Kann die Psyche auf die Stimme schlagen?

Kann die Psyche auf die Stimme schlagen?
Der Kehlkopf ist ein komplexes Gebilde. Durch ihn wird die Stimme gebildet. Foto: dpa  Foto: Jens Büttner (dpa-Zentralbild)

Wie glücklich sind junge Eltern, wenn ihr Kind die ersten Worte brabbelt. Stimme und Sprache sind ein Leben lang elementar für Empathie und Kommunikation. Umso schlimmer ist es für Menschen, die - aus verschiedenen Gründen - ihre Stimme verlieren, oder bei denen das Sprechen beeinträchtigt ist. Das kann zum Beispiel nach Krebs im Mund- und Rachenraum passieren. Doch es gibt auch immer mehr Leute, die aufgrund ihres anstrengenden Jobs betroffen sind. Dann finden diese Patienten im Stimmheilzentrum in Bad Rappenau bei Chefärztin Prof. Annerose Keilmann besondere und erfahrene Hilfe.

Kommunikation von Mensch zu Mensch ist auch in immer digitaler werdenden Zeiten noch ein wichtiger Faktor. "Es gibt sehr viele Berufstätige, die explizit auf ihre Stimme angewiesen sind, die im Alltag viel reden oder viel erklären müssen", sagt Chefärztin Annerose Keilmann. Betreuer, Lehrer, Arzthelferinnen oder auch Computerspezialisten. Die Bandbreite an Berufen, in denen viel gesprochen werden muss, ist nach wie vor groß.

Und der Druck in der Gesellschaft generell, aber auch im Berufsleben, wächst. Aber nicht nur psychische Erkrankungen nehmen deshalb bundesweit zu. Am Spruch "dem hat es die Stimme verschlagen" sei absolut etwas dran, betont die Fachärztin für Phoniatrie und Pädaudiologie (Sprach-, Stimm- und kindliche Hörstörungen) und HNO-Fachärztin.

Belastungen nehmen zu

Mit dem steigenden Druck in der Gesellschaft und den gehobenen Ansprüchen an das "lautsprachliche Kommunikationsvermögen" nehme oft auch der Stress für die Stimme zu. Geänderte soziale und wirtschaftliche Gegebenheiten mit hohem Zeitdruck, Arbeiten in Großraumbüros, mangelnde Schallisolierung sowie ungünstige Raumakustik tragen zusätzlich zur erhöhten Sprechbelastung und Stimmstörungen bei. Aber auch psychische Probleme können zu einer sogenannten Dysphonie führen.

Dass es einem die Stimme verschlägt, kann also durch eine längerfristige Überlastung des Stimmapparats passieren. Das Umfeld denkt oft, dass ein Infekt im Rachenraum dahinter stecke. Infekte der oberen Luftwege führen natürlich auch oft zu Heiserkeit, und allzu oft würden dann Antibiotika gegeben. Ein solcher Infekt führe in der Regel zu einer kurzfristigen Heiserkeit. Hält diese jedoch länger an, dann liegen die wahren Gründe woanders, tiefer.

"Auf Druck oder psychische Probleme reagieren die Menschen unterschiedlich. Manche kriegen einen Tinnitus, andere Kopfschmerzen oder ein Magengeschwür. Vielen schlägt es auf die Stimme", erklärt sie. Keilmann, die aus Mainz stammt und seit fast fünf Jahren die Reha-Klinik in der Salinenstraße 43 in Bad Rappenau leitet, ist auch Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP).

Kehlkopf ist ein komplexes Gebilde

Wenn man also schon Probleme mit der Stimme hat und sie weiterhin täglich im Job strapaziert, etwa um sich lautstark in einer Schulklasse durchzusetzen, dann verstellt sich sozusagen der gesamte Bereich, inklusive einer Fehlbelastung der Muskeln im Hals und am Kiefer. "Je länger das Problem besteht, desto schlimmer wird es, denn der Kehlkopf ist ein sehr komplexes Gebilde", betont Keilmann.

Personen, die unter Stimmstörungen (Dysphonie) leiden, haben Probleme bei der Stimmerzeugung. Je nach Ausmaß der Dysphonie klingt die Stimme rau, heiser, belegt oder piepsig. Bei einer "Aphonie" können die Betroffenen nur flüstern. Das Stimmheilzentrum Bad Rappenau hilft von Stimmstörungen betroffenen Menschen mit einer speziell abgestimmten Therapie ihr stimmliches Leistungsvermögen zurückzugewinnen oder zu verbessern. Immer mit dem Ziel, wieder im Job arbeiten zu können.

Zurück in den Job

Die Logopäden und Ärzte schauen bei Betroffenen bei der Erstuntersuchung, in welcher Weise die Stimmbildung bei dem Patienten vom Idealzustand abweicht. Das Stimmheilzentrum ist als Vorsorge- und Rehabilitationsklinik darauf spezialisiert, gestörte und kranke Stimmen wieder belastungsfähig zu machen sowie Stimm-, Sprach-, Schluck- und Sprechleiden zu kurieren. Für die ganzheitlich ausgerichtete Versorgung der Patienten im Rahmen von stationären Rehabilitationsmaßnahmen, die in der Regel drei Wochen dauern, sowie Anschlussheilbehandlungen stehen sämtliche Fachabteilungen und eine medizintechnische Spezialausstattung für die phoniatrisch-logopädische Diagnostik, gezielte Übungsbehandlungen und Physiotherapie bereit.

"Wir bieten Entspannung, Einzelgespräche mit Psychologen und ein ausgiebiges Sportprogramm an, denn auch Bewegung ist wichtig, wenn man seinen Stimmapparat wieder stärken will. Wer beispielsweise als Profi singt, muss auch körperlich fit sein", betont Keilmann. Nicht nur die Stimme selbst muss also trainiert werden. Mit persönlich fest zugeordneten Logopäden lernen die Patienten wieder ihre Stimme richtig zu bilden. Weitere Therapeuten wirken auf die Psyche ein, versuchen, den Druck weg zu nehmen. Vor allem auch bei Leuten, die mit ihrer Stimme ihr Geld verdienen: Opernsänger, Musiklehrer oder Moderatoren.

Aus dem gesamten Bundesgebiet kommen Betroffene ins Stimmheilzentrum, das laut Professorin Keilmann die älteste Einrichtung ihrer Art weltweit sei. Bundesweit gibt es nur noch zwei weitere ähnliche Kliniken. 1982 wurde das Stimmheilzentrum in Bad Rappenau von Prof. Horst Gundermann gegründet, 1989 ging daraus die Phoniatrische Klinik hervor. Gundermann hatte anfangs vor allem Lehrer als Patienten.

In der Gruppe fällt es leichter

Apropos Patienten: Egal, woher die Sprechstörung rührt, das Stimmheilzentrum setzt in der Therapie vor allem auf das stationäre Gruppenkonzept. Die Patienten sind von Kommunikationsstörungen betroffen und haben daher häufig Angst vor der zwischenmenschlichen Kommunikation aufgebaut. Da Kommunikation nur in der Gemeinschaft erfolgen und geübt werden kann, biete eine geschlossene Gruppe den geeigneten Rahmen zur Thematisierung und zum Abbau kommunikativer Angst.

"Das kommt bei den Patienten sehr gut an, weil sie wissen, dass sie es mit anderen Betroffenen zu tun haben. So schämen sie sich nicht, fühlen sich ernst genommen und können in diesem geschützten Bereich langsam gemeinsam wieder lernen, die Stimme zu erlangen. In den allermeisten Fällen kriegen wir das auch wieder hin", betont Annerose Keilmann.

Kann Heiserkeit psychisch sein?

Psychische Ursachen für Heiserkeit. Seelische Faktoren wie Aufgeregtsein, Angst und Depressionen verursachen häufig Stimmstörungen (psychogene Dysphonien). Heiserkeit ist ein Ausdruck davon. Dass vor Aufregung die Stimme wegbleibt, ist eine Erfahrung, die schon viele Menschen gemacht haben.

Bei welcher Krankheit verändert sich die Stimme?

Sehr deutlich verändert sich die Stimme bei Menschen, die an Parkinson erkrankt sind. Parkinson ist eine neurodegenerative Erkrankung, die unter anderem die Muskulatur beeinträchtigt.

Kann Stress auf die Stimmbänder gehen?

Stress führt zu Anspannungen im Kehlkopf und übt so Druck auf diesen aus, was wiederum zu gepresstem Stimmklang und eventuellem Stimmversagen führt. Grund dafür ist die Unterversorgung der Stimmbänder mit Sauerstoff. Eine gestresste Stimme klingt häufig zittrig und leise und bricht beim Sprechen.

Was hilft bei psychogenen Stimmstörungen?

Stimmprovokationen, entspannende Nasalierungsübungen [4] und physikalische Maßnahmen wie Reizstromdurchflutung oder Impulsstrom bei Phonation sowie Inhalationen ergänzen das Therapieangebot. Die Effektivität von Stimmtherapie bei funktionellen Stimmstörungen ist durch mehrere kontrollierte Studien belegt [5].