Wird die Schere zwischen Arm und Reich größer?

Die Schere zwischen Arm und Reich wird weltweit wieder größer, so lässt sich der Bericht der Hilfsorganisation Oxfam zusammenfassen. So habe sich in den zehn Jahren seit der Finanzkrise die Zahl der Milliardäre weltweit nahezu verdoppelt. Allein im vergangenen Jahr seien ihre Vermögen um insgesamt rund 900 Milliarden US-Dollar gewachsen.

Gleichzeitig könnten sich immer weniger Menschen aus extremer Armut befreien. In Teilen Afrikas steige die extreme Armut sogar wieder an.

Oxfam: Mehr Ungleichheit auch in Deutschland

Der Trend zu mehr Ungleichheit sei auch in Deutschland festzustellen. So hätten die deutschen Milliardäre ihr Vermögen im letzten Jahr um zwanzig Prozent gesteigert. Insgesamt verfüge das reichste Prozent der Bevölkerung über gleich viel Vermögen wie die 87 ärmeren Prozent.

Um die deutsche Gesellschaft gerechter zu gestalten, empfiehlt Oxfam einen höheren Mindestlohn sowie eine stärkere Belastung von Vermögenden, Konzernen, Erbschaften und hohen Einkommen. Generell könnten öffentliche Angebote in Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung dazu beitragen, Armut und Ungleichheit zu verringern.

Oxfam veröffentlicht den sogenannten Ungleichheitsbericht jedes Jahr vor dem Beginn des Weltwirtschaftsforums in der Schweiz.

Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland klafft einer Studie zufolge so stark wie nie zuvor auseinander. „Immer mehr Einkommen konzentriert sich bei den sehr Reichen“ und „immer mehr Menschen sind von Armut betroffen“, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Trotz der guten Konjunktur und der günstigen Lage auf dem Arbeitsmarkt hat demnach die Ungleichheit bei den Einkommen einen neuen Höchststand erreicht.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte unserer Redaktion: „Eine solche Spaltung gefährdet den Zusammenhalt in unserem Land.“ Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich gehöre „definitiv auf die politische Tagesordnung“, sagte Klingbeil. Dieser Dynamik wolle die SPD die Wiedereinführung der Vermögenssteuer entgegensetzen. „Und wir brauchen höhere Löhne im unteren Einkommensbereich. Das erreichen wir unter anderem mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro und der Ausweitung der Tarifbindung.“

Die hohen Einkommensgruppen profitierten laut Studie von den sprudelnden Kapital- und Unternehmenseinkommen. Dagegen sei die Zahl der Haushalte, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben und als arm gelten, zwischen 2010 und 2016 von 14,2 auf 16,7 Prozent gewachsen. Die Armutslücke sei um 779 Euro auf 3.400 Euro gestiegen – diese Summe fehlt armen Haushalten rechnerisch im Jahr, um die Armutsgrenze zu überschreiten. Einer der stärksten Treiber der Entwicklung sei die zunehmende Spreizung der Löhne, hieß es. Eine wachsende Bevölkerungsgruppe am unteren Rand habe den Anschluss an die Lohnsteigerungen in der Mitte der Gesellschaft verloren. Die Studie basiert auf einer Befragung von 25.000 Menschen. Das arbeitgebernahe Institut der deutsche Wirtschaft (IW) bemängelte, dass in der WSI-Studie nicht ausreichend die Auswirkungen der Zuwanderung berücksichtigt werde. Die Einkommen der jeweils ärmsten zehn Prozent seien im Durchschnitt gesunken, weil viele Menschen mit noch geringeren Einkommen hinzugestoßen seien. Die Entwicklung lasse sich deshalb nicht einer zu geringen staatlichen Umverteilung anlasten.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Verena Bentele, warnte vor einem neuen Schub für Populisten. Diese machten schnell angeblich Schuldige für die Schieflage aus, dass sich die einen die Drittwohnung kaufen könnten und die anderen nicht über die Runden kämen. Trotz unrealistischer Forderungen bekämen populistische Politiker Unterstützung von wütenden und verzweifelten Menschen. Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilges, sagte, die Bundesregierung müsse sozial- und steuerpolitisch umsteuern. Schon jetzt lebten fast 30 Prozent der unter 18-Jährigen Kinder und Jugendlichen von staatlichen Leistungen. Viele von ihnen blieben Leistungsempfänger und würden keine Leistungsträger, weil es ihnen an Bildung und gesundheitlicher Vorsorge fehle. Er forderte die Einführung einer unbürokratischen Kindergrundsicherung, ohne dass die Eltern einen Antrag stellen müssten. „Der Staat hat schon alle Informationen über sie.“. Der Paritätische Wohlfahrtsverband verlangte eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze „um mindestens 37 Prozent“. (mit dpa)

Nach einer aktuellen Studie der Organisation Oxfam hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. Schuld allein ist nicht die Pandemie, sondern auch die Verteilung von Vermögen.

Symbolbild Armut / © Marian Weyo ( shutterstock )

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DOMRADIO.DE: Laut Oxfam hat die Pandemie die globale Ungleichheit noch größer gemacht. Das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre hat sich zwischen März 2020 und November 2021 verdoppelt und mehr als 160 Millionen Menschen lebten zusätzlich in Armut. Stimmen Sie dem zu?

Ulrich Hemel (Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer, BKU): Das ist auch tatsächlich so. Denn richtig ist, dass die Anzahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, um mehr als 100 Millionen Menschen zugenommen hat. Von absoluter Armut spricht man, wenn Menschen weniger als zwei Dollar pro Person pro Tag, also etwa 60 Dollar im Monat, zur Verfügung haben. Das ist also wirklich sehr wenig. Es hängt auch damit zusammen, dass viele Menschen mit prekärer Arbeit in den informellen Sektor abgewandert sind. Das ist tatsächlich eine große Herausforderung.

DOMRADIO.DE: Warum ist das gerade jetzt so, dass die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinanderdriftet?

Hemel: Das sind zwei verschiedene Dinge. Das eine ist: Wie ordnet eine Gesellschaft das Zusammenleben und wie garantiert sie einen Mindeststandard? Mindeststandard bezogen auf Wohnen, Zugang zu Bildung, Gesundheit und zu sauberem Wasser.

Das andere ist: Wie agieren Menschen, die unternehmerisch tätig sind? Wie gehen wir mit dem Erfolg dieser Menschen um? Dafür gab es ja auch eine relativ einfache Lösung, die lautet Besteuerung.

Letztes Jahr wurde weltweit eine globale Mindeststeuer eingeführt, zumindest mal beschlossen, die bei 15 Prozent liegt. Das ist auch fair und gerecht und das sollten wir auch weiterverfolgen - auch als Unternehmer und Unternehmerinnen.

Denn es ist einfach schwierig, wenn Digitalkonzerne ihre Steueroptimierung so weit betreiben, dass am Ende fürs Gemeinwesen wirklich zu wenig abfällt. Deswegen ist an der Stelle die Kritik richtig. Jetzt nur zu sagen: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, ist ein bisschen zu plakativ, denn wir müssen schon auch differenzieren.

DOMRADIO.DE: Oxfam leitet aus den Ergebnissen Forderungen ab. Zum Beispiel erwartet die Organisation eine einmalige Vermögensabgabe und eine Vermögenssteuer. Damit wären die Reichen ja immer noch reich, aber das Geld könnte etwas umverteilt werden. Sie haben grade schon das Beispiel der großen Technologieunternehmen genannt. Würden Sie hier auch übereinstimmen?

Hemel: Ich gehe noch weiter. Wir leben ja mit der sozialen Marktwirtschaft als einer sehr bewährten Form der Problemlösung, weil sie den Lösungsmechanismus fairer Wettbewerb mit der Zusage von sozialen Mindeststandards verbindet. Das ist eben soziale Marktwirtschaft.

Zu dieser sozialen Marktwirtschaft gehört eben auch, dass Wettbewerb funktionieren muss. Deswegen gibt es in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, eine Kartellbehörde, die dafür sorgt, dass Wettbewerb stattfindet und nicht zu Monopolen führt. Deswegen ist es durchaus sogar im Sinn der sozialen Marktwirtschaft, wenn Forderungen nach dem Zerschlagen von Digitalmonopolen erhoben werden. Denn soziale Marktwirtschaft funktioniert nur dort, wo der Wettbewerb eben auch eine Chance hat.

Das ist deutlich weitergehender als die Forderung nach einer zusätzlichen Besteuerung, die im Übrigen auch nicht ganz einfach ist, weil die Besteuerungsgrundlage gemessen werden muss. Dieses Messen der Besteuerungsgrundlage ist außerordentlich komplex und gar nicht einfach. Heute liegt der Börsenkurs bei 100, morgen bei 80, übermorgen bei 110. Welchen Wert nehme ich nachher für die Steuer? Vor allem, wenn ich die Aktie vielleicht gar nicht verkauft habe? Das sind dann schon Folgeprobleme. Da liegt der Teufel wirklich im Detail.

Aber zu fragen, in welcher Wirtschaftsordnung wir leben möchten und wie wir soziale Marktwirtschaft wirklich für alle gangbar machen, das ist, glaube ich, die Frage, die an der Zeit ist.

DOMRADIO.DE: Die soziale Marktwirtschaft in Deutschland hat vielleicht in der Pandemie wirklich das Schlimmste abgefedert, Stichwort Kurzarbeit, aber es gab noch viele andere Mechanismen, die da gegriffen haben. Wenn Sie jetzt sagen, wir bräuchten das eigentlich für alle, wie realistisch ist es, dieses Modell zu exportieren?

Hemel: Ich halte es durchaus für realistisch. Es hängt nur davon ab, dass man es wirklich will. Denn es setzt ja voraus, dass wir Institutionen schaffen, die dafür sorgen. Im Übrigen: Auch in Deutschland ist nicht alles grasgrün. Wir haben in Deutschland einen Verlust von Arbeitsplätzen in der Gastronomie. Ein Drittel der Menschen in der Gastronomie ist abgewandert. Wir haben Schwierigkeiten im Bereich der Pflege. Teilweise haben wir 450-Euro-Jobs verloren.

Aber wenn es richtig ist, dass soziale Marktwirtschaft diese beiden Mechanismen miteinander kombiniert, dann ist es durchaus ein Modell, was auch in anderen Ländern für Resonanz sorgt. Ich erfahre das selbst auch. Zu meinen Vorträgen über das Thema soziale Marktwirtschaft sind in Lateinamerika rund 900.000 Menschen digital zugeschaltet gewesen. Weil diese Frage viele interessiert: Gibt es keine Möglichkeit jenseits eines nicht funktionierenden Sozialismus wie in Venezuela und eines nicht gut und nicht gerecht funktionierenden marktliberalen Modells Gesellschaft zu gestalten?

Wir glauben gerade auch als BKU, dass wir hier mit der sozialen Marktwirtschaft ein Pfund in der Hand haben, das oft völlig unterschätzt wird. Deswegen stößt es tatsächlich auf sehr großes Interesse.

Wie groß ist der Unterschied zwischen Arm und reich?

In Deutschland ist das genau definiert. Arm ist, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettolohns erhält, das sind derzeit 1176 Euro. Reich ist, wer monatlich mehr als 3900 Euro Nettogehalt bezieht. Dazu gehören aber auch Superreiche, wie der Eigentümer der Lidl-Supermarktkette, Dieter Schwarz.

Warum wächst die Schere zwischen Arm und reich?

Lücke zwischen Arm und Reich wächst Doch die Lücke zwischen den ganz Armen und den ganz Reichen werde immer größer. „Immer mehr Einkommen konzentriert sich bei den sehr Reichen“, heißt es in der Studie. Denn die hohen Einkommensgruppen profitierten von den sprudelnden Kapital- und Unternehmenseinkommen.

Wie entwickeln sich die Unterschiede zwischen Arm und reich?

Demnach besitzen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens (56 Prozent). Die ärmere Hälfte hat dagegen nur einen Anteil von 1,3 Prozent. Allerdings habe die Vermögensungleichheit in den letzten zehn Jahren nicht weiter zugenommen, heißt es in der DIW-Untersuchung.

Wie kann man die Schere zwischen Arm und reich verringern?

61 Prozent halten die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 10 Euro für eine gute Maßnahme, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern.

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