Kann man Mandelentzündung ohne Antibiotika heilen?

Einige Ärzte verordnen bei Halsschmerzen noch immer fleißig Antibiotika, ohne überhaupt auf Bakterien getestet zu haben. Dabei nutzen die Keimkiller sogar dann kaum, wenn nachweislich Streptokokken am Werk sind.

Bei Halsschmerzen gilt es zunächst, zwischen einer Streptokokken-Angina und anderen Ursachen, insbesondere den wesentlich häufigeren viralen Infek­tionen, zu unterscheiden. Auf einzelne Symptome ist hier kein Verlass. Das Team um Yael Hofmann von der Medizinischen Universitätsklinik und Infektiologie/Spitalhygiene am Kantonsspital Baselland in Bruderholz, Basel, empfiehlt deshalb, die Wahrscheinlichkeit der bakteriellen Erkrankung anhand des McIsaac-Scores abzuschätzen (s. Kasten).

Wenn Fieber senken, dann nur in Maßen

Der Patient kann selbst viel zur Symptomlinderung beitragen. Wichtig ist z.B. eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr mit warmen Getränken wie Lindenblüten- oder Salbeitee. Auch Halswickel mit Zitrone oder Quark können helfen, ebenso topische Lokalanästhetika (Lutschtabletten, Rachenspray etc.). Fieber sollte wegen seiner Rolle für die Immunabwehr nur bei einer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens maßvoll gesenkt werden, empfehlen die Kollegen aus Basel.

Quelle: Hofmann Y et al. Swiss Medical Forum 2019; 19: 481-488

McIsaac-Score

  • Fieber > 38 °C: 1 Punkt
  • Tonsillen-Rötung mit/ohne Beläge: 1 Punkt
  • Zervikale Lymphadenopathie: 1 Punkt
  • Fehlender Husten: 1 Punkt
  • Alter: 3–14 Jahre: 1 Pkt., 15–44 Jahre: 0 Pkt., ab 45 Jahre: -1 Pkt.
Wahrscheinlichkeit für positiven Rachenabstrich: Score 1: 5–10 %, Score 2: 11–17%, Score 3: 28–35 %, Score 4–5: 51–53 %.

Eine weitere Abklärung mit Rachenabstrich und Schnelltest auf Streptokokken der Gruppe A sollte erfolgen, wenn der McIsaac-Score drei oder mehr Punkte erreicht, Patienten mit Score 0–2 brauchen keine zusätzliche Diagnostik. Fällt der Streptokokken-Schnelltest positiv aus, stellt sich die Frage, ob Sie ein Antibiotikum verordnen. Jahrzehntelang wurde die antibakterielle Therapie zur Prophylaxe des akuten rheumatischen Fiebers (ARF) propagiert. Doch diese Einschätzung hat sich geändert: Seit einigen Jahren sehen die europäischen Leitlinien in dem Schutz vor dieser Autoimmunkomplikation keine Indikation mehr für die Antibiose. Der Grund für diesen Sinneswandel: Das rheumatische Fieber ist in den westlichen Ländern im 20. Jahrhundert praktisch verschwunden – trotz gleichbleibender Inzidenz der Streptokokken-Angina. Das minimale Restrisiko für ARF lässt sich auch durch Antibiotika nicht weiter senken, betonen die Autoren. Es liegt ungefähr auf gleichem Niveau wie das für eine schwere Anaphylaxie nach Penicillingabe. Also wird im Allgemeinen von einer ARF-Prophylaxe abgeraten. Es gibt jedoch Ausnahmen. So sollten Patienten mit erhöhtem Risiko, z.B. aufgrund eines ARF in der persönlichen Anamnese, weiterhin Penicillin bzw. Amoxicillin erhalten.

Einem Peritonsillarabszess vorbeugen macht keinen Sinn

Außerdem tritt das ARF in armen Ländern nach wie vor auf. Unklar bleibt bisher, ob eine vermehrte Immigration aus diesen Regionen zu einer Zunahme rheumatogener Streptokokken-Stämme in Europa und zu mehr ARF-Fällen führt. Um diese rechtzeitig zu erkennen, raten die Kollegen, dazu, die epidemiologische Situation konsequent zu überwachen. Eine weitere Poststreptokokken-Erkrankung, die Glomerulonephritis, taucht inzwischen ebenfalls kaum noch auf, sodass man auf eine antibakterielle Prophylaxe verzichten kann. Keine Indikation für eine Antibiotika-Prävention sehen die europäischen Leitlinien auch beim Peritonsillarabszess. Diese eitrige Komplikation der Streptokokken-Angina ereignet sich im Vergleich zu den 1950er- bis 1970er-Jahren inzwischen deutlich seltener und lässt sich schwer vorhersehen. Zwei Drittel der Fälle treten bei Patienten mit einem McIsaac-Score 0–2 auf oder bei Personen, die gar nicht wegen Halsschmerzen in die Praxis kommen. Außerdem müssten Studien zufolge zwischen 193 und 4300 Kranke behandelt werden, um einen Abszess zu verhindern, und in den meisten Fällen bleibt im Akutfall noch genügend Zeit für eine Antibiotikatherapie. Als wesentliches Argument für die Behandlung gilt heute die Verkürzung der Krankheitsdauer. Betroffene müssen aber wissen, dass die Symptome innerhalb einer Woche fast immer von selbst verschwinden. Die Antibiose verkürzt die Beschwerdedauer nur geringfügig um ein bis zwei Tage. In der Praxis bewährt sich oft eine verzögerte Antibiotikagabe: Der Patient erhält ein Rezept, soll es aber nur einlösen, wenn sich die Symptome verschlechtern oder nach 72 Stunden nicht bessern. In Studien war die später begonnene Behandlung ebenso wirksam wie die sofortige. Aber 70 % der Halsschmerzgeplagten konnten auf die Medikamente verzichten. Red-Flag-Kriterien (s. Kasten) dulden selbstverständlich keine Verzögerung.

Hier führt kein Weg am Bakterienkiller vorbei

  • schwer kranker Patient
  • Immunsuppression (Chemotherapie etc.)
  • ungewöhnlicher Verlauf (z.B. Zunahme der Schmerzen, Schluckprobleme, Fieber, fehlende Besserung nach 4–7 Tagen)
  • streng einseitige Beschwerden (v.a. Peritonsillar­abszess)
  • Kieferklemme (Patient kann nicht mehr schlucken oder den Mund öffnen)
  • Scharlach-Verdacht (Hautausschlag, Erdbeerzunge)
  • akutes rheumatisches Fieber (Eigen- oder Familien­anamnese)
  • Kleinkinder, Patienten > 65 Jahre, ernste Begleiterkrankungen

30.08.2019

Zurück

Verwandte Links

  • Behandlung der Streptokokken-­Angina Hofmann Y et al. Swiss Medical Forum 2019; 19: 481-488

Mehr zum Thema

Gefräßige Streptokokken: Spätfolgen der Infektion können dramatisch sein

Patienten mit Scharlach, Impetigo oder akuter Tonsillopharyngitis müssen weiterhin schnellstmöglich antibiotisch behandelt werden. Denn die…

mehr

Infektiologie

Rheumatisches Fieber: Streptokokken eliminieren und supportiv behandeln

Rheumatisches Fieber? Das gabs früher öfter mal – doch heute? Zugegeben, die Erkrankung ist hierzulande selten geworden. Angesichts der Migration aus…

mehr

Rheumatologie , Infektiologie

Anzeige

Halsschmerzen wegkauen? Xylitol-Kaugummis wirkungslos

Forscher hoffen, mit einfachen Mitteln den Einsatz von Antibiotika bei einer Rachenentzündung zu minimieren. Ihr Ansatz: Xylitol, Sorbitol und…

mehr

Gastroenterologie

Einmalige orale Kortisongabe kann Halsschmerzen lindern

Statt bei akuten Halsschmerzen mit einer nicht indizierten Antibiotikatherapie auf Besserung zu hoffen, kann man die Gabe von Dexamethason erwägen.

mehr

HNO

Anzeige

„Fieber unklarer Genese“ – wie Sie diese Verlegenheitsdiagnose gekonnt umgehen: Fortschritte beim Entwirren der Ursachen

Ihr Patient hat unklares Fieber seit mehreren Wochen und Sie kommen dem Auslöser einfach nicht auf die Schliche? Dann könnte es helfen, die drei…

mehr

Orthopädie

Racheninfektionen scheinen das Risiko für Zwangs- und Tic-Störungen zu erhöhen

Streptokokken stehen im Verdacht, neben chronischen Infektionen auch psychische Störungen auszulösen. Forscher untersuchten nun den Zusammenhang an…

mehr

HNO , Psychiatrie

Angina: Fünf Tage Penicillin reichen aus

Bei einer Streptokokkentonsillitis muss Penicillin V nicht zwingend über zehn Tage gegeben werden. Eine halb so lange Therapie mit vier statt drei…

mehr

Infektiologie , HNO

Invasive Infektionen durch Gruppe-A-Streptokokken sind ein zunehmendes Problem

Ein dreijähriges Mädchen bekommt erst Fieber, dann petechiale Blutungen. Wenige Stunden später ist sie tot. Fünf Tage darauf steigt auch bei ihrem…

mehr

Infektiologie

Angina pectoris

Raus aus der Enge

Gegen eine therapierefraktäre Angina pectoris lässt sich mit gängigen Therapeutika nicht allzu viel ausrichten. Doch es gibt vielversprechende…

Was tun gegen Mandelentzündung ohne Antibiotika?

Mandelentzündung – was kann ich selbst tun?.
feuchte Halswickel (kalt oder warm).
Spülen oder Gurgeln mit Salbeitee..
viel Trinken, möglichst aber keine säurehaltigen Säfte. ... .
gegen Schluckbeschwerden helfen schmerzlindernde Lutschtabletten aus der Apotheke..
vermeiden Sie Zigarettenrauch!.

Was passiert wenn man nichts gegen eine Mandelentzündung macht?

Eine eitrige Mandelentzündung bekommt der HNO-Arzt mit einer gezielten Antibiotika-Therapie meist problemlos in den Griff. Bleibt die Krankheit aber unbehandelt oder wird verschleppt, wächst die Gefahr, dass die Entzündung immer wieder aufflammt (rezidivierende Tonsillitis) oder chronisch wird (chronische Tonsillitis).

Kann eine Mandelentzündung von alleine weg gehen?

Eine akute Mandelentzündung heilt meist nach ein bis zwei Wochen von alleine. Als Hausmittel haben sich Halswickel bewährt und auch antiseptische sowie lokal betäubende Gurgellösungen. Gegen stärkere Schmerzen helfen in der Regel Mittel wie Paracetamol und Ibuprofen.

Wie lange dauert Mandelentzündung ohne Antibiotikum?

Bei einer akuten Mandelentzündung klingen Beschwerden wie Halsschmerzen und Fieber innerhalb von 1 bis 2 Wochen ab. Das Fieber lässt oft etwas eher nach als die Halsschmerzen. Es kann aber länger dauern, bis die Mandeln abgeschwollen sind.

Toplist

Neuester Beitrag

Stichworte