren legen, das sind rein defensive Waffen. Unsere sind auch so gut, dass sie sich nach einer gewissen Zeit selbst entschärfen. Panzerabwehrwaffen oder Boden-Luft-Raketen, das ist beides legitim – alles was nicht signalisiert, dass man einen Angriffskrieg starten will.

Ich glaube aber, dass dieser Zug politisch abgefahren ist. Weil sich die Regierung komplett darauf festgelegt hat, dass der nächste Entscheidungspunkt, an dem man wieder diskutieren kann, ein Kriegsbeginn wäre. Wir werden wahrscheinlich so lange warten, bis es knallt. Dann werden alle, ich inklusive, sagen: Jetzt ist es zu spät.

Die Fragen stellte Nils Metzger.

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Hat Deutschland Waffen an die Ukraine geliefert?

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Warum schickt Deutschland keine Waffen an die Ukraine?

Die Ukraine nutzt hauptsächlich Waffensysteme sowjetischer oder russischer Bauart. Hierzu gibt es im Land eine funktionierende Logistik-Kette sowohl für Betrieb wie auch für die Instandhaltung der Systeme. Das schließt auch Munition und Ersatzteile mit ein.

Wer liefert noch Waffen an Ukraine?

Weitere Staaten Verschiedenen Quellen zufolge hat eine ganze Reihe weiterer Staaten vor, Artillerie-Systeme inklusive zigtausend Schuss Munition vom Artillerie-Kaliber 155 Millimeter an die Ukraine zu liefern, darunter Kanada, Italien, Griechenland, Norwegen und Polen.

Wieso liefert Deutschland keine schweren Waffen?

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