Was tun bei Kindern mit Zwangsstörung?

Wenn Kinder oder Jugendliche Zwangserkrankungen entwickeln, kann das für sie äußerst belastend und quälend sein - auch weil sie die zwanghaften Handlungen häufig kaum deuten oder einschätzen können.

Kinder greifen im Verlauf ihrer Entwicklung phasenweise auf abergläubisches Verhalten oder Rituale zurück. Solche Entwicklungsrituale können zunächst als Teil einer normalen Entwicklung betrachtet werden – insbesondere, wenn sie im Rahmen von Veränderungen auftreten, wie dem Wechsel vom Kindergarten in die Schule oder einem Umzug. Nehmen scheinbar sinnlose Rituale oder Spiele jedoch einen großen Raum ein und betroffene Kinder zeigen zusätzliche Verhaltensauffälligkeiten, kann hinter diesem Verhalten eine Zwangsstörung stecken. „Rituale und gewohntes Verhalten werden von Kindern oft eingesetzt, um Struktur und Sicherheit zu empfinden. Bei vielen augenscheinlich zwanghafte Verhaltensweisen handelt es sich um harmlose Spiele oder auch Marotten, die mit der Zeit wieder von alleine verschwinden“, berichtet Dr. Ingo Spitczok von Brisinski vom Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (BKJPP). „Problematisch ist es jedoch, wenn die betroffenen Kinder insgesamt einen bedrückten Eindruck machen, sich zurückziehen, stundenlang scheinbar unsinnige Handlungen vornehmen und kaum mehr zugänglich sind. Eltern sollten dann einen Kinder- und Jugendpsychiater zur Rate ziehen.“ Häufige Zwangssymptome sind Wasch- und Putzzwänge sowie Kontroll-, Ordnungs- oder auch Zählzwänge. Die Kinder wiederholen dabei ständig die gleichen Handlungen, kontrollieren z. B. Fenster und Türen, zählen bestimmte Gegenständen immer wieder oder stehen sehr lange unter der Dusche. Dabei achten die Kinder meist hartnäckig auf eine exakte Durchführung der Zwangsrituale.

Ängste und Befürchtungen oft im Hintergrund vorhanden

Ein Teil der Kinder mit Zwangsstörungen leidet unter Zwangsgedanken. Diese drehen sich z. B. um die Sorge vor Verunreinigung und Verseuchung oder Ängsten vor eigenen und fremden Verletzungen. Auch aggressive Gedanken können auftreten – etwa sich oder Andere zu verletzen. Solche Inhalte können sehr belastend sein und starke Emotionen wie Angst oder Ekel hervorrufen. „Zwangshandlungen werden von den Kindern meist dazu eingesetzt, unangenehme Gefühle wieder zu beseitigen und akute Angstzustände zu unterbinden. Manche Betroffenen versuchen durch ihre Handlungen den gefürchteten Ereignissen vorzubeugen oder diese damit zu neutralisieren“, erläutert Kinder- und Jugendpsychiater. „Die Kinder empfinden ihr zwanghaftes Verhalten oftmals selbst als unsinnig, übertrieben und quälend. Viele schämen sich dafür, sie sind gleichzeitig jedoch nicht von sich aus in der Lage, ihre Zwänge abzulegen. Kleineren Kindern fehlt hingegen manchmal noch das Gefühl, was normal ist und was nicht – ihr Problembewusstsein ist noch nicht so ausgeprägt.“ Zwangsstörungen treten bei Kindern häufig im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren auf – seltener ist ein früher Beginn möglich.

Rechtzeitige Behandlung beugt Chronifizierung vor

Bleibt eine Therapie aus, kann die Störung bis in das Erwachsenenalter fortbestehen. Eltern sollten also nicht zögern, professionelle Hilfe zu suchen. Zwangsstörungen können gut mit psychotherapeutischen Maßnahmen und gegebenenfalls auch mit Medikamenten behandelt werden. „Eine Verhaltenstherapie kann sehr hilfreich sein, bei der die Kinder unter therapeutischer Begleitung Situationen ausgesetzt werden, die sie normalerweise vermeiden würden, weil dabei ihre Zwänge auftreten. Die Patienten erleben so, dass die befürchteten Konsequenzen wie Krankheit oder andere Katastrophen gar nicht eintreten – auch wenn sie das zwanghafte Ritual nicht ausführen“, erklärt Dr. Spitczok von Brisinski. „Im Vorfeld machen die Therapeuten den Kindern Mut, helfen dabei die Anspannung in der Situation zu entschärfen und loben die Kinder anschließend, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken.“ Für einen dauerhaften Erfolg ist es dann wichtig, dass diese Exposition auch selbsttätig im häuslichen Umfeld fortgeführt wird. Die Gedanken, Wahrnehmungen und Befürchtungen spielen bei der Entwicklung von Zwangsgedanken eine große Rolle. Die Kinder oder Jugendlichen müssen lernen, diese Prozesse besser zu steuern und auch, dass sie diese umgestalten können.

Zwangsstörungen sind durch wiederkehrende unerwünschte, aufdringliche Zweifel, Vorstellungen und Impulse (Zwangsvorstellungen) sowie durch den Drang, diesen Impulsen zu folgen (Zwangshandlungen), gekennzeichnet, um die Angst durch diese Obsessionen abzuschwächen. Diese Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen können zu einer großen Belastung werden und die Schule und das Sozialleben beeinträchtigen.

  • Zwangsvorstellungen beinhalten häufig die Sorge oder Angst, dass man selbst oder geliebte Menschen verletzt werden könnten (zum Beispiel durch eine Krankheit, Vergiftung oder Tod).

  • Zwangshandlungen sind ein überzogenes, wiederholtes, zielgerichtetes Verhalten, das Kinder zeigen müssen, um ihre Zweifel in den Griff zu bekommen (zum Beispiel durch wiederholtes Überprüfen, ob eine Tür abgeschlossen ist). Sie haben das Gefühl, damit verhindern zu können, dass etwas Schlimmes geschieht, oder versuchen, ihre Angst durch ihre Obsessionen abzuschwächen.

  • Als Behandlung wird meist auf Verhaltenstherapie Psychotherapie Bei der Behandlung psychischer Störungen wurden außerordentliche Fortschritte gemacht. Als Ergebnis können jetzt viele psychische Gesundheitsstörungen fast so erfolgreich behandelt werden wie... Erfahren Sie mehr und Medikamente Medikamentöse Behandlung Bei der Behandlung psychischer Störungen wurden außerordentliche Fortschritte gemacht. Als Ergebnis können jetzt viele psychische Gesundheitsstörungen fast so erfolgreich behandelt werden wie... Erfahren Sie mehr zurückgegriffen.

(Siehe auch Übersicht über Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen Übersicht zu Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen Angststörungen zeichnen sich durch Angst, Sorge oder Furcht aus, die die Lebensführung erheblich beeinträchtigen und nicht im Verhältnis zu den Umständen stehen. Es gibt viele verschiedene Arten... Erfahren Sie mehr und Zwangsstörung Zwangsstörung (Obsessive-Compulsive Disorder, OCD) Zwangsstörungen sind durch Zwangsvorstellungen, Zwangshandlungen oder beides gekennzeichnet. Zwangsvorstellungen sind wiederkehrende, anhaltende, unerwünschte, beängstigende, aufdringliche Ideen... Erfahren Sie mehr bei Erwachsenen.)

Im Durchschnitt setzt eine Zwangsstörung etwa im Alter von 19 bis 20 Jahren ein, ungefähr 25 Prozent der Fälle beginnen allerdings bereits, bevor ein Kind 14 Jahre alt wird. Die Störung klingt häufig im Erwachsenenalter ab.

Zur Zwangsstörung zählen viele verwandte Erkrankungen, wie:

  • Körperdysmorphe Störung Körperdysmorphe Störung Eine körperdysmorphe Störung liegt vor, wenn die übermäßige Konzentration auf einen oder mehrere eingebildete oder leichte Defekte im Erscheinungsbild einen erheblichen Leidensdruck verursacht... Erfahren Sie mehr : Das Kind entwickelt die Überzeugung, einen äußerlichen Defekt zu haben, wie etwa eine zu große Nase oder übergroße Ohren, oder eine gestörte Wahrnehmung von geringfügigen Auffälligkeiten wie etwa einer Warze.

  • Horten Messie-Syndrom Personen mit Messie-Syndrom fällt es dauerhaft so schwer, sich von Dingen zu trennen oder sie zu entsorgen, dass sich die Gegenstände ansammeln und den Wohnraum so sehr zustellen, dass er nicht... Erfahren Sie mehr : Kinder haben ein starkes Verlangen Dinge aufzuheben, ungeachtet deren Wertes, und können sich nicht von den Sachen trennen.

  • Trichotillomanie (Haarerupfen Haareausreißen (Trichotillomanie) Bei der Trichotillomanie reißen sich die Betroffenen wiederholt die eigenen Haare aus, was zu Haarverlust führt. Menschen mit Trichotillomanie können sich angespannt oder ängstlich fühlen, kurz... Erfahren Sie mehr

    Was tun bei Kindern mit Zwangsstörung?
    )

  • Dermatillomanie Skin Picking Disorder (Exkoriationsstörung) Bei der Skin Picking Disorder (Exkoriationsstörung) zupfen die Betroffenen wiederholt an ihrer Haut herum und verletzen sie damit. Das Skin Picking geht aber möglicherweise ein Gefühl der Anspannung... Erfahren Sie mehr

Einige Kinder, insbesondere Jungen, haben auch eine Tic-Störung Tourette-Syndrom und andere Tic-Störungen bei Kindern und Jugendlichen Tics sind rasche, ziellose, wiederholte, aber unrhythmische unwillkürliche Bewegungen (Muskel- oder motorische Tics) oder unwillkürliche, plötzliche, häufig wiederholte Geräusche und/oder Worte... Erfahren Sie mehr .

Man geht davon aus, dass Gene und Umweltfaktoren eine Zwangsstörung verursachen. Zur Bestimmung der Gene werden Studien durchgeführt.

Es bestehen Nachweise, dass bei manchen plötzlich eintretenden (über Nacht) Fällen von OCD Infektionen beteiligt sind. Wenn Streptokokken beteiligt sind, wird die Störung als „Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorder Associated with Streptococcus (PANDAS)“ bezeichnet. Bei anderen Infektionen (wie mit Mycoplasma pneumoniae) wird die Erkrankung „Pediatric Acute-onset Neuropsychiatric Syndrome (PANS)“ genannt. Forscher untersuchen weiter die Verbindung zwischen Infektionen und OCD.

Symptome

In der Regel zeigen sich die Symptome einer Zwangsstörung (Obsessive-Compulsive Disorder, OCD) nur allmählich, und die meisten Kinder können ihre Symptome anfangs noch verbergen.

Solche Kinder sind zumeist von der Sorge oder der Angst besessen, verletzt zu werden, wie etwa sich mit einer tödlichen Krankheit zu infizieren oder sich oder andere zu verletzen. Sie fühlen sich genötigt, ihre Sorgen und Ängste durch bestimmte Handlungen auszugleichen oder zu neutralisieren. Folgende Zwänge können zum Beispiel immer wieder vorkommen:

  • Überprüfen, ob der Wecker ausgeschaltet oder eine Tür verschlossen ist

  • Übermäßiges Händewaschen, was zu rauen und rissigen Händen führt

  • Zählen von Gegenständen (zum Beispiel Treppenstufen)

  • Wiederholtes Setzen und Aufstehen von einem Stuhl

  • Fortwährendes Reinigen und Ordnen bestimmter Gegenstände

  • Übermäßiges Korrigieren der Hausaufgaben

  • Essen eine bestimmte Anzahl von Malen kauen

  • Vermeiden, bestimmte Dinge zu berühren

  • Das Bedürfnis, beschwichtigt zu werden, oftmals Dutzend oder sogar Hundert Male am Tag

Manche Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen haben eine logische Verbindung. Zum Beispiel waschen Kinder, die besessen darauf sind, nicht krank zu werden, sehr häufig ihre Hände. Andere hingegen stehen in keinem Zusammenhang, wie etwa Kinder, die immer wieder bis 50 zählen, um zu verhindern, dass die Großeltern einen Herzinfarkt erleiden. Wenn sie den Zwangshandlungen nicht folgen oder davon abgehalten werden, leiden die Kinder unter extremer Angst und Besorgnis.

Vielen Kindern ist bewusst, dass ihre Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen nicht normal sind. Sie schämen sich dafür und versuchen häufig, sie zu verbergen. Einige Kinder sind jedoch davon überzeugt, dass ihre Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen begründet sind.

OCD legt sich bei ungefähr 5 Prozent der Kinder nach ein paar Jahren von selbst und im frühen Erwachsenenalter bei ungefähr 40 Prozent der Betroffenen. Beim Rest der Betroffenen ist die Störung chronisch, aber mit fortlaufender Behandlung können die meisten Kinder normal leben. Ungefähr 5 Prozent der Kinder zeigen kein Ansprechen auf die Behandlung und leiden weiter unter starken Einschränkungen.

Diagnose

  • Symptome

Ärzte gründen ihre Diagnose von OCD auf den Symptomen. Bevor ein Kind mit einer Zwangsstörung einem Arzt soweit vertraut, dass es über seine Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen spricht, können viele Arztbesuche erforderlich sein.

Für die Diagnose einer Zwangsstörung müssen die Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen das Kind stark belasten und die Lebensweise des Kindes beeinträchtigen.

Bei Verdacht auf eine auslösende Infektion (wie PANDAS oder PANS) wird normalerweise ein Spezialist für diese Störungen hinzugezogen.

Die Zwangsstörung (Obsessive-Compulsive Disorder, OCD) muss vor allem sorgfältig von anderen Störungen, wie einer Psychose im Frühstadium, Autismusspektrumstörungen und komplexen Tic-Störungen unterschieden werden.

Behandlung

  • Kognitive Verhaltenstherapie

  • Manchmal Arzneimittel

Bei stark motivierten Kindern kann, falls verfügbar, eine kognitive Verhaltenstherapie ausreichen.

Bei Bedarf ist für OCD normalerweise eine Kombination aus einer Verhaltenstherapie und einem Antidepressivum namens selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (Selective serotonin reuptake inhibitors, SSRI) Agomelatin, eine neue Art von Antidepressivum, kann zur Behandlung von schweren depressiven Phasen eingesetzt werden. Verschiedene Arten von Medikamenten können zur Behandlung von Depressionen... Erfahren Sie mehr (SSRI) wirksam. Dadurch können die meisten Kinder normal leben. Wenn die SSRI nicht wirken, kann ein anderes Antidepressivum namens Clomipramin verschrieben werden. Allerdings kann dieses schwere Nebenwirkungen haben. Es gibt weitere Optionen, wenn diese nicht wirken.

Wenn die Behandlung nicht wirkt, müssen die Kinder bisweilen stationär in einer Einrichtung zur intensiven Verhaltenstherapie und Einstellung der Medikamente behandelt werden.

Liegt eine Streptokokkeninfektion (PANDAS) oder eine andere Infektion (PANS) vor, werden im Normalfall Antibiotika verordnet. Bei Bedarf kommt kognitive Verhaltenstherapie und die medikamentöse Behandlung für OCD zur Anwendung.

Warum hat Kind Zwänge?

„Zwangshandlungen werden von den Kindern meist dazu eingesetzt, unangenehme Gefühle wieder zu beseitigen und akute Angstzustände zu unterbinden. Manche Betroffenen versuchen durch ihre Handlungen den gefürchteten Ereignissen vorzubeugen oder diese damit zu neutralisieren“, erläutert Kinder- und Jugendpsychiater.

Was verschlimmert Zwänge?

Zu wenig Schlaf macht bekanntlich müde – doch nicht nur das: Ungünstige Schlafgewohnheiten wirken sich sogar auf die psychische Gesundheit aus.

Was kann man gegen Zwangsstörung machen?

Zwangsstörungen werden vor allem verhaltenstherapeutisch behandelt, genauer gesagt mit einer kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Sie wird in Deutschland von darin ausgebildeten Psychotherapeutinnen und -therapeuten angeboten und kombiniert Teile von kognitiver Therapie und Verhaltenstherapie.

Können Zwangsstörungen einfach so verschwinden?

Eine Zwangsstörung ist meist eine chronische Erkrankung, die nicht von alleine wieder verschwindet. Aus diesem Grund ist eine gezielte und auf den Patienten individuell abgestimmte Behandlung wichtig. Glücklicherweise gibt es inzwischen gute Therapiemöglichkeiten.