Welche Statine haben die wenigsten Nebenwirkungen?

Mai 2019 – Bempedoinsäure ist für die Lipidsenkung eine sichere und effektive Alternative zu Statinen, wenn diese von den Patienten nicht vertragen werden. Zu diesem Ergebnis kommen Professor Ulrich Laufs, Vorstandsmitglied der DACH-Gesellschaft Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e. V., und seine Kollegen in der Phase-3-Studie CLEAR Serenity mit 345 Patienten, die an einer Hypercholesterinämie leiden.

Der häufigste Grund für eine Statin-Unverträglichkeit sind Muskelbeschwerden. Statine sind jedoch ein zentraler Bestandteil der lipidsenkenden Therapie. Patienten, die diese Medikamente nicht vertragen und daher nicht einnehmen, erfahren keine adäquate Lipidreduktion und haben ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen. Um das kardiovaskuläre Risiko bei diesen Patienten zu senken, werden dringend alternative orale lipidsenkende Medikamente benötigt. Die jetzt im Journal of the American Heart Association veröffentlichten Ergebnisse der Phase-3-Studie CLEAR (Cholesterol Lowering via Bempedoic acid, an ACL-Inhibiting Regimen) Serenity zeigen, dass Bempedoinsäure eine solche Alternative sein könnte. Denn sie senkte die Lipidspiegel bei Patienten mit Statin-Intoleranz und erhöhten LDL-Cholesterinspiegeln effektiv.

Bempedoinsäure ist ein Vorläufer-Medikament, das erst wirksam wird, wenn es durch ein Leberenzym aktiviert wird, das im Skelettmuskel nicht vorkommt. In seiner aktivierten Form hemmt Bempedoinsäure die ATP-Citrat-Lyase, ein Enzym der Cholesterinsynthese. Damit wird die Cholesterinsynthese zwar im gleichen Stoffwechselweg behindert wie durch Statine. Die Aktivierung außerhalb der Skelettmuskulatur ließ die Wissenschaftler jedoch hoffen, dass diese Substanz weniger Muskelbeschwerden verursacht.

An der CLEAR Serenity Studie nahmen Männer und Frauen teil, die durchschnittlich 65,2 Jahre alt waren und erhöhte LDL-Cholesterinwerte hatten; 93 Prozent berichteten von Muskelschmerzen durch Statin-Einnahme. Die LDL-Ausgangswerte betrugen im Mittel 157,6 md/dL. Die Studienteilnehmer erhielten für 24 Wochen entweder einmal täglich oral 180 mg Bempedoinsäure oder ein Plazebo. Außerdem konnten sie eine bereits bestehende lipidsenkende Basistherapie, z. B. mit Cholesterinresorptionshemmern, fortführen. Nach 12 Wochen hatte die Einnahme von Bempedoinsäure LDL-Cholesterin signifikant reduziert, nämlich um minus 21,4 Prozent im Vergleich zur Plazebo-Gruppe. Signifikante Reduktionen im Vergleich zur Placebo-Gruppe konnten auch bei Non-high-density Lipoprotein Cholesterin (minus 17,9 Prozent), Gesamtcholesterin (minus 14,8 Prozent), Apolipoprotein B (minus 15 Prozent) und hochsensitivem C-reaktivem Protein (minus 24,3 Prozent) beobachtet werden. Bempedoinsäure wurde von den Patienten gut vertragen. Myalgie trat bei 4,7 Prozent der Patienten die Bempedoinsäure erhielten auf und bei 7,2 Prozent der Teilnehmer in der Plazebo-Gruppe.

„Unsere Studie zeigt, dass mit Bempedoinsäure eine neue orale Behandlungsoption für die Lipidsenkung zur Verfügung steht, wenn Statine nicht gut vertragen werden. Jetzt sind wir gespannt auf die Ergebnisse der laufenden Endpunkt-Studie“, fasst Laufs die Ergebnisse zusammen.

Originalarbeit: Efficacy and Safety of Bempedoic Acid in Patients With Hypercholesterolemia and Statin Intolerance. Laufs U, Banach M, Mancini GBJ, Gaudet D, Bloedon LT, Sterling LR, Kelly S, Stroes ESG. J Am Heart Assoc. 2019 Apr 2;8(7):e011662. doi: 10.1161/JAHA.118.011662.

Wer Statine nimmt, leidet oft unter Nebenwirkungen wie Muskelkrämpfen und –schmerzen. Wie ein ECRC-Team von MDC und Charité jetzt in „Scientific Reports“ berichtet, beeinflussen die Cholesterinsenker in den Muskelzellen tatsächlich Tausende Gene. Die Zellen können dadurch schlechter wachsen und sich teilen.

Weltweit nehmen rund 20 Millionen Menschen Statine ein. Allein in Deutschland sind es fast fünf Millionen. Die Medikamente werden zur Senkung des Cholesterinspiegels verordnet, um Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall vorzubeugen. „Statine sind allerdings mit einer Reihe von Nebenwirkungen verbunden, weshalb viele Patientinnen und Patienten sie nicht zuverlässig einnehmen“, sagt Professorin Simone Spuler, die Leiterin der MDC-Arbeitsgruppe Myologie und der Muscle Research Unit am ECRC (Experimental and Clinical Research Center), einer gemeinsamen Einrichtung des MDC und der Berliner Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Zu den häufigsten unerwünschten Begleiterscheinungen der Statine gehören Muskelkrämpfe und –schmerzen. „Angesichts der Nutzen von Statinen für die Gesundheit der westlichen Weltbevölkerung werden diese Nebenwirkungen jedoch oft als vernachlässigbar eingestuft“, sagt Spuler. Sie und ihr Team wollten es genauer wissen und herausfinden, was Statine konkret in den Muskelzellen auslösen. Zu diesem Zweck initiierten sie – allein mit DFG-Geldern und ohne Unterstützung der Pharmaindustrie – eine Studie, die jetzt im Fachblatt „Scientific Reports“ erschienen ist.

Statine störten die Produktion von mehr als 900 Proteinen

Für ihre Untersuchung setzte die Gruppe um die Erstautorin der Studie, Dr. Stefanie Anke Grunwald von der Muscle Research Unit am ECRC, insgesamt 22 Populationen menschlicher Skelettmuskelzellen jeweils zwei verschiedenen Statinen aus: zum einem dem fettlöslichen Wirkstoff Simvastatin, zum anderen dem wasserlöslichen Wirkstoff Rosuvastatin. Anschließend untersuchten die Forscherinnen und Forscher, welche Gene in den Zellen jeweils angeschaltet waren und in Proteine umgesetzt wurden und welche nicht. Zudem analysierten sie den Stoffwechsel der Zellen und beurteilten ihren Zustand anhand morphologischer Kriterien.

„Aufgabe der Statine ist es, ein bestimmtes Enzym bei der Cholesterinbildung zu blockieren, das HMG-CoA“, erklärt Grunwald. Es habe in der Vergangenheit einige Studien gegeben, die die Auswirkungen von Statinen auf den menschlichen Muskel beleuchten wollten. „Viele von ihnen fanden jedoch weder mit Muskelzellen noch mit menschlichen Zellen statt“, sagt Grunwald Die Ausschaltung eines zentralen Enzyms habe komplexe Folgen – die sie und ihre Kolleginnen und Kollegen nun auch mit modernsten Computer-Modelling-Methoden beleuchtet haben.

„Die Ergebnisse waren hochinteressant“, sagt Spuler. „Ganz offensichtlich üben Statine in der allgemein üblichen Wirkstoffmenge dramatische strukturelle, funktionelle und metabolische Effekte auf die Muskeln aus.“ Sie und ihr Team stießen in den untersuchten Zellen beispielsweise auf rund 2.500 Gene, die in Anwesenheit der Medikamente anders reguliert wurden als gewöhnlich. Dadurch war die Produktion von mehr als 900 Proteinen verändert: Sie wurden entweder in zu geringen oder zu großen Mengen hergestellt. Der Einfluss von Simvastatin war diesbezüglich höher als der von Rosuvastatin.

Die Zellen wuchsen nicht wie gewohnt

Beide Statine drosselten in den Muskelzellen nicht nur die Biosynthese von Cholesterin, sondern auch den Fettsäure-Stoffwechsel insgesamt sowie die Produktion von Eicosanoiden. Dabei handelt es sich um eine Gruppe hormonähnlicher Substanzen, die aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren hervorgehen. Sie wirken sowohl innerhalb als auch außerhalb von Zellen als Signalmoleküle und sind in zahlreiche biologische Wirkmechanismen eingebunden. Unter anderen sind sie an der Entwicklung differenzierter Muskelzellen aus Muskelvorläuferzellen beteiligt. „Und sie sind auch in die Schmerzentstehung involviert. Das war für uns ein wichtiger Anhaltspunkt, dass wir hier auf der richtigen Spur sind“, sagt Grunwald.

„Mithilfe funktioneller Analysen konnten wir bestätigen, dass die Entwicklung, das Wachstum und die Teilung der Skelettmuskelzellen durch die Statine beeinträchtigt werden“, sagt Spuler. Sie und ihr Team fanden einen Weg, um die negativen Effekte der Medikamente etwas einzudämmen: „Die Gabe von Omega-3- oder Omega-6-Fettsäuren machte die Wirkungen von Simvastatin und Rosuvastatin teilweise rückgängig“, berichtet die Wissenschaftlerin. Eine ergänzende Einnahme derartiger Präparate könne daher eine Möglichkeit sein, um einer Statin-Myopathie vorzubeugen oder sie zu behandeln.

Statine sind keine Life-Style-Pillen

„Dennoch sollten unsere Erkenntnisse meines Erachtens dazu führen, dass die Gabe von Statinen künftig sehr viel kritischer gesehen werden sollte, als es momentan der Fall ist“, sagt Spuler. In vielen westlichen Ländern der Welt hätten sich die Cholesterinsenker fast schon zu einem Life-Style-Präparat entwickelt. „Das ist keinesfalls ein positiver Trend“, sagt Spuler. Ihrer Ansicht nach sollten Ärzt*innen und Patient*innen sollten in jedem individuellen Fall den Nutzen und die möglichen Gefahren der Medikamente gut abwägen.

Text: Anke Brodmerkel

Weiterführende Informationen

Nachrichten zur Muskel-Forschung des MDC

Literatur

Grunwald, Stefanie Anke et al. (2020): „Statin-induced myopathic changes in primary human muscle cells and reversal by a prostaglandin F2 alpha analogue”, Scientific Reports, DOI: 10.1038/s41598-020-58668-2.

Bild zum Download

Humane Muskelzelle. Bei Menschen, die Statine nehmen, war unter anderem die Produktion von Myosinen gestört. Diese Proteine sind im Bild rot angefärbt, der Zellkern blau. Die Querstreifen zeigen, dass die Zelle sich in eine reife Muskelfaser entwickelt.
Foto: Andreas Marg, MDC.

Kontakte

Prof. Dr. Simone Spuler
Experimental and Clinical Research Center (ECRC)
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und Charité – Universitätsmedizin Berlin
Leiterin der Arbeitsgruppe „Myologie“
+49 30 450 5405 01 oder +49 30 450 5405 04
oder

Jana Schlütter
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
Redakteurin, Abteilung Kommunikation
+49-30 9406 2121
 oder

Welche Cholesterinsenker machen keine Muskelschmerzen?

Da der Q10-Spiegel mit zunehmendem Alter ohnehin reduziert ist und alle Statine den Q10-Gehalt im Muskel zusätzlich reduzieren, wird bei jeglicher Statin-Einnahme - auch ohne Muskelschmerzen - die Einnahme des Coenzyms Q10 empfohlen.

Welcher Cholesterinsenker ist der beste?

Statine sind bei einem zu hohen LDL-Cholesterinspiegel Cholesterinsenker der ersten Wahl. Statine hemmen die körpereigene Bildung von Cholesterin, indem sie das Enzym HMG-CoA-Reduktase hemmen, das im Körper für die Bildung von Cholesterin zuständig ist.

Was ist das beste Statin?

Es gibt drei Statine, die als hochwirksam eingestuft werden: Simvastatin, Atorvastatin und Rosuvastatin. Die Inzidenz der Rhabdomyolyse, die durch diese drei Statine verursacht wird, differiert bei den höchsten verfügbaren Dosierungen deutlich.

Können Statine den Herzmuskel schädigen?

FAKT: Veröffentlichte Studien haben gezeigt, dass Patienten, die Statine einnehmen und ein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, dieses Risiko erhöhen, wenn sie die Einnahme des Arzneimittels abbrechen.

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