Warum ist es gefährlich wenn Baby auf dem Bauch schläft?

Von Kinderärzten gab es lange Zeit die Empfehlung, Säuglinge auf dem Bauch schlafen zu lassen. Doch dieser wissenschaftlich ungeprüfte Ratschlag war in sehr vielen Fällen tödlich, sagen Ärzte heute.

Quelle: WELT/ Isabelle Bhuiyan

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Säuglinge sollten auf dem Bauch schlafen, empfahlen Kinderärzte 1971. Schon bald zeigte sich: Daraufhin starben mehr Babys an Plötzlichem Kindstod. Doch die fatale Empfehlung kursierte noch jahrelang.

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Der Widerspruch zu den Empfehlungen internationaler Fachärzte kam von einem medizinischen Laien. Kriminalkommissar Roland Zumpe aus Delmenhorst bei Bremen äußerte vorsichtige Zweifel daran, dass die Bauchlage die optimale Schlafposition für Babys sei.

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„Bedenken, ob die Eltern die moderne Empfehlung ‚Bauchlage‘ richtig anwenden, kommen jedoch auf, wenn in einem relativ kleinen Dienstbereich im Zeitraum von knapp zwei Jahren fünf Fälle bekannt wurden, in denen Säuglinge erstickt sind, ohne Erbrochenes eingeatmet zu haben“, schrieb der Polizist 1973 in der Zeitschrift „Kriminalistik“. „In allen Fällen hatten die Kinder mit dem Gesicht auf einem mehr oder weniger weichen, althergebrachten Babykissen oder einer weichen Decke geruht.“

Zwei Jahre vorher hatten Kinderärzte auf einer internationalen Tagung in Wien die Bauchlage als Schlafposition empfohlen. Dies bessere die motorische Entwicklung, fördere tiefen Schlaf und schütze das Kind davor, Erbrochenes einzuatmen, glaubten Experten damals.

Die Empfehlung war wissenschaftlich ungeprüft

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Danach stiegen die Fälle von Plötzlichem Kindstod (SIDS; Sudden Infant Death Syndrome) deutlich an. Die Empfehlung habe mehrere Zehntausend Kinder das Leben gekostet, konstatierte der Rechtsmediziner Jan Peter Sperhake vom Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf im Fachblatt „Rechtsmedizin“.

Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar ist nicht nur die damalige, wissenschaftlich ungeprüfte Empfehlung, sondern auch der Umstand, dass sich dieser Irrglaube – trotz vieler Warnhinweise – in vielen Ländern jahrzehntelang hielt.

„Im Nachhinein ist es unglaublich, dass das so lange gedauert hat“, sagt Sperhake. „Aber wenn international angelegte Kampagnen einmal in der Welt sind, lassen sie sich nur schwer wieder rückgängig machen.“

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In der DDR wurde der Fehler rasch erkannt. Nach mehreren auffälligen Todesfällen erlaubte das Gesundheitsministerium schon im Frühjahr 1972 die Bauchlage für Kinder in Krippen nur noch im Wachzustand und unter Beobachtung.

In der Bundesrepublik widersprachen der Kinderarzt Gerhard Jorch und vier Kollegen der Lehrmeinung Ende 1991 im „Deutschen Ärzteblatt“: „Angesichts von jährlich mehr als 1000 solcher SIDS-Todesfälle allein in den alten Bundesländern muss die Frage gestellt werden, ob nicht auch hierzulande der Zeitpunkt für die Warnung vor der Bauchlage als bevorzugter Lagerung des Säuglings im Schlaf gekommen ist“, schrieben sie.

„Damals rief mich einer der führenden Kinderärzte in Deutschland an und sagte: ‚Nach diesem Artikel sind Sie verbrannt!‘“, erinnert sich Jorch.

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Der Kollege behielt unrecht. Jorch ist seit 1998 Direktor der Klinik für Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie der Universität Magdeburg. „Es gab schon lange Hinweise darauf, dass die Bauchlage gefährlich ist“, sagt Jorch. „Aber daraus ist nie eine Kampagne geworden.“

Das änderte sich erst nach der Wiedervereinigung – nicht zuletzt dank Jorchs Artikel im „Ärzteblatt“. In Zahlen: 1991 starben in Deutschland noch 1285 Babys am Plötzlichen Kindstod, die weitaus meisten davon im Westen. Danach fiel der Wert stetig. Im Jahr 2015 waren es laut Statistischem Bundesamt 127 Kinder – das entspräche bei stabiler Zahl der Kinder einem Rückgang um gut 90 Prozent.

Todesfälle, die medizinisch nicht erklärt werden können

Trotz der positiven Entwicklung: Noch immer zählt der Plötzliche Kindstod – neben angeborenen Fehlbildungen – zu den häufigsten Todesursachen von Kindern im ersten Lebensjahr. Und noch immer gibt das Phänomen Medizinern Rätsel auf.

Das liegt auch in der Definition begründet: „Vom Plötzlichen Kindstod spricht man dann, wenn ein Kind im ersten Lebensjahr unerwartet stirbt und man keine Ursache im herkömmlichen Sinn findet“, sagt Jorch. „Plötzlicher Kindstod ist keine Diagnose im eigentlichen Sinn, sondern eine Ausschlussdiagnose.“

Demnach umfasst das Phänomen Todesfälle, die medizinisch nicht erklärt werden können. Sobald es eine Diagnose gibt, kann es sich nicht mehr um Plötzlichen Kindstod handeln. Oft wird betont, dass Jungen stärker gefährdet seien als Mädchen. Jorch führt dies darauf zurück, dass Jungen generell etwas anfälliger für Gesundheitsprobleme seien. Laut Statistik starben 2015 genau 67 Jungen und 60 Mädchen an SIDS.

Weitere Risikofaktoren

Das gefährlichste Alter ist die Phase vom 2. bis 4. Lebensmonate. Jorch führt das darauf zurück, dass Kinder in diesem Alter mobiler werden. „Kinder fangen ab dem 2. Monat an, sich mehr zu bewegen“, sagt er. „Sie können sich dann in eine gefährliche Lage bringen, sich aber noch nicht daraus befreien.“

Sperhake hat eine weitere Erklärung: „Nach der Geburt ändert sich der Sauerstoffträger Hämoglobin bei Kindern“, erläutert der Mediziner. „Diese Übergangsphase erreicht im 3. Lebensmonat eine Talsohle.“ Ärzte sprechen von einer Dreimonats- oder Trimenon-Anämie. „Wenn es Kindern aus irgendeinem Grund an Sauerstoff mangelt und sie weniger Sauerstoffträger im Blut haben, sind sie besonders anfällig.“

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Neben der Schlafposition steigern weitere Faktoren das Risiko – insbesondere wird in betroffenen Familien überproportional oft geraucht. „Untersuchungen in den Jahren 1996 bis 2001 zeigten, dass über 20 Prozent aller Schwangeren rauchten, in der Gruppe der Mütter, deren Kinder an SIDS verstarben, hatten über 60 Prozent der Mütter während der Schwangerschaft geraucht“, schrieb das Robert-Koch-Institut (RKI) in einem Bericht zur Kindergesundheit. „Auch mütterliches Rauchen nach der Schwangerschaft ist mit einem erhöhten SIDS-Risiko assoziiert und erhöht zudem das Risiko für Säuglinge während der ersten Lebenswochen, wenn diese im Bett der Eltern schlafen.“

Dicke Decken und Kissen können gefährlich werden

Auch eine Überhitzung kann gefährlich werden, ebenso wie schwere und dicke Decken. „Ein großer Teil dieser Kinder stirbt nassgeschwitzt unter der Bettdecke“, sagt Jorch. Weiche Matratzen oder Kissen im Babybett seien ebenfalls riskant, betont Sperhake. Er nimmt in Hamburg immer wieder Orte in Augenschein, an denen Kinder gestorben sind. „Es geht darum, sich ein Bild der Umstände zu machen und Besonderheiten zu finden.“

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In einem Fall starb das Kind in einem „Krater“ im Bett. „Die Matratze war sehr weich, zudem fehlten darunter zwei benachbarte Latten, und der Säugling lag unter einer Erwachsenendecke“, sagt der Rechtsmediziner. „Das Kind konnte sich gar nicht befreien.“ Gerade in Bauchlage bergen Dellen in der Unterlage zudem die Gefahr, dass sich darin ausgeatmetes Kohlendioxid anreichert, das die Kinder dann einatmen.

Grundsätzlich geht Sperhake – wie andere Experten – davon aus, dass meist verschiedene Faktoren zusammenkommen müssen: eine kritische Entwicklungsphase, eine besondere Verletzlichkeit etwa durch Erbanlagen oder eine frühe Geburt sowie äußere Stressfaktoren, wie etwa eine Bauchlage.

Spielen Erbanlagen eine Rolle?

Unklar war bislang der Einfluss genetischer Faktoren, mit dem sich nun zwei Studien beschäftigten. So prüfte ein internationales Forscherteam den Einfluss einer seltenen Mutation im Gen SCN4A, die die Atemmuskulatur beeinträchtigt. Dazu untersuchten sie 278 Kinder europäischer Abstammung, die am Plötzlichen Kindstod gestorben waren, und 729 andere Menschen. Sechs der verstorbenen Kinder trugen die Variante, aber niemand aus der Kontrollgruppe, wie das Team um Michael Hanna vom University College in London im Fachblatt „The Lancet“ berichtet.

In der zweiten Untersuchung prüften US-Mediziner Dutzende Genmutationen, die die Anfälligkeit für Herzerkrankungen steigern. Von den 419 untersuchten Kindern hatten gut vier Prozent eine klinisch auffällige Variante. „Wir wissen jetzt, dass die große Mehrheit der SIDS-Fälle nicht von genetisch bedingten Herzerkrankungen herrührt“, sagt Studienleiter Michael Ackerman von der Mayo Clinic in Rochester (US-Staat Minnesota), dessen Studie im „Journal of the American College of Cardiology“ erschien.

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„Erbanlagen scheinen zwar eine Rolle zu spielen, aber keine besonders große“, sagt Sperhake. Jorch pflichtet bei: „Das würde in Deutschland nur wenige Fälle pro Jahr betreffen.“

Grundsätzlich raten Mediziner, Kinder im ersten Lebensjahr in einem Schlafsack schlafen zu lassen – im eigenen Bett, ohne Kissen oder Plüschtiere. Und vor allem: in Rückenlage. „Im Gegensatz zu der alten Bauchlage-Empfehlung ist dieser Rat wissenschaftlich abgesichert“, betont Sperhake.

Wie lange darf ein Baby nicht auf dem Bauch Schlafen?

Hier gilt als grobe Faustregel, dass euer Baby dann auf dem Bauch schlafen kann, wenn es selbständig in diese Position kommt. Zudem sollte es sich auch selbständig wieder zurück auf den Rücken drehen können. Dieser Zeitpunkt ist sehr individuell und bei jedem Kind anders.

Was tun wenn das Baby nur auf dem Bauch schläft?

Auf dem Arm zum Schafen bringen. Wenn Dein Baby am liebsten auf dem Bauch einschläft, sich aber noch nicht selber drehen kann, dann kannst Du versuchen, es auf Deinem Arm in den Schlaf zu wiegen und in Rückenlage abzulegen, wenn es eingeschlafen ist. Diese Möglichkeit wird für eine kurze Zeit empfohlen.

Warum plötzlicher Kindstod in Bauchlage?

Im Schlaflabor zeigte sich, dass die Babys in Bauchlage schlechter auf den störenden Luftstrahl reagieren als in Rückenlage. Dieser Unterschied ist besonders ausgeprägt im Alter zwischen zwei und drei Monaten. In dieser Lebensphase ist auch die Gefahr des plötzlichen Kindstodes am größten.

Warum schläft mein Baby nur auf dem Bauch?

Bei kleinen Babys kann es passieren, dass sie sich in der Nacht auf den Bauch drehen und nicht über genügend Energiereserven verfügen, um sich selbstständig zurück in die Rückenlage zu drehen. Schläft ein Baby für längere Zeit mit dem Gesicht auf der Matratze, kann es passieren, dass sie schwerer Luft bekommen.

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