Wenn nicht mehr zahlen und figuren novalis

Literatur „Schlüssel aller Kreaturen“

Was das meistzitierte Novalis-Gedicht wirklich bedeutet

Veröffentlicht am 01.05.2022 | Lesedauer: 3 Minuten

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„Wenn die, so singen oder küssen, mehr als die Tiefgelehrten wissen“

Quelle: Getty Images

Das populärste Gedicht von Novalis träumt von einem Leben ohne Mathe und exakte Wissenschaften. Es hat die Macht der heutigen „Narrative“ vorausgesehen. Seine Lösung für alles, was sich in dieser Welt verkehrt anfühlt, überrascht.

In einem der berühmtesten Gedichte der deutschen Romantik träumt einer von einer Welt ohne Mathe. Für Millionen Schüler ist das täglich aktuell:

„Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

sind Schlüssel aller Kreaturen,

wenn die, so singen oder küssen,

mehr als die Tiefgelehrten wissen,

wenn sich die Welt ins freie Leben

und in die Welt wird zurückbegeben,

wenn dann sich wieder Licht und Schatten

zu echter Klarheit werden gatten

und man in Märchen und Gedichten

erkennt die wahren Weltgeschichten

dann fliegt vor Einem geheimen Wort

das ganze verkehrte Wesen fort.“

Zwölf Verse hat das Gedicht (das im Romanfragment „Heinrich von Ofterdingen“ zu finden ist) – und keinen Titel. Sein Autor heißt Novalis (zu ihm und seinem seltsamen Namen gleich mehr). „Wenn … dann“: Das ganze Gedicht ist eine Konditionalkonstruktion. Es geht um die Welt, wie sie sein könnte oder sollte. Man hat das Gedicht oft als Absage an die rationale Welt und die exakten Wissenschaften gelesen, und tatsächlich steckt, von heute her gesprochen, ein bisschen Adorno („Dialektik der Aufklärung“) in ihm drin. Kaum hatten die Menschen mit Kant gelernt, sich ihres Verstandes zu bedienen (man nannte es: Aufklärung), begann schon wieder die Gegenaufklärung.

Die wahren Weltgeschichten

Statt tiefer Gelehrsamkeit und blanker Wahrheiten wollen Menschen eben auch ein bisschen Märchen und Geschichten („die wahren Weltgeschichten“), im Modewort „Narrativ“ klingt es heute oft an. Die Romantik glaubte an eine Welt, die jeder sich mit „singen oder küssen“ (also den Musen und Künsten) erträumen darf. Und wenn Novalis am Schluss seines Gedichtes zauberspruchgleich die Sprache der Poesie als Lösung präsentiert („dann fliegt mit EINEM geheimen Wort das ganze verkehrte Wesen fort“), erinnert das wieder an Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ „Das ganze verkehrte Wesen“, das kann so ziemlich alles sein: der Krieg, zu lasche Klimaziele oder auch nur ein falsches Pronomen für Transmenschen. Das Passepartout der Romantik als Lizenz für alles Mögliche, das sich falsch anfühlt.

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Wer aber war Novalis, der am 2. Mai 1772, also vor genau 250 Jahren, geboren wurde – und heute einer der berühmtesten Vertreter der Romantik ist? Er wurde nicht mal 29 Jahre alt, und Dichter war er bis dahin meist nur heimlich. Das Pseudonym Novalis („der das Neuland Bestellende“) gab er sich 1798, als er Freunden seine „Blüthenstaub“-Fragmente präsentierte. Fast alles von ihm wurde posthum veröffentlicht.

Das berühmte Novalis-Porträt, neu interpretiert von Uta Matauschek

Das berühmte Novalis-Porträt, neu interpretiert von Uta Matauschek

Quelle: picture alliance/ZB/Peter Endig

Eigentlich hieß er Friedrich von Hardenberg. Geboren im Mansfelder Land, einer alten Kupfer-Bergbauregion im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte er erst Jura in Jena, Leipzig und Wittenberg und folgte dann dem Beruf des Vaters, der Salineninspektor in Sachsen war, also Solequellen beaufsichtigte, die zur Salzgewinnung ausbeutet wurden.

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Novalis drehte das Geschäft der Salzsiederei eine Stufe weiter, indem er es nicht mehr mit irren Mengen von Brennholz, sondern mit Braunkohle betreiben wollte. Für ein Aufbaustudium ging er an die Bergakademie Freiberg. Dort belegte er, wie man dem Stundenplan bis heute entnehmen kann, Chemie, „Geognosie“ (Geologie) und viermal die Woche „Reine Mathematik“. Also doch ein Mathehasser?

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Was kritisiert Novalis in Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren?

Das von Novalis verfasste Gedicht „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“ erschien im Jahr 1802. Er ist ein bekannter Vertreter der Frühromantik. Das Gedicht kritisiert die Wissenschaft und den Gebrauch des reinen Verstandes.

Was meint Novalis mit Zahlen und Figuren?

Direkt zu Anfang seines Gedichtes findet sich ein Bezug zur Aufklärung: „Wenn nicht Zahlen und Figuren/ Sind Schlüssel aller Kreaturen“ (V. 1 – 2). In diesen Versen kritisiert Novalis das Weltbild der Aufklärung, in dem Rationalität und Wissenschaft („Zahlen und Figuren“) alleinige Wege zum Inneren der Menschen bilden.

Was geschieht Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren gelten?

In dem Gedicht "Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren" von Novalis aus dem Jahr 1800 übt der Autor Kritik an einer Überbewertung der Wissenschaften und des reinen Gebrauchs des Verstandes sowie an einer Unterschätzung der Gefühle und des Irrationalen/Tiefergehenden.

Was ist das geheime Wort Novalis?

Die Ausdrücke geheimes Wort und Zauberwort gehören zu einem Feld von Ausdrücken, die bei Novalis an verschiede- nen Stellen zur Kennzeichnung des geheimnisvollen Charakters höherer Erkenntnis verwen- det werden. Zu diesen Ausdrücken gehören die Wörter Chiffre, Hieroglyphe und Figur.