Der kindsvater ist tot wer bestimmt wo die beerdigung

Michael hatte noch nie von der Frau gehört. Die Haushälterin erzählte ihm von ihr: Es gebe keinen Vater, behaupte diese Mandy. Sie wohne im Nachbardorf, in W. Die Haushälterin lachte, Michael seufzte. Als war es nicht genug, dass kaum jemand in die Kirche kam am Sonntag, dass die Alten ihn wegschickten, wenn er sie im Heim besuchte, und die Kinder frech waren in der Unterweisung. Das sei der Kommunismus, sagte er, der wirke immer noch nach. Ach was, sagte die Haushälterin, das war schon vorher so. Ob er das große Rübenfeld kenne an der Straße nach W.? Da sei mittendrin eine Insel. Ein paar Baume stünden in dem Feld, die der Bauer habe stehen lassen. Seit immer, sagte sie. Und dort treffe er sich mit einer Frau. Welche Frau?, fragte Michael. Welcher Bauer? Der da ist, sagte die Haushälterin, und sein Vater auch schon und der Großvater. Alle. Seit immer: Wir sind ja auch nur Menschen, sie und ich. Jeder hat seine Bedürfnisse.

Michael seufzte. Seit dem Frühling betreute er die Gemeinde, aber er war den Menschen nicht nähergekommen: Er stammte aus den Bergen, dort war alles anders, die Menschen, die Landschaft und der Himmel, der hier so unendlich weit war und fern.

Sie sagt, sie hat noch nie mit einem Mann, sagte die Haushälterin, das Kind hat ihr wohl dann der liebe Gott gemacht. Diese Mandy, sagte sie, sei die Tochter des Gregor, der für die Verkehrsbetriebe arbeite. Der Kleine, Fette, der Busfahrer. Der hat es ihr gegeben: Grün und blau war sie. Und jetzt frage sich das ganze Dorf, wer denn der Vater sei. Viele Männer wohnten nicht da, die in Frage kamen. Vielleicht war’s Marco, der Wirt. Oder ein Landstreicher. Schön ist sie ja nicht. Aber man nimmt, was man kriegt. Diese Mandy, sagte die Haushälterin, sei auch nicht gerade sehr helle: Vielleicht hat sie es gar nicht gemerkt. Beim Kirschenpflücken auf der Leiter. Ja ja, sagte Michael.

Mandy kam ins Pfarrhaus, als Michael beim Essen war. Die Haushälterin brachte sie herein, und er ließ sie sich setzen und sagte, sie solle erzählen. Aber sie saß nur da mit niedergeschlagenen Augen und schwieg. Sie roch nach Seife. Michael aß und schaute die junge Frau immer wieder verstohlen an. Sie war nicht schön, aber hässlich war sie auch nicht. Vielleicht würde sie später dick werden. Jetzt war sie üppig. Sie blüht, dachte Michael. Und schaute verstohlen auf ihren Bauch und die großen Brüste, die sich unter dem grellfarbenen Pullover abzeichneten. Ob das die Schwangerschaft war oder das Essen, er wusste es nicht. Dann schaute diese junge Frau ihn an und senkte gleich wieder den Blick, und er schob den noch halbvollen Teller weg und stand auf. Gehen wir in den Garten.

Es war spät im Jahr. Das Laub der Bäume hatte sich verfärbt. Am Morgen war es neblig gewesen, jetzt drückte die Sonne durch. Michael und Mandy gingen nebeneinander im Garten. Ehrwürden, sagte sie, und er, nein, nennen Sie mich Michael, und ich werde Sie Mandy nennen. Und sie wisse also nicht, wer der Vater sei? Es hat keinen Vater gegeben, sagte Mandy, ich habe nie … Sie schwieg. Michael seufzte. Sechzehn, achtzehn, dachte er, alter ist sie nicht. Mein liebes Kind, sagte er, es ist eine Sünde, aber Gott wird dir vergeben. Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Jeder Krug wird mit Wein gefüllt!

Mandy riss ein Blatt von einer alten Linde, unter der sie stehen geblieben waren, und Michael sagte, du weißt, wie der Mann der Frau beiwohnt? Mit dem Johannes, sagte Mandy und wurde rot und schaute zu Boden. Vielleicht war es im Schlaf geschehen, dachte Michael, man hatte solches gehört. Sie hatten das in der Schule gelernt, sagte Mandy leise und sehr schnell, sagte: Erektion und Koitus und Knaus-Ogino. Ja ja, sagte Michael, die Schule. Das hatten sie nun davon, die Kommunisten, die immer noch in den Schulraten saßen.

Bei der heiligen Muttergottes, sagte Mandy, ich habe nie … Ja ja, sagte Michael, und dann, plötzlich heftig werdend, was glaubst du denn, woher das Kind kommt? Glaubst du denn, es kommt vom lieben Gott? Ja, sagte Mandy. Er schickte sie nach Hause.

Am Sonntag sah Michael Mandy unter den wenigen, die zum Gottesdienst gekommen waren. Sie war, wenn er sich recht erinnerte, nie vorher da gewesen. Sie trug ein einfaches, dunkelgrünes Kleid, und jetzt konnte er die Schwangerschaft ganz deutlich sehen. Dass die sich nicht schämt, sagte die Haushälterin.

Mandy wusste nicht wie und was. Michael sah, wie sie sich umschaute. Und gar nicht sang, als alle sangen. Und als sie nach vorne kam, um den Leib zu empfangen, musste er es ihr sagen: Tu den Mund auf.

Michael sprach über die Standhaftigkeit im Leiden. Frau Schmidt, die immer da war, las den Bibeltext mit leiser, aber fester Stimme. Seht zu, dass ihr den Redenden nicht abweist. Sind nämlich jene nicht entkommen, als sie den abwiesen, der auf Erden sich kundgab: Die Gastfreundschaft vergesst nicht; denn durch diese haben einige, ohne es zu wissen, Engel beherbergt.

Michael hatte während der Lesung die Augen geschlossen, und es war ihm, als sehe er den Engel, der bei den Menschen einkehrte, einen Engel, der das Gesicht Mandys hatte und dessen Bauch sich unter dem weißen Gewand wölbte wie jener Mandys unter dem Kleid. Es war aber plötzlich sehr still in der Kirche. Michael öffnete die Augen und sah, dass alle ihn erwartungsvoll anschauten. Da sagte er: So können wir mit Vertrauen sprechen. Der Herr ist mein Helfer; ich fürchte mich nicht.

Nach dem Gottesdienst eilte Michael zum Eingang und verabschiedete die alten Frauen. Als er die Tür hinter der letzten geschlossen hatte, sah er, dass Mandy vor dem Altar kniete. Er ging zu ihr hin und legte ihr die Hand auf den Kopf. Sie schaute ihn an, und er sah, dass Tranen ihr über die Wangen liefen. Komm, sagte er, und er führte sie aus der Kirche und hinaus und über die Straße zum Friedhof. Schau all die Menschen, sagte er, sie alle waren Sünder: Aber Gott hat sie zu sich genommen, und Er wird auch deine Sünden vergeben. Ich bin voller Sünde, sagte Mandy, aber ich habe mit keinem Mann gelegen. Ja ja, sagte Michael und berührte mit der Hand Mandys Schulter.

Als er diese Mandy aber berührte, war es ihm, als fülle sein Herz, sein ganzer Körper sich mit einer Freude, wie er sie noch nie im Leben gefühlt hatte, und er zuckte zurück, als habe ein Feuer seine Hand verbrannt. Und wenn es wahr ist?, dachte er.

Und wenn es wahr ist, dachte er, als er an diesem Nachmittag die Landstraße entlang ins Nachbardorf wanderte. Die Sonne schien, und der Himmel war weit und wolkenlos. Michael war etwas müde vom Mittagessen, aber sein Herz füllte noch immer die Freude, die von Mandys Körper in seinen geflossen war: Und wenn es wahr ist?

Er wanderte oft und immer an den Sonntagnachmittagen in dieses oder ein anderes Dorf, ging mit schnellen Schritten durch die Alleen bei Regen und bei Sonnenschein. Aber an diesem Tag hatte er ein Ziel. Er hatte den Doktor angerufen, der da wohnte und Klaus hieß, und ihn um ein Gespräch gebeten: Nein, er konnte nicht sagen, worum es ging.

Dieser Doktor Klaus war ein Mann aus der Gegend, der Sohn und Enkel von Bauern. Er kannte alle und jeden, und es hieß, dass er, wenn Not war, auch nach den Tieren schaute. Er lebte in einem großen Haus in W., allein, seit seine Frau gestorben war. Er sagte, wenn Michael ihn nur mit seinem Gott in Ruhe lasse, so sei er auch willkommen und solle eintreten. Er sei nämlich Atheist, sagte der Doktor, nein, noch nicht einmal Atheist. Er glaube an überhaupt nichts, auch nicht daran, dass es keinen Gott gebe: Er sei ein Mann des Wissens, nicht des Glaubens. Ein Kommunist, dachte Michael und sagte, ja ja, und unterdrückte ein Gähnen.

Der Doktor tischte Schnaps auf, und weil Michael etwas zu fragen hatte, trank er den Schnaps, er trank ihn in einem Zug und dann gleich noch ein Glas, das der Doktor Klaus ihm eingeschenkt hatte. Mandy, sagte Michael, ob. Und. Er schwitzte. Sie gebe an, dass das Kind nicht durch die Vereinigung mit einem Mann, dass sie nie, nicht, dass kein Mann sie erkannt … mein Gott: Sie wissen, was ich meine. Der Doktor trank seinen Schnaps aus und fragte, ob Michael denn meine, der liebe Gott habe seine Hände im Spiel gehabt oder seinen Johannes. Michael starrte ihn an mit leerem verzweifeltem Blick. Er trank den Schnaps, den der Doktor ihm nachgeschenkt hatte, und stand auf. Das Hymen, sagte er so leise, dass es kaum zu hören war: Das Hymen. Das wäre ja ein Wunder, sagte der Doktor, und das bei uns, ausgerechnet. Er lachte. Michael entschuldigte sich. Ich bin ein Mann des Wissens, sagte der Doktor, Sie sind ein Mann des Glaubens. Wir wollen das nicht vermischen. Ich weiß, was ich weiß: Glauben Sie, was Sie wollen.

Auf dem Rückweg schwitzte Michael noch mehr. Es wurde ihm schwindlig. Der Blutdruck, dachte er. Er setzte sich am Rand des großen Rübenfeldes ins Gras. Die Rüben waren schon ausgetan worden und lagen in langen Haufen entlang der Straße. Das Feld war riesig, weit hinten sah man einen Streifen Wald. Und mitten in dieser Weite lag die kleine Insel, von der die Haushälterin gesprochen hatte: mitten im Acker wuchsen ein paar Baume aus der Dunkelheit dieser Erde.

Michael stand auf und machte einen Schritt in das Feld hinein und dann noch einen. Er ging auf die Insel zu. Die feuchte Erde klebte an seinen Schuhen in großen Klumpen, und er torkelte, er stolperte, das Gehen wurde ihm schwer. Seid guten Mutes, dachte er, wir müssen aber auf eine Insel verschlagen werden. Und ging weiter.

Einmal hörte er auf der Straße ein Auto vorüberfahren. Er schaute sich nicht um. Er ging über das Feld, Schritt um Schritt, und endlich kamen die Bäume näher und plötzlich war er da, und es war wirklich wie eine Insel: Die Ackerfurchen hatten sich geteilt, geöffnet, als sei die Insel aus dem Boden gebrochen und habe die Erde aufgerissen wie einen Vorhang. Diese Insel aber hob sich vielleicht einen halben Meter aus dem Untergrund. Am Rand wuchs etwas Gras, dahinter war Gebüsch. Michael riss einen Zweig von einem der Gebüsche und klaubte damit die Erdschollen von seinen Schuhen. Dann ging er auf dem schmalen Grasstreifen um die Insel herum. An einer Stelle war eine Lücke im Bewuchs, und er trat durch diese Lücke und gelangte auf eine kleine Öffnung mitten zwischen den Bäumen. Das hohe Gras war niedergedrückt, am Rand der Wiese lagen ein paar leere Bierflaschen.

Michael schaute in die Hohe: Zwischen den Baumkronen war der Himmel zu sehen, er schien weniger hoch hier als auf dem weiten Feld. Es war ganz still. Die Luft war warm, obwohl die Sonne schon weit im Westen stand. Michael zog sein Jackett aus und warf es ins Gras. Und dann, ohne dass er recht begriff, was er tat, öffnete er die Knöpfe seines Hemdes und zog das Hemd aus und das Unterhemd, die Schuhe, die Hose, die Unterhose und schließlich die Socken. Er nahm die Uhr ab und warf sie auf den Haufen mit den Kleidern, und so auch die Brille und den Ring, den seine Mutter ihm geschenkt hatte, um ihn zu bewahren. Und stand da, wie und wozu Gott ihn geschaffen hatte: nackt wie ein Zeichen.

Michael schaute in den Himmel, dem er sich verbunden fühlte wie nie zuvor. Er hob die Arme in die Hohe, dann spürte er wieder den Schwindel von vorhin, und er fiel vornüber auf die Knie und kniete da, nackt und mit erhobenen Armen. Er begann zu singen, leise und mit heiserer Stimme, aber es war nicht genug. Und so schrie er, schrie, so laut er konnte, denn er wusste, dass ihn hier nur Gott hören konnte, dass Gott ihn horte und auf ihn herabschaute.

Und wie er wieder über das Feld ging und nach Hause, dachte er an Mandy, und sie war ihm ganz nah, als sei sie in ihm. Also dachte er: Ich habe, ohne es zu wissen, einen Engel beherbergt.

Zurück im Pfarrhaus, holte Michael eine Flasche mit Schnaps aus dem alten Buffet, die ihm ein Bauer nach der Beerdigung seiner Frau gebracht und geschenkt hatte, und goss sich ein kleines Gläschen ein und ein zweites. Dann legte er sich hin und erwachte erst, als die Haushälterin ihn zum Abendessen rief. Er hatte Kopfschmerzen.

Und wenn es wahr ist?, sagte er, als die Haushälterin das Essen brachte. Was wahr? Mandy. Wenn sie das Kind empfangen hat. Von wem? Ist nicht auch dieses Land eine Wüste, sagte Michael. Wer sagt uns denn, dass Er sein Auge nicht gerade hierher richtet, dass gerade dieses Kind Gnade gefunden hat in Seinem Auge, diese Mandy. Die Haushälterin schüttelte unwillig den Kopf: Der ist ein Busfahrer, ihr Vater. Und war Josef nicht Zimmermann? Aber das ist lange her. Glaubt sie denn nicht, dass Gott noch heute lebt? Und dass Jesus wiederkommen wird? Ja, schon. Aber nicht hier. Was ist denn diese Mandy? Sie ist nichts. Sie serviert im Restaurant in W., sie ist eine Aushilfe.

Bei Gott ist kein Ding unmöglich, sagte Michael, und wahrlich, ich sage euch, die Zöllner und Dirnen werden eher in das Reich Gottes kommen. Die Haushälterin schnitt ein Gesicht und verschwand in der Küche. Michael hatte sie nie dazu bewegen können, mit ihm zu essen: Sie hatte immer gesagt, sie wolle nicht, dass geredet werde im Dorf. Geredet worüber? Wir sind ja auch nur Menschen, hatte sie gesagt, jeder hat seine Bedürfnisse.

Nach dem Abendessen ging Michael noch einmal aus dem Haus. Er ging die Straße hinunter, und die Hunde in den Höfen bellten wie verrückt, und Michael dachte, ihr würdet besser auf Gott vertrauen denn auf eure Hunde. Aber das waren die Kommunisten: Er hatte sie lehren sollen, und er hatte es nicht geschafft. Es kamen nicht mehr Leute in die Kirche als im Frühling, und von Unzucht und Trinkgelagen konnte man jeden Tag hören, wenn man nur wollte.

Michael ging ins Heim und fragte nach der Frau Schmidt, die jeden Sonntag den Bibeltext las. Wenn sie noch wach ist, sagte die Schwester, die Ulla, unwillig und verschwand. Eine Kommunistin, dachte Michael, bestimmt. Er sah es ihnen an, den Kommunisten, und was sie dachten, wenn sie ihn sahen. Wenn aber einer starb, riefen sie ihn doch. Damit der ein anständiges Begräbnis bekommt, hatte gerade diese Ulla hier einmal gesagt, als er einen Mann beerdigen sollte, der sein Leben lang in keiner Kirche gewesen war.

Frau Schmidt war noch wach. Sie saß in ihrem Lehnstuhl und schaute Wer wird Millionär? Michael schüttelte ihr die Hand, guten Abend, Frau Schmidt. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben sie. Sie habe schön gelesen, sagte er, und er wolle sich einmal dafür bedanken. Frau Schmidt nickte mit dem ganzen Oberkörper. Michael zog seine kleine ledergebundene Bibel aus der Tasche. Heute will ich Ihnen etwas vorlesen, sagte er. Und während der Moderator im Fernsehen fragte, welche Stadt wurde neunundsiebzig nach Christi Geburt von einem Vulkan verschüttet, Troja, Sodom, Pompeji oder Babylon, las Michael laut und lauter werdend. In den letzten Tagen werden Spötter auftreten, die voll Hohn ihren eigenen Lüsten nachgehen, und sagen: Wo ist die Verheißung seiner Wiederkunft? Seitdem die Väter entschliefen, bleibt ja alles so wie seit Anfang der Schöpfung! Dies eine aber entgehe euch nicht, Geliebte: Ein Tag bei dem Herrn ist wie tausend Jahre, und tausend Jahre sind wie ein Tag.

Und er las, es wird der Tag des Herrn kommen wie ein Dieb, und an ihm werden die Himmel zusammenkrachend vergehen, die Elemente brennend sich auflösen, und auch die Erde und die Werke auf ihr werden sich darunter finden.

Die ganze Zeit, während Michael las, hatte die alte Frau genickt: ihr Oberkörper schaukelte vor und zurück, als sei ihr ganzer Körper ein großes Ja. Dann endlich sprach sie und sagte: Sodom ist es nicht, Babylon ist es nicht. Ist es Troja?

Der Tag ist vielleicht naher, als wir glauben, sagte Michael. Aber keiner wird es wissen. Ich weiß es nicht, sagte Frau Schmidt. Wie ein Dieb wird er kommen, sagte Michael und stand auf. Troja, sagte Frau Schmidt. Er gab ihr die Hand. Sie sagte nichts mehr und schaute ihm nicht nach, als er das Zimmer verließ. Pompeji, sagte der Moderator. Pompeji, sagte Frau Schmidt.

Niemand wird es wissen, dachte Michael, als er nach Hause ging. Die Hunde der Kommunisten bellten, und einmal hob er einen Stein vom Boden auf und schleuderte ihn gegen eines der Holztore. Da bellte der Hund dahinter noch lauter, und Michael ging schnell weiter, damit niemand ihn sehe. Er ging aber nicht zurück zum Pfarrhaus, sondern aus dem Dorf hinaus.

Eine halbe Stunde war es nach W. Einmal kam ihm ein Auto entgegen. Er sah das Licht der Scheinwerfer schon lange im Voraus und versteckte sich hinter einem der Baume der Allee, bis das Auto vorüber war. Die Insel war nun ein dunkler Fleck im grauen Feld, und sie schien naher zu sein als am Tag. Die Sterne funkelten: Es war kalt geworden.

In W. war kein Mensch auf der Straße. Lichter brannten in den Häusern und eine Straßenlaterne, da wo die eine Straße die andere kreuzte. Michael wusste, wo Mandy wohnte. Am Gartentor blieb er stehen und schaute zum kleinen einstöckigen Haus. In der Küche sah er Schatten, die sich bewegten. Es sah aus, als spüle jemand Geschirr. Es wurde Michael warm ums Herz. Er lehnte sich an das Gartentor. Da hörte er ganz nah ein Atmen und plötzlich ein lautes, jaulendes Bellen. Er machte einen Satz zurück und rannte davon. Er war noch nicht hundert Meter vom Grundstück entfernt, als sich die Tür des Hauses öffnete und ein Lichtstrahl in die Dunkelheit fiel und eine Mannerstimme rief: Halt die Schnauze!

An einem jener Tage ging Michael ins Restaurant in W., da seine Haushälterin ihm gesagt hatte, Mandy arbeite dort. Und so war es auch.

Die Gaststube war ein hoher Raum. Die Wände waren gelb vom Rauch der Zigaretten, die Fenster blind, die Möbel alt, und kein Stück passte zum anderen. Niemand war da, nur Mandy, die hinter der Theke stand, als gehöre sie da hin, die Hände vor sich auf den Schanktisch gelegt. Sie lächelte und senkte den Blick, und es war Michael, als leuchte ihr Gesicht in diesem düsteren Raum. Er setzte sich an einen Tisch beim Eingang, Mandy trat zu ihm, er bestellte Tee, sie verschwand. Wenn nur niemand kommt, dachte er. Dann brachte Mandy den Tee. Michael rührte Zucker hinein. Mandy stand noch immer neben dem Tisch. Ein Engel an meiner Seite, dachte Michael. Er nahm einen schnellen Schluck und verbrannte sich den Mund. Und dann sprach er und sah Mandy nicht an dabei, und sie sah ihn nicht an.

Jenen Tag aber und jene Stunde weiß niemand, auch nicht die Engel des Himmels, auch nicht der Sohn, nur der Vater allein. Wie die Tage des Noah, so wird die Ankunft des Menschensohnes sein. Denn wie sie in den Tagen vor der Sintflut aßen und tranken, heirateten und sich heiraten ließen und nichts bedachten, bis die Sintflut kam und alle hinwegraffte: So wird es auch sein mit der Ankunft des Menschensohnes.

Erst jetzt schaute Michael Mandy an und sah, dass sie weinte. Fürchte dich nicht, sagte er. Dann stand er auf und legte seine eine Hand auf Mandys Kopf und zögerte und dann die andere auf ihren Bauch. Wird es Jesus heißen?, fragte Mandy leise. Michael stutzte. Das hatte er sich noch nie überlegt. Der Wind bläst, wo er will, sagte er, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fahrt.

Dann schenkte er Mandy den kleinen Ratgeber für junge Frauen und werdende Mütter, den die Kirche zur Verfügung stellte und aus dem auch er alles wusste, was er wusste, und sagte, Mandy solle zur Unterweisung kommen und in den Gottesdienst, das sei jetzt das Wichtigste, sie habe vieles nachzuholen.

Die Monate gingen hin. Der Herbst wich dem Winter, der erste Schnee fiel und deckte alles zu, die Dorfer, den Wald und die Felder. Der Winter streckte sich aus auf dem Land, und der saure Geruch der Holzfeuerungen sank in die Straßen.

Michael machte lange Wanderungen über das Land, er ging von Dorf zu Dorf und noch einmal über das große Rübenfeld, das jetzt gefroren war, zur Insel. Und wieder stand er da und hob die Arme empor. Aber die Bäume hatten ihre Blatter verloren, und der Himmel war fern. Michael wartete auf ein Zeichen. Es kam keines: Kein Stern war am Himmel, der nicht schon vorher dagewesen wäre, kein Engel auf dem Feld, um zu ihm zu sprechen, kein König und kein Hirte und kein Schaf. Da schämte er sich und dachte, nicht ich bin auserwählt. Sie, Mandy, wird das Zeichen bekommen, ihr wird der Engel erscheinen.

Mandy kam jetzt jeden Mittwoch mit dem Moped von W. her in die Unterweisung und jeden Sonntag in die Kirche. Ihr Bauch wuchs, aber ihr Gesicht wurde schmaler und blass. Sie blieb nach dem Gottesdienst in der Kirche, bis alle gegangen waren, und dann saß sie neben Michael in einer der Bänke, und sie redeten leise. Das Kind, sagte sie, solle im Februar zur Welt kommen. Ware es Weihnachten, dachte Michael, wäre es Ostern. Aber Weihnachten war schon bald und Ostern erst Ende März: Man würde sehen.

Dann steckte die Haushälterin den Kopf durch die Tür und fragte, ob der Herr Pfarrer vielleicht Mittag zu essen gedenke. Die Mühe, die sie sich mache, und kein Lob, nichts, und dann lasse er die Hälfte stehen. Michael sagte, Mandy solle doch zum Essen bleiben, es sei genug da für zwei. Für drei, sagte er, und sie lächelten beide scheu. Da können wir gleich ein Wirtshaus aufmachen, sagte die Haushälterin, als sie ein zweites Gedeck auflegte. Sie knallte die Schüsseln auf den Tisch und verschwand ohne ein Wort und ohne auch nur Appetit zu wünschen.

Mandy erzählte, ihr Vater plage sie, er wolle wissen, wer der Kindsvater sei, und dass er wütend werde, wenn sie sage: der liebe Gott selbst. Nein, er schlage sie nicht. Nur Ohrfeigen, sagte sie, die Mutter auch. Sie wolle weg von zu Hause. Sie aßen beide schweigend. Michael nicht viel, aber Mandy schöpfte zweimal nach. Schmeckt es?, fragte er. Sie nickte und wurde rot. Da sagte er: also könne sie hier im Pfarrhaus wohnen, Platz sei genug. Mandy schaute ihn ängstlich an.

Das geht nicht, sagte die Haushälterin. Michael schwieg. Vorher ziehe ich aus, sagte die Haushälterin. Michael sagte noch immer nichts. Er verschränkte die Arme. Er dachte an Bethlehem. Diesmal nicht, dachte er. Und der Gedanke machte ihn stark. Ich ziehe aus, sagte die Haushälterin, und Michael nickte langsam. Umso besser, dachte er: Er hatte nämlich schon vermutet, dass diese Haushalterin eine Kommunistin gewesen war und was sonst noch alles. Weil sie immer sagte, sie sei auch nur ein Mensch, und weil sie Karola hieß, ein Heidenname. Er hatte die Geschichten ja gehört über sie und seinen Vorgänger, der verheiratet gewesen war: In der Sakristei, hieß es, das auch noch. Diese Frau musste ihm keine Vorhaltungen machen. Diese zuallerletzt. Und kochen konnte sie auch nicht gut.

Die Haushälterin verschwand in der Küche, und dann verschwand sie aus dem Haus, denn es war nicht gerecht und nicht anständig. Und Mandy zog ein: Sie war die neue Haushälterin, so wurde es mit den Eltern ausgemacht und verabredet. Sie bekam sogar Geld. Aber Mandy war ja schon im fünften Monat schwanger, und ihr Bauch war so groß, dass sie schnaufte wie eine Kuh, wenn sie die Treppe hinaufstieg, und Michael Angst hatte, dem Kind könne etwas passieren, als sie an einem Tag die schweren Teppiche vor das Haus getragen hatte.

Michael kam von einer seiner Wanderungen und sah Mandy vor dem Pfarrhaus die Teppiche ausklopfen. Da sagte er, sie müsse sich schonen und trug die Teppiche eigenhändig wieder ins Haus, auch wenn er es kaum vermochte: Denn stark war sein Körper nicht. Weihnachten muss alles sauber sein, sagte Mandy. Das freute Michael und schien ihm ein gutes Zeichen zu sein. Sonst hatte er in der jungen Frau nämlich nicht viel Glauben gefunden, auch wenn sie bei der heiligen Muttergottes schwor und fest davon überzeugt war, dass ihr Kind ein Jesuskind sei, wie sie sagte. Sie sagte schon, sie sei protestantisch. Aber eben nicht sehr. Michael hatte Zweifel bekommen. Er schämte sich für diese Zweifel, aber sie waren da und vergifteten seine Liebe und seinen Glauben.

Von nun an machte Michael alle Hausarbeit selbst. Mandy kochte aber für ihn, und sie aßen zusammen in der dunklen Stube, ohne viel zu reden. An den Abenden arbeitete Michael lange. Er las in der Bibel, und wenn er hörte, dass Mandy aus dem Badezimmer kam, wartete er fünf Minuten, er konnte gar nicht mehr arbeiten, so sehr freute er sich. Dann klopfte er an die Tür von Mandys Zimmer, und sie rief, herein, herein. Da lag sie schon im Bett und hatte die Decke bis zum Hals hochgezogen. Er setzte sich neben sie und legte die Hand auf ihre Stirn oder auf die Decke, da wo ihr Bauch darunter war.

Einmal fragte er sie nach ihren Träumen: Er wartete ja auf ein Zeichen. Aber Mandy träumte nicht. Sie schlafe tief und fest, sagte sie. Also fragte er sie, ob sie denn wirklich nie einen Freund gehabt habe oder dergleichen, ob sie nie Blut auf der Bettwasche gefunden habe. Nicht während der Regel, sagte er, und ihm wurde ganz seltsam, als er so zu ihr sprach. Wenn dies die neue Muttergottes ist, dachte er, wie stehe ich dann da. Mandy sagte darauf nichts. Sie weinte und fragte, ob er ihr nicht glaube. Er legte die Hand auf die Bettdecke, und die Augen wurden ihm feucht. Kinder Gottes heißen wir und sind es, sagte er, darum erkennt die Welt uns nicht, weil sie Ihn nicht erkannt hat. Wer ihn?, fragte Mandy.

Einmal schob sie die Bettdecke zurück und lag da vor ihm in ihrem dünnen Nachthemd. Michaels Hand hatte wieder auf der Decke gelegen, er hatte sie gehoben, und jetzt schwebte sie über Mandys Bauch in der Luft. Es bewegt sich, sagte Mandy und nahm die Hand mit ihren beiden Händen und zog sie herunter auf ihren Bauch, drückte sie auf den runden Bauch, und Michael konnte die Hand nicht heben, sie lag da, lange und schwer wie eine Sünde.

Weihnachten ging vorbei. Mandy war Heiligabend zu ihren Eltern gegangen, aber am nächsten Tag war sie wieder da. Es waren nicht viele Menschen in der Kirche. Im Dorf wurde geredet über Michael und Mandy, Briefe waren geschickt worden an den Bischof, und Briefe kamen zurück. Es war ein Anruf gekommen, und ein Vertrauter des Bischofs war an einem Sonntag ins Dorf hergereist und war mit Michael gesessen und hatte mit ihm geredet. An diesem Tag hatte Mandy in der Küche gegessen. Sie war sehr aufgeregt, aber als der Besucher wieder ging, sagte Michael, alles sei gut: Der Bischof wisse, dass in dieser Gegend viel böses Blut sei und dass manche alten Kommunisten noch immer gegen die Kirche kämpften und Zwietracht säten.

Wie die Zeit verging, wuchs das Kind, und Mandys Bauch wurde darum immer großer, und wenn Michael langst glaubte, großer könne er nicht werden. Als gehöre er gar nicht mehr zu diesem Körper. Und also legte Michael seine Hand auf das werdende Kind und spürte das Glück.

Das Erschrecken geschah, als Michael an einem Nachmittag wieder auf eine Wanderung ging. Da merkte er, dass er das Buch zu Hause hatte liegenlassen. Er kehrte um und kam nach einer halben Stunde schon ins Pfarrhaus zurück. Leise trat er ein, leise ging er die Treppe hinauf. Mandy schlief jetzt auch oft am Tag, und wenn dies so war, wollte er sie nicht wecken. Als er aber in sein Zimmer trat, stand Mandy nackt darin: Sie stand vor dem großen Spiegel, der in die Tür des Kleiderschranks eingelassen war. Und so schaute sie in den Spiegel, wie sie seitwärts davor stand und also vor Michael, der alles sehen konnte. Mandy hatte ihn aber gehört und sich ihm zugewandt, und sie schauten sich an, wie sie waren.

Was suchst du da in meinem Zimmer, sagte Michael. Und hoffte, dass Mandy mit ihren Händen sich bedecke, aber das tat sie nicht. Denn die Hände hingen an ihrer Seite wie die Blatter eines Baumes und bewegten sich kaum. Sie sagte, bei ihr sei kein Spiegel, und sie habe diesen Bauch betrachten wollen, der ihr da gewachsen sei. Michael trat zu Mandy, um sie nicht mehr anschauen zu müssen. Da berührten seine Hände ihre Hände und er dachte an überhaupt nichts mehr, weil er mit Mandy war und sie mit ihm. Und also war es, dass Michaels Hand da lag, als sei sie eben geboren worden: das Tier selbst aus dieser Wunde.

Dann schlief Michael ein, und als er wieder erwachte, dachte er, mein Gott, was habe ich getan. Als er zusammengekrümmt im Bett lag und mit der Hand seine Sünde bedeckte, die groß war. Mandys Blut war ihr Zeugnis und sein Beweis, und er wunderte sich nur, dass nicht die Elemente brennend sich auflösten oder der Himmel über ihm zusammenkrachte oder sich auftat: um ihn mit einem Blitz oder einem anderen Ereignis zu toten und bestrafen. Aber das geschah nicht.

Auch tat sich der Himmel nicht auf, als Michael durch die Allee eilte, auf der Straße nach W. Er wollte zur Insel auf dem Feld und ging mit schnellem Schritt und stolpernd über die gefrorenen Ackerfurchen. Mandy hatte geschlafen, als er das Haus verließ, diese Mandy, die er aufgenommen hatte.

Er kam zur Insel und setzte sich in den Schnee. Er konnte einfach nicht mehr stehen, so müde war er und so traurig und verloren. Hier würde er bleiben und nicht mehr weggehen. Sollten sie ihn finden, der Bauer und jene Frau, wenn die Unzucht sie im Frühling hierhertrieb.

Es wurde dunkel und es war kalt. Es war Abend. Und Michael saß noch immer auf seiner Insel im Schnee. Die Nässe drang durch seinen Mantel, und er fror und hatte sich abgekühlt. Lasst uns nicht lieben mit Worten, dachte er, noch mit der Zunge. Sondern mit der Tat. So hatte Gott ihn zu Mandy geführt und Mandy zu ihm: dass sie sich liebten. Denn sie war kein Kind, sie war achtzehn oder neunzehn. Und hieß es nicht, kein Mensch werde es wissen? Hieß es nicht, wie ein Dieb werde der Tag kommen? Also dachte Michael: Ich kann es nicht wissen. Und wenn es Gottes Wille war, dass sie Sein Kind empfing, so war es auch Gottes Wille, dass sie ihn empfangen hatte: denn war er nicht Gottes Werk und Geschöpf.

Zwischen den Bäumen sah Michael nur ein paar einzelne Sterne. Als er aber aus der Deckung trat und hinein in das Feld, sah er alle Sterne, die man nur sehen kann in einer kalten Nacht, und zum ersten Mal, seit er hier war, fürchtete er sich nicht vor diesem Himmel. Und er war froh, dass der Himmel so fern war, und dass er selbst so klein war auf diesem unendlichen Acker. Dass selbst Gott zweimal hinschauen müsste, um ihn zu sehen.

Bald war er wieder im Dorf. Die Hunde bellten, und Michael warf mit Steinen nach den Hoftoren und bellte selbst und äffte die Hunde nach, ihr dummes Gekläffe und Gejaule, und lachte, wenn die Hunde ganz außer sich gerieten vor Wut und Eifer: Und war selbst ganz außer sich.

Im Pfarrhaus brannte Licht, und als Michael eintrat, roch er schon das Essen, das Mandy gekocht hatte. Und wie er seine nassen Schuhe auszog und den schweren Mantel, trat sie in die Tür der Küche und schaute ihn ängstlich an. Kalt sei es geworden, sagte er, und sie sagte, das Essen sei fertig. Da trat Michael zu Mandy und küsste sie auf den Mund: wie der lächelte. Beim Nachtessen aber überlegten sie sich einen Namen für das Kind und einen zweiten. Zur guten Nacht gaben sie sich die Hände und gingen jeder auf sein Zimmer.

Wie es im Januar kalt wurde und noch kälter und das alte Pfarrhaus kaum mehr zu heizen war, zog Mandy an einem Abend vom Gästezimmer ins wärmere Zimmer des Hausherrn. Sie trug ihre Decke vor sich her und legte sich neben Michael, als er ohne ein Wort zur Seite rückte. Und in dieser Nacht und in allen folgenden lagen sie im selben Bett und lernten sich so immer besser kennen und lieben: Und Michael sah alles, und Mandy schämte sich nicht.

Aber war es eine Sünde? Denn wer wollte es wissen. Und hatte Mandy nicht mit ihrem Blut bezeugt, dass es ein Kind Gottes war, das da wuchs, ein Kind der Reinheit? Konnte aber das Reine im Unreinen sein?

Und wenn Michael es nicht mehr geglaubt hatte: dass Sein Wort die Menschen und die Kommunisten in diesem Dorf erreichte. So hatte das Wunder sie erreicht, das geschehen war, und man konnte nicht sagen, wie: Es kamen nämlich diese Menschen an die Tür und klopften an. Sie kamen ohne große Worte und brachten, was sie hatten. Einen Kuchen brachte die Nachbarin. Sie habe gebacken, sagte sie, und einer sei so schnell gemacht wie zwei. Und ob Mandy denn zurechtkomme?

An einem anderen Tag kam Marco, der Wirt, und fragte, wie weit es sei. Michael bat ihn in die Stube und rief Mandy und kochte Tee in der Küche. Da saßen sie zu dritt am Tisch und schwiegen, weil sie nicht wussten, was sagen. Marco hatte eine Flasche Cognac mitgebracht und stellte sie vor sich hin. Er wisse wohl, sagte er, dass das nicht das Richtige sei für ein kleines Kind, aber vielleicht, wenn es einmal den Husten habe. Dann wollte er, dass man es ihm erkläre, und als Michael es tat, schaute Marco Mandy ungläubig an und ihren Bauch. Ob es denn sicher sei, fragte er, und Michael sagte, kein Mensch wisse es, keiner könne es wissen. Weil es nämlich doch ziemlich unwahrscheinlich sei, sagte Marco. Er hatte den Cognac wieder in die Hand genommen und schaute die Flasche an. Er schien zu zögern, dann stellte er sie auf den Tisch und sagte, drei Sterne, das ist der Beste, den man hier kriegt. Nicht der für die Gäste. Und war etwas verlegen und stand auf und kratzte sich am Kopf. Im Sommer bist du noch mit mir auf dem Motorrad gefahren, sagte er und lachte, so was. Gebadet hatten sie, die ganze Bande, im See bei F. Wer hatte das gedacht.

Als Marco ging, stand im Garten Frau Schmidt, die brachte, was sie gestrickt hatte für das Kind. Mit ihr war aus dem Altenheim Schwester Ulla, von der Michael doch geglaubt hatte, sie sei eine Kommunistin. Die brachte aber auch etwas, ein Spielzeug, und wollte, dass Mandy sie berühre.

So kam eines nach dem anderen. Der Tisch in der Stube lag voller Geschenke, und im Schrank standen wohl zehn Flaschen Schnaps oder noch mehr. Die Kinder brachten Zeichnungen von Mandy und dem Kind und manchmal war noch Michael darauf und noch ein Esel und ein Ochse.

Bald kamen auch die Leute aus W. und aus anderen Dörfern der Gegend und wollten die werdende Mutter sehen und fragten sie um Rat in ihren kleinen Angelegenheiten. Und Mandy gab Rat und tröstete, und manchmal legte sie den Menschen auch nur die Hand auf den Arm oder auf den Kopf, ohne etwas zu sagen. So war sie still geworden und ernst, dass selbst Michael sie ganz neu sah und anders. Und alles tat, was zu tun war. Im Dorf aber wurde mancher Streit beigelegt in diesen Tagen, und selbst die Hunde schienen jetzt weniger wild, wenn Michael durch die Straßen ging, und bei manchen Häusern hatte man die Strohsterne und Kränze vom Christfest wieder an die Türen und in die Fenster gehängt: denn es war im ganzen Dorf eine Freude, als stünde Weihnachten noch bevor. Alle wussten es, aber niemand sprach es aus.

Einmal kam auch der Doktor Klaus an, um nach dem Rechten zu sehen. Als er aber an die Tür klopfte, tat Michael nicht auf. Er saß mit Mandy im oberen Stock, und sie waren still wie Kinder und schauten aus dem Fenster, bis sie sahen, dass der Doktor wieder ging.

Am nächsten Tag ging Michael nach W. zum Doktor. Der schenkte Schnaps ein und fragte, wie das denn nun sei mit dieser Mandy. Michael trank den Schnaps nicht. Er sagte nur, es sei alles gut, und kein Doktor werde gebraucht. Und diese Geschichten? Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde, sagte Michael. Wie auch immer, sagte der Doktor, das Kind wird auf der Erde geboren und nicht im Himmel. Und wenn ihr Hilfe braucht, so ruft mich, und ich komme. Da gaben sie sich die Hand und sagten nichts mehr. Michael ging aber zurück ins Dorf und zum Altenheim und zur Schwester Ulla. Denn diese hatte selbst vier Kinder geboren und wusste, wie es geht. Und sie versprach ihm, dass sie beistehen werde, wenn es so weit sei.

Als es aber Februar wurde, war es so weit: Und das Kind wurde geboren. Michael stand Mandy bei und Schwester Ulla, die er gerufen hatte. Wie es sich herumsprach, versammelten sich draußen auf der Straße die Leute des Dorfes und warteten still darauf, dass es geschehe. Es war schon dunkel, bis es geschah, dass das Kind geboren war und Schwester Ulla an das Fenster trat und es hochhielt: dass alle draußen es sehen konnten. Es war aber ein Mädchen.

Michael saß an Mandys Bett und hielt ihre Hand und schaute auf das Kind. Schön ist es nicht, sagte Mandy, aber das war eine Frage. Und Schwester Ulla fragte die gewordene Mutter: wohin sie denn nun gehen wolle mit dem Kind, wenn sie dem Pfarrer den Haushalt wohl nicht mehr führen könne für Geld. Da sagte Michael: Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam. Und küsste Mandy so, dass die Schwester es sehen konnte. Und die erzählte es später allen: Dass dieses Versprechen gegeben worden war.

Weil das Kind nun aber nicht Jesus heißen konnte, hießen sie es Sandra. Und wenn die Leute im Dorf glaubten, dass dieses Kind für sie geboren war, so mochte es ebenso gut ein Mädchen sein. Und alle waren zufrieden und freuten sich.

Am nächsten Sonntag war die Kirche voll wie schon lange nicht mehr. In der vordersten Bank saß Mandy mit dem Kind. Die Orgel spielte, und als sie fertig gespielt hatte, trat Michael auf die Kanzel und sprach also: Ob es das Kind ist, auf das der Erdkreis schon so lange wartet, wissen wir nicht und können wir nicht wissen. Denn ihr selbst habt es gehört: der Tag des Herrn, wie ein Dieb in der Nacht, geradeso kommt er. Ihr aber, Brüder und Schwestern, seid nicht in der Dunkelheit. Die Schlafenden schlafen ja nachts, und die Trunksüchtigen betrinken sich. Wir aber, die wir dem Tag gehören, wollen nüchtern sein.

Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, sagte Michael, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Wir aber, Geliebte, wollen Kinder Gottes heißen.