Andere länder gleicher frust

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FÖDERALISMUS BEDEUTET GELEGENTLICH, dass niemand Verantwortung tragen will. In der deutschen Hochschulpolitik ist das Spiel beliebt, Fehlentwicklungen den jeweils anderen Instanzen zuzurechnen. Wenn Studierende schlecht betreut werden, kaum bezahlte Lehrbeauftragte für Kernaufgaben eingesetzt werden und das Stammpersonal vorrangig Projektmitteln für Forschung hinterherlaufen muss, beklagen die Hochschulen ihre knappe Finanzierung durch das Land, die Länder prangern die mangelnde Unterstützung durch den Bund an und der Bund kritisiert die Zweckentfremdung seiner Mittel durch Länder und Hochschulen.

Es regiert die organisierte Verantwortungslosigkeit

Auch beim größten akademischen Dauerskandal, dem massenhaften Einsatz befristet Beschäftigter für Aufgaben, die sich nur mit dauerhafter Perspektive sinnvoll bewältigen lassen, regiert die organisierte Verantwortungslosigkeit. Fast allen ist klar, dass eine Befristungsquote von über 90 Prozent beim sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchs, äußerst geringe Bleibechancen und kurze Vertragslaufzeiten nicht aufgabenadäquat sind.

Selbst bei den Beschäftigten im wissenschaftsunterstützenden Bereich ist die Befristungsquote mit 23 Prozent doppelt so hoch wie im Rest der öffentlichen Verwaltung. Doch niemand sieht sich in der Lage, dagegen vorzugehen. Die Hochschulen fragen, woher sie die Mittel für neue Dauerstellen nehmen sollen, die Länder erklären sich angesichts der Schuldenbremse für handlungsunfähig, und der Bund erklärte sich lange Zeit allein für befristete Pakte, Programme und Projekte zuständig. >>>

Andreas Keller ist stellvertretender Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Foto: GEW


Ute Kittel ist Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft ver.di und Bundesfachbereichsleiterin Bildung, Wissenschaft und Forschung, sowie besondere Dienstleitungen.

Foto: ver.di


Tilman Reitz ist Professor für Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Mitglied im Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft.

Foto: privat


>>> Gegenwärtig bietet sich eine Chance, die verfahrene Praxis signifikant zu ändern. Bund und Länder verhandelnüber einen neuen Hochschulpakt. Laut Koalitionsvertrag soll die 2020 auslaufende Vereinbarung nicht nur verlängert, sondern verstetigt – also auf unbestimmte Zeit abgeschlossen werden. Bund und Länder scheinen sich im Grundsatz einig zu sein, dass dauerhaft mehr Studierende zu versorgen sind und dass dies nicht ohne zusätzliches Geld (oder drastische Qualitätsverluste) zu machen ist. Im Mai soll die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz eine Vereinbarung treffen, die nichts anderes als den dauerhaften Einstieg des Bundes in die Grundfinanzierung der Hochschulen bedeuten würde.

Unser Vorschlag für gute Arbeit und eine hochwertige Hochschullehre

Warum sollte dies nicht auch endlich die Struktur der Bundesunterstützung verändern? Im gleichen Zug ließe sich verbindlich festschreiben, dass die zusätzlichen Daueraufgaben in der Lehre und Forschung nur mit dauerhaft beschäftigtem Personal zu bewältigen sind. Eben dies fordert nun ein Bündnis der Gewerkschaften GEW und ver.di und des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft, das seinen Vorschlag am 7. März offiziell vorstellen wird.

Unser Kerngedanke ist rasch zusammengefasst: Die Hochschulpaktmittel sollen verbindlich daran gebunden sein, dass sie vollständig für neue Dauerstellen eingesetzt werden. Die Länder wären mithin verpflichtet, in einem festzulegenden Zeitraum einen entsprechenden Aufwuchs an ihren Hochschulen zu dokumentieren. Können sie im Vergleich zum Förderbeginn keine neuen Dauerstellen belegen, wäre die naheliegende Sanktion, den Bundeszuschuss in der Folge zu kürzen. Als produktiver Nebeneffekt wäre zu verbuchen, dass Klarheit über die Personalstruktur in den jeweiligen Ländern geschaffen wird und Fortschritte sichtbar werden.

Darüber hinaus müssen die Länder garantieren, dass mit den zusätzlichen Dauerstellen eine qualitativ hochwertige, forschungsbasierte Lehre erbracht werden kann. Stellen mit überhöhtem Lehrdeputat sind damit ausgeschlossen. An Universitäten sollte das Lehrdeputat höchstens acht Semesterwochenstunden betragen. Eine solche Begrenzung ist dringend geboten, wenn man nicht Prekarisierung durch unmittelbare Ausbeutung ersetzen will.

Ein Lackmustest für die Hochschulpolitik

Die umrissenen Maßnahmen sind dringend erforderlich und leicht umzusetzen. Sie sind angesichts der bestehenden Defizite in der Betreuung von Studierenden und den miserablen Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft sachlich geboten. Ein entschiedenes Vorgehen gegen das akademische Beschäftigungsunwesen wird zudem von fast allen politischen Parteien und einflussreichen Wissenschaftsorganisationen befürwortet, zuletzt von der Hochschulrektorenkonferenz und vom Wissenschaftsrat – bisher jedoch ohne ernsthafte Konsequenzen. Die Frage, ob die Verstetigung des Hochschulpakts für tatsächliche Verbesserungen genutzt wird, ist daher auch ein Lackmustest, wie ernst es die Vertreterinnen und Vertreter der Länder, des Bundes und der Hochschulen mit ihrem guten Willen meinen. Ver.di, die GEW und das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft werden die politisch Verantwortlichen diesem Test unterziehen. Der Hochschulpakt 2020 muss zu einem Entfristungspakt 2019 weiterentwickelt werden.

Bis zur voraussichtlich entscheidenden Sitzung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz im Mai sollen Bund und Länder daran wiederholt und mit Nachdruck erinnert werden. Die gemeinsame Initiative hat in der Vorverständigung mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Studierenden sowie bildungs- und wissenschaftspolitischen Organisationen bereits viel Zustimmung erfahren und lädt zu weiterer breiter Unterstützung in den kommenden Wochen und Monaten ein.

Ein Entfristungspakt 2019 kann und soll nicht alle Defizite der Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen ausräumen. Dazu gilt es weit mehr anzupacken, vom Wissenschaftszeitvertragsgesetz über die Projektförderung bis zur überkommenen Lehrstuhlstruktur. Ein Entfristungspakt kann aber einen spürbaren Impuls setzen – für mehr Dauerstellen für Daueraufgaben und eine Reform der Personalstruktur. Das ist längst überfällig, sowohl im Sinne eines verantwortungsvollen Umgangs mit den Beschäftigten als auch für ein funktionierendes und leistungsfähiges Wissenschaftssystem.

Die Initiative "Frist ist Frust" startet mit einem öffentlichen Expertenhearing am 07. März um 13 Uhr an der Berliner Humboldt-Universität. Mit dabei sind Vertreter der GEW, von ver.di und des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft, aber auch der Studierendenverband fzs, des Doktorandennetzwerks N² und weiterer Initiativen. Das gemeinsame Ziel: der "Entfristungspakts 2019". Weitere Informationen finden Sie ab 07. März auch unter //frististfrust.net.

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