Der Begriff der Nation wird meist synonym mit Staat oder Volk verwendet. Die Idee zielt auf einen entsprechenden Staat, der einer Gesellschaft einen spezifischen Ordnungsrahmen gibt. Durch Erfahrungen eines aggressiven Nationalismus einerseits, durch jüngere Globalisierungserfahrungen andererseits stehen Probleme wie Potenziale des
Begriffs der Nation zur Diskussion. Die Frage nach der staatsbürgerlichen Zugehörigkeit zu einer Nation tritt dabei immer wieder auf. Basisinformationen Die Idee der Nation setzte sich in Europa während des 19. Jahrhunderts durch. Der Begriff geht von einer affektiv
aufgeladenen, kollektiven Identität aus. Sie legt sich auf ethnische, kulturelle, geschichtliche oder sprachliche Gemeinsamkeiten einer Gesellschaft fest, womit die gleichzeitige Abgrenzung divergierender Merkmale verbunden ist. Dies zeigt sich bei der Schaffung und Ausgestaltung eines Nationalstaats, in dem sich die Idee der Nation konkretisiert und eine bestimmte Gesellschaft prägt. Meist wird mit dem Staat die spezifische Ordnungsmacht im Gegenüber zur Gesellschaft als allgemeiner
Bürgerschaft verstanden. Als konstante Problemstellung für einen Nationalstaat ergibt sich die Frage nach der staatsbürgerlichen Zugehörigkeit. Hierbei lassen sich die beiden Traditionen des Bluts- sowie des Landrechts (ius sanguinis / ius soli) ausmachen. Demzufolge wird die politische Zugehörigkeit von nationalstaatlicher Seite entweder über die Abstammung oder über den Geburtsort erteilt. Allerdings sind in Geschichte und Gegenwart meist Mischformen beider Traditionen zu
beobachten, die sich in wechselnden historischen Konstellationen ändern. Der Begriff Nation leitet sich vom Lateinischen nasci (dt.: "geboren werden") ab. Tacitus benannte mit natio eine Abstammungsgemeinschaft (vgl. Tacitus 1968). Der Begriff wurde vielfach synonym mit dem Griechischen ἔθνος (éthnos), aber auch mit dem Lateinischen gens verwendet (dt.: "Volk, Volksstamm"). In Abgrenzung zu den nationes, die "unzivilisierte Völker" meinten, wurde mit populus Romanus das Staatsvolk der
römischen Republik und damit die Gesamtheit der römischen Bürgerschaft erfasst. Entsprechend unterscheidet die Vulgata auch begrifflich zwischen nationesoder gentes (altgriechisch: ἔθνοι [éthnoi]) als Heiden und populus (altgriechisch: λαὸς [laòs]) als dem Gottesvolk (vgl. Gal 1,16; 1. Kor 10,7). Die Unterscheidung korrespondiert sowohl dem lateinischen als auch dem hebräischen Sprachgebrauch. Im Alten Testament wird vielfach zwischen עַם ‘am
(dt.: "Volk"), das in entsprechender Constructus-Verbindung Gottesvolk bedeutet, gegenüber גּוֹי gôj (dt.: "Fremdvolk", meist im Plural: "Fremdvölker") unterschieden. Die jeweiligen Verwendungen von Singular und Plural bringen in diesem Zusammenhang auch die Gegenüberstellung von Monotheismus und Polytheismus zum Ausdruck. Im Zuge der Bildung neuzeitlicher nationaler Identitäten fanden sich vielfach Bezüge zu dieser Vorstellung. Dies verband etwa in Großbritannien oder den USA das
spezifische Nationsverständnis mit dem alttestamentlichen Erwählungsgedanken. Der Historiker Friedrich Meinecke griff in wirkmächtiger Weise auf die Unterscheidung zwischen Staatsnation und Kulturnation zurück: "Man wird, trotz aller sogleich zu machenden Vorbehalte, die Nationen einteilen
können in Kulturnationen und Staatsnationen, in solche, die vorzugsweise auf einem irgendwelchen gemeinsam erlebten Kulturbesitz beruhen, und solche, die vorzugsweise auf der vereinigenden Kraft einer gemeinsamen politischen Geschichte und Verfassung beruhen. Gemeinsprache, gemeinsame Literatur und gemeinsame Religion sind die wichtigsten und wirksamsten Kulturgüter, die eine Kulturnation schaffen und zusammenhalten." (Meinecke 1908 [1962], 3) Diese idealtypische Unterscheidung lässt sich vor
allem mit Blick auf die französische und die deutsche Nationsbildung genauer beschreiben. c. NationalismusNationalismus stellt keine eigenständige Ideologie dar, vielmehr entwickelt er sein
spezifisches Profil in Verbindung mit einer politischen Weltanschauung. Entsprechend lassen sich konservative, faschistische, antikoloniale und liberale Nationalismen unterscheiden (vgl. Greenholm 1994, 21). Grundsätzlich wird im Deutschen zwischen Patriotismus als stolzer, liebevoller Verbundenheit mit der eigenen Nation und Nationalismus als einem chauvinistischen, aggressiven Überlegenheitsgefühl unterschieden. Beispielsweise im Englischen oder im Dänischen ist Nationalismus nicht zwingend
ein negativ konnotierter Begriff, sondern wird teilweise auch im Sinne eines toleranten Patriotismus verwendet. Der Neuzeithistoriker Christian Jansen bemerkt grundsätzlich kritisch: "Als Idealtypus mag ein solcher toleranter Patriotismus denkbar sein. Die empirisch fundierten Erkenntnisse über den strukturellen Zusammenhang von Inklusion und Exklusion bei der Bildung von ‚Wir-Gruppen‘ lassen eine solche Differenzierung allerdings fraglich erscheinen." (Jansen 2007, 18) Diese Problemanzeige gilt
es auch bei divergierenden Bestimmungen von Patriotismus oder Nationalismus festzuhalten. d. Europäisierung und GlobalisierungDer Beginn der europäischen Einigung ist als Reaktion auf die katastrophalen
Folgen des Zweiten Weltkriegs zu sehen, der Ergebnis nationalistischer Auseinandersetzungen war. Sie zielte mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1951 auf die Bändigung des Nationalismus durch Vergemeinschaftung kriegswichtiger Industrien und die daraus resultierende wechselseitige Abhängigkeit der Mitgliedstaaten. Die Strategie war zumindest hinsichtlich der beteiligten Staaten überaus erfolgreich: Die Verflechtung der Volkswirtschaften und die
vertrauensbildende Zusammenarbeit der beteiligten politischen Eliten führte langfristig zu einer Deeskalation zwischen den Nationalstaaten. Gleichwohl lässt sich dieser friedvolle Wandel "nicht ursächlich auf den Einigungsprozess zurückführen, wurde aber in seinem Rahmen realisiert" (Patel 2016, 106). Zudem ist auch der außenpolitische Erfolg der Europäischen Gemeinschaft und später der Europäischen Union eher gering. e. Theologische DeutungEin
starker Bezug zu Nation und Staat ist genuin für die reformatorische Tradition. Durch die Übersetzung der Bibel in die Muttersprachen sollte das Evangelium dem Volk eröffnet werden. Dies bewirkte in zahlreichen Protestantismen langfristig eine ausgeprägte Affinität zu Nationalbewegungen mit, die zumindest zu Beginn anti-imperial ausgerichtet waren. Durch die machtpolitisch erforderliche Liaison mit den Fürstentümern
kam es im Zuge der reformatorischen Rekonstitution der Kirche zu einer engen, teils ungewollten Zuordnung zur weltlichen Obrigkeit. Das ursprüngliche theologische Unterscheidungspotenzial zwischen geistlichem und weltlichem Regiment ging dabei verloren. Dies erklärt, warum sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die Sakralisierung der Nation mit der Nationalisierung der Konfession verschränkte. Das Reformationsjubiläum 1917 feierte Luther als "den deutschesten Mann, den es je gegeben hat"
(zitiert nach: Röther 2017). Nicht weniger drastisch tritt das Problem bei Emmanuel Hirsch zutage, der das Volk als göttliche Schöpfungsordnung begriff, die im Gegensatz zur als individualistisch erfahrenen Demokratie stand. Dies kulminierte in der Bestimmung: "Es ist sowohl unmenschlich wie unchristlich, zu leugnen, daß das Volk heilig ist." (Hirsch 1938, § 59 M.3, 249) a. Möglichkeiten der OperationalisierungIm Lehrplan bayerischer Gymnasien bieten sich folgende Lernbereiche an (siehe Linksammlung): Ev 9.5 Kirche und Staat – gestern und heute (ca. 12 Stunden)
Ev 11.2 Wer bin ich? – Das christliche Verständnis vom Menschen (ca. 16 Stunden)
• das Spezifikum des Menschen an einer übergeordneten Fragestellung herausarbeiten, z.B. freier Wille, Sprache, Bewusstsein, Unterschied von Mensch und Tier
b. MaterialTexte:
c. Fragen/Thesen zur Diskussion1. "Europa der Vaterländer" oder "Vereinigte Staaten von Europa" – welche künftige Rolle sollte die Nation in der
Europäischen Union spielen? Vertiefende LiteraturBenhabib, S.: Die Rechte der Anderen, Frankfurt a. M. 2008. LinksHarald Fischer-Tinné, Dekolonisation im 20. Jahrhundert, https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/postkolonialismus-und-globalgeschichte/219139/dekolonisation-im-20-jahrhundert Veröffentlicht am 20.12.2018 (Version 1.0). Zitierweise: Ist das Volk der Staat?Das Prinzip der Volkssouveränität bestimmt das Volk zum souveränen Träger der Staatsgewalt. Die Verfassung als politisch-rechtliche Grundlage eines Staates beruht danach auf der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes. Nicht ein absoluter Monarch, sondern das Volk in seiner Gesamtheit steht einzig über der Verfassung.
Was ist ein Volk einfach erklärt?Mit dem Wort Volk werden allgemein (große) Gruppen von Menschen bezeichnet, die durch kulturelle Gemeinsamkeiten, reale oder fiktive gemeinsame Abstammung oder einen politisch und rechtlich organisierten Personenverband zu einer unterscheidbaren Einheit zusammengefasst sind. Eine verbindliche Definition gibt es nicht.
Was versteht man unter einem Staat?Staatsvolk und Staatsgebiet
Als Staat bezeichnet man eine Vereinigung vieler Menschen, die (freiwillig) in einem bestimmten, abgegrenzten Gebiet leben. Meistens ist ein Staat über einen längeren Zeitraum hinweg gewachsen, seine Bürger sind durch die gleiche Staatsangehörigkeit verbunden.
Was ist ein Staat für Kinder erklärt?Mit einem Staat meint man ein Land und die Menschen, die darin wohnen. Dazu gehören auch ihre gemeinsamen Regeln und die Menschen, welche die Regeln erstellen und dafür sorgen, dass ihnen nachgelebt wird. Beispiele von Staaten sind Deutschland, Österreich, die Schweiz, Frankreich, Italien und so weiter.
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