Obwohl ihn seine Feinde jahrelang gefangen hielten und sein Lösegeld England in den Ruin trieb, verkörpert Richard Löwenherz das Ideal des Rittertums. Das verdankte er vor allem dem Wunschtraum späterer Generationen.
Veröffentlicht am 07.11.2017 | Lesedauer: 6 Minuten
Von Berthold Seewald
Leitender Redakteur Geschichte
Richard Löwenherz (1157-1199), wie ihn die Nachwelt sah
Quelle: pa/imageBROKER/Heinz-Dieter Falkenstein
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Richard Löwenherz ist ein Phänomen. Zehn Jahre lang, von 1189 bis 1199, saß er auf dem englischen Thron. In dieser Zeit sah er das Land, dessen Krone er trug, vielleicht sechs Monate lang. Zuvor hatte er gegen seinen Vater geputscht. Später trieb er sich vor allem im Ausland herum, wo er in seinen Machtspielen Tausende zum Tode verurteilte, durch Hochmut selbst in Gefangenschaft geriet, für das Lösegeld seine Untertanen in den Ruin trieb, um schließlich bei einem schmutzigen Raubzug im Südwesten Frankreichs von einem Armbrustschützen erschossen zu werden. Dennoch ging Richard als Ideal des ritterlichen Herrschers in die Geschichte ein und dürfte – mit maßgeblicher Unterstützung Hollywoods – heute der bekannteste König des europäischen Mittelalters sein.
Das Reich von Richard Löwenherz umfasste England und weite Teile Frankreichs
Quelle: Print Collector/Getty Images
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Es war geradezu unverschämtes Glück, das dem dritten Sohn Heinrichs II. von England und Eleonores von Aquitanien seinen unvermuteten Aufstieg verdankte. Weil seine Mutter Herzogin des reichen Aquitanien und geschiedene Ex-Frau des französischen Königs war, konnte sein Vater aus dem Hause Plantagenêt auch seinem Nachgeborenen die Anwartschaft auf ein Fürstentum zusprechen. Vermutlich war es Eleonore, die ihren Mann bewog, ihrem Lieblingssohn Aquitanien zukommen zu lassen.
Richard Löwenherz im "Abbreviatio Chronicorum" (1250-1259)
Quelle: The British Library Board, Cotton MS Claudius D VI, fol. 9v
Doch das reichte Richard nicht. Als seine Brüder Heinrich, der nach dem Tod des Ältesten Wilhelm der nächste Anwärter auf die Krone Englands war, und Gottfried 1173 gegen den Vater rebellierten, schloss sich Richard ihnen an. Zwar schlug der König den Aufstand brutal nieder, aber die Brüder konnten sich am französischen Hof in Sicherheit bringen. Noch besser: Nach dem Tod seiner Brüder erbte er deren Truppen und Verbindungen und konnte schließlich seinen Vater besiegen. 1189 wurde Richard in Westminster zum König gekrönt. Als Herr über England und den ganzen Westen Frankreichs war er urplötzlich zu einem der mächtigsten Herrscher der Christenheit aufgestiegen.
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Anstatt sich aber seinem durch Kriege und Machtkämpfe zerrissenen Königreich zu widmen, beschloss Richard umgehend, seinem einst gegebenen Kreuzzugsgelübde Folge zu leisten. Im Oktober 1187 hatte der kurdischstämmige Sultan von Ägypten, Saladin, Jerusalem erobert und damit den Kreuzfahrern das wichtigste Bollwerk im Orient abgenommen. Der römisch-deutsche Kaiser Friedrich I. Barbarossa und der französische König Philipp II. August hatten daraufhin das Kreuz genommen. Zu den ersten Regierungsmaßnahmen Richards gehörte das Erheben einer Sondersteuer, um den Feldzug zu finanzieren. Dann machte auch er sich 1190 auf den Weg ins Heilige Land.
Geschichte der Kreuzzüge
Seit dem Aufruf Papst Urbans II. von 1095 ziehen christliche Ritter ins Heilige Land. Über 200 Jahre hinweg führen ihre Herrschaften im Orient eine prekäre Existenz. Die letzte Festung fällt 1291.
Quelle: N24
Bei einem Zwischenstopp auf Zypern eroberte er die reiche Insel, die eigentlich Byzanz gehörte, um sie später weiterzuverkaufen, und erschien erst in Palästina, als der Kaiser bereits tot war und Philipp sich vor den Mauern von Akkon festgekämpft hatte. Nach der Eroberung der wichtigen Hafenstadt überwarf sich Richard mit Herzog Leopold V. von Österreich, der nach Barbarossas Tod das deutsche Kontingent führte, indem er dessen Banner in den Festungsgraben werfen ließ. Obwohl der englische König noch einige Siege über Saladins Truppen erringen konnte und damit die Kreuzfahrerherrschaft stabilisierte, sollte der Österreicher die Demütigung nicht vergessen.
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Dass neben Diplomatie auch Menschlichkeit nicht zu seinen herausragenden Eigenschaften zählte, bewies Richard im Umgang mit 3000 muslimischen Geiseln, die bei der Eroberung Akkons in seine Hände gefallen waren. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, ließ er sie kurzerhand niedermetzeln. Immerhin war er hellsichtig genug, um zu erkennen, dass eine Rückeroberung Jerusalems die Kräfte der Kreuzfahrer überstieg. So handelte er einen Vertrag aus, der christlichen Pilgern den Zugang zu den heiligen Stätten eröffnete.
Gefangennahme von Richard Löwenherz auf einer zeitgenössischen Darstellung
Quelle: Wikipedia/Public Domain
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Die nächste Station war im Dezember 1192 der Flecken Erdberg bei Wien. Warum Richard in Verkleidung und nur mit kleinem Gefolge ausgerechnet auf dem Landweg nach England gelangen wollte, ist bis heute nicht geklärt. Der Legende nach verriet ihn ein wertvoller Ring an seinem Finger, während er wie ein schlichter Lakai ein Huhn briet. Leopold lieferte seinen Fang gern an den neuen Kaiser, den Staufer Heinrich VI., gegen die Zusage aus, mit ihm das Lösegeld zu teilen. Das war üppig genug: 100.000 Mark in Silber, stolze 23 Tonnen, rund das doppelte Jahressteueraufkommen Englands.
Bis die exorbitante Summe herausgepresst war, wurde sein König in verschiedenen Burgen interniert. Berichte über die entwürdigende Form der Gefangenschaft gehören ins Reich der Propaganda. Richard durfte einen regelrechten Hofstaat halten und konnte regelmäßig Gesandte aus seinen Ländern empfangen, ja, er konnte weiterhin durch Urkunden und Briefe seine Herrschaftsrechte ausüben. Allerdings wurden die Haftbedingungen hin und wieder verschärft, um den Druck auf England zu erhöhen.
Burg Trifels in der Pfalz, Richards Gefängnis
Quelle: picture alliance / prisma
Nachdem endlich das Lösegeld aufgebracht worden war (das Kaiser Heinrich VI. in die Eroberung Siziliens investierte), kehrte Richard 1194 nach England zurück, um dem Machtstreben seines jüngsten Bruders Johann Ohneland entgegenzutreten. Dann zog er weiter in seine französischen Besitzungen, um seine dortige Stellung gegen die Barone zu sichern, die sich mit seinem ehemaligen Partner und nunmehrigen Todfeind Philipp II. von Frankreich verbündet hatten. Bei einem banalen Handstreich gegen die Burg Châlus-Chabrol in Aquitanien, in der große Schätze vermutet wurden, erlitt Richard 1199 eine Verwundung, die sich als tödlich erwies. „In seinem Tod vernichtete die Ameise den Löwen. O Schmerz, in einem solchen Untergang geht die Welt zugrunde“, jammerte der Chronist und treue Gefolgsmann Roger von Hoveden.
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Wie Richard seine – nach heutigen Maßstäben – extrem sprunghafte und geradezu ruinöse Politik schon seinen Zeitgenossen so verkaufen konnte, dass er bald zur Ikone des Rittertums aufstieg, ist denn auch das Erstaunliche an diesem königlichen Leben. Einen Grund dafür lieferten die Leistungen seines Vorgängers und seines Nachfolgers. Heinrich II. hatte ein strenges, freudloses Regiment geführt und das grassierende Turnierwesen verboten; Johann Ohneland verlor, wie sein Beinamen sagt, als miserabler Feldherr fast den gesamten Festlandsbesitz Englands. Nicht umsonst urteilte ein Zeitgenosse über die Stimmung unter Richards Herrschaft: Die Menschen beklagten sich „nun weniger, da sie mit Skorpionen gestraft werden, als zuvor, wo sein Vater sie mit der Peitsche züchtigte“.
Auch Richards Krieg gegen Sultan Saladin wurde von den Zeitgenossen als ritterliches Duell gesehen
Quelle: UIG via Getty Images
Dagegen konnte sich der leidenschaftliche Turnierkämpfer Richard als edler Ritter stilisieren, wobei ihn die Troubadoure seines Herzogtums Aquitanien von Herzen unterstützten. Auch anglonormannische Chronisten, die ihn auf seinen Feldzügen begleiteten, woben am Bild des „löwenherzigen Prinzen“, der seine Feinde wie tumbe Lämmer erscheinen ließ und damit den adligen Idealen der Zeit weit mehr entsprach als knausrige Erbsenzähler oder nüchterne Realpolitiker.
Von den (erfundenen) Berichten vom singenden König, der auf der Burg Trifels in der Pfalz über sein Schicksal klagt, war es nicht mehr weit zu anderen Sagenkreisen, mit denen Richard bald verknüpft wurde. Zum einen sahen die Zeitgenossen in ihm einen Ritter der Tafelrunde des legendären Königs Artus auferstanden, zum anderen verbanden Nachgeborene den gefangenen Kreuzfahrer mit dem Kämpfer der Entrechteten vom Sherwood Forest, Robin Hood. Obwohl dessen Karriere erst Jahrhunderte später Fahrt aufnahm, wusste die Folklore sie bald mit Versatzstücken aus Richards Leben anzureichern.
Die Grabfigur Richards I. in der Abtei Fontevraud (um 1200)
Quelle: Pressefoto/akg-images/Erich Lessing
Den Rest besorgte der Romantizismus des 19. Jahrhunderts – und natürlich Hollywood, das Richard Löwenherz je nach Laune zur schillernden Heils-, Vater- oder auch Schurkengestalt der Robin-Hood-Saga ausgestaltete.
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Sean Connery alias Richard Löwenherz in dem Film "Robin Hood – König der Diebe" (1991) von Kevin Reynolds