Wer die stille ertragen kann ist niemals allein

Stille wird uns immer fremder. Und wenn es dann um uns herum wirklich mal leise ist, ertragen wir das kaum noch. Warum ist das so? Unsere Autorin schaut sich das mal genauer an, ganz leise natürlich. 

Radio im Auto, Fernseher in der Wohnung, Podcast beim Spazieren gehen, Telefonieren beim Abendessen: Stille ist so selten geworden, dass es uns davor graust, wenn es mal richtig ruhig ist. Schnell muss etwas her, das die Stille durchbricht. 

Panik! Es ist viel zu leise hier.

Während einige von uns gern ihre Ruhe haben, macht es anderen Angst, wenn sie gar keine Geräusche hören. Dabei ist Stille für uns eigentlich sehr wertvoll. Dennoch versuchen wir oft, sie zu vermeiden, lassen den Fernseher nebenbei laufen oder das Radio dauerhaft dudeln. Dabei ist es vor allem in der Stadt kaum noch möglich, überhaupt komplette Stille zu erleben. Seien es die Geräusche der Nachbarn, die Straße vor der Tür, entfernte Baustellen oder einfach das dumpfe Grundrauschen der Großstadt. Kein Wunder, dass viele Menschen plötzliche Stille dann als unangenehm und bedrohlich empfinden. Gleichzeitig ist Dauerbeschallung auch keine Lösung. Zumal das auch mal anders war. Warum also macht uns Stille ein solches Unbehagen und was können wir dagegen tun? 

Drehst du auch lieber auf als ab?

Es gehört mittlerweile schon so sehr in unser Leben, dass wir es kaum noch bemerken: hat man früher den Fernseher angeschaltet, um selbst etwas abzuschalten, läuft heute bei fast jeder Aktivität etwas mit. Netflix beim Trainieren im Fitnessstudio, Musik beim Joggen, Putzen und Kochen oder schnell mal nebenbei Insta-Storys und Co checken. Wir fluten uns selbst mit audiovisuellen Reizen und umgekehrt sind sie durch Smartphones und Tablets stets verfügbar. Und dann noch das Überangebot an Serien, Sendungen und diversen anderen Unterhaltungsformaten, die man irgendwie gucken möchte, weil sie spannend sind, ein ganzer Tag dafür aber gar nicht reicht. Doch auch in anderen Situationen fällt es manchen schwer, Stille  auszuhalten. Statt sich beispielsweise über Belangloses auszulassen, könnte man auch mit Freunden oder Bekannten einfach mal schweigend nebeneinander hergehen, anstatt jede Minute mit Worten zu füllen. Und hierin liegt schon einer der Gründe, warum das Leise für viele von uns soviel unangenehmer ist als das Laute: 

1. Wir sind Ruhe nicht mehr gewohnt

Wir sind selten allein, Ablenkung gibt es en masse. Für Stille muss man sich aktiv entscheiden. Was hingegen über uns kommt, sind Lichter, Bilder, Geräusche, Farben. Wir haben uns selbst dazu erzogen, uns permanent beschäftigt zu halten und uns abzulenken. Statt einfach auf dem Sofa zu sitzen und unserem Atem zu lauschen, muss erst die Wohnung aufgeräumt, noch schnell eine Mail geschrieben und das Hörbuch zu Ende gehört werden. Dabei ist es genau diese Stille, die zur Weiterentwicklung beiträgt. Doch Meditation hat in vielen Kreisen immer noch den Ruf, etwas für Psychos oder Esos zu sein, obwohl die positive Wirkung von 10 Minuten innerer Einkehr am Tag längst bewiesen ist.

2. Stille ist ein Tabu

Man trifft einen entfernten Bekannten im Bus und hat so überhaupt gar keine Lust auf Small Talk – eine Situation, die wohl jede von uns schon einmal erlebt hat. Doch statt das einfach zu sagen und schweigend die Fahrt zu verbringen, fühlen wir uns verpflichtet uns zu unterhalten, selbst dann noch, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat, nur damit diese unangenehme Stille nicht eintritt. Wenn ein Mensch ruhig ist, signalisiert das schließlich gleich, dass er wütend, desinteressiert, traurig oder unaufmerksam ist. Stille ruft nicht selten Gefühle von Einsamkeit und Verlassenheit hervor, dabei ist auch das nur der eine Blickwinkel, den wir haben. Genau betrachtet hat das eine mit dem anderen nämlich nicht allzu viel zu tun. 

3. Wir haben Angst, uns mit uns selbst auseinander zu setzen

Stille, Ruhe und innere Einkehr sind womöglich für einige von uns deshalb so beängstigend, weil man in solchen Momenten mit sich selbst in Kontakt treten muss. Ist das mit negativen Gefühlen verbunden, versuchen wir meist, lieber genau das zu vermeiden. Denn negative Gefühle gehören genauso wenig in unsere Gesellschaft wie gemeinschaftliches Schweigen. Wir streben ständig danach, glücklich und zufrieden zu sein. Was uns aber niemand sagt, ist, dass dieser Zustand nur einen Bruchteil unseres Lebens ausmacht und nicht der Status quo ist. Dafür haben wir viel zu viele Sorgen, zu große Päckchen und zu lange ToDo-Listen, die uns im Alltag ausbremsen. Aber ohne diese ginge das mit dem Glücklich-sein auch nicht so einfach. Schließlich braucht Glück auch immer einen Gegenspieler, damit wir es zu schätzen wissen. Am Ende bedeutet es: Wenn wir mit uns in Kontakt treten, Positives sowie Negatives aushalten und nicht daran verzweifeln, sondern hoffen, werden wir wachsen. Denn in der Stille lernen wir wieder auf unsere eigene Stimme zu hören und die sagt uns dann schon, wo es langgeht.

Sit and just listen...

Im Grunde ist es genau das, was wir tun sollen: Uns Momente der Ruhe gönnen und nur in uns hinein hören. Stille praktizieren bedeutet, sich mit Ängsten und Wünschen zu verbinden, Wunden zu heilen, sich selbst wieder zu entdecken, Stärke gewinnen, zu akzeptieren, loszulassen und zu erkennen, was wir alles schaffen können und schon geschafft haben. Denn wenn alles andere wegbrechen sollte, bleibt uns nur das: unser selbst. Ob wirklich jede von uns das Alleinsein lieben lernen kann, da bin ich mir zwar noch nicht ganz sicher, aber ein Versuch ist es wert. 

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