Marie brand und das ewige wettrennen mediathek

Marie (Mariele Millowitsch) und Simmel (Hinnerk Sch�nemann) am Tatort: Ein Fahrradkurier wurde erfasst und kam zu Tode. Ein Unfall? Oder steckt mehr dahinter?

Beim ZDF wird man keinerlei Veranlassung sehen, nach gut acht Jahren den eingef�hrten Markennamen „Marie Brand“ zu �ndern, aber die au�ergew�hnliche Begabung der Titelfigur ist schon lange kein Alleinstellungsmerkmal mehr: weil Marie Brand (Mariele Millowitsch) im Lauf der Zeit zu einer ganz gew�hnlichen Kommissarin geworden ist. Umso wichtiger ist mittlerweile der Mann an ihrer Seite; so wichtig, dass die Reihe im Grunde „J�rgen Simmel und …“ hei�en sollte, was allerdings zugegebenerma�en nicht besonders sexy klingt. „Marie Brand und das ewige Wettrennen“, der 19. Film der Reihe, ist zudem ein ganz gew�hnlicher Krimi mit einer ganz gew�hnlichen Geschichte und von Serienregisseur Michael Zens auch ganz gew�hnlich umgesetzt: Bei der misslungenen Autoattacke auf eine joggende Frau stirbt ein Zeitungsbote. Die Frau entpuppt sich als Lehrerin Lena B�hmer (Victoria Mayer), die sich unter Sch�lern und Eltern einige Feinde gemacht hat, weil sie angeblich bei ihrer Notengebung keine Gerechtigkeit walten l�sst. Ihr spezieller Widersacher ist Rechtsanwalt Haberland (Stephan Schad), der die Schule bereits mit Klagen �berh�uft hat, weil er �berzeugt ist, Frau B�hmer w�rde seinen Sohn Finn (Timon Ballenberger) im Vergleich zu ihrem Lieblingssch�ler Justus Renski (Sven Gielnik) benachteiligen. Das Tatfahrzeug wiederum ist der Wagen von Justus’ Vater (Rainer Sellien), was nat�rlich nicht zu der Vermutung passt, einer der Herren Haberland habe den Anschlag zu verantworten; es sei denn, er hat das Auto geklaut.

Marie brand und das ewige wettrennen mediathek

Foto: ZDF / Guido Engels

Sollte sie anstatt des Kuriers sterben: Lehrerin Lena B�hmer (Victoria Mayer)?

Der Frontverlauf in diesem Kleinkrieg ist ohnehin klarer, als es f�r einen Krimi gut ist, selbst wenn die Handlung noch einige Haken schl�gt: Die Figuren fallen gr��tenteils ausgesprochen eindimensional aus. Stephan Schad zum Beispiel muss den Rechtsanwalt schmallippig, verkniffen und als Ausbund aller nur erdenklichen Antipathien verk�rpern. Haberlands Interesse an Finn beschr�nkt sich auf die Erwartungen, der Junge m�ge ein �hnlich gutes Abitur machen wie seine beiden �lteren Br�der. Prompt ist auch das protzig den Wohlstand der Familie zur Schau stellende Haus betont k�hl gefilmt (Kamera: Enzo Brandner). Dass der Mann stets in Anzug und Krawatte auftritt, soll wohl ein weiteres Signal f�r seine Gef�hllosigkeit sein: einmal Anwalt, immer Anwalt. Selbst Marie Brand ist seiner mit allen Abwassern gewaschenen Argumentationskraft nicht gewachsen. Man muss kein Jurist sein, um diese Einseitigkeit �rgerlich zu finden. Haberlands Vorwurf, die Lehrerin diskriminiere seinen Sohn, weil er aus einem reichem Elternhaus stamme, f�llt somit auf den Film zur�ck, denn der tut mit dem Anwalt genau das gleiche, zumal er und Finn auch noch daran Schuld sind, dass der Vater von Justus seinen Job verloren hat. Ansonsten kommt Oliver Renski kaum besser weg: Der Mann ist ein arbeitsloser Trinker, der sich schon lange aufgegeben hat. Dass er den Mordanschlag auf sich nimmt, ist von vornherein als falsches Gest�ndnis durchschaubar, weshalb die entsprechende Befragungsszene viel zu lang ausf�llt. Immerhin spielen sowohl Schad wie auch Sellien ihre Figuren konsequent und �berzeugend. Bei Carina Wiese hat sich Zens dagegen unterlassener inszenierender Hilfeleistung schuldig gemacht, falls er nicht sogar der Urheber ihres Spiels ist: Justus’ Mutter provoziert eher Ablehnung als Mitgef�hl, was nicht zuletzt an ungelenken Details liegt; mehrfach muss sich die Darstellerin allzu ostentativ die Haare hinters Ohr legen, um die Unsicherheit der Frau zu unterstreichen.

Marie brand und das ewige wettrennen mediathek

Foto: ZDF / Guido Engels

Belauscht gern seine Eltern: B�hmers Lieblingssch�ler Justus Renski (Sven Gielnik)

Und so ist auch diesmal Hinnerk Sch�nemann der unangefochtene Star des Films. Seine Einlagen machen „Marie Brand und das ewige Wettrennen“ sehenswert, was aus Sicht von Buch und Regie keine gute Nachricht ist, denn Simmels M�tzchen sind nicht nur von der Geschichte losgel�st, sondern oft auch eine Ablenkung: weil er seinen Unfug selbst dann treibt, wenn Brand gerade mitten in der Befragung ist. Auf der B�hne sind solche Momente nicht sonderlich beliebt, weil erfahrene Darsteller auf diese Weise gern versuchen, den Kollegen die Show zu stehlen. Hier aber hat es Methode, zumal Sch�nemanns Humoresken davon ablenken, dass viele Szenen sehr konventionell gestaltet sind. Es ist ohnehin ein Genuss, wie er sich den angesichts der Intelligenz seiner Kollegen stets etwas minderbemittelt f�hlenden Simmel angeeignet und durchdrungen hat. Deshalb wirkt es auch nicht wie ein Verrat an der Figur, wenn die Autoren den Kommissar immer wieder dabei scheitern lassen, sich vom Ruf des „Mannes f�rs Grobe“ zu befreien. Diesmal versucht er sich unter anderem keck an einer an der Tafel stehenden Mathematikaufgabe, und nat�rlich kann Brand es nicht lassen, seinen Fehler zu korrigieren. Noch sch�ner sind die Szenen, in denen Simmel potenzielle Missverst�ndnisse aufkl�ren will und sich dabei um Kopf und Kragen redet; das hat sich Rogall sch�n ausgedacht und Sch�nemann noch besser umgesetzt. �hnlich gro�es Schauspiel ist die Reaktion auf die Begr��ung des Duos durch den Schulleiter, der Brand und Simmel als „Herr Brand und Frau Simmel“ anredet. Simmel korrigiert, auf die Kollegin weisend: „Das ist Herr Simmel“ und verhaspelt sich anschlie�end ins Unverst�ndliche.

Soundtrack: Gary Jules („Mad World“)

Der Rest ist dagegen ein Krimi wie viele andere, selbst wenn sich ein Gro�teil der Handlung auf die Sch�ler konzentriert. Der Titel „Marie Brand und das ewige Wettrennen“ bezieht sich auf die offenbar schon l�nger w�hrende Konkurrenz zwischen Justus und Finn; ein Klassenkampf, in jeder Hinsicht, zumal die beiden beim Training f�r die Stadtmeisterschaft der K�lner Schulen auch noch Rivalen der Rennbahn sind. Dass Justus’ Verehrung f�r seine Lehrerin romantische Ausma�e annimmt, wird ihm schlie�lich zum Verh�ngnis. Frau B�hmer sagt zwar nein, aber am Schultag nach dem Vorfall beim Joggen kursieren angeblich von Justus in Umlauf gebrachte erotische Bilder im Netz. Der Junge wird daraufhin erst Opfer eines Shitstorms und dann der Eifersucht von Herrn B�hmer. Die SMS-Kampagne hat Zens richtig gut umgesetzt: Die Beleidigungen werden nicht, wie sonst zumeist �blich, vorgelesen, sondern eingeblendet und in die Bilder integriert; sie nehmen schlie�lich derart �berhand, dass sich Justus regelrecht durch die Botschaften k�mpfen muss. �hnlich eindrucksvoll ist eine Szene, als die Lehrern etwas an die Tafel schreibt und sich die Sch�ler hinter ihr horrorfilmartig zusammenrotten. Als sich Frau B�hmer umdreht, sitzen alle brav auf ihrem Platz; selten gab es ein treffenderes Bild f�r den Alptraum Schule. (Text-Stand: 5.1.2017)

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Foto: ZDF / Guido Engels

Finn (Timon Ballenberger) ist kein unbeschriebenes Blatt. Millowitsch, Sch�nemann

Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker f�r Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelm��iges Mitglied der Jury f�r den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.