Ist Camp David von Dieter Bohlen?

Ist Camp David von Dieter Bohlen?

Immer einen Tick zu viel: Dieter Bohlen in der beliebten Freizeitmode von Camp David. (Bild: Getty Images)

Einen Tick zu viel

Von Camp David und anderen Dramen in der Freizeitmode für Männer über 50

Im Büro blamieren sich auch Männer stilistisch nur noch selten. Problematisch bleibt es in der Freizeit. Der Pop-Titan Dieter Bohlen übt dabei einen ganz besonders schlechten Einfluss aus.

Seit David Beckham vor rund zwanzig Jahren zeigte, dass sich auch nichtschwule Männer für Mode interessieren können und trotzdem eine Frau abbekommen, gehört es heute zur Aufgabenstellung eines jeden Mannes, sich zumindest ansatzweise mit seiner Garderobe auseinanderzusetzen.

Das klappt im Alltag auch meistens gut. Besonders wenn etwa die Wahl der Kleider durch den Job schon vorgegeben wird. Anzug, Krawatte und Hemd eines Kundenberaters zum Beispiel. So muss Mann sich morgens beim Anziehen nicht gross Gedanken machen. Problematisch wird es erst, wenn Wochenende ist oder Ferien. Dann wird es schlimm.

Fehlende Stil-Vorbilder

Freizeitbekleidung, die sogenannte leisure wear, wurde vor rund hundert Jahren erfunden. Die Kleider sollten einerseits bequem zu tragen sein und anderseits immer noch eine gewisse Form von Eleganz bewahren. Doch so nonchalant sich das anhört, einfach ist dieser Spagat mitnichten.

Vor allem Männer ab 50, die noch mehr oder weniger ohne jegliche modische Vorbilder sozialisiert wurden und Fashion-Magazine nur heimlich bei der Freundin oder im Wartezimmer durchblätterten, wirken da oftmals ziemlich verloren. Vor allem in der Schweiz, in der auch im Kleiderschrank oft das Motto «Hauptsache, praktisch» gilt.

Vielleicht landen deshalb so viele orientierungslose Männer irgendwann bei Modemarken wie Camp David, die ihnen Hilfestellung in Sachen Stil versprechen. Diese deutsche Herrenmodemarke steht für mittlerweile nicht wenige Brands aus dem Freizeitbereich, die Männer in modische Verwirrung führen. Ein Kennzeichen von all diesen T-Shirts, Kurzarmhemden und Übergangsjacken: Es ist von allem immer einen Tick zu viel.

Zu viele Aufdrucke, zu viele Aufnäher, zu grelle Farben. Zusammen kombiniert, ergibt das einen Look, der viel zu laut und aufdringlich in die Welt hinausschreit: Schaut her, ich bin zwar schon etwas älter, aber immer noch super dynamisch und mega-aktiv. Es ist die perfekte Tarnung für Hasenfüsse und Stubenhocker.

Klischierte Männerträume

Damit diese Transformation zum Jachtbesitzer, Polospieler, Klippenspringer oder Tiefseetaucher gelingt, versammeln die von Camp David auf bester Baumwolle so ziemlich jedes erdenkliche Klischee von Männerträumen. Und zwar in Form von durchgehend viel zu penetranten Aufdrucken. Da sind ganz viele Zahlen, Begriffe und Koordinaten, wild durcheinander platziert und bis an den Rand der Kleider reichend.

Thematisch abgehandelt werden in den Kollektionen wechselnde Abenteuer, wie Expeditionen ins ewige Eis, Reisen durch den Dschungel, die Umsegelung der Welt (umgesetzt etwa im Slogan «Feel the Yachts Power being at Sea»), aber auch Alltäglicheres wie die Abenteuer am Barbecue-Grill oder – neu diese Saison – der Besuch beim Barber, neudeutsch für Coiffeur. Nur sexuelle Phantasien werden, zumindest bis dato, in den Kollektionen komplett ausgeblendet. «Strip Club», «Hot Affair» oder «69» sind dann vielleicht doch etwas zu schlüpfrig für ein Mainstream-Label das immerhin über 170 Millionen Euro Jahresumsatz macht.

Östlich von Hoppegarten

Aber wer steckt eigentlich hinter der Marke, hinter deren Poloshirts so manch einer seinen Bierbauch zu verstecken versucht? Die Gründer der Clinton Grosshandels GmbH, zu der Camp David gehört, sitzen in einem Kaff namens Hoppegarten etwas östlich von Berlin und heissen ein bisschen so, wie ihre Mode aussieht: Jürgen, Thomas und Hans-Peter Finkbeiner. Ihre Geschichte ist jedoch eine spannende.

Die drei Brüder stammen aus einfachen Verhältnissen im Schwarzwald und sind in den achtziger Jahren nach Westberlin gezogen. Thomas Finkbeiner wollte eigentlich Lehrer werden, sein Bruder Hans-Peter Finkbeiner hat sich an der Universität für BWL eingeschrieben, und Jürgen Finkbeiner, der heute für das Design zuständig ist, hat Mathematik studiert. Das erklärt vielleicht seine Affinität für gewisse Algorithmen bei den Aufdrucken.

Ist Camp David von Dieter Bohlen?

Seine Liebe für Textilien entdeckte Jürgen, als er im Jeans-Shop unten im Haus seiner Kreuzberger Studenten-WG jobbte. Kurz vor der Wende stiegen Jürgen und sein Bruder Hans-Peter ins Geschäft ein und profitierten nach dem Mauerfall von der grossen Nachfrage nach West-Jeans.

Bill Clinton als Vorbild

Der Jeans-Shop expandierte mit weiteren Filialen in den ehemaligen Osten Berlins. Nachdem auch der dritte Bruder dazugestossen war, folgten die Brüder dem Rat der Bank und fingen irgendwann an, selber Mode zu entwerfen und zu produzieren.

Ende der neunziger Jahre gründeten die Fink­beiners ihre eigene Textilfirma und nannten sie nach ihrem grossen Vorbild Bill Clinton. Schon immer waren die Brüder Fans des 42. Prä­sidenten der Vereinigten Staaten, er verkörperte für sie den Aufbruch in eine neue Ära, die sie auch in ihrem eigenen Werdegang manifestiert sahen. «Wir dachten, der Bill Clinton, der passt zu uns. Der kann was bewegen – wie wir.»

Ja, die Finkbeiners fanden die einstige First Family so toll, dass sie nicht nur die Herrenlinie «Camp David» nach dem präsidentialen Wochenendsitz benannten, sondern auch noch eine Damenlinie «HRC» nach Hilary Rodham Clinton. Und die junge Linie «Soccx» heisst wie der Kater der Familie Clinton, den unterdessen leider das Zeitliche gesegnet hat.

Westliche Verheissungen

Die Geschäfte mit den Männerträumen liefen von Beginn an gut. Was die Gebrüder aber überraschte, war der Fakt, dass sie 95 Prozent ihres damaligen Umsatzes in den neuen Bundesländern machten. «Wir schaffen es nicht, im Westen Fuss zu fassen», sagte Thomas Finkbeiner 2009 in einem der spärlichen Interviews.

Dabei leuchtet es doch irgendwie ein, dass die ziemlich plakative Botschaft ihrer Kleider mit dem Ruf der Freiheit primär den Nerv der Ossis traf. Die kannten ja die vermeintlichen Verheissungen des Westens lange Zeit lediglich vom Hörensagen. Es bestand also Nachholbedürfnis in Sachen Freizeitbekleidung. Und offenbar liess sich schon damals dieses Vakuum effizient kompensieren, indem man sich einfach etwas von Camp David überstülpte.

Und dann kam Dieter

Es war dann Dieter Bohlen, der die Marke im Rest von Deutschland und darüber hinaus schlagartig bekannt machte. Nachdem der 66-jährige Hitproduzent 2010 in einer TV-Show ein Hemd von Camp David anhatte, gingen die Verkaufszahlen steil nach oben. Der passt wie die Faust aufs Auge, müssen sich die Gebrüder Finkbeiner gedacht haben, weshalb sie den Berufsjugendlichen mit dem Gaga-Grinsen vom Fleck weg als Markenbotschafter engagierten.

Von da an wandelte Dieter Bohlen als lebende Litfasssäule von Camp David durch die Welt. Und die Gebrüder Finkbeiner waren froh, dass jetzt einer an Bord war, der sich an ihrer Stelle ins Rampenlicht drängt.

Eine Win-win-Situation, denn Dieter Bohlen bekommt zu seinem Botschafter-Gehalt diejenigen Kleider gratis dazu, die er sich vermutlich sowieso kaufen würde. Weil sie quasi eine stoffgewordene Version seiner selbst sind. Laut, testosteronhaltig und leicht daneben. Zur zehnjährigen Zusammenarbeit gibt es eine Dieter-Bohlen-Jubiläumskollektion von Camp David. Die bringt das Kunststück fertig, noch «peppiger» als der Rest zu sein, ist aber natürlich wie gemacht für Leute wie ihn, bei denen jeden Tag Fiesta angesagt ist – oder die zumindest so tun als ob.

Ruf der Bequemlichkeit

Aber um fair zu bleiben: Dieter Bohlen und Ausstatter wie Camp David haben vielleicht auch ihre Verdienste. Mag ihr Tun ästhetisch auch verwerflich sein, bringt es für viele Männer auch Entlastung. Marken wie Camp David sind ja nichts anderes als eine weitere Uniform, einfach bunter. Ausserdem dürfte es, vom Vorbild Bohlen legitimiert, auch der eine oder andere Modemuffel einmal wagen, etwas anderes zu tragen als gedeckte Farben, eine Haltung, die im Prinzip ja nicht falsch ist.

Es fragt sich nur, ob Männer ihr Bedürfnis nach Bequemlichkeit statt bei der Wahl der Freizeitgarderobe nicht anderswo ausleben können. Wie wär’s mit einem ausgedehnten Wellness-Wochenende? Zum Anziehen braucht es da nur einen Bademantel. Und: ausserhalb des Spas liegt man übrigens auch als reiferer Mann nie verkehrt mit einem Paar klassischer Blue Jeans und einem weissen T-Shirt.

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Wer ist der Besitzer von Camp David?

CLINTON ist ein familiengeführtes und modernes Modeunternehmen mit Sitz in Hoppegarten bei Berlin. Wir lieben Mode und lassen unsere textilen Erfahrungen in unsere Kollektionen einfließen. Zur CLINTON Markenwelt gehören die Fashion-Brands CAMP DAVID, SOCCX und HARLEM SOUL.

Hat Dieter Bohlen Anteile an Camp David?

Bekannte Markenbotschafter sind Dieter Bohlen, Arthur Abraham und Marcus Schenkenberg.

Wo kommt die Marke Camp David her?

Mehr Anzüge und Sakkos für die Kollektion: Der Modehändler Clinton mit Sitz in Hoppegarten kauft neue Marken, um sich klassischer aufzustellen.

Warum heisst Camp David so?

Seine heutige inoffizielle Bezeichnung verdankt Camp David Präsident Dwight D. Eisenhower, der es nach seinem Enkel David benannte.