Wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt dem biete auch die andere Wange dar

Wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt dem biete auch die andere Wange dar
In der Tat, wie blöd (sorry für die Ausdrucksweise, aber sie trifft´s) müsste man sein, würde man einem Angreifer, der einem auf die Backe haut auch noch die andere Wange hinhalten mit der Einladung: „Hier, bitte, hau nochmal zu, ich stehe ganz zu Deiner Verfügung“.

Sind wir uns einig, davon ausgehen zu können, dass Jesus alles andere als blöd war?  Ok.

Und doch soll ich die andere Wange hinhalten! Wie kommt er denn dazu, solch einen Rat zu erteilen?

Dazu ist es notwendig, ein wenig die Zeit Jesu zu beleuchten mit ihren Gepflogenheiten. Zudem lohnt es sich, diese Bibelstelle mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Matthäus hat diese Begebenheit im 5. Kapitel seiner Frohbotschafts-Geschichte  im 39. Vers nacherzählt: … „wenn Dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin“ (Anm.: also, die linke, daher auch der Name und Programm dieses Blogs; aber das wirst Du Dir wohl schon gedacht haben).

Also doch bescheuert?

Doch nicht so blöd, das mit „die andere Wange hinhalten“…?

Nein, eben nicht, im Gegenteil, raffiniert, kreativ, mutig und vor allem, die Möglichkeit, die Gewalt zu durchbrechen.

Es ist explizit  von der „rechten“ Wange die Rede. Historikern ist bekannt, dass es in der damaligen Zeit streng verboten war, mit der linken Hand andere als unsaubere Arbeiten zu verrichten. Unter dieses Verbot fiel z.B. schon das Aufzeigen mit der linken Hand in einer Versammlung, geschweige denn Körperberührung oder Schlagen. Also, wenn schon Ohrfeigen, dann bitteschön mit der rechten Hand.

Jemand der mit der rechten Hand jemand anderem eine Klatsche gibt, wird sich dafür aber immer die linke Wange aussuchen (müssen). Es sei denn, er beabsichtigt nicht einen Schlag mit der Handfläche, sondern mit dem Handrücken. In diesem Falle bleibt nur die rechte Wange.

Klar soweit?  Ich hoffe doch…

Nun war es so, dass das Schlagen mit dem Handrücken eine zutiefst beleidigende Geste war, die nur von einem Herrn gegenüber seinem Diener, Schuldner, Leibeigenen etc. vorgenommen werden durfte. Jemand. der mit dem Handrücken schlug, wollte also nicht in erster Linie (körperlich) verletzen, sondern demütigen und beleidigen.

Schlussendlich ist es also so, dass derjenige, der den Anderen auf die rechte Wange schlug, diesen herabsetzen wollte.

Uff, Jesus ist schon zu beneiden, dass er einen so komplizierten Sachverhalt in so kurze Sätze packen konnte.

Also, weiter.

Was bedeutet es nun, die andere Wange, sprich die linke, hin zu halten? Doch wohl ein ganz klares „Nein, so nicht!  Ich bin genauso viel wert wie Du und wenn Du mich schon schlagen willst, dann betrachte mich wenigstens als gleich gestellt!“

Es gab damals wohl kaum einen Herren, der diese Gleichwertigkeit akzeptiert hätte, sich in seinen Augen auf die Ebene des „Niedrigeren“ herabgelassen hätte. Also musste er notgedrungen auf den zweiten Schlag verzichten.
Zu allem Überfluss war er ziemlich blamiert und wird sich überlegt haben, ob er ein nächstes Mal erneut Lust hat, seinen Diener zu schlagen.
Und schließlich wird ihn diese Begebenheit derart beeindrucken, dass er vielleicht ins Nachdenken kommt darüber, ob es richtig ist, jemand anderes zu schlagen und zu demütigen.

(Den damaligen Zuhörern Jesu auf den Hügeln beim See Genezareth, also wohl in der Mehrzahl Bauern, Handwerker und Leute „niederen“ Standes, dürften diese Zusammenhänge sofort klar gewesen sein, und man kann sich das humorvolle Lachen vorstellen, das diese Empfehlung Jesu bei ihnen hervorgerufen hat.)

Aus der Sicht des Menschen mit den zwei zu schlagenden Wangen ergeben sich folgende Konsequenzen:
Er hat seine Würde gezeigt und gewahrt, er hat kreativ und gewaltlos die Ebene der Gewalt verlassen und damit die Spirale der Gewalt durchbrochen. (Natürlich musste er damit rechen, dass er für diese Frechheit anderweitig bestraft wird; niemand sagt, dass gewaltloser Widerstand immer ein Zuckerschlecken und schmerzfrei ist; aber er ist die einzige Chance auf Frieden).
Er hat dem Angreifer deutlich gemacht, dass er mit der gewaltsamen Handlungsweise nicht einverstanden ist.

Was passiert, wenn ich mich nackt ausziehe…?

In die gleiche Richtung gehen die gleich darauf folgenden weiteren Ratschläge Jesu: „Wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dem lass auch den Umhang“. (Interessant ist hier, dass bei Lukas die umgekehrte Garderobenfolge beschrieben wird: „dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd“, Lk, 6,29; dies erscheint im Sinne des Anliegens Jesu logischer und entspricht auch dem Brauch der Juden, das Obergewand als Pfand zu nehmen).
„Und wenn Dich jemand zwingt, eine Meile mitzugehen, mit dem geh zwei“.

Beide nicht weniger gewitzt und kreativ, ja mit einem gewissen Humor.

Auch hier lassen sich diese Empfehlungen nur richtig deuten in Kenntnis der damaligen Situation: Es war üblich, dass ein Gläubiger von einem Schuldner, der seine Schulden nicht bezahlen konnte, solange dessen Obergewand als Pfand nehmen konnte, bis die Schulden beglichen waren. So weit, so gut.
Viele Landherren trieben damals die Bauern ganz bewusst in die Schuldensituation, wobei sie sich eines äußerst ungerechten Systems bedienen konnten.

Gegen diese Ungerechtigkeit vorzugehen, ruft Jesus auf. Und zwar, indem er dazu auffordert, demjenigen, der (zwar legal aber sich eben eines ungerechten Gesetztes bedienend) von einem das Obergewand verlangt, auch noch das Untergewand zu geben. Die unweigerliche Folge davon: Der Schuldner steht splitterfasernackig da.

Damals war Nacktheit eine große Schande. Allerdings nicht für den Nackten, sondern für denjenigen, der diese Nacktheit veranlasst hat. Wieder war also derjenige blamiert, der eine ungerechte Gesetzgebung zu seinem Vorteil ausnutzen wollte. Und erneut wird er sich gut überlegen, ob er sich ein weiteres Mal in eine solche Situation begibt.

Hörst Du die Zuhörer auf den Hügeln lachen?

Mehr ist manchmal zu viel des Guten…

Und schließlich das mit der Meile. Es war Brauch bei den römischen Legionären und gesetzlich geregelt, dass sie Zivilisten zwingen konnten, eine Meile mit ihnen zu gehen und ihr Gepäck zu tragen. Bei der „Zuneigung“ die die Juden den römischen Besatzern entgegenbrachten, kann man sich vorstellen, mit welcher Begeisterung sie dieser Aufforderung Folge leisteten.

Allerdings war es auch so, das es dem Soldaten lediglich erlaubt war, 1 Meile zu fordern, keine Elle mehr (oder wie auch immer die Längenangabe damals hieß). Musste der Zivilist eine größere Strecke tragen, wurde der Legionär dafür von seinem Zenturio bestraft.

Man stelle sich nun vor, wie es dem Soldaten zumute war, wenn er nach 0,99 Meilen wieder sein Gepäck übernehmen wollte und der Träger lapidar sagte: „Ach nee, ich trag Dein Gepäck noch ´ne Meile“?

Ob der Römer den Juden auf Knien angefleht hat, ihm wieder sein Gepäck zu überlassen?

Kein Täter, kein Opfer… gibt´s da noch was?

An all diesen Beispielen wird deutlich, was Jesus wollte: das alte „Auge um Auge“ überwinden, auf Gewalt anders antworten als mit Gewalt, die Spirale der Gewalt durchbrechen und gleichzeitig die Würde des Menschen deutlich machen.

Aufhören, in die Unterdrückung der Herrschenden einzuwilligen, aber auch, gewaltlos darauf zu reagieren.

Einen dritten Weg zu suchen, der weder Unterwerfung noch Angriff ist, weder Kampf noch Flucht. Einen Weg, der die Menschenwürde sichert.

Der berühmte Perspektivenwechsel!

Genial, oder?

Gandhi sagt dazu:

                            Das erste Prinzp gewaltfreien Handelns besteht darin,
jegliche Kooperation mit der Erniedrigung zu verweigern.

Auf diesem Hintergrund wird auch klar, dass die einleitende Aussage Jesu „Leistet dem, der Euch etwas Böses antut, keinen Widerstand“ nicht korrekt übersetzt bzw. interpretiert sein kann.
Das griechische Wort „antistenai“ für widerstehen, wurde in der biblischen Tradition eindeutig gebraucht für „mit Gewalt widerstehen, kämpfend standhalten“. Somit wäre die richtige und stimmige Interpretation: „tretet dem, der euch Böses antut, nicht gewaltsam gegenüber“ (in einigen englischen Texten ist es so auch explizit übersetzt).

Aber!!! Tritt ihm gegenüber! Gib Deine Würde nicht auf.

Liebe dich selbst“ UND „Liebe deinen Nächsten“ sind untrennbar miteinander verbunden. Das Eine geht nicht ohne das Andere (behaupte ich jetzt mal und bin überzeugt davon).

Und wenn der Nächste mein Feind ist (scheinbar zumindest), dann geht Jesus noch einen unerhörten Schritt weiter: „Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen“ (Mt, 5,44).

Siegen oder Gewinnen? Das ist hier die Frage

Was haben obige Handlungsanleitungen mit Liebe zum Nächsten, in diesem Fall einem Feind zu tun?

Wie immer: Auf die innere Haltung kommt es an.

Wenn diese nur darauf aus ist,es dem Anderen heimzuzahlen, ihn zu besiegen, nach dem Motto: „Ha, dem hab ich´s aber gezeigt“, dann wohl eher wenig.

Allerdings dann, wenn sie geprägt ist, von dem Wunsch, Gewalt zu vermindern, die „ungerechte“ Tat (nicht den Täter!) zu entlarven, dem gewaltsamen Herrschaftssystem die Maske zu entreißen und damit dem Anderen zu ermöglichen, diese gewaltsame Ungerechtigkeit zu korrigieren, seine Menschlichkeit zu zeigen.

Eine Win-Win Situation.

Die meisten Angreifer haben eine bestimmte Erwartung an die Reaktion des Opfers. Reagiert dieses mit Angst, Wut, Gewalt oder Panik, dann ist es das, womit er rechnet, ja, was er zu brauchen scheint. Er fühlt sich in seinem Hang zur Grausamkeit bestärkt.

Gelingt es dagegen, eine Verwunderung zu provozieren, kann dies die Feindschaft auflösen.
Es scheint nämlich für die menschliche Psyche sehr schwierig, sich gleichzeitig zu wundern und Grausamkeit aufrecht zu erhalten.

Erprobte Gewaltfreiheit

Wie das in unserer Zeit aussehen kann, die andere Wange hinzuhalten, zeigen die Geschichten zweier wahrer Begebenheiten:

Angie O´Gorman beschreibt in ihrem Buch The Universe Bends Toward Justice wie sie eines Nachts  geweckt wurde von einem Mann, der die Tür zu ihrem Schlafzimmer aufstieß. Sie war allein zuhause:

„Er hat mich, schon während er sich meinem Bett näherte, verbal angegriffen…Als ich da lag und eine noch nie erlebte Furcht und Verletzlichkeit spürte, gingen mir mehrere Gedanken durch den Kopf. Der erste war, Schreien ist sinnlos… Der dritte Gedanke hat mir, glaube ich, das Leben gerettet. Ich erkannte mit einer gewissen Klarheit, dass entweder er und ich aus dieser Situation wohlbehalten herauskommen werden, oder dass wir beide Schaden nehmen würden. Seine und meine Sicherheit waren verbunden. Wenn er mich vergewaltigte, würde aber auch er verletzt sein. Wenn er ins Gefängnis käme, wäre sein Schaden noch größer. Dieser Gedanke hat mich entwaffnet. Er befreite mich von meinem eigenen Wunsch, loszuschlagen, und von der eigenen Lähmung. Er befreite mich nicht vom Gefühl der Furcht, aber die Furcht hörte auf, meine Reaktionsfähigkeit zu bestimmen. Ich stellte fest, dass ich aus der Sorge um unserer beider Sicherheit mit einer gewissen Festigkeit, aber mit erstaunlich wenig Feindseligkeit in der Stimme antworten konnte.
Ich fragte ihn, wieviel Uhr es sei. Er antwortete. Das war ein gutes Zeichen. Ich bemerkte, dass seine Uhr und die auf meinem Nachttisch unterschiedliche Zeiten angaben. Seine zeigte 2:30, meine 2:45. Ich hatte meine vor kurzem gestellt. Ich hoffte, seine Uhr sei nicht kaputt. Wann hätte er sie denn zuletzt gestellt?
Er antwortete, ich antwortete. Die Zeit schien endlos. Als die Atmosphäre sich etwas beruhigt hatte, fragte ich ihn, wie er ins Haus gekommen sei. Er hatte die Scheibe in der Hintertür zerschlagen. Ich sagte ihm, dies stelle mich vor ein Problem, da ich kein Geld für einen neue Scheibe hätte. Er redetet eine Weile über seine eigenen finanziellen Problem. Wir redeten, bis wir nicht mehr Fremde waren und ich glaubte, ich könne ihn nun bitten zu gehen. Er wollte nicht gehen; er meinte, er hätte keinen Ort, an den er gehen könne. Im Bewusstsein, dass mir die Kraft fehlte, ihn zum Gehen zu zwingen, sagte ich ihm entschlossen, aber respektvoll, von gleich zu gleich, dass ich ihm saubere Bettwäsche geben würde, er müsse aber unten sein eigenes Bett machen. Er ging hinunter, und ich verbrachte den Rest der Nacht damit, hellwach und zitternd im Bett zu sitzen. Am nächsten Morgen frühstückten wir zusammen und er ging. „

O´Gorman hatte den Einbrecher als Mensch behandelt und das hat ihn völlig unvorbereitet getroffen und aus der (schiefen) Bahn geworfen. Das Gespräch hat seine Gewaltbereitschaft entschärft. Mrs. O´Gorman hatte in vielen kleineren Situationen vorher Gewaltfreiheit eingeübt und daher war es ihr möglich, so zu handeln.

Dorothy Samuel eine Praktikerin der Gewaltfreiheit, erzählt von einer Frau, die auf einer menschenleeren Starße mit schweren Taschen beladen vom Supermarkt nach Hause ging.

Sie bemerkte, dass sich ihr von hinten Schritte näherten, dass sie verfolgt wurde. Daraufhin drehte sie sich plötzlich um, lächelte den näherkommenden Fremden an und meinte zu ihm: „Gott sei Dank, dass sie erschienen sind! Mir ist es furchtbar unangenehm, allein auf dieser Straße zu laufen und meine Taschen sind schrecklich schwer.“
Der Mann hat sie sicher nach Hause begleitet.

Genau das ist also gemeint mit „die andere Wange hinhalten“!.

Tatsächlich alles andere als blöd.

Was meinst Du dazu, welche Gedanken und Bilder kommen Dir beim Lesen dieses Artikels? Hast Du Ähnliches schon erlebt? Hast Du ähnlich kreative Ideen, wie man Gewalt gewaltlos begegnen kann? Schreib es in einem Kommentar unten oder mir in einer Mail. Ich bin gespannt auf den Austausch.

Der Beitrag ist angelehnt an das Buch von Walter Wink; Verwandlung der Mächte, eine Theologie der Gewaltfreiheit, und inspiriert durch die Bücher Was Jesus wirklich gesagt hat von Franz Alt und Sei nicht nett, sei echt von Kelly Bryson.

Wer euch auf die rechte Wange schlägt dem haltet auch die andere hin?

Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel.

Wie lautet die Bergpredigt?

1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Him- melreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sol- len getröstet werden.